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Andreas Grau
BOTANIKWANDERN
Wege zur Blütenpracht im Sommer
Vorwort
Die Blütenpracht der Frühlings- und Frühsommer-Flora neigt
sich dem Ende entgegen, jedenfalls in tieferen Lagen. Die Blütenstände
der einjährigen Blumen lassen Samen für die
nächste Generation heranreifen. Doch da spriessen plötzlich
andere Pflanzen, andere Blüten, und zahlreiche Sprosse spätblühender
Gewächse recken sich der hochstehenden Sommersonne
entgegen. Mit Band 2 der Reihe «Botanikwandern»,
die Fortsetzung des Buches «Botanikwandern. Wege zur Blütenpracht
im Frühjahr», sind wir bestens gerüstet, um auf
15 Wanderungen die blühenden Wunder der Natur erneut zu
erkunden.
Warum nicht einen Waldspaziergang unternehmen, wenn
die hohe Sommersonne heiss auf die Feldwege scheint?
Oder später im Jahr einen Herbstspaziergang durch Blumenwiesen
oder eine Bergwanderung, vorbei an farbenfrohen
Blüten? Doch was war das eben für eine Pflanze? Hat sie eine
Geschichte, und verbergen sich in ihren Wurzeln und Sprossen
Geheimnisse, die darauf warten, entschlüsselt zu werden?
Verrät uns ihr Vorhandensein vielleicht gar etwas über
Klima und Bodenbeschaffenheit ihres Standortes? Und sicherlich
hat diese Pflanze einen Namen, aber welchen? Leicht verständlich
dargeboten, soll das vorliegende Buch als handlicher
Begleiter in der Natur dienen und möglichst einfache
Antworten auf diverse Fragen zur Pflanzenwelt geben, wissenschaftlicher
Prüfung aber dennoch genügen. Zweck des
Buches ist es also, die Aufmerksamkeit auf verborgene Naturschätze
am Wegrand und in der näheren Umgebung zu
lenken, das Gesehene zu verstehen und ein Verständnis für
Zusammenhänge der belebten, aber auch unbelebten Natur
zu vermitteln. Auf unseren Ausflügen gibt es so manch interessantes
Geheimnis unserer pflanzlichen Weggefährten zu
entdecken. Eine wertvolle Bereicherung allen naturbegeisterten
Wanderfreunden.
In diesem Buch wird auch auf Tourenplanung und Sicherheit
grossen Wert gelegt. Wir empfehlen, die Tour gut vorbereitet,
wenn nötig mit entsprechender Wanderausrüstung
und vorgängiger Konsultation vom Wetterbericht, in Angriff
zu nehmen. Dann können wir es sicherlich wagen, während
der Tour den Blick auf botanische Kostbarkeiten und weitere
Sehenswürdigkeiten zu richten. Wir lernen viele der eindrücklichsten
Pflanzen des Tieflandes, des Juras, der Voralpen
und der Schweizer Alpen kennen. Doch nebst den berühmten
Seerosen, der Drachenwurz, dem Edelweiss, den Alpenrosen
5
und den Feuerlilien warten viele auch weniger bekannte
Pflanzen darauf, unser Auge zu erfreuen. Wir stellen also
sowohl botanische Raritäten wie auch häufiger vorkommende
Pflanzen vor, denn einzigartig sind sie alle und verdienen
Achtung, Beachtung und Schutz. Insgesamt kann die flächenmässig
kleine Schweiz mit einer Vielzahl faszinierender
Naturerlebnisse aufwarten. Ein trendiger, erfüllender und
dazu noch gesunder Zeitvertrieb.
Der vorliegende Wanderführer soll als praktisches Werkzeug
für die Tourenplanung und auf der Tour selbst sowie als
Hilfsmittel zur Bestimmung der Pflanzen dienen. Dabei wird
nicht nur auf die Pflanzenwelt eingegangen (obgleich diesem
Aspekt natürlich erste Priorität eingeräumt wird), auch Lebensräume,
Tiere, Geologie und Kulturelles werden im verfügbaren
Rahmen thematisiert. Zweck dieses Buches ist, Leserinnen
und Lesern mit oder ohne Vorkenntnissen Tipps
und Vorschläge für eindrückliche Botanikwanderungen aufzuzeigen.
Der Trend «Zurück zur Natur, und zwar bewusst» erfreut
sich heutzutage, in einem Zeitalter bedrohter Natur-Ressourcen,
einer wachsenden Zahl von Anhängerinnen und Anhängern.
