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dasmatterhornausafrika

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Michel Marthaler

Das Matterhorn

aus Afrika

Die Entstehung der Alpen in der Erdgeschichte



5

Einleitung zur 1. Auflage

von Claude Nicollier

Die Berge sind mit meinen ältesten Kindheitserinnerungen verbunden. Wir verbrachten mit

meiner Familie alle unsere Sommer in der Gegend der Ormonts, am Fuss der «Diablerets-

Decke», wie Michel Marthaler sie nennt. Die Schönheit des Ortes ist unbeschreibbar. Die

wunderbaren Steilwände der Waadtländer Alpen lenkten schon damals die Blicke von uns

Kindern und Jugendlichen zum klaren und vom Licht menschlicher Siedlungen ungestörten

Himmel.

Später habe ich in der Sternwarte des Gornergrates meine ersten astronomischen Beobachtungen

gemacht. Diese Landschaft ist über allem erhaben. Gerade gegenüber ein Bergspitz

aus Stein und Eis, das Matterhorn, prachtvoll und einsam, gegrüsst von Gipfeln, die

manchmal höher sind, vielleicht schwieriger zu besteigen, aber unvergleichbar mit der

strengen Pracht des Herrn der Alpen. Darüber der weiteste und klarste Himmel von ganz

Mitteleuropa.

Und das alles war einmal, wie es der Autor dieses Buches sagt, von den Fluten eines afrikanischen

Ozeans überspült, aus dem das Floss «Matterhorn» auftauchte: Wunder einer Entwicklung

zur heutigen Reife gekommen, voll von strahlender Harmonie.

Die Anziehungskraft der Berge auf uns ist in mehrfacher Hinsicht mit derjenigen des Weltraums

vergleichbar. Beide verlangen einen vollkommenen Einsatz und eine ständige Disziplin.

Man lässt sich auf eine heikle Besteigung oder eine Weltraumfahrt nur nach einem

umfassenden Training ein – und dies auch nur mit einer allen stets möglichen Extremfällen

bestmöglichst angepassten Ausrüstung. Dabei hat eine ununterbrochene Aufmerksamkeit

für jegliche mögliche Veränderung höchste Priorität. Mein Kollege Jeff Hoffman und ich

wollten diese Ähnlichkeit hervorheben, indem wir nach zwei unserer Reisen im Weltraum

in Begleitung von Angehörigen und Freunden das Matterhorn bestiegen und so die wohlschmeckende

Frucht der Anstrengung und Selbst überwindung kosteten.

Bis jetzt konnte ich die Alpen während meinen Weltraumreisen nie überfliegen. Hingegen

hatte ich – wegen unserer leicht geneigten Umlaufbahn – die Gelegenheit, den Himalaja


6

Einleitung zur 1. Auflage von Claude Nicollier

und besonders den Mount Everest zu beobachten, der wie eine eindrucksvolle weisse Pyramide

inmitten eines fantastischen Flechtwerkes von Tälern und Bergketten steht, scheinbar

auf ewig erstarrt. Dies ist gewiss eine der spektakulärsten Ansichten der Erde, die man vom

Weltraum aus haben kann.

Bei der Betrachtung des Weltraums von einem Raumschiff auf der Erdumlaufbahn aus erwartete

ich als Astronom den grössten Eindruck meines Lebens. Ich wurde nicht enttäuscht:

Das Schwarz des tiefen Weltraums und der Glanz und die Klarheit der Sterne zählen

zu den schönsten Belohnungen für jemanden, der sich zum ersten Mal von den

irdischen Einengungen befreit hat. Aber der Blaue Planet – die Erde, die wir in einer Höhe

von 300 bis 600 Kilo metern beinahe streifen und die der Star unseres inneren Films in dauernder

Nahaufnahme ist – diese Erde bleibt die Perle des Kosmos und der Ausdruck reiner

Schönheit, unendlich zart und empfindlich. Wie aus dem Buch von Michel Marthaler gut

hervorgeht, verändert sich dieses Gestirn ständig unter dem Zeiteinfluss sowie mehr und

mehr auch durch den Eingriff seiner Bewohner. Besiedlung heisst nicht Zerstörung: Die

Erde, deren vergängliche Mieter wir sind, soll allen Lebensarten die Möglichkeit geben, auf

dem Weg ihrer Evolution bleiben zu dürfen. Dies ist eine der Lehren, die ich aus meiner

Welt raum erfahrung gezogen habe und die ich mit den Lesern dieses wunderschönen Buches

teilen möchte.

Claude Nicollier, Astronaut ESA

(Europäische Weltraumorganisation)


7

Vorwort zur 1. Auflage

von Arthur Escher

Die Alpen sind vor allen anderen die zuerst und am besten untersuchte Gebirgskette unseres

Planeten. Ihr komplexer Aufbau wurde durch die Arbeiten von mehreren Generationen

von Alpengeologen entschlüsselt. Dabei wurden mit den Deckenüberschiebungen erstmalig

grosse Gesteinsverbände entdeckt, die über grosse Entfernungen transportiert worden sind.

Ebenfalls in den Alpen wurden die Grundzüge einer schlüssigen paläogeographischen

Rekonstruk tion ent wickelt.

Trotz der aussergewöhnlichen Vielschichtigkeit der geologischen Einzelheiten wurde ein

zufriedenstellendes Verständnis von der Entstehung der Alpen erst dank der Fortschritte in

Geophysik und Meeresgeologie möglich. Diese beiden Disziplinen haben durch die Theorie

der Plattentektonik in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine weltweite Erklärung

für die Entstehungsgeschichte von Gebirgsketten geliefert.

Auch wenn nunmehr eine Rekonstruk tion der geologischen und topographischen Entwicklungsgeschichte

der Alpen möglich geworden ist, so bleibt es dennoch sehr schwer, dies

auf einer begrenzten Anzahl von Seiten und mit relativ einfachen Worten zu tun. Doch

dieser Gewaltakt ist Michel Marthaler im vorliegenden Werk geglückt. Sein Text ist vol ler

Begeisterung geschrieben und durch wunderschöne Panoramabilder, zahlreiche Zeichnungen,

Karten und Schemas ergänzt. Er erzählt die Geburt und das allmähliche Verschwinden

von Ozeanen und Kontinenten, die zur Ent stehung der Alpen beigetragen haben. Trotz eines

relativ einfach gehaltenen Textes ist es dem Autor gelungen, genaue und dem heutigen

Kenntnisstand entsprechende Erklärungen zu liefern. Darüber hinaus wird es dem Leser

erleichtert, durch Vergleiche und durch Verweise auf heute in anderen Gebieten der Erde

auftretende Phänomene diejenigen Vorgänge besser zu verstehen, die der Bildung einer

Gebirgsregion wie unserer Alpen vorausgegangen sind und deren Entstehung kontrolliert

haben.

Dieses Buch schlägt also eine Brücke zwischen regionaler und weltweiter geologischer Betrachtungsweise.

