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Buch Ravensong - Auch Tiere haben eine Stimme

Die Autorin Virginia Knaus gibt unseren Wildtieren, vor allem den kleinen, eine Stimme. In spannenden und packenden Interviews schafft sie es, uns mehr Verständnis gegenüber unseren 4-, 8- oder 111- beinigen Mitbewohnern zu vermitteln. In 25 spannenden Interviews erzählen unsere Mitbewohner, wie beispielsweise Anton Ameise, Fritz von Schmeiss-Fliege, Karlchen Käfer und viele mehr, wer sie sind, wie sie leben und auch was sie von uns Menschen erwarten würden. Eine spannende Welt, die sich eröffnet und den kleinen Mitbewohnern ein ganz neues Gesicht verleiht. Das Buch «Ravensong – auch Tiere haben eine Stimme» ist nicht nur für kleine Leser gedacht, sondern auch für grosse. Und auf einem schönen Spaziergang lassen sich vielleicht Edgar Spidermann, Teigeer Schnegel und viele andere Interview-Partner wieder entdecken, und wer weiss, vielleicht erzählen sie euch noch weitere spannende Ereignisse aus ihrem Leben.

Die Autorin Virginia Knaus gibt unseren Wildtieren, vor allem den kleinen, eine Stimme. In spannenden und packenden Interviews schafft sie es, uns mehr Verständnis gegenüber unseren 4-, 8- oder 111- beinigen Mitbewohnern zu vermitteln. In 25 spannenden Interviews erzählen unsere Mitbewohner, wie beispielsweise Anton Ameise, Fritz von Schmeiss-Fliege, Karlchen Käfer und viele mehr, wer sie sind, wie sie leben und auch was sie von uns Menschen erwarten würden.
Eine spannende Welt, die sich eröffnet und den kleinen Mitbewohnern ein ganz neues Gesicht verleiht. Das Buch «Ravensong – auch Tiere haben eine Stimme» ist nicht nur für kleine Leser gedacht, sondern auch für grosse. Und auf einem schönen Spaziergang lassen sich vielleicht Edgar Spidermann, Teigeer Schnegel und viele andere Interview-Partner wieder entdecken, und wer weiss, vielleicht erzählen sie euch noch weitere spannende Ereignisse aus ihrem Leben.

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Virginia Knaus<br />

RAVENSONG<br />

AUCH TIERE HABEN EINE STIMME


Virginia Knaus<br />

RAVENSONG<br />

AUCH TIERE HABEN EINE STIMME


1. Auflage 2020<br />

Gedruckt auf Recycling-Papier<br />

© 2020 Virginia Knaus, NATURZYT Verlag,<br />

Sonnhalde 37, 8602 Wangen<br />

ISBN 978-3-033-07896-3<br />

Redaktion: Virginia Knaus<br />

Umschlaggestaltung: Martina Roth<br />

Illustrationen: Virginia Knaus<br />

Satz: Martina Roth<br />

Korrektorat: Christoph Meyer<br />

Bildbearbeitung: Heinz Weber<br />

Druck und Bindung: Sedruck<br />

www.naturzyt.ch


DANK<br />

Mein Dank gilt allen, die geholfen <strong>haben</strong>, dieses <strong>Buch</strong> zu realisieren. M<strong>eine</strong>r<br />

Grossmutter Hildegard Bohren, welche mich lehrte, allen Dingen in der<br />

Natur mit Respekt zu begegnen. All m<strong>eine</strong>n wunderbaren Gesprächs-<br />

Partnern, die sich mir mit Freude präsentiert <strong>haben</strong>. Und vor allem gilt er<br />

m<strong>eine</strong>m Mann Michael Knaus, welcher mich immer wieder antrieb, dabei<br />

nie die Geduld mit mir verlor, mich immer wieder aufbaute, wenn ich<br />

mit den Interviews haderte, und mich nie für m<strong>eine</strong>n Glauben belächelte.<br />

Danke, dass du mir die Möglichkeit gabst und gibst, diese «tierisch guten<br />

Interviews» zu publizieren.<br />

3


INHALT<br />

Dank 3<br />

Vorwort 5<br />

Anton Ameise 11<br />

Erna Fledermaus 17<br />

Edgar Spiderman 24<br />

Sally Silberfisch 30<br />

Flora Amsel 36<br />

Rupert Rammler 41<br />

Ellie Belle Plattbauch 48<br />

Fritz von Schmeiss-Fliege 56<br />

Sämi Eichhörnchen 62<br />

Elmar von Erpel 69<br />

Teigeer Schnegel 76<br />

Robin Rotkehlchen 82<br />

Jimmy Wusel 90<br />

Shintoku-San 96<br />

Trudchen Taubenschwänzchen 104<br />

Samuel Seal 109<br />

Darius Dachs 115<br />

Pineas und Pherb 124<br />

Karlchen Käfer 132<br />

Olaf Muneli 137<br />

Jessica Chick 143<br />

Columbian Täuberich 150<br />

Gunnar Brachkäfer 158<br />

Alfred Assel 164<br />

<strong>Ravensong</strong> 170<br />

4


VORWORT<br />

Schon seit ich denken kann, habe ich Mutter Natur und ihre Kinder geliebt.<br />

Es gibt k<strong>eine</strong>n Ort, an dem man so bei sich selbst ist, wie draussen, sei es<br />

im Garten, im Wald, an <strong>eine</strong>m See oder in den Bergen. Man bewegt sich<br />

an der frischen Luft, lässt die Blicke schweifen und nimmt sich die Zeit,<br />

sich irgendwo hinzusetzen und zu beobachten, was so um <strong>eine</strong>n herum<br />

passiert. Da sieht man vieles, das kreucht und fleucht, wie Bienen, Hummeln,<br />

Schmetterlinge, aber auch Ameisen, allerlei Käfer, eben all das, was<br />

wir zuhause Ungeziefer nennen. Hier draussen in der Natur ist’s okay, denn<br />

da gehören die schliesslich hin. Ab und an sehen wir auf <strong>eine</strong>r Wiese vielleicht<br />

sogar ein Reh, ein Schneehuhn, <strong>eine</strong> Gämse oder <strong>eine</strong>n Steinbock<br />

in den Bergen, den Fuchs, Dachs oder Marder im nahen Wald. Darüber<br />

freuen wir uns, denn sie sind hübsch anzusehen. Die Natur lebt in all ihren<br />

Facetten, und dafür sollten wir dankbar sein, denn es braucht jedes Individuum,<br />

um den Kreislauf der Natur am Leben zu erhalten.<br />

Stellt euch vor, was wäre, wenn es k<strong>eine</strong> Bienen mehr gäbe. Dieses Beispiel<br />

kennen mittlerweile wohl alle. Es gäbe nicht nur k<strong>eine</strong>n Honig mehr, sondern<br />

auch viele andere Dinge wie Früchte, Beeren, Gemüse, Nüsse etc.<br />

auch nicht, weil die Blüten nicht mehr bestäubt würden. Ein grosser Verlust<br />

für unseren gedeckten Tisch, oder wie sehen Sie das? Und genau so ist<br />

es mit den anderen Lebewesen in unserer Natur auch. Wir verstehen vielleicht<br />

nicht immer, welchen Nutzen sie im Kreislauf der Natur <strong>haben</strong>, aber<br />

seien Sie versichert, sie <strong>haben</strong> <strong>eine</strong>n. Ich bin der Überzeugung, dass jedes<br />

Lebe wesen auf unserem Planeten <strong>eine</strong> Lebensaufgabe hat. Und das jedes<br />

Lebewesen wie wir Freude, Glück, Schmerz, Leid und Trauer empfinden<br />

kann. Nur weil sie andersartig sind, heisst das nicht, dass wir auf sie herabsehen<br />

sollten. Im Gegenteil. Betrachtet man nämlich gewisse Dinge mal<br />

etwas genauer, sieht man, dass da vielleicht, abgesehen von der Optik, gar<br />

nicht so viele Unterscheide zwischen uns herrschen.<br />

Natürlich sind nicht alle unsere Mitbewohner hier auf dieser Erde hübsch<br />

anzusehen, aber das sind ja auch nicht alle Menschen, oder? Die Schönheit<br />

liegt schliesslich immer im Auge des Betrachters und darüber lässt es sich<br />

5


auch nicht streiten. Manche gehen bei Mäusen auf die Tische, dabei sind<br />

die so niedlich, mit ihren kl<strong>eine</strong>n dunklen Knopfaugen, den grossen runden<br />

Öhrchen und den winzigen Trippelfüsschen. Andere grausen sich vor<br />

Insekten wie Spinnen oder Käfern, dabei fürchten sie uns und unsere<br />

Giftsprays, Staubsauger oder Pantoffeln, mit welchen wir sie qualvoll vergiften,<br />

ein saugen oder totschlagen, tausendmal mehr als wir sie. Und doch<br />

sind sie immer in unsere Nähe. Sie <strong>haben</strong> sich an unsere Lebensweise<br />

angepasst. Unsere Lichter ziehen Insekten an, welche wiederum von den<br />

Spinnen verspeist werden. Unsere Gärten ziehen Ameisen an, welche Läuse<br />

züchten, um an Nektar zu kommen, welche wiederum von Ohrwürmern,<br />

Florfliegen und Marienkäfern genascht werden. Sie sehen also, jedes Lebewesen<br />

hat s<strong>eine</strong>n Platz. <strong>Auch</strong> wir. Wir jedoch breiten uns aus, dringen<br />

immer mehr in die Natur vor. Wir machen uns Mutter Erde untertan und<br />

beuten sie aus, um unserer eigenen Bequemlichkeit und unserer Gier<br />

willen, weil wir es können. Dabei wäre es so einfach, miteinander zu leben,<br />

wenn wir uns gegenseitig wieder mehr respektieren würden. Doch dazu<br />

müssen wir umdenken. Wir müssen wieder lernen, genauer hinzuschauen.<br />

Wieso soll ich die Spinne, welche draussen in der Ecke m<strong>eine</strong>s Fensters<br />

ihr Netz gebaut hat, totschlagen? Sie frisst doch die Mücken, welche mich<br />

in der Nacht, während ich schlafe, stechen wollen. Nur weil ich mich vor<br />

ihr ekle? Weil ich Angst habe, sie würde reinkommen und mir über mein<br />

Gesicht laufen, wenn ich schlafe? Glauben Sie mir, das würde sie nicht.<br />

Sie will fressen und wir stehen nicht auf ihrem Speiseplan. Sollte sie sich<br />

doch mal hineinverirren, dann nehmen wir sie vorsichtig mit <strong>eine</strong>m Papier<br />

und <strong>eine</strong>m Becher auf und bringen sie wieder hinaus. Sie wird Ihnen dankbar<br />

sein.<br />

Wir verdammen oft das, was wir nicht kennen, sind mit Glaubens mustern<br />

gross geworden und denken, was nicht unsere Sprache spricht und auch<br />

nicht so aussieht wie wir, sei dumm und wertlos. Dafür können wir meistens<br />

nichts, denn viele wissen es einfach nicht besser. Als Teenager hatte<br />

ich einst <strong>eine</strong>n Disput mit <strong>eine</strong>m Pfarrer im Internat. Er behauptete, dass<br />

<strong>Tiere</strong> dumm und gefühllos seien, und Gott sie erschaffen habe, uns zu<br />

dienen. Ich weiss noch, dass ich ihn damals furchtbar angeschrien habe,<br />

ihn ein Arschloch nannte und nie mehr zu ihm ging. Für mich ist und war<br />

6


es immer ganz klar – auch <strong>Tiere</strong> <strong>haben</strong> <strong>eine</strong> Seele. ALLE! Viele Jahre später<br />

entschloss ich mich, für den Tierrettungsdienst als freiwillige Fahrerin zu<br />

arbeiten. Ich wollte <strong>Tiere</strong>n helfen, und das nicht mit Spenden, sondern mit<br />

m<strong>eine</strong>r Zeit. Ich wollte etwas zum Wohle der <strong>Tiere</strong> tun. Ich habe vieles<br />

erleben dürfen in dieser Zeit. Schönes und Trauriges. Gewisse Dinge taten<br />

mir in der Seele weh, und ich haderte oft mit den Menschen und ihrer Art,<br />

die <strong>Tiere</strong> wie <strong>eine</strong> Sache zu behandeln. Die <strong>eine</strong>n Menschen vergöttern<br />

ihre <strong>Tiere</strong>, ja sie vermenschlichen sie regelrecht. Die anderen behandeln<br />

sie wie Abfall oder quälen sie gar. Heute top – morgen Flop. Sie gestehen<br />

ihnen nicht die geringsten Gefühle zu.<br />

Selbst Menschen, welche für das Tierwohl arbeiten, sind oft ziemlich gefühlskalt.<br />

Wieso? Ich habe oft mit Freunden darüber diskutiert, wieso das<br />

so ist, und <strong>eine</strong> Freundin sagte damals zu mir, weil sie es nicht besser<br />

wüssten. Sie denken nicht darüber nach, und sie versuchen, sich selbst zu<br />

schützen, nichts an sich rankommen zu lassen. Ich versuchte, zu verstehen<br />

und mich damit zu arrangieren, bis ich <strong>eine</strong>s Samstagabends <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong><br />

Krähe, welche wohl aus dem Nest gefallen war, abholen und ins Tierspital<br />

bringen sollte. Ein junges Pärchen hatte die kl<strong>eine</strong> Rabenkrähe verletzt<br />

gefunden und den Tierrettungsdienst alarmiert. Ich rückte damals gegen<br />

22 Uhr aus und holte die Kl<strong>eine</strong> ab, um sie zu begutachten und ins Tierspital<br />

zu transportieren, wo ihr dann geholfen werden sollte. Die Kl<strong>eine</strong><br />

sass in <strong>eine</strong>m Küchentuch wie in <strong>eine</strong>m Nest. Ich setzte sie mitsamt Tuch in<br />

<strong>eine</strong>n Katzenkorb aus Gitter. Die ganze Fahrt über war die Kl<strong>eine</strong> die Ruhe<br />

selbst. Sie sah mich an, ruckelte sich im Tuch zurecht und schloss dann die<br />

Äuglein, um zu schlafen. Als ob sie sagen wollte: Gut, dass du gekommen<br />

bist, ich weiss, du hilfst mir jetzt, damit ich wieder gesund werden darf.<br />

Als ich im Tierspital ankam und mich am Notfall anmeldete, empfing mich<br />

die Dame hinterm Tresen mit den Worten: Was, wegen so <strong>eine</strong>m Scheiss<br />

rückt ihr aus! Ich war so perplex, dass ich nur sagen konnte: Ja, wir rücken<br />

für jedes Tier aus. Ich glaube, sie hatte m<strong>eine</strong>n entsetzten Gesichtsausdruck<br />

gesehen, denn sie meinte, es sei so, dass Krähen zum Abschuss freigegeben<br />

seien, weil es zu viele davon gebe, und dass, sofern kein angehender<br />

Tierarzt Interesse an <strong>eine</strong>r Handaufzucht hätte, die Kl<strong>eine</strong> wohl eingeschläfert<br />

werden würde, da Krähen zutraulich würden und die Scheu vor<br />

7


Menschen verlören. Ich verabschiedete mich bei der kl<strong>eine</strong>n Rabenkrähe<br />

mit den Worten: Du bist <strong>eine</strong> Glückskrähe, du wirst sicher <strong>eine</strong>n Menschen<br />

finden, der dich aufziehen will, und ging. Schockiert erzählte ich daheim<br />

m<strong>eine</strong>m Mann davon, und er sagte: Dann hol sie doch und wir ziehen<br />

sie auf. Ich habe es nicht getan und das bereue ich heute noch zutiefst.<br />

Ich hatte Bedenken, wegen unseren Katzen und weil wir ja nur <strong>eine</strong> Wohnung<br />

hatten und, und, und … Und den ganzen Sonntag hatte ich ständig<br />

das Gefühl, die Kl<strong>eine</strong> riefe nach mir – hol mich hier raus, hol mich hier<br />

raus … Als ich mich am Nachmittag endlich dazu durchgerungen hatte,<br />

am Montag im Tierspital anzurufen und die Kl<strong>eine</strong> zu adoptieren, war<br />

dieses Gefühl weg. Wie ich am Montag dann jedoch erfuhr, nicht weil ich<br />

mich endlich entschieden hatte, sondern weil sie am Sonntag um 15 Uhr<br />

eingeschläfert wurde.<br />

Dieses Erlebnis gab den Ausschlag dazu, dieses <strong>Buch</strong> zu schreiben. Ich<br />

wollte den Menschen begreiflich machen, dass auch <strong>Tiere</strong> <strong>eine</strong> Seele<br />

<strong>haben</strong>. Dass sie wie wir fühlen. Sie lieben, trauern, <strong>haben</strong> Schmerzen,<br />

Angst und sind glücklich – wie wir. Doch wie sollte ich das den Menschen<br />

näherbringen? Vor allem bei <strong>Tiere</strong>n, welche unseren Ekel erregen, wie<br />

Ameisen, Spinnen oder Käfern. Eine Freundin sagte zu mir: Sprich mit<br />

ihnen. Du musst das Ganze aus der Sicht des Menschen sehen. Der Mensch<br />

schützt, was er kennt und was er versteht. Ich habe lange darüber nachgedacht,<br />

wie ich das wohl am besten bewerkstelligen könnte, und da wurde<br />

mir plötzlich klar, wieso für mich <strong>Tiere</strong> denselben Stellenwert wie Menschen<br />

<strong>haben</strong>. Weil sie für mich nicht einfach <strong>Tiere</strong> waren, sondern Persönlichkeiten.<br />

Und ja, wieso nicht mit ihnen sprechen? Wie wäre es wohl,<br />

wenn sie dieselbe Sprache sprächen wie wir? Was würden sie uns erzählen<br />

über sich und ihr Leben? Was könnten wir von ihnen lernen? Was würden<br />

sie sich von uns wünschen? Die Idee war faszinierend. Doch wie konnte ich<br />

das nun an den Menschen bringen? Ein <strong>Buch</strong> schreiben? Was, wenn es<br />

k<strong>eine</strong>n Verleger finden würde? Ich wünschte mir doch, dass ich so viele<br />

Menschen wie möglich damit erreichen würde. Damit sie sehen können,<br />

was ich sehe und immer sah. Ihnen verständlich machen könnte, dass es<br />

uns ALLE braucht, egal wie viele B<strong>eine</strong> oder Augen man hat. Mein Mann<br />

gab mir die Gelegenheit dazu. Er sagte: Ich gebe dir Platz in der NATURZYT.<br />

8


Schreib <strong>eine</strong>n Artikel, du kannst in jeder Ausgabe <strong>eine</strong>n schreiben, solange<br />

du möchtest. Und so wurden die «tierisch guten Interviews» geboren.<br />

Ich gab den <strong>Tiere</strong>n Namen und <strong>eine</strong>n eigenen Charakter und machte sie so<br />

zu <strong>eine</strong>r Persönlichkeit. Damit möchte ich allen, egal ob Mann, Frau oder<br />

Kind, unsere Tierwelt näherbringen. Zeigen, dass jedes einzelne Tier<br />

wichtig ist. In der Hoffnung, dass viele unsere Mitbewohner nun mit<br />

anderen Augen sehen können. Und um hoffentlich noch viel mehr Menschen<br />

damit erreichen zu können, war es mir wichtig, diese Interviews<br />

noch in <strong>eine</strong>m <strong>Buch</strong> zu sammenzufassen. Ich wünsche allen dabei tierisch<br />

viel Spass beim Lesen und Beobachten, wer davon wohl in Ihrer näheren<br />

Umgebung wohnt.<br />

9


ANTON AMEISE<br />

Wir leben in nächster Nähe mit ihnen zusammen, sehen sie überall, doch<br />

wir nehmen sie meist nur am Rande wahr, und wenn, dann empfinden wir<br />

ihre Anwesenheit als lästig und unhygienisch. Ein Volk so gross, dass es<br />

unser Vorstellungsvermögen sprengt. Jedes einzelne Individuum <strong>eine</strong> winzig<br />

kl<strong>eine</strong> Persönlichkeit, sozial, loyal und stärker als Herkules. Also setzen<br />

wir uns hin und nehmen uns Zeit, um hinzusehen und hinzuhören – sie<br />

<strong>haben</strong> uns viel zu sagen und können uns vieles lehren, unsere Mitbewohner<br />

auf dieser Erde, die Ameisen.<br />

Interview mit Anton Ameise, Kolonial-Koordinator aus der Kolonie, welche<br />

sich bei uns auf der Redaktionsterrasse in <strong>eine</strong>m Pflanzentrog niedergelassen<br />

hat. Wir sind anfangs oft aneinandergeraten, weil wir uns nicht wirklich<br />

verstanden. Doch nimmt man sich Zeit und versucht, aufeinander<br />

einzugehen, ja versucht vielleicht sogar, sich einmal in den anderen hineinzuversetzen,<br />

auch wenn es «nur» <strong>eine</strong> Ameise ist, wird das Verständnis<br />

plötzlich grösser, die Verständigung einfacher und irgendwann erwächst<br />

daraus gegenseitiger Respekt. Dann hat man plötzlich das Gefühl, sich mit<br />

ihr wie mit <strong>eine</strong>m guten alten Freund zu unterhalten, und das kann wahrlich<br />

Erstaunliches zu Tage bringen.<br />

Deshalb hat es sich auch aufgedrängt, das erste Interview mit <strong>eine</strong>r Ameise<br />

aus unserer Kolonie zu führen:<br />

Hallo, ich bin Anton und werde euch gerne alle eure Fragen beantworten.<br />

Wir alle <strong>haben</strong> schon lange gewartet, dass jemand sich einmal die Zeit<br />

nimmt und uns nach unserer Meinung fragt. Ihr alle könntet noch viel von<br />

uns lernen. Und ich wurde aus unserer Kolonie ausgewählt, als Vertreter<br />

unseres Volkes, um euch Rede und Antwort zu stehen.<br />

ES FREUT UNS SEHR, DICH KENNEN ZU LERNEN, ANTON. WIR<br />

MÖCHTEN GERNE VIELES VON EUCH ERFAHREN.<br />

Es freut uns auch, dass wir durch dieses Interview endlich <strong>eine</strong> <strong>Stimme</strong><br />

bekommen, und wir sind sicher, dass ihr alles fragen werdet, was wichtig ist.<br />

11


WAS UNS NATÜRLICH ALS ERSTES INTERESSIERT: WIE SEID IHR DENN<br />

EIGENTLICH AUF DIE IDEE GEKOMMEN, EUCH BEI UNS AUF DER<br />

REDAKTIONSTERRASSE NIEDERZULASSEN?<br />

Das war eigentlich gar nicht so geplant. Wir sind ganz einfach mit der<br />

Pflanze eingezogen. Wir waren nur ganz wenige, und anfangs habt ihr uns<br />

auch kaum bemerkt. Es ist nicht immer einfach, mit euch zusammenzuleben,<br />

und das Klima im Pflanzentrog ist auch nicht immer sehr ideal,<br />

aber wir <strong>haben</strong> uns mittlerweile daran gewöhnt und können damit umgehen.<br />

Und mit euch <strong>haben</strong> wir uns inzwischen auch schon gut<br />

zusammengerauft.<br />

VIELEN DANK, DAS FREUT UNS ZU HÖREN. NUN MÖCHTEN WIR<br />

NATÜRLICH AUCH SEHR GERNE WISSEN, WIE ES DENN BEI EUCH<br />

ZUHAUSE AUSSIEHT. UNTERSCHEIDET SICH EUER ZUHAUSE VON<br />

UNSEREM, UND WENN JA, WORIN?<br />

Natürlich unterscheidet sich unser Zuhause ganz wesentlich von eurem.<br />

Wir sind ja schliesslich ganz viele, die da wohnen. Wir <strong>haben</strong> alle unsere<br />

Aufgaben und auch unsere Bereiche, in welchen wir uns regelmässig bewegen.<br />

Ich glaube, jeder, der schon mal <strong>eine</strong> Ameisenfarm gesehen hat,<br />

weiss in etwa, wie unsere Behausungen aufgebaut sind, mit vielen Gängen<br />

und Kammern. Es gibt Kammern zum Lagern von Vorräten, Kinderstuben,<br />

Trainingsräume und Kammern zum Ausruhen und Schlafen. Wir bauen die<br />

ganzen Anlagen so, dass, falls es mal sehr stark regnet, k<strong>eine</strong> der Kammern<br />

voll Wasser läuft. So sind wir sicher und können überleben. Unter der Erde<br />

<strong>haben</strong> wir ein Klima, das sowohl im Sommer als auch im Winter mehr<br />

oder weniger konstant ist. Zumindest ist das normalerweise der Fall. Wir<br />

Pflanzentrog-Bewohner <strong>haben</strong> da manchmal Mühe, weil es im Sommer<br />

sehr heiss werden kann und im Winter ziemlich kalt.<br />

WIR MENSCHEN STREITEN UNS HÄUFIG, WENN WIR SO NAHE BEI­<br />

EINANDER WOHNEN, UND SIND OFT NEIDISCH AUF DAS, WAS DER<br />

ANDERE HAT. KENNT IHR DIESE GEFÜHLE AUCH?<br />

Nein. Für uns ist das Zusammenleben in grossen Gruppen normal, und<br />

k<strong>eine</strong>r ist besser oder schlechter als der andere. Wir teilen alles gerecht<br />

auf, sodass k<strong>eine</strong>r <strong>eine</strong>n Mangel an Benötigtem hat. Wir <strong>haben</strong>, genau wie<br />

12


ihr Menschen, verschiedene Aufgaben und Talente, doch bei uns nutzt<br />

jeder das, was er am besten kann, zum Wohle der ganzen Gemeinschaft.<br />

Zusammen sind wir stark und schaffen Erstaunliches, und die Gemeinschaft<br />

sichert uns unser Überleben.<br />

WELCHE AUFGABE FÄLLT DIR DENN IN DER KOLONIE ZU? WELCHE<br />

AUFGABE HABEN DENN DIE AMEISEN AUF DER ERDE GENERELL, UND<br />

WOVON LEBT IHR?<br />

M<strong>eine</strong> Aufgabe in der Kolonie ist es, alles zu koordinieren. Sodass alles so<br />

läuft, wie es soll, und jeder weiss, was er zu tun hat. Wir sind wie alles in<br />

der Natur ein Teil des natürlichen Kreislaufs. Wir sind <strong>eine</strong> Art Reinigungstrupp.<br />

Das heisst, wir sind sowohl Aasfresser als auch Bauern. Wir verspeisen<br />

verstorbene Insekten, welche wir einsammeln und in unseren Bauen einlagern,<br />

so halten wir die Umgebung sauber, sodass sich k<strong>eine</strong> Krankheiten<br />

ausbreiten können, und schaffen uns Vorräte für den Winter. Wir treffen<br />

aber auch Abkommen mit anderen Insekten. Wie beispielsweise den Blattläusen.<br />

Wir züchten sie, wo sie genug Futter finden, und beschützen sie<br />

gegen ihre Feinde wie beispielsweise Marienkäfer. Im Gegenzug bekommen<br />

wir von ihnen das süsse Sekret, welches sie ausscheiden. So <strong>haben</strong> wir<br />

beide etwas davon.<br />

DAS SIND SEHR WICHTIGE FUNKTIONEN, DIE IHR DA ÜBERNEHMT.<br />

NUN GIBT ES JA SEHR VIELE VERSCHIEDENE AMEISENARTEN. WORIN<br />

UNTERSCHIEDEN SICH DENN DIE VERSCHIEDENEN ARTEN, UND ZU<br />

WELCHER ART GEHÖRT EUER STAMM?<br />

Wir unterschieden uns in Grösse, Farbe, Klicklauten und Verhalten. Ganz<br />

genau so, wie es bei euch Menschen ist. So lange wir uns nicht in die<br />

Quere kommen, halten wir Frieden. Wir vermischen uns aber nie. Wir<br />

sind immer loyal zu unserem Stamm. Unsere Kolonie stammt von den<br />

Schwarzameisen ab.<br />

DANN KENNT IHR ALSO KRIEG AUCH?<br />

Ja, nur unterscheidet sich der Krieg, den wir führen, ganz erheblich von den<br />

Kriegen, die ihr Menschen führt. Wir kämpfen nämlich nur, wenn es um<br />

unser Überleben geht. Nicht wegen der Macht oder des Reichtums.<br />

13


AM ANFANG HABT IHR UNS OFTMALS SEHR GEZWICKT, WENN WIR<br />

DRAUSSEN AM TISCH REDAKTIONSSITZUNGEN HIELTEN, OBWOHL WIR<br />

EIGENTLICH NUR DAGESESSEN HABEN. ROTE AMEISEN PINKELN UNS<br />

MENSCHEN AUCH OFT AN. DESHALB GREIFEN VIELE ZUR GIFTKEULE<br />

ODER TRAMPELN VIELE AMEISEN EINFACH ZU TODE. WESHALB TUN<br />

AMEISEN DENN DAS? UND WAS KÖNNEN WIR TUN, UM EIN RESPEKT­<br />

VOLLES ZUSAMMENLEBEN MÖGLICH ZU MACHEN, OHNE GLEICH ZU<br />

GIFT ZU GREIFEN?<br />

Diese Frage ist ganz einfach zu beantworten. Wir fühlen uns von euch bedroht.<br />

Versetzt euch doch mal in unsere Lage. Ihr seid Riesen für uns, und<br />

ihr könnt uns mit Leichtigkeit zerquetschen, indem ihr nur mal kurz mit<br />

dem grossen Zeh zuckt. Also versuchen wir, euch so schnell wie möglich<br />

von da, wo wir sind, zu vertreiben. Dazu benutzen wir unsere Kneifer und<br />

die Roten ihre Säure. Das ist aber nicht persönlich gemeint. Wir <strong>haben</strong> einfach<br />

schon zu viele schlechte Erfahrungen mit euch Menschen gemacht.<br />

Was ihr nicht versteht und auch nicht eurem Schönheitsideal entspricht,<br />

wird vernichtet. Dabei wäre es so einfach. Wenn ihr euch nur mal die Zeit<br />

nehmen und uns genauer betrachten würdet, dann würdet ihr vielleicht erkennen,<br />

dass auch wir ein Teil der Schöpfung sind. Sprecht doch einfach<br />

mit uns und bittet uns, uns an gewisse Bereiche der Terrasse oder des Gartens<br />

zu halten. Klärt uns vorher auf, wenn ihr fegen wollt oder mäht. Wir<br />

verstehen euch schon. <strong>Auch</strong> ab und zu ein kl<strong>eine</strong>s Geschenk in Form von<br />

etwas Schinken oder Zucker wissen wir durchaus zu schätzen. Wenn wir<br />

merken, dass ihr uns mit Respekt behandelt, werden wir euch das danken.<br />

Wir sind genauso ein Teil dieser Erde wie ihr und <strong>haben</strong> genau dasselbe<br />

Recht, auf ihr zu leben, wie ihr.<br />

ES GIBT FILME, IN DENEN ES KILLERAMEISEN GIBT, DIE DIE MENSCH­<br />

HEIT AUSROTTEN. WENN MAN ES RECHT BEDENKT, KÖNNTET IHR<br />

DAS TATSÄCHLICH TUN. ES GIBT JA SCHLIESSLICH UNZÄHLIGE AMEI­<br />

SEN AUF DER WELT. HABT IHR EUCH NIE ÜBERLEGT, WIE ES WÄRE,<br />

DAS ZU TUN?<br />

Was hätten wir denn für <strong>eine</strong>n Nutzen daraus? Nur weil es dann niemanden<br />

mehr gäbe, der die Giftkeule schwingt? Ihr nehmt euch einfach zu<br />

wichtig. Wir denken nicht wie ihr. Die Natur ist ein steter Kreislauf von<br />

14


Werden und Vergehen. Ausserdem gibt es schliesslich auch noch andere<br />

Feinde, welche uns fressen wollen. Das gehört zum natürlichen Kreislauf<br />

dazu.<br />

ANTON, GIBT ES ETWAS, DAS IHR UNS MENSCHEN GERNE SAGEN<br />

WÜRDET? WAS KÖNNEN WIR VON EUCH LERNEN?<br />

Ihr Menschen habt noch vieles zu lernen. Nicht nur von uns, sondern von<br />

vielen anderen Lebewesen auch. Wir würden euch gerne sagen, dass ihr<br />

euch nicht immer so wichtig nehmen sollt. <strong>Auch</strong> ihr seid nur ein Teil dieser<br />

Erde. Sie braucht euch nicht, aber ihr braucht sie. Also tragt Sorge zur Natur<br />

und schützt sie. Ihr zerstört nicht nur unseren Lebensraum, sondern auch<br />

euren. Lernt von uns, ihn zu erhalten, und dass ihr in der Gemeinschaft<br />

stark seid, dass jeder sein Talent zum Nutzen aller anbieten sollte. Seht<br />

euch als Teil des natürlichen Kreislaufs an, in der jeder s<strong>eine</strong> Funktion hat<br />

und s<strong>eine</strong>n Teil zum Wohle aller beisteuert. Respektiert alles Leben auf<br />

unserer Welt und geht auch miteinander respektvoll um. Wenn <strong>eine</strong>r etwas<br />

nicht all<strong>eine</strong> bewältigen kann, dann macht es wie wir – helft einander. Versucht<br />

nicht ständig, Beherrscher der Erde zu sein, sondern seid liebevolle<br />

Bewohner, die Mutter Erde wertschätzen.<br />

VIELEN DANK, ANTON, FÜR DIESE WEISEN WORTE. HOFFENTLICH<br />

WERDEN WIR NOCH VIELE GESPRÄCHE FÜHREN KÖNNEN.<br />

Das werden wir bestimmt, und es war mir ein ganz besonderes Vergnügen,<br />

dieses Interview mit euch im Namen von uns Ameisen zu führen. Wir<br />

hoffen, dass wir damit viele Menschen zum Nachdenken bringen.<br />

15


ERNA FLEDERMAUS<br />

Auf lautlosen Schwingen ziehen sie durch die hereinbrechende Nacht.<br />

Die <strong>eine</strong>n sind fasziniert von ihren Fähigkeiten, bei den anderen schüren<br />

sie Unbehagen. Blutsaugende Vampire oder doch eher nützliche Mückenvertilger?<br />

Eine Spezies, so geheimnisvoll wie <strong>eine</strong> Vollmondnacht. Die<br />

Fledermaus.<br />

Als wir <strong>eine</strong>s frühen Morgens in die Redaktion kamen, sahen wir ein<br />

haariges, dunkelbraunes Etwas an der Wand, welches von Weitem gesehen<br />

entfernt <strong>eine</strong>r Tarantel oder Vogelspinne glich. Der Schreck war<br />

gross, wandelte sich aber in Erstaunen, als wir sahen, dass unser Gast <strong>eine</strong><br />

kl<strong>eine</strong> Fledermaus war. Sie musste wohl noch spätabends unbemerkt durch<br />

ein offenes Fenster hereingekommen sein. Also flugs <strong>eine</strong>n Karton, <strong>eine</strong>s<br />

dieser viereckigen Lineale und ein Küchentuch gepackt und schon war<br />

<strong>eine</strong> Tagesunterkunft für die Kl<strong>eine</strong> gebastelt. Nur noch auf die Redaktionsterrasse<br />

stellen und die Kl<strong>eine</strong> konnte gehen, wann immer sie wollte. Zum<br />

Dank dafür war sie bereit, mit uns das nächste Interview zu führen.<br />

Hallo, mein Name ist Erna Fledermaus, und ich vertrete m<strong>eine</strong> Spezies im<br />

heutigen Interview. Es gibt vieles, dass ihr von uns nicht wisst. Und vieles<br />

werden wir euch auch nie verraten.<br />

HALLO LIEBE ERNA, VIELEN DANK, DASS DU DIESES INTERVIEW MIT<br />

UNS MACHST. WIR HABEN EINIGE FRAGEN AN DICH, DIE ERSTE<br />

GLEICH VORWEG: WESHALB WERDET IHR UNS VIELES NIE VERRATEN?<br />

Weshalb müsst ihr Menschen immer alles wissen? Es gibt einfach Dinge,<br />

die braucht ihr nicht zu wissen. Weil sie erstens nicht wissenswert für euch<br />

sind, und euch zweitens auch nicht immer alles etwas angeht.<br />

JA, DER MENSCH IST WOHL DOCH EIN SEHR NEUGIERIGER ZEIT­<br />

GENOSSE. IST ES DENN FALSCH, ALLES VERSTEHEN ZU WOLLEN?<br />

Nein, falsch ist es nicht. Doch müsst ihr auch lernen, dass es gewisse<br />

Dinge im Leben gibt, die einfach so sind, wie sie sind. Ausserdem muss<br />

man schliesslich nicht jeden Mythos entzaubern, nicht wahr?!<br />

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ALSO GUT, DA HAST DU WOHL RECHT. EINIGES WISSEN WIR JA SCHON<br />

ÜBER EUCH FLEDERTIERE. SO ZUM BEISPIEL, DASS IHR EUREN WEG IM<br />

DUNKELN VIA ULTRASCHALLSIGNALE FINDEN KÖNNT UND EURE BEUTE<br />

AUCH SO ORTET. AUSSERDEM GIBT ES JA VERSCHIEDENE ARTEN VON<br />

FLEDERTIEREN. WELCHER GATTUNG GEHÖRST DU DENN AN, LIEBE ERNA?<br />

Ich bin <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Abendseglerin und gehöre zu den Insektenfressenden<br />

Fledertieren, welche in Siedlungsräumen jagen.<br />

ALSO BIST DU KEIN BLUTSAUGER? KANNST DU UNS TROTZDEM<br />

ETWAS ÜBER DIESE GATTUNG ERZÄHLEN? MÜSSEN WIR ANGST<br />

VOR VAMPIR-FLEDERMÄUSEN HABEN ODER IST DAS EHER EINE ER­<br />

FINDUNG VON BRAM STOKER?<br />

Nein, ich gehöre nicht zu den Blutsaugern. Vampir-Fledermäuse leben<br />

zwar vom Blut ihrer Beute, aber sie töten sie nicht. Eigentlich ritzen sie nur<br />

die Haut auf, um zu trinken. Man könnte das entfernt mit <strong>eine</strong>m Blutegel<br />

oder <strong>eine</strong>r Zecke vergleichen. Todesopfer gibt es nur, wenn es zu viele<br />