Der Zurück-zur-Natur-Gedanke ist allerdings nicht uneingeschränktes
Gemeingut. Ein zu unbekümmerter Umgang
mit den fragilen Ressourcen schmerzt leider auf manchen
Ausflügen Auge und Seele des Naturfreundes. Wir aber können
unseren Teil zur Erhaltung der Naturschätze beitragen,
indem wir ihnen mit Sorgfalt und Achtsamkeit begegnen.
Schön wäre es, wenn nach einer Tour das Gefühl zurückbleibt,
draussen im Freien etwas Gutes für Körper, Geist und
Seele getan zu haben. Wer die Natur liebt, schadet ihr nicht;
nach unseren Wanderungen sollen noch ebenso viele Pflanzen
den Weg säumen wie vor unserem Ankommen. Wir nehmen
sie mit, aber nur als Fotografie und schöne Erinnerung
im Herzen. Was das Sammeln betrifft, so wartet dieses Buch
übrigens noch mit einer spielerischen Idee auf, quasi ein
«Sammeln von Punkten», etwa wie das beliebte «Geo tagging»,
aber mehr dazu im Kapitel «Big5».
Es war uns auch ein Anliegen, die Touren örtlich so über die
Schweiz zu verteilen, dass verschiedenste Regionen berücksichtigt
werden. Hierbei sollen sämtliche Touren für möglichst
viele Interessenten durchführbar sein. Das Niveau erstreckt
sich daher vom einfachen Spaziergang bis zu an spruchsvollen
Routen; die meisten liegen zwischen leicht bis mittelschwer.
Es ist mir ein grosses Anliegen, dass alle Botanikwanderer
und Botanikwanderinnen unfallfrei von der Tour heimkehren,
6 |
den Ausflug als persönliche Bereicherung erleben und nach
jeder Tour sagen können: «Das war ein guter Tag.» Sollte es
mir mit diesem Buch gelungen sein, bei meinen Leserinnen
und Lesern Freude und Verständnis für Natur und Umwelt zu
wecken respektive zu verstärken, dann ist mir (fast) mehr
gelungen, als ich in meinen Wünschen insgeheim zu hoffen
wagte. Nun wünsche ich allen Botanikfreundinnen und Botanikfreunden
stets gutes Gelingen und viele blumige Erlebnisse.
Hünibach, Sommer 2020; Andreas Grau
Ein paar Erklärungen
••
Allgemein sind die Texte reich bebildert, sodass anhand der Fotografien eine erwähnte
Pflanze im Gelände wiedererkannt werden kann. Insgesamt werden in diesem
Buch 326 Pflanzenarten vorgestellt und mit einem oder mehreren Bildern versehen.
Die Fotos sind soweit möglich vor Ort entstanden. Ausnahmen sind Habitusbilder
von Bäumen, die im dichten Waldbestand nicht deutlich abgebildet werden können,
oder Pflanzen, die in einem anderen saisonalen Zustand vorgestellt werden sollen.
••
Die betreffenden Pflanzen finden sich im «Verzeichnis der Pflanzenarten und -familien»
aufgelistet. Die Angaben richten sich nach der «Flora Helvetica», dem Standardwerk
der Schweizer Feldbotanik.
••
Die Touren präsentieren eine bis vier, im Titel jeweils hervorgehobene, Pflanzen, welche
für die betreffende Wanderung charakteristisch sind.
••
Die Wanderzeiten sind ohne Pausen angegeben. Die Schwierigkeitsangaben der
Wanderungen richten sich nach der Skala des SAC (T1 – T6). Die hier vorgestellten
Touren sind zumeist im Bereich T1 bis T3+. Ein + nach dem T heisst «etwas anspruchsvoller»,
ein – bedeutet «etwas leichter».
••
Die Wanderziele können in der Regel mit ÖV erreicht werden. Für Reisende mit privaten
Verkehrsmitteln wird auch die An-/Rückfahrt für Privatfahrzeuge beschrieben.
Am Anfang jeder Tourenbeschreibung steht eine Empfehlung zu den Besuchszeiten.
Gut Mässig gut Ungeeignet
••
Für alle Touren gilt, dass die erwähnenswerten Pflanzen, Landschaften und Lebensräume
eigentlich zu den angegebenen Zeiten vorzufinden sind oder sein sollten.
Doch die Natur ist ein Fliesssystem, eine hundertprozentige Garantie gibt es nicht.