Die Verwendung von wissenschaftlichen Begriffen wurde weitmöglichst

eingeschränkt – und dort, wo dies nicht möglich war, werden die geologischen Fachbegriffe


8

Vorwort zur 1. Auflage von Arthur Escher

in einem separaten Glossar verständlich erklärt. Die inhaltliche Einheit von Text und Abbildungen

spricht auch für das pädagogische Einfühlungsvermögen von Herausgeber und

Autor. Verdienst gebührt schliesslich dem Letzteren, die relative Langsamkeit geologischer

Zeitläufe und die unglaublich lange Dauer der Entstehungsgeschichte der Alpen im Vergleich

mit der stressbeladenen Geschwindigkeit des heutigen Lebens in ein positives Licht

zu rücken.

Es handelt sich daher um ein wesentliches Werk sowohl für Unterrichtende als auch für

Studierende der Naturwissenschaften, für mit der Alpengeologie nur wenig vertraute Geologen

und natürlich für alle an Wissenschaft und Natur Interessierten, sofern sie mehr über

Entstehung, Entwicklung und Abtragung einer Gebirgskette wie der Alpen erfahren möchten.

Dieses Buch wendet sich auch an alle diejenigen, welche die Alpen schätzen, erwandern

oder bewohnen und denen es ein Anliegen ist, die faszinierende Geschichte der Landschaft

und der Gesteine unter ihren Füssen kennen zu lernen.

Arthur Escher

Emeritus der Universitäten Lausanne und Genf


9

Zum besseren Verständnis beim

Lesen dieses Buches

Die Geschichte vom geologischen Aufbau der Alpen ist kompliziert. Zahlreiche Begriffe

und wissenschaftliche Fachausdrücke sind zur Erklärung der vielfältigen geologischen Vorgänge

nötig. Dieses Buch will darauf in Form eines Berichts oder Theaterstücks Antwort

geben. Denn es ist in der Tat so, dass zahlreiche «Akteure» sich vorne auf der Bühne streiten,

als ob sie einen Schatten auf das Matterhorn werfen wollten. Der geologisch nicht

vorbelastete Leser wird sich mit einer ganzen Reihe von Namen vertraut machen müssen,

unter anderen derjenigen der am Aufbau der Alpen beteiligten Akteure. Keine Angst vor

den zahlreichen, oft fremdartig klingenden Begriffen wie Briançonnais-Schwelle, Piemont-

Ozean, Walliser Trog; dank des blau hinterlegten Lexikons und dank der Abbildungen und

ihrer Erklärungen (auf gelbem Hintergrund) können sich alle nach und nach mit diesem

Gedankengebäude aus kleineren Teilen von Kontinenten und kleinen ozeanischen Becken

vertraut machen. Die Abbildungen auf gelbem Hintergrund sind entweder Karten oder geologische

Schnitte und stellen die verschiedenen Etappen bei der Entstehung der Alpen dar.

Über den gesamten Berichtszeitraum hinweg trifft man diese Abbildungen in richtiger zeitlicher

Abfolge wieder an; am Ende sind sie noch einmal zusammengestellt, um in einer Art

Zusammenfassung einen Gesamtüberblick des Ablaufs der geologischen Geschichte zu

ermöglichen.

Nach einer Einführung, die das unglaubliche Gedächtnis der Erde zum Gegenstand hat,

welches in den Landschaften und den einzelnen Gesteinstypen des Gebirges gleichsam eingeprägt

ist, werden im ersten Kapitel die bedeutenden geologischen Phänomene behandelt,

die heute das Geschehen auf unserem Planeten bestimmen und die Erde eigentlich schon

seit Anbeginn beeinflussen: Vulkane, Erdbeben, Verschiebungen (nicht nur der Kontinente

sondern insbesondere auch der Ozeane). Der Leser wird sich mit einigen Grundbegriffen

anfreunden müssen: so z. B. der Unterscheidung zwischen einem aktiven und einem passiven

Rand, was anhand eines Schnitts durch die Erde auf S. 20 erklärt wird. Dieser fundamentale

Unterschied wird anschliessend mit Hilfe von Karten der zwei grossen Ozeane

unseres Planeten (Atlantik und Pazifik) veranschaulicht. Bei diesem grossangelegten Spaziergang

durch unsere Erdgeschichte wird die Leserin auch versuchen müssen, einige der

stets auf blauem Hintergrund erscheinenden grundlegenden geologischen Begriffe zu ver-


10

Zum besseren Verständnis beim Lesen dieses Buches

innerlichen. Das ermöglicht ihr einen besseren Einstieg in das eigentlich Interessante: nämlich

in die abenteuerlichen Ereignisse, die durch die Öffnung und das anschliessende Verschwinden

eines ganzen Ozeans (der Tethys) das aus afrikanischem Gestein aufgebaute

Matterhorn nach Europa verfrachtet haben.

Da sich die gesamte Geschichte dieses Buches über 250 Millionen Jahre, vom Ende des

Paläozoikums (Erdaltertum) bis zum heute andauernden Quartär, erstreckt, wird die Einführung

mit einer Abbildung abgeschlossen, in der das geologische Zeitgeschehen gleich

einem Film abläuft. Diese Abbildung wird in verschiedenen Kapiteln des Buches wiederaufgenommen;

es wird so dem Leser helfen, sich in den fünf grossen, in den Kapiteln II bis

VI behandelten Abschnitten der Entwicklungsgeschichte unseres Planeten zurechtzufinden,

die zur Bildung der Alpen geführt haben.

So bleibt nur noch, den Leserinnen und Lesern eine spannende Raum- und Zeitreise auf

unserem Planeten zu wünschen!

Hinweis zur zitierten Literatur

Der Haupttext des Buches enthält kleine Zahlen, die auf die am Buchende aufgeführte Literatur

verweisen. Es handelt sich dabei aber eher um eine Orientierungshilfe als um vollständige

Angaben.

Denn etwas mehr als 100 Literaturhinweise in einem Buch zur Geologie und Geodynamik

der Alpen ist gleichermassen zu wenig und zu viel.

Zu viel deshalb, weil das nicht spezialisierte Publikum sich mit der Aufzählung der Bücher

und einiger «populärwissenschaftlicher» Broschüren zufrieden geben würde (Zitierweise:

Erscheinungsjahr nach dem Verlag), da die wissenschaftlichen Artikel (Zitierweise: Erscheinungsjahr

nach den Autoren) meist zu speziell sind.

Zu wenig deshalb, weil die geologische Fachwelt die Literaturhinweise als unvollständig

erachten wird. Man hätte etwa 1000 Veröffentlichungen aufführen müssen … Man möge

mir daher eine oft persönliche Auswahl aus der grossen Vielzahl an Publikationen verzeihen.

