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Beginn der<br />
Besatzungszeit: Franz.<br />
Truppen zu Fuß und<br />
zu Pferde haben mit<br />
Geschützen und<br />
Fahrzeugen am 23.<br />
November 18 auf dem<br />
Großen Markt Aufstellung<br />
genommen.<br />
(StA SLS, Bildersammlung)<br />
Zwischen Compiègne und Versailles<br />
Als die französischen Truppen wenige Tage nach<br />
dem Waffenstillstand im Saarland einzogen,<br />
schienen diese Bataillone eher den alten Kräften<br />
in Paris zu gehorchen. Obwohl mit Georges<br />
Clemenceaus ein linksbürgerlicher Politiker die<br />
Regierungsgeschäfte lenkte, blieben rechtskonservative<br />
Kräfte mit oder ohne Regierungsamt<br />
einflussreich, sie waren es vor allem auch,<br />
die auf einen harten Kurs gegenüber dem Kriegsverlierer<br />
Deutschland drängten. Ganz davon<br />
abgesehen spielten die Militärs aller Nationen<br />
ohnehin oft gerne nach eigenen, nicht unbedingt<br />
auf friedliche Völkerversöhnung zielenden Regeln,<br />
ein kalter Nachkrieg, der nicht selten auf Kosten<br />
der Bevölkerung ging. Im Saargebiet, dessen<br />
besondere Rolle in der Nachkriegsordnung sich<br />
bereits in den ersten Monaten des Waffenstillstands<br />
abzeichnete, gab es derartige Übergriffe<br />
auch. Freilich hielten sie sich bei genauerem Hinschauen<br />
doch in sehr viel zivilisierteren Grenzen,<br />
als es die Zeitgenossen empfunden haben mochten<br />
und als es der propagandistische Nachhall<br />
der zwanziger Jahre nach außen vermittelte.<br />
Was dem Konflikt seine besondere Schubkraft<br />
gab, was ihn nachhaltig mit negativer Energie<br />
auflud und die öffentliche Meinung mit den<br />
schlimmsten Phantasien konfrontierte, das war<br />
vor allem die nationale Frage. Oder präziser die<br />
Frage des Nationalgefühls, jenes eigentlich erst<br />
im 19. Jahrhundert entstandenen Sentiments,<br />
das umso explosiver wirkte, je mehr es in einer<br />
gleichsam physisch aggregierten Form daherkam.<br />
Also buchstäblich körperlich spürbar war<br />
und dementsprechend aus und mit der Natur des<br />
Menschen begründet werden konnte. »Was denn<br />
für Blut eigentlich in seinen Adern rollt«, fragte<br />
der Leitartikler in der Saar-Zeitung mit einer<br />
damals überhaupt nicht anders als rhetorisch zu<br />
verstehenden Frage an die Adresse eines Kollegen<br />
im frankophilen Saarlouiser Journal, »Internationales?«<br />
[6] Weil Nationalität über Fleisch<br />
und Blut definiert wurde, war es auch »natürlich«,<br />
dass man nur eine einzige nationale Identität<br />
haben konnte, und zwar diejenige, die einem<br />
angeboren war, deren Wahrung aufs engste mit<br />
der persönlichen Ehre zusammenhing und die es<br />
notfalls unter Einsatz von Leib und Leben zu verteidigen<br />
galt. Umgekehrt gab es in einer solchen<br />
Gedanken- und Gefühlswelt, in einer buchstäblich<br />
verkörperten Nationalität, viele Gefahren<br />
der Verunreinigung und Infizierung mit Fremdkörpern,<br />
die bis hin zu jener »Perversion« führen<br />
konnten, die eigene Nationalität in Frage zu stellen<br />
oder gar zu wechseln.<br />
Um nationale Identität, um deren ehrenhafte<br />
Verteidigung und die vielfältigen Gefahren,<br />
denen sie ausgesetzt war, ging es auch in der<br />
saarländischen Besatzungszeit 1918/19 – gerade<br />
im preußisch-französischen Saarlouis. Am<br />
21. November 1918, so erzählen es die Quellen<br />
im Weißbuch der Regierung von 1921, verließen<br />
die letzten deutschen Truppen Saarlouis, verabschiedet<br />
von den Einheimischen mit Blumen,<br />
Girlanden und Ehrenpforten. Wenige Stunden<br />
später standen schon die Soldaten des französischen<br />
Kriegsgewinners vor den Toren der Stadt,<br />
um hier jedoch alles andere als einen triumphalen<br />
Empfang bereitet zu bekommen. Nur wenige<br />
Einheimische seien auf den Straßen gewesen, ein<br />
einziger habe es gewagt, Vive la France zu rufen<br />
– und der sei deshalb, so behauptete zumindest<br />
die vox populi später, verprügelt worden. Das<br />
Spiel um die Wahrung der nationalen Ehre, die es<br />
umso mehr aufrecht zu erhalten galt, als man um<br />
den militärischen Sieg scheinbar betrogen worden<br />
war, ging am nächsten Tag weiter. Der von<br />
den Franzosen geforderte Empfang von General<br />
Lecomte am Saarlouiser Stadttor durch Bürgermeister<br />
und Stadtverordnete wurde jedenfalls<br />
verweigert, mit der bauernschlauen Begründung,<br />
dass man auch preußischen Militärs niemals derart<br />
entgegen gekommen sei. Im Gobelinsaal des<br />
Rathauses standen Bürgermeister Dr. Peter Gilles,<br />
der an diesem Tag in sein Amt eingeführt worden<br />
war (nachdem tags zuvor die Amtszeit von<br />
Dr. Karl-August Kohlen abgelaufen war) sowie<br />
die Beigeordneten später aber doch zum Rencontre<br />
mit dem General bereit. Der sprach zwar<br />
demonstrativ von den ungezählten »Schandtaten<br />
der Deutschen« im vergangenen Krieg,<br />
[6] Saarlouis in Wahrheit – nicht Dichtung, in: Saar-Zeitung<br />
Nr. 83 v. 12. April 20, S.1.