Fleder mäuse und zu wenig Beutetiere gibt. Es sind schliesslich auch schon<br />

Elche gestorben, weil sie Hunderte von Zecken im Pelz stecken hatten.<br />

Den schlechten Ruf <strong>haben</strong> sie wohl eher Dracula zu verdanken. Ausserdem<br />

gibt es ja nicht nur die Insektenfressenden und die blutsaugenden<br />

Fledertiere, sondern es gibt auch noch die Gattung derer, die Obst gerne<br />

mögen und auch Nektar trinken. Die tragen dazu bei, dass verschiedene<br />

Pflanzen bestäubt werden und sich so weiterverbreiten können.<br />

APROPOS VERBREITUNG, SPRICH VERMEHRUNG: WIR WISSEN, DASS<br />

IHR MEIST NUR EIN JUNGES PRO JAHR ODER MANCHMAL BEI<br />

EINIGEN ARTEN AUCH ZWILLINGE BEKOMMT UND DASS DIE MÄNN­<br />

CHEN DER FLEDERTIERE DIE WEIBCHEN, HÖCHST UNROMANTISCH,<br />

IM HALBSCHLAF BEGATTEN. FASZINIEREND IST AUCH, DASS IHR DEN<br />

SAMEN SO LANGE AUFBEWAHREN KÖNNT, BIS DER RICHTIGE ZEIT­<br />

PUNKT DA IST, DAS JUNGE AUCH ZU BEKOMMEN. WAS ABER UN­<br />

GLAUBLICH IST, IST DIE PURE VORSTELLUNG, DASS IHR EURE JUNGEN<br />

KOPFÜBER HÄNGEND BEKOMMT. IST DAS NICHT ENORM SCHWIERIG,<br />

UND LÄUFT IHR DA NICHT GEFAHR, EURE KLEINEN ZU VERLIEREN,<br />

INDEM SIE NACH DER GEBURT GLEICH AUF DEN BODEN FALLEN?<br />

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Tja, die Geburt ist wohl genauso schmerzhaft und schwierig, wie wenn ihr<br />

ein Kind bekommt. Da wir aber in Verbänden in sogenannten Wochenstuben<br />

gebären, können wir uns wenn nötig auch gegenseitig unterstützen.<br />

Es ist auf jeden Fall sehr selten, dass ein Kl<strong>eine</strong>s runterfällt.<br />

Normalerweise klammert es sich sofort reflexartig am Bauch des Muttertieres<br />

fest.<br />

WIR ALLE HABEN SCHON MAL EINEN KOPFSTAND GEMACHT, UND<br />

DAS WURDE MIT DER ZEIT RECHT UNANGENEHM, WEIL UNS DAS<br />

GANZE BLUT IN DEN KOPF SCHOSS. IHR JEDOCH SCHLAFT KOPFÜBER.<br />

KANNST DU UNS ERKLÄREN, WESHALB DAS SO IST, UND IST ES<br />

DENN FÜR EUCH NICHT UNANGENEHM, WENN EUCH DAS GANZE<br />

BLUT IN DEN KOPF SCHIESST? UND WAS, WENN IHR MITTEN IN<br />

DER SCHLAFPHASE MAL MÜSST?<br />

Auf diese Frage habe ich schon gewartet. Das Ganze nennt man Evolution.<br />

Wir <strong>haben</strong> uns ganz einfach so entwickelt. Es passt zu unserer Lebensart<br />

und unserem Lebensraum bzw. unseren bevorzugten Wohnorten.<br />

Unsere Unterkünfte sind so geschaffen, dass wir uns prima hinhängen<br />

können, um uns auszuruhen, und unser Organismus ist so konzipiert, dass<br />

wir damit k<strong>eine</strong> Mühe <strong>haben</strong>, wenn wir kopfüber hängen. Und wenn wir<br />

mal müssen, ist das ja nicht so, als wären wir festgebunden. Dann fliegen<br />

wir kurz weg, um uns zu erleichtern. Ganz genauso, wie wenn ihr des<br />

Nachts zur Toilette geht. Also streicht eure Vorstellung, wie wir uns den<br />

Pelz schmutzig machen. Wir sind äusserst reinliche <strong>Tiere</strong>.<br />

BITTE ENTSCHULDIGE, ERNA, SO WAR DAS NICHT GEMEINT. WIR<br />

WOLLTEN EUCH NICHT ZU NAHE TRETEN. GIBT ES NOCH IRGEND­<br />

ETWAS, WAS IHR UNS MENSCHEN GERNE SAGEN WÜRDET, UND<br />

WAS KÖNNEN WIR FÜR EUCH TUN, UM EUCH ZU HELFEN?<br />

Das weiss ich doch, ihr braucht euch nicht zu entschuldigen. Ihr könnt uns<br />

unterstützen mit Unterkünften und damit, dass ihr nicht unser Essen<br />

(Insekten) vergiftet. Hängt euch doch so <strong>eine</strong>n Fledermaus-Kasten ans<br />

Haus und wir halten dafür im Gegenzug euer Heim von Ungeziefer frei.<br />

So können wir gut miteinander und nebeneinander leben.<br />

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Es gäbe vieles, was wir euch Menschen noch gerne sagen würden. Aber<br />

<strong>eine</strong>s ist wirklich wichtig. Nehmt euch ein Beispiel an uns. Wir leben in<br />

grossen Verbänden und sind sehr sozial. Wir kennen k<strong>eine</strong> Rangordnung.<br />

Bei uns ist jeder gleich viel wert und jeder hat s<strong>eine</strong>n Platz.<br />

Wir halten uns gegenseitig warm, weil es uns hilft, unsere eigenen Ressourcen<br />

zu schonen, und wenn wir überwintern, ist es egal, ob es <strong>eine</strong><br />

Zwergfledermaus, <strong>eine</strong> Hufeisennase oder ein braunes Langohr ist. Wir<br />

bewohnen dann alle denselben Unterschlupf, egal, was für <strong>eine</strong>r Unterkategorie<br />

unserer Rasse <strong>eine</strong>r angehört. Am Ende sind wir doch alles<br />

Fledertiere. Und ihr … am Ende seid ihr doch alles Menschen, oder nicht?!<br />

Also denkt darüber mal nach.<br />

JA, DAS IST WAHRLICH ETWAS, WAS WIR MENSCHEN VON EUCH<br />

LERNEN SOLLTEN. VIELEN DANK FÜR DIESEN WEISEN RAT. ES WAR<br />

UNS EINE EHRE UND EINE FREUDE, DIESES INTERVIEW MIT DIR<br />

ZU FÜHREN. WIR WÜNSCHEN DIR ALLES GUTE FÜR DIE ZUKUNFT<br />

UND HOFFEN, WIEDER EINMAL VON DIR ZU HÖREN.<br />

Ich bin sicher, dass wir uns noch oft unterhalten werden. <strong>Auch</strong> mir war es<br />

<strong>eine</strong> Freude, euch <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Einblick in unsere Lebensweise zu geben<br />

und euch vielleicht auch etwas gelehrt zu <strong>haben</strong>.<br />

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21


EDGAR SPIDERMAN<br />

Von tödlich giftig bis absolut harmlos. Dicht behaart oder fast nackt. Winzig<br />

klein oder riesengross. Sie spalten die Meinungen der Menschen. Die <strong>eine</strong>n<br />

lieben sie, halten sie sogar als Haustiere – die anderen ekeln sich. Einige<br />

fürchten sich sogar vor ihnen – dem Albtraum aus Jeremias Gotthelfs<br />

<strong>Buch</strong> –, den Spinnen.<br />

Da sitzen wir am Schreibtisch, redigieren die Texte, wählen optimale Bilder<br />

aus und auf einmal springt etwas über den Tisch. Was war das? Da, mitten<br />

in der Bildauswahl für die neue NATURZYT, sitzt etwas Schwarzes. Eine<br />

Fliege, denke ich, aber nein, es ist <strong>eine</strong> Spinne – acht Augen schauen mich<br />

an – und sie sieht im ersten Moment komisch aus. Bei näherer Betrachtung,<br />

nach dem ersten Schreck, ein faszinierendes Tier. Was soll man sagen<br />

... Ach ja, ein Hinweis fürs nächste Interview. Also Block raus, Kamera an.<br />

Hallo, mein Name ist Edgar Spiderman und ich vertrete m<strong>eine</strong> Spezies im<br />

heutigen Interview. Heute können wir hoffentlich mit ein paar Vorurteilen<br />

uns gegenüber aufräumen.<br />

HALLO, LIEBER EDGAR, ES IST SCHÖN, DASS DU MIT UNS DIESES IN­<br />

TERVIEW FÜHREN WILLST. WIR HABEN EIN PAAR FRAGEN VORBEREI­<br />

TET, DIE HOFFENTLICH DABEI HELFEN, DASS WIR MENSCHEN EUCH<br />

AUCH MAL MIT ETWAS ANDEREN AUGEN SEHEN.<br />

Ja, das wäre auch unser Wunsch. Was möchtet ihr denn gerne über<br />

uns erfahren?<br />

ZUERST MÖCHTEN WIR NATÜRLICH GERNE MEHR ÜBER DICH WISSEN.<br />

ZU WELCHER GATTUNG GEHÖRST DU UND WAS SIND DENN DIE SPE­<br />

ZIALITÄTEN DEINER GATTUNG?<br />

Ich bin <strong>eine</strong> sogenannte Zebra-Springspinne und gehöre zur Gattung der<br />

Webspinnen. Wir sind die am meisten vertretene Art in dieser Gattung.<br />

WAS SIND DENN DIE AUFFÄLLIGSTEN MERKMALE, DIE EUCH VON<br />

ANDEREN SPINNENTIEREN UNTERSCHEIDEN?<br />

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Du meinst sowas wie, weshalb wir die coolsten und lustigsten Spinnen aller<br />

Arten sind, richtig?<br />

GENAU, SOWAS IN DER RICHTUNG.<br />

Dann schau mir in die Augen, Kl<strong>eine</strong>s … nicht in alle acht, sondern nur in<br />

die beiden vorne am Kopf. Wie du siehst, sind die beiden vorne am Kopf<br />

viel grösser als die anderen sechs. Das ist so, weil wir in diesen Augen Glaskörper<br />

<strong>haben</strong> und somit nicht nur die bestaussehenden Spinnen sind,<br />

sondern auch die, die am besten sehen können. Mit diesen Augen können<br />

wir nicht nur betören, sondern wir erkennen auch unsere Beute, Feinde<br />

und hübsche Spinnenmädchen auf <strong>eine</strong> Distanz von bis zu 30 Zentimetern.<br />

DAS IST WIRKLICH COOL. UND MIT LUSTIGSTEN SPINNEN MEINST DU DOCH<br />

SICHER, WEIL IHR SO LUSTIG IN DER GEGEND HERUMSPRINGT, ODER?<br />

Nein, wir sind die lustigsten, weil wir so viel Humor <strong>haben</strong>. Wir pflegen<br />

nicht einfach so in der Gegend herumzuspringen. Wir lauern auf Beute,<br />

pirschen uns strategisch heran, und wenn wir nahe genug sind, dann<br />

springen wir sie an und erlegen sie. Da wir so gut sehen, sind wir die einzigen<br />

Spinnen, die auch tote Beute erkennen können. Die müssen wir dann<br />

auch nicht mehr anspringen.<br />

SPINNT IHR EIGENTLICH AUCH FANGNETZE?<br />

Nein, das ist bei unserer Technik nicht nötig.<br />

DANN HABT IHR ALSO GAR KEINE SPINNENSEIDE?<br />

Natürlich <strong>haben</strong> wir Spinnenseide. Wir sind schliesslich auch Spinnen. Nur<br />

weben wir k<strong>eine</strong> Netze damit, um Beute zu fangen, sondern wir brauchen<br />

sie, um Ei-Kokons herzustellen oder als Sicherungsseil, wenn wir wie Akrobaten<br />

von Blatt zu Blatt springen oder uns wie Bungee-Jumper nach unten<br />

auf Beute stürzen. Falls wir unser Ziel mal verfehlen, was sehr selten vorkommt,<br />

können wir uns immer wieder hochziehen und an den Ausgangspunkt<br />

zurückkehren.<br />

DU HAST VORHIN MAL HÜBSCHE SPINNENMÄDCHEN ERWÄHNT. BEI<br />

UNS NENNT MAN FRAUEN, DIE EINEN MÄNNERVERSCHLEISS HABEN,<br />

25


SCHWARZE WITWEN, WEIL DIESE JA BEKANNTLICH IHRE FREIER NACH<br />

DER PAARUNG FRESSEN. WIE IST DAS EIGENTLICH BEI EUCH, EDGAR.<br />

LÄUFST DU AUCH GEFAHR, GEFRESSEN ZU WERDEN, WENN DU EIN<br />

PASSENDES MÄDCHEN FINDEST?<br />

Es ist schon speziell bei uns. Da wir eigentlich alles, was kl<strong>eine</strong>r als wir ist,<br />

als Beute betrachten, laufen wir Männchen immer Gefahr, gefressen oder<br />

zumindest verletzt zu werden, da unsere Weibchen meist grösser als wir<br />

sind. Aber dafür <strong>haben</strong> wir ja spezielle Tänze und andere Merkmale, wie<br />

zum Beispiel schöne, schillernde, farbige Haare, die wir benutzen, um<br />

unsere Weibchen milde zu stimmen und zu beruhigen. Man muss halt<br />

ein Frauen-Versteher sein, dann verliert man vielleicht höchstens mal ein<br />

Bein und nicht gleich sein Leben.<br />

NA, DA BIN ICH ABER FROH, DASS ICH EIN MENSCH BIN, WOBEI: ICH<br />

WÄR JA DANN EIN WEIBCHEN … SPASS BEISEITE, GIBT ES NOCH<br />

IRGENDETWAS, WAS DU UNS GERNE SAGEN MÖCHTEST, EDGAR,<br />

ETWAS, DAS DU UNS MENSCHEN ALS RATSCHLAG EURER RASSE<br />

MIT AUF DEN WEG GEBEN MÖCHTEST?<br />

Ich möchte euch gerne sagen, dass Schönheit immer im Auge des Betrachters<br />

liegt. Also bitte, schaut uns mal ganz genau an und ekelt euch nicht vor<br />

uns. Weshalb solltet ihr uns also fürchten, ihr seid viel grösser als wir und<br />

könntet uns mit Leichtigkeit zerquetschen, deshalb gehen wir euch aus<br />

dem Weg, so gut es eben geht. Wir halten eure Umgebung so gut wie<br />

möglich mücken- und fliegenfrei auf ganz biologische Weise. Wir können<br />

gut zusammenleben, wenn wir uns gegenseitig respektieren und uns Raum<br />

geben. Also versuchen wir’s doch einfach mal miteinander.<br />

VIELEN LIEBEN DANK, EDGAR, FÜR DIESES TOLLE, FRÖHLICHE GESPRÄCH.<br />

ES HAT UNS RIESIG SPASS GEMACHT UND WIR WÜNSCHEN DIR ALLES<br />

GUTE FÜR DIE ZUKUNFT.<br />

Danke, auch ich fand es sehr schön, mit euch zu plaudern, und ich wünsche<br />

euch viel Erfolg für die Zukunft. Tanzt, lacht, seid fröhlich und geniesst<br />

das Leben jede Sekunde.<br />

26


27


SALLY SILBERFISCH<br />

Schillernd und flink wie winzige Quecksilber-Tröpfchen sausen sie des<br />

Nachts in unseren Badezimmern und Küchen umher. Grässliches Ungeziefer<br />

oder vielleicht doch ein Nützling? Die Meinungen darüber gehen<br />

weit auseinander, die Wahrheit muss jeder für sich selbst finden.<br />

Jeder von uns hat sicher schon mal ein kl<strong>eine</strong>s Silberfischchen irgendwo im<br />

Haus entdeckt, sei es in der Besteckschublade in der Küche oder im Lavabo<br />

im Bad. Sogleich schreit man: «Iiiih, ein Silberfischchen, wie unhygienisch.»<br />

Heute wollen wir mit ein paar Vorurteilen aufräumen.<br />

<strong>Auch</strong> uns in der NATURZYT-Redaktion ging es nicht viel anders. Als wir uns<br />

vor der Redaktionssitzung noch <strong>eine</strong>n Kaffee holten, sass da tatsächlich<br />

so ein kl<strong>eine</strong>s Etwas in unserer Besteckschublade und glänzte mit den<br />

Löffeln um die Wette. Somit war auch der nächste Interviewgast bereit<br />

zum Gespräch.<br />

Hallo, mein Name ist Sally Silberfisch und ich darf m<strong>eine</strong> Spezies im<br />

heutigen Interview vertreten. Ich hoffe, wir werden dadurch ein besseres<br />

Verständnis füreinander bekommen.<br />

HALLO, LIEBE SALLY, ES IST SCHÖN, DASS DU DICH FÜR DIESES GE­<br />

SPRÄCH ZUR VERFÜGUNG STELLST. AUCH WIR HOFFEN, DASS WIR<br />

DADURCH EIN PAAR MISSVERSTÄNDNISSE BESEITIGEN KÖNNEN.<br />

Davon bin ich überzeugt.<br />

SAG MAL, SALLY, WESHALB HALTEN WIR MENSCHEN EUCH EIGENTLICH<br />

FÜR UNHYGIENISCHES UNGEZIEFER?<br />

Tja, das können wir echt auch nicht nachvollziehen. Wir sind eigentlich<br />

ganz saubere kl<strong>eine</strong> Tierchen. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir sechs<br />

B<strong>eine</strong> <strong>haben</strong> und <strong>eine</strong>n dreiteiligen Schwanz. Oder aber vielleicht auch<br />

daran, dass wir Insekten sind und Menschen einfach generell k<strong>eine</strong><br />

Insekten mögen. An unserem glänzenden Körper kann es wohl kaum<br />

liegen, oder?<br />

30


NAJA, VIELLEICHT DOCH. DADURCH, DASS ER SO METALLEN GLÄNZT,<br />

ERWECKT DAS DEN EINDRUCK, DASS EUER KÖRPER FEUCHT UND<br />

GLITSCHIG IST. SOWAS EMPFINDEN WIR MENSCHEN ALS EKLIG.<br />

WAHRSCHEINLICH IST DAS GENAU DAS PROBLEM. WIE IST DAS<br />

EIGENT LICH, KOMMT IHR SCHON MIT SO SILBERFARBENEN KÖR-<br />

PERN AUF DIE WELT, UND WAS HAT ES MIT EUREM DREITEILIGEN<br />

SCHWANZ AUF SICH?<br />

Also unsere Körper sind weder feucht noch glitschig. Im Gegenteil. Sie sind<br />

warm und ganz fein wie Seide.<br />

SO ÄHNLICH WIE BEI SCHLANGEN?<br />

Ja genau, so in etwa. Silberfarben sind wir, weil wir wie Fische Schuppen<br />

<strong>haben</strong>. Die silberne Farbe <strong>haben</strong> wir aber nicht von Geburt an. Die<br />

bekommen wir erst, nachdem wir uns das dritte Mal gehäutet <strong>haben</strong>. Und<br />

unser dreiteiliger Schwanz ist auch, wie unsere beiden Fühler vorne, ein<br />

Tast organ. Es hilft uns, wie <strong>eine</strong>m Blinden, besser zu sehen im Dunkeln.<br />

IHR SEID JA VOR ALLEM IN DER NACHT AKTIV. SEHT IHR DENN ÜBER­<br />

HAUPT ETWAS?<br />

Ja, wir können schon sehen, aber halt nicht sehr gut. Dafür gleichen wir<br />

das mit unserem Tastsinn aus.<br />

MEISTENS SIEHT MAN EUCH JA, WENN MAN DES NACHTS ZUR TOI­<br />

LETTE MUSS UND DAZU DAS LICHT ANMACHT, NOCH SCHNELL WEG­<br />

HUSCHEN. ODER WENN MAN MAL EINE KÜCHENSCHUBLADE AUF­<br />

ZIEHT, DIE SCHON LÄNGER NICHT MEHR AUFGERÄUMT WURDE.<br />

WARUM HALTET IHR EUCH EIGENTLICH MIT VORLIEBE AN SOLCHEN<br />

ORTEN AUF?<br />

Wir mögen Orte, an denen es warm ist und <strong>eine</strong> hohe Luftfeuchtigkeit<br />

herrscht. Da bieten sich Badezimmer und Küchen geradezu an.<br />

KRIECHT IHR AUCH IN MEHLSÄCKE UND SONSTIGE VORRATSDOSEN<br />

HINEIN, FRESST EUCH DURCH UND LEGT DORT DANN EURE EIER AB?<br />

Ihr meint etwa so wie die Küchensc<strong>haben</strong>?<br />

31


JA GENAU.<br />

Nein, das tun wir nicht. Wir sind k<strong>eine</strong> Schädlinge. Zumindest nicht so, wie<br />

ihr das versteht. Wir kriechen gerne hinter lose Tapeten oder Sockelleisten.<br />

Oder aber wir verstecken uns in kl<strong>eine</strong>n dunklen Ritzen und Fugen. Wir<br />

sind eben nur sehr klein, werden kaum viel grösser als <strong>eine</strong>n Zentimeter.<br />

Da brauchen wir nicht viel Platz.<br />

ABER IHR MÜSST JA VON ETWAS LEBEN. WAS FRESST IHR DENN,<br />

WENN NICHT UNSERE LEBENSMITTEL?<br />

Wir lieben Kohlehydrate wie Zucker oder Stärke. Ausserdem gehören wir zu<br />

den wenigen Lebewesen, die Zellulose verdauen können. Ich gebe zu, wir<br />

<strong>haben</strong> <strong>eine</strong> Schwäche für Bücher, Tapeten und Fotos wegen des Klebers.<br />

Aber wir benagen auch Schimmelpilze und vermindern diese dadurch.<br />

Ebenso befreien wir euch von Hausstaubmilben, toten Insekten, Haaren<br />

und Hautschuppen. Ausserdem sind wir k<strong>eine</strong> Krankheits überträger. Also,<br />

wie ihr seht, sind wir nicht nur die bösen Lochfresser in euren Baumwollhosen<br />

und Seidenschals, sondern auch durchaus nütz liche Helfer.<br />

DAS HÖRT MAN ABER GERNE. DU HAST GESAGT, DASS IHR NICHT VIEL<br />

GRÖSSER ALS EINEN ZENTIMETER WERDET. DU BIST ABER NOCH<br />

VIEL KLEINER. IST DAS, WEIL DU EIN WEIBCHEN BIST, ODER BIST DU<br />

NOCH EIN JUNGES?<br />

Also ein Junges bin ich nicht mehr, aber auch noch nicht so alt. Ich hab<br />

mich noch nicht achtmal gehäutet, bin also noch nicht geschlechtsreif.<br />

LEGT IHR EIER ODER KOMMT IHR SCHON ALS SILBERFISCHCHEN<br />

ZUR WELT?<br />

Das ist vielleicht <strong>eine</strong> Frage. Ich werde dir das mal erklären. Es ist so,<br />

dass, nachdem uns das Männchen <strong>eine</strong>n schönen Tanz vorgeführt und ein<br />

Samenpäckchen am Boden deponiert hat, wir dieses aufnehmen. Dann<br />

legen wir etwa 20 Eier in <strong>eine</strong>r passenden Ritze ab, und sie entwickeln sich.<br />

Wir schlüpfen dann als fertige Silberfischchen aus den Eiern.<br />

DANN MACHT IHR ALSO KEINE METAMORPHOSE DURCH. WIE LANGE<br />

GEHT ES DANN, BIS IHR SCHLÜPFT?<br />

32


Wir brauchen bei optimalen Bedingungen etwa vier Monate, bis wir schlüpfen,<br />

bei schlechten bis zu drei Jahren. Bei Kälte und Trockenheit vermehren<br />

wir uns gar nicht.<br />

DAS IST ABER EIN GROSSER UNTERSCHIED. WIE LANGE BRAUCHT IHR<br />

DENN, BIS IHR AUSGEWACHSEN SEID? UND WIE ALT KÖNNT IHR<br />

DENN WERDEN?<br />

Bei Zimmertemperatur können wir uns innerhalb <strong>eine</strong>s Jahres vollständig<br />

zu <strong>eine</strong>m erwachsenen Tier entwickeln, und wir können <strong>eine</strong> Lebensdauer<br />

von zwei bis acht Jahren erreichen.<br />

DAS HÄTTEN WIR JETZT NICHT GEDACHT. EIN SCHÖNES ALTER FÜR SO<br />

EIN KLEINES TIERCHEN. HABT IHR EIGENTLICH AUCH FEINDE?<br />

Ausser euch Menschen, meinst du? Ja, da gibt es noch die Ohrwürmer, und<br />

auch Spinnen sind uns nicht gerade freundlich gesinnt. Ansonsten wüsste<br />

ich auch k<strong>eine</strong>.<br />

DAS WAR ABER EIN SEHR AUFSCHLUSSREICHES INTERVIEW. DAFÜR<br />

DANKEN WIR DIR SEHR. GIBT ES NOCH ETWAS, DAS DU UNS MENSCHEN<br />

GERNE MITTEILEN MÖCHTEST?<br />

Ich bin sehr froh, dass ich euch so vieles von uns erzählen konnte. So<br />

werdet ihr uns vielleicht etwas besser verstehen. Wir möchten gerne friedlich<br />

neben euch leben können. Normalerweise sind wir nur vereinzelt in<br />

euren Bädern und Küchen anzutreffen. Habt ihr aber auf einmal ganz viele<br />

von uns bei euch im Bad oder sonst wo, ist das ein Zeichen, dass da wohl<br />

etwas nicht stimmt. Vielleicht habt ihr Feuchtigkeit in den Wänden oder<br />

aber <strong>eine</strong>n Schimmelpilzbefall. Achtet auf uns, wir können euch als Warnsignal<br />

dienen. Ansonsten geht von uns k<strong>eine</strong> Gefahr aus, ausser vielleicht<br />

mal ein paar kl<strong>eine</strong> Löcher in euren Socken. Dann lächelt doch bitte<br />

dar über und denkt an uns als Helfer, die die Hausstaubmilben gleich mit -<br />

vertilgt <strong>haben</strong>.<br />

33


FLORA AMSEL<br />

Sie verzücken uns mit ihren Gesängen und verkünden uns den Frühling.<br />

Unscheinbar in braunen Erdtönen gekleidet oder im edlen, schwarz<br />

schillernden Gewand, tragen sie uns ihre lieblichen Melodien vor. Jeder<br />

hat sie bestimmt schon mal durch <strong>eine</strong> Wiese hüpfen sehen – unsere<br />

Amseln!<br />

Diesen Winter <strong>haben</strong> wir beschlossen, auf unserer Redaktionsterrasse ein<br />

Vogelhaus und selbstgemachte Knödel aufzuhängen. Wie <strong>haben</strong> wir uns<br />

da gefreut, als <strong>eine</strong> mutige kl<strong>eine</strong> Amseldame sich freudig zum Festmahl<br />

einfand. Es schmeckte ihr und sie war deshalb auch gerne zu <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n<br />

Interview bereit.<br />

Hallo, ich bin Flora Amsel. Vielen Dank, dass ihr uns Vögeln so leckere<br />

Körner, Nüsse und Beeren anbietet. Das lässt uns die Winterzeit viel einfacher<br />

und angenehmer überstehen.<br />

HALLO, LIEBE FLORA, DAS HABEN WIR SEHR GERNE GEMACHT. UN­<br />

SERE WINTER HIER UNTEN SIND JA NICHT MEHR SO ARG HART WIE<br />

FRÜHER. ABER DIE FUTTERSUCHE IST TROTZDEM NICHT SO EINFACH<br />

WIE DAS RESTLICHE JAHR ÜBER. WIE IST DAS EIGENTLICH, AMSELN<br />

GE HÖREN DOCH EIGENTLICH ZU DEN ZUGVÖGELN. WESHALB SIND<br />

DENN VIELE VON EUCH ÜBERHAUPT NOCH HIER?<br />

Ja, das ist in der Tat so. Wir gehören zu den Drosselartigen und früher, als<br />

die Winter noch härter waren, sind wir regelmässig in wärmere Gefilde<br />

gezogen, wie zum Beispiel nach Afrika. Es gibt immer noch Regionen, aus<br />

denen wir während dieser Jahreszeit fortziehen. Aber gerade in den<br />

Siedlungsgebieten finden wir genug Möglichkeiten, um zu überwintern.<br />

Ausserdem helfen uns auch viele Menschen dabei, indem sie uns Futterund<br />

Vogelhäuschen etc. zur Verfügung stellen. Das nehmen wir gerne und<br />

auch dankbar an.<br />

JA, MAN SIEHT EUCH OFT IN GRUPPEN BEI DEN FUTTERSTATIONEN.<br />

IHR SEID WOHL AUCH SEHR SOZIAL MITEINANDER ODER?<br />

36


Naja, das ist etwas komplizierter. In der Wintersaison leben wir sehr sozial<br />

miteinander zusammen. Aber den Rest des Jahres eher nicht. Da sind wir<br />

ziemlich territorial.<br />

ACH SO. UND WESHALB DENN DAS?<br />

Das ist so, weil jeder von uns sein eigenes Territorium braucht, um s<strong>eine</strong><br />

Küken grosszuziehen. Wir müssen viel Futter suchen, um die Jungen aufzuziehen,<br />

ausserdem wollen wir sie auch k<strong>eine</strong>r Gefahr aussetzen. <strong>Auch</strong><br />

wir Amseln vergreifen uns manchmal an fremden Eiern, wenn du verstehst,<br />

was ich m<strong>eine</strong>. Das kommt zwar selten vor, aber Vorsicht ist besser als<br />

Nachsicht.<br />

WIE IST DENN DAS MIT DEM TERRITORIUM UND DER AUFZUCHT?<br />

WIE FINDET IHR EIN GEEIGNETES TERRITORIUM UND FÜTTERT DAS<br />

MÄNNCHEN DICH UND DIE KLEINEN?<br />

Also, das mit dem Territorium ist eigentlich so, jede Amsel hat ihr Territorium<br />

erkämpft. Meist geschieht das nach der Balz. Wenn wir uns dann<br />

für ein Männchen, das uns gefällt, entschieden <strong>haben</strong>, ziehen wir in dessen<br />

Territorium, falls schon <strong>eine</strong>s vorhanden ist, oder wir suchen uns dann<br />

<strong>eine</strong>s. Die Aufzucht übernehmen wir dann beide, aber wir Amsel-Weibchen<br />

werden höchst selten mitgefüttert. Wir zweigen uns bei der Futtersuche<br />

schon mal <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Happen ab. Das ist auch kein Problem, da wir ja<br />

beide auf Futtersuche für die Kl<strong>eine</strong>n gehen.<br />

DANN LASST IHR DIE JUNGEN EINFACH ALLEIN WÄHREND DIESER ZEIT?<br />

WAS IST MIT NESTRÄUBERN?<br />

Ganz allein sind sie nicht. Wir teilen uns die Aufzucht schliesslich auf.<br />

Und wir <strong>haben</strong> auch immer ein Auge darauf, ob Nesträuber in der Nähe<br />

sind. Meist sind es Raben oder Katzen, die wir fürchten müssen, aber auch<br />

Marder, Eichhörnchen, Falken und andere Raubvögel <strong>haben</strong> es auf die<br />

Eier und frisch geschlüpfte Jungtiere abgesehen. Deshalb verteidigen wir<br />

unser Revier auch gegen jegliche Eindringlinge, auch gegen Artgenossen.<br />

Vor allem unsere weiblichen Revierkämpfe können manchmal bis zum Tod<br />

der unterlegenen Amsel führen.<br />

37


WIE IST DENN DAS BEI EUCH EIGENTLICH. LEBT IHR MONOGAM? UND<br />

SEID IHR, WIE STÖRCHE, EIN LEBEN LANG ZUSAMMEN?<br />

Oh nein. Wir wechseln eigentlich in jeder Brut-Saison den Partner. Zumeist<br />

wenigstens. Es gibt in seltenen Fällen, vor allem bei den Amseln, die nicht<br />

wegziehen, längere Partnerschaften. Aber das ist eher die Ausnahme und<br />

nicht die Regel.<br />

DANN IST ES JA BALD WIEDER SO WEIT UND DU HAST WIEDER DIE<br />

FREIE WAHL. NACH WELCHEN KRITERIEN SUCHT IHR EURE MÄNNCHEN<br />

EIGENTLICH AUS? NACH DEM GESANG?<br />

Es ist wohl <strong>eine</strong> Kombination von allem. Tanz, Gesang und Territorium. Ich<br />

habe schon zum zweiten Mal dasselbe Männchen gewählt und werde es<br />

wahrscheinlich wieder wählen. Er hat sich ein gut geschütztes Revier erkämpft,<br />

ist ein toller Stolzierer und kann wunderschön singen. Ausserdem gehört er<br />

zu denen, die auch mal <strong>eine</strong>n Wurm für mich ins Nest mitbringen.<br />

DAS IST ABER TOLL. BAUT ER AUCH DAS NEST, WIE DAS BEI SO VIELEN<br />

VÖGELN DER FALL IST? UND WO BAUT IHR EURE NESTER?<br />

Nein, Nestbau ist allein m<strong>eine</strong> Sache. Er hilft nur bei der Aufzucht mit. Damit<br />

er die Jungen grossziehen kann, falls mir etwas zustösst. Ansonsten ist<br />

er vor allem für das Revier und dessen Verteidigung zuständig. Unsere Nester<br />

bauen wir in Büschen oder Bäumen so in anderthalb bis zwei Metern<br />

Höhe. In der Stadt auch mal auf Balken oder Simsen. Wände, an denen sich<br />

Efeu oder wilder Wein emporrankt, sind auch ganz ideal.<br />

WIE OFT BRÜTET IHR IN EINER SAISON UND WIE VIELE JUNGVÖGEL<br />

ZIEHT IHR AUF?<br />

Wir brüten so zwei bis drei Mal im Jahr und ziehen pro Mal zwischen drei<br />

und sechs Junge auf. Das ist harte Arbeit.<br />

JA, DAS KANN ICH MIR VORSTELLEN. WIE LANGE DAUERT ES DENN,<br />

BIS DIE JUNGEN FLÜGGE SIND?<br />

Also die Eier brüte ich 14 Tage aus. Danach geht es nochmals etwa 15 Tage,<br />

bis die Jungen das Nest verlassen. Wir versorgen die Kl<strong>eine</strong>n dann nochmals<br />

etwa zwei Wochen lang mit Futter, bis sie vollkommen eigenständig<br />

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sind. Danach sind sie auf sich gestellt, gehen weg und suchen sich ein<br />

eigenes Revier.<br />

WAS FRESST IHR AM LIEBSTEN UND WORAUS BESTEHT DER HAUPT­<br />

ANTEIL EURES FUTTERS?<br />

Wir fressen hauptsächlich Insekten, Regenwürmer und Schnecken, aber<br />

auch Obst, Körner und Beeren verschmähen wir nicht. Wir sind eigentlich<br />

recht unkompliziert. Der Hauptanteil jedoch besteht ausser im Winter eher<br />

aus den erstgenannten Dingen.<br />

DAS WAR ALLES SEHR INTERESSANT UND AUFSCHLUSSREICH. GIBT ES<br />

NOCH ETWAS, DAS DU UNS MENSCHEN GERNE MITTEILEN MÖCH­<br />

TEST? VIELLEICHT ETWAS, DAS WIR FÜR EUCH TUN KÖNNTEN?<br />

Ja, da gibt es schon etwas. Es wäre so viel schöner für uns, wenn eure<br />

Gärten nicht immer so piekfein aufgeräumt wären. Das sind nämlich für<br />

uns nur grüne Wüsten, in denen wir kaum Nahrung finden. Wir schätzen<br />

sehr, dass ihr uns Futterstationen hinstellt im Winter und einige auch das<br />

ganze Jahr über da sind. Aber es ist nicht dasselbe wie ein frisch aus der<br />

Erde gescharrter Wurm oder wie <strong>eine</strong> aus dem Laub gepickte Schnecke.<br />

Also, lasst doch bitte etwas Laub liegen, ihr könnt es ja unter die Büsche<br />

schieben. Da kann es dann auch noch toll zu Humus für eure Pflanzen<br />

werden und wir können darin nach Essbarem scharren. Ausserdem, schneidet<br />

doch nicht immer gleich alle verblühten Pflanzen ab. Viele davon <strong>haben</strong><br />

Samenstände, die uns auch noch in der Winterzeit mit Nahrung versorgen<br />

können. Wenn ihr im Garten werkelt, denkt doch einfach auch etwas an<br />

uns und lasst mal fünf gerade sein. Damit könnt ihr uns schon sehr viel<br />

helfen, und vielen anderen kl<strong>eine</strong>n Wildtieren auch.<br />

LIEBE FLORA, DAS WERDEN WIR UNS SICHER ZU HERZEN NEHMEN.<br />

WIR BEWOHNEN DIESE ERDE JA SCHLIESSLICH NICHT ALLEINE. AUF<br />

JEDEN FALL DANKEN WIR DIR VON HERZEN FÜR DIESES BESONDERE<br />

INTERVIEW UND FREUEN UNS SCHON JETZT WIEDER AUF VIELE<br />

SCHÖNE LIEDER VON DIR UND ALLEN ANDEREN AMSELN.<br />

Es hat mir sehr viel Spass gemacht, euch etwas aus unserem Leben zu<br />

berichten, und ich werde euch gerne noch viele schöne Lieder singen.<br />

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RUPERT RAMMLER<br />

Er malt die Eier an Ostern bunt an, ist Bambis bester Freund und oje, oje<br />

zu spät, zu spät, ich bin schon viel zu spät … Ach nein; das war ja das<br />

Kaninchen aus «Alice im Wunderland», aber wir m<strong>eine</strong>n ja den Hasen,<br />

genauer gesagt den Feldhasen.<br />

Hallo, mein Name ist Rupert, Rupert Rammler, der bin ich, und ich erzähl<br />

euch heut mal, was bei uns Hasen so läuft.<br />

HALLO, LIEBER RUPERT, VIELEN DANK, DASS DU UNS EINEN EINBLICK<br />

IN EUER LEBEN GIBST.<br />

Das mach ich gerne, Süsse. Was möchtest du denn alles wissen?<br />

DU BIST ABER EIN SCHELM, SEID IHR HASEN ALLE SO DRAUF-­<br />

GÄNGERISCH?<br />

Nur wenn uns ein Weibchen gefällt – in der Paarungszeit –, ansonsten sind<br />

wir Einzelgänger und machen unser eigenes Ding.<br />

SO SO. WANN IST DENN BEI EUCH PAARUNGSZEIT UND WIE VER­<br />

HALTET IHR EUCH BZW. WIE BEKOMMT IHR DENN DIE WEIBCHEN<br />

RUM? MIT EUREM CHARME?<br />

Natürlich nicht! Unsere Mädels stehen auf echte Kerle. Welche Frau steht<br />

nicht darauf, wenn sich die Männer um sie prügeln in der Paarungszeit.<br />

Die, nebenbei bemerkt, von Januar bis Oktober dauert.<br />

MEINE GÜTE; WIE SOLLEN WIR UNS DENN SO EINE PRÜGELEI<br />

VORSTELLEN?<br />

Na, ganz einfach. Erst jagen wir uns ein bisschen rum und dann, Rupert gegen<br />