Allerdings sei der Hinweis erlaubt, dass einige der zitierten Artikel mit Syn thesecharakter

(Abschlussbericht des NFP 20, Deep Structures of the Swiss Alps, Schweizer

Nationalfonds, ECORS, Frankreich und CROP, Italien) sowie die Erläuterungen der geologischen

Karten des Bundesamtes für Wasser und Geologie eine Fülle an zusätzlichen Literaturzitaten

enthalten.


11

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Das grossartige Gedächtnis unserer Erde .... 13

Erdgeschichte im Zeitraffer .............. 17

I. Die grossen Wanderungen der

Kontinente und Ozeane ................. 19

Eine riesige Wärmemaschine ............ 19

Plattenförmige Flösse .................. 21

Die Ozeanverschiebung ................ 25

Die Methoden und Disziplinen der Geologie . 26

II. Der grosse Bruch von Pangäa .......... 29

Sehr alte rosa Quarze .................. 29

Ein Strand voll von kleinen Dinosauriern ... 31

Der Zerfall Pangäas ................... 33

Brekzien als Zeugen des Rifting .......... 35

Die Geburt eines neuen Ozeans .......... 36

Atlantik und Tethys als Zwillinge ......... 38

III. Die Tethys und ihre ozeanischen

Geschwister ............................ 41

Island – ein auseinander gerissenes Stück

Land mitten im Meer .................. 42

Kissenlava am Meeresboden und im

Gebirge ............................ 42

Europa und Nordafrika unter Wasser ...... 46

Die Erinnerung an das Meer im Gebirge .... 46

Wenn die Zeit ihre Aufzeichnung vergisst ... 48

Die Briançonnais-Schwelle,

eine abdriftende «Insel» mitten im Meer .... 52

Provence, Jura und Burgund –

Strände und Riffe in Bewegung ........... 52

IV. Die Subduktion oder das Versinken

der Ozeane ......................... 55

Der Auftritt der Iberischen Platte ......... 55

Das Matterhorn verliert den Anschluss

an Afrika ........................... 57

Ein Abstecher nach Indonesien ........... 59

Panoramabilder eines Abtauchspektakels ... 61

V. Die Kollision: ein langsamer und

tiefer Zusammenprall .................. 65

Das Matterhorn und seine ozeanische

Unterlage werden europäisch . . . . . . . . . . . . 66

Die Fortsetzung des Abtauchspektakels ..... 70

Tiefseegräben und Inseln –

alles, nur keine Berge! ................. 71

Ein Akkretionskeil wächst mit seiner

Unterlage und vergrössert sich laufend ..... 74

Der Widerstand gegen die Subduktion

organisiert sich ...................... 76

In der Tiefe gebildete Falten und Decken .... 79

Endlich richtige Berge! ................. 82

Und auch viel Sand ................... 84

VI. Menschen, Gletscher und die

Alpen von heute ...................... 87

Afrika kommt erneut zu Ehren ........... 87

Der Mythos vom Alter des Juras ......... 89

Kristalle und Zerrklüfte ................ 89

Der Aufbau der Alpen: eine Welt in

vier Dimensionen .................... 91

Das Eis hat das heutige Landschaftsbild

geformt ............................ 99

Der Vorstoss und der Eindruck vom

Rückzug der Gletscher ................. 101

Seen, Flüsse und Blockgletscher .......... 104

Die Zerstörung von Gebirgen: plötzliche

Katastrophen und langsame Prozesse ...... 105

Und als Epilog noch ein paar Fragen … ..... 107

Anhang

Literaturverzeichnis ................... 111

Register ............................ 123

Dank .............................. 126

Bildnachweis ........................ 127

Zusammenfassung in Bildern ......... Beilage


Hinter der unbeschreiblichen Schönheit

einer mineralischen Landschaft versteckt sich

eine sagenhafte Geschichte.


Einführung

Das grossartige Gedächtnis

unserer Erde

Haben Sie es gewusst? Unser schöner blauer Planet hat ein aussergewöhnliches Gedächtnis!

Denn seine ganze, lange Geschichte steht in den Gesteinen geschrieben; heutzutage sind diese

allerdings allzu oft durch den Deckmantel des Pflanzenkleides oder durch menschliche

Überprägung verhüllt. In den Bergen oder Wüsten verlieren die Gesteine schliesslich ihre

Scheu. Nackt und bloss liegen sie da, sind der Beobachtung frei zugänglich, aber leider nicht

sehr gesprächig. Der Reisende stellt gelegentlich fest, dass sich hinter der scheinbar stummen

Eis und Schnee

bedecken an den

Nordwänden von

Mönch (links) und

Jungfrau kalkige

Sedimente, die

vor etwa 150 bis

100 Millionen

Jahren in einem

warmen und

tropischen Meer

abgelagert wurden.


14

Einführung

Kontinent

Ozean

Die Felspyramide des Matterhorns (hier in Nordansicht) ist

ein kleines Kontinental­Floss, das auf marinen Sedimenten

eines heute verschwundenen Ozeans gestrandet ist.

Die Ozean­/Kontinent­Grenze ist gelb hervorgehoben.

Diese vor 80 Millionen Jahren bewegliche, aber unter einem

Kontinent versteckte Grenze ist heute sichtbar und in der

Felswand des Berges verewigt.


Einführung

15

Schönheit einer Mineral- und Gesteinslandschaft phantastische Geschichten verstecken: Die

vereisten Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau bestehen aus kalkigen Sedimenten, die

sich in einem warmen, tropischen Meer während der Jura- und der Kreidezeit vor etwa 150

bis 100 Millonen Jahren abgelagert haben. Die Gesteine der Matterhorn-Pyramide kamen als

«Import aus Afrika» hierher – und zwar lange bevor der Berg seine berühmte und symbol-

Ausschnitt aus

der durch Emile

Argand erstellten

geologischen Karte

(1908) 1 . Massstab

1:85 000

Die Kontinentalgneise

afrikanischen

Ursprungs

sind in Rot-Orange,

die ozeanischen

Sedimente in Blau

und die Unterwasserlaven

in Grün.

Obwohl Gletscher

und ihre Moränen

die Gesteine teilweise

überdecken,

ist dank des hinzugefügten

gelben

Striches deutlich

sichtbar, wo die

Grenze zwischen

kontinentalen

und ozeanischen

Gesteinen verläuft.

Jura: Mittlerer Abschnitt des Mesozoikums (Erdmittelalter). Dauer: 210–145 Millionen Jahre vor heute. Dieser

Zeitabschnitt ist u. a. durch seine Hinterlassenschaft zahlreicher fossiler Reste von Dinosauriern bekannt

und wird seinerseits in drei Teile gegliedert, welche aufeinanderfolgend als Lias, Dogger und Malm bezeichnet

werden.

Kreide: Jüngster Abschnitt des Mesozoikums (Erdmittelalter). Dauer: 145–65 Millionen Jahre vor heute. Das

Ende der Kreidezeit ist durch eines der grössten Massensterben unseres Planeten charakterisiert. Bekannt

ist insbesondere das Aussterben der Dinosaurier auf dem Festland und das der Ammoniten in den

Ozeanen.


