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[ke:onda] Stadt, Land, Vielfalt

Ausgabe 2/2020. Stadt oder Land? Ein unausweichlicher Widerspruch oder doch eigentlich alles gleich? Bedeutet Stadt gleich Betonwüste und Land gleich grüne Idylle? In dieser Ausgabe widmen wir uns einer Vielzahl an Lebensentwürfen und den sozialen und ökologischen Auswirkungen von Stadt und Land.

Ausgabe 2/2020. Stadt oder Land? Ein unausweichlicher Widerspruch oder doch eigentlich alles gleich? Bedeutet Stadt gleich Betonwüste und Land gleich grüne Idylle? In dieser Ausgabe widmen wir uns einer Vielzahl an Lebensentwürfen und den sozialen und ökologischen Auswirkungen von
Stadt und Land.

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Seite 6<br />

<strong>Stadt</strong>, <strong>Land</strong>, <strong>Vielfalt</strong><br />

Dezember 2020<br />

Leben in der <strong>Stadt</strong><br />

Luise Min<strong>ke</strong>witz ist 19 Jahre alt und<br />

Praktikantin in einem Forschungsinstitut<br />

sowie angehende Biologie-Studentin.<br />

Sie wohnt schon ihr ganzes Leben im pulsierenden<br />

Zentrum von Berlin und kann<br />

sich, abseits vom Urlaub, nicht vorstellen<br />

auf dem <strong>Land</strong> zu leben. Im Interview erzählt<br />

sie uns, was das <strong>Stadt</strong>leben für sie so<br />

reizvoll macht.<br />

Du lebst lieber in der <strong>Stadt</strong> als auf dem<br />

<strong>Land</strong>. Warum?<br />

<strong>Stadt</strong> ist für mich so lebendig. Es verändert<br />

sich ständig etwas und man selbst kann sich<br />

mit verändern. Auf dem <strong>Land</strong> hat man das<br />

Gefühl, die Zeit bleibt ein bisschen stehen.<br />

Erzähl uns was über deinen Alltag. Wie<br />

lange brauchst du zur Arbeit? Welches<br />

Ver<strong>ke</strong>hrsmittel nutzt du?<br />

Meistens fahre ich mit dem Fahrrad. Und<br />

wenn ich das nicht kann, dann nutze ich<br />

eben die öffentlichen Ver<strong>ke</strong>hrsmittel. Ich<br />

brauche eine halbe Stunde zu meinem Praktikumsplatz,<br />

einfach indem ich mit dem<br />

Fahrrad und mit der S-Bahn fahre. Diese<br />

Möglich<strong>ke</strong>it hat man auf dem <strong>Land</strong> nicht.<br />

Beobachtest du manchmal die Leute in<br />

der Bahn?<br />

Klar, an eine Situation erinnere ich mich<br />

noch sehr gut: Es war Winter und alle in<br />

Berlin sind dann immer grau und schwarz<br />

gekleidet. Dann stieg eine unglaublich<br />

knallig angezogene Frau mit ihrem Sohn<br />

ein und der Sohn fragt: „Mama, warum<br />

ziehen wir uns eigentlich so bunt an?“ und<br />

sie antwortet: „Alle in Berlin sind immer<br />

schwarz und grau. Und das macht mich so<br />

traurig. Aber wir sind glücklich und deshalb<br />

sind wir bunt angezogen.“ Das fand<br />

ich richtig süß.<br />

Was machst du in deiner Freizeit?<br />

Ich gehe wirklich gern in der <strong>Stadt</strong> spazieren,<br />

entweder mit Freund*innen oder<br />

alleine. Es ist natürlich auch spannend im<br />

Wald spazieren zu gehen, aber das kann ich<br />

ja auch machen. Dann fahre ich eben eine<br />

halbe Stunde raus und gehe da spazieren.<br />

Ansonsten treffe ich mich auch gerne mit<br />

Freund*innen im Park oder in einer Bar<br />

und genieße da den Abend. Am liebsten<br />

sitze ich an der Monbijoubrüc<strong>ke</strong>. Da sind<br />

öfter mal kleine Konzerte, wenn die Sonne<br />

untergeht.<br />

Wäre dein Alltag anders, wenn du auf dem<br />

<strong>Land</strong> leben würdest?<br />

Klar, hundertprozentig. Ich will ja studieren<br />

und das geht meistens nur in der <strong>Stadt</strong>.<br />

Aber hätte ich zum Beispiel mein Freiwilliges<br />

Soziales Jahr auf dem <strong>Land</strong> gemacht,<br />

hätte ich wahrscheinlich sehr viel mehr gelesen<br />

und Zeit mit mir verbracht, was aber<br />