Klitschko. Wir boxen. Gaaanz einfach. Der, der gewinnt, kriegt die Häsin.<br />

OKAY. UND DANN, WIE IST DAS DENN BEI EUCH, BLEIBT IHR AUCH EIN<br />

LEBEN LANG ZUSAMMEN?<br />

Gott bewahre, welch <strong>eine</strong> romantische Vorstellung, nein, nein. Nur solange<br />

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es Spass gemacht hat, und dann geht jeder wieder s<strong>eine</strong>r Wege. Schon<br />

vergessen, wir sind eigentlich Einzelgänger!<br />

UH SORRY, HÄTTE JA SEIN KÖNNEN. WIE IST DAS DENN MIT DEM<br />

NACHWUCHS. ÜBERNEHMT IHR WENIGSTENS VATERPFLICHTEN?<br />

Tut mir leid, Süsse, aber ich muss dich schon wieder enttäuschen. Wir tun<br />

nix dergleichen. Die Häsin bekommt so zirka drei bis vier Mal im Jahr zwischen<br />

eins bis fünf, in Ausnahmefällen auch mal sechs Junge. Die wiegen<br />

etwa 100 bis 150 Gramm und kommen nach etwa 42 Tagen sehend und<br />

mit Haaren zur Welt. Es sind wie alle Hasenartigen Nestflüchter.<br />

HM, NESTFLÜCHTER – WAS HEISST DENN DAS GENAU?<br />

Du weisst nicht gerade viel über uns, oder? Naja, macht nix, ich sag’s dir.<br />

Nestflüchter bedeutet, die Junghasen leben allein. Das heisst aber nicht,<br />

dass sie verlassen sind, die Häsin kommt etwa zweimal am Tag vorbei und<br />

säugt die Kl<strong>eine</strong>n, bis sie selbstständig fressen. Also, bitte nicht einfach<br />

aufsammeln, wenn ihr mal nen kl<strong>eine</strong>n Hasen allein im Feld hocken seht.<br />

Die Mama kommt schon früh genug wieder.<br />

IST DAS DENN NICHT FURCHTBAR GEFÄHRLICH, DIE KLEINEN SO<br />

ALLEIN ZU LASSEN. IHR HABT DOCH SICHER VIELE NATÜRLICHE<br />

FEINDE?<br />

K<strong>eine</strong> Angst, wir sind Gefahr gewohnt. Und klar <strong>haben</strong> wir einige natürliche<br />

Feinde, wie den Fuchs oder Greifvögel. Aber das hat doch jeder, oder?<br />

DA HAST DU WOHL RECHT. ABER WIE KÖNNT IHR EUCH DENN<br />

SCHÜTZEN, WIE ÜBERLEBEN?<br />

Machst dir wohl Sorgen, Süsse. Brauchst dir aber k<strong>eine</strong> Gedanken zu<br />

machen. Wenn Gefahr droht, drücken wir uns gaaaanz reglos und tief in<br />

<strong>eine</strong> Mulde.<br />

TOLLE STRATEGIE, SO WIE EIN OPOSSUM, DAS SICH TOT STELLT?<br />

Ne, nicht ganz. In der allerletzten Sekunde ergreifen wir dann schon noch<br />

die Flucht. Dann sausen wir mit bis zu 70 Sachen übers Feld.<br />

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DAS IST ABER SEHR SCHNELL. UND WIE IST DAS MIT DEM HAKEN­<br />

SCHLAGEN? IST DAS TATSÄCHLICH SO ODER NUR SO ’NE REDE-<br />

WENDUNG?<br />

Wir können durchaus Haken schlagen, aber nicht in dem Speed. Ausserdem<br />

können wir bis zu 2 Meter hoch springen, wenn’s nötig ist.<br />

WOW, ES IST WIRKLICH BEEINDRUCKEND, WAS IHR ALLES SO DRAUF­<br />

HABT. LIEGT DIE SPRUNGKRAFT AN EUREN RIESIGEN HINTERFÜSSEN?<br />

Vielleicht, die sind ja auch ganz schön gross. Können bis zu 18,5 Zentimeter<br />

lang werden.<br />

GANZ SCHÖN GROSS. ABER IHR SEID JA AUCH SONST DIE GRÖSSTEN<br />

UNTER DEN HASENARTIGEN. WIE GROSS WERDET IHR DENN ETWA?<br />

Wir können 40–70 Zentimeter gross werden und wiegen bis zu 6,5 Kilogramm<br />

und mit unseren bis zu 13 Zentimeter langen Ohren können wir<br />

auch alles ganz fantastisch hören. Hast du noch andere Fragen, Süsse?<br />

WIE DU GESAGT HAST, HABT IHR JA EINIGE NATÜRLICHE FEINDE. WIE<br />

ALT KÖNNT IHR DA DENN WERDEN? UND WIE ALT BIST DU?<br />

Na, in freier Wildbahn können wir schon mal 12 bis 13 Jahre alt werden,<br />

aber viele sterben schon im ersten Jahr. Da kommt es ganz darauf an, wie<br />

gut man sich durchboxt … Und ich bin schon ein strammer Dreijähriger! Im<br />

besten Rammler-Alter also.<br />

DANN HAST DU JA HOFFENTLICH NOCH VIELE JAHRE VOR DIR. EUCH<br />

FELDHASEN SIEHT MAN EHER SELTEN. WESHALB IST DAS SO?<br />

Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir hauptsächlich dämmerungs- und<br />

nachtaktiv sind. Nur im Spätwinter und im Frühjahr sieht man uns auch<br />

mal tagsüber. Ausserdem macht ihr Menschen uns das Leben nicht gerade<br />

einfacher.<br />

WIE DÜRFEN WIR DENN DAS VERSTEHEN?<br />

Na, ganz einfach. Ihr ackert mit Maschinen rum, mäht alles kurz, haut die<br />

Sträucher kurz und klein, überdüngt alles und nehmt uns somit viele Futterpflanzen<br />

und auch gute Verstecke weg, die wir zum Überleben brauchen.<br />

43


DAS TUT UNS ABER SEHR LEID. WAS KÖNNEN WIR TUN, UM EUCH<br />

ZU HELFEN?<br />

Da wir absolute Pflanzenfresser sind, wäre es schön, wenn ihr die Ränder<br />

der Felder einfach stehen lassen könntet und dort für mehr Pflanzenvielfalt<br />

sorgen würdet. Das wäre für uns mehr Abwechslung im Speiseplan und<br />

eure Augen könnten sich an der Vielfalt der verschiedenen blühenden<br />

Wildblumen auch erfreuen. Ausserdem fänden wir es toll, wenn ihr nicht<br />

alles so zurechtstutzen würdet. Lasst doch für uns auch mal ein Gestrüpp<br />

stehen. Das gibt für uns und für viele kl<strong>eine</strong> Vögel bessere und sicherere<br />

Verstecke. Und für euch weniger Arbeit und schönen Vogelgesang. Wir<br />

brauchen nicht viel zum Leben, aber das wäre schon was Tolles.<br />

WIR WERDEN GERNE TUN, WAS WIR DAZU BEITRAGEN KÖNNEN.<br />

SCHLIESSLICH GEHT ES JA UM UNSEREN «OSTERHASEN», NICHT<br />

WAHR?<br />

Ach Süsse, das ist auch so ’ne Erfindung von euch Menschen. Die werde<br />

ich nie ganz verstehen, ist zwar ’ne nette, aber eins kann ich dir gleich ganz<br />

klar sagen; mit Eieranmalen hab ich nix am Hut.<br />

DAS WÜRDEN WIR AUCH NIE VON DIR ERWARTEN. GIBT ES SONST<br />

NOCH IRGEND ETWAS, DAS DU UNS MENSCHEN GERNE SAGEN<br />

WÜRDEST?<br />

Nö, eigentlich hab ich schon alles gesagt, was nötig ist. Hast du noch<br />

Fragen, Süsse?<br />

MOMENTAN KEINE MEHR. WIR MÖCHTEN DIR VON HERZEN FÜR DAS<br />

TOLLE INTERVIEW DANKEN, ES HAT UNS VIEL SPASS GEMACHT.<br />

Das ist doch gern geschehen. Ich habe gerne gezeigt, was für aussergewöhnliche<br />

Wesen wir sind, und hoffe, wir unterhalten uns mal wieder.<br />

DAS WERDEN WIR BESTIMMT TUN.<br />

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45


ELLIE BELLE PLATTBAUCH<br />

In früheren Zeiten, als sie noch der Göttin Freya zugeordnet waren, galten<br />

sie als heilig. Später dann wurden sie als Teufelsnadeln, Teufelsbolzen oder<br />

Augenstecher betitelt, aus Angst vor ihren vermeintlichen Stichen. Heute<br />

nennen wir sie Elfenpferde oder Helikopter – diese wundersamen und<br />

kunstvollen Flugakrobaten, unsere Libellen.<br />

Hallo, mein Name ist Ellie Belle Plattbauch und ich bin gerne zu <strong>eine</strong>m<br />

Gespräch mit euch bereit.<br />

GUTEN TAG, LIEBE ELLIE BELLE, VIELEN DANK, ES IST SCHÖN, DASS DU<br />

UNS ETWAS ÜBER EURE ART ERZÄHLEN MÖCHTEST.<br />

Das tue ich mit Freuden. Frag einfach drauflos.<br />

NA EIGENTLICH INTERESSIERT UNS EINFACH ALLES. ABER DIE HÄU FIGS­<br />

TE FRAGE IST WOHL: STECHT IHR?<br />

Nein, wir stechen definitiv niemanden. Was an unserem Hinterleib wie<br />

Stacheln aussieht, sind nur Anhänge. Bei den Männchen sind diese zu<br />

<strong>eine</strong>r kl<strong>eine</strong>n Greifzange umgebildet, damit sie uns während der Paarung<br />

am Nacken festhalten können. Ich denke, es macht euch einfach Angst,<br />

wenn wir aus lauter Neugier auf euch zufliegen und vor euch schweben<br />

bleiben. Ihr denkt dann immer gleich an angriffige Wespen. Aber eigentlich<br />

sind die meisten von uns eher scheu und hauen ab, sobald sie Menschen<br />

sehen. Nur wenige sind so neugierig.<br />

DA KÖNNTEST DU RECHT HABEN. ICH FINDE EUCH FASZINIERENDE GE-<br />

SCHÖPFE UND STELLE MIR LIEBER VOR, DASS IHR ELFENPFERDE SEID<br />

UND KLEINE ELFEN VON A NACH B TRANSPORTIERT. NUN ZURÜCK ZUR<br />

REALITÄT. WIE FUNKTIONIERT DENN DIE PAARUNG BEI EUCH? MIT EINEM<br />

LANGEN HINTERLEIB IST DAS WAHRSCHEINLICH NICHT SO EINFACH.<br />

Hi hi, ja manchmal transportieren wir auch mal <strong>eine</strong> Elfe … Nein, im Ernst,<br />

unser Hinterleib ist so lange, weil wir das für die Flugstabilisierung brauchen.<br />

Bei der Paarung packt das Männchen das Weibchen hinterm Kopf<br />

mit der Greifzange. Dann wölbt das Weibchen den Hinterleib mit der<br />

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Geschlechtsöffnung nach oben, sozusagen zum Bauch des Männchens, wo<br />

der Samenbehälter ist. Das nennt ihr Paarungsrad.<br />

BALZEN EURE MÄNNCHEN AUCH? WIE LÄUFT DAS BEI EUCH? ÄHN­<br />

LICH WIE BEI EINER VOGELBALZ?<br />

Natürlich gibt es auch bei uns ein Vorspiel, aber nicht zu vergleichen mit<br />

<strong>eine</strong>r Vogelbalz. Das ist bei uns eher unspektakulär. Das Männchen packt<br />

uns im Flug und wir paaren uns. Der Akt dauert weniger als 30 Sekunden.<br />

Nach der Begattung legen wir dann die Eier ab.<br />

OH, DAS IST ABER SEHR SCHNELL. WIE SOLLEN WIR UNS DENN SO<br />

EINE EIABLAGE VORSTELLEN? ÄHNLICH WIE BEI FRÖSCHEN?<br />

Wir laichen nicht wie Frösche, Plattbauch-Libellen werfen die Eier im Flug<br />

über Flachwasser ab.<br />

GEHEN DENN DIE EIER BEIM ABWERFEN NICHT KAPUTT AN DER<br />

WASSEROBERFLÄCHE?<br />

Oje, du Dummerchen, wir sind doch k<strong>eine</strong> Bomber. Wir fliegen dicht<br />

übers Wasser und wippen mit dem Hinterleib. Dabei berühren wir mit<br />

der Hinterleibsspitze immer wieder die Wasseroberfläche und legen dabei<br />

ein Ei ab. So geht k<strong>eine</strong>s kaputt.<br />

ACH SO, ENTSCHULDIGE. WIE VIELE EIER LEGT IHR DENN?<br />

Das ist völlig unterschiedlich. So zwischen 20 und 100 Eier sind es schon.<br />

IST DIE EIABLAGE DENN BEI ALLEN LIBELLEN GLEICH?<br />

Nein, absolut nicht! Die <strong>eine</strong>n legen sie wie wir. Einige stechen sie in die<br />

Rinden von Bäumen, welche am Ufer wachsen. Andere werfen ihre Eier<br />

über trockenen Senken ab, welche vielleicht mal überflutet werden, wieder<br />

andere streifen sie unter Wasser am Substrat ab. Und dann gibt es noch<br />

einige wenige, welche zur Eiablage bis zu 90 Minuten lang auf Tauchgang<br />

unter Wasser bleiben können.<br />

DAS IST JA SPANNEND. DANN BRAUCHT IHR AUCH VERSCHIEDENE<br />

LEBENS RÄUME, NICHT WAHR?<br />

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Ja, wir Plattbäuche bevorzugen kl<strong>eine</strong> stehende Gewässer, die nicht beschattet<br />

sind und im Sommer sogar austrocknen können. Ausserdem bevorzugen<br />

wir Gewässer mit geringer Vegetation und Bodenschlammanteil.<br />

Viele Arten benötigen aber ganz spezielle Ablagesubstrate oder -pflanzen<br />

wie z. B. die Grüne Mosaikjungfer, welche ihre Eier nur in Blätter der Krebsschere<br />

sticht, oder Moorlibellen, die auf das Vorkommen von Torfmoosen<br />

angewiesen sind.<br />

DAS IST RICHTIG INTERESSANT. WAS PASSIERT DANN, WENN DIE LARVEN<br />

GESCHLÜPFT SIND? IST DAS ÄHNLICH WIE BEI SCHMETTERLINGEN?<br />

Nicht ganz. Nach zirka vier Wochen schlüpfen unsere Babys und halten sich<br />

noch einige Zeit dicht bei den Wasserpflanzen auf. Später leben sie im<br />

vege tationslosen Flachwasser. Sie sitzen am Grund und lauern auf Beute<br />

wie Insekten, Insektenlarven, Krebstiere, Würmer und Amphibienlarven.<br />

Nach ein bis zwei Jahren und elf Larvenstadien sind die kl<strong>eine</strong>n dann bereit,<br />

aus dem Wasser zu krabbeln und sich in Libellen zu verwandeln. Sie suchen<br />

sich den passenden Ort, um ihr Larvenkostüm abzustreifen und die Flügel<br />

auszubreiten. Sobald diese getrocknet sind, schweben sie los. Das ist dann<br />

ähnlich wie bei Schmetterlingen.<br />

DAS GEHT ABER SEHR LANGE. IST DAS BEI ALLEN LIBELLENARTEN SO?<br />

Die Dauer des Larvenlebens variiert von Art zu Art. Frühe Heidelibellen<br />

brauchen dazu nur etwa drei Monate, während Quelljungfern bis zu fünf<br />

Jahre benötigen.<br />

DAS SIND ABER GROSSE UNTERSCHIEDE. WIE GROSS WERDET IHR,<br />

WENN IHR AUSGEWACHSEN SEID, UND KANN MAN MÄNNCHEN UND<br />

WEIBCHEN UNTERSCHEIDEN?<br />

Wir <strong>haben</strong> <strong>eine</strong> Körperlänge von zirka vier bis fünf Zentimeter und <strong>eine</strong><br />

Flügelspannweite von etwa sieben bis acht Zentimeter. Die Weibchen <strong>haben</strong><br />

<strong>eine</strong>n gelbbraunen bis oliv- oder dunkelbraunen flachen Hinterleib, die<br />

Männchen <strong>eine</strong> wachsartige hellblaue Färbung desselben.<br />

WENN MAN EUCH BEIM FLIEGEN ZUSCHAUT, ERINNERT IHR AN EINEN<br />

HELIKOPTER. FUNKTIONIEREN EURE VIER FLÜGEL ÄHNLICH?<br />

50


Wir sind exzellente Flieger und können hohe Geschwindigkeiten erreichen.<br />

Ausserdem können wir unsere beiden Flügelpaare unabhängig von einander<br />

bewegen, wodurch wir fähig sind, ganz abrupt die Richtung zu wechseln<br />

oder auch an Ort und Stelle in der Luft zu stehen. Unsere Flug geschwindigkeiten<br />

gehen hoch bis zu 50 km/h. Das sind dann bis zu 30 Flügelschläge<br />

pro Sekunde.<br />

UNGLAUBLICH. KÖNNT IHR DENN BEI SO GROSSEN GESCHWINDIG­<br />

KEITEN EURE BEUTE ÜBERHAUPT NOCH SEHEN?<br />

Aber sicher doch. Wir verfügen wahrscheinlich über den besten Sehsinn aller<br />

Insekten. Unser Kopf ist von unseren Brustsegmenten deutlich getrennt,<br />

somit ist er auch extrem beweglich, und mit unseren grossen, auffälligen<br />

Facetten augen, welche bei einigen Arten aus bis zu 30 000 Einzelaugen<br />

bestehen können, nehmen wir unsere Beute auch bei grossem Tempo sehr<br />

gut wahr. Wir <strong>haben</strong> an der Kopfoberseite noch drei Einzelaugen, welche<br />

wie ein Gleichgewichtsorgan funktionieren. So können wir unsere schnellen<br />

Flugbewegungen gut kontrollieren. Für die Ermittlung der Fluggeschwindigkeit<br />

sind dann unsere Fühler da, welche wir, durch unsere an<br />

ihnen befindlichen Sinneshaare, wahrnehmen.<br />

DANN SEID IHR JA BESTENS AUSGERÜSTET. UND WIE FANGT IHR EURE<br />

BEUTE? EINFACH ZUSCHNAPPEN WIE FISCHE?<br />

Wie Flugfische meinst du, hi hi. Lustige Vorstellung. Nein, wir <strong>haben</strong> an<br />

unseren beiden hinteren Brustsegmenten je drei B<strong>eine</strong>, die bilden <strong>eine</strong> Art<br />

Fangkorb mit kräftigen Klauen und meist bedornten Unterschenkeln, so<br />

können wir unsere Beute sehr gut halten. Wir verzehren diese auch<br />

gleich im Flug. Dazu bedienen wir uns unserer kräftigen bezahnten<br />

Mundwerkzeuge.<br />

HOPPLA, DA MÖCHTE ICH ABER KEINE FLIEGE SEIN. HABT IHR ART­<br />

SPEZIFISCHE VORLIEBEN BEI EURER BEUTE UND JAGT IHR NUR IN DER<br />

NÄHE VON GEWÄSSERN?<br />

Wir attackieren eigentlich wahllos, was wir überwältigen können. In der<br />

Paarungszeit überfallen Männchen manchmal sogar andere Libellen, ab<br />

und zu sogar welche der eigenen Art. Unsere Jagdflüge sind aber nicht auf<br />

51


Gewässer beschränkt, sondern finden auch auf Wiesen, Waldlichtungen<br />

und freien Flächen statt.<br />

HUCH, KANNIBALISMUS. DAS KLINGT ABER UNANGENEHM. HABT IHR<br />

DENN NICHT SCHON GENUG FRESSFEINDE?<br />

Natürlich, bei unserer letzten Häutung oder wenn wir uns in der Sonnenwärme<br />

aufheizen, sind wir enorm gefährdet. Frösche, Fledermäuse, Vögel,<br />

aber auch Wespen, Webspinnen und sogar Ameisen attackieren uns dann.<br />

Es können uns sowohl parasitäre Wassermilben als auch fleischfressende<br />

Pflanzen wie der Sonnentau gefährlich werden. Unsere Larven fallen oft<br />

anderen Libellenlarven und sonstigen Wasserräubern zum Opfer.<br />

DAS IST TROTZ EURER SCHNELLIGKEIT KEIN EINFACHES LEBEN. WIE<br />

ALT KÖNNT IHR WERDEN?<br />

Plattbauch-Libellen werden so etwa drei Monate alt. Wir fliegen von Anfang<br />

Mai bis in den August hinein. Die meisten Arten werden sechs bis<br />

acht Wochen alt, manche sogar nur zwei. Winterlibellen, welche als erwachsene<br />

<strong>Tiere</strong> über wintern, werden zehn bis elf Monate alt. Da sie aber<br />

den Winter in Kältestarre überdauern, sind sie nur vier bis sechs Monate<br />

ihres Lebens aktiv.<br />

DAS IST ABER TRAURIG. GIBT ES NOCH IRGENDETWAS, DAS DU<br />

UNS MENSCHEN GERNE SAGEN MÖCHTEST? WAS KÖNNEN WIR<br />

MENSCHEN FÜR EUCH TUN?<br />

Unser Leben ist toll, wie es ist. <strong>Auch</strong> wenn es kurz ist, ist es doch sehr<br />

erfüllend und nie langweilig. Denkt daran, dass euer Leben kostbar ist, auch<br />

wenn ihr viel länger auf dieser Erde seid als wir. Ihr könnt in eurer Erdenzeit<br />

viel Gutes tun. Schützt unseren Lebensraum und tragt Sorge zur Natur und<br />

der Umwelt, denn darin leben wir alle. Hört auf, alles zu verschmutzen und<br />

auszubeuten. Die Erde gibt allen genug. Und wenn wir die Augen öffnen<br />

und hinsehen, dann merken wir, dass wir alle ein Teil <strong>eine</strong>s grossen Ganzen<br />

sind und im Kreislauf der Natur für alle Platz ist.<br />

DAS IST EIN GANZ SCHÖNER GEDANKE. ER HAT VIEL WAHRES. WIR<br />

WERDEN DEINEN RAT BEHERZIGEN UND HOFFEN, DASS DU EIN TOLLES<br />

52


LANGES LEBEN HAST. VIELEN DANK FÜR DEIN LEHR REICHES UND<br />

INTE RESSANTES GESPRÄCH.<br />

Das habe ich gerne gemacht und ich danke euch, dass ihr euch für uns<br />

interessiert.<br />

WIR WERDEN DICH NIE VERGESSEN, ELLIE BELLE.<br />

53


FRITZ VON SCHMEISS-FLIEGE<br />

Sie sausen uns nervig um die Ohren und regen uns auf, wenn sie auf<br />

unserem Teller landen. Wir empfinden sie als äusserst lästig und unhygienisch.<br />

Sie ist wohl mit <strong>eine</strong>s der unbeliebtesten <strong>Tiere</strong> unsere Erde – die<br />

Schmeissfliege. Eines Mittags in der Redaktionsküche sehen wir, wie <strong>eine</strong><br />

grün schillernde Fliege brummelig um den Napf voller Katzenfutter saust.<br />

Oje, schon wieder so ein mistiges madenlegendes Fliegenvieh, denken<br />

wir uns, das Futter ist jetzt wohl Geschichte. Doch das bringt uns auch<br />

auf die Idee, zu hinterfragen, weshalb wir eigentlich so <strong>eine</strong> Abneigung<br />

<strong>haben</strong> gegen diese <strong>Tiere</strong>. Gibt es denn gar nichts Nützliches an ihnen?<br />

Sind sie wirklich nur lästig? Deshalb entscheiden wir, dieser Sache mal<br />

auf den Grund zu gehen und gleich mit dem kl<strong>eine</strong>n Kerl ein Interview<br />

zu führen.<br />

Hallo, mein Name ist Fritz von Schmeiss-Fliege, und ich erzähl euch heute<br />

was über uns und unser Leben.<br />

SCHÖN, FRITZ, DASS DU MIT UNS DIESES INTERVIEW FÜHREN WILLST.<br />

KANNST DU UNS SAGEN, ZU WELCHER GATTUNG VON FLIEGEN DU<br />

GEHÖRST?<br />

Ich bin <strong>eine</strong> Goldfliege, und mein Name ist Fritz von Schmeiss-Fliege.<br />

ÄH JA, DAS SAGTEST DU BEREITS. IST ES RICHTIG, DASS FLIEGEN<br />

NUR EIN GANZ KLEINES KURZZEIT-GEDÄCHTNIS HABEN UND GLEICH<br />

WIEDER ALLES VERGESSEN?<br />

Ja, das stimmt total. Habe ich schon m<strong>eine</strong>n Namen erwähnt?<br />

JA, DAS HAST DU BEREITS, FRITZ. WIR HABEN GELESEN, DASS ES<br />

WELTWEIT ÜBER TAUSEND ARTEN VON FLIEGEN GIBT. STIMMT DAS?<br />

Das wird wohl schon so stimmen, ich kann mich nicht mehr genau erinnern.<br />

Wieso fragst du mich das?<br />

EIGENTLICH NERVT UNS MENSCHEN EUER RUMGESUMMSE, UND<br />

WENN IHR AUF UNSEREN TELLERN LANDET, FINDEN WIR DAS ÄUS­<br />

56


SERST UNHYGIENISCH. DESHALB MÖCHTEN WIR MAL ETWAS MEHR<br />

ÜBER EUCH ERFAHREN.<br />

Na klar. Ich gebe dir gerne Auskunft. Wer bist du denn eigentlich? Habe<br />

ich dich schon mal gesehen?<br />

JA, WIR UNTERHALTEN UNS SCHON EINE WEILE. STIMMT ES, DASS IHR<br />

EURE WEIBCHEN MIT DEN FÜSSEN ERTASTET UND WAHRSCHEINLICH<br />

AM GERUCH FESTSTELLT, DASS ES EIN MÄDCHEN IST?<br />

Oh ja, und wenn sie mit den Flügeln brummt, dann will sie nix von uns<br />

wissen.<br />

MAN FINDET EUCH VOR ALLEM AN PFLANZEN, WELCHE FÜR UNS<br />

MENSCHEN RECHT ÜBLE GERÜCHE VERSTRÖMEN. SO WIE Z.B. AARON­<br />

STAB ODER STINKMORCHELN. ODER AUCH AN ALTEM KATZENFUTTER<br />

ETC. STEHT IHR DENN AUF STRENGE GERÜCHE?<br />

Mmmh, leckere stinkige Sachen mögen wir total. Ausserdem riechen wir<br />

mit unseren Füssen. Ich habe gesehen, dass da unten leckeres Katzenfutter<br />

steht. Darf ich mal daran riechen?<br />

DA WARST DU EH SCHON DRAN, BEDIENE DICH ALSO RUHIG WEITER,<br />

WIR RÄUMEN ES DANN SPÄTER WEG. ES IST JA BEKANNT, DAS IHR<br />

KRANKHEITSKEIME ÜBERTRAGEN KÖNNT, NICHT WAHR?<br />

Oh, leckeres Katzenfutter, juhuu. Ja, das ist schon richtig, wir übertragen<br />

Mikroorganismen, die Eiweiss, Kohlehydrate und Fette zersetzen. Ausserdem<br />

sind wir potenzielle Träger von pathogenen Keimen und können somit<br />

Krankheiten auf <strong>Tiere</strong> und Menschen übertragen. Du kommst mir bekannt<br />

vor, <strong>haben</strong> wir uns schon mal gesehen?<br />

ACH HERRJEMINE, JA, WIR FÜHREN HIER ZUSAMMEN EIN INTERVIEW.<br />

IHR SEID ABER AUCH NÜTZLICH, HABE ICH GELESEN. ZUM BEISPIEL<br />

WERDEN IN DER HUMANMEDIZIN EURE MADEN, WELCHE IN STERILER<br />

UMGEBUNG GEZÜCHTET WURDEN, ZUR WUNDREINIGUNG GEBRAUCHT,<br />

DA IHR NUR NEKROTISCHES GEWEBE VERZEHRT, NICHT WAHR?<br />

Ach soooo. Ja ja, das stimmt schon so. Ausserdem können wir Schmeissfliegen<br />

auch hilfreich in der forensischen Entomologie sein. Da man dank<br />

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Schmeissfliegen, welche sich zu verschiedenen Zeitpunkten bei Leichen<br />

einfinden, die Liegedauer und den Todeszeitpunkt bestimmen kann. Hast<br />

du gesehen, da unten steht leckeres Katzenfutter, ob ich da wohl mal dran<br />

naschen darf?<br />

ABER SICHER DOCH, NUR ZU. ALSO IST KLAR, SCHMEISSFLIEGEN SIND<br />

NICHT NUR DUMM UND LÄSTIG, SONDERN AUCH DURCHAUS NÜTZ­<br />

LICH. TROTZDEM GILT: WENN EINE SCHMEISSFLIEGE AUF DEINEM<br />

FLEISCH, FISCH ODER MILCHPRODUKT GESESSEN HAT – WEGWERFEN<br />

UND AUF KEINEN FALL MEHR VERZEHREN. BIST DU DAMIT EINVER­<br />

STANDEN, FRITZ?<br />

Aber natürlich. Lasst die vielen leckeren Sachen dann ruhig für uns stehen.<br />

Woher kennen wir uns eigentlich? Du kommst mir wirklich bekannt vor.<br />

LIEBER FRITZ, DU HAST MIT UNS DIESES TOLLE INTERVIEW GEFÜHRT<br />

UND DAFÜR DANKEN WIR DIR GANZ HERZLICH. HAST DU NOCH EINEN<br />

WUNSCH AN UNS?<br />

Darf ich ans Katzenfutter? Da unten steht so leckeres.<br />

NA DANN NUR ZU. WIR RÄUMEN ES DANN NACHHER WEG. AUF<br />

WIEDER SEHEN, LIEBER FRITZ. ES HAT UNS SEHR GEFREUT.<br />

Mich auch, mich auch, und jetzt setz ich mich aufs Katzenfutter und<br />

nasche mir den Bauch ganz voll, tralalalala ...<br />

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59


SÄMI EICHHÖRNCHEN<br />

Wie kl<strong>eine</strong> Flammen hüpfen sie von Ast zu Ast. Tollkühne Akrobaten der<br />

Lüfte, die uns mit ihren temporeichen Kunstflügen in Erstaunen versetzen<br />

und mit ihren wahnwitzigen Kletterkünsten den Atem rauben. Leider sehen<br />

wir sie heute nur noch selten in unseren Wäldern – unsere Eichhörnchen.<br />

Eines wunderschönen Frühlingsmorgens, die Redaktionsfenster waren weit<br />

geöffnet, hörten wir plötzlich keckernde Geräusche. Neugierig geworden,<br />

gingen wir nachsehen und waren nicht wenig erstaunt, als wir in der wunderschönen<br />

grossen Föhre neben unserem Redaktionsgebäude ein Eichhörnchen<br />

sitzen sahen. Mitten in <strong>eine</strong>r Siedlung und am helllichten Tag.<br />

Na, wenn das k<strong>eine</strong> Aufforderung für ein Interview war.<br />

Hallo, ich bin Sämi Eichhörnchen und möchte euch gerne etwas über uns<br />

erzählen.<br />

LIEBER SÄMI, WIE KOMMT ES, DASS WIR DICH IN UNSERER SIEDLUNG<br />

ANTREFFEN? LEBEN EICHHÖRNCHEN NICHT IM WALD?<br />

Am liebsten leben wir in Nadelwäldern, aber da r<strong>eine</strong> Nadelwälder immer<br />

weniger werden, <strong>haben</strong> wir begonnen uns anzupassen und uns in den von<br />

euch bewirtschafteten Mischwäldern niederzulassen. Manche von uns<br />

wandern auch in eure Parks und Siedlungen ein, da wir sehr grosse Aktionsradien<br />

<strong>haben</strong>, welche bis zu 47 Hektaren betragen. Ich habe mich für ein<br />

Leben in eurem Siedlungsgebiet entschieden, denn da kann ich mich wunderbar<br />

am Futter der Vogelhäuschen bedienen.<br />

NA, DU BIST ABER EIN KLEINER SCHELM. WIR DACHTEN, EICHHÖRN­<br />

CHEN ERNÄHRTEN SICH VOR ALLEM VON NÜSSEN. WAS ISST DU<br />

DENN SONST NOCH GERNE?<br />

Oh ich bin recht unkompliziert. Ich esse gerne Sämereien, Nüsse, Beeren<br />

und Früchte, bis hin zu Knospen, Rinde, Baumsaft, Flechten, Körnern, Pilzen<br />

(da kann ich sogar für euch giftige Pilze essen) und Obst. Wirbellose <strong>Tiere</strong><br />

wie Würmer, Insekten, Larven, Schnecken, Vogeleier und sogar Jungvögel<br />

können aber schon auch mal zum Speiseplan gehören.<br />

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UI, DAS IST ABER WIRKLICH EIN BREIT GEFÄCHERTER SPEISEPLAN.<br />

UND WIR MÖCHTEN DAVON BESTIMMT NICHT ALLES ESSEN MÜSSEN.<br />

DECKT IHR DENN DAMIT AUCH EUREN WASSERBEDARF?<br />

Ich verstehe schon, das mit den Jungvögeln hat euch erschreckt. So ist halt<br />

die Natur, ich mag ja auch am liebsten Nüsse und Beeren und Tannzapfensamen,<br />

von denen esse ich schon manchmal 80 bis 100 Gramm am Tag.<br />

Hättest du vielleicht <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Nuss für mich? Und um zu d<strong>eine</strong>r Frage<br />

zurückzukommen, etwas trinken müssen wir schon auch, essen allein<br />

genügt nicht.<br />

ABER GERNE, WENN DU AUCH MIT EINER WALNUSS ZUFRIEDEN BIST.<br />

SOLLEN WIR SIE FÜR DICH ÖFFNEN?<br />

Das ist hoffentlich k<strong>eine</strong> ernst gemeinte Frage. Oder? Ich bin ein Eichhörnchen,<br />

<strong>eine</strong> Nuss zu öffnen, ist für mich <strong>eine</strong> Kleinigkeit. Da beiss ich schnell<br />

ein kl<strong>eine</strong>s Loch hinein und heble dann mit den unteren Schneidezähnen<br />

ein Stück der Schale heraus. Siehst du, so einfach geht das. Gelernt ist gelernt.<br />

Zapfen-Samen sind noch einfacher. Da reiss ich einfach schnell die<br />

Deckschuppen ab, so komme ich am schnellsten an die Samen. Bin schliesslich<br />

ein kräftiges Kerlchen.<br />

ENTSCHULDIGE, WIR WOLLTEN NICHT RESPEKTLOS ERSCHEINEN. DAS<br />

IST WIRKLICH BEEINDRUCKEND. ERZÄHL UNS DOCH BITTE NOCH MEHR<br />

ÜBER DICH UND DEINE ART. WIE WOHNST DU? HÖHLT IHR BÄUME<br />

AUS, ODER BAUT IHR NESTER, WIE VÖGEL?<br />

Also ich habe drei Kobel, so nennt man unsere Nester. Viele von uns <strong>haben</strong><br />

zwei bis acht Kobel, da es oft vorkommt, dass wir unsere Nester wegen<br />

Parasitenbefall oder Störungen verlassen müssen. Ich benutze alle drei<br />

gleichzeitig, so kann ich wenn nötig jederzeit einfach umziehen. Ich habe<br />

mir <strong>eine</strong>n schönen grossen Schlafkobel in <strong>eine</strong>r tollen Astgabel etwa<br />

6,5 Meter über dem Boden gebaut. Waren fünf Tage harte Arbeit, aber<br />

das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Eingang ist von unten, und es hat<br />

<strong>eine</strong>n Aussendurchmesser von etwa <strong>eine</strong>m halben Meter. Ich habe ihn mit<br />

Zweigen, Nadeln und Blättern auf <strong>eine</strong>m alten Krähennest aufgebaut. Das<br />

ist toll als Basis. Innen ist es schön ausgepolstert mit Laub und <strong>eine</strong>r ganz<br />

dicken Schicht Moos. Dadurch ist er fast wasserdicht und hat noch die<br />

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kuschligen Innenmasse von zirka zwanzig Zentimetern, ausserdem hat er<br />

noch <strong>eine</strong>n zweiten Ausgang ... Man weiss ja nie. Dann habe ich noch <strong>eine</strong>n<br />

Schattenkobel, den nutze ich nur für die Mittagssiesta, wenn es sehr heiss<br />

ist. Den habe ich in <strong>eine</strong>m alten Spechtbau eingerichtet. Und dann habe<br />

ich noch so <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Reservekobel, den habe ich ganz schnell in nur<br />

drei Tagen aufgebaut.<br />

WOW, DA SIND WIR JA MIT EINER WOHNUNG DIREKT BESCHEIDEN.<br />

LEBST DU DENN MIT EINER PARTNERIN ZUSAMMEN?<br />

Gott behüte, ich bin Einzelgänger wie die meisten von uns. Zur Paarungszeit<br />

verfolgen wir Männchen die Weibchen in den Baumkronen. Die Verfolgungsjagden<br />

machen echt Spass. Sofern das Weibchen paarungsbereit ist<br />

jedenfalls, sonst kann’s so richtig was auf die Mütze geben. Ich weiss noch,<br />

als ich mit elf Monaten mein erstes Weibchen jagte, habe ich ganz schön<br />

was abbekommen, aber am Ende habe ich sie doch noch rumgekriegt. Sie<br />

war toll, sie hatte ein schönes dunkelbraunes Fell mit <strong>eine</strong>m weichen cremefarbenen<br />