16

Einführung

kräftige Form erhielt. Der Schweizer Geologe Emile Argand 1 hat als Erster diesen scheinbaren

Widerspruch erkannt und erklärt. Die von Bergsteigern erkletterten Felsen sind nämlich mehrere

100 Millionen Jahre alte Gneise, die entgegen jeglicher zeitlichen Logik auf viel weicheren

Gesteinen auflagern, welche ihrerseits die Überreste eines am Ende der Kreidezeit (vor

nur 60–80 Millionen Jahren) verschwundenen viel jüngeren Ozeans darstellen.

Die scheinbar unveränderbar erscheinende Bergwelt hat uns also phantastische Geschichten

zu erzählen: Für den Geologen ist das Meer nicht hinter, sondern in den Bergen!

Hinter der einen Landschaft verbirgt sich also eine andere – und dies nicht nur räumlich,

sondern auch zeitlich. Ebenso sind die einfachen Steine (und nicht nur die schönen Kristalle)

wertvolle Zeitzeugen der eindrücklichen Geschichte unserer Erde, die uns in der Geodynamik

und in der Paläogeographie erschlossen wird.

Gneise (hier ein

Besipiel aus dem

Turtmanntal) sind

Gesteine, welche

die Spuren der

aufeinanderfolgenden

Deformationphasen

sehr

alter Gebirgsketten

aus der Zeit des

Paläozoikums

(vor 500 bis 300

Millionen Jahren)

bewahrt haben.

Die gefältelten,

hellen Bänder

bestehen aus Quarz

und Feldspat.

Die dunkelgrünen

Teilbereiche sind

reich an

Amphibolen.

Gneis: Metamorphes Gestein mit gebändertem Aussehen und spiegelnden Oberflächen als Folge einer bevorzugten

Einregelung von Mineralien. Dabei handelt es sich bei den hellen Bändern meist um Quarz und verschiedene

Feldspäte, während die dunklen Bänder reich an Glimmer und Amphibolen sind.

Quarz (SiO 2 ): Gewöhnliches hartes Mineral, siliziumreich, grau bis durchscheinend. Bildet bei guter Kristallisation

hexagonale Pyramiden. Der bei uns bekannteste Quarzvertreter ist der «Bergkristall».

Feldspat: Helles Mineral, sehr häufig in magmatischen und metamorphen Gesteinen.

Glimmer: Plättchenförmiges Mineral, schwarz-glänzend oder silbern.

Amphibole: Dunkles, oft stäbchen- oder nadelförmiges Mineral.

Geodynamik: Disziplin der Erdwissenschaften; Lehre von den Kräften, den Bewegungen und den Veränderungen,

denen die Erde insbesondere an der Oberfläche ausgesetzt ist: Kontinentalverschiebung, Öffnung und

Schliessung der Ozeane, Ausbildung neuer Reliefs.

Paläogeographie: Disziplin der Erdwissenschaften, welche die Formen und Bewegungen der Kontinente, Meere

und Ozeane im Verlauf der Erdgeschichte zu rekons truieren versucht.


Einführung

17

Erdgeschichte im Zeitraffer

Nur eine Betrachtung im Zeitraffertempo gestattet uns, die Geschichte von mehr als 250

Millionen Jahren auf den nachfolgenden 90 Seiten zu erzählen! Man kann sich nur schwer

vorstellen, was diese enorme Zeitspanne bedeutet, denn bereits eine Million Jahre entspricht

der Dauer von 40000 Generationen von Menschen! Darüber hinaus beginnt dieses

Epos lange nach der Entstehung des Universums (vor etwa 15 Milliarden Jahren) 2 oder der

Erde (vor etwa 4,5 Milliarden Jahren) 3 und sogar später als die rätselhafte Entstehung des

Lebens 4 , das vor etwa 3,5 Milliarden Jahren einsetzte. Etwa 250 Millionen Jahre vor unserer

Zeit hatte die Erde bereits mehrmals ihr Antlitz verändert: im Verlauf des unendlich

langen Präkambriums und Paläozoikums hatten sich die Kontinente bereits mehrmals getrennt

und wieder zusammengefügt 5 . Es werden nachfolgend eigentlich also nur die bislang

letzten Bewegungen der Kontinente und Ozeane näher vorgestellt.

Aber bevor wir mit unserem Bericht beginnen, ist es notwendig, einige Grundbegriffe

einzuführen, um anschliessend zu versuchen, ein grosses Paradoxon in der Geologie zu

erklären: nämlich dass die Berge gleichermassen Kinder des Meeresbodens und des Ufers

sind. Wenn man die Entstehung einer Gebirgskette verstehen will, muss man sich also ansehen,

wie ein Ozean entsteht, grösser und älter wird und schliesslich stirbt. Hierin liegt

die grosse Bedeutung der Alpengeologie: Indem man die Vergangenheit der Alpen untersucht,

versteht man auch die heute auf der Erde ablaufenden (geologischen) Prozesse 6 .

Entstehung der Erde vor

etwa 4,5 Milliarden Jahren

400 Millionen Jahre 500 Millionen Jahre

Präkambrium

Die verschiedenen

Abschnitte der

Entstehung der

Alpen im Verlauf

der Erdgeschichte

Paläozoikum

Karbon

Perm

Mesozoikum

Trias Jura

Lias Dogger Malm

Kreide

Känozoikum

Quartär

Zukunft

300

Millionen Jahre

250

200 150 100 50 2 Millionen Jahre

Bruch von Pangäa Die Tethys Die Subduktion Kollision

Menschen

und Gletscher


18

Einführung

Der Stromboli zeigt uns während

der Nacht wunderbare

magmatische Explosionen.

Eine grosse, unter Druck stehende

Gasblase erreicht mehrmals pro

Stunde den Ausgang der zwei Kamine

dieses berühmten Vulkans der

Äolischen Inseln. Das Magma

wird in Form von Dampf und

feinen basaltischen, glühenden Partikeln

in die Luft geschleudert. Die Subduktion

des nördlichen Randes der

afrikanischen Platte unter der

apulischen Platte ist der Ursprung

des vulkanischen Bogens

der Liparischen Inseln.


I. Die grossen Wanderungen der

Kontinente und Ozeane

Gegen Ende der 60er-Jahre erschütterte eine Revolution die Erdwissenschaften: Das neue

Konzept der «Plattentektonik» 7 , welches die genialen Ideen von Alfred Wegener 8 und Emile

Argand 1 über die Kontinentalverschiebung rehabilitierte. Daraus entstand die Disziplin der

«Geodynamik»; sie untersucht die Kräfte, welche die für menschliche Massstäbe langsamen

Veränderungen unseres Planeten steuern: das Öffnen und Schliessen der Ozeane 9 , die Deformation,

das Anwachsen, die Verschiebung und das Auseinanderreissen der Kontinente 10,

11

, die Geburt von Inseln und Gebirgen, 11 die aus dem Meer und aus der Erde aufsteigen 12 .

