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Marbacher Magazin 148: Der Wert des Originals

Das 2014 erschienene Marbacher Magazin von Heike Gfrereis und Ulrich Raulff mit einem Essay von Gottfried Boehm ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe der "Marbacher Magazine" abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

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und realen Güter den besonderen Status, die Macht und die Magie eines<br />

›<strong>Originals</strong>‹ erhalten? Offenbar gibt es in der Fülle der Dinge, mit deren<br />

Hilfe wir nicht nur unser materielles Leben bestreiten, sondern auch unser<br />

geistiges Leben führen, einige, die so etwas wie den Goldstandard setzen<br />

für <strong>Wert</strong> und Bedeutung aller anderen Dinge. Diese besonderen Dinge<br />

nennen wir ›Originale‹ – und tun, als ob wir selbstverständlich wüssten,<br />

was sie sind und wie sie wurden, was sie sind.<br />

Manches wurde zum Original durch den glühenden Wunsch, es zu besitzen,<br />

anderes durch den Akt seiner Zerstörung. Auch Dinge haben<br />

offenbar ihre rites de passage und verändern ihre Natur beim Eintritt ins<br />

Dasein und beim Verschwinden aus diesem. Es gibt Originale, die ›von<br />

alters her‹ existieren, und welche, die durch den Zufall oder Unfall der<br />

Benutzung dazu geworden sind. Wieder andere scheint erst der Markt zu<br />

machen, indem er ihren Preis hochtreibt. Originale sind abhängig von<br />

kulturellen Zusammenhängen, die es ihnen erlauben, als solche wahrgenommen<br />

zu werden und ihre spezielle Wirksamkeit zu entfalten. Wo keine<br />

Briefpost existiert, kann keine Blaue Mauritius vorkommen, wo keine<br />

literarische Kultur entstand, keine Dichterhandschrift Kultstatus erlangen.<br />

Es müssen mithin dichte politische, religiöse oder kulturelle Kontexte<br />

gegeben sein, damit Originale leisten können, was nur sie können:<br />

Anfänge schaffen, Geschichtszeichen setzen, Individualitäten begründen,<br />

Legitimität verschaffen. Wie in Fetischobjekten und Reliquien scheint sich<br />

in Originalen die geistige Energie ganzer Kulturen zu verdichten. Sie<br />

stehen am Beginn von Erzählungen und im Mittelpunkt von Verhandlungen,<br />

mit ihnen erklären wir uns die Welt und füllen die Leere, deren<br />

Gegenwart wir fürchten.<br />

Sind Originale im Plural denkbar? Von sich aus behauptet je<strong>des</strong> Original,<br />

ein Unikat zu sein: und darum unwiederbringlich. Sein Verlust würde<br />

ein Loch in die Welt reißen, das sich mit noch so viel Aufwand nicht mehr<br />

schließen ließe. Und doch verliert die Welt tagtäglich Originale, Denkmäler,<br />

Kultstätten, Monumente und lebendige Arten. Auch Menschen sind<br />

Originale und sterben, wie vor ihnen Tiere und Götter gestorben sind.<br />

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