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ST:A:R_21

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Nr. <strong>21</strong>/2009 Buch V - Hinterthuer<br />

<strong>ST</strong>/A/R 35<br />

UTOPIA ULTRA - MEKKA DER DÄMONEN<br />

TIPOLIS IM GANZHEITLICHEN UMSCHWUNG<br />

von Marcus Hinterthürr<br />

oder: wie man einen<br />

Mann mit einer<br />

Wohnung erschlägt, wie<br />

mit einer Axt - oder wie<br />

man es eben nicht tut!<br />

NECROPOLIS ET EXITUS<br />

FIAT LUX Es ist ein Licht, das jede<br />

andere Helligkeit an Leuchtkraft<br />

überstrahlt, ein Erwachen in einem<br />

Moment äußerster Lichtheit.<br />

Ich war in einem Garten, sah<br />

durch ein dunkles Gitterwerk leuchtende<br />

rote, gelbe und grüne Lichter<br />

fallen, ein unbeschreiblich beglükkendes<br />

Erleben. Eine Flucht hochragender<br />

gotischer Bogen, ein unendlicher<br />

Chor, ohne das ich die unteren<br />

Partien mitgesehen hätte.<br />

Wesentlich war, das alle<br />

Bilder aus unabsehbar zahlreichen<br />

Wiederholungen derselben Elemente<br />

bestanden: viele Funken, viele<br />

Kreise, viele Bogen, viele Fenster,<br />

viele Rhomben, viele Archiquanten,<br />

usw. Nie sah ich Einzelstehendes,<br />

sondern stets dasselbe unendlich oft<br />

wiederholt.<br />

Eine Wolkenkratzerlandschaft,<br />

wie sie aus Bildern der New Yorker<br />

Hafeneinfahrt bekannt ist: hintereinander-<br />

und nebeneinandergestaffelte<br />

Häusertürme mit unzähligen<br />

Fensterreihen.<br />

Ein System von Masten und<br />

Seilen, das mich an eine am Vortag<br />

gesehene Gemäldereproduktion<br />

erinnert.<br />

Ein Abendhimmel von unvorstellbar<br />

zartem Blau über den dunklen<br />

Dächern einer spanischen Stadt.<br />

Ich verspüre ein seltsames<br />

Erwartungsgefühl, bin freudig und<br />

ausgesprochen erlebnisbereit. Mit<br />

einem Mal leuchten die Gestirne auf,<br />

häufen sich und werden zu einem<br />

dichten Sternen- und Funkenregen,<br />

der auf mich zuströmt. Stadt und<br />

Himmel sind plötzlich verschwunden,<br />

und ich befinde mich in einer<br />

wunderbaren, phantastischen<br />

Landschaft. Sie ist dem Inneren eines<br />

riesigen gotischen Kirchenschiffes<br />

vergleichbar, mit unendlich vielen<br />

Säulen und Spitzbögen. Diese bestehen<br />

aber nicht aus Stein, sondern<br />

aus Kristall. Bläuliche, gelbliche,<br />

milchige und klar durchscheinende<br />

Kristallsäulen umgeben mich wie<br />

Bäume in einem lichten Wald. Ihre<br />

Spitzen und Bögen verlieren sich<br />

in schwindelnder Höhe. Ein helles<br />

Licht erscheint vor meinem inneren<br />

Auge, und eine wunderbare, sanfte<br />

Stimme spricht aus dem Licht zu mir.<br />

Ich höre sie so wie klare Gedanken,<br />

die in einem entstehen. Und fünf<br />

Tage später kehrten zwei Gesichter<br />

zurück: das des Paters, zornig, dog<br />

______________________<br />

Vgl. Heinrich Zille “Leben und Werk”<br />

in dem Zusammenhang: die Berliner Sezession (1892 - 1933),<br />

sowie: Simplizissimus (Satirische Deutsche Wochenzeitschrift)<br />

Marcus Hinterthür<br />

La Vie des Termites<br />

Druckgrafik 2009<br />

Auflage: 10´000 Stück<br />

matisch, Gehorsam verlangend, und<br />

das des Banditen, sardonisch, zu<br />

Zynismus ermunternd; und Nouki<br />

begriff, dass er eines Tages unter<br />

Umständen Heidulf zu töten hatte.<br />

Aber es mussten erst noch weitere<br />

Jahre vergehen, und Nouki musste<br />

zuvor noch den Bombenanschlag auf<br />

sein eigenes Büro planen, zusammen<br />

mit Maciej „Magic“ Boltryk;<br />

erst dann würde er wissen, dass er<br />

Heidulf Gerngross tatsächlich ohne<br />

Gewissensbisse umbringen würde,<br />

falls dies einmal notwendig sei...<br />

«Hello.»<br />

«Hier ist Matthes Hentz, wer<br />

spricht dort?»<br />

«Wer zum Teufel dachtest du<br />

wohl, könnte es sein? Du hast doch<br />

meine Nummer gewählt.»<br />

«Jesus Christ», sagte Matthes.<br />

«Hör mal, ich befinde mich an<br />

einem Ort, wo ich dem Telefon nicht<br />

so recht traue. Ich muss ganz sicher<br />

gehen, dass ich wirklich mit dir spreche.<br />

Identifizier dich also bitte so,<br />