Und dann lernt man irgendwen<br />

<strong>ke</strong>nnen, der wieder andere Leute<br />

<strong>ke</strong>nnt, die man dann <strong>ke</strong>nnenlernt,<br />

und dann landet man in einer WG.<br />

bestimmt auch eine schöne Sache gewesen<br />

wäre. Ich glaube, ich würde aber viele von<br />

meinen sozialen Kontakten nicht haben.<br />

Brauchst du auch manchmal eine Auszeit<br />

auf dem <strong>Land</strong>?<br />

Wenn ich von einer Reise wiederkomme,<br />

mer<strong>ke</strong> ich manchmal schon, dass ich mich<br />

erst wieder an die <strong>Stadt</strong> gewöhnen muss.<br />

Auch wenn ich in der <strong>Stadt</strong> frei habe, habe<br />

ich irgendwie immer Zeitdruck und das Gefühl,<br />

ich muss irgendwas machen. Deshalb<br />

mache ich mit meiner Familie jedes Jahr<br />

Urlaub auf dem <strong>Land</strong>. Da kann man etwas<br />

ruhiger leben und das brauche ich auch<br />

manchmal.<br />

Und auf der anderen Seite: Wie lange<br />

dauert es, bis du die <strong>Stadt</strong> vermisst?<br />

Eigentlich vermisse ich nicht die <strong>Stadt</strong> an<br />

sich, sondern das Leben in der <strong>Stadt</strong>. Also<br />

nicht die lauten Autos und die Straßenbahn,<br />

die da lang rappelt, wenn ich noch schlafen<br />

will. Ich vermisse es, mich abends mit<br />

Freund*innen zu treffen oder irgendwo entlang<br />

zu laufen und Leben an jeder Ec<strong>ke</strong> zu<br />

sehen. Das fehlt mir schon so nach zwei bis<br />

drei Wochen.<br />

Gibt es eine Art Gemeinschaftsgefühl bei<br />

dir im Kiez?<br />

Ich <strong>ke</strong>nne natürlich Leute vom Kindergarten<br />

und der Grundschule und einige unserer<br />

Nachbar*innen sind gute Freunde von uns.<br />

Aber dadurch, dass meine Straße sehr touristisch<br />

ist, ist da insgesamt nicht so viel Kiezgefühl.<br />

In Parallelstraßen von uns aber<br />

schon, die feiern Straßenfeste oder machen<br />

Hinterhof-Flohmärkte, da fühlt man sich<br />

schon miteinander verbunden.<br />

Findest du es in der <strong>Stadt</strong> schwerer oder<br />

leichter neue Leute <strong>ke</strong>nnenzulernen?<br />

Ich glaube, es ist leicht neue Leute <strong>ke</strong>nnenzulernen,<br />

wenn man sich Mühe gibt.<br />

Es ist allerdings auch sehr leicht für sich<br />

zu bleiben, das ist echt unglaublich. Man<br />

muss sich halt den Mut fassen und irgendwo<br />

hingehen und fragen, ob man sich dazusetzen<br />

kann. Und dann lernt man irgendwen<br />

<strong>ke</strong>nnen, der wieder andere Leute <strong>ke</strong>nnt,<br />

die man dann <strong>ke</strong>nnenlernt, und dann<br />

landet man in einer WG. Also ja, man kann<br />

leicht Leute <strong>ke</strong>nnenlernen, man kann es<br />

aber auch ganz leicht nicht.<br />

Glaubst du, man ist in Städten mehr mit<br />

anderen Kulturen konfrontiert als auf<br />

dem <strong>Land</strong>?<br />

Ich den<strong>ke</strong> schon, auf jeden Fall. Aber wenn<br />

man auf dem <strong>Land</strong> internationale Leute<br />

trifft, ist das dann vielleicht intensiver, weil<br />

es ein bisschen besonderer ist. Oder vielleicht<br />

wird man auch mehr ausgeschlossen,<br />

weil die Leute nicht so offen sind dafür? Ich<br />

den<strong>ke</strong> aber, es gibt sowohl auf dem <strong>Land</strong><br />

als auch in der <strong>Stadt</strong> Leute, die offen und<br />

nicht offen sind. Das ist mehr von den Personen<br />

abhängig als von dem <strong>Stadt</strong>- oder<br />

<strong>Land</strong>leben.<br />

Ist es in der <strong>Stadt</strong> einfacher verrückt und<br />

außergewöhnlich zu sein?<br />

Ja, einfach ja. Ich finde es fast schon unangenehm,<br />

wie sehr manche Leute individuell<br />

und eigen sein möchten und das<br />

präsentieren wollen. Ich würde mir manch-

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