7
Günstigste Besuchszeiten
Idealzeit/Blütezeit-Monat (*)
Nr. Tour-Name KT Ort 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
1 Drachenwurz LU Sempach
2 Gelbe Teichrose SO Burgäschi
3 Schwanenblume AG Brugg
4 Arnika BE Gsteig
5 Alpen-Goldregen VS Vouvry
6 Edelweiss GR Scuol
7 Feuerlilie TI Piora
8 Alpen-Enzian VS Val-d’Anniviers-Grimentz
9 Keltischer Baldrian VS Mattmark
10 Alpen-Mannsschild BE Mürren
11 Getüpfelter Enzian GR St. Moritz
12 Heilpflanzen SZ Oberiberg
13 Blassvioletter Storchenschnabel VD Leysin
14 Schwalbenwurz-Enzian BE Grindelwald
15 4-Jahreszeiten im Auenwald BE Neuhaus-Interlaken
Gut Mässig gut Ungeeignet
(*) Die Empfehlung der günstigen Besuchszeiten ichtet sich explizit nach dem im Buch angegebenen Standort
8 |
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 5
Günstigste Besuchszeiten 8
Karte und Tourenverzeichnis 10
Big5 12
Verzeichnis der Touren, in denen die «Big5»-Pflanzen vorzugsweise
zu finden sind 15
1 Drachenwurz 19
2 Grosse Teichrose, Raues Hornblatt, Ähriges Tausendblatt, Weisse Seerose 30
3 Schwanenblume 41
4 Arnika, Bayerischer Enzian und Kugelorchis 50
5 Alpen-Goldregen 61
6 Edelweiss 71
7 Feuerlilie, Türkenbund und Schwefel-Anemone 81
8 Alpen-Glocken-Enzian 97
9 Keltischer Baldrian 109
10 Alpen-Mannsschild und Mont Cenis-Glockenblume 122
11 Getüpfelter Enzian, Himmelsherold, Gletscher-Hahnenfuss 132
12 Hoch-Ybrig/SZ: Heilpflanzen und andere botanische Sehens würdigkeiten 141
13 Blassvioletter Braun-Storchschnabel, Blaue Hecken kirsche,
Ähriger Ehrenpreis und Plumiers Milchlattich 152
14 Schwalbenwurz-Enzian 161
15 Vier-Jahreszeiten-Wanderung 172
Kleines Glossar (alphabetisch) 193
Verzeichnis Pflanzenarten und -familien 197
Quellenangaben/Dank 216
9
Karte und Tourenverzeichnis
10 |
11
Big5
Im Band 1 der Botanikwanderungen («Wege zur Blütenpracht
im Frühjahr») haben wir bereits die «Big5»-Pflanzen der frühen
Jahreszeit kennengelernt. Hier zeigen wir noch die restlichen,
die überwiegend in der zweiten Jahreshälfte zu finden
sind. Nachfolgend eine Einleitung für alle neuen Leserinnen
und Leser.
«Big5», das könnte doch schon mal Erinnerungen an eine
Afrika-Safari wachrufen. Von dort kommt schliesslich dieser
Begriff her. Genau genommen spricht man dort von «The Big
Five of Africa» und meint damit: Elefant, Nashorn, Kaffernbüffel,
Löwe und Leopard. Irgendwie hat man sich auf diese
fünf Tiere geeinigt, obschon andere sicher auch berechtigten
Anspruch auf diesen Titel hätten. Nilpferd, Nilkrokodil und
Tüpfel-Hyäne wären da zu nennen, aber dann wären es nicht
mehr nur fünf, es sei denn, man würde einem der bisherigen
Ranginhaber seinen Titel aberkennen. Nun, jeder kann nicht
Platz finden auf dem Siegerpodest, so hat man wohl, etwas
nach Sympathie, jene fünf Repräsentanten der afrikanischen
Fauna auserkoren.
Die afrikanische Idee fand bald Nachahmer. Nur ein Beispiel:
Neuseeland wirbt mit verschiedenen Angeboten zu
«Big Five», wobei das teils Landschaften, Treckings, aber natürlich
auch Tiere betrifft. Eine neuseeländische Trecking-Agentur
wirbt für eine Tour, bei der es Vögel wie Kiwi,
Tui oder Neuseeland-Falken zu sehen gibt, mit einer guten
Portion Selbstbewusstsein so: «Forget Africas’ ‹Big5›, it’s
been done! Here are the ‹Big5› feathered sights in New Zealand
and which ‹Walking Legends› tour you should take in order
to see them!» Was ungefähr bedeutet, dass man die afrikanischen
«Big Five» vergessen soll – kalter Kaffee! Es gebe
die «Big5» als gefiederte Sehenswürdigkeiten von Neuseeland,
und natürlich werden gleich Touren vorgeschlagen, um
diesen Vögeln zu begegnen.