Unser blauer Planet ist in dieser Hinsicht vielleicht eine Ausnahme im Universum, denn er

besitzt einige Charakterzüge eines Lebewesens: einen langsamen Stoffwechsel sowie Atmung

und Verdauung, von denen wir allerdings nur das Aufstossen und das Niesen in

Form von Erdbeben und Vulkanausbrüchen wahrnehmen.

Eine riesige Wärmemaschine

Der Aufbau unserer Erde erinnert in grossen Zügen an eine lebende Zelle: Ein sehr heisser

Kern 13 (5000 °C) mit hoher Dichte (zwölfmal so schwer wie Wasser), fest in der Mitte und

umgeben von einem flüssigen äusseren Kranz. Dieser aus viel Eisen und schweren Atomen

bestehende Kern ist voll von Energie, die ihren Ursprung einerseits in Kernfusionsreaktionen

und andererseits in Wachstums prozessen des inneren Erdkernes hat 3 . Die von unserer

Erde erzeugte radioaktive Energie ist allerdings nicht mit der von der Sonne abgestrahlten

vergleichbar, denn die Temperatur der Sonne erreicht dank der Kernfusionsreaktionen um

die eine Million °C. Der den Kern umgebende heisse und plastische Erdmantel wird von

Erdmantel: Grosser, ungefähr 3000 km mächtiger Teilbereich unseres Planeten zwischen der Erdkruste und

dem Erdkern, hauptsächlich aus Eisen- und Magnesiumsilikaten bestehend. Die aus dem obersten Mantel

(Lithosphäre) stammenden Gesteine heissen Peridotite (siehe Seite 43). Die Dichte des Mantels nimmt von

3 (an der Untergrenze der Kruste) auf 5 g/cm 3 (Obergrenze des Erdkerns) zu. Die Temperatur erhöht sich

gleichfalls mit der Tiefe von 1000 auf 4000 °C. Dieser hohe geothermische Gradient ist eine der Ursachen

der grossen Konvektionsströme, welche den Mantel durchziehen. Die Vorstellung vom Aufbau des Mantels ist

schon recht alt; heutzutage unterscheidet man die Begriffe Lithosphäre für den festen und obersten Teil des

Erdmantels, Asthenosphäre für seinen mittleren und plastischen Bereich sowie Mesosphäre für den untersten,

zähflüssigen Bereich des Erdmantels.


Aktiver Kontinentalrand:

Passiver Kontinentalrand:

20

Ozean

Ozeanische Kruste

Kontinentale Kruste

I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

Platte oder

Lithosphäre

Oberer Lithosphärenmantel

Ozeanische Kruste

Ozean

Juan de Fuca

Platte

Mt. St. Helens

Nordamerikanische Platte

Kanada

Island

Eurasische Platte

Apulische

Platte

Matterhorn

Pazifische Platte

Hawaii

Besonders zähflüssiger Mantel: Asthenosphäre

Flüssiger Erdkern

Fester Erdkern

Mittelmeer

Afrikanische Platte Afrikanisches Rift

Nordost Afrika

Somalia

Pazifischer Ozean

Zähflüssiger Mantel

Réunion

Afrikanische Platte

Neukaledonien

Fidji-Platte

Tasmanische See

Australien

Indischer Ozean

Antarktische Platte

Australo-Indische Platte

Die Dicke der Platten ist im Vergleich zum zähflüssigen Mantel vierfach überhöht.

Dieser Schemaschnitt durch den Erd globus mit einem durch die Alpen führenden Teil zeigt den konzentrischen Aufbau unseres Planeten,

seine innere Wärmequelle, die den Mantel durchlaufenden Konvektionsströmungen, die Bewegungen der Lithosphärenplatten und die Verschiebungen

der Ozeane.

Rund um unseren Planeten schwimmen die Platten oder Lithosphären-Flösse und entfernen sich von den mittelozeanischen Rücken oder

Kontinentalriften. Die Grenze zwischen einer ozeanischen und kontinentalen Kruste, die der gleichen Platte angehören, wird als passiver

Kontinentalrand bezeichnet. Im Gegensatz dazu taucht im Fall eines aktiven Kontinentalrandes eine der beiden Platten unter die andere

und wird in der Subduktionszone verschluckt. Hier schmilzt die abtauchende Platte langsam auf, indem sie immer tiefer in den warmen

und zähflüssigen Mantel eintaucht. Der aktive Vulkanismus 14 unseres Planeten ist an drei geodynamische Situationen gebunden. Grosse

Wärmepilze steigen durch den ganzen Mantel hindurch auf und lassen die Asthenosphäre teilweise aufschmelzen; der Überfluss an so

produziertem Magma durchdringt die Lithosphäre: Dies ist der basaltische, effusive und kontinuierliche Vulkanismus der sogenannten

«Hot Spots» (Hawaii, La Réunion). Divergente Platten sind die Ursache kontinentaler Riftstrukturen (Ostafrika) und der mittelozeanischen

Rücken; für letztere ist ein intensiver effusiver, submariner Vulkanismus charakteristisch. Island ist eine aussergewöhnliche Insel, weil sie

gleichzeitig einen herausgehobenen mittelozeanischen Rücken und einen «Hot Spot» darstellt. Und schliesslich sind da noch die konvergenten

Platten der Subduktionszonen, verantwortlich für einen explosiven Vulkanismus, mit dem Mt. St. Helens als berühmtem Beispiel.

Der südlich der Apulischen Platte liegende Stromboli ist ebenfalls für seine häufigen kleinen Explosionen bekannt. 15


I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

21

gewaltigen Konvektionsströmungen durchflossen, die man mit grossen Wirbelströmen vergleichen

kann; diese sind in der Lage, dünne Lithosphärenteile – auch Lithosphärenplatten

genannt – zu verschieben (sozusagen die Zellwände unserer Zelle). Der Begriff «Platte» ist

für unseren Vergleich allerdings nicht sehr passend; Bezeichnungen wie «Haut», «Schale»,

«Rinde» oder noch besser «Steinernes Floss» wären besser geeignet.

Plattenförmige Flösse

Schauen wir nun ein wenig genauer auf diese «Haut» oder diese «Steinernen Flösse» unseres

Planeten. Auf einer vereinfachten Weltkarte erscheinen die Litho sphärenplatten wie

Teile eines gigantischen Puzzles. Die Grenzen seiner Einzelteile kommen oft auf dem Meeresboden

zu liegen; manchmal sind sie auch am Rand der Kontinente (Westküste Amerikas)

und sogar innerhalb eines Kontinentes zu finden (Indien – Eurasien). Dieser letzte Fall

interessiert die Geologen in besonderem Masse, denn an diesen Stellen türmen sich die aus

der Tiefe gewachsenen Gebirge 11 wie der Himalaja oder die Alpen auf. 6

Juan de

Fuca

Pazifische Platte

Plattengrenze

Nordamerikanische

Platte

Cocos

Nazca

Karibische

Platte

Profilverlauf

Südamerikanische

Platte

Afrikanische

Platte

Antarktische Platte

Eurasische Platte

Apulien

Arabische

Platte

Philippinen

Australo-Indische

Platte

Fidji

Pazifische Platte

Kartengrundlage nach: NICOLAS (1990), verändert

Vereinfachte

Weltkarte mit der

Darstellung der

wichtigsten

Lithosphären platten

und dem Verlauf

des Schemaschnitts

auf S. 20.