Bauch, nicht so ein fuchsrotes wie ich. Sie war damals schon fast<br />

zwei Jahre alt. Ich wollte bei ihr bleiben und bin noch in ihrer Nähe rumgelungert,<br />

weil ich gesehen habe, dass manche von uns gelegentlich in<br />

Gruppen zusammenleben. Sie wollte das jedoch partout nicht, hatte wohl<br />

Angst, ich könnte unserem Nachwuchs schaden. Mann, die hat mich ganz<br />

schön weggebissen. Obwohl ich viel grösser und stärker war. Ich hatte <strong>eine</strong><br />

echte Beisshemmung und hab mich getrollt. Nach 38 Tagen war unser Nachwuchs<br />

schon da und mit sechs Wochen schon zum ersten Mal raus aus dem<br />

Kobel. Ich habe sie aus der Ferne beobachtet. Mit acht bis zehn Wochen<br />

suchten sie sich ihre Nahrung schon selber. Leider überleben viele das erste<br />

Jahr nicht. Aber seit damals lebe ich allein, das ist viel friedlicher. Ausserdem<br />

brauche ich mich dann auch nicht mit anderen rumzukabbeln wegen<br />

Rangdingen und so. Und mein Wintervorrat gehört dann auch allein mir.<br />

SO EIN LEBEN IST SICHER NICHT EINFACH. WIE IST DAS EIGENTLICH,<br />

HABT IHR VIELE FEINDE?<br />

Oh ja, wir <strong>haben</strong> sehr viele Feinde. Der schlimmste ist der Baummarder.<br />

Der Kerl klettert fast genau so geschickt wie wir, nur kommt der hinterhältige<br />

Kerl meist nachts und überrascht uns im Schlaf. Drum <strong>haben</strong> unsere<br />

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Kobel auch zwei Schlupflöcher. Er erwischt aber meistens mehr von den<br />

langsameren Grauhörnchen. Ausserdem gibt’s da noch die Wildkatze, den<br />

Uhu, den Habicht und den Mäusebussard. Denen können wir aber oft entfliehen,<br />

indem wir spiralförmig um die Baumstämme sausen. Ausserdem<br />

können wir uns aus grosser Höhe zu Boden plumpsen lassen, ohne uns zu<br />

verletzen. Ist manchmal auch ganz nützlich. Nur sind wir leider auf dem<br />

Boden nicht so schnell, weil wir uns nur hüpfend fortbewegen. Darum<br />

muss ich immer aufpassen, ob auch grad k<strong>eine</strong> Mietzekatze in der Nähe<br />

lauert, wenn ich Vorrat anlege. Wir <strong>haben</strong> sogar Feinde in den eigenen<br />

Reihen. Das grössere Grauhörnchen ist für uns auch etwas problematisch<br />

geworden, da es sich sehr stark vermehrt. Der Parapoxvirus, an welchem<br />

wir erkranken können, endet für uns oft tödlich. Grauhörnchen sind dagegen<br />

resistent, können ihn aber als Wirt verbreiten.<br />

HAST DU NOCH ZEIT FÜR WEITERE FRAGEN? DU HAST VON WINTER­<br />

VORRAT GEREDET. IHR LEGT UNSERES WISSENS JA VIELE VERSTECKE AN,<br />

SO ÄHNLICH WIE RABENVÖGEL AUCH. FINDET IHR AUCH ALLE VER­<br />

STECKE WIEDER UND HALTET IHR WINTERSCHLAF WIE IGEL, MÄUSE<br />

UND BÄREN?<br />

Das ist schon in Ordnung, so viel Zeit habe ich noch, und falls ihr noch <strong>eine</strong><br />

Walnuss hättet, nähme ich mir für die auch noch Zeit ... Also, wir <strong>haben</strong><br />

zwar viele Verstecke für unseren Wintervorrat, aber ich muss zu unserer<br />

Schande gestehen, dass wir leider nicht immer alle wiederfinden. Dafür<br />

finden wir manchmal welche, die wir gar nicht angelegt <strong>haben</strong>, und das,<br />

was wir nicht mehr finden, dient dann der Vermehrung der Pflanzen. Ist<br />

schliesslich auch nötig. Ausserdem legen nur wir Eichhörnchen, welche die<br />

Mischwälder bewohnen, Wintervorräte an, da ja Eichhörnchen, die in r<strong>eine</strong>n<br />

Nadelwäldern leben, die Zapfen stets vor der Nase hängen <strong>haben</strong>, deshalb<br />

nicht noch extra Nahrung vergraben müssen. Und Winterschlaf halten wir<br />

k<strong>eine</strong>n, nur <strong>eine</strong> Winterruhe, in der wir manchmal länger nicht aus unseren<br />

Schlafkobeln kommen, wenn es sehr kalt ist. Ansonsten sind wir das ganze<br />

Jahr aktiv. Gibt es noch etwas, was ihr gerne wissen möchtet?<br />

NUR EINS NOCH, GIBT ES NOCH IRGENDETWAS, DAS WIR FÜR EUCH TUN<br />

KÖNNEN, ODER ETWAS, DAS IHR UNS GERNE MITTEILEN MÖCHTET?<br />

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Naja, etwas gäbe es da schon, es wäre schön, wenn ihr etwas mehr auf uns<br />

achten könntet. Ihr fahrt und rennt manchmal wie die Wilden durch den<br />

Wald und schreckt uns dabei auf. Das ist vor allem in den kargeren Wintermonaten<br />

recht stressig für uns Wildtiere. Bleibt bitte immer auf euren<br />

gekennzeichneten Wegen. Das hilft uns schon viel. Ausserdem wäre es<br />

schön, wenn ihr etwas mehr Dickichte stehen lassen würdet; für uns kl<strong>eine</strong><br />

<strong>Tiere</strong> sind das gute Verstecke, und zum Beispiel Haselbüsche geben auch<br />

viel Nahrung für viele von uns. Wir können wohl bis zu vier Meter weit<br />

springen, aber mit eurer maschinellen Waldbewirtschaftung verlieren wir<br />

mehr Bäume als nötig. Denkt doch vielleicht dabei auch etwas an uns, das<br />

wäre ganz toll.<br />

LIEBER SÄMI, WIR DANKEN DIR FÜR DIE VIELEN SPANNENDEN INFOR­<br />

MATIONEN, DIE DU UNS GEGEBEN HAST, UND WENN DU ERLAUBST,<br />

WERDEN WIR DIR AUCH IMMER EIN PAAR NÜSSE RAUSLEGEN. WIR<br />

HOFFEN, DICH AUCH BALD MAL WIEDERZUSEHEN.<br />

Das ist aber ganz lieb von euch. Es hat mir Spass gemacht, euch etwas über<br />

mich und uns europäische Eichhörnchen zu erzählen.<br />

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ELMAR VON ERPEL<br />

Sie schwimmen auf Teichen und Seen, auf Flüssen und Bächen, und manchmal<br />

sieht man sie sogar auf überschwemmten Wiesen herumpaddeln. Sie<br />

tauchen unter und ploppen wieder nach oben wie Korken. Wir lieben es,<br />

sie zu füttern, und beginnen zu lächeln, wenn sie über Wiesen und Wege<br />

watscheln. Disneys beliebte Donalds und Dagoberts – unsere Enten.<br />

Nahe unserer Redaktion befindet sich ein Park, welcher die Leute bei<br />

schönem Wetter zum Draussen-Spazieren und Beobachten einlädt. Dort<br />

schlossen wir Bekanntschaft mit <strong>eine</strong>m höchst distinguierten Enterich<br />

namens Elmar von Erpel. Fasziniert von s<strong>eine</strong>r Persönlichkeit, beschlossen<br />

wir spontan, ein Gespräch mit ihm zu führen.<br />

SEI GEGRÜSST, LIEBER ENTERICH, ES IST UNS EINE FREUDE, DICH KEN­<br />

NEN ZU LERNEN. ES GIBT BESTIMMT VIELES, WAS DU UNS ÜBER EUCH<br />

ERZÄHLEN KANNST. WIE IST DENN DEIN NAME?<br />

Guten Tag, die Dame, ich heisse Elmar von Erpel. Ihr dürft mich gerne<br />

Herr Elmar nennen, m<strong>eine</strong> Dame, und nur k<strong>eine</strong> Scheu, stellt ruhig alle<br />

eure Fragen, ich werde sie bestmöglich beantworten.<br />

DAS IST SEHR NETT VON IHNEN, HERR ELMAR. ZU WAS FÜR EINER<br />

GATTUNG ENTE GEHÖREN SIE DENN?<br />

Unsereins gehört der Gattung der Entenvögel an, genauer gesagt sind wir<br />

<strong>eine</strong> Stockente. Wir sind die am häufigsten vorkommende und auch die<br />

grösste Schwimmente und die Stammform eurer Hausenten.<br />

IHR SEID EIN GANZ PRÄCHTIGER ENTERICH, HERR ELMAR, KÖNNEN<br />

SIE UNS VIELLEICHT SAGEN, WIE GROSS SIE SIND?<br />

Wir sind gute 58 Zentimeter lang und <strong>haben</strong> <strong>eine</strong> Flügelspannweite von gut<br />

95 Zentimetern. Also ja, wir sind tatsächlich ein Prachtexemplar.<br />

JA WIRKLICH, SIE HABEN AUCH EIN WUNDERSCHÖNES GEFIEDER. DIE<br />

PFLEGE NIMMT BESTIMMT VIEL ZEIT IN ANSPRUCH. KÖNNEN SIE UNS<br />

SAGEN, WIE SIE DAS MACHEN, IMMER SO GUT AUSZUSEHEN?<br />

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Wir pflegen unser Gefieder in der Tat sehr. Wir können Ihnen das sehr<br />

gerne einmal zeigen, werte Dame. Wir gehen mit dem Kopf nach hinten zur<br />

Bürzeldrüse, welche das Fett liefert. Damit imprägnieren wir jetzt unser Gefieder.<br />

Da darf nicht ein Federchen vergessen werden, sonst dringt Wasser<br />

in unser Federkleid, und das wäre doch äusserst unangenehm.<br />

DAS IST JA EINE WAHNSINNSARBEIT. WAS WÜRDE DENN PASSIEREN,<br />

WENN WASSER DURCHS GEFIEDER DRINGEN WÜRDE? KÖNNTEN SIE<br />

DANN NICHT MEHR SCHWIMMEN?<br />

Das <strong>haben</strong> wir, Gott möge uns behüten, noch nie herausfinden müssen.<br />

Wir <strong>haben</strong> etwa 10 000 Daunen und Deckfedern, welche uns vor Nässe und<br />

Kälte schützen. Und auf dem Wasser werden wir von <strong>eine</strong>m Luftpolster getragen,<br />

welches sich zwischen unseren Daunen, unserer Bauchfettschicht<br />

und unserem Deckgefieder befindet. So ist uns immer schön warm, und wir<br />

können elegant auf dem Wasser dahingleiten. Wobei wir noch anmerken<br />

möchten, dass wir nicht etwa dick sind.<br />

DAS WÜRDEN WIR AUCH NIEMALS DENKEN. SIE SIND EIN SEHR SCHÖNER<br />

UND WOHLPROPORTIONIERTER ENTERICH.<br />

Mmh jaa, wir tragen ja momentan auch unser Prachtkleid mit der schönen<br />

Erpellocke am Bürzel und dem metallisch grünen Kopfgefieder.<br />

TRAGT IHR DENN NICHT IMMER DIESES FEDERKLEID?<br />

Nein, leider nicht. Wir tragen den Winter durch ein Schlichtkleid. Dann sehen<br />

wir unseren Entendamen zum Verwechseln ähnlich, nur unser Schnabel bleibt<br />

dann gelb. So Mitte Mai beginnen wir mit unserer Mauser, und zwischen Juli<br />

und August wechseln wir dann unser Schwingengefieder, weshalb wir gute<br />

drei bis fünf Wochen flugunfähig sind. Tatsächlich voll abgeschlossen <strong>haben</strong><br />

wir dann die Entwicklung unseres Prachtgefieders meist erst im Dezember.<br />

DU MEINE GÜTE, DAS IST ABER EIN SEHR LANGER PROZESS.<br />

In der Tat, das ist es, m<strong>eine</strong> Dame. Haben sie noch andere Fragen?<br />

WIR WÜRDEN GERNE NOCH ETWAS ÜBER EUER ZUSAMMENLEBEN<br />

ERFAHREN. SIND ENTEN AUCH PARTNERTREU WIE SCHWÄNE? HELFEN<br />

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ERPEL AUCH BEI DER AUFZUCHT DER KLEINEN ENTEN MIT, UND<br />

HABEN ENTEN BALZRITUALE?<br />

Oh là là, m<strong>eine</strong> Dame, das sind aber sehr persönliche Fragen. Aber nun gut,<br />

wir werden Ihnen die Antworten nicht vorenthalten, m<strong>eine</strong> Dame. Schliesslich<br />

begrüssen wir Wissbegierde und möchten ja auch etwas zum besseren<br />

Verständnis unserer Art beitragen. Hm hm. Es gibt leider viel mehr Erpel<br />

als Enten, und deshalb teilen wir uns unsere Damen manchmal mit mehreren<br />

Erpeln. Wir balzen auch des Öfteren in Gruppen. Das heisst also, wir<br />

sind nicht partnertreu, sondern Gelegenheit macht Liebe. Wir müssen zu<br />

unserer Schande sogar gestehen, dass es manchmal bei der Begattung so<br />

stürmisch zu- und hergehen kann, dass auch schon mal <strong>eine</strong> Dame dabei<br />

ertränkt wurde. Natürlich ist uns das niemals passiert, wir können uns<br />

schliesslich zurückhalten. Den Nistplatz suchen wir gemeinsam mit unserer<br />

Herzdame aus. Manchmal sogar auf <strong>eine</strong>r Hochhaus-Terrasse. Die Aufzucht<br />

der Jungen legen wir dann aber in die gekonnten Flügel unserer Damen. Da<br />

wir mit unserem Prachtgefieder viel eher Feinde anlocken würden, ist das<br />

für unseren Nachwuchs sicherer. Ausserdem sind unsere Kinder Nestflüchter<br />

und laufen dem Ersten, den sie sehen, hinterher, da ist es wirklich besser,<br />

sie sehen als Erstes ihre Mutter.<br />

DAS IST WIRKLICH SEHR INTERESSANT. VERPAAREN SICH STOCKENTEN<br />

DENN NUR MIT ANDEREN STOCKENTEN?<br />

Ääähm, Sie wollen es aber ganz genau wissen, m<strong>eine</strong> Dame. Dazu können<br />

wir nur sagen, alles, was wie <strong>eine</strong> Ente aussieht, ist auch <strong>eine</strong> Ente.<br />

VERZEIHEN SIE, WIR WOLLTEN SIE NICHT IN VERLEGENHEIT BRINGEN,<br />

HERR ELMAR.<br />

Ist schon gut, m<strong>eine</strong> Dame. Können wir Ihnen mit weiteren Auskünften<br />

dienen. Vielleicht nicht ganz so persönlichen?<br />

ABER GERNE. UNS WÜRDE NATÜRLICH AUCH INTERESSIEREN, WIE,<br />

WO UND WOVON SIE LEBEN. KÖNNEN SIE UNS DAZU NOCH EINIGE<br />

INFORMATIONEN GEBEN?<br />

Aber sehr gerne. Wir sind nicht sehr anspruchsvoll, was unsere Nahrung<br />

angeht, da wir omnivor sind. Das heisst, wir essen alles, was wir finden.<br />

71


Hauptsächlich pflanzliche Stoffe wie Samen, Früchte, grüne Wasser-, Uferund<br />

Landpflanzen. Aber auch Schnecken, Würmer, Frösche, Kaulquappen,<br />

Weichtiere, Krebse und kl<strong>eine</strong> Fische. Im Winter essen wir auch Eicheln<br />

oder Nüsse. Wir sind nicht wählerisch, und neue Nahrungsquellen werden<br />

von uns sofort gefunden und genutzt. Beim Lebensraum sind wir ebenso<br />

anpassungsfähig. Wo Wasser ist, sind wir zuhause. Mit dem Rest arrangieren<br />

wir uns und machen das Beste daraus.<br />

LIEBER HERR ELMAR, DAS WAR EIN GANZ INTERESSANTES GESPRÄCH.<br />

VIELEN HERZLICHEN DANK DAFÜR. GIBT ES NOCH ETWAS, WAS SIE<br />

UNSEREN LESERN GERNE NOCH SAGEN MÖCHTEN, ODER ETWAS, WAS<br />

WIR FÜR SIE TUN KÖNNTEN?<br />

Es war uns ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht und Ihnen unsere<br />

Art nähergebracht zu <strong>haben</strong>, m<strong>eine</strong> Dame. Es gibt in der Tat etwas, was ich<br />

Ihnen gerne noch mit auf den Weg geben würde. Es wäre sehr schön, wenn<br />

die Menschen nicht immer Büchsen, Flaschen und sonstige Abfälle in<br />

unsere schönen Teiche werfen würden. <strong>Auch</strong> auf Kaugummipapier und<br />

Zigarettenstummel auf den angrenzenden Wiesen könnten wir gut verzichten.<br />

Das schadet nämlich nur unseren Mägen und macht uns krank,<br />

wenn wir aus Versehen so etwas zu uns nehmen. Es kann uns sogar töten.<br />

Ausserdem wäre doch alles viel schöner, wenn kein Abfall überall herumliegen<br />

würde, nicht wahr? Ansonsten bedanken wir uns selbstverständlich<br />

sehr für die uns angebotenen Leckereien, welche man uns ab und zu<br />

mitbringt.<br />

WIR WERDEN IHRE ANMERKUNG SEHR GERNE WEITERGEBEN, HERR<br />

ELMAR. ES WAR AUCH UNS EINE FREUDE, SIE KENNEN ZU LERNEN. AUF<br />

EIN HOFFENTLICH BALDIGES WIEDERSEHEN IM PARK, HERR ELMAR.<br />

Auf Wiedersehen, m<strong>eine</strong> Dame, ge<strong>haben</strong> Sie sich wohl und bis bald<br />

einmal.<br />

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TEIGEER SCHNEGEL<br />

Franzosen <strong>haben</strong> Sie zum «Fressen» gerne, den meisten Gärtnern sind sie<br />

dafür ein «Dorn» im Auge. Sie lieben «englisches» Wetter und <strong>haben</strong><br />

einfach die Ruhe weg. Wir könnten uns manchmal sehr gut an ihnen ein<br />

Beispiel nehmen, denn auch sie kommen immer ans Ziel, vielleicht nicht<br />

zuerst, aber dafür immer zum für sie richtigen Zeitpunkt und ganz entspannt<br />

– unsere Schnecken.<br />

Beim Aufräumen nach <strong>eine</strong>r Redaktionsparty fanden wir unter <strong>eine</strong>r Decke<br />

<strong>eine</strong>n speziellen, unerwarteten Neuankömmling, der sich genüsslich über<br />

<strong>eine</strong> rausgefallene Rosine des Kuchens hermachte. Es stellte sich heraus,<br />

dass unser neuester Gast <strong>eine</strong> Schnecke war, und zwar <strong>eine</strong> ganz spezielle.<br />

Neugierig geworden, beschlossen wir spontan, ihn um ein Interview zu<br />

bitten. Also setzten wir uns nochmals zu ihm und verschoben die Aufräumarbeiten<br />

auf später.<br />

Yo peace, man, was geht ab, man, ich bin Teigeer und du?<br />

HALLO TEIGEER, ICH BIN GINI VON NATURZYT UND WIR WOLLTEN<br />

DICH GERNE UM EIN KLEINES INTERVIEW BITTEN. WÄRE DAS FÜR<br />

DICH OK?<br />

Yo klar, Schnecke, voll okee man. Lass uns ein bisschen chillen, und ich<br />

erzähl dir von mir. Was willste denn wissen?<br />

WIR HABEN NOCH NIE SO EINE NACKTSCHNECKE WIE DICH GESEHEN,<br />

ZU WELCHER ART GEHÖRST DU DENN?<br />

Yo, Zuckerschnecke, ich bin ja auch nicht irgend so ’ne dahergelaufene<br />

Nacktschnecke, eh. Ich bin was gaanz Besonderes, man. Ich bin nämlich<br />

ein Schnegel. Yo, ein Tigerschnegel, um genau zu sein, mein Rosinchen,<br />

gerafft?, eh.<br />

EIN TIGERSCHNEGEL, SOWAS HABE ICH JA NOCH NIE GEHÖRT, WO IST<br />

DENN DA DER UNTERSCHIED ZUR NACKTSCHNECKE AUSSER BEI DER<br />

ZEICHNUNG?<br />

76


Eh Süsse, wir machen Party, wenn alle anderen schlafen. Wir sind nämlich<br />

voll nachtaktiiiv, soweit klaar, man.<br />

ACH SO IST DAS. DANN SEID IHR IMMER NUR IN DER NACHT UNTER-<br />

WEGS?<br />

Yo, genau so isses, Zuckermäulchen.<br />

WOVON LEBT IHR DENN EIGENTLICH, TEIGEER? MÖGT IHR AUCH<br />

SALAT UND SO, WIE DIE NACKTSCHNECKEN, DIE SCHRECKEN ALLER<br />

GÄRTNER?<br />

Oh man, Rosinchen, ne, man, wir mögen Piiiilze und welke und abgestorbene<br />

Pflanzenteile, eher selten frisches Grünzeugs. Is ja, als müsste ’n<br />

Kind Spinat essen … Uääää.<br />

SO SO, PILZE, HM, DAS ERKLÄRT JA EINIGES. DANN ERNÄHRT IHR<br />

EUCH ALSO REIN VEGETARISCH. SEHR VORBILDLICH.<br />

Sorry, Sis, ich mag ja nur ungern dein Bild von uns zerstören, aber wir sind<br />

Tiger und k<strong>eine</strong> Engelchen … Wir essen durchaus auch Aas und mögen<br />

auch, wie die Franzosen sagen, Escargot …<br />

NICHT IM ERNST, ODER? IHR FRESST EURESGLEICHEN? DANN SEID IHR<br />

JA GAR NICHT SO PEACE, WIE WIR DACHTEN.<br />

Hey chill mal wieder, Sister, wir töten nicht unseresgleichen, sondern andere<br />

Nacktschnecken, und das natürlich nicht einfach so aus Spass. Sondern um<br />

zu überleben, gecheckt, man. Veggie is nicht alles, man.<br />

JA, TUT MIR LEID, WIR SOLLTEN UNS KEIN URTEIL ANMASSEN, WIR<br />

SIND SCHLIESSLICH AUCH NICHT PERFEKT.<br />

Eben Süsse, siehste, is doch alles voll easy, man. Gibt’s noch mehr, daste<br />

wissen willst?<br />

NATÜRLICH! WIR MÖCHTEN SO VIEL WIE MÖGLICH VON EUCH<br />

WISSEN. WO LEBT IHR DENN TAGSÜBER, WENN IHR JA NUR NACHTS<br />

UNTERWEGS SEID?<br />

Tagsüber schlafen wir im Sarg, wie Draculaaaaa … uaaaah, hi i hi. Ne, nur<br />

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Spass, is klar oder, wir suchen uns ein schönes Plätzchen, wo’s kühl und<br />

dunkel is, und verpennen den Tag dann dort. Noch was, Rosinchen?<br />

KLAR DOCH, GIBT ES VIELE VON EUCH? WOHER KOMMT IHR DENN<br />

URSPRÜNGLICH?<br />

Yo man, eh, Zuckerschnecke, jetzt willstes aber ganz genau wissen, eh.<br />

Also jetzt mal ganz ruhig der Reihe nach, Schneckchen. Wir kommen ursprünglich<br />

aus Süd- und Westeuropa, kommen aber zwischenzeitlich in<br />

ganz Mittel europa vor. Wir leben in Auen, Gärten, Parks, und in feuchten<br />

Kellern kann man uns auch finden. An einigen Orten gehören wir zu den<br />

gefährdeten Arten. Wir sind also nicht übermässig viele. Klar so weit?<br />

AHA, UND WIE VERMEHRT IHR EUCH? STIMMT ES, DASS IHR EUCH<br />

SELBST BEFRUCHTET?<br />

Nun, und wir sind echt ’n paar gaanz stürmische Liebhaber. So richtige<br />

Teigeer halt, groaar. Mit zirka anderthalb Jahren werden wir geschlechtsreif,<br />

und wenn wir dann ’ne Schleimspur von ’nem andren Tigerschnegel<br />

aufnehmen, gehen wir ihr nach, bis wir ihn erreicht <strong>haben</strong>. Danach verfolgen<br />

wir ihn mitunter stundenlang. Gut Ding will schliesslich Weile<br />

<strong>haben</strong>, ne. Wenn wir den richtigen Platz dann erreicht <strong>haben</strong>, meist an<br />

<strong>eine</strong>r senkrechten Wand, kriechen wir im Kreis hintereinander her und sondern<br />

dabei seeehr viel Schleim ab, während der Kreis immer enger wird.<br />

Dann umschlingen wir uns stürmisch und belecken und benagen uns gegenseitig.<br />

Dabei scheiden wir so ’nen rötlich-gelben Schleimfaden aus, an<br />

dem wir dann eng umschlungen runterhängen. Fast so wie an ’nem<br />

Bungee seil, yo. Sieht echt spektakulär aus, man. Die Kopulation dauert<br />

dann nur noch so 15 bis 20 Minuten. Der Rest ist dann nur noch Eiablage.<br />

Selbstbefruchtung kommt höchstens in Gefangenschaft vor, is ja dann nur<br />

der halbe Spass, man.<br />

WOW! DAS IST ABER SCHON SEHR SPEZIELL. IST DIE EIABLAGE DANN<br />

GLEICH DANACH, UND LEGT IHR VIELE EIER?<br />

Eh take it easy, Rosinchen, das braucht s<strong>eine</strong> Zeit. Wir legen zweimal<br />

Eier. Einmal so im Juli/August und das zweite Mal im nächsten Jahr, so um<br />

Juni/Juli rum. Das sind dann so an die 100 bis 300, je nach unserer Grösse<br />

78


und unserem Ernährungszustand. Die schlüpfen dann nach so 19 bis<br />

25 Tagen. Erst sind se gaaanz blass und weiss, die coolen Streifen kommen<br />

dann erst später, so nach ner Woche oder so. Noch was, das de wissen<br />

willst, Zuckermäulchen?<br />

JA, EINE FRAGE HABEN WIR NOCH. WIE ALT WERDET IHR EIGENTLICH?<br />

Oh wir werden gut zweieinhalb bis drei Jahre alt, Süsse. Cool, man, ne.<br />

TOLL, VIELEN DANK, LIEBER TEIGEER, DAS WAR ALLES SEHR INTERES­<br />

SANT. GIBT ES NOCH ETWAS, WAS DU UNS GERNE SAGEN WÜRDEST<br />

ODER WAS WIR FÜR DICH TUN KÖNNEN?<br />

Yo, Respect, Rosinchen, ihr seid alle viel zu hastig, das ist gar nicht cool,<br />

und eurer Gesundheit schadet’s auch. Nehmt’s gelassen wie wir. Chillt mal<br />

und sinniert über die schönen Dinge des Lebens nach und geniesst’s, wenn<br />

ihr ʹn leckeres Kuchenkrümelchen findet. Das Leben ist Love, Peace und<br />

Respect für alle, man, eh. Yo, und falls du noch ’n Rosinchen ausm Kuchen<br />

für mich übrig hast, nehm ich’s gerne an, mein Zuckermäulchen.<br />

WIR LASSEN DIR GERNE NOCH EIN STÜCKCHEN VOM GUGELHOPF<br />

HIER. ES WAR UNS EINE AUSGESPROCHENE FREUDE, MIT DIR ZU<br />

REDEN. VIELEN DANK, DASS DU DIR DIE ZEIT GENOMMEN HAST.<br />

HOFFENTLICH BIS BALD MAL WIEDER.<br />

Hab ich doch voll gerne gemacht, man. War echt voll chillig, mit euch abzuhängen.<br />

Träum schön von mir, Rosinchen. Bis auf ein andermal.<br />

79


ROBIN ROTKEHLCHEN<br />

Er ist Englands heimlicher Nationalvogel und beobachtet für Santa Claus<br />

die Kinder, damit dieser an Weihnachten weiss, wer brav und wer weniger<br />

brav war. Bei den Kelten und Germanen galt er als Bote der Sonne. Wo er<br />

nistete, glaubte man, hüte der Gott Donar, dem er auch zugeschrieben<br />

wurde, Haus und Hof und bringe Glück. Es handelt sich hierbei um <strong>eine</strong>n<br />

der lieblichsten Vertreter der Sperlingsvögel – unser Rotkehlchen.<br />

LIEBER ROBIN, VIELEN DANK, DASS DU DICH BEREIT ERKLÄRT HAST,<br />

MIT MIR DIESES GESPRÄCH ZU FÜHREN.<br />

Das mache ich sehr gerne. Was möchtest du denn gerne von mir wissen?<br />

ICH WAR NEULICH IN ENGLAND UND HABE DICH UND EINIGE DEINER<br />

ARTGENOSSEN GETROFFEN. DORT SIEHT MAN ROTKEHLCHEN FAST IN<br />

JEDEM GARTEN. WESHALB SIEHT MAN EUCH HIER NICHT SO OFT?<br />

Ich lebe in Gegenden, wo es tolle Büsche mit Wurzeln und Unterholz hat.<br />

Hier habe ich <strong>eine</strong> wunderbare Flora, die mir ein reichhaltiges Nahrungsbuffet<br />

bietet. Wir leben aber auch in Gärten, die Hecken und Unterholz zu<br />

bieten <strong>haben</strong>. Weshalb man uns bei euch selten sieht, kann ich nur raten.<br />

Vielleicht liegt es daran, dass eure Gärten zu aufgeräumt sind, sodass nicht<br />

mehr viel Nahrung, geschweige denn Versteckmöglichkeiten, zu finden sind.<br />

Naturnahe und naturbelassene Gärten finden wir aber sehr toll und quartieren<br />

uns auch gerne dort ein. Aber ich bin sicher, dass du auch bei dir<br />

zuhause ein Rotkehlchen finden wirst. Du wirst es bestimmt hören, noch<br />

bevor du es siehst.<br />

DAS IST WOHL WAHR. ICH HABE JA AUCH DICH ZUERST GEHÖRT,<br />

BEVOR ICH DICH GESEHEN HABE, UND ES HAT MIR SEHR VIEL FREUDE<br />

GEMACHT, DASS ICH DICH DANN AUS NÄCHSTER NÄHE BETRACHTEN<br />

DURFTE. MIR SCHEINT, DU BIST NICHT SEHR SCHEU. IST DAS BEI<br />

ALLEN ROTKEHLCHEN SO?<br />

Ja, das ist nicht nur bei mir so. Wir sind zwar vorsichtig, aber wir <strong>haben</strong> <strong>eine</strong><br />

sehr kurze Fluchtdistanz. Wäre wirklich schade, wenn wir den Wurm nicht<br />

erwischen würden, den ihr beim Gartenumgraben gerade freigelegt habt.<br />

82


DANN ERNÄHRST DU DICH ALSO NICHT VON SAMEN?<br />

Nein, ich ziehe Insekten, Schnecken und Würmer vor. Aber ich esse schon<br />

auch Früchte, Mehlbeeren, weiche Seidelbastsamen und anderes. Manchmal<br />

sogar kl<strong>eine</strong> Steinchen. Ist gut für die Verdauung. Im Winter mag ich jedoch<br />

das Fettfutter aus dem Futterhäuschen, vom nahe gelegenen Hof, sehr gerne.<br />

EIN FREUND HAT AUCH SO EIN FUTTERHÄUSCHEN IM GARTEN UND<br />

ERZÄHLTE MIR, DASS EIN ROTKEHLCHEN IMMER ZUM FRESSEN<br />

KOMME. ER WAR ABER WENIGER BEGEISTERT ALS ICH UND ERZÄHLTE<br />

MIR, DASS DER FRECHE KERL ALLE ANDEREN VÖGEL, DIE SICH AUCH<br />

BEDIENEN WOLLTEN, EINFACH VERSCHEUCHT HABE. MACHST DU DAS<br />

DENN AUCH?<br />

Ja, auch ich verteidige mein auserkorenes Futterhäuschen gegen jeden anderen.<br />

Unser Revierverhalten ist sehr ausgeprägt. Kommt ein Artgenosse<br />

nur auf der Futtersuche vorbei, dulde ich ihn meistens, wenn genug Futter<br />

da ist. Um die Brutzeit jedoch kann es schon mal zu Aggressionen kommen,<br />

wenn ein anderer in mein Revier einzudringen versucht. Dann versuche ich<br />

ihn erst mal mit m<strong>eine</strong>m Gesang zu verscheuchen, und wenn das nichts<br />

nützt, drohe ich ihm mit vorgestreckter Brust und erhobenem Schwanz.<br />

Wenn auch das nichts nützt, kann es schon mal zu Kämpfen kommen, die<br />

sehr böse enden können.<br />

DAS HABE ICH NICHT GEWUSST. ICH HABE IMMER GEDACHT, DASS IHR<br />

FRIEDLICH UND IN GRUPPEN ZUSAMMENLEBT WIE MEISEN, WELCHE<br />

JA AUCH ZUR GATTUNG DER SPERLINGSVÖGEL GEHÖREN. WESHALB<br />

UNTERSCHEIDET IHR EUCH DENN SO VON IHNEN?<br />

Weshalb unterscheiden sich denn die Engländer von den Schweizern, sie<br />

gehören doch auch alle der Gattung Mensch an?<br />

DAS LIEGT VIELLEICHT AN DEN UNTERSCHIEDLICHEN SPRACHEN,<br />

AN DER UNTERSCHIEDLICHEN LEBENSWEISE, DER ERZIEHUNG, DEM<br />

GLAUBEN ODER AN WAS AUCH IMMER. ABER DU HAST ABSOLUT<br />

RECHT. WESHALB SOLLTE DAS BEI EUCH ANDERS SEIN.<br />

Eben, siehst du. Wir mögen vielleicht anders aussehen, riechen und uns<br />

anders ausdrücken, aber wir sind nicht so viel anders als Menschen.<br />

83


DA HAST DU WOHL RECHT. DU HAST HIER EIN TOLLES REVIER. TEILST<br />

DU ES DENN AUCH MIT JEMANDEM?<br />

Nein, momentan lebe ich hier noch allein. Nichtbrütende Männchen bilden<br />

zwar manchmal Schlafgemeinschaften. Da es aber mehr männliche als<br />

weibliche Rotkehlchen gibt, ist es wichtig, ein gutes Revier zu besetzen. Da<br />

wir standorttreu sind, müssen wir unser Revier auch gut verteidigen. Sonst<br />

können wir uns nicht verpaaren.<br />

DANN BIST DU ALSO NOCH AUF DER SUCHE NACH EINEM WEIBCHEN?<br />

Ich suche mir kein Weibchen. Bei uns ist es so, dass das Weibchen sich<br />

s<strong>eine</strong>n Partner sucht.<br />

SEHR EMANZIPIERT, ABER WENN DU SO AGGRESSIV AUF ANDERE<br />

ROTKEHLCHEN IN DEINEM REVIER REAGIERST, IST ES DANN FÜR EIN<br />

WEIBCHEN NICHT SEHR SCHWIERIG, MIT DIR ANZUBANDELN? ODER<br />

SIEHST DU SOFORT, DASS ES EIN WEIBCHEN IST?<br />

Nein ansehen tu ich ihr das nicht. Aber ich merke es an ihrem Verhalten.<br />

Wenn nämlich ein Weibchen ins Revier kommt und ich versuche es zu verscheuchen,<br />

verhält sie sich plötzlich wie ein Jungvogel. Zittert mit den Flügeln<br />

und singt ganz leise. Damit beruhigt sie mich. Das geht dann einige Tage so, bis<br />

ich sie akzeptiert habe, und danach verteidigen wir unser Revier gemeinsam.<br />

BLEIBEN PAARE DANN ZUSAMMEN?<br />

Ja, wir ziehen dann zusammen unsere Jungen auf. Das Weibchen wählt den<br />

Nistplatz aus. Meist in <strong>eine</strong>m Dickicht am Boden oder zwischen den Wurzeln<br />