Die Beispiele zeigen: Es macht Spass, auf Wanderungen,
Touren usw. etwas Originelles zu «sammeln». «Geotagging»
verzeichnet seit seiner Einführung eine wachsende Zahl
von Anhängerinnen und Anhängern; Ornithologinnen notieren
ganz genau, was ihnen vors Okular flattert, und welcher
Pilger würde wohl an einem Pilgerstempel vorbeigehen, ohne
ihn in seinen Pilgerpass zu drücken? Es liegt also nahe, auch
unsere Botanik-Wanderungen mit einem spielerischen Sammelfieber
aufzuwerten.
Was sollte uns also davon abhalten, das Konzept «Big5»
12 |
auch auf die Schweizer Flora auszudehnen? So werden wir
diese Idee adaptieren und in landestypischer Aufmachung
vortragen. Ganz ähnlich gehen denn auch wir bei den Titelvergaben
für die «Big5» der heimischen Flora vor. Wobei wir
vier verschiedene Regionen unterscheiden und für diese je
«Fünf Grosse» ausgewählt haben. Dabei stellt sich dasselbe
Problem wie bei den afrikanischen «Big5»: Wem soll die Ehre
gebühren? Nun, es gibt keine einzelne richtige Lösung, deshalb
haben wir unter den vielen Kandidaten je fünf ausgewählt,
die die Pflanzenwelt der jeweiligen Region sicher würdig
repräsentieren. Dies natürlich im Wissen, dass es viele
andere geeignete Kandidaten gäbe. Die vier Regionen der
«fünf Grossen» sind:
Tiefland
Voralpen/Jura
Alpen
Süd- & Ostalpen, Süd-CH
Die Pflanzen halten sich natürlich nicht an Territorialzuweisungen.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass einzelne unserer
Big5 sowohl im einen wie im anderen Gebiet (z. B. Alpen
und Voralpen/Jura) vorkommen. Unten also die Tabellen mit
den Auserkorenen. Es gibt demzufolge insgesamt 20 Pflanzen
in der Schweiz mit dem Titel «Big5». In der Spalte
«Tour‐Nr.» finden sich die Nummern der Touren, wo diese
13
Pflanzen normalerweise gedeihen. Bei Schwertlilie, Männertreu,
Steinbrech besteht die Auswahl zwischen mehreren Arten,
da sich diese alle ähnlich sind.
Die jeweiligen Kapitel enthalten alle nötigen Informationen
und das «Big5»-Signet der Region. Nach Begehung aller Touren
sollten im Prinzipalle «Big5»-Pflanzen gefunden worden
sein. Nachfolgend gibt es auch eine Tabelle zum Eintragen
der Tour-Nr., des Datums (an dem wir einer «Big5»-Pflanze
begegnet sind) und ein Feld pro Spalte für persönliche Anmerkungen
dazu. Da diese Idee für die Schweiz neu ist, könnte
vielleicht sogar ein Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde
beantragt werden – für diejenige Person, die zuerst alle 20
«Big5»-Pflanzen der Schweiz als gefunden meldet! Tja, Probieren
geht bisweilen über Studieren; viel Spass.
(*) Diesem Band 2 der Botanikexkursionen in der Schweiz,
Botanikwandern. Wege zur Blütenpracht im Sommer, geht ein
Band 1 voran, Botanikwandern. Wege zur Blütenpracht im
Frühjahr. Die folgenden Hilfstafeln geben anhand der Tour-Nr.
an, in welchem Band (1 oder 2 oder beide) die Pflanze anzutreffen
ist. Es ist aber gut möglich, dass auch auf anderen Touren
eine unserer «Big5»-Pflanzen wächst.
14 |
Verzeichnis der Touren, in denen die «Big5»-Pflanzen
vorzugsweise zu finden sind
Tiefland
Nr. Name/D Name/Lat. Band 1
Tour-Nr.
Band 2
Tour-Nr.
1 Schwanenblume Butomus umbellatus 3
2 Drachenwurz Calla palustris 5 1
3 Frauenschuh Cypripedium calceolus 7, 11
4 Weisse Seerose Nymphea alba 5 2
5 Schwertlilie (Sibirische
oder Gelbe)
Iris (sibirica oder
pseudacorus)
5, 10, 12 2
15
Voralpen/Jura
Nr. Name/D Name/Lat. Band 1
Tour-Nr.
Band 2
Tour-Nr.
1 Alpenrose s. l. Rhododendron s. l. 7, 8, 9, 12
2 Arnika Arnica montana 4, 6, 7, 12, 14
3 Türkenbund Lilium martagon 6, 11 5, 7
4 Feuerlilie Lilium bulbiferum s. l. 7
5 Aurikel Primula auricula 3, 9
16 |
Alpen
Nr. Name/D Name/Lat. Band 1
Tour-Nr.