Lithosphäre (lithos = Stein): Äussere, feste und aus Gestein aufgebaute Hülle der Erde. Gleichzeitig ist diese

Hülle aber auch beweglich und nicht einheitlich aufgebaut, da sie in verschiedene Platten aufgeteilt ist. Die

mittlere Mächtigkeit der Lithosphäre beträgt etwa 100 km. Dieser Wert nimmt im Bereich der Mittelozeanischen

Rücken stark ab. Im Gegensatz dazu ist die Lithosphäre unter den Gebirgen bis zu doppelt so dick. Sie

setzt sich nahe der Oberfläche und im obersten, darunter liegenden «kalten» Mantelbereich aus der Erdkruste

(ozeanische oder kontinentale Kruste) zusammen. Im Bereich der passiven Kontinentalränder wirkt die Lithosphäre

als Garant der Stabilität zwischen kontinentaler und ozeanischer Kruste.

Platte: Grossteil der beweglichen Lithosphäre an der Erdoberfläche, begrenzt durch mittelozeanische Rücken,

Subduktionszonen oder Störungen. Eine Platte kann ozeanischer (z. B. Pazifische Platte) oder kontinentaler

und ozeanischer Natur sein (z. B. Afrikanische Platte).


22

I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

Im Profil erscheinen die Platten wie dünne, aus zwei Schichten aufgebaute Flösse:

zuoberst die Erdkruste und darunter der Lithosphärenmantel, je nach Krümmung der Erdoberfläche

leicht gebogen, wobei sich diese im Bereich von Subduktions zonen deutlich

verstärkt. Denn hier werden die Platten «verschlungen» und durch die Hitze der Asthenosphäre

aufgeschmolzen. Das Eigengewicht der abtauchenden Platten ist gleichzeitig auch

Von Feuerland über Alaska und Japan bis nach Neuseeland finden sich am Meeresgrund des Pazifiks lange und tiefe Subduktionsgräben.

Der sogenannte «Feuergürtel» und Erdbeben an den Kontinentalrändern sind die Konsequenzen dieser Subduktion.

Kermadec- und Tonga-Graben nördlich von Neuseeland sowie Japan- und Kurilen-Graben (im Norden) sind besonders eindrucksvoll. Hier

taucht die schwere ozeanische Lithosphärenplatte des Pazifiks unter den Rand des australischen und asiatischen Kontinents ab.

Der Verlauf der langsamen Driftbewegung der pazifischen Platte nach Nordwesten ist durch eine lange Vulkankette gekennzeichnet, welche

heute in Hawaii ihr Ende findet; neue Unterwasservulkane erscheinen südöstlich der Insel, denn der Vulkanismus dieses «Hot Spots» ist

trotz seiner Aktivität seit 100 Millionen Jahren noch keineswegs zu Ende. Der rund um den Pazifik aktive Vulkangürtel wird so lange dauern

wie die Subduktionen, das heisst noch mehrere Millionen Jahre. Bemerkenswert ist auch der unter dem nord amerikanischen Kontinent

verschwindende ostpazifische Rücken, eine divergente Plattengrenze zwischen der grossen westpazifischen Platte und den kleinen Platten

Nazca und Coco weiter im Osten.

Im Südwesten schliesslich dauert die Norddrift der australo-indischen Platte an. An ihrem Nordrand hat sich Indien bereits unter den asiatischen

Kontinent gebohrt, während Australien sein Abtauchen unter den Ostrand des Indonesischen Inselbogens beginnt. Dieser lange

Archipel ist an seinem Südrand von einem sehr tiefen Subduktionsgraben begleitet.

(Ausschnitt aus der Tiefseekarte. (© Verlagshaus Hachette)


I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

23

Der Meeresboden des Atlantischen Ozeans

lässt die Verschiebung der Kontinente und

Ozeane erkennen.

Der Mittelozeanische Rücken ist u. a. der

Bereich der Trennung und der Geburt der

afrikanischen und europäischen auf der einen

und der nord- und südamerikanischen Platten

auf der anderen Seite. Hier ist die untermeerische

Ausflussstelle der Basalte, welche

durch kissenartige Aufstapelung eine neue

ozeanische Kruste bilden.

Deutlich erkennt man die Abnahme der

Verbreiterung des Ozeans von seiner zentralen

Stelle nach Norden hin. Die Öffnung des

Atlantiks erfolgte progressiv mit einer mittleren

Geschwindigkeit von 3 cm pro Jahr, was

3000 km in 100 Millionen Jahren entspricht.

Das Alter der ozeanischen Kruste nimmt also

auf beiden Seiten des mittelozeanischen

Rückens zu: rezent oder nur einige Millionen

Jahre im Bereich von Island, etwa 100 Millionen

Jahre auf der Höhe von Spanien und

Kanada und 180 Millionen Jahre auf der Höhe

von Marokko und der USA.

Beachten wir die auf den Kontinenten

verschobene Uferlinie: Der vom Meer überflutete

Teilbereich des Kontinentes wird

Kontinentalrand oder «Schelf» genannt.

Hingegen ist die Grenze zwischen kontinentaler

und ozeanischer Kruste in Richtung der

Ozeane verschoben. Sie ist durch am Fuss

des Kontinentalabhanges aufgehäufte Sedimente

verdeckt. Im Osten ist das Rote Meer,

ein kleiner, in Öffnung begriffener Ozean.

(© Verlagshaus Hachette)

Erdkruste: Oberflächlicher und aus Ge stein aufgebauter Teil der Erde; Unterschei dung von kontinentaler und ozeanischer Kruste.

Subduktion: Abtauchen von zu schwer gewordenen Platten in die Asthenosphäre und den tieferen Mantel (Mesosphäre). Normalerweise

tauchen ozeanische Platten ab, aber auch ein Kontinent kann infolge eines verschwundenen Ozeans in eine Subduktionszone

einbezogen werden, wie das Beispiel Indien zeigt. Subduktionszonen befinden sich normalerweise an der Grenze zwischen Kontinenten

und Ozeanen und sind dort für zahlreiche Erdbeben verantwortlich. Sie können sich aber auch mitten im Ozean befinden, (z. B.

Tonga- und Marianen-Tiefseegraben im Pa zifik). In beiden Fällen bewirkt eine Subduktion im Verlauf einiger Millionen Jahre die Ausbildung

eines vulkanischen Gürtels 14 .