<strong>eine</strong>s Baumes. Manchmal aber auch ein ausgedientes Amselnest. Sie<br />

gestaltet es dann kuschelig nach ihren Bedürfnissen, während ich über ihr<br />

in <strong>eine</strong>m Baum oder Strauch sitze und singe. Die ersten zwei Wochen nach<br />

der Eiablage bleibt das Weibchen dann fest auf den Eiern sitzen. Während<br />

ihrer Brutpausen füttere ich sie, und auch wenn die Jungen geschlüpft sind,<br />

bringe ich m<strong>eine</strong>r Lady noch <strong>eine</strong> Weile Futter, damit sie unsere Kl<strong>eine</strong>n<br />

füttern kann. Später füttere ich die Jungen dann auch direkt.<br />

HABT IHR NUR EINMAL IM JAHR JUNGE, UND WIE VIELE KÖNNEN<br />

ES WERDEN?<br />

84


Nein, wir <strong>haben</strong> zwei bis drei Mal im Jahr Junge, und es können schon so<br />

fünf bis sieben Eier pro Gelege sein.<br />

DAS KLINGT NACH VIEL ARBEIT. MACHT IHR EUCH DENN KEINE SOR­<br />

GEN, OB IHR GENUG FUTTER FÜR EURE JUNGEN FINDET UND OB SIE<br />

SICHER SIND IN IHREM NEST?<br />

Wieso sollten wir uns sorgen? Wir können die Welt nicht ändern. Wir leben<br />

jeden Tag so, wie wir es am besten können. M<strong>eine</strong> Lady baut das Nest am<br />

bestmöglichen Platz im Revier, und wenn Feinde wie <strong>eine</strong> Katze oder Profiteure<br />

wie der Kuckuck in die Nähe kommen, versuchen wir vehement, sie<br />

wegzulotsen oder zu vertreiben. Wir suchen Futter für die Kl<strong>eine</strong>n und<br />

geben unser Bestes für sie. Also wozu sollen wir uns Sorgen machen? Wir<br />

schauen nicht zurück, denn die Vergangenheit ist vorbei, und wir können<br />

nicht in die Zukunft sehen, weshalb wir auch nicht wissen, was kommt. Wir<br />

leben heute und geniessen jeden Wurm, den wir finden, freuen uns, wenn<br />

wir im Sonnenschein baden können, und singen bis spät in die Nacht hinein<br />

unsere Lieder. So soll das Leben doch sein, oder etwa nicht?<br />

JA, ICH DENKE, DU HAST DAMIT ABSOLUT RECHT. WIR MENSCHEN<br />

MACHEN UNS EINFACH ZU VIELE SORGEN UND VERGESSEN DABEI<br />

MANCHMAL ZU LEBEN. WIR KÖNNTEN EINE MENGE VON EUCH<br />

LERNEN, WENN WIR ETWAS GENAUER HINHÖREN UND HINSEHEN<br />

WÜRDEN.<br />

Es gibt doch Menschen, die hinsehen und hinhören. Du gehörst doch auch<br />

dazu, oder? Trag d<strong>eine</strong> Gedanken und Erfahrungen einfach weiter. Das ist<br />

dann, als wenn ein Steinchen ins Wasser fiele.<br />

DARF ICH DICH NOCH ETWAS FRAGEN, ROBIN? MIR IST AUFGEFAL­<br />

LEN, DASS MAN SEHR OFT AN HEILIGEN STÄTTEN UND ENERGIE­<br />

REICHEN ORTEN ROTKEHLCHEN SIEHT. IN GLASTONBURY WAR EINES<br />

SOGAR MITTEN IN EINER MENSCHENMENGE, DIE DORT MEDITIERT<br />

HAT. DU LEBST HIER AUF HOLY ISLAND, EINER ENERGIEVOLLEN UND<br />

GESCHICHTSTRÄCHTIGEN INSEL. ICH HABE MANCHMAL FAST SCHON<br />

DAS GEFÜHL, AN DER SANTA-CLAUS-SAGE IST WAS DRAN, DENN AUCH<br />

WENN ICH EUCH NICHT IMMER GLEICH SEHE, SO WEISS ICH DOCH,<br />

85


DASS IHR DA SEID, UND KANN EUCH MEIST AUCH HÖREN. HABT IHR<br />

DA EINE AUFGABE, ODER IST DAS PURER ZUFALL?<br />

Es ist tatsächlich so, dass wir <strong>eine</strong> Aufgabe <strong>haben</strong>. Wir sind die Wächter<br />

und Hüter heiliger Stätten und energievoller Orte. Dort sieht und hört uns<br />

nur, wer offenen Herzens hingeht. <strong>Auch</strong> wenn wir klein an Gestalt sind,<br />

heisst das doch noch lange nicht, dass wir nichts bewirken können. Denn in<br />

den kleinsten Dingen schlummern oft die grössten Kräfte, und Energie ist<br />

ja nicht mit dem Auge messbar.<br />

WENN DAS SO IST, IST WOHL AUCH AN DER CHRISTUS-LEGENDE<br />

WAS DRAN. DIE BESAGT NÄMLICH, DASS ALS JESUS AM KREUZ HING<br />

VOLLER SCHMERZEN, ER EINEN KLEINEN BRAUNEN VOGEL WEINEN<br />

SAH. DER KLEINE VOGEL FLOG ZU JESUS, UM IHM EINEN DORN<br />

AUS DER KRONE ZU ZIEHEN, WORAUF SEINE BRUST MIT JESUS’ BLUT<br />

BENETZT WURDE UND SICH ROT VERFÄRBTE. ES HEISST, ER HÄTTE<br />

JESUS MIT SEINEM GESANG GETRÖSTET. OB DA WOHL ETWAS<br />

WAHRES DRAN IST?<br />

Wer weiss, vielleicht ist es wahr, vielleicht auch nicht. Vielleicht sind wir ja<br />

die Helfer von Santa Claus, vielleicht aber auch nicht. Eine Antwort auf<br />

diese Frage kann und will ich dir nicht geben, das musst du ganz all<strong>eine</strong><br />

für dich selbst entscheiden.<br />

ICH DANKE DIR, LIEBER ROBIN, DASS DU DIR DIE ZEIT FÜR EIN GE­<br />

SPRÄCH MIT MIR GENOMMEN HAST. ICH WÜNSCHE DIR ALLES GUTE<br />

FÜR DEIN WEITERES LEBEN.<br />

Ich habe das sehr gerne gemacht. Ich wünsche dir für jeden Tag ein<br />

Lächeln. Und allen Lesern wünsche ich <strong>eine</strong> gesegnete Weihnachtszeit.<br />

Geniesst sie im Kreis eurer Lieben und denkt auch an alle, die nicht ganz<br />

so viel Glück im Leben <strong>haben</strong>, egal wie viele B<strong>eine</strong> sie <strong>haben</strong>.<br />

86


87


JIMMY WUSEL<br />

Die <strong>eine</strong>n halten sie für Schädlinge und ekeln sich vor ihnen. Die anderen<br />

finden sie süss. Katzen spielen mit ihnen, fressen sie aber nicht. Sie sehen<br />

aus wie Mäuse, heissen wie Mäuse, sind aber k<strong>eine</strong> – unsere Spitzmäuse.<br />

Es war bitterkalt draussen, als ich das winzig kl<strong>eine</strong> Wesen in <strong>eine</strong>m Salzeimer<br />

im Pferdestall fand. Da hatte wohl jemand gedacht, die Stallkatzen<br />

würden die Maus gerne fressen. Weit gefehlt, Katzen fressen nämlich k<strong>eine</strong><br />

Spitzmäuse. Ich konnte die Kl<strong>eine</strong> nicht einfach so wieder raussetzen, denn<br />

das wäre mit Sicherheit ihr Tod gewesen. Es waren Minusgrade und der<br />

Boden hart gefroren, ausserdem bei diesem Wetter auch k<strong>eine</strong> Nahrung<br />

zu finden. Also beschloss ich, sie erst mal mit in die Redaktion zu nehmen<br />

und im Frühling wieder rauszulassen. Zeit genug also, für <strong>eine</strong> nette<br />

Unterhaltung.<br />

Hallo, ich bin Jimmy Wusel und möchte mich bei dir für m<strong>eine</strong> Rettung<br />

bedanken.<br />

DAS HABE ICH SEHR GERNE GEMACHT, UND ES FREUT MICH SEHR,<br />

LIEBER JIMMY, DICH KENNENZULERNEN. ICH HABE DIR EIN PAAR<br />

PFERDELECKERLIS ZERBROCHEN, DOCH DU HAST NICHTS DAVON<br />

GEGESSEN. KANNST DU MIR SAGEN, WESHALB DU DIE NICHT MAGST,<br />

MÄUSE MÖGEN DOCH SONST KÖRNER ETC. GERNE? ODER HAST DU<br />

KEINEN HUNGER?<br />

Das war wirklich lieb gemeint von dir, ich heisse zwar Spitzmaus, bin aber<br />

k<strong>eine</strong> Maus, sondern ein Insektenfresser, so ähnlich wie ein Maulwurf.<br />

ACH SO, DANN IST MIR JETZT VIELES KLARER. WAS ISST DU DENN SO<br />

AM LIEBSTEN?<br />

Oh, ich mag gerne Regenwürmer, Grillen, kl<strong>eine</strong> Wirbeltiere etc., halt alles,<br />

was so kreucht und fleucht …<br />

DAS HEISST, DU WÜRDEST AUCH EINE MAUS ESSEN?<br />

Mh, ja das würde ich. Wenn ich sie erwische. Weisst du, ich muss jeden Tag<br />

mindestens mein eigenes Körpergewicht essen, sonst verhungere ich. Wir<br />

90


Spitzmäuse <strong>haben</strong> <strong>eine</strong> wahnsinnig hohe Stoffwechselrate und unser Herz<br />

schlägt im Normalfall zwischen 800 und 1000 Mal pro Minute.<br />

DAS IST JA UNGLAUBLICH SCHNELL. DANN BRAUCHST DU WIRKLICH<br />

VIEL NAHRUNG. ABER SAG MIR, WIE KANNST DU DENN EINE MAUS<br />

ÜBERWÄLTIGEN, DIE SIND DOCH BESTIMMT SO GROSS WIE DU ODER<br />

SOGAR NOCH GRÖSSER?<br />

Ich beisse sie. In m<strong>eine</strong>r Unterkieferspeicheldrüse produziere ich ein<br />

Gift, ihr nennt es, glaube ich, Blarina-Toxin, welches m<strong>eine</strong> Beute lähmt<br />

oder sogar tötet.<br />

HOPPLA, DANN HABE ICH WOHL GLÜCK GEHABT, DASS DU MICH NICHT<br />

GEBISSEN HAST, ALS ICH DICH AUS DEM KESSEL GEFISCHT HABE.<br />

K<strong>eine</strong> Angst, für euch Menschen ist der Biss zwar schmerzhaft, aber<br />

sonst passiert da nichts weiter. Ihr wärt ja auch ein viel zu grosser Happen<br />

für mich …<br />

WESHALB BIST DU DENN ÜBERHAUPT DRAUSSEN HERUMGEIRRT BEI<br />

DIESER KÄLTE?<br />

Na, weil ich Hunger hatte. Ich mache k<strong>eine</strong>n Winterschlaf und war halt<br />

auf Nahrungssuche, als der Bauer mich gefunden hat. Es ist immer ein<br />

ziemlicher Stress, so ums Überleben zu kämpfen.<br />

JA, DAS KANN ICH MIR VORSTELLEN. NUN KOMMST DU JA ERST MAL<br />

MIT ZU MIR, DANN BIST DU WENIGSTENS ÜBER DEN WINTER VER­<br />

SORGT. HAST DU VIELLEICHT NOCH FAMILIE, DIE WIR MITNEHMEN<br />

SOLLTEN? ODER LEBEN SPITZMÄUSE NICHT IN GROSSEN VERBÄNDEN<br />

WIE NAGETIERE?<br />

Nein, nein, ich bin ein Einzelgänger, wie alle Spitzmäuse. Ich habe nur zur<br />

Paarungszeit Kontakt zu anderen Spitzmäusen.<br />

WO HAST DU DENN GELEBT? HATTEST DU EINEN BAU ODER SO?<br />

Ich habe in <strong>eine</strong>m Spalt nahe beim Keller gelebt und mir ein kuscheliges<br />

Nest mit Blättern und Heu, welches ich dem Bauern stibitzt habe,<br />

gemacht.<br />

91


DANN BUDDELT IHR EUCH ALSO KEINE GÄNGE WIE MAULWÜRFE?<br />

Doch, einige von uns tun das. Oder sie übernehmen verlassene Bauten<br />

von anderen Mäusen oder Ähnliches.<br />

ICH HABE GEHÖRT, DASS SPITZMÄUSE NICHT SEHR GUT SEHEN.<br />

STIMMT DAS, UND WENN JA, FÄLLT DA DIE JAGD NICHT FURCHTBAR<br />

SCHWER?<br />

Ja, das stimmt schon, ich sehe nicht sehr gut. Aber ich erwische immer jede<br />

Beute. Weisst du, ich besitze so <strong>eine</strong> Art Sonar. Ganz ähnlich wie die<br />

Fleder mäuse, welche so ganz nebenbei auch k<strong>eine</strong> Mäuse sind. Ich gebe<br />

dann ganz hohe Piepslaute von mir, welche an m<strong>eine</strong>r Umgebung abprallen<br />

und zu mir zurückgeworfen werden. So erkenne ich m<strong>eine</strong> Umgebung<br />

ganz genau.<br />

DAS IST WIRKLICH SEHR INTERESSANT. WIE ALT BIST DU DENN JETZT,<br />

UND WIE ALT KÖNNEN DENN SPITZMÄUSE ÜBERHAUPT WERDEN?<br />

Wir können ein bis zwei Jahre alt werden, immer vorausgesetzt, wir finden<br />

genügend Futter. Ich bin jetzt schon fast ein Jahr alt.<br />

TOLL, ICH WÜNSCHE MIR, DAS DU NOCH EINE LANGE UND GLÜCK­<br />

LICHE ZEIT VOR DIR HAST, UND ICH HOFFE, DAS TERRARIUM, WELCHES<br />

ICH FÜR DICH BEREIT GEMACHT HABE, IST FÜR DEINE BEDÜRFNISSE<br />

IN ORDNUNG.<br />

Ja, das ist perfekt. Ich hatte noch nie ein sooo weiches Bettchen und war<br />

auch noch nie frei von Parasiten. Und genug zu essen ist auch da. Du bist<br />

ein guter Mensch, und ich danke dir von Herzen für diese tolle Unterkunft.<br />

Du zeigst mir damit, dass Menschen auch <strong>eine</strong> liebevolle Seite für alle<br />

Wesen <strong>haben</strong>.<br />

DAS HABE ICH DOCH GERNE GEMACHT. ICH FINDE, WIR KÖNNEN VIEL<br />

VON EUCH LERNEN, WENN WIR GENAUER HINSCHAUEN. GIBT ES<br />

NOCH ETWAS, WAS DU UNS GERNE MIT AUF DEN WEG GEBEN<br />

WÜRDEST?<br />

Ja, bitte nehmt Rücksicht aufeinander und auf alle Lebewesen. Schätzt<br />

das, was ihr im Leben habt, und geniesst es, jeden Tag aufzustehen und<br />

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nicht ums Überleben kämpfen zu müssen. Das Leben ist schön, wenn ihr<br />

ein Dach über dem Kopf habt, wo es schön warm und trocken ist, wenn<br />

ihr genug zu essen und zu trinken habt und ihr Menschen an eurer Seite<br />

habt, die euch lieben und für euch in jeder Situation da sind. Alles andere<br />

ist nicht wichtig. Es gibt sehr viel schlimmere Dinge, als wenn euer Handy<br />

kaputt ist.<br />

LIEBER JIMMY WUSEL, ICH DANKE DIR FÜR DIESES AUFSCHLUSS­<br />

REICHE GESPRÄCH UND HOFFE, WIR HABEN NOCH EINIGE VOR UNS.<br />

Es war mir <strong>eine</strong> Freude und bis bald.<br />

93


SHINTOKU-SAN<br />

Die <strong>eine</strong>n mögen sie lieber auf dem Teller, die anderen beobachten sie<br />

gerne in ihrem natürlichen Lebensraum. Sie sind bunt und glitzernd oder<br />

aber schlammbraun und unscheinbar. Zuzusehen, wie sie sich elegant und<br />

geschmeidig hin- und herbewegen, versetzt uns in <strong>eine</strong>n Zustand innerer<br />

Ruhe und Harmonie. Für Fans werden sie zum kostbaren Sammlerstück,<br />

und für manchen Sportfischer werden sie durch ihre Intelligenz und Stärke<br />

zur Knacknuss – unsere wundervollen Karpfen.<br />

Ab und zu ziehen wir uns in den kl<strong>eine</strong>n schönen Park in der Nähe unserer<br />

Redaktion zurück. Einfach, um den Kopf durchzulüften und etwas in der<br />

Natur zu sein, und vielleicht, um dort am Teich <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Mittagssnack<br />

zu essen, bevor es zurück zur Arbeit geht. Als wir wieder mal so dasassen,<br />

bemerkte <strong>eine</strong>r von uns plötzlich <strong>eine</strong>n grossen Schatten unter der Wasseroberfläche.<br />

Und tatsächlich, da schwamm putzmunter ein wunderschöner<br />

grosser Koi zwischen den Seerosen hindurch direkt auf uns zu. Den hatte<br />

wohl jemand «in die Freiheit» entlassen … Also nutzen wir die Gelegenheit<br />

gleich, mit unserem unerwarteten Gast ein Gespräch zu führen.<br />

Guten Tag, mein Name ist Shintoku-san und ich bin neu in diesem Teich.<br />

GUTEN TAG, SHINTOKU-SAN. WIE KOMMT DENN EIN SO SCHÖNER<br />

GROSSER KOI WIE DU IN DEN PARKTEICH?<br />

Naja, wahrscheinlich <strong>haben</strong> m<strong>eine</strong> Vorbesitzer mich nicht so schön gefunden.<br />

Ich bin schliesslich auch nur ein einfacher blassgelber Koi.<br />

Kein spezielles, teures Sammler-Tier. Deshalb <strong>haben</strong> sie mich wohl hier<br />

untergebracht.<br />

ICH FINDE DICH WUNDERSCHÖN. ABER KANNST DU DENN ÜBER­<br />

HAUPT ÜBERLEBEN HIER? HIER WERDEN DIE FISCHE JA NICHT GE-<br />

FÜTTERT.<br />

Natürlich, das ist kein Problem, wir ernähren uns ja von Pflanzen, Insekten<br />

und Würmern. Davon finde ich hier mehr als genug. Ausserdem ist so<br />

ein Teich genau der richtige Ort für <strong>eine</strong>n Karpfenartigen wie mich. Wir<br />

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mögen stehende oder ruhig fliessende Gewässer wie Naturteiche oder<br />

Baggerseen. Und für die Winterruhe ist er auch tief genug.<br />

WINTERRUHE?<br />

Ja, wenn die Teichtemperatur unter zehn Grad fällt, verlangsamen wir<br />

unseren Stoffwechsel und halten Winterruhe, bis es wieder warm genug<br />

ist. Dafür brauchen wir aber <strong>eine</strong>n Teich, der mindestens 1,3 Meter tief<br />

ist, damit er nicht bis unten zufriert.<br />

ACH SO, DANN IST DAS JA TOLL SO. ABER FÜHLST DU DICH DENN<br />

NICHT EINSAM? ICH HABE NOCH KEINEN ANDEREN KOI HIER<br />

GESEHEN.<br />

Ich habe noch nicht den ganzen Teich abgeschwommen. Er ist recht gross<br />

und hat viele Wasserpflanzen und Verstecke. Aber bis jetzt habe ich noch<br />

k<strong>eine</strong>n anderen Koi gesehen. Ich hoffe, ich finde noch <strong>eine</strong>n oder wenigstens<br />

<strong>eine</strong>n anderen Fisch, mit dem ich zusammen schwimmen kann. Weisst<br />

du, wir sind sehr soziale <strong>Tiere</strong> und leben gerne im Verband.<br />

DAVON HABE ICH AUCH SCHON GEHÖRT. WIE IST DENN DAS: VER­<br />

TRÄGST DU DICH DENN MIT JEDEM FISCH?<br />

Also, am liebsten habe ich natürlich schon, wenn wir Karpfen unter uns<br />

sind. Es muss nicht unbedingt immer Koi mit Koi schwimmen, Spiegelkarpfen,<br />

Schuppen- oder Zeilkarpfen oder <strong>eine</strong> andere Karpfenart ist auch<br />

okay. Aber grundsätzlich verstehen wir uns mit allen grösseren Fischen<br />

gut, solange es k<strong>eine</strong> Raubfische sind.<br />

DANN ESST IHR WIRKLICH KEINE ANDEREN FISCHE?<br />

Nein, eigentlich nicht, das heisst, manchmal kann es sein, dass ein ganz<br />

grosses Karpfenexemplar kl<strong>eine</strong>re Fische verspeist. Aber das ist wirklich<br />

eher selten der Fall.<br />

WIE GROSS KANN DENN SO EIN KOI ODER KARPFEN WERDEN?<br />

Also, wir können ganz schön gross werden. Wenn wir genügend Platz<br />

<strong>haben</strong>, werden wir schon mal bis <strong>eine</strong>n Meter lang und bis zu 24 Kilogramm<br />

schwer. Richtige Wildkarpfen können noch grösser werden. Nämlich<br />

97


is zu 120 Zentimeter lang und bis zu 40 Kilo schwer. Das sind dann echte<br />

Brummer.<br />

WOW, DAS IST ABER WIRKLICH RIESIG. DANN BIST DU JA NOCH EIN<br />

KLEINER FISCH UND WAHRSCHEINLICH AUCH NOCH SEHR JUNG. WIE<br />

ALT KÖNNEN KOIS DENN WERDEN?<br />

Ja, ich bin erst so etwa 45 Zentimeter lang und zirka vier Jahre alt. Aber wir<br />

können bis zu 60 Jahre alt werden, wenn wir <strong>eine</strong>n schönen Lebensplatz in<br />

<strong>eine</strong>m idealen Teich <strong>haben</strong>.<br />

ALSO, HIER HAST DU WOHL EINEN IDEALEN TEICH, UM SO RICHTIG<br />

GROSS ZU WERDEN. HIER KÖNNTEST DU SOGAR EINE GROSSFAMILIE<br />

GRÜNDEN, FALLS DU EINE PARTNERIN FINDEST. WIE IST DAS DENN<br />

EIGENTLICH BEI EUCH MIT DER FORTPFLANZUNG? ES GIBT JA FISCHE,<br />

DIE LEBEND GEBÄREN, UND SOLCHE, DIE LAICHEN. WIE IST DAS<br />

BEI KOIS?<br />

Unsere Weibchen laichen. Wir treiben sie im Laichspiel, damit synchronisieren<br />

wir unsere Laichbereitschaft. Dann legt das Weibchen die Eier ab,<br />

und wir befruchten sie danach mit unserem Samen. Das sind dann so zirka<br />

400 000 bis 500 000 Eier pro Mal. Und nach vier Tagen schlüpfen dann die<br />

kl<strong>eine</strong>n Kois. Normale Karpfen können je nach Alter bis zu 1,5 Millionen<br />

Eier legen, und die Kl<strong>eine</strong>n schlüpfen dann nach drei bis acht Tagen.<br />

MEINE GÜTE, DANN IST DER TEICH ABER GANZ SCHNELL ÜBER-<br />

BEVÖLKERT.<br />

Nein, nein. Das regelt die Natur schon selbst. Da wir k<strong>eine</strong> Brutpflege ausüben,<br />

werden natürlich viele unserer Kl<strong>eine</strong>n von anderen <strong>Tiere</strong>n gefressen.<br />

Zum Beispiel von Kormoran, Reiher, Storch, anderen Fischen oder<br />

Schildkröten. Die Gefahren sind in <strong>eine</strong>m so grossen Teich nicht zu unterschätzen.<br />

Und auch vor Krankheiten sind wir nicht gefeit. Wenn wir uns<br />

verletzen, kann es schon mal zu <strong>eine</strong>r Verpilzung der Haut kommen, welche<br />

uns sogar das Leben kosten kann.<br />

KOIS GEHÖREN JA ZU DEN KARPFENARTIGEN UND SIND BEI SAMM­<br />

LERN SEHR BELIEBT. KOMMEN KOIS WIRKLICH AUS JAPAN?<br />

98


Naja, Fakt ist, dass wir schon seit 1870 in Japan als Statussymbol gehalten<br />

wurden. Aber wahrscheinlich kommen die unifarbenen Brokatkarpfen ursprünglich<br />

aus dem Iran und wurden ehemals als Insektenfresser und<br />

Speisefisch eingeführt.<br />

DASS KARPFEN GEGESSEN WERDEN, IST JA NOCH VIELERORTS SO,<br />

ABER KOIS? DAS KÄME MIR SCHON KOMISCH VOR. WAHRSCHEINLICH,<br />

WEIL IHR SO SCHÖN BUNT SEID. ABER DIE NORMALEN KARPFEN TUN<br />

MIR AUCH LEID.<br />

Das gehört zur Natur des Menschen. Ich finde es viel schlimmer, dass<br />

es Sportfischer gibt, welche sich <strong>eine</strong>n Spass daraus machen, ihre Kräfte<br />

und Geschicklichkeit mit grossen alten Karpfen zu messen. Weisst du, wir<br />

Karpfen sind nämlich sehr schlau, und die grossen alten Karpfen sind auch<br />

sehr stark. Das Ganze ist einfach ein wahnsinniger Stress für diese Fische,<br />

aber wenigstens lassen sie sie danach wieder frei.<br />

JA, SOWAS KANN ICH AUCH NICHT VERSTEHEN. GIBT ES NOCH ETWAS,<br />

DASS DU UNS GERNE SAGEN MÖCHTEST?<br />

Es wäre sehr schön, wenn ihr Menschen erst gut darüber nachdenkt, bevor<br />

ihr euch ein Tier anschafft. Viele von uns können viele Jahre leben,<br />

wenn wir richtig und gut versorgt werden. Wir empfinden Schmerz und<br />

Trauer genauso wie ihr, und wir lieben und kennen unseren Menschen<br />

wie jedes andere «Haus»-Tier. Wir sind abhängig von euch und euch<br />

auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das gilt besonders für uns Fische.<br />

Es gibt kaum ein anderes «Haus»-Tier, welches so auf s<strong>eine</strong>n Menschen<br />

angewiesen ist. Wenn wir falsch oder schlecht gehalten werden, leiden wir<br />

und müssen vielleicht sogar unter qualvollen Bedingungen langsam sterben.<br />

Wir können aber auch zu Invasoren werden, wenn ihr uns einfach<br />

so in irgend<strong>eine</strong>m Tümpel «in die Freiheit» entlässt, und dann die einheimische<br />

Flora und Fauna bedrohen. Ausserdem kommen die meisten<br />

Zuchtfische aus fast sterilen Bedingungen und <strong>haben</strong> kaum Überlebenschancen.<br />

Also bitte denkt daran, informiert euch, und seid euch bewusst,<br />

was da auf euch an Arbeit zukommt, bevor ihr in den Zoohandel rennt<br />

und einfach ein Aquarium kauft.<br />

99


DAS WERDEN WIR UNS ZU HERZEN NEHMEN. VIELEN DANK FÜR DAS<br />

AUFSCHLUSSREICHE GESPRÄCH. ES WAR UNS EINE FREUDE.<br />

Ganz m<strong>eine</strong>rseits und es würde mich freuen, wenn ihr mich noch oft besuchen<br />

würdet. Vielleicht habe ich bis dahin <strong>eine</strong>n Kumpel gefunden.<br />

DAS MACHEN WIR GERNE. DU FINDEST BESTIMMT EINEN ZWEITEN<br />

FISCH IN DIESEM TEICH, MIT DEM DU SCHWIMMEN KANNST. BIS<br />

BALD.<br />

100


101


TRUDCHEN TAUBENSCHWÄNZCHEN<br />

Sie schwirren von Blüte zu Blüte und trinken in Windeseile Unmengen an<br />

Blütennektar. Fasziniert beobachten wir, wie sie fast schon still in der Luft<br />

stehen, nur ihre Flügel bewegen sich in rasender Geschwindigkeit hin und<br />

her. Fälschlicherweise halten wir sie oft für Kolibris, obwohl sie ganz und<br />

gar nichts mit diesen Vögeln gemeinsam <strong>haben</strong>, ausser vielleicht, dass sie<br />

unglaublich schnell sind und grosse Mengen an Nektar benötigen. Unsere<br />

Taubenschwänzchen – sie sind einfach <strong>eine</strong> Wucht.<br />

Eines schönen Nachmittags, gerade mit <strong>eine</strong>r Recherche beschäftigt, sehen<br />

wir, wie unser Redaktionskater interessiert in den NATURZYT-Garten pirscht,<br />

den Blick starr auf etwas in der Luft Stehendes gerichtet. Von Neugier getrieben<br />

folgen wir ihm und sehen uns <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n Kolibri-ähnlichen<br />

Geschöpf gegenüber. Es ist doch tatsächlich ein Taubenschwänzchen, welches<br />

in hohem Tempo von Blüte zu Blüte schwirrt. Vielleicht hat es kurz<br />

Zeit, zwischendurch noch ein kl<strong>eine</strong>s Interview zu geben … Und tatsächlich,<br />

es freut sich sogar darüber.<br />

Hallihallo, hallihallo, ich bin Trudchen, und ich bin ein Tauben -<br />

schwänzchen.<br />

HALLO TRUDCHEN, ES IST UNS EINE FREUDE, DICH KENNENZULERNEN.<br />

SCHÖN, DASS DU UNS EINEN AUGENBLICK DEINER KOSTBAREN ZEIT<br />

OPFERST, UM MIT UNS ZU SPRECHEN. WO KOMMST DU DENN HER,<br />

WENN WIR FRAGEN DÜRFEN?<br />

Dürft ihr, dürft ihr. Ich komme aus dem Piemont.<br />

DAS IST ABER EIN SEHR WEITER WEG BIS HIERHER. KANNST DU DENN<br />

SO WEIT FLIEGEN?<br />

Natürlich, natürlich. Wir Taubenschwänzchen können bis zu 3000 Kilo meter<br />

in 14 Tagen zurücklegen.<br />

WOW, DAS IST JA UNGLAUBLICH. DANN SEID IHR ABER GANZ SCHÖN<br />

UNTERWEGS.<br />

104


Ja, ja, das gehört sich so für <strong>eine</strong>n Wanderfalter. Wir ziehen umher und<br />

bleiben dann dort, wo es uns gefällt, solange es für uns stimmig ist.<br />

SOZUSAGEN EIN ZIGEUNERLEBEN. SEID IHR DENN NICHT WÄHLE­<br />

RISCH, WAS EURE FUTTERPFLANZEN ANGEHT? VIELE INSEKTENARTEN<br />

SIND JA SPEZIALISTEN UND ERNÄHREN SICH NICHT VON VERSCHIE­<br />

DENEN PFLANZEN. WIE IST DAS DENN BEI EUCH?<br />

Ach nein, ach nein, wir essen eigentlich alles. Hauptsache, es gibt genug<br />

Nektar. Hab auch schon gehört, dass es solche gibt, die nur <strong>eine</strong> Blumenfarbe<br />

anfliegen. Das ist töricht. Wir lernen, dass es nicht auf die Farbe ankommt<br />

und auch nicht auf die Blütengrösse. Der Nektar ist wichtig. Wir<br />

brauchen seeehr viel Nahrung, also brauchen wir Blumen, welche viiiiiel<br />

Nektar hergeben.<br />

JA, IHR MÜSST BESTIMMT SEHR VIEL ENERGIE VERBRAUCHEN, WEIL<br />

IHR JA SO SCHNELL MIT EUREN FLÜGELN SCHLAGT BEIM RUM­<br />

SCHWIRREN, ODER?<br />

Genau, genau, wir schlagen zwischen 70 und 90 Mal mit den Flügeln, und<br />

das in <strong>eine</strong>r Sekunde. Ausserdem fliegen wir bis zu 80 km/h schnell und<br />

können in der Luft stehen und sogar rückwärts fliegen. Das braucht schon<br />

viel Energie. Deshalb saugen wir so in der Minute bis zu 100 Blüten aus.<br />

Das sind so zirka 1300 bis 5000 Fingerhutblüten pro Tag. Ja, ja.<br />

IHR GEHÖRT ZU DEN SCHWÄRMERN, WELCHE EIGENTLICH DOCH<br />

NACHTFALTER SIND. WESHALB SEID IHR DENN TAGAKTIV?<br />

Gute Frage, gute Frage. Darüber habe ich noch gar nie wirklich nachgedacht.<br />

Wir fangen so ab zehn Grad an zu fliegen, und wir fliegen morgens<br />

und abends und manchmal auch nachts. Also eigentlich dann, wenn wir<br />

Lust und Hunger <strong>haben</strong>. Ausserdem sammeln wir Nektar, und die Blumen<br />

brauchen die Sonne für die Blüten, welche den Nektar produzieren. Es<br />

scheint mir deshalb logisch, es so zu tun. Aber so genau habe ich mir das<br />

noch nie überlegt. Spielt das denn <strong>eine</strong> Rolle?<br />

NEIN, EIGENTLICH NICHT. SCHMETTERLINGE SIND JA AN SICH SCHON<br />

FASZINIERENDE WESEN, WEIL SIE EINE METAMORPHOSE DURCHLEBEN.<br />

105


ALSO WIESO SOLLEN SIE NICHT AUCH SONST GEWISSE GEHEIMNISSE<br />

HABEN DÜRFEN. WIE LÄUFT DAS EIGENTLICH BEI EUCH AB? ALS<br />

SCHMETTERLING SEID IHR NICHT WÄHLERISCH, UND ALS RAUPE?<br />

UND WIE SEHT IHR ÜBERHAUPT ALS RAUPE AUS?<br />

Hi hi, hi hi, wie kl<strong>eine</strong> grüne Dackel ohne Schlappohren und mit zu vielen<br />

B<strong>eine</strong>n.<br />

NEIN, ECHT JETZT.<br />

Doch, doch. Manche von uns sind aber auch bräunlich. Wir paaren uns<br />

meistens mit <strong>eine</strong>m anderen Taubenschwänzchen, welches wir an unseren<br />

Ruheplätzchen kennenlernen, da wir oft dort im Verbund ausruhen und<br />

uns aufwärmen. Unsere bis zu 200 Eier legen wir dann unten an <strong>eine</strong>m<br />

Labkrautblatt oder <strong>eine</strong>r sonstigen Futterpflanze ab. Aber immer nur <strong>eine</strong>s<br />

pro Pflanze. Sieht dann fast aus wie <strong>eine</strong> Pflanzenknospe. Nach sechs bis<br />

acht Tagen schlüpfen dann die Kl<strong>eine</strong>n und sehen mit ihren Schwänzchen<br />

und den hübschen Streifen seitlich und auf dem Rücken sehr niedlich aus.<br />

WIE LANGE GEHT DENN EURE METAMORPHOSE BIS ZUM SCHMET-<br />

TERLING?<br />

Ziemlich schnell, ziemlich schnell. Nach zirka zwanzig Tagen verpuppt sich<br />

die Raupe, und dann, nach drei Wochen Puppenruhe, schlüpfen wir als<br />

Schmetter ling. So schnell geht das.<br />

DAS IST JA WIRKLICH TOLL. UND DANN, WIE ALT KÖNNEN DENN DIE<br />

SCHMETTERLINGE WERDEN? ÜBERWINTERT IHR, ODER ZIEHT IHR<br />

WIEDER IN WÄRMERE GEGENDEN? WIE LÄUFT DAS BEI EUCH AB?<br />

Ach ja, ach ja, einige Jungspunde gehen zurück in wärmere Gefilde, einige<br />

überwintern hier an gut geschützten Orten. Wir werden schliesslich nur<br />

etwa 4 Monate alt und sind meist unseren Ruheplätzen ein Falterleben<br />

lang treu.<br />

OH, DAS IST ABER EIN KURZES LEBEN. SCHADE. GIBT ES NOCH ETWAS,<br />

WAS DU UNS GERNE SAGEN MÖCHTEST, LIEBES TRUDCHEN?<br />

Oh, sehr gerne, oh sehr gerne. Ich bin kein Kolibri, auch wenn ich wie <strong>eine</strong>r<br />

aussehe. Also bedenkt, es ist nicht immer alles so, wie es aussieht, in dieser<br />

106


Welt. Denkt immer daran. Ich stehe in der Luft, und doch schlagen m<strong>eine</strong><br />

Flügel in rasender Geschwindigkeit. Also denkt daran, Schnelligkeit heisst<br />

nicht immer, dass man sehr weit kommt. Denkt immer an m<strong>eine</strong>n Rat.<br />

DAFÜR DANKEN WIR DIR SEHR, LIEBES TRUDCHEN, ES WAR UNS EINE<br />

FREUDE, DASS DU DIR SO VIEL ZEIT GENOMMEN HAST.<br />

Aber immer gerne, aber immer gerne. Es war auch mir ein Vergnügen.<br />

107


SAMUEL SEAL<br />

Ihres Pelzes wegen, zur Ölgewinnung und weil wir sie als Nahrungskonkurrenten<br />

ansahen, wurden sie einst von uns abgeschlachtet und im 19. und<br />

20. Jahrhundert fast ausgerottet. Heute stehen sie auf der roten Liste der<br />

bedrohten Arten und erholen sich langsam, obwohl es immer noch viele<br />

Tötungen verwandter Artgenossen gibt. Doch wer das Glück hat, <strong>eine</strong>m<br />

freilebenden Exemplar in der Wildnis sozusagen auf du und du zu begegnen<br />

und s<strong>eine</strong>m Gesang zuzuhören, kann spüren, wie mystisch und<br />

wundervoll diese Wesen sind. Kein Wunder, sind sie die Begleiter der<br />

Sirenen und Meerjungfrauen – unsere Seehunde.<br />

Bei <strong>eine</strong>m Kurzurlaub im schönen Northumberland führte uns unser Weg<br />

nach Lindisfarne. Ein besonderes Fleckchen Erde, welches einmal am Tag<br />

zu <strong>eine</strong>r Insel wird, nämlich immer bei Flut. Die Strasse nach Lindisfarne<br />

führt deshalb sozusagen direkt über den Meeresboden. Beim Hinweg sehen<br />

wir plötzlich in der Nähe der Strasse <strong>eine</strong>n Seal sitzen. Ganz allein neben<br />

<strong>eine</strong>r verbliebenen Wassersenke. Natürlich <strong>haben</strong> wir sofort <strong>eine</strong> der Ausweichbuchten<br />

genutzt, um anzuhalten und auszusteigen. Respektvoll näherten<br />

wir uns dem wunderschönen Tier bis auf etwa sechs Meter, während es<br />

uns genau im Auge behielt, aber k<strong>eine</strong>rlei Anstalten machte zu verschwinden.<br />

Es schien ganz so, als hätte es auf uns gewartet. Das musste man ganz<br />

einfach nutzen, und deshalb <strong>haben</strong> wir es um ein Interview gebeten.<br />

Hello, my dear, ich bin Samuel Seal. Es freut mich, dass du mir Gehör<br />

schenkst.<br />

LIEBER SAMUEL, ES IST GANZ WUNDERBAR, DASS DU BEREIT BIST,<br />

MIR EIN INTERVIEW ZU GEBEN.<br />

Das mache ich sehr gerne. Was möchtest du denn von mir wissen?<br />

NAJA, GRUNDSÄTZLICH MÖCHTE ICH MAL GANZ ALLGEMEIN WISSEN,<br />

ZU WAS FÜR EINER ART DU GEHÖRST UND WO IHR ÜBERALL SO LEBT.<br />

Also, ich bin ein Seal, ein Seehund, welcher zu den Robben oder auch<br />

Hundsrobben gehört, genau wie die Kegelrobben. Wir kommen im Atlantik<br />

109


und Pazifik vor. Und an der Nordseeküste findet man uns häufiger; in<br />

der Ostsee sind wir eher selten anzutreffen, da diese früher durch euch<br />

Menschen sehr arg verschmutzt wurde.<br />

DAS TUT MIR SCHRECKLICH LEID. MENSCHEN TUN LEIDER OFT DINGE,<br />

OHNE DARÜBER NACHZUDENKEN, WELCHE AUSWIRKUNGEN UNSERE<br />

TATEN HABEN KÖNNTEN. HEUTE IST DAS GOTT SEI DANK ETWAS BESSER<br />

ALS FRÜHER. SEEHUNDE UND KEGELROBBEN SEHEN SICH JA SEHR<br />

ÄHNLICH, WORAN KANN MAN EUCH DENN UNTERSCHEIDEN?<br />

Ganz einfach. Wir Seals <strong>haben</strong> <strong>eine</strong>n hübschen runden Kopf, während die<br />

