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Saargeschichten Ausgabe 58/59 (1/2-2020)

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Im »neuen« Landgericht<br />

(dem Vorgängerbau<br />

des<br />

heutigen) an der<br />

damaligen Saarbrücker<br />

Alleestraße<br />

(heute: Franz-Josef-<br />

Röder-Straße) fand<br />

der Prozess gegen SZ-<br />

Redakteur Adolf Franke<br />

wegen Beleidigung<br />

von Minister Hector<br />

statt. (LA SB, BSlg)<br />

längerung von Hectors Mandat im September<br />

1922 anstand, erschien ein Artikel in der Saarbrücker<br />

Zeitung, der diesmal wirklich ganz großes<br />

Geschütz auffuhr. Redakteur Adolf Franke<br />

bezog sich in seinen Ausführungen über den<br />

»Fall Hector« explizit auf die Eingabe der saarländischen<br />

Parteien, die diese »dieser Tage dem<br />

Völkerbundsrat auf dem vorschriftsmäßigen Weg<br />

über die Saarregierung übersandt« hätten. Und<br />

er übte sich in der Beurteilung von Hectors Politik<br />

der Jahre 1919/20 nicht gerade in Zurückhaltung:<br />

»Herr Dr. Hector hat schmachvollen Landesverrat<br />

verübt durch einen gemeinen Betrug«. Noch<br />

bevor Franke diese seine Anklage überhaupt<br />

ausgesprochen oder gar begründet hatte, hatte<br />

er bereits das Urteil über seinen »Angeklagten«<br />

gesprochen: »Herr Dr. Hector mag seine Sachen<br />

packen und das Saargebiet im Eiltempo und für<br />

immer verlassen. Ob er vielleicht nun noch in<br />

Frankreich irgendwo ein Dankasyl findet, das zu<br />

erwägen ist nicht unsere Sache. Vielleicht heißt<br />

es auch: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan<br />

...« Unüberhörbar war da bereits der Ton der spöttischen<br />

Ausgrenzung, der den (nationalen) Diskurs<br />

der 1920er Jahre von allen Seiten dominierte.<br />

Die Nazis haben ihn später aufgenommen und<br />

bis zur mörderischen Konsequenz perfektioniert.<br />

[35]<br />

Unmittelbar unter dem Artikel Frankes erschien<br />

die Meldung, dass Hector abermals vom Völkerbund<br />

für ein weiteres Jahr in seinem Amt bestätigt<br />

worden sei. Die saar-deutsche Öffentlichkeit wird<br />

es als weitere Provokation verstanden und deshalb<br />

mit Genugtuung zur Kenntnis genommen<br />

haben, dass die Saarparteien drei Wochen nach<br />

dem Angriff in der Saarbrücker Zeitung ein zweites<br />

Mal beim Völkerbundsrat antichambrierten,<br />

diesmal auch, um Redakteur Franke dezidiert den<br />

Rücken zu stärken. Spätestens jetzt war der Zeitpunkt<br />

gekommen, dass der schwer beschuldigte<br />

[35] Adolf Franke, Der Fall Hector, in: SZ v. 4. September 1922.<br />

Dr. Hector reagieren musste. Nachdem<br />

er die vorausgegangenen Verbalattacken<br />

offenkundig ignoriert hatte,<br />

war der jetzt im Raum stehende Vorwurf<br />

so schwerwiegend, dass ihm<br />

nichts anderes übrig blieb, als Anzeige<br />

gegen Adolf Franke zu erstatten. Gerade<br />

die nationale Frage war, wie bereits<br />

erwähnt, eine Ehrenfrage, die anders<br />

als im 19. Jahrhundert nun nicht mehr<br />

im Duell, sondern in dessen domestizierter<br />

Form vor Gericht ausgetragen<br />

wurde. Der politische Beleidigungsprozess<br />

gegen den Redakteur Adolf Franke wurde<br />

am 23. Februar 1923 vor der Strafkammer des<br />

Landgerichts Saarbrücken eröffnet. [36]<br />

Verkehrte Welt: der Kläger als Angeklagter<br />

Eigentlich hätte der Prozess gegen Franke und<br />

die Saarbrücker Zeitung schon vier Wochen vorher<br />

stattfinden sollen. Ein Termin war sogar<br />

bereits festgelegt, wurde dann aber wieder aufgehoben.<br />

Die ungewöhnliche Verlegung hatte<br />

einen gewichtigen Grund: Nach einem vorangegangen<br />

politischen Verfahren, deren es so<br />

viele in der Völkerbundszeit gab, musste vom<br />

Obersten Gerichtshof die Frage der Unabhängigkeit<br />

des Gerichts in solchen Fällen geklärt werden.<br />

Erst nachdem die im rechtsstaatlichen Sinne<br />

gewünschte Stärkung der richterlichen Autorität<br />

höchstinstanzlich fixiert worden war, Richter also<br />

nicht mehr durch die Intervention der Regierung<br />

bei politischen Verfahren ausgetauscht werden<br />

konnten, wurde der Franke-Prozess eröffnet.<br />

Schon am ersten Verhandlungstag sollte er de<br />

facto zu einem Hector-Prozess werden.<br />

[36] Zur Logik der Politischen Strafprozesse in den 1920er<br />

Jahren vgl. Linsmayer, Politische Kultur (wie Anm. 1), S.<br />

205–208. Die Prozessakten zum Fall Hector sind wie<br />

die meisten frühen Unterlagen des Saarbrücker Landgerichtes<br />

bedauerlicher Weise durch Kriegseinwirkung<br />

oder Hochwasser verloren gegangen. Zum Glück (und<br />

in dem Fall natürlich auch aus Eigeninteresse) hat die<br />

Saarbrücker Zeitung den Fall damals sehr intensiv begleitet;<br />

dass sie als Betroffene oft auch in eigener Sache<br />

interpretierte, schmälert den insgesamt objektiven<br />

Gesamtbestand der damit erhaltenen Dokumentation<br />

kaum. Die folgenden Seiten beziehen ihre Informationen<br />

aus der ausführlichen Berichterstattung über<br />

die sechs Verhandlungstage in: SZ v. 23./27. Februar 23;<br />

1./4./6./9. März 23 sowie der medialen Würdigung des<br />

Prozesses im Leitartikel: »Ein Sieg der Wahrheit« am 9.<br />

März 1923.

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