Asthenosphäre (asthenos, griech. = weich): Oberer und durchschnittlich 2000 °C heisser Bereich des Erdmantels, unter der Lithosphäre

gelegen, sehr plastisch und teilweise aufgeschmolzen. Wegen der für das gesamte Mantelgeschehen bedeutsamen Konvektionsströme

kann man die Asthenosphäre auch mit einem warmen Meer vergleichen, auf dem die Lithosphären-«Flösse» treiben und

sich verschieben.

Ozean: Dieser Begriff umfasst in der Geologie nicht nur die riesige, uns allen bekannte Wasserfläche, sondern vor allem den Meeresboden

und seinen felsigen Untergrund aus ozeanischer Kruste. Der Begriff ozeanische Kruste ist wichtig, denn Meere können kleine

Ozeane sein (wie z. B. das östliche Mittelmeer oder das Rote Meer). Während ein Meer allmählich verschwindet, weitet sich ein Ozean

aus. Ein Ozean ist also eine dynamische geologische Einheit, welche ihre Grösse im Verlauf der Zeit verändert, da an seinen Rändern

oder in seiner Mitte Plattengrenzen verlaufen. Im Gegensatz dazu ist ein Epikontinental- oder Schelfmeer (wie z. B. die Adria, der Ärmelkanal,

die Nordsee oder die Ostsee) eine nicht allzu tiefe Wasserfläche, die einen Kontinent bedeckt; die Kruste ist an dieser Stelle

dicker und damit stabiler.

Kontinentalrand: Übergangs- oder Grenzzone zwischen kontinentaler und ozeanischer Kruste. Wegen des gegenwärtig hohen Meeresspiegels

entspricht er nicht genau der oberirdischen Grenze zwischen Festland und Ozean, denn die Uferlinie verläuft im Allgemeinen

auf dem Kontinent und ein flaches Meer (Schelfmeer) bedeckt den Kontinentalrand (z. B. Ärmelkanal).


24

I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

eine der Hauptantriebskräfte für die Drift der Flösse, die im übrigen nicht ständig treiben.

Gleich der Titanic erleiden sie gelegentlich Schiffbruch, insbesondere wenn sie mit einem

Kontinentalrand zusammenstossen. In der Tat hat die Erdkruste im Innern eines Kontinentes

oder unter einem Ozean nicht die gleiche Zusammensetzung. Die kontinentale Kruste

ist relativ leicht und besteht aus vorwiegend hellen Gesteinen der Granit- und Gneis-Familie.

Die ozeanische Kruste ist schwerer und dunkler, da sie zumeist aus Basalten und Gabbros

besteht. Daher erleiden die ganz aus ozeanischer Kruste aufgebauten Flosse wie etwa

die Platten des Pazifischen Ozeans eher Schiffbruch: Subduktionszonen sind um den Pazifischen

Ozean herum reichlich vertreten. Die Kontaktzone zwischen dem Pazifik und den

umgebenden Kontinenten ist also sehr unruhig und Schauplatz zahlloser Erdbeben. Darüber

hinaus heizt sich die ozeanische Platte durch das Abtauchen unter die Kontinente in

die Astheno sphäre auf und gibt Wasser an sie ab 14 : Dadurch bewirkt sie aber gleichzeitig

das Aufschmelzen der Basis der Platte, unter die sie geschoben wird. Das so erzeugte Magma

steigt durch die Erdkruste hindurch auf, um an der Oberfläche durch zahlreiche Vulkane

auszutreten 15 . Dies ist der berühmte pazifische Feuergürtel; die Geologen sprechen in

diesem Fall von einem aktiven Kontinentalrand.

Kontinentale Kruste: Oberster Teil der Lithosphäre, die manchmal an der Oberfläche der Kontinente anzutreffen

(Australien, Kanada, Skandinavien, Mont Blanc), für gewöhnlich aber unter den Sedimentgesteinen verborgen

ist. Diese Kruste – im Durchschnitt etwa 30 km dick – besteht in ihrem oberen Bereich hauptsächlich

aus Gneis und Granit. Ihre Dichte von 2,7 ist geringer als die der ozeanischen Kruste (3).

Granit: Aus verschiedenen hauptsächlich hellen Mineralen wie Quarz, grossen Feldspäten sowie wenigen

dunklen Mineralen wie dem glänzenden Biotit aufgebautes Gestein. Granit ist ein typisches Tiefengestein

der Kontinentalkruste; seine Entstehung geht auf eine sehr langsame, mehrere Millionen Jahre dauernde

Abkühlung eines silikatreichen Magmas zurück. Die Minerale sind gut auskristallisiert, deutlich sichtbar und

voneinander abgehoben.

Ozeanische Kruste: Oberflächennaher Teil der Lithosphäre und normalerweise am Ozeanboden unter Sedimenten

liegend. Sie besteht aus kissenförmigem Basalt, Gabbro und Serpentiniten (siehe S. 43). Kruste

und Lithosphäre entstehen durch Auskühlung des Magmas, welches an den Mittelozeanischen Rücken austritt;

sie breiten sich von dort aus langsam über die Ozeane aus, verdicken sich, werden schwerer und tauchen

in den Subduktionszonen ab 9 .

Basalt: Dunkles, relativ schweres (Dichte 2,9 bis 3) und häufigstes Vulkangestein der Erdkruste. Basalt entsteht

durch Ausfluss und rasche Abkühlung eines Magmas im Bereich der Kontinentalkruste oder auf dem

Meeresboden. Untermeerische (submarine) Ausflüsse von Basaltmagma zeigen eine kissenförmige Aufstapelung

(«Pillow-Lava») (siehe S. 42).

Gabbro: Gestein magmatischen Ursprungs von gleicher Dichte und mineralogischer Zusammensetzung wie

Basalte, allerdings in der Tiefe auskristallisiert. Die Färbung ist wegen des Pyroxen-Anteils im allgemeinen

dunkel, mit Flecken weisslicher Feldspatkristalle.

Magma: Gas-Flüssigkeitsgemisch mit einer Temperatur zwischen 1000 und 1300 °C. Magma bildet sich

durch Teilschmelze im Bereich des oberen Erdmantels (Asthenosphäre), kann sich aber beim Durchqueren

der Lithosphäre in seiner chemischen Zusammensetzung verändern. Bei einem Vulkanausbruch verliert das

Magma auf einen Schlag explosionsartig seinen Gasgehalt.durch Druckentlastung (explosiver Vulkanismus),

um danach an der Erdoberfläche in Form von Lavaströmen auszufliessen (effusiver Vulkanismus) 14 .

Aktiver Kontinentalrand: Mobile Grenzzone zwischen einem Kontinent und einem Ozean (manchmal auch zwischen

zwei Ozeanteilen, die auf zwei verschiedenen Platten liegen). Die ozeanische Lithosphäre wird unter

dem aktiven Kontinentalrand oder unter einem vulkanischen Gebirge subduziert. Ein aktiver Kontinentalrand

wird durch Erdbeben erschüttert und zeichnet sich meist durch zahlreiche explosive, aktive Vulkane aus.