Band 2
Tour-Nr.
1 Edelweiss Leontopodium alpinum 15 6, 8, 9
2 Alpen-Aster Aster alpinus 15 4, 6, 7, 8, 9
3 Gegenblätt. Steinbrech,
Zweiblütiger Steinbrech
Saxifraga oppositifolia,
Saxifraga biflora s. l.
1
4 Alpen-Enzian Gentiana alpina 8
5 Männertreu s. l. Nigritella nigra
Nigritella rubra
11, 15 4, 6, 8, 9, 13
17
Süd- & Ostalpen, Süd-Schweiz
Nr. Name/D Name/Lat. Band 1
Tour-Nr.
Band 2
Tour-Nr.
1 Himmelsherold Eritrichium nanum 15 11
2 Alpen-Goldregen Laburnum alpinum 8 5, 13
3 Alpen-Pech-Nelke Silene suecica 8
4 Heilglöckchen Cortusa matthioli 11
5 Frauenhaar-Farn Adiantum cappillus-
veneris
8
18 |
1
DRACHENWURZ
Einfache Feld-, Wald- und Wiesenwanderung
in der Region Sempach, Luzern.
Empfohlene Besuchszeit, Monat
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
19
Allgemeine Beschreibung
Name (D/wissenschaftl.)
Weitere Namen
Familie
Drachenwurz (Calla Palustris)
Sumpfcalla, Sumpfdrachenwurz, Schlangenwurz
Aronstabgewächse, Araceae
(FH-Nr.)/Häufigkeit 2412 / 2 %
Lebensraum
Allgemeine Verbreitung
Vorkommen CH
Schutz, Gefährdung
Besonderes
Waldsümpfe, Teichufer, Bruchwälder. In der Schweiz eventuell
ursprünglich (vor 1386) von Menschenhand angepflanzt; ein
Archäophyt also.
Eurosibirisch-nordamerikanisch
Kantone der Zentralschweiz: LU, SZ, ZG. Stellenweise auch
Kantone FR, SG und ZH
Gefährdet!
Schweizweit geschützt (CH)
Einkeimblättrige Pflanze
Alle Pflanzenteile sind leicht giftig.
Wenn reif, werden die Früchte rot.
Calla Palustris wurde 1988 zur «Pflanze des Jahres» gewählt.
Weitere interessante Pflanzen-Vorkommen
Name (D)
Froschlöffel
Breitblättriger Rohrkolben
Schwimmendes Laichkraut
Name (Lat.)
Alisma plantago-aquatica
Typha latifolia
Potamogeton natans
Europäischer Wolfsfuss Lycopus europaeus s. l.
Sumpf-Stendelwurz
Kleine Wasserlinse
Weymouths-Kiefer
Gemeiner Schneeball
Epipactis palustris
Lemna minor
Pinus strobus
Viburnum opulus
20 | 1 Drachenwurz
Wegbeschreibung
6,5 km
2,0 h
T1
124 m Aufstieg
134 m Abstieg
514 m / 587 m
Anreise/Rückreise
ÖV: Mit Zug bis Luzern Hauptbahnhof, dann
mit Bus NFB50 über Rothenburg bis zur Station
Süesstannen.
Privat-PW: Fahrt bis Ausgangspunkt (P)
Auto- Parkplatz bei Waldrand «Chüserainwald» 1 .
Koordinaten Parkplatz: 659 480/219 715
Route
Ab Station Süesstannen zu Fuss Richtung
SW, «Gosserain» (ca. 300 m), dann Weg in
Richtung NW, «Hinterfeld» nehmen bis Waldrand
«Chüserainwald». Dem Wanderweg
durch den Chüserainwald immer ganz rechts
1 Auf alten Karten «Küsenrainwald»
folgen. Erst Richtung NO, dann in einem Bogen
gegen NW. So gelangt man zum Hauptvorkommen
der Drachenwurz. Der Ort befindet
sich ca. 30 m links vom Weg an einem
Waldpfad (vor dem grossen Teich, links vom
Weg). Ein zweiter Ort befindet sich an einem
oberen Teich am Wegrand.
Der Rückweg nach Sempach-Station führt
am Auto-Parkplatz (P) vorbei und nach
150 m über die Strasse E35. Jetzt weiter auf
dem Wanderweg durch den Allmendwald
nach Sempach-Station. Wege/Pfade sollten
nicht verlassen werden.
