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Im »neuen« Landgericht<br />
(dem Vorgängerbau<br />
des<br />
heutigen) an der<br />
damaligen Saarbrücker<br />
Alleestraße<br />
(heute: Franz-Josef-<br />
Röder-Straße) fand<br />
der Prozess gegen SZ-<br />
Redakteur Adolf Franke<br />
wegen Beleidigung<br />
von Minister Hector<br />
statt. (LA SB, BSlg)<br />
längerung von Hectors Mandat im September<br />
1922 anstand, erschien ein Artikel in der Saarbrücker<br />
Zeitung, der diesmal wirklich ganz großes<br />
Geschütz auffuhr. Redakteur Adolf Franke<br />
bezog sich in seinen Ausführungen über den<br />
»Fall Hector« explizit auf die Eingabe der saarländischen<br />
Parteien, die diese »dieser Tage dem<br />
Völkerbundsrat auf dem vorschriftsmäßigen Weg<br />
über die Saarregierung übersandt« hätten. Und<br />
er übte sich in der Beurteilung von Hectors Politik<br />
der Jahre 1919/20 nicht gerade in Zurückhaltung:<br />
»Herr Dr. Hector hat schmachvollen Landesverrat<br />
verübt durch einen gemeinen Betrug«. Noch<br />
bevor Franke diese seine Anklage überhaupt<br />
ausgesprochen oder gar begründet hatte, hatte<br />
er bereits das Urteil über seinen »Angeklagten«<br />
gesprochen: »Herr Dr. Hector mag seine Sachen<br />
packen und das Saargebiet im Eiltempo und für<br />
immer verlassen. Ob er vielleicht nun noch in<br />
Frankreich irgendwo ein Dankasyl findet, das zu<br />
erwägen ist nicht unsere Sache. Vielleicht heißt<br />
es auch: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan<br />
...« Unüberhörbar war da bereits der Ton der spöttischen<br />
Ausgrenzung, der den (nationalen) Diskurs<br />
der 1920er Jahre von allen Seiten dominierte.<br />
Die Nazis haben ihn später aufgenommen und<br />
bis zur mörderischen Konsequenz perfektioniert.<br />
[35]<br />
Unmittelbar unter dem Artikel Frankes erschien<br />
die Meldung, dass Hector abermals vom Völkerbund<br />
für ein weiteres Jahr in seinem Amt bestätigt<br />
worden sei. Die saar-deutsche Öffentlichkeit wird<br />
es als weitere Provokation verstanden und deshalb<br />
mit Genugtuung zur Kenntnis genommen<br />
haben, dass die Saarparteien drei Wochen nach<br />
dem Angriff in der Saarbrücker Zeitung ein zweites<br />
Mal beim Völkerbundsrat antichambrierten,<br />
diesmal auch, um Redakteur Franke dezidiert den<br />
Rücken zu stärken. Spätestens jetzt war der Zeitpunkt<br />
gekommen, dass der schwer beschuldigte<br />
[35] Adolf Franke, Der Fall Hector, in: SZ v. 4. September 1922.<br />
Dr. Hector reagieren musste. Nachdem<br />
er die vorausgegangenen Verbalattacken<br />
offenkundig ignoriert hatte,<br />
war der jetzt im Raum stehende Vorwurf<br />
so schwerwiegend, dass ihm<br />
nichts anderes übrig blieb, als Anzeige<br />
gegen Adolf Franke zu erstatten. Gerade<br />
die nationale Frage war, wie bereits<br />
erwähnt, eine Ehrenfrage, die anders<br />
als im 19. Jahrhundert nun nicht mehr<br />
im Duell, sondern in dessen domestizierter<br />
Form vor Gericht ausgetragen<br />
wurde. Der politische Beleidigungsprozess<br />
gegen den Redakteur Adolf Franke wurde<br />
am 23. Februar 1923 vor der Strafkammer des<br />
Landgerichts Saarbrücken eröffnet. [36]<br />
Verkehrte Welt: der Kläger als Angeklagter<br />
Eigentlich hätte der Prozess gegen Franke und<br />
die Saarbrücker Zeitung schon vier Wochen vorher<br />
stattfinden sollen. Ein Termin war sogar<br />
bereits festgelegt, wurde dann aber wieder aufgehoben.<br />
Die ungewöhnliche Verlegung hatte<br />
einen gewichtigen Grund: Nach einem vorangegangen<br />
politischen Verfahren, deren es so<br />
viele in der Völkerbundszeit gab, musste vom<br />
Obersten Gerichtshof die Frage der Unabhängigkeit<br />
des Gerichts in solchen Fällen geklärt werden.<br />
Erst nachdem die im rechtsstaatlichen Sinne<br />
gewünschte Stärkung der richterlichen Autorität<br />
höchstinstanzlich fixiert worden war, Richter also<br />
nicht mehr durch die Intervention der Regierung<br />
bei politischen Verfahren ausgetauscht werden<br />
konnten, wurde der Franke-Prozess eröffnet.<br />
Schon am ersten Verhandlungstag sollte er de<br />
facto zu einem Hector-Prozess werden.<br />
[36] Zur Logik der Politischen Strafprozesse in den 1920er<br />
Jahren vgl. Linsmayer, Politische Kultur (wie Anm. 1), S.<br />
205–208. Die Prozessakten zum Fall Hector sind wie<br />
die meisten frühen Unterlagen des Saarbrücker Landgerichtes<br />
bedauerlicher Weise durch Kriegseinwirkung<br />
oder Hochwasser verloren gegangen. Zum Glück (und<br />
in dem Fall natürlich auch aus Eigeninteresse) hat die<br />
Saarbrücker Zeitung den Fall damals sehr intensiv begleitet;<br />
dass sie als Betroffene oft auch in eigener Sache<br />
interpretierte, schmälert den insgesamt objektiven<br />
Gesamtbestand der damit erhaltenen Dokumentation<br />
kaum. Die folgenden Seiten beziehen ihre Informationen<br />
aus der ausführlichen Berichterstattung über<br />
die sechs Verhandlungstage in: SZ v. 23./27. Februar 23;<br />
1./4./6./9. März 23 sowie der medialen Würdigung des<br />
Prozesses im Leitartikel: »Ein Sieg der Wahrheit« am 9.<br />
März 1923.