ohne dass ich deinen Namen sagen<br />

muss. Verstehst du?»<br />

«Natürlich verstehe ich dich. Gar<br />

nicht nötig, dass du so schülerhaft<br />

daher redest. Hier spricht Thomas<br />

Redl, Matthes, und ich nahm an,<br />

du hast nichts anderes erwartet.<br />

Wo zum Teufel steckst du? Bist du<br />

immer noch in Papua Neuguinea?»<br />

«Ich bin auf dem Grund des<br />

Atlantik.»<br />

«Ich kenne dich ja gut genug,<br />

um nicht überrascht zu sein. Hast<br />

du schon gehört, was hier gelaufen<br />

ist?»<br />

«Nein. Was ist passiert?» Matthes<br />

umklammerte den Hörer fester.<br />

«Heute morgen, ganz früh,<br />

ist im <strong>ST</strong>/A/R-Büro eine Bombe<br />

hochgegangen. Und Heidulf ist verschwunden.»<br />

«Ist er tot?»<br />

«Soviel ich weiß, nicht. Tote<br />

gab‘s keine. Wie sieht‘s bei dir aus?<br />

______________________<br />

Vgl. Alexander Schießling, “Schlachthaus Gesellschaft”<br />

Vgl. Johann Most, “Kriegswissenschaft”<br />

1 Ebenda<br />

Alles okay?»<br />

«Ich gerate gerade in eine<br />

unglaubliche Geschichte, Thomas.<br />

Sie ist so unglaublich, dass ich gar<br />

nicht erst versuchen will, sie dir zu<br />

erzählen. Jedenfalls nicht, bevor ich<br />

zurück bin. Wenn du dann immer<br />

noch eine Zeitschrift machen solltest.»<br />

«Bis jetzt gibt‘s die Zeitschrift<br />

schon noch und ich mache sie jetzt<br />

von meiner Wohnung aus», sagte<br />

Thomas «Ich hoffe nur, die kommen<br />

nicht auf den Gedanken, mich auch<br />

noch in die Luft zu jagen.»<br />

«Wer?»<br />

«Wer auch immer. Matthes, dein<br />

Auftrag läuft weiter. Und sollte deine<br />

Geschichte irgendetwas mit dem zu<br />

tun haben, weshalb du in Papua<br />

Neuguinea warst, kann ich dir nur<br />

sagen, bist du in Schwierigkeiten.<br />

Von Reportern erwartet man nicht,<br />

dass sie herumziehen und die Büros<br />

ihrer Bosse durch Bomben hochgehen<br />

lassen.»<br />

«Du hörst dich ziemlich fröhlich<br />

an, bedenkt man, dass Heidulf vielleicht<br />

tot ist.»<br />

«Heidulf ist unverwüstlich.<br />

Übrigens, Matthes, wer bezahlt<br />

eigentlich dieses Gespräch?»<br />

«Ein wohlhabender Freund,<br />

denke ich. Er besitzt ein<br />

Skriptmonopol oder so was ähnliches.<br />

Mehr über ihn später. Lass<br />

uns jetzt mal aufhören, Thomas.<br />

Danke.»<br />

«Sicher. Pass schön auf dich auf,<br />

Baby.»<br />

AUFBAU...<br />

Dynamit hat sich bis jetzt<br />

im praktischen Gebrauch beim<br />

Bergwerksbetriebe, in Steinbrüchen,<br />

bei Tunnelbauten u.s.w. am besten<br />

bewährt. Verhältnismäßig kleine<br />

Quantitäten haben da sozusagen<br />

Wunder gewirkt. Daher mag wohl<br />

auch der Aberglaube rühren, den<br />

Manche hegen: mit einer Hand voll<br />

Dynamit ganze Mauern umwerfen<br />

zu können. Dabei wird aber<br />

die Hauptsache vergessen, nämlich:<br />

dass bei den vorbemerkten<br />

gewerblichen Anwendungen von<br />

Dynamit dasselbe in möglichst tief<br />

gebohrte Sprenglöcher geladen wird.<br />

Könnte man an den zu sprengenden<br />

Gebäuden ebenfalls die nötigen<br />

Bohrungen vornehmen, dann wäre<br />

auch an diesen mit wenig Stoff eine<br />

große Kraft zu entwickeln. So aber<br />

muss man andere Maßregeln ergreifen.<br />

Es mag übrigens häufig vorkommen,<br />

dass der Sprengstoff<br />

immerhin gewissermaßen innerhalb<br />

des Mauerwerks zu platzieren<br />

ist. Öffnungen von Ventilations-<br />

Kaminen, Gas-, Heizungs-, Wasserund<br />

Kloaken-Leitungen mögen<br />

unter Umständen der Platzierung<br />

von Dynamit innerhalb oder unterhalb<br />

des Gemäuers dienen. Würde<br />

das aber nur an einer einzigen Stelle<br />

der Fall sein, so muss trotz alledem<br />

noch ein ganz gehöriges Quantum<br />

von Sprengstoff genommen werden,<br />

wenn das Gebäude so stark erschüttert<br />

werden soll, dass es zusammenstürzt...<br />

...UND WIEDERABRISS<br />

Matthes reichte den Apparat wieder<br />

rüber zu Wladimir Jaremenko-<br />

Tolstoj.<br />

«Weisst du, was Heidulf zugestossen<br />

ist? Weisst du, wer <strong>ST</strong>/A/R<br />

______________________<br />

Vgl. A.Hofmann, 1943

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