23.12.2020 Aufrufe

Programmheft des Deutschen Literaturarchivs Marbach, 1/2021

Mit dem Veranstaltungsprogramm für die Zeit von Januar bis Juni 2021, Texten über die Frage "Was ist Literatur?" von Hannes Bajohr, Hans Ulrich Gumbrecht und Hannelore Schlaffer sowie Einblicken in den neuen OPAC von Archiv und Bibliothek, unser Projekt "Fehlt Ihnen / Dir Schiller?" sowie zahlreiche Ausstellungen. #Hölderlin2020 #Schiller #Kafka #HeinrichMann #GabrieleTergit #Kracauer #Löwith #Archivbox #Archivkino #Zoomkapsel

Mit dem Veranstaltungsprogramm für die Zeit von Januar bis Juni 2021, Texten über die Frage "Was ist Literatur?" von Hannes Bajohr, Hans Ulrich Gumbrecht und Hannelore Schlaffer sowie Einblicken in den neuen OPAC von Archiv und Bibliothek, unser Projekt "Fehlt Ihnen / Dir Schiller?" sowie zahlreiche Ausstellungen. #Hölderlin2020 #Schiller #Kafka #HeinrichMann #GabrieleTergit #Kracauer #Löwith #Archivbox #Archivkino #Zoomkapsel

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Sie können mit Erwartungen spielen,<br />

Regeln übererfüllen oder unterlaufen,<br />

auslegen oder erklären. Diese Art und<br />

Weise, innerhalb von Regeln eigene<br />

Impulse zu verwirklichen, wird als<br />

individuelle Freiheit erlebt. Daher<br />

können wir imaginierte Vertrauensverhältnisse<br />

in der Literatur aufbauen<br />

und einen Prozess der Seelenwanderung<br />

vollziehen. Wir leihen auf Zeit<br />

einem Text Herz, Kopf und Seele,<br />

identifizieren uns mit Figuren, verkörpern<br />

deren Sprache. Diese Seelenwanderung<br />

ist oft mit ästhetischen<br />

Erfahrungen verbunden. Das heißt:<br />

Wir setzen uns mit einem literarischen<br />

Text neben der Bedeutung<br />

immer auch in ein räumliches und in<br />

ein sinnliches Verhältnis zur Welt.<br />

Wenn ich ein Gedicht vorlese, dann<br />

hat dieses Gedicht nicht nur einen<br />

Inhalt, sondern auch Rhythmus<br />

und Klang. Wenn ich einen Roman<br />

lese, so hat er nicht nur einen Plot,<br />

sondern auch eine haptische Qualität:<br />

Er ist als Buch gegenwärtig, mit<br />

einem bestimmten Papier und einem<br />

bestimmten Volumen. Bei<strong>des</strong>, Gedicht<br />

und Roman, bringen unseren Körper<br />

in eine bestimmte Haltung, die wir uns<br />

freiwillig suchen: Wir sitzen, stehen<br />

oder liegen beim Lesen, ohne dass der<br />

Körper dabei eine andere Aufgabe<br />

erfüllen muss.<br />

Anders als eine Kommunikationssituation<br />

zwischen Lehrer und<br />

Schüler, Arzt und Patient, Pastor und<br />

Gemeinde ist der Pakt zwischen Autor<br />

und Leser einer zwischen gleichberechtigten<br />

Partnern. Literatur ist<br />

daher häufig auch ein Ort gewesen,<br />

um die eigene Menschlichkeit zu<br />

entdecken – in der Hoffnung, dass alle 16_17<br />

Menschen gleich und frei sein sollen.<br />

Die Idee von der Autonomie der Kunst<br />

um 1800 ist eng verbunden mit diesem<br />

Erleben von menschlicher Freiheit.<br />

Der Text ist die schriftliche und gekürzte<br />

Ausarbeitung einer halbstündigen<br />

Online-Vorlesung, die Hans Ulrich<br />

Gumbrecht in Stanford für uns<br />

aufgenommen hat: www.dla-marbach.<br />

de/museen/wechselausstellungen/<br />

hoelderlin-celan-und-die-sprachender-poesie-digital/<br />

Hannes Bajohr:<br />

Literatur gibt es nicht, jedenfalls nicht<br />

ohne die Verabredung dazu. Literatur<br />

ist vor allem die Geste, sie dazu<br />

zu erklären. Diese Gestenhaftigkeit,<br />

diese Äußerlichkeit der Literatur<br />

bedeutet, dass man zwar mit einigem<br />

Recht vermuten kann, ein unbekannter<br />

Text sei literarisch, aber umgekehrt<br />

nie auszuschließen vermag, er sei es<br />

nicht – vielleicht hat man nur die<br />

Geste übersehen, die ihn dazu macht.<br />

Diese literarische Entgrenzung ist<br />

das Resultat einer Radikalisierungsbewegung,<br />

die durch die Avantgarden<br />

<strong>des</strong> zwanzigsten Jahrhunderts – von<br />

Dada über Konkretismus bis Oulipo –<br />

begonnen wurde und die von denen<br />

<strong>des</strong> einundzwanzigsten Jahrhunderts<br />

– in konzeptueller und digitaler<br />

Literatur – fortgeführt wird. Gerade

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