Karten
LK 1 : 25 000, Nr. 1130
LK 1 : 50 000, Nr. 235T
21
Wanderung
Linden vor Bauernhäusern
Der Bus hat uns zur Haltestelle «Süesstannen» gefahren (der
Routenbeschrieb richtet sich nach der Anreise mit ÖV). Hier
befinden wir uns inmitten einer intensiv genutzten Landwirtschaftszone
des Luzerner Hinterlandes. Einige Hochstamm-
Obstbäume und alte Linden am Wegrand heben sich vom
Grasland markant ab. Sie werden beim Vorbeiwandern kühlenden
Schatten spenden. Das satte Grün der Fettwiesen
reicht stellenweise bis zum Horizont. Rund um uns verströmen
Myriaden von Wiesengräsern einen süsslich-herben
Geruch.
Noch etwas anderes scheint in der Luft zu liegen. Ein Gefühl,
dass sich der Landstrich hier dem Betrachter nicht immer
so beschaulich gezeigt hatte. Das nahe Städtchen Sempach
und seine Umgebung gehören nämlich zu den
geschichtsträchtigsten Orten der Schweiz. Nur einige Kilometer
nordwestlich von unserem Standort ging es vor etwas
mehr als 600 Jahren rau zur Sache. Im Jahre 1386 besiegten
die Eidgenossen respektive ein Teil der damaligen Eidgenossenschaft
in der Schlacht von Sempach die Habsburger entscheidend.
Laut Geschichtsschreibung hatte der zweitberühmteste
Volksheld der Schweiz, Arnold von Winkelried, hier
mit seiner heroischen Selbstopferung dazu beigetragen,
dass das Schlachtglück, das zuerst aufseiten der Habsburger
lag, sich zugunsten der Eidgenossen wendete. Noch heute
zeugen Orte wie die «Schlachtkapelle», der «Winkelriedstein»
und ein Gasthof «Wirtschaft zur Schlacht» vom damaligen Ereignis.
Unser Ansinnen ist weniger martialisch, und so nehmen
wir friedlich den Weg zum Chüserainwald, wo das wohl
grösste Vorkommen der Drachenwurz-Pflanzen der Schweiz
liegt.
Von der Haltestelle Süesstannen aus wandern wir ca.
100 m auf der Strasse Richtung Luzern zurück bis auf die
Höhe des ersten Gebäudes auf der rechten Seite. Dort zweigen
wir rechts auf den Fahrweg in Richtung des Weilers Gossenrain
(Wegweiser) ab, den wir in ungefähr 5 min erreichen.
Von dort setzen wir unseren Weg fort Richtung Sempach
(Wegweiser) und gehen auch beim nächsten Wegweiser weiter
Richtung Sempach bis zum Hof «Hinterfeld». Hier verlassen
wir den asphaltierten Weg und wandern auf einem Kiesweg
geradeaus weiter. Zwischen einem Bauernhaus und
einem Wohnspeicher mündet der Weg in einen Feldweg, der
über eine Wiese direkt in den Chüserainwald führt.
Seit 2006 ist die acht Hektar grosse Naturlandschaft Chü-
22 | 1 Drachenwurz
serainwald ein Waldreservat. Doch in einem Teil des heutigen
Waldareals wurden bis Ende des 19. Jahrhunderts Gräben
entwässert und Torf gestochen. 1995 lancierte der Kanton
Luzern ein Projekt mit dem Ziel, das Gebiet in seinen ursprünglichen
Zustand zurückzuführen. Die Korporation Sempach
als Grundeigentümerin konnte seit damals zusammen
mit der Dienststelle Landwirtschaft und Wald (lawa) diverse
Schritte in diese Richtung realisieren. So wurden Entwässerungsgräben
zugeschüttet und neue Weiher errichtet.
Durch jährliches Zurückschneiden von Brombeeren sollen
Pflanzen wie Besenheide und Heidelbeere gefördert werden.
Auch mussten viele der hier eher standortfremden Weymouths-Kiefern
einem sich nun ausbreitenden Bruchwald
aus Schwarzerlen (Alnus glutinosa), Moorbirken (Betula pubescens)
und weiteren standortgerechteren Arten weichen.
Wir haben die Wiesen hinter uns gelassen. Nur ein paar
Schritte ins Waldesinnere und wir stehen auf einem breiteren
Kies-Wanderweg, an einer Verzweigung in drei Richtungen
(Wegweiser). Hier nehmen wir für ca. 1,5 km die Route Richtung
St. Anna/Hildisrieden innerhalb des Waldes. Am Wegrand
begegnen uns Sträucher wie der Gemeine Schneeball
und der Geissfuss (Aegopodium podagraria). Letzterer ist eine
ausdauernde, krautige Pflanze aus der Familie der Doldenblütler.