Kegelrobben eher längliche Köpfe <strong>haben</strong>. Ausserdem sind wir mit 140 bis<br />

170 Zentimeter Länge und 100 bis 150 Kilogramm Gewicht auch um einiges<br />

kl<strong>eine</strong>r als unsere Artverwandten.<br />

STIMMT, DU HAST EIN PERFEKTES, HÜBSCHES, RUNDES KÖPFCHEN. SEID<br />

IHR PFLANZENFRESSER, ODER WOVON ERNÄHRT IHR EUCH? UND<br />

GIBT ES ETWAS, DAS DU GANZ BESONDERS MAGST?<br />

Oh, my God, nein, wir sind Raubtiere und fressen hauptsächlich Fische,<br />

aber auch kl<strong>eine</strong>re Meerestiere wie Krebse. Mit Pflanzen spielen wir höchstens<br />

ab und zu. Ich mag Makrelen wahnsinnig gerne. Und magst du auch<br />

Fisch?<br />

NAJA, ICH MAG FISCH AUCH SEHR GERNE, ABER NOCH LIEBER ESSE<br />

ICH MUSCHELN.<br />

Oh, Muscheln, viel zu viel Arbeit für zu wenig Inhalt … Aber über Geschmack<br />

lässt sich ja bekanntlich nicht streiten.<br />

ES WUNDERT MICH, DASS DU HIER GANZ ALLEIN LIEGST. MEISTENS<br />

SIEHT MAN EUCH IN GROSSEN GRUPPEN AUF DEN SANDBÄNKEN<br />

LIEGEN UND SONNENBADEN. HAST DU VIELLEICHT DEN ANSCHLUSS<br />

VERLOREN? IHR SEID DOCH RUDELTIERE, ODER NICHT?<br />

Ich habe weder den Anschluss verloren, noch sind wir Rudeltiere. Eigentlich<br />

sind wir Einzelgänger, vor allem im Wasser. Ich jage gerne all<strong>eine</strong>. Ausserdem<br />

bin ich ein Topschwimmer, ich kann bis zu 200 Meter tief tauchen<br />

und fast 30 Minuten lang die Luft anhalten. An Land gibt’s natürlich weniger<br />

110


Platz, deshalb sieht das vielleicht so aus, als würden wir im Rudel liegen.<br />

Aber wir achten sehr darauf, mindestens <strong>eine</strong>n Meter Abstand zum Nachbarn<br />

zu halten, denn gerade zwischen uns Männchen gibt’s sonst Raufereien<br />

und Beissereien, die zu ganz bösen Verletzungen führen können.<br />

Ausserdem mag ich es, wenn die Menschen mich wahrnehmen.<br />

ACH SO, DAS HABE ICH NICHT GEWUSST. ICH HABE JA SCHON SEALS<br />

BEOBACHTET, WIE SIE IM WASSER MITEINANDER GESPIELT HABEN.<br />

ZUMINDEST SAH DAS FÜR MICH SO AUS.<br />

Es gibt bei uns durchaus solche, die sich ganz einfach gut leiden können<br />

und deshalb ab und zu auch miteinander herumtollen mögen. Das machen<br />

vor allem noch junge <strong>Tiere</strong> sehr gerne.<br />

DARF ICH DICH FRAGEN, WIE ALT DU BIST? UND HAST DU AUCH<br />

SCHON NACHWUCHS GEHABT?<br />

Natürlich darfst du. Ich bin sechs, und ja, ich habe mich schon einmal gepaart.<br />

M<strong>eine</strong> Lady hat nach gut elf Monaten gleich zwei gesunde kl<strong>eine</strong><br />

Heuler bekommen. Ich war mächtig stolz darauf. Weisst du, wir werden<br />

erst so mit vier bis fünf Jahren geschlechtsreif, und es ist sehr selten, dass<br />

gleich zwei kl<strong>eine</strong> Seehunde das Licht der Welt erblicken. Meistens wird<br />

nur ein kl<strong>eine</strong>r Heuler geboren.<br />

SAG MAL, WIESO NENNT MAN EURE JUNGTIERE EIGENTLICH HEULER?<br />

Das ist, weil die Mutter sie nach dem ersten Säugen nach der Geburt allein<br />

lässt und jagen geht. Sie bleiben allein zurück, und deshalb schreien sie<br />

nach ihrer Mama. Aber die Mama kommt immer wieder zurück zu ihren<br />

Kl<strong>eine</strong>n, bis sie alt genug zum Selberjagen sind. Leider gibt es aber immer<br />

wieder Menschen, die aus lauter Mitleid unsere kl<strong>eine</strong>n Heulerchen trösten<br />

möchten und sie deshalb streicheln. Das ist sehr schlimm, denn dann<br />

nimmt der Kl<strong>eine</strong> den Geruch des Menschen an, und die Mutter verstösst<br />

ihn und füttert ihn nicht mehr. Also, falls du mal auf so <strong>eine</strong>n Kl<strong>eine</strong>n triffst,<br />

bitte nicht anfassen. S<strong>eine</strong> Mama kommt schon wieder zu ihm.<br />

OH, MEIN GOTT, SIEHST DU, WIR MACHEN SOGAR AUS LAUTER GUT­<br />

MEINEN MANCHMAL DAS FALSCHE.<br />

111


Naja, liebevolle und achtsame Menschen sind uns trotzdem lieber als<br />

andere. Mach dir k<strong>eine</strong>n Kopf deswegen. Man kann immer nur s<strong>eine</strong><br />

eigene Welt verbessern, nicht die ganze.<br />

DANKE, DAS TRÖSTET MICH JETZT WIRKLICH. DU, SAG MAL, DAS<br />

WASSER HIER IST GANZ SCHÖN KALT. FRIERT IHR EIGENTLICH NIE?<br />

Nein, ganz und gar nicht. Unser Fell und unsere Fettschicht schützen uns<br />

vor der Kälte. Das ist fast so wie eure Neoprenanzüge.<br />

OH, DAS IST ABER TOLL. ICH FINDE, IHR SEID GANZ WUNDERBARE<br />

UND FANTASTISCHE WESEN. WENN MAN EUREN GESANG HÖRT, HAT<br />

MAN DAS GEFÜHL, ETWAS MAGISCHES PASSIERE. LEIDER HABEN<br />

WIR ES GESCHAFFT, DASS IHR AUF DER ROTEN LISTE DER GEFÄHR­<br />

DETEN ARTEN PLATZIERT WERDEN MUSSTET. WEIL WIR EUCH ALS<br />

NAHRUNGSKONKURRENTEN ANSAHEN, HABEN WIR EUCH IM<br />

19. JAHRHUNDERT FAST AUSGEROTTET. ABER GOTT SEI DANK HAT<br />

SICH EUER BESTAND ETWAS ERHOLEN KÖNNEN. GIBT ES NOCH IR­<br />

GENDETWAS, DAS WIR FÜR EUCH TUN KÖNNTEN? ODER MÖCHTEST<br />

DU UNS NOCH ETWAS MIT AUF DEN WEG GEBEN?<br />

Oh, my dear, schlimme Dinge passieren immer im Leben. Leider. Man hat<br />

uns für die Überfischung verantwortlich gemacht. Aber eigentlich wart<br />

ihr ganz all<strong>eine</strong> dafür verantwortlich. Ihr seid so viele, und ihr nehmt mehr,<br />

als ihr braucht. Ihr fischt mit Netzen, ohne darüber nachzudenken, dass<br />

vieles in ihnen landet und stirbt, das ihr gar nicht essen wollt. Aber es<br />

ist halt ja so viel gewinnbringender, einfacher und schneller so. Ihr verschmutzt<br />

die Meere mit Pestiziden, Insektiziden, Fungiziden, Phosphaten,<br />

Plastikmüll etc. Da wir am Ende der Nahrungskette stehen, kumulieren sich<br />

alle diese Umweltverschmutzungen bei uns. Es schwächt uns, macht uns<br />

anfälliger gegenüber Krankheiten und Viren, welche mutieren und plötzlich<br />

auch uns befallen. Bitte nehmt mehr Rücksicht auf die Umwelt. Wir nehmen<br />

grossen Schaden daran. Natürlich. Aber es betrifft am Ende schliesslich<br />

nicht nur uns. Nein. Es betrifft am Ende auch euch alle selbst. Der<br />

Mensch braucht Wasser, um zu trinken. Wenn es vergiftet ist, sterbt ihr.<br />

Ihr braucht Luft zum Atmen. Ist sie vergiftet, erstickt ihr. Und ihr braucht<br />

die Erde, sie gibt euch Nahrung. Wenn sie vergiftet ist, ist euer Essen ver-<br />

112


giftet, und dann verhungert ihr. Vieles sieht nicht sehr schlimm aus, aber<br />

es ist da, und es wird schlimmer. Und solange ihr nicht wirklich umdenkt,<br />

werdet ihr euch und uns in Raten töten. Bedenkt das. Wir alle sind ein Teil<br />

dieser Welt, und wenn ihr uns und unsere Meere schützt, macht ihr das<br />

nicht nur für uns, sondern auch für euch.<br />

JA, DU HAST MEHR ALS RECHT. ICH WERDE DAS GERNE ALLEN ER­<br />

ZÄHLEN, DIE ES HÖREN WOLLEN, UND AUCH DENEN, DIE ES NICHT<br />

WOLLEN. ICH HOFFE FÜR UNS ALLE, DASS WIR UNS BESINNEN<br />

WERDEN. ICH WÜNSCHE DIR AUF JEDEN FALL EIN LANGES UND GE­<br />

SEGNETES LEBEN, MEIN LIEBER SAMUEL.<br />

Ich danke dir, my dear, auch ich wünsche mir, dass wir alle in Frieden und<br />

Respekt glücklich nebeneinander leben können. Es hat mich sehr gefreut,<br />

mich mit dir zu unterhalten. Danke dafür.<br />

ICH HABE ZU DANKEN, SAMUEL, DAS GESPRÄCH MIT DIR WAR ETWAS<br />

BESONDERES. ICH WERDE DICH NIE VERGESSEN.<br />

113


DARIUS DACHS<br />

Mit s<strong>eine</strong>n Haaren werden Kunstwerke gemalt, und der Jäger trägt gerne<br />

s<strong>eine</strong>n Bart an s<strong>eine</strong>m Hut. Früher nannte man ihn Grimmbart – unseren<br />

wunderbaren, geheimnisvollen Dachs.<br />

Im naturbelassenen Teil des Parks der Glastonbury Abbey lebt seit Generationen<br />

<strong>eine</strong> Dachsfamilie. Einmal wöchentlich kann man in <strong>eine</strong>r kl<strong>eine</strong>n<br />

Gruppe die <strong>Tiere</strong> bei der Fütterung beobachten. Das hätten wir von der<br />

Naturzyt-Redaktion sehr gerne miterlebt, leider fehlte uns jedoch dafür<br />

die Zeit. Sehr schade. Kurz nach unserer Heimkehr entdeckten wir bei<br />

<strong>eine</strong>m Waldspaziergang <strong>eine</strong>n Dachsbau. Schon wieder rief sich der Dachs<br />

in Erinnerung. Und als dann kurz danach, morgens auf dem Weg zur Arbeit,<br />

zwei munter hintereinander herrennende Dachse vor unserem Auto vorbeisausten,<br />

war’s klar. Der Dachs war wohl gewillt, mit uns ein Interview<br />

zu führen. Dann wollen wir doch hören, was er uns mitzuteilen hat.<br />

Hallo, ich bin Darius Dachs und möchte mich gerne mit euch unterhalten.<br />

DAS HABEN WIR UNS SCHON FAST GEDACHT. IHR DACHSE WART JA<br />

AUCH SEHR PRÄSENT IN LETZTER ZEIT. WAS MÖCHTEST DU UNS DENN<br />

GERNE MITTEILEN?<br />

Ich würde euch gerne von uns und unserer Lebensart erzählen. Vielleicht<br />

könnt ihr von uns auch etwas lernen. Ich habe gehört, dass ihr mit uns<br />

<strong>Tiere</strong>n sprecht und das dann allen Menschen weitererzählt. Stimmt das<br />

denn?<br />

JA, DARIUS, WIR VERSUCHEN MIT UNSEREN TIERISCH GUTEN INTER­<br />

VIEWS DEN MENSCHEN ZU ZEIGEN, DASS JEDES TIER EINE PERSÖN­<br />

LICHKEIT BESITZT UND DASS JEDER EINZELNE VON EUCH WICHTIG<br />

FÜR DEN KREISLAUF DER NATUR IST UND ES DESHALB VERDIENT, MIT<br />

RESPEKT BEHANDELT ZU WERDEN.<br />

Das finde ich <strong>eine</strong> wirklich tolle Sache. Also <strong>haben</strong> mir die Eichhörnchen<br />

k<strong>eine</strong> Märchen erzählt. Dann werde ich sehr gerne ein bisschen über uns<br />

berichten.<br />

115


DU SPRICHST MIT EICHHÖRNCHEN? STEHEN DIE DENN NICHT EHER<br />

AUF DEINEM SPEISEPLAN? UND WIE KANNST DU SIE ÜBERHAUPT<br />

VERSTEHEN, SPRICHST DU IHRE SPRACHE, DARIUS?<br />

Natürlich, wieso sollte ich nicht mit ihnen sprechen. Das kommt allerdings<br />

eher selten vor, da wir ja nachts aktiv sind und die Eichhörnchen am<br />

Tag. Aber manchmal treffen wir uns in der Dämmerung und unterhalten<br />

uns. Aber eben nicht wie Menschen mit Worten, sondern auf telepathischem<br />

Weg mit Bildern. Natürlich geben wir auch Laute von uns, aber diese<br />

sind nur zur Verdeutlichung und eher für unsere eigene Art gedacht.<br />

Gegessen habe ich Eichhörnchen noch nie. Wir essen zwar Fleisch, aber<br />

auch anderes. Wir sind sozusagen Allesfresser.<br />

WAS SOLLEN WIR UNS DANN UNTER «ALLESFRESSER» VORSTELLEN?<br />

Na ja, hauptsächlich essen wir Regenwürmer, aber wir essen auch Käfer,<br />

deren Larven und kl<strong>eine</strong>re Säugetiere wie Wühlmäuse, Spitzmäuse, Maulwürfe,<br />

junge Wildkaninchen und ab und an auch mal <strong>eine</strong>n Igel. Ausserdem<br />

auch Feldfrüchte wie Mais oder Beeren und Eicheln. Was Mutter<br />

Natur halt so zu bieten hat.<br />

IHR ESST IGEL? ABER DIE HABEN DOCH STACHELN, VERLETZT IHR<br />

EUCH DENN NICHT DABEI?<br />

Nein, dank unserer langen Nase können wir den Igel aufrollen, indem wir<br />

unsere Schnauze in die kl<strong>eine</strong> Lücke der Rolle stecken. Aber das geschieht<br />

nicht so oft.<br />

LETZTENS HABEN WIR BEI EINEM SPAZIERGANG EINEN DACHSBAU<br />

ENTDECKT. ALS ICH DAS NACHSCHLUG, HABE ICH GELESEN, DASS IN<br />

ENGLAND EIN DACHSBAU GEFUNDEN WURDE, WELCHER 50 KAMMERN<br />

UND 178 EINGÄNGE HATTE, DIE DURCH 879 METER TUNNEL MITEIN­<br />

ANDER VERBUNDEN WAREN. DAS IST WAHRLICH EINE WAHNSINNS­<br />

LEISTUNG. WIE BRINGT IHR SOWAS ZUSTANDE?<br />

Es ist so, dass wir die Baue über Generationen hinweg immer bewohnen<br />

und ausbauen. Einige Baue werden so über Jahrzehnte, wenn nicht sogar<br />

über Jahrhunderte hinweg bewohnt.<br />

116


WIE UNTERSCHEIDEN SICH DENN EURE BAUE VON DEN FUCHSBAUEN,<br />

DARIUS? HABEN DIE MEHR AUSGÄNGE? ODER IST DIE LAGE ANDERS?<br />

Nein eigentlich nicht. Wir wohnen gerne in hügeligen, reich strukturierten<br />

Landschaften, in Laubmischwäldern mit ausgeprägter Strauchschicht. Die<br />

Baue legen wir dann meist an Waldrandhabitaten und an Hängen an. Wir<br />

graben gerne in die Tiefe. Die Wohnkammer befindet sich mindestens<br />

fünf Meter unter der Erde mit vielen Zugangstunneln, so ist die Frischluftzufuhr<br />

gewährleistet. Alte Baue können zudem mehrere Etagen untereinander<br />

<strong>haben</strong>. Dem Fuchs gefällt das auch, deshalb denke ich, dass der<br />

hauptsächliche Unterschied wohl darin liegt, dass wir erstens unsere<br />

Kammern mit Moos, trockenem Laub und getrocknetem Farn auspolstern<br />

– das hilft gegen Ungeziefer und man schläft ruhig und gut – und dass<br />

wir sehr reinlich sind. Will heissen, wir <strong>haben</strong> unsere Klos draussen (Loch<br />

buddeln, reinmachen und dann wieder zuschütten). Nicht wie der Fuchs,<br />

wo man grad muss … Ausserdem findet man uns nur selten in Siedlungsnähe,<br />

nicht wie Meister R<strong>eine</strong>cke. Wir nutzen zwar offene, landwirtschaftlich<br />

genutzte Flächen gerne zur Nahrungssuche, aber damit hat<br />

sich’s auch schon. Mit dem Fuchs verstehen wir uns so gut, dass wir oftmals<br />

<strong>eine</strong>n Bau mit ihm teilen. Ich habe auch <strong>eine</strong>n Fuchs als Mitbewohner,<br />

weil unser Familien bau auch schon ein paar Jahre alt und gross genug<br />

dafür ist.<br />

GIBT DAS DENN KEINE PROBLEME? ZUM BEISPIEL WENN IHR JUNGE<br />

HABT?<br />

K<strong>eine</strong>swegs. Füchse sind wie wir Allesfresser. Sie gehören zwar zu den<br />

Hunde artigen und wir zu den Marderartigen, jedoch sind wir gar nicht so<br />

sehr verschieden. Ausserdem <strong>haben</strong> wir etwa zur gleichen Zeit Junge. Zwar<br />

ist die Fortpflanzung bei uns etwas anders, aber die Kl<strong>eine</strong>n kommen in<br />

etwa zur gleichen Zeit zur Welt.<br />

WAS HEISST: DIE FORTPFLANZUNG IST ANDERS?<br />

Naja, Wir können uns das ganze Jahr über paaren, da es bei uns <strong>eine</strong> Keimruhe<br />

gibt. Das heisst, die befruchteten Eizellen nisten sich, nachdem sie als<br />

Blastozysten geruht <strong>haben</strong>, erst im Winter so zwischen Anfang Dezember<br />

und Mitte Januar in der Gebärmutterschleimhaut ein. So werden unsere<br />

117


kl<strong>eine</strong>n meistens Anfang März nach 45 Tagen Tragzeit geboren. Der Fuchs<br />

hat s<strong>eine</strong> Ranzzeit meistens zwischen Dezember und März, und die Tragezeit<br />

beträgt zirka 50 Tage. Das heisst, die Fuchswelpen kommen meistens<br />

nur wenige Tage nach unseren zur Welt. Also ihr seht, wir <strong>haben</strong> dann<br />

beide alle Pfoten voll zu tun mit der Aufzucht unserer Jungen. Und sollte es<br />

trotzdem mal Probleme geben, sind wir wehrhaft genug, uns gegen die<br />

Füchse durchzusetzen. Schliesslich sind wir mit 7 bis 14 Kilo fast doppelt so<br />

schwer wie der Fuchs und mit unseren langen Vorderkrallen auch gut<br />

bewaffnet.<br />

WAS PASSIERT, WENN DIE JUNGEN ERWACHSEN WERDEN? VERLAS­<br />

SEN DANN ALLE DEN FAMILIENSITZ UND SUCHEN IHR GLÜCK IN DER<br />

GROSSEN WEITEN WELT?<br />

Also, bis die Kl<strong>eine</strong>n erwachsen sind, dauert das schon ein Weilchen. Bis<br />

zum zweiten Lebensjahr bleiben die Jungen im Clan, erst dann beginnen sie<br />

abzuwandern. Das ist wohl sehr ähnlich wie bei euch Menschen. Bei uns<br />

sind es meist die Weibchen, welche gehen und sich <strong>eine</strong> neue Heimat<br />

suchen. Fast so, wie wenn ihr Menschen heiratet und <strong>eine</strong> eigene Familie<br />

gründet. Jedoch ohne Verwandtenbesuche. Es gibt aber auch immer wieder<br />

solche, die für den Rest ihres Lebens im Clan bei ihrer ursprünglichen<br />

Familie bleiben.<br />

WIE ALT KÖNNEN DACHSE DENN WERDEN, DARIUS?<br />

Wenn man uns nicht jagt, wir gesund bleiben und immer genug zu futtern<br />

finden, dann können wir bis zu 15 Jahre alt werden. Das ist dann aber<br />

wirklich der absolute Idealfall. In der Realität sind es eher drei bis zehn<br />

Jahre. Je nachdem.<br />

FRÜHER HAT MAN DACHSE IHRES FELLS UND DES FETTES WEGEN<br />

GEJAGT. MAN SAGTE, DASS DACHSFETT GUT GEGEN RHEUMA SEI,<br />

UND DIE HAARE BRAUCHTE MAN FÜR PINSEL UND HUTSCHMUCK.<br />

ABER HEUTE, WERDEN DENN HEUTE WIRKLICH NOCH DACHSE<br />

GEJAGT?<br />

Ja leider, Jagen ist für den Menschen nach wie vor auch ein Sport. Leider<br />

nur nicht mit fairen Waffen. Oft <strong>haben</strong> es die Jäger gar nicht auf uns ab-<br />

118


gesehen, sondern auf unsere Mitbewohner, die Füchse. Diese werden<br />

vergast und damit werden wir gleich mitgetötet. Und wenn wir dennoch<br />

ihr Ziel sind, dann weil man uns nachsagt, dass wir schädlich fürs Niederwild<br />

(Hasen etc.) seien und sowieso viel zu viele, dann bringt man uns<br />

durch Fallenjagd zur Strecke.<br />

DAS IST JA SCHRECKLICH. WIR WÜRDEN EUCH GERNE HELFEN, ABER<br />

WIE? GIBT ES ETWAS, WAS WIR TUN KÖNNTEN, ODER ETWAS, WAS<br />

DU UNS GERNE NOCH SAGEN MÖCHTEST?<br />

Ihr könnt uns am besten helfen, indem ihr weiterhin über uns <strong>Tiere</strong> be -<br />

richtet. Den Menschen aufzeigt, dass wir gar nicht so verschieden von euch<br />

sind. Dass es uns braucht und dass, wenn ihr endlich der Natur mal wieder<br />

etwas mehr freien Lauf lassen würdet, sich alles von selbst regeln<br />

würde. Jeder von uns hat s<strong>eine</strong> Aufgabe im Kreislauf des Lebens, und wenn<br />

man uns nicht jagen würde, würden wir auch nicht so viel Nachwuchs<br />

produzieren, weil dann wäre unsere Lebensspanne auch länger. Da aber<br />

das Nahrungsangebot sich trotzdem nicht vervielfältigt, würden wir auch<br />

unseren Nachwuchs regulieren. Wir können unsere Fortpflanzung durchaus<br />

steuern, auch ohne Pille … Aber wenn wir ständig dezimiert werden,<br />

müssen wir uns entweder vermehrt fortpflanzen, oder wir sterben aus. Ihr<br />

seht also, es ist bei allem immer das Gleiche. Das Leben ist ein fortwährender<br />

Kreislauf. Bitte bedenkt das, bevor ihr immer wieder in die natürliche<br />

Ordnung eingreift. Der Mensch ist für das Aussterben so vieler verschiedener<br />

Lebewesen verantwortlich, und das nicht nur durch die Jagd und<br />

nicht nur in der Tierwelt, sondern auch in der Pflanzenwelt, durch Umweltverschmutzung<br />

und Giftstoffe, die ihr unkontrolliert oder sogar kontrolliert<br />

freisetzt. Das muss doch eigentlich nicht sein, oder?!<br />

DAS SIND WAHRLICH SEHR WEISE WORTE, DARIUS, DAFÜR DANKEN<br />

WIR DIR VON HERZEN, WIR WERDEN SIE GERNE WEITERTRAGEN. DIE<br />

BEGEGNUNG MIT DIR HAT UNSER HERZ SEHR BERÜHRT. WIR WÜN­<br />

SCHEN DIR ALLES GUTE FÜR DEIN WEITERES, HOFFENTLICH LANGES,<br />

GESUNDES LEBEN.<br />

Ich kann das nur an euch zurückgeben. Ich hoffe, dass ihr noch mit ganz<br />

vielen <strong>Tiere</strong>n Interviews führen werdet und ihre Worte den Menschen<br />

119


mitteilt. Gebt niemals auf. Und wenn ihr wieder mal unterwegs seid, denkt<br />

an mich. Wer weiss, man sagt ja, man begegnet sich immer zweimal im<br />

Leben. Lebt wohl und lebt froh.<br />

120


121


PHINEAS UND PHERB<br />

Sie werden als Nahrung oder zu Versuchszwecken gezüchtet. Die <strong>eine</strong>n<br />

schimpfen sie Schädlinge – andere finden sie süss und halten sie als Haustiere.<br />

Manch <strong>eine</strong>r ekelt sich gar vor ihnen und findet, sie seien Ungeziefer,<br />

oder man fürchtet sich gar vor ihnen. Dabei sind sie absolut harmlos und<br />

wirklich niedlich – unsere kl<strong>eine</strong>n knopfäugigen Mäuschen.<br />

Dieses Frühjahr bekamen wir zwei winzig kl<strong>eine</strong> halbverhungerte und<br />

-verdurstete Mäuschen, welche sich in die <strong>Buch</strong>druckerei <strong>eine</strong>s befreundeten<br />

Paares der Redaktoren geflüchtet hatten. Da diese dort nicht wieder<br />

ausgewildert werden konnten, weil’s einfach zu kalt und weder Wasser<br />

noch Nahrung zu finden war, kamen die beiden Pfleglinge vorab zu uns in<br />

die NATURZYT-Redaktion. Hier wurden sie von uns in <strong>eine</strong>m grossen Terrarium<br />

versorgt, bis wir sie dann im Frühling, bei wärmeren Temperaturen,<br />

wieder auswildern konnten. In dieser Zeit hat es sich wie von selbst angeboten,<br />

ein kl<strong>eine</strong>s Interview mit den beiden Mäuschen zu führen.<br />

Hallo, ich bin Phineas und ich bin Pherb. Wir sind so froh, dass eure<br />

Freunde uns gefunden und gerettet <strong>haben</strong>.<br />

DAS HABEN SIE SEHR GERNE GEMACHT, SIE MÖGEN NÄMLICH TIERE<br />

AUCH SEHR GERNE. WÄRT IHR BEIDE BEREIT FÜR EIN KLEINES<br />

INTERVIEW?<br />

Phineas: Wow, du willst tatsächlich mit uns sprechen?<br />

Pherb: Das ist uns noch nie passiert, aber wir <strong>haben</strong> ja auch noch von<br />

niemandem so ein tolles Häuschen bekommen mit sooo weichem Kuschelnestzeug<br />

drin.<br />

JA NATÜRLICH MÖCHTEN WIR MIT EUCH SPRECHEN. ES INTERESSIERT<br />

UNS, MEHR ÜBER EUCH UND EURE LEBENSWEISE ZU ERFAHREN.<br />

Phineas: Na, was möchtet ihr denn wissen?<br />

Pherb: Frag nur, wir geben dir gerne Auskunft.<br />

124


GUT ALSO, ALS ERSTES WÄRE ES SCHÖN, WENN IHR UNS SAGEN<br />

KÖNNTET, WAS FÜR EINER GATTUNG IHR ANGEHÖRT.<br />

Pherb: Was ist <strong>eine</strong> Gattung?<br />

OH, ENTSCHULDIGT. DAMIT IST EURE RASSE GEMEINT. BZW. ZU WAS<br />

FÜR EINER MÄUSEART IHR GEHÖRT.<br />

Pherb: Ach so. Na, ich weiss das nicht so genau. Weisst du das, Phineas?<br />

Phineas: Na klar. Wir sind Waldmäuse.<br />

Pherb: Hä, aber wir leben doch gar nicht im Wald. Wir <strong>haben</strong> doch dort<br />

bei der <strong>Buch</strong>druckerei im Fassadenbewuchs gewohnt. Also müssten wir<br />

dann nicht Vorgarten- oder Hausmäuse sein oder so was?<br />

Phineas: Blödsinn, Vorgartenmäuse gibt’s gar nicht, und Hausmäuse sehen<br />

ganz anders aus. Wir <strong>haben</strong> nämlich so grosse Kugelaugen und nen hellen<br />

Bauch. Ausserdem sind wir sowieso einfach hübscher, weil wir nicht so<br />

graubraun sind, sondern so haselnussbraun.<br />

Pherb: Ich glaub’s dir trotzdem nicht. Weil, Waldmäuse leben doch sicher<br />

im Wald.<br />

NEIN, NEIN PHERB, PHINEAS HAT DA SCHON RECHT. IHR GEHÖRT<br />

ALSO ZU DEN WALDMÄUSEN. WEISST DU PHERB, WALDMAUS IST<br />

NUR EINE ARTBEZEICHNUNG. VIELE EURER ART BEWOHNEN SIED­<br />

LUNGSGEBIETE. DAS LIEGT WOHL AM NAHRUNGSANGEBOT.<br />

Pherb: Na, wenn du’s sagst, glaub ich’s.<br />

Phineas: Ist ja mal wieder typisch. Mir glaubt sie einfach nie was.<br />

NA, NA, NICHT STREITEN. ERZÄHLT MIR DOCH LIEBER, WIE IHR SO<br />

LEBT.<br />

Phineas: Also momentan leben wir bei dir. Ist zwar ’n bisschen eng hier,<br />

aber immer noch besser als draussen. Wir sind fast erfroren dort<br />

draussen.<br />

125


Pherb: Ja, und auch fast verhungert und verdurstet. Es war so kalt, dass<br />

wir k<strong>eine</strong> Nahrung und auch kein Wasser finden konnten. War alles tot<br />

und eingefroren.<br />

Phineas: Drum sind wir dann halt heimlich in die <strong>Buch</strong>druckerei geschlichen,<br />

und die <strong>haben</strong> uns voll erwischt.<br />

Pherb: Ja, ich habe mich erst mächtig erschrocken. Aber dann habe ich<br />

gemerkt, dass die mir ja gar nichts tun wollen.<br />

Phineas: Ja, und dann kamen wir zu euch und bekamen Futter und Wasser<br />

und <strong>eine</strong>n warmen, ruhigen Ort.<br />

Pherb: Oooh ja. Ein kuschelig warmes Häuschen und Nüsse und Samen und<br />

ein Wasserbecken. Da habe ich mich gleich reingesetzt.<br />

JA, DARAN KANN ICH MICH GUT ERINNERN. DU WARST VÖLLIG AUS­<br />

GETROCKNET. SCHADE FINDE ICH NUR, DASS MAN EUCH SO SELTEN<br />

SIEHT. IHR SEID NÄMLICH WIRKLICH SEHR HÜBSCH.<br />

Phineas: Na, ich guck doch zu, wenn du nachts noch lange arbeitest. Dann<br />

siehst du mich doch.<br />

Pherb: Tut mir leid, ich bin halt etwas scheu, und ich geniesse es einfach,<br />

nur im Kuschelbett zu liegen. Ich komme erst nachts raus, wenn’s dunkel<br />

ist.<br />

AHA, DANN SEID IHR ALSO NACHTAKTIV. WAS MIR AUCH NOCH<br />

ETWAS SORGE BEREITET, IST EURE WIEDERAUSWILDERUNG. HABT<br />

IHR DA WÜNSCHE?<br />

Phineas: Dann müssen wir also nicht hierbleiben. Ich will nicht undankbar<br />

sein, aber immer möchte ich nicht in so <strong>eine</strong>m Glaskasten wohnen. <strong>Auch</strong><br />

wenn er recht gross ist. Dann lieber irgendwo, wo’s viele Gebüsche und<br />

Schlupfmöglichkeiten hat draussen in der freien Natur. Dort, wo wir <strong>eine</strong><br />

Höhle bauen können, mit <strong>eine</strong>r Nestkammer und <strong>eine</strong>r Vorratskammer.<br />

Mit zwei Ausgängen … Man weiss schliesslich nie …<br />

126


Pherb: Ja, und irgendwo, wo es auch Wasser hat. Einen Teich oder Bach<br />

oder so.<br />

Phineas: Und Futter sollten wir genug finden können. Vielleicht da, wo es<br />

<strong>Buch</strong>en oder Haselnussbäume gibt. Oder in der Nähe <strong>eine</strong>s Feldes.<br />

Pherb: Und bitte irgendwo, wo es k<strong>eine</strong> Katzen hat.<br />

DAS SIND ABER VIELE WÜNSCHE AUF EINMAL. ABER ICH BIN SICHER,<br />

WIR WERDEN EINEN PASSENDEN ORT FÜR EUCH FINDEN. AUSSER­<br />

DEM WÜRDEN WIR NIEMALS EIN WILDTIER ALS HAUSTIER HALTEN,<br />

WENN WIR SEINER NATUR DABEI NICHT GERECHT WERDEN KÖNN­<br />

TEN. AUCH GIBT ES KEINEN GRUND, DASS IHR NICHT WIEDER IN DIE<br />

NATUR GEHEN DÜRFT, SOBALD ES WIEDER WARM GENUG IST, DASS<br />

IHR EINEN GUTEN START INS NEUE LEBEN BEKOMMT.<br />

Pherb: Also ich find’s nicht so schlimm bei euch. Phineas ist halt mehr <strong>eine</strong><br />

Draufgängerin als ich. Ich mag’s halt lieber sicher.<br />

Phineas: Bin ich gar nicht, du bist einfach ein Faulpelz und lässt es dir gerne<br />

gutgehen.<br />

Pherb: Bin ich gar nicht, aber ich bin dankbar. Sie <strong>haben</strong> uns schliesslich das<br />

Leben gerettet.<br />

Phineas: Na und, das heisst ja nicht, dass ich deshalb ewig hierbleiben muss.<br />

NICHT SCHON WIEDER STREITEN, JUNGS, ÄH MÄDELS, ÄH, WAS SEID<br />

IHR EIGENTLICH, MÄDCHEN ODER JUNGS? NICHT DASS WIR DANN<br />

IM FRÜHJAHR ZWANZIG MÄUSE AUSWILDERN MÜSSEN.<br />

Phineas: Also wir streiten nicht, wir diskutieren.<br />

Pherb: Mh, hm …<br />

Phineas: K<strong>eine</strong> Angst, wir sind zwei Mädchen. Also k<strong>eine</strong> zwanzig Mäuse<br />

zum Auswildern. Wie kommst du denn eigentlich auf so was?<br />

127


NA, MAN WEISS DOCH, DASS SICH MÄUSE SEHR SCHNELL VERMEH­<br />

REN UND DANN ZU SCHÄDLINGEN WERDEN KÖNNEN. ODER STIMMT<br />

DAS ETWA NICHT?<br />

Pherb: So schlimm, wie ihr immer tut, ist es nun auch wieder nicht. Wir<br />

bekommen bis zu dreimal im Jahr zwei bis acht Junge. Und das je nach<br />

Nahrungsangebot. Ausserdem sind wir nur acht bis elf Zentimeter gross.<br />

Meistens seht ihr uns ja gar nicht.<br />

Phineas: Jawohl, wenn es wenig zu essen gibt, gibt es auch weniger Nachwuchs.<br />

Und Schädlinge nennt nur ihr uns. Ist eigentlich ’ne Frechheit. Ihr habt<br />

Nahrung im Überfluss, und wenn wir ein bisschen davon <strong>haben</strong> möchten,<br />

nennt ihr uns Schädlinge und tötet uns. Von Teilen habt ihr wohl noch<br />

nie was gehört. Nein, lieber hetzt ihr uns Katzen auf den Hals oder tötet<br />

uns mit Fallen. Unser Leben ist mit zwei bis drei Jahren kurz genug, da<br />

wäre es schön, wenn wir uns nicht noch die ganze Zeit vor euch fürchten<br />

müssten.<br />

Pherb: Katzen machen mir Angst. Die sind gemein. Die spielen mit uns und<br />

werfen uns herum. So was tut man nicht.<br />

DAS TUT MIR SEHR LEID. IHR HABT WOHL RECHT. EUER LEBEN IST<br />

NICHT IMMER EINFACH. IHR SEID VIELEN GEFAHREN AUSGESETZT.<br />

GIBT ES IRGENDETWAS, WAS WIR TUN KÖNNEN, UM EURE LEBEN<br />

ZU VERBESSERN?<br />

Phineas: Wir wären dankbar, wenn ihr eure Felder nicht total abernten<br />

würdet, sondern für uns noch etwas liegen lasst. So könnten wir besseren<br />

Nahrungsvorrat in unseren Höhlen anlegen. Ausserdem tun euch so ein<br />

paar Körnchen weniger nicht weh.<br />

Pherb: Ja, und bitte lasst auch ein paar runtergefallene Früchte liegen. Die<br />

mögen wir nämlich auch.<br />

Phineas: Und wenn wir im Winter irgendwo eindringen, weil wir hungrig<br />

sind, tötet uns nicht gleich. Es gibt auch Lebendfallen. Damit könnt ihr uns<br />

an <strong>eine</strong>n geeigneten Ort bringen, wo wir Überlebenschancen <strong>haben</strong>.<br />