I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

25

Die perlschnurartig

aufgereihten Vulkane des

mittelatlantischen Rückens

liegen in Island auf

dem Festland.

Diese Kette von jungen

Vulkanen hat sich auf der

grossen Laki-Spalte in Zentralisland

gebildet (Lakagigar-

Region). Ein gewaltiger

effusiver basaltischer

Ausbruch hat vor 200 Jahren

stattgefunden. Heute geht

die Ausbreitung weiter und

der aktive Vulkanismus hat sich

an dieser gleichen Spalte entlang

nach Norden, bis

unter den Vatnajökull-Gletscher,

verschoben. 14

Die Ozeanverschiebung

Die Mehrzahl der driftenden Litho sphärenplatten besteht jedoch an der Oberfläche und bis

zu einer Tiefe von etwa 30 km aus nebeneinanderliegender kontinentaler und ozeanischer

Kruste. Man müsste daher eigentlich genauso wie von der Kontinentalverschiebung auch

von der Ozeanverschiebung sprechen. Afrika bewegt sich z. B. zusammen mit dem halben

Atlantik im Westen, einem Teil des Indischen Ozeans im Osten und einem Stück Mittelmeer

im Norden, mit denen allen es verbunden ist. Diese stabile Verbindung zwischen


26

I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

Ozeanen und Kontinenten (auch passiver Kontinentalrand genannt) hat ihre Ursache im

Vorhandensein einer zweiten, durchgängigen Schicht an der Basis unserer Flösse, dem relativ

kühlen und starren Litho sphärenmantel. Das gesamte steinerne Floss ist gerade leicht

genug, um nicht in die Asthenosphäre abzutauchen. Wenn ein Floss zu schwer wird,

taucht stets der ozeanische Krustenanteil zuerst ab, aber manchmal kann auch ein Kontinentalrand,

passiv der ozeanischen Kruste folgend, in eine Subduktionszone hineingezogen

werden. Auf diese Weise ist ein grosser Teil Indiens unter der asiatischen Platte verschwunden

und hat eine tiefe Wurzelzone gebildet, die sich auch heute noch unter der

Bergkette des Himalaja weiterschiebt und dessen anhaltende Auffaltung verursacht 11 . Eine

ähnliche Geschichte ist in den Alpen geschehen, wie wir später sehen werden.

Lithosphärenmantel und ozeanische Kruste (zusammen bilden diese die Lithosphäre)

dünnen an den divergenten Plattengrenzen unter den mittelozeanischen Rücken stark aus.

Ein schönes Beispiel ist der mittelozeanische Rücken, welcher durch den gesamten zentralen

Atlantik verläuft und die Grenze zwischen der europäischen und afrikanischen Platte

auf der einen und der nord- und südamerikanischen Platte auf der anderen Seite bildet

(S. 23). Die Lithosphäre kann aber auch unter den Kontinenten ausdünnen, wie z. B. unter

dem grossen ostafrikanischen Rift-System. Der Bereich Somalias ist gegenwärtig im Begriff,

sich von der afrikanischen Platte zu trennen; in ein paar Millionen Jahren wird diese Trennung

vollzogen sein und ein neuer Ozean wird diese Bruchstelle einnehmen. Wir werden

im Kapitel II davon sprechen.

Die Methoden und Disziplinen der Geologie

Es soll an dieser Stelle noch einmal wiederholt werden: Die zum Verständnis des auf der

Erde ablaufenden Prozesses notwendige Sprache kann auch von den Felswänden der Gebirge

abgelesen werden.

So sind auch heute noch die traditionellen Disziplinen der Geologie (Geologische Kartierung,

Mineralogie, Petrografie, Paläontologie, Stratigrafie, Tektonik, Geomorphologie) die

Ein passiver Kontinentalrand liegt vor, wenn beide Krustenteile von einer gleichförmigen Lithosphäre getragen

werden; mit anderen Worten: Ozean und Kontinent gehören zur selben Platte und sind sozusagen zusammengeschweisst.

Hier gibt es weder Erdbeben noch Vulkanausbrüche. Beispiele hierfür sind die afrikanischen,

europäischen sowie die amerikanischen Plattenränder beiderseits des Atlantiks (S. 23).

Mittelozeanischer Rücken: Divergierende (auseinander strebende) Plattengrenze. Hier bildet sich durch Aufsteigen

von basaltischem Magma neue ozeanische Kruste. Die mittel ozeanischen Rücken liegen häufig in

der Mitte der Ozeane (z. B. Atlantik), seltener am Rand (z. B. an der nordamerikanischen Pazifikküste). Das

aussergewöhnliche Beispiel eines herausgehobenen mittelozeanischen Rückens befindet sich auf Island.

Rift: Grosse, langgestreckte Senke zwischen zwei Erhebungen, von Abschiebungen förmlich gespickt, von

Vulkanen gesäumt und von Erdbeben erschüttert. Ein Rift ist eine Dehnungszone unserer Erde, die ein

Zerreissen der Lithosphäre und damit die Trennung zweier auseinanderdriftender Platten zur Folge haben

kann.


I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane

27

Zerrissene Basaltströme im Süden Reykjaviks (Island) Links (West): Amerika. Rechts (Ost): Europa.

Geologische Kartierung: Ausführliche, auf einer topo graphischen Grundlage erstellte Feldaufnahme, die das

Inventa risieren und Verstehen der Geschichte und geolo gischen Struktur eines Gebietes ermöglicht. Eine

geologische Karte ist eine räumliche und zeitliche Datenbank, die aus zwei übereinanderliegenden Schichten

besteht: dem Felsuntergrund und der quartären Deckschicht.

Mineralogie: Erdwissenschaftliche Disziplin, in der Mineralien, Kristalle und feste Körper betrachtet werden.

Petrografie (Synonym: Petrologie): Disziplin der Erdwissen schaften, in der Klassifizierung, Entstehung und

Entwicklung der Gesteine untersucht werden.

Paläontologie: Wissenschaft, die sich mit Lebewesen beschäftigt, die während der Erdgeschichte existiert

haben (d. h. seit 3,5 Mrd. Jahren), und die hauptsächlich auf dem Studium von Fossilien beruht. Die Paläontologie

untersucht auch die Gesetze, welche die biologische Evolution steuern.

Stratigrafie: Disziplin der Erdwissenschaften, in der die Abfolge der sedimentären Ablagerungen im Verlauf

der langen Erdgeschichte untersucht wird.

Tektonik: Disziplin der Erdwissenschaften, die den strukturellen Aufbau der Gesamtheit aller Gesteine (Platten,

Gebirgsketten, Decken, sedimentäre Ablagerungen) sowie deren Deformation (Störungen, Falten) in allen

Grössenordnungen untersucht.

Geomorphologie: Disziplin der Erdwissenschaften, welche die Formen des Erdreliefs sowie die Ableitung der

Entstehungsmechanismen und begleitender Prozesse untersucht.

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