Geissfuss heisst sie deshalb, weil die Gestalt der
Beim Bauernhof «Hinterfeld»
Geissfuss
Froschlöffel
23
Schwimmendes Laichkraut
Torfmoos
Der Götterbaum ist ein invasiver
Neophyt
Blätter (als Paar übereinandergelegt) an einen Ziegenfuss erinnert.
Die Pflanze wird auch Giersch oder Baumtropfen genannt
und ist in Europa der einzige Vertreter der Gattung
Aego podium. Die Artbezeichnung podagraria weist darauf
hin, dass diese Pflanze in der Volksmedizin zur Linderung von
Schmerzen bei Rheumatismus und Gicht (Podagra) Verwendung
fand. Der Geissfuss ist im Garten als «Unkraut» oft unbeliebt,
wird aber bei Gourmets der Naturküche als Wildgemüse
geschätzt.
Bald gelangen wir zu einem Wassergraben, der sich am
Wegrand entlangzieht. An Stellen, wo die sonst sehr dichte
Ufervegetation den Blick auf die Wasseroberfläche freigibt,
erblicken wir den Breitblättrigen Rohrkolben, den Gemeinen
Froschlöffel, die Kleine Wasserlinse und das Schwimmende
Laichkraut. Im Hintergrund überragen zum Teil abgestorbene
Weymouths-Föhren (Pinus strobus) den übrigen Baumbestand,
der hier hauptsächlich aus Schwarz-Erlen, Grau-Erlen
(Alnus incana) und Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) besteht.
Stellenweise finden sich am Boden Flecken von Torfmoos
(Sphagnum), eine Pflanze, die anzeigt, dass dort der
Übergang von Flachmoor zu Hochmoor bereits begonnen
hat.
Der Chüserainwald setzt sich zusammen aus Hochwald
und Sumpflandschaft. Flachmoor und Hochmoor gehen stellenweise
fast nahtlos ineinander über. Als Endstufe (Klimax)
dieses Prozesses finden sich nebst dem Hochmoor auch
Übergänge von Bruchwald zu Auenwald, mit Teichen und
Wassergräben.
Wir treffen nun auf eine Weggabelung und etwa 50 m weiter
auf eine zweite (hier ist es egal, welchen Weg wir einschlagen
– beide Routen vereinen sich später wieder). Wir bleiben
aber mit Vorteil auf unserem Weg und gelangen bald zum
Waldrand. Dort biegen wir links ab und gelangen nach ca.
200 m zu einem Teich am rechten Wegrand. An dessen jenseitigem
Ufer erblicken wir mit etwas Glück bereits die ersten
24 | 1 Drachenwurz
Kleine Wasserlinse
Bestände von Drachenwurz. Am Wegrand steht eine braune
Hinweistafel und erzählt in reichlich abgespeckter Version
die Sage über die Rolle der Drachenwurz in der Schlacht von
Sempach.
Wir setzen den Weg dem Waldrand entlang fort. Nach ca.
150 m erstreckt sich vor uns eine Wiese; rechts am Waldrand
ist ein eingezäuntes Militärgebäude und linkerhand liegt ein
Teich, der einen zweiten Blick sicher verdient, besonders
wenn weite Teppiche von Algen und Blütenstaub auf der Wasseroberfläche
schwimmen. Am Wegrand gedeiht auch die
Sumpf-Stendelwurz, eine Orchidee.
Auf dem Wasser tummeln sich Blässhühner, Stockenten,
und bisweilen lässt sich das Grünfüssige Teichhuhn blicken.
Die Gebänderte Prachtlibelle und die Blaugrüne Mosaikjungfer
ziehen über dem Teich ihre Runden, und an den überall
vorhandenen Blüten des Wasserdostes (Eupatorium cannabium)
suchen Tagfalter wie Distelfalter, Admiral und Kohlweissling,
ja bisweilen sogar der Russische Bär (tagfliegender
Nachtfalter) nach Nektar. Auch das Landkärtchen ist hier
25
nicht selten. Im Hoch- und Spätsommer trifft man meist die
dunklere Version an, denn dieser Falter hat zwei Erscheinungsformen.