128


Pherb: Ich fände es schön, wenn ihr uns nicht zu Futterzwecken oder für<br />

Tierversuche züchten würdet. Davon habe ich nämlich mal gehört. Dazu<br />

nehmt ihr zwar k<strong>eine</strong> Waldmäuse, aber artverwandte Farbmäuse. Ihr<br />

würdet auch nicht für uns leiden wollen, oder?<br />

Phineas: Ja, und wenn ihr mal <strong>eine</strong> Katze mit ’ner Maus spielen seht, dann<br />

filmt sie nicht noch dabei, sondern nehmt ihr die Maus weg und bringt<br />

sie in Sicherheit. Sie hat auch ein Recht auf Leben und ist euch sicher<br />

dankbar.<br />

LIEBE PHINEAS, LIEBE PHERB, WIR DANKEN EUCH FÜR DAS AUF­<br />

SCHLUSSREICHE GESPRÄCH. WIR WERDEN EURE ANLIEGEN GERNE<br />

ALLEN MITTEILEN, SODASS ES HOFFENTLICH VIEL ÖFTER ZU EINEM<br />

RESPEKTVOLLEN MITEINANDER KOMMEN WIRD.<br />

Pherb: Danke, dass ihr uns aufgenommen habt und wir mit euch reden<br />

durften.<br />

Phineas: Ja, war toll, mal mit euch zu reden. Und danke, dass ihr uns<br />

gerettet habt.<br />

129


KARLCHEN KÄFER<br />

Wir sehen sie im Garten, in Sträuchern sitzend, unter Blütenkelchen lauernd<br />

oder über den Rasen fliegend. Viele von uns finden sie ekelig und<br />

bekommen <strong>eine</strong> Gänsehaut, wenn sie diese Viecher mit den dünnen astähnlichen<br />

B<strong>eine</strong>n, den langen Fühlern und den zangenbewehrten Mäulern<br />

sehen. Aber wenn wir uns mal die Zeit nehmen und diese kl<strong>eine</strong>n Kerlchen<br />

von ganz nahe betrachten, sehen wir, dass sie eigentlich gar nicht<br />

so garstig sind. Im Gegenteil. Von Mutter Natur mit allem ausgestattet,<br />

was es zum Überleben braucht in dieser winzigen Gestalt. Doch so perfekt<br />

gebaut sind sie eigentlich sogar ein Wunder – unsere Variablen<br />

Weichkäfer.<br />

Immer wieder begegnete uns auf dem Weg von der Garage durch den<br />

Keller in die Redaktion ein kl<strong>eine</strong>r brauner Käfer auf der Treppe bei<br />

<strong>eine</strong>m nicht zu öffnenden Fenster. Wo kamen die nur her? Alle Lichtschächte<br />

waren mit feinmaschigem Draht bezogen, damit k<strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong>n<br />

<strong>Tiere</strong> her unter fallen und verhungern konnten. Vielleicht durch die<br />

Garage? Neugierig geworden, beschlossen wir, den nächsten Gast, sofern<br />

es wieder <strong>eine</strong>n geben würde, um ein kl<strong>eine</strong>s Interview zu bitten.<br />

Und siehe da, es geschah tatsächlich kurze Zeit später zum verflixten<br />

siebten Mal.<br />

Guten Tag, ich bin Karlchen, der Weichkäfer, willst du mich jetzt tothauen?<br />

UM GOTTES WILLEN. DAS WILL ICH GANZ BESTIMMT NICHT TUN. IM<br />

GEGENTEIL. ICH MÖCHTE DICH NACH DRAUSSEN IN DEN GARTEN<br />

BRINGEN, DAMIT DU HIER UNTEN NICHT VERHUNGERST.<br />

Ehrlich, das willst du machen? Ganz sicher?<br />

JA, GANZ SICHER. DU KANNST MIR VERTRAUEN. ICH WERDE DICH<br />

RAUSBRINGEN UND HOFFE, DU GEWÄHRST MIR DAFÜR EIN KLEINES<br />

INTERVIEW.<br />

Ein Interview, mit mir? Du willst mit mir sprechen? Aber ich bin doch gar<br />

nicht so interessant.<br />

132


NA, ICH FINDE SCHON, DASS DU INTERESSANT BIST. VOR ALLEM IN­<br />

TERESSIERT ES MICH, WIESO ICH EUCH STETS IN UNSEREM KELLER<br />

FINDE. DU BIST NÄMLICH SCHON ETWA DER FÜNFTE, DEN ICH IN DEN<br />

GARTEN RAUSBRINGE. ODER BIST DU ETWA IMMER DERSELBE?<br />

Oh, also ich bin’s nicht gewesen. Ich habe mich lediglich hier hinein verflogen.<br />

Tut mir sehr leid. Ich bin durch <strong>eine</strong> Tür hineingeflogen, und dann<br />

war es schon dunkel und kalt, und ich habe schon ein bisschen Angst<br />

gehabt erst. Dann habe ich ein Licht gesehen, aber da ging es einfach nicht<br />

raus. Die Luft dort war ganz hart, und ich bin einfach nicht nach draussen<br />

gekommen. Egal wie oft ich versucht habe, durch diese durchsichtige Luft<br />

zu brechen, es ging einfach nicht. Und dann war ich ganz erschöpft, und<br />

beim Ausruhen hast du mich erwischt.<br />

DIESE HARTE LUFT NENNT SICH GLAS UND MACHT EIN HAUS DICHT.<br />

DA KOMMEN NICHT MAL WIR DURCH, OHNE UNS ZU VERLETZEN.<br />

Tatsächlich, aber erstickt ihr denn da nicht mit der Zeit, so ganz ohne Luft<br />

und so?<br />

NEIN, NEIN, ABSOLUT NICHT, WIR HABEN JA AUCH FENSTER, DIE MAN<br />

ÖFFNEN KANN. DANN KOMMT GENUG FRISCHE LUFT HEREIN. ABER<br />

SAG MAL, WO SOLL ICH DICH DENN AM BESTEN ABSETZEN IM<br />

GARTEN? AUF EINER BLUME, DAMIT DU NEKTAR NASCHEN KANNST?<br />

ODER LIEBER IRGENDWO AM BODEN ODER IN EINEM BUSCH?<br />

Wenn ich wählen darf, dann gerne unten am Ansatz <strong>eine</strong>r Blüte. Vielleicht<br />

an <strong>eine</strong>r Rose oder so. Hast du Rosen im Garten?<br />

JA, WIR HABEN EIN PAAR ROSEN UND AUCH VIELE WILDPFLANZEN.<br />

WIESO DENN GERADE BEI EINER ROSE? SCHMECKEN DIE DIR AM<br />

BESTEN?<br />

Nein, aber weisst du, meistens hat es dort Ameisennester in der Nähe, und<br />

die züchten sich so kl<strong>eine</strong> Läuse, welche sie melken, um deren Nektar zu<br />

trinken. Die mag ich sehr gerne.<br />

WAS, DIE AMEISEN ODER DIE LÄUSE ODER ETWA DEREN SAFT?<br />

Ich mag die Läuse, und auch die Ameisen würde ich nicht verschmähen,<br />

133


wobei ich mich nicht gerne mit denen anlege. Die kommen immer in<br />

Horden … Gefährliche Viecher, sag ich dir.<br />

AH, DANN BIST DU ALSO KEIN BESTÄUBER UND AUCH KEIN SCHÄD­<br />

LING, SONDERN EIN NÜTZLING.<br />

Also wie soll ich denn das jetzt verstehen? Dass ihr Menschen immer alles<br />

kategorisieren müsst.<br />

TUT MIR SEHR LEID, ICH WOLLTE DICH NICHT BELEIDIGEN. DANN<br />

ERKLÄRE MIR DOCH, WIE DU DICH SIEHST, BITTE.<br />

Gerne. Ich bin ein Käfer und esse gerne Läuse und auch andere Insekten.<br />

Ich bestäube dabei auch durchaus Pflanzen, denn ich ziehe von Blüte zu<br />

Blüte, um dort auf andere Insekten zu lauern, also habe ich sicherlich auch<br />

Pollen an m<strong>eine</strong>n Füssen, welche ich von Blume zu Blume trage, also<br />

bestäube ich. Ab und an verspeise ich sicherlich <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Biene, von denen<br />

gibt’s ja auch ganz winzige, oder <strong>eine</strong>n Marienkäfer, welcher gerne dieselbe<br />

Beute wie wir frisst. Also bin ich vielleicht auch ein Schädling. Und<br />

unsere Larven, welche aus den von uns gelegten Eiern schlüpfen, jagen<br />

gerne Schnecken und Würmer. Andererseits esse ich auch Mücken und<br />

Läuse und Spinnentiere. Also bin ich vielleicht auch ein Nützling …<br />

JA, ICH GLAUBE, ICH VERSTEHE, WAS DU DAMIT MEINST. WIR MEN­<br />

SCHEN SIND JA AUCH NICHT ALLES VEGETARIER, UND WIR HANDELN<br />

AUCH NICHT IMMER SEHR «GRÜN». ALSO SIND WIR WAHRSCHEIN­<br />

LICH GENAUSO WIE IHR SCHÄDLINGE UND NÜTZLINGE ZUGLEICH.<br />

Genau, das Leben ist nicht nur immer schwarz und weiss. Es kommt immer<br />

auf den Blickwinkel an. Weisst du, wir <strong>haben</strong> nur <strong>eine</strong> sehr kurze Lebensspanne,<br />

da wir ja nur von Mai bis August fliegen. Deshalb denken wir nicht<br />

darüber nach, ob wir Schädlinge oder Nützlinge sind oder ob wir bestäuben<br />

oder nicht. Das ist nicht wichtig. Wichtig ist es, genug zu essen und<br />

<strong>eine</strong> Partnerin zur Fortpflanzung zu finden. Ausserdem dich nicht von<br />

<strong>eine</strong>m Vogel oder sonstigen Fressfeind erwischen zu lassen. Uns ist es<br />

egal, ob wir dunkelbraun oder hellbraun sind. Wir alle sind ein Teil des<br />

Naturkreislaufs und leben damit, ohne immer alles zu hinterfragen oder<br />

zu werten. Das tut nur ihr Menschen. Ihr solltet einfach einmal etwas mehr<br />

134


im Einklang mit der Natur leben, ohne die Natur immer regeln zu wollen.<br />

Man kann nicht immer allem s<strong>eine</strong>n Willen aufzwingen. Mit dem Strom zu<br />

schwimmen, ist viel einfacher, als ständig dagegen anzukämpfen. Lasst<br />

das Leben einfach geschehen, so wie wir. Wir sind nicht viel grösser als<br />

1 Zentimeter, und doch können wir vieles tun, indem wir einfach unserem<br />

Instinkt folgen. Das ist gut für das Gleichgewicht in der Natur.<br />

DAS WAREN WUNDERBARE UND WEISE WORTE VON DIR, MEIN LIEBES<br />

KARLCHEN. WIR DANKEN DIR SEHR FÜR DIESES GESPRÄCH. ES HAT<br />

UNS ZUM NACHDENKEN ANGEREGT. ICH WERDE DICH NUN DORT BEI<br />

DER ROSE ABSETZEN, WENN DAS FÜR DICH SO IN ORDNUNG IST.<br />

Ich danke dir sehr, dass du mich nach draussen gebracht hast. Du hast mir<br />

gezeigt, dass nicht jeder Mensch einfach draufhaut, und ich werde gerne<br />

weitererzählen, dass es Menschen wie dich gibt. Ich fand es auch sehr<br />

schön, dass du mich angehört hast und sogar m<strong>eine</strong> Worte als weise<br />

bezeichnet hast. Das hat noch niemand getan. Ich hoffe, dass es noch<br />

ganz viele solche Menschen wie dich gibt. Ich werde nun wegfliegen, aber<br />

ich hoffe, wir sehen uns bald irgendwo draussen im Garten wieder. Leb<br />

wohl.<br />

LEB WOHL, KARLCHEN, ES WAR UNS EINE FREUDE. WIR WÜNSCHEN<br />

DIR NOCH EIN GESUNDES, GEFAHRLOSES LEBEN.<br />

135


OLAF MUNELI<br />

Schon seit 10 000 Jahren vom Menschen domestiziert. S<strong>eine</strong> Gesamtmasse<br />

auf der Erde ist fast doppelt so hoch wie unsere. Es wird als Massenvieh<br />

zur Fleisch- und Milchgewinnung missbraucht – mal gut, mal miserabel gehalten<br />

– oder als Hilfe beim Tragen schwerer Lasten und der Bearbeitung<br />

des Landwirtschaftslandes geschätzt. Gehörnt oder auch nicht, mancherorts<br />

sogar als heilig verehrt, in <strong>eine</strong>m Zug mit Dummheit genannt, zum<br />

Werbeträger von Schokolade oder Milch gemacht – ja, das geht doch auf<br />

k<strong>eine</strong> Kuhhaut. Danke, dass es dich gibt, geliebtes Hausrind.<br />

An <strong>eine</strong>m milden, jedoch etwas trüben Abend spazierten m<strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong><br />

Schwester und ich an <strong>eine</strong>r Viehweide vorbei. Die dort friedlich grasenden<br />

Kühe gaben ein hübsches Bild ab, und wir sahen mit Freude, dass es <strong>eine</strong><br />

Herde mit Mutterkuhhaltung war. Plötzlich kam forschen Schrittes ein kl<strong>eine</strong>r<br />

hübscher Jungstier auf uns zu. S<strong>eine</strong> Augen und Ohren waren voller<br />

Neugier auf uns gerichtet. Das schrie förmlich nach <strong>eine</strong>m Interview. Also<br />

nix wie los und Fragen stellen.<br />

Hallo, ich heisse Olaf.<br />

HALLO OLAF, ICH HABE SELTEN EINEN SO SCHÖNEN JUNGSTIER WIE<br />

DICH GESEHEN. DU BIST IN MEINEN AUGEN EINFACH PERFEKT UND<br />

HAST EINE GANZ LIEBE AUSSTRAHLUNG.<br />

Boah, danke vielmals, so etwas Liebes hat noch nie jemand zu mir gesagt.<br />

IST DENN DER BAUER NICHT LIEB ZU DIR?<br />

Doch, doch, aber er hat halt nicht so viel Zeit für uns, weil er noch so viel<br />

andere Arbeit machen muss. Aber wir dürfen immer raus zum Grasessen,<br />

das mag ich sehr. Wieso fragst du?<br />

NAJA, ES SIND EBEN NICHT ALLE MENSCHEN NETT MIT TIEREN, VOR<br />

ALLEM NICHT MIT NUTZTIEREN. ABER DA IHR MIT EUREN MÜTTERN<br />

AUF DER WEIDE SEID, HAB ICH SCHON GEDACHT, DASS ES EUCH HIER<br />

GUT GEHT. IST DEINE MAMA AUCH HIER?<br />

137


Ja, m<strong>eine</strong> Mama ist dort hinten.<br />

FÜRCHTEST DU DICH DENN NICHT? DU BIST ZIEMLICH WEIT WEG VON<br />

DEINER MAMA.<br />

Nein, wieso? Da ist schliesslich ein Zaun und ich kann ganz schnell rennen.<br />

Ausserdem bin ich schon gross und stark und gehe gerne auf Entdeckungsreise.<br />

WIE ALT BIST DU DENN?<br />

Ich bin schon 7 Monate alt.<br />

DAS IST EIN WUNDERBARES ALTER. EIN JUNGRIND ALSO. WAS MACHST<br />

DU DENN DEN GANZEN TAG SO UND MÜSST IHR AM ABEND IN DEN<br />

STALL ZURÜCK?<br />

Oh, ich esse ganz viel Gras, springe mit m<strong>eine</strong>n Freunden auf der Weide<br />

herum, esse wieder ganz viel Gras, gehe mit m<strong>eine</strong>r Mama schmusen,<br />

trinke ganz viel Wasser, schlafe etwas, esse wieder Gras, sage allen Hallo,<br />

die am Zaun vorbeikommen, springe wieder mit m<strong>eine</strong>n Freunden herum,<br />

esse wieder Gras, trinke etwas und gehe die Welt entdecken. Im Sommer,<br />

als es noch schön warm war, durften wir nachts oft draussen bleiben.<br />

Jetzt gehen wir aber am Abend zurück in den Stall.<br />

DANN IST DEIN TAG JA VOLL AUSGEFÜLLT. WUSSTEST DU, DASS HAUS­<br />

RINDER BEIM WIEDERKÄUEN ÜBER 30 000 KAUBEWEGUNGEN AM TAG<br />

MACHEN UND DASS IHR DABEI BIS ZU 150 LITER SPEICHEL PRODUZIERT?<br />

DESHALB MÜSST IHR AUCH GANZ VIEL TRINKEN, VOR ALLEM AN HEISSEN<br />

TAGEN, DA BRAUCHT IHR SCHON MAL UM DIE 180 LITER WASSER.<br />

Ist das denn viel?<br />

VERGLICHEN MIT UNS MENSCHEN SCHON, JA. ABER IHR SEID JA AUCH<br />

VIEL GRÖSSER.<br />

Ja mein Papa ist ein ganz Grosser und m<strong>eine</strong> Mama ist auch <strong>eine</strong> der Grösseren<br />

der Herde.<br />

DANN IST DEIN PAPA SICHERLICH EIN STATTLICHER BULLE. DIE WER­<br />

138


DEN SO 1000 BIS 1200 KILOGRAMM SCHWER. IST ER MIT EUCH AUF<br />

DER WEIDE?<br />

Nein, leider nicht. Ich würde gerne mal mit ihm spielen. Er ist mein grosses<br />

Vorbild.<br />

DAS WÄRE VIELLEICHT GEFÄHRLICH. ICH BIN SICHER, DEIN BAUER<br />

WEISS SCHON, WESHALB ER NICHT MIT EUCH AUF DER WEIDE SEIN<br />

DARF. WEISST DU EIGENTLICH, WESHALB DU AUF DER WELT BIST?<br />

Mama hat gesagt, dass immer mal wieder Kühe von hier weggehen.<br />

Manche nach <strong>eine</strong>m halben Jahr, manche später, und sie kommen nicht<br />

wieder. Ich dachte, sie ziehen vielleicht woanders hin, aber Mama sagte<br />

mir, dass sie dort, wo sie hingehen, totgemacht werden und danach von<br />

den Menschen gegessen werden. Aber das geht nicht allen so.<br />

DAS IST ABER TRAURIG. UND WAS DENKST DU DARÜBER?<br />

Naja, wir <strong>haben</strong> hier ein schönes Leben, bekommen gutes Futter und<br />

<strong>haben</strong>’s sauber. Aber wir sind auch sehr viele und es hat nicht für alle<br />

Platz. <strong>Auch</strong> sind nicht alle gleich stark und gleich gesund. Der Bauer weiss<br />

diese Dinge sicher und deshalb bringt er dann halt manchmal einige von<br />

uns weg. Und wenn sie schon totgemacht werden, ist es doch gut, wenn<br />

sie von den Menschen noch gebraucht werden können.<br />

DAS IST ABER EINE SEHR GROSSZÜGIGE EINSTELLUNG. SCHLIESSLICH<br />

KÖNNEN HAUSRINDER BIS ZU 20 JAHRE ALT WERDEN.<br />

Ist das alt?<br />

JA, DAFÜR, DASS DIE MEISTEN MILCHKÜHE NUR 5 BIS 8 JAHRE ALT<br />

WERDEN, UND MANCHES RIND NICHT MEHR ALS 2 JAHRE, VON DEN<br />

KÄLBERN GAR NICHT ZU REDEN, IST DAS SEHR ALT.<br />

Dann lebe ich noch voll lange. Ich will nämlich mal Zuchtstier werden wie<br />

mein Papa.<br />

SO SCHÖN, WIE DU BIST, UND SO WOHLPROPORTIONIERT, KÖNNTEST<br />

DU DAS GLATT WERDEN. AUF JEDEN FALL WÜNSCHE ICH DIR EIN<br />

LANGES UND GLÜCKLICHES SORGENFREIES LEBEN UND DASS SICH<br />

139


DEINE WÜNSCHE ERFÜLLEN MÖGEN. ES WÜRDE MICH FREUEN,<br />

WENN DU IRGENDWANN IN 20 JAHREN AN UNSER GESPRÄCH ZU­<br />

RÜCKDENKST UND DU AUF DEINEM HOF DAS GNADENBROT BE­<br />

KOMMST. ICH DANKE DIR FÜR UNSER GESPRÄCH, LIEBER OLAF.<br />

Ich danke dir auch, es war nett, mit dir zu reden.<br />

140


141


JESSICA CHICK<br />

Seit Jahrhunderten begleiten sie unseren Weg. Sind für uns Nahrung und<br />

Hobby zugleich. Es gibt sie in mannigfaltigen Variationen. Wir züchten sie<br />

auf Aussehen, auf Leistung, auf Gewicht – zu ihrem Leidwesen halten wir sie<br />

nicht immer so, wie sie es verdient hätten. Der tägliche Weltbestand wird<br />

auf mehr als 20 Milliarden <strong>Tiere</strong> geschätzt – also drei <strong>Tiere</strong> pro Mensch. Die<br />

Zahl der geschlachteten <strong>Tiere</strong> liegt aber mit über 45 Milliarden weit über<br />

dem durchschnittlichen Bestand. Sie bekommen beim Hobbyzüchter Platz<br />

und alles, was ihr Herz begehrt – beim Grossbauern zu wenig Platz<br />

für zu viel Leistung. Und noch immer fragen wir uns, was wohl zuerst da<br />

war? Das Ei oder das Huhn …<br />

Auf <strong>eine</strong>m Herbstausflug der Redaktion kamen wir an <strong>eine</strong>m Bauernhof<br />

vorbei, bei welchem wir in <strong>eine</strong>m hübsch eingezäunten Garten ein paar<br />

Seidenhühner beim nachmittäglichen Scharrvergnügen beobachten konnten.<br />

Eines davon stach mir ganz besonders ins Auge. Eine kl<strong>eine</strong> weisse<br />

Dame mit <strong>eine</strong>r Frisur, die jeden 80er-Jahre-Fan vor Neid erblassen liesse.<br />

Keck schaute sie mich an und ich entschloss mich spontan zu <strong>eine</strong>r kl<strong>eine</strong>n<br />

Plauderei mit ihr.<br />

Mein Name ist Jessica Chick und wer bist du?<br />

HALLO JESSICA, DAS IST ABER EIN SCHÖNER NAME. ICH BIN VON<br />

NATURZYT UND WÜRDE GERNE EIN BISSCHEN MEHR ÜBER DICH ER-<br />

FAH REN. WÄRST DU MIT EINEM KURZEN INTERVIEW EINVERSTANDEN?<br />

Oh, gerne. Ja, ja, ja. Was möchtest du denn wissen? Frag nur, frag einfach<br />

nur, alles was du willst.<br />

DU BIST JA GANZ AUFGEREGT. DU KANNST GANZ RUHIG SEIN. ICH<br />

MÖCHTE NUR ETWAS MIT DIR PLAUDERN UND DIR AUCH EIN PAAR<br />

FRAGEN STELLEN.<br />

Na, das ist doch aber aufregend. Mit mir hat noch nie jemand ein Interfiu<br />

oder wie das heisst machen wollen. Das ist supertoll und aufregend. Ich bin<br />

doch nur ein Huhn und gar nicht so interessant. Oder doch, oder doch?<br />

143


DOCH, DOCH, DU BIST DURCHAUS INTERESSANT. DU BIST EIN SEIDEN­<br />

HUHN, NICHT WAHR?<br />

Ja, bin ich. Ein japanisches Seidenhuhn mit schwarzer Haut und weissen<br />

Federn. Schick, oder?<br />

JA, SEHR HÜBSCH UND AUSSERGEWÖHNLICH. SEIDENHÜHNER KOM­<br />

MEN URSPRÜNGLICH JA AUS OSTASIEN UND ES GIBT SIE SCHON<br />

ÜBER 700 JAHRE. DU BIST ABER WAHRSCHEINLICH HIER AUS DEM EI<br />

GESCHLÜPFT, NICHT WAHR. GEFÄLLT ES DIR DENN HIER?<br />

Ja, ich bin hier auf dem Hof zur Welt gekommen und es gefällt mir sehr gut.<br />

Ich habe tolle Freundinnen und <strong>eine</strong>n ganz tollen Hahn. Wir <strong>haben</strong> <strong>eine</strong>n<br />

schönen grossen Auslauf zum Scharren und Picken und ein grosses Haus,<br />

in dem wir schlafen, unsere Eier legen und vor Wind und Wetter Schutz<br />

suchen können. Ausserdem erwischt uns so kein Fuchs oder Marder, weil<br />

dort kommen die niemals nicht rein. Das ist wirklich toll hier.<br />

DA HABT IHR ABER EIN GLÜCK. IHR HABT HIER WIRKLICH SEHR<br />

VIEL PLATZ. NORMALE HÜHNER BRAUCHEN IM STALL MINDESTENS<br />

EINEN QUADRAT METER UND IM FREIEN FÜNF QUADRATMETER. IHR<br />

BRAUCHT DAVON NUR ETWA DIE HÄLFTE, WEIL IHR MIT EUREN 1,1 BIS<br />

1,7 KILO GRAMM AUCH ETWAS KLEINER SEID ALS DIE NORMALEN<br />

HAUS HÜHNER. IM NATÜRLICHEN LEBENSRAUM FRESSEN HÜHNER JA<br />

GRAS, SCHNECKEN, WÜRMER, INSEKTEN UND MANCHMAL SOGAR<br />

MÄUSE. WIE SIEHT DAS DENN BEI EUCH SO AUS?<br />

Naja, also Mäuse möchte ich ja jetzt nicht gerade fressen müssen. Nein<br />

danke, nein, nein. Aber Gras, Würmer und Insekten mag ich ganz gerne.<br />

Ausserdem bekommen wir noch leckere Körner von unserem Menschen.<br />

Schnecken esse ich zwar manchmal auch, aber so sehr schmecken mir die<br />

nicht, die sind mir irgendwie zu schleimig. Würdest du denn sowas essen<br />

wollen?<br />

TJA, WIR SIND ALLESFRESSER, UND ES GIBT MENSCHEN, DIE MÖGEN<br />

SCHNECKEN SEHR GERNE. WIR BACKEN SIE IN IHREM HAUS IN EINER<br />

KRÄUTERSOSSE. ABER ICH PERSÖNLICH MÖCHTE DAS AUCH NICHT<br />

ESSEN. MACHEN WIR LIEBER EINEN THEMAWECHSEL. SAG MAL, ICH<br />

144


HABE GESEHEN, DASS EURE UMZÄUNUNG NUR EIN GANZ NORMALER<br />

KLEINTIERZAUN IST. FLIEGT IHR DENN DA NICHT MANCHMAL WEG?<br />

Nö, wir können leider nicht fliegen. Weisst du, unsere Federn sind dazu<br />

nicht geeignet. Sie <strong>haben</strong> <strong>eine</strong>n sehr weichen Schaft, deshalb klappt das<br />

mit dem Fliegen nicht. Aber dafür sind sie ganz weich und kuschelig. Unser<br />

kl<strong>eine</strong>r Mensch hat schon oft unsere Federn, welche wir während der Mauser<br />

verlieren, gesammelt. Daraus hat er lustige Dinge gebastelt und m<strong>eine</strong><br />

schönen weissen Federn hat er dann dafür manchmal auch ganz bunt gemacht.<br />

Sah total lustig aus. Ich musste sehr laut glucksen, als ich die blauen<br />

Federn gesehen hab und ich mir vorstellte, wie ich wohl so ganz in Blau<br />

aussehen würde.<br />

NA, DU SÄHEST BESTIMMT IMMER NOCH SEHR HÜBSCH AUS MIT DEI­<br />

NEM KUSCHELKÖPFCHEN UND DEINEN PUSCHELIGEN FÜSSEN. WEISST<br />

DU, IN VIELEN BASTELLÄDEN KANN MAN BUNTE FEDERN KAUFEN.<br />

DAS SIND MEISTENS EINGEFÄRBTE FEDERN VON SEIDENHÜHNERN.<br />

WÄHREND DER MAUSER VERLIERT IHR JA EINE MENGE FEDERN.<br />

WIESO PASSIERT DAS DENN EIGENTLICH?<br />

Was, die Mauser? Die kommt meistens im Herbst, wenn die Tage dunkler<br />

werden und das Futter draussen knapper. Dann legen wir auch weniger Eier.<br />

DANN IST DAS JA FAST SOWAS WIE EINE WINTERRUHE. EIN HAUSHUHN<br />

KANN IM JAHR ZWISCHEN 300 UND 350 EIER LEGEN. KANNST DU DAS<br />

AUCH? UND HABT IHR AUCH EINE SOGENANNTE HACKORDNUNG?<br />

Oh wow, die legen aber viele Eier. Also ich kann so zirka 80 Eier im Jahr<br />

legen. Ich bin <strong>eine</strong> ganz tolle Glucke, ich habe schon ein paar Küken gehabt<br />

und alle <strong>haben</strong> geholfen. Wir sind sehr sozial und viel weniger aggressiv als<br />

andere Hühnerrassen. Ausserdem helfen wir alle einander. Wir erziehen<br />

und wärmen unsere Kl<strong>eine</strong>n gemeinsam. Und ehrlich, Hackordnungen gibt<br />

es doch überall; auch bei euch, oder?<br />

DA HAST DU WOHL RECHT. STIMMT ES, DASS IHR ZUTRAULICH ZU UNS<br />

MENSCHEN WERDET?<br />

Unser Mensch hat uns mit viel Liebe und Geduld gezeigt, dass wir ihm<br />

vertrauen können und dass er es gut mit uns meint. Am Anfang waren<br />

145


wir schon etwas scheu und auch misstrauisch. Aber als wir merkten, wie<br />

toll es ist, wenn er unser Köpfchen krault, <strong>haben</strong> wir es richtig schätzen<br />

gelernt. Nun kommen wir sofort angelaufen, wenn er zu uns in den Stall<br />

kommt, und strecken ihm unsere Köpfchen hin, um nur ja die ersten Krauler<br />

abzubekommen. Das macht er jeden Abend vorm Füttern und wir geniessen<br />

es immer sehr.<br />

DAS IST WIRKLICH TOLL. ES FREUT MICH, DASS IHR EIN SO GUTES<br />

LEBEN HABT. LEIDER HABEN DAS NICHT ALLE HÜHNER.<br />

Ja, das ist wohl wahr. Bei uns war mal so ein zerrupftes Huhn, welches unser<br />

Mensch zum Aufpäppeln heimgenommen hat. Das hat uns Dinge erzählt,<br />

die ich mir in m<strong>eine</strong>n schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen konnte.<br />

Dinge, wie draussen im Freien in der Wiese zu scharren und nach Würmern<br />

zu suchen, kannte es überhaupt nicht. Am Anfang hat es sich nicht mal<br />

hinausgetraut. Es hat gesagt, dass es immer nur in <strong>eine</strong>m Stall gesessen,<br />

Futter gepickt und Eier gelegt habe. Und das mit 1000 anderen Hühnern.<br />

Und als ich wissen wollte, warum es so <strong>eine</strong>n komischen Schnabel habe,<br />

erzählte es mir, dass man ihm und den anderen den oberen Teil des Schnabels<br />

abgeschnitten habe, damit sie sich untereinander nicht verletzen<br />

konnten beim Picken. Das ist doch furchtbar, oder? Sie hatte richtig Mühe<br />

mit Futter picken deswegen. Warum tun denn Menschen sowas?<br />

ICH FINDE DAS AUCH GANZ SCHLIMM, UND SOLCHE DINGE ZU<br />

HÖREN, TUT MIR IMMER IM HERZEN WEH. ABER LEIDER GIBT ES<br />

HALT EBEN VIELE MENSCHEN, DIE SEHEN HÜHNER NUR ALS FLEISCH-<br />

UND EIER-LIEFERANTEN AN UND NICHT ALS DENKENDE UND FÜH­<br />

LENDE WESEN. ICH GEBE ZU, ICH ESSE AUCH FLEISCH, UND EIER MAG<br />

ICH AUCH. ABER ICH BIN DER MEINUNG, DASS WIR DIE TIERE ART­<br />

GERECHT HALTEN UND DANN WÜRDEVOLL STERBEN LASSEN SOLL-<br />

TEN. WIE FINDEST DU DENN DAS, WENN DIR DEIN GELEGTES EI<br />

WEGGENOMMEN WIRD?<br />

Ach, ehrlich gesagt finde ich das nicht so schlimm. Vor allem, weil unser<br />

Mensch uns ja ab und zu <strong>eine</strong>s unserer Eier voll ausbrüten lässt und wir<br />

dann wirklich Glucken sein dürfen. Das ist schon toll. Und dass wir in<br />

der Nahrungskette auch <strong>eine</strong> Aufgabe zu erfüllen <strong>haben</strong>, ist uns allen<br />

146


eigentlich schon klar. Schliesslich essen wir ja auch Würmer und so, also<br />

töten wir auch ein Lebewesen, um uns zu ernähren. Diesen Kreislauf<br />

gibt es überall. Aber es wäre schon schön, wenn ihr unsere Artgenossen<br />

mit mehr Respekt behandeln würdet. Wenn ihr uns ein glückliches Hühnerleben<br />

ermöglichen würdet, auch wenn es nur kurz ist.<br />

JA, DA BIN ICH GANZ DEINER MEINUNG, JESSICA. ICH DANKE DIR<br />

SEHR FÜR UNSER GESPRÄCH. ES WAR SEHR AUFSCHLUSSREICH, UND<br />

ICH HOFFE, DU HAST NOCH EIN LANGES, GLÜCKLICHES HÜHNERLEBEN<br />

VOR DIR.<br />

Es war auch mir ein Vergnügen, und vielleicht schaust du ja mal wieder<br />

vorbei. Ich bin erst 2 Jahre alt, also kann ich schon noch so 3 bis 5 Jahre<br />

leben.<br />

DAS IST SCHÖN ZU HÖREN. WIR SEHEN UNS BESTIMMT MAL WIEDER.<br />

AUF WIEDERSEHEN, JESSICA.<br />

Tschüüss und noch viel Spass auf eurem Ausflug.<br />

147


COLUMBAN TÄUBERICH<br />

K<strong>eine</strong> Ruine ist ohne sie komplett und in k<strong>eine</strong>m Park dürfen sie fehlen. An<br />

<strong>eine</strong>m Ort werden sie gefüttert, vom anderen mit Stachelbändern vertrieben,<br />

denn manch <strong>eine</strong>r mag doch lieber den Spatzen auf der Hand. Sie hat<br />

Noah den Ölzweig gebracht, Jason und die Argonauten über den sicheren<br />

Weg geleitet, und in ihrem weissen Federkleid ist sie ein Symbol für den<br />

Heiligen Geist. Den Prinzen in Cinderella führte sie mit «Ruckediguh» zur<br />

richtigen Braut. Sogar ein Sternbild gibt es von ihr. Vielgesichtig, vielgeschichtig<br />

und vielschichtig sind sie und unser Verhältnis zu ihr – zu unserer Taube.<br />

Da unsere Redaktion gleich angrenzend an die Landwirtschaftszone liegt,<br />

sehen wir immer wieder verschiedene Vögel, welche sich auf den Weiden<br />

gleich neben unserem Redaktionsgebäude tummeln. So auch diesen Frühling<br />

<strong>eine</strong>n ganzen Schwarm Tauben. So was hatten wir bisher noch nie.<br />

Also, was liegt da näher als ein kl<strong>eine</strong>s Interview mit <strong>eine</strong>r dieser gurrenden<br />

Schönheiten.<br />

Hallo, ich bin Columban Täuberich, und es ist mir ein Vergnügen, mich euch<br />

mitzuteilen.<br />

HALLO COLUMBAN, ES IST SEHR NETT VON DIR, UNS EINBLICK IN DAS<br />

LEBEN EURER GATTUNG ZU GEWÄHREN.<br />

Das mache ich sehr gerne, wo soll ich denn anfangen?<br />

NAJA, AM BESTEN STELLST DU DICH ZUERST MAL VOR UND ERZÄHLST<br />

UNS VIELLEICHT, WIE UND WO IHR LEBT UND WAS IHR DEN GANZEN<br />

TAG SO MACHT.<br />

Hmhm, also. Mein Name ist Columban. Ich bin ein Ringeltauber aus der<br />

Gattung der Feldtauben. Wir Taubenvögel sind mit etwa 42 Gattungen und<br />

mehr als 300 Arten auf dieser Erde vertreten.<br />

WOW, DAS IST JA ENORM.<br />

Ja ja, so viele. Die Körpergrössen der diversen Gattungen variieren von der<br />

Grösse <strong>eine</strong>r Lärche bis hin zur Grösse <strong>eine</strong>s Huhns. Wir Ringeltauben<br />

150


liegen mit <strong>eine</strong>r Flügellänge von zirka 35 Zentimetern und <strong>eine</strong>m Gewicht<br />

von etwa 530 Gramm etwa in der Mitte. Und unsere Weibchen unterscheiden<br />

sich in der Grösse kaum von uns Männchen.<br />

WIE IST DENN DAS, SEID IHR AUCH ZUGVÖGEL?<br />

Nö, wir hier nicht, es gibt einige, die sind Kurzstrecken-Zieher, diejenigen,<br />

welche in etwas kälteren Gegenden leben, aber die meisten von uns<br />

bleiben ganzjährig am selben Ort, vor allem jene, die im Süden leben.<br />

M<strong>eine</strong> Schöne und ich leben jetzt schon seit drei Jahren hier.<br />

HEISST DAS, DASS TAUBEN AUCH MONOGAM SIND, WIE ZUM<br />

BEISPIEL SCHWÄNE?<br />

Nicht alle, die Kurzstrecken-Zieher leben meistens in Saison-Ehen, aber<br />

die, die nicht hin- und herziehen, bleiben oft ein und demselben Partner<br />

treu. So wie ich m<strong>eine</strong>r wunderhübschen Marie. Ich wäre ja schön dumm,<br />

so <strong>eine</strong> wunderbare Gefährtin einfach wieder ziehen zu lassen. Mit m<strong>eine</strong>m<br />

Balzflug, bei dem ich mehrfach mit m<strong>eine</strong>n Flügeln beim Hochfliegen<br />

zusammenklatsche und danach mit waagerechten Flügeln und gespreizten<br />

Schwanzfedern nach unten segle, erobere ich sie mir jedes Jahr aufs<br />

Neue. Dieses Jahr <strong>haben</strong> wir schon unser drittes Gelege zusammen.<br />

WIE IST DAS DENN BEI EUCH? HABT IHR IMMER EIN UND DASSELBE<br />

NEST UND WO NISTET IHR?<br />

Hm, ja wir <strong>haben</strong> Glück. Dadurch, dass wir ortsansässig bleiben, habe ich<br />

unser Revier, sprich dort, wo wir nisten, bisher halten können. Wir verteidigen<br />

nämlich nur den Ort, an dem wir nisten, als unser Revier. Wir suchen<br />

uns aber den Nistplatz an <strong>eine</strong>m günstigen Standort, an dem wir auch genügend<br />