So weisen die Falter der ersten Generation eines
Jahres ein helles Farbmuster auf, die zweite Generation
ist viel dunkler gefärbt. Der Unterschied ist so gross, dass
man die zwei Falter-Generationen früher für eigenständige
Arten hielt. Verantwortlich für diese Eigenschaft (Saisondimorphismus)
ist die unterschiedliche Tageslänge während
des Raupenstadiums. Weiter oben, meist im Astwerk der
Laubbäume, erspähen wir mit etwas Glück den Kleinen Eisvogel
(Tagfalter). Und noch eine interessante Pflanze gedeiht
am Teichrand nahe der Infotafel: der Europäische Wolfsfuss.
Vorbei an der Tafel «Waldreservat Chüserainwald» biegen
wir nach links und folgen dem Weg für ca. 150 m, wo wir links
auf den kleinen Naturpfad, der direkt in den Waldbestand
führt, abbiegen. Nach 100 m queren wir eine kleine Holzbrücke
und sehen beidseitig einen Graben mit mehreren Dutzend
Drachenwurz, und nur ein paar Meter nach der Brücke
erstreckt sich links der Hauptbestand dieser geheimnisvollen
Pflanze. Was für ein Anblick: Geschätzte 150 m lang liegt ein
muldenförmiges Tälchen im Wald, und mehrere Hundert
Exemplare gedeihen dort, dicht an dicht. Dem Pfad weiter
folgend stossen wir auf den breiten, südlich gelegenen Kies-
Landkärtchenfalter (Frühlingsgeneration)
Landkärtchen-Falter (Sommergeneration)
26 | 1 Drachenwurz
Wanderweg des Chüserainwaldes, der in einer Entfernung
von gut 200 m fast parallel zum Weg verläuft, den wir gekommen
sind. Diesem Kies-Weg folgen wir nach rechts für etwa
400 m. Dort treffen der nördliche und südliche Hauptweg
wieder zusammen. Eine dort in der Verzweigung stehende
Holzfigur sieht den vom nahen Parkplatz herkommenden
Spaziergängern entgegen und schielt dabei in die Richtung,
aus der wir gekommen sind. Der originelle Wegweiser dreht
uns allerdings den Rücken zu. Zum Parkplatz am Westende
des Chüserainwaldes (Start- und Zielpunkt für Anreisende
mit Privatfahrzeug) sind es noch knapp 100 Meter. Zum ÖV
(Bahn) gelangt man auf dem Fahrweg nach 150 m zur Einmündung
in eine Strasse (Wegweiser «Wanderweg»). Dort
links abbiegen und unter der Brücke der Autobahn A2 zum
Europäischer Wolfsfuss
Weymouths-Kiefern im Hintergrund
und vorne
Russischer Bär auf Wasserdost
Brücke
27
Drachenwurz
Abzweiger rechts. Nach weiteren 100 m erneut die Abzweigung
rechts auf einen Feldweg (Wegweiser «Wanderweg»)
nehmen.
Wir folgen dem Weg, der nach ca. 300 m links abbiegt und
an einem Gehöft vorbeiführt. Kurz danach verschwindet
rechts ein kleiner Pfad im Wald (Wegweiser). Diesem folgen
wir über kleine Brücken dem Bachlauf der Kleinen Aa entlang.
Wir gelangen kurz darauf im Waldesinnern auf die Chuchistrasse.
Dieser folgen wir nach links, dann in einem Bogen
rechts zur Dachsellerstrasse (ca. 700 m). Links abbiegen und
250 m nach Süden bis zum Weiler Dachsellern. Nun immer
Richtung Südwesten nach Gottsmänigen und weiter zur
Bahnstation «Sempach Neuenkirch». Hier endet unsere Tour.
Ab hier geht’s mit der Bahn zum Hauptbahnhof Luzern.
28 | 1 Drachenwurz
Big5
Tiefland
Drachenwurz (Primula auricula)
Weitere Sehenswürdigkeiten
in der Region
«Sempacher Geschichtenwege», eröffnet
am 7. Mai 2011. Dieser bietet drei Wandervorschläge:
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Der kurze Spazierweg (2 km, ca. 45 min). Er führt von
Sempach über die Seeallee hinaus zur Vogelwarte.
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Der mittlere Spazierweg (8 km, ca. 1 h 45 min). Er führt
vom Städtlein hinauf nach Kirchbühl und weiter zum Ort,
wo die Sempacher Schlacht ausgetragen wurde. Via
Steinibühlweiher geht es zur Schweizerischen Vogelwarte
und danach der Seeallee entlang wieder zurück nach
Sempach.
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Der lange Spazierweg (14 km, ca. 3 h). Er führt von Sempach
via Seeallee und Vogelwarte in den Chüserainwald,
dann hinauf zur «Schlacht» und nach Kirchbühl. Danach
zurück nach Sempach.
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Vogelwarte Sempach
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