Futter für uns und unsere Nestlinge finden. Ich habe für uns <strong>eine</strong>n<br />

ganz tollen Platz auf <strong>eine</strong>r grossen Föhre nahe dem Weideland erobert.<br />

Der ist gut getarnt und hoch oben, sodass uns sicher k<strong>eine</strong> Katze erwischt<br />

und auch kein Raubvogel an uns herankommt. Es hat hier nämlich ziemlich<br />

viele Krähen und auch Milane und dadurch, dass wir in Siedlungsnähe sind,<br />

auch viele Menschen mit Hauskatzen. Aber ich pass da schon gut auf,<br />

dass nichts passiert. Es gibt aber auch welche, die nisten in Büschen oder<br />

Hecken. <strong>Auch</strong> in Scheunen oder direkt am Boden <strong>haben</strong> andere schon<br />

151


genistet. Kommt halt immer darauf an, wie viele von uns am selben Ort<br />

brüten und was überhaupt vorhanden ist. In der Stadt nimmt man halt<br />

auch mal mit <strong>eine</strong>m Fensterbrett vorlieb, wenn man nichts anderes findet.<br />

Unsere Nester sind relativ flach und nur mit dünnen, laublosen Ästen zusammengefügt.<br />

Unseres <strong>haben</strong> wir auf <strong>eine</strong>m ehemaligen Eichelhäher-<br />

Nest aufgebaut. Ich habe Marie die dünnen Zweige gebracht und sie hat<br />

diese kunstvoll auf dem ausgedienten Hähernest zusammengeflochten. So<br />

<strong>haben</strong> wir jetzt für unsere Kl<strong>eine</strong>n ein kuscheliges und warmes Nest, in<br />

dem wir sie gefahrlos aufziehen können. So viel Glück hat nicht jeder.<br />

UND WAS STEHT DENN AUF EUREM SPEISEPLAN? MAN SIEHT JA OFT,<br />

WIE MENSCHEN EUCH MIT TROCKENEM BROT FÜTTERN. MÖGT IHR<br />

DENN DAS GERNE?<br />

Naja, eigentlich sind wir nicht so heikel und auch sehr anpassungsfähig,<br />

nicht nur was unsere Wohngelegenheit, sondern auch was unsere Nahrung<br />

betrifft. Wir sind vorwiegend Vegetarier. Wir mögen Sämereien und Knospen,<br />

Eicheln und <strong>Buch</strong>eckern, aber auch Blüten und Beeren, wenn wir solche<br />

finden. Ab und an verspeisen wir auch kl<strong>eine</strong> Schnecken, Schildläuse,<br />

Regenwürmer oder Raupen, um unseren Kalk- und Eiweissbedarf zu<br />

decken. Unsere Jungen füttern wir dann beide gemeinsam mit unserer<br />

Kropfmilch, so was machen nur wir Tauben, ebenso wie mit pflanzlicher<br />

Nahrung, welche wir fressen.<br />

Es gibt aber viele, vor allem die, welche in der Stadt leben, die ernähren<br />

sich nur von Brot. Das geht also auch. Du siehst, wir sind ziemlich anpassungsfähig<br />

und auch überhaupt nicht heikel.<br />

JA, DAS SEHE ICH WOHL. DU SAGTEST, IHR HÄTTET SCHON ZUM<br />

DRITTEN MAL ZUSAMMEN EIN GELEGE. WIE VIELE EIER HABT IHR<br />

DENN JEWEILS?<br />

Letztes Jahr hatten wir zwei im Frühling und <strong>eine</strong>s im Herbst. Diesen<br />

Frühling hatten wir auch nur <strong>eine</strong>s. Im Herbst gibt’s dann bestimmt wieder<br />

zwei. Einzelne Eier sind eher selten, meistens <strong>haben</strong> Tauben immer zwei<br />

Eier. Die sind wunderschön elliptisch und mattweiss glänzend. Nach etwa<br />

17 Tagen schlüpften dann unsere Nestlinge aus und mit etwa 35 Tagen<br />

152


waren unsere Jungvögel bereits voll flugfähig. Das ist der Zeitpunkt, an dem<br />

wir ihnen zeigen, wo wir unser Fressen finden und worauf zu achten ist.<br />

Danach sind sie auf sich gestellt. Suchen sich nach der Mauser ein Revier<br />

und balzen um ein Weibchen. Der ewige Kreislauf beginnt nun auch in<br />

ihrem Leben.<br />

HABT IHR SCHON NESTLINGE VERLOREN, ODER HABT IHR BIS JETZT<br />

ALLE DURCHGEBRACHT?<br />

Wir hatten bisher Glück, aber wir kennen solche aus unserer Schar, welche<br />

wir regelmässig beim Fressen auf der Weide treffen, die <strong>haben</strong> schon einige<br />

Nestlinge verloren. Meistens passiert das, wenn die Nester nicht gut genug<br />

geschützt sind und es im Frühling noch nicht genug zu essen gibt, sodass<br />

beide Elternteile lange wegbleiben müssen, um genügend Nahrung zu<br />

finden. Dann <strong>haben</strong> schon mal Krähen oder andere Beutegreifer sich so ein<br />

kl<strong>eine</strong>s Würmchen geholt und es gefressen.<br />

DAS IST ABER TRAURIG.<br />

Ja, das ist schon traurig, aber es gehört halt auch zu unserem Leben<br />

dazu. Alles ist ein Kreislauf. Wir kommen und wir gehen. Wir fressen den<br />

Wurm und die Krähe frisst uns. Stell dir doch mal vor, wir hätten niemanden,<br />

der uns fressen würde. Dann würden wir uns vermehren und vermehren,<br />

wir würden mit der Zeit alle <strong>Buch</strong>eckern und Eicheln fressen,<br />

ebenso die Sämereien und die Beeren. Das hiesse, dass es k<strong>eine</strong> neuen<br />

Eichen und <strong>Buch</strong>en mehr geben würde und auch k<strong>eine</strong> neuen Blumen und<br />

Sträucher mehr, da wir ja alles abfrässen, was neues Leben verspräche.<br />

Irgendwann würden andere <strong>Tiere</strong> aussterben, weil wir ihre Nahrung<br />

wegfressen und nichts mehr nachwachsen kann. Und dann, irgendwann,<br />

würden wir auch anfangen auszusterben, weil wir uns unsere eigene<br />

Nahrung weggefressen <strong>haben</strong>. Dazu würde es kommen, wenn der Kreislauf<br />

des Lebens und der Natur unterbrochen würde. So was wollen wir<br />

bestimmt nicht. Das wäre furchtbar. Deshalb leben wir mit unseren<br />

sogenannten Fressfeinden und machen das Allerbeste aus unserem Leben,<br />

und wenn wir es so richtig gut machen und uns Mühe geben, dann können<br />

wir sogar vielleicht 17 Jahre alt werden. Wer weiss, was uns die Zukunft<br />

bringt.<br />

153


ICH ZIEHE DEN HUT VOR DEINER WEISHEIT, COLUMBAN. WENN ICH<br />

DIR DA SO ZUHÖRE, FRAGE ICH MICH, WELCHER FRESSFEIND UNS<br />

MENSCHEN DANN WOHL EINHALT IN UNSEREM ZERSTÖRUNGSWERK<br />

GEBIETEN WIRD.<br />

Ich würde sagen, das macht ihr schon selbst. Und wenn nicht, dann ist<br />

es wohl um uns alle geschehen. Macht das Beste aus eurer Zeit auf<br />

unserer Erde, achtet auf sie und ehrt sie. Lebt in Einheit mit ihr und seid<br />

ein Teil des ewigen Kreislaufs, dann klappt das schon. Seid zufrieden mit<br />

dem, was euch die Erde gibt. Ihr braucht nicht noch mehr, ihr habt doch<br />

schon alles, ihr müsst nur genauer hinschauen.<br />

DAS IST EIN GUTER RATSCHLAG VON DIR, COLUMBAN. WIR TUN<br />

UNSER BESTES, UM ES ZU BEHERZIGEN. WIR DANKEN DIR FÜR DAS<br />

AUFSCHLUSSREICHE GESPRÄCH UND WÜNSCHEN DIR UND MARIE<br />

NOCH VIELE WUNDERBARE JAHRE AUF UNSERER SCHÖNEN ERDE.<br />

Ich danke euch auch, dass ihr mir Gehör geschenkt habt. Manchmal tut<br />

es gut, die Welt von <strong>eine</strong>r anderen Warte aus zu sehen. Ich wünsche euch<br />

ebenfalls noch viele schöne Augenblicke auf unser aller Welt.<br />

154


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GUNNAR BRACHKÄFER<br />

Sattes Brummen erfüllt das abendliche Dämmerlicht. Im Sommer fliegen<br />

sie in Schwärmen auf Brautschau umher. Sie gehören der Art der Scarabaeidae<br />

an, also der Götterkäfer des Alten Ägyptens, und sind nahe mit den<br />

Maikäfern verwandt. Viele Menschen ekeln sich vor ihnen oder fürchten<br />

sich gar. Dabei sind sie harmlos, die kl<strong>eine</strong>n, braunen Torkelflieger – unsere<br />

Junikäfer.<br />

Wenn man gedanklich feststeckt und nicht mehr weiterkommt, tut es<br />

manchmal gut, einfach rauszugehen und sich an der frischen Luft von Mutter<br />

Natur inspirieren zu lassen. So war ich dann <strong>eine</strong>s Abends dank <strong>eine</strong>r<br />

Schreibblockade in der Dämmerung unterwegs. Gleich hinter unserer Redaktion,<br />

wo Felder und Waldrand zu <strong>eine</strong>m abendlichen Spaziergang einluden.<br />

Während ich so dahinspazierte, hörte ich plötzlich ein sattes Brummen,<br />

das schnell lauter wurde. Urplötzlich knallte etwas fast gegen m<strong>eine</strong>n<br />

Kopf. Erst dachte ich, es wäre ein Versehen, aber nein, der Käfer kam immer<br />

wieder auf mich zugesaust. Höchste Zeit, ein Gespräch mit ihm zu suchen.<br />

HALLO, HERR KÄFER, WER BIST DU, WAS TUST DU DENN DA?<br />

Hallo, ich bin Gunnar Brachkäfer, und ich fliege hier herum. Und du, bist du<br />

ein Baum?<br />

NEIN, ICH BIN KEIN BAUM. WIE KOMMST DU DENN DARAUF?<br />

Na, du bist so gross, da habe ich gedacht, du seist ein Baum oder so.<br />

NEIN, ICH BIN EIN MENSCH, UND ICH HABE GEDACHT, DU WOLLTEST<br />

MICH VIELLEICHT ANGREIFEN UND STECHEN.<br />

Wieso sollte ich dich angreifen, was hätte ich denn davon? Nein, nein. Ich<br />

bin zu dir geflogen, weil ich schauen wollte, ob ich bei dir leckere Blätter zu<br />

essen finden kann. Ausserdem kann ich gar nicht stechen. Und beissen<br />

auch nicht.<br />

NA, DANN TUT ES MIR ABER LEID, ICH HABE KEINE BLÄTTER FÜR<br />

DICH. WAS FÜR EINE ART KÄFER BIST DU DENN?<br />

158


Man kennt mich unter dem Namen Junikäfer, aber eigentlich bin ich ein<br />

Gerippter Brachkäfer und gehöre zu den Scarabaeidae, sprich den<br />

Blatthornkäfern.<br />

DAS TÖNT ABER EDEL. SKARABÄEN WURDEN JA IM ALTEN ÄGYPTEN<br />

SEHR VEREHRT. DU SIEHST MIR ABER EHER WIE EIN ZU KLEIN GE­<br />

RATENER MAIKÄFER AUS.<br />

Das kommt wohl daher, dass unsere Art sehr nahe mit der des Maikäfers<br />

verwandt ist. Aber die altägyptischen Skarabäen stammen von den Mistkäfern<br />

ab, welche zwar auch zu unserer Familie gehören, aber total anders<br />

leben.<br />

AHA, WIE IST DENN EUER LEBENSZYKLUS SO?<br />

Also, wir leben so zirka ein bis zwei Monate als Käfer und ernähren uns<br />

von Blättern und Pflanzenteilen. In der warmen Zeit im Juni und Juli fliegen<br />

wir auf Brautschau umher. Schlauerweise abends in der Dämmerung, dann,<br />

wenn die meisten Vögel schon schlafen. Leider ist nur rund ein Drittel von<br />

uns weiblich, und deswegen ist es schwer, ein Weibchen zu finden. Ausserdem<br />

sind wir nur sehr schlechte Flieger, was nicht an unserer schlechten<br />

Sicht in der Dämmerung, sondern an unserem Körperbau liegt und uns<br />

neben dem Namen Junikäfer auch den Namen Torkelkäfer eingebracht hat.<br />

Wenn wir dann eins gefunden <strong>haben</strong>, paaren wir uns und kurz danach<br />

sterben wir.<br />

Das Weibchen legt dann etwa 35 Eier im Boden ab. Unsere Larven ernähren<br />

sich von Pflanzenresten und kl<strong>eine</strong>ren Wurzeln, bis sie etwa 5 Zentimeter<br />

gross sind. Sie überwintern in dieser Zeit zweimal. Im Frühling<br />

des dritten Jahres verpuppen sie sich dann und schlüpfen so gegen Anfang<br />

Juni als fertige Käfer von zirka 1,5 bis 2 Zentimetern Grösse aus. So beginnt<br />

das Lebensrad dann von Neuem.<br />

DAS IST ABER SEHR INTERESSANT. MANCHE MENSCHEN DENKEN JE­<br />

DOCH, DASS MAIKÄFER UND JUNIKÄFER SCHÄDLINGE SIND, WEIL<br />

IHRE ENGERLINGE PFLANZENWURZELN FRESSEN UND SO PFLANZEN<br />

ZUM ABSTERBEN BRINGEN KÖNNEN. WAS SAGST DU DAZU?<br />

159


Das finde ich absolut überhaupt nicht. Es gibt Gras genug, wenn man uns<br />

auch etwas Platz lässt. Ausserdem fressen uns Vögel für ihr Leben gerne<br />

und Wildschw<strong>eine</strong> sind ganz verrückt nach unseren Larven. Also <strong>haben</strong> wir<br />

genügend natürliche Feinde, sodass es nicht im Mindesten nötig ist, uns zu<br />

vergiften. Wir erfüllen durchaus auch unseren Zweck, indem wir ebenso<br />

Pollen von Baum zu Baum bringen wie Bienen. Nicht so bewusst wie<br />

diese zwar, aber halt mehr zufällig, weil wir von Baum zu Baum ziehen und<br />

somit die an uns haftenden Pollen übertragen. Ausserdem gibt es ja nur<br />

etwa alle drei bis vier Jahre grosse Schwärme von uns. Ansonsten vertrete<br />

ich die Meinung, leben und leben lassen. Das gehört alles in den natürlichen<br />

Zyklus.<br />

DAS SIND WEISE WORTE, GUNNAR. ES FREUT MICH, DASS ICH DEINE<br />

BEKANNTSCHAFT MACHEN DURFTE, UND HOFFE, DU FINDEST BALD<br />

EIN WEIBCHEN, UND BIS DAHIN FLIEGST DU BESSER ZURÜCK ZUR<br />

WIESE, DORT FINDEST DU GENÜGEND BLÜTEN FÜR EINE GUTE<br />

MAHLZEIT.<br />

Ich danke dir, dass du mich nicht niedergeschlagen hast, obwohl ich fast in<br />

d<strong>eine</strong>m Gesicht gelandet bin. Es war für mich auch interessant, mal <strong>eine</strong>n<br />

Menschen so aus der Nähe erfahren zu dürfen. Ich wünsche dir <strong>eine</strong>n<br />

langen, glücklichen und warmen Lebenszyklus.<br />

DANKE, DAS WÜNSCHE ICH DIR AUCH, GUNNAR.<br />

160


161


ALFRED ASSEL<br />

Sie sind unter St<strong>eine</strong>n, in Laubhaufen oder im Kellern zuhause. Unscheinbare,<br />

graue, kl<strong>eine</strong> Panzertierchen mit gefühlten hundert Beinchen. Ekel<br />

befällt die meisten Menschen, wenn sie die kl<strong>eine</strong>n grauen Gesellen<br />

sehen. Ungeziefer nennen wir sie, doch <strong>haben</strong> auch sie <strong>eine</strong>n Platz im<br />

Natur kreislauf und werden gebraucht. Die Rede ist von unseren<br />

Landasseln.<br />

Eines Abends kurz vorm Verlassen unserer Redaktion fand ich ein kl<strong>eine</strong>s,<br />

graues Wesen im WC, welches verzweifelt versuchte, aus dem Lavabo<br />

herauszukrabbeln. Natürlich ohne Erfolg, denn in dem rutschigen Becken<br />

fand es nirgends Halt. Wie gut, dass ich noch k<strong>eine</strong>n Interviewpartner<br />

hatte, so konnte ich die Rettungsaktion gleich zu <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n Gespräch<br />

nutzen.<br />

NA, DU ARMER KERL, WIE BIST DU DENN HIER HINEINGERATEN?<br />

Mann, ich bin an so <strong>eine</strong>m haarigen Hintern hängen geblieben und dann<br />

hier runtergefallen. Bitte, bitte spül mich nicht runter.<br />

DAS WERDE ICH SICHER NICHT TUN. WAHRSCHEINLICH HAT SICH<br />

UNSER REDAKTIONSKATER AUF DICH GESETZT, UND WEIL’S DRAUSSEN<br />

NOCH ETWAS FEUCHT WAR, BIST DU AN IHM HÄNGEN GEBLIEBEN.<br />

ICH WERDE DICH WIEDER NACH DRAUSSEN IN DEN GARTEN BRINGEN.<br />

IST DAS FÜR DICH OK?<br />

Ehrlich, das machst du? Du bist aber wirklich nett. Ich hatte schon Angst,<br />

dass du mich ertränkst.<br />

NEIN, DU HAST DOCH AUCH EINE DASEINSBERECHTIGUNG. DU BIST<br />

EINE ASSEL, NICHT WAHR? WIE HEISST DU DENN?<br />

Ich bin Alfred und ich bin <strong>eine</strong> Landassel.<br />

SIND LANDASSELN DENN ANDERS ALS ANDERE ASSELN?<br />

Ähm ja, wir leben, wie es der Name schon sagt, an Land. Aber es gibt auch<br />

welche von unserer Art, die leben im Wasser, sogar im Meer.<br />

164


IM WASSER, ABER KÖNNT IHR DENN DA ATMEN? ERZÄHL DOCH MAL<br />

ETWAS ÜBER EURE ART! HÖRT SICH JA RICHTIG INTERESSANT AN.<br />

Das interessiert dich? Ich bin doch nur so ein kl<strong>eine</strong>s graues Panzer -<br />

tierchen. Normalerweise vergiften, zerquetschen oder vertreiben uns die<br />

Menschen, weil sie sich vor uns ekeln. Und du, du willst was über uns<br />

wissen. Wieso?<br />

WEIL ICH FINDE, ES HAT JEDES AUCH NOCH SO KLEINE WESEN SEINE<br />

AUFGABE AUF UNSERER ERDE, UND ICH MÖCHTE GERNE DEN MEN­<br />

SCHEN ZEIGEN, WARUM UND WESHALB IHR WICHTIG SEID. DESHALB<br />

MACHE ICH IN JEDER AUSGABE DES NATURZYT-MAGAZINS EIN INTER­<br />

VIEW MIT EINEM VERTRETER EINER WESENSGATTUNG. UM ZU ZEIGEN,<br />

WAS FÜR EINEN WICHTIGEN BEITRAG ZUR ERHALTUNG UNSERER<br />

ERDE IHR LEISTET. VIELLEICHT BEWEGT DAS ANDERE MENSCHEN,<br />

EUCH ALS NÜTZLICHE WESEN ANZUSEHEN, WELCHE GENAUSO EINE<br />

DASEINSBERECHTIGUNG HABEN WIE WIR.<br />

Wow, das ist aber cool. Dann gebe ich dir selbstverständlich sehr gerne<br />

Auskunft. Was möchtest du denn wissen?<br />

NA, EINFACH ALLES, WAS ES SO ÜBER EUCH ZU WISSEN GIBT. WAS<br />

GENAU SEID IHR? GIBT ES VERSCHIEDENE ARTEN VON EUCH? WIE<br />

GROSS SEID IHR? WO LEBT IHR? WOVON LEBT IHR? WIE PFLANZT<br />

IHR EUCH FORT? WIE ALT WERDET IHR? ETC. ETC. EINFACH ALLES,<br />

WAS DU SO WEISST.<br />

Okay. Also dann werde ich mal ein bisschen erzählen. Also hör gut zu. Wir<br />

Asseln sind <strong>eine</strong> Ordnung, die zur Klasse der höheren Krebse gehört. Es<br />

gibt Asseln, die sind nur gerade 0,3 Millimeter gross, es gibt aber auch<br />

welche, die werden bis zu 50 Zentimeter lang. Die grossen Asseln jedoch<br />

leben im Meer, welches auch der ursprüngliche Lebensraum von uns<br />

Asseln ist. Es gibt aber auch im Süsswasser Asseln und auch <strong>eine</strong> Gruppe,<br />

die das Wasser verlassen hat. Nämlich die Landasseln, zu welchen ich gehöre.<br />

Wir <strong>haben</strong> aber durchweg die Kiemenatmung beibehalten. Da wir<br />

unsere zarten Kiemenanhänge ständig feucht halten müssen, bevorzugen<br />

wir ein eher feuchtes Zuhause. Wir können aber trotzdem auch im Trockenen<br />

gefunden werden. Zum Beispiel könnt ihr Mauerasseln im Falllaub,<br />

165


unter Baumstümpfen oder unter St<strong>eine</strong>n finden. Dort können sie mit ihrem<br />

Mundwerkzeug, man nennt das Mandibeln, Falllaub und Totholz anfressen.<br />

Die meisten Asseln sind nämlich Pflanzenfresser und gehören somit biologisch<br />

zu den Erstzersetzern. Ich bin <strong>eine</strong> sogenannte Kellerassel und ernähre<br />

mich von abgestorbenen organischen Substanzen. Ich lebe in <strong>eine</strong>r<br />

Kolonie im Garten, unter <strong>eine</strong>m von euren Blumentöpfen. Dort ist es immer<br />

schön feucht und weder zu kalt noch zu warm. Ausserdem gibt es dank den<br />

verrottenden Blättern und Pflanzenteilen auch immer genug Nahrung.<br />

Wir sind meist nachts aktiv, denn vor allem in den wärmeren Monaten verlieren<br />

wir sonst zu viel Wasser. Dann trocknen wir aus und sterben. Unsere<br />

Art ist meistens schiefergrau. Wir <strong>haben</strong> <strong>eine</strong>n fein gezackten, halbringförmig<br />

gegliederten Rückenpanzer mit 14 Schreitb<strong>eine</strong>n und 12 Spaltfüssen<br />

sowie <strong>eine</strong> Schwanzplatte mit Tastorganen. Unsere Fühler sind zweigliedrig<br />

und wir <strong>haben</strong> <strong>eine</strong> Körpergrösse von 9 bis etwa 14 Millimetern. Wenn<br />

wir in Gefahr sind, stellen wir uns meistens tot. Diese Schreckstarre funktioniert<br />

meistens ganz gut. Wir <strong>haben</strong> aber viele Fressfeinde. Spinnen,<br />

Spitzmäuse, Igel, Kröten, Frösche, Blindschleichen, Laufkäfer, Wolfsspinnen,<br />

Weberknechte, Hundertfüsser und, und, und. Die fressen uns aber<br />

nur sporadisch. Die schlimmsten sind für uns aber der Grosse Asseljäger,<br />

<strong>eine</strong> Spinne, und die Asselfliege. Die <strong>haben</strong> uns zur Hauptnahrungsquelle<br />

erkoren und sind auf unsere Art spezialisiert.<br />

Naja, dafür <strong>haben</strong> wir auch ganz viel Nachwuchs, so gibt es kein Ungleichgewicht.<br />

Das gehört einfach zum Lebenszyklus dazu. Nach der Paarung<br />

häutet sich das Weibchen und entwickelt dabei zwischen den Laufbeinhüften<br />

<strong>eine</strong>n Brutraum. Dort trägt es die 10 bis 70 befruchteten Eier in <strong>eine</strong>r<br />

flüssigkeitsgefüllten Blase an der Bauchseite. Fast wie in <strong>eine</strong>m Aquarium.<br />

Das dauert etwa 40 bis 50 Tage. Danach schlüpfen die Jungtiere und der<br />

kl<strong>eine</strong> Assel-Nachwuchs wird freigesetzt. Nach etwa 14 Häutungen, welche<br />

etwa drei Monate dauern, sind dann die kl<strong>eine</strong>n Landasseln ausgewachsen.<br />

Eine Häutung kann einige Stunden bis zu zwei Tage dauern. Die abgeworfene<br />

Hülle fressen wir meist danach auf, da sie für uns wichtige Nährstoffe<br />

enthält. Asseln häuten sich ein Leben lang immer wieder, sonst können wir<br />

ja nicht wachsen. Unsere Lebenserwartung beträgt zwei bis drei Jahre. Wir<br />

166


sind somit die einzigen dauerhaft an Land lebenden Krebstiere, welche sich<br />

auch ausserhalb des Wassers fortpflanzen. Weltweit gibt es mehr als 3500<br />

verschiedene Arten von uns Landasseln. Wir sind also für unser Ökosystem<br />

wichtig, denn als Zersetzer und Humusbildner verputzen wir tonnenweise<br />

abgestorbenes Pflanzenmaterial und scheiden es wieder aus. Ähnlich wie<br />

Regenwürmer. So, und mehr weiss ich jetzt auch nicht mehr zu erzählen.<br />

Hast du noch irgendwelche Fragen?<br />

WOW, NEIN. ICH GLAUBE, DU HAST ALLES, WAS ICH WISSEN WOLLTE,<br />

GESAGT UND NOCH MEHR. IHR SEID WIRKLICH UNGLAUBLICH IN­<br />

TERESSANTE GESCHÖPFE. DAS HÄTTE ICH NICHT VERMUTET, SO<br />

UNSCHEINBAR WIE EUER ÄUSSERES IST. ICH DANKE DIR SEHR FÜR<br />

DIESES AUFSCHLUSSREICHE GESPRÄCH MIT DEN VIELEN INTERES­<br />

SANTEN DETAILS ZU EURER ART. GIBT ES NOCH ETWAS, DAS DU DEN<br />

MENSCHEN GERNE SAGEN MÖCHTEST?<br />

Das habe ich sehr gerne gemacht. Ich finde es gut, dass du mir die Möglichkeit<br />

gegeben hast, von unserer Art zu leben zu berichten. Ich fände es nämlich<br />

sehr schön, wenn die Menschen uns nicht immer nur als Ungeziefer,<br />

welches ekelig ist und unbedingt ausgerottet gehört, ansähen. Sondern<br />

dass sie auch sehen, wie nützlich wir sind, und dass es wichtig ist, dass wir<br />

am Leben sind und damit viel Gutes für unsere Erde tun. Wäre schön, wenn<br />

sie uns dadurch mit etwas anderen Augen sehen würden. Wir behelligen<br />

sie schliesslich nicht und leben meist ungesehen und unerkannt unter<br />

euch. Aber wenn ihr dann doch mal <strong>eine</strong>n Stein umdreht und uns findet,<br />

dann deckt uns doch vorsichtig wieder zu und lasst uns leben, denn auch<br />

wir <strong>haben</strong> ein Recht, da zu sein.<br />

DAS WERDE ICH SEHR GERNE AN UNSERE LESER WEITERGEBEN, ALFRED.<br />

ICH WÜNSCHE DIR ALLES GUTE FÜR DEINE ZUKUNFT.<br />

Danke das wünsche ich dir auch.<br />

167


RAVENSONG<br />

Früher von «heidnischen» Stämmen und Völkern als Götter oder deren<br />

Begleiter verehrt. Von Juden bereits als unrein bezeichnet und im Christentum<br />

gar als Hexen und Teufelsbegleiter verfolgt, die Kadaver als Abschreckung<br />

gegen das Böse aufgehängt. Im Mittelalter nannte man sie Galgenoder<br />

Totenvögel, sie waren aber auch Wetterpropheten oder Wegweiser<br />

der Seefahrer. Wandler zwischen den Welten zu sein und hohe Intelligenz<br />

wird ihnen nachgesagt. Es gibt wohl kaum ein Tier, welches die Geister so<br />

sehr scheidet. Die <strong>eine</strong>n lieben sie, die anderen fürchten sie gar – unsere<br />

schwarz gefiederten Rabenkrähen.<br />

Da unsere Redaktion an die Landwirtschaftszone grenzt, sehen wir oft viele<br />

Rabenkrähen auf den Wiesen umherspazieren und nach Würmern und<br />

allerlei anderem Fressbarem suchen. Und weil unser verwöhnter Redaktionskater<br />

nicht jedes Futter sein Leibgericht nennt, <strong>haben</strong> wir dann angefangen,<br />

die Futterresten in unserem Garten unserem Igel zu überlassen,<br />

welcher absolut nichts verschmäht. Das <strong>haben</strong> die cleveren Krähen mitbekommen<br />

und sogleich angefangen, uns des Morgens abzupassen und die<br />

Resten für sich zu beanspruchen. Somit hat es sich wieder einmal wunderbar<br />

ergeben, mit diesen intelligenten <strong>Tiere</strong>n ein Gespräch zu führen.<br />

GUTEN MORGEN, MEINE SCHÖNE, ICH HABE WIEDER ETWAS ÜBRIGES<br />

KATZENFUTTER. EIGENTLICH WÄRE DAS FÜR DEN IGEL GEDACHT,<br />

ABER ANSCHEINEND SCHMECKT ES DIR AUCH. WÄRST DU EINVER­<br />

STANDEN, MIR EIN KLEINES INTERVIEW DAFÜR ZU GEBEN?<br />

Hallo, wir können gerne miteinander sprechen, wenn du das möchtest.<br />

Wie heisst du denn?<br />

MEIN NAME IST VIRGINIA, UND WIE IST DEIN NAME?<br />

Ich bin <strong>Ravensong</strong>.<br />

DAS IST ABER EIN WUNDERSCHÖNER NAME. ER PASST GUT ZU DIR,<br />

DENN ICH FINDE, DU BIST EIN SEHR SCHÖNER VOGEL. DU BIST EINE<br />

RABENKRÄHE, NICHT WAHR?<br />

170


Ja, das bin ich, und vielen Dank für dein Kompliment. Du bist nett für <strong>eine</strong>n<br />

Menschen. Weshalb möchtest du denn mit mir sprechen?<br />

ICH MÖCHTE EURE ART DEN MENSCHEN GERNE NÄHERBRINGEN. ES<br />

GIBT VIELE VORURTEILE GEGENÜBER EUCH KRÄHENARTIGEN, UND<br />

VIELLEICHT HILFT SO EIN INTERVIEW, EUCH MAL VON EINER ANDE­<br />

REN PERSPEKTIVE AUS ZU ZEIGEN.<br />

Das klingt interessant. Ich werde dir gerne Auskunft geben und mein<br />

Wissen mit dir teilen.<br />

DAS IST SEHR NETT VON DIR RAVENSONG. ERZÄHL MIR DOCH EIN<br />

BISSCHEN VON DIR UND DEINEM LEBEN?<br />

Gerne. Also ich bin jetzt dreieinhalb Jahre alt und wohne auf <strong>eine</strong>r Kiefer,<br />

welche am Rande der Weide steht. Mein Partner Ariel und ich <strong>haben</strong> dort<br />

oben ein wunderschönes Nest für unseren Nachwuchs gebaut.<br />

HATTEST DU DENN SCHON OFT NACHWUCHS?<br />

Nein, da wir erst mit etwa zwei bis drei Jahren geschlechtsreif werden, war<br />

es dieses Frühjahr für mich das erste Mal. Ich hatte fünf Eier gelegt und<br />

nach 18 Tagen waren davon bereits vier geschlüpft. Ich habe schon gedacht,<br />

das fünfte würde nicht mehr schlüpfen, aber nach zwanzig Tagen<br />

kam es dann doch noch aus dem Ei. Leider war es so schwach, dass es nicht<br />

überlebte. Aber die ersten vier <strong>haben</strong> sich prächtig entwickelt und sind<br />

allesamt zu stattlichen Raben krähen herangewachsen.<br />

DAS IST ABER SCHÖN. SAG MAL, BEI UNS NENNEN WIR EINE MUTTER,<br />

WELCHE IHRE KINDER NICHT NETT BEHANDELT ODER NICHT GUT<br />

AUF SIE ACHTGIBT, EINE RABENMUTTER. DAS IST AUCH BEI EINIGEN<br />

VÖGELN DER FALL, WIE Z.B. DEM KUCKUCK, WELCHER SEINE KINDER<br />

IN FREMDE BETTEN LEGT … WIE IST DENN DAS NUN WIRKLICH BEI<br />

EUCH RABEN. SEID IHR GUTE ELTERN?<br />

Wir sind sogar hervorragende Eltern. Wir kümmern uns sehr um unseren<br />

Nachwuchs. Während der ersten 18 bis 20 Tage habe ich unsere Eier bebrütet,<br />

und auch nachdem die Kl<strong>eine</strong>n geschlüpft waren, blieb ich noch<br />

<strong>eine</strong> gute Woche bei m<strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Nestlingen. In dieser Zeit war Ariel<br />

171


allein für die Futterbeschaffung zuständig. Er hat sowohl mich als auch die<br />

Kl<strong>eine</strong>n bestens ernährt. Nach der ersten Woche <strong>haben</strong> wir dann beide<br />

gemeinsam für Futter für unsern Nachwuchs gesorgt. Abwechslungsweise,<br />

sodass die Kl<strong>eine</strong>n nie ganz unbeaufsichtigt waren. Man weiss nie, was da<br />

noch alles so rumfliegt. Milane, Elstern und Bussarde werden von uns<br />

sofort aus der Nähe unseres Nestes vertrieben. Bevor wir uns ein Revier<br />

wählen und das Nest bauen, beobachten wir die Umgebung genau. Wenn<br />

Habichte in der Nähe sind, wird das Revier sofort verworfen. Das wäre viel<br />

zu gefährlich.<br />

WAS FRESST IHR EIGENTLICH GERNE? ICH SEHE EUCH OFT HERUM­<br />

LAUFEN UND IN DER WIESE RUMPICKEN. WONACH SUCHT IHR DENN<br />

DORT?<br />

Da wir Allesfresser sind, sind wir nicht sehr wählerisch. Wir fressen Schnecken,<br />

Larven, Käfer, Fallobst, Getreide, Sämereien, Mäuse, Vogeleier, Aas<br />

und auch Abfälle. Wir gehen da das ganze Jahr immer nach Angebot. Im<br />

Frühjahr eher Regenwürmer und Käfer, dann im Frühling immer mehr<br />

Insekten und auch Vogeleier. Im Spätsommer dann eher Wirbeltiere, sprich<br />

Mäuse etc., und natürlich ist Aas im Winter <strong>eine</strong> wichtige Nahrungsquelle<br />

für uns. Ist immer cool, wenn der Bauer ein Feld umpflügt. Da springen<br />

die Grillen nur so aus den Löchern und Regenwürmer gibt es zuhauf. Das<br />

sei fast wie im Schlaraffenland, wo <strong>eine</strong>m die gebratenen Tauben in den<br />

Mund flögen, sagt Ariel immer.<br />

WAHRSCHEINLICH NANNTE MAN EUCH IN FRÜHEREN ZEITEN DESHALB<br />

GALGENVÖGEL ODER TOTENVÖGEL, WEIL IHR AUCH AAS FRESST.<br />

NAJA, ÜBER GESCHMACK LÄSST SICH JA BEKANNTLICH NICHT STREI­<br />

TEN. ICH HABE SCHON OFT BEOBACHTET, WIE KRÄHEN ODER RABEN<br />

NÜSSE AUS GROSSER HÖHE AUF STRASSEN FALLEN LASSEN, UM SIE<br />

ZU ZERBRECHEN. WIE KOMMT IHR AUF SO ETWAS?<br />

Wir sind ja nicht dumm. Im Gegenteil. Wir sind sogar sehr intelligent. Vieles<br />

lernen wir durch Beobachtung. Da wir sehr scharfe Augen <strong>haben</strong> und unsere<br />

Gegend genaustens im Auge behalten, entgeht uns nicht viel. Nüsse<br />

knacken ist da <strong>eine</strong> Kleinigkeit. Erdnüsse mag ich übrigens sehr. Die verstecken<br />

wir gerne in Erdlöchern oder unter Laubhaufen. Wir können uns<br />

172


is zu 1000 Verstecke merken. Ausserdem benutzen wir sogar Werkzeug.<br />

Ariel hat mir mal gezeigt, wie ich mir <strong>eine</strong>n Wurm aus <strong>eine</strong>m Loch holen<br />

kann, in das mein Schnabel nicht reinpasst. Er hat ihn mit <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n<br />

geknickten Ast für mich aus dem Loch gezogen. Das hat er bei <strong>eine</strong>m Menschen<br />

abgeschaut, der mit so <strong>eine</strong>r langen Stange Laub aus <strong>eine</strong>m Teich<br />

gefischt hat, an welches er sonst vom Rand her nicht gekommen wäre. Ist<br />

schon ein gescheiter Kerl, mein Ariel.<br />

ICH MUSS SAGEN, IHR SEID WIRKLICH GESCHEIT, UND DAS MIT DEN<br />

ERDNÜSSEN HABE ICH MIR GEMERKT. ABER SAG MAL, DU SPRICHST<br />

OFT VON DEINEM PARTNER ARIEL. DEN MAGST DU WOHL SEHR. WIE<br />

IST DAS BEI EUCH, STÖRCHE UND SCHWÄNE LEBEN JA MONOGAM,<br />

ABER DIE MEISTEN ANDEREN VÖGEL SUCHEN SICH JEDES JAHR EINEN<br />

NEUEN BRUTPARTNER. BLEIBEN DU UND ARIEL ZUSAMMEN?<br />

Bis das der Tod uns scheidet. Wir Rabenkrähen sind treu bis in den Tod.<br />

Wenn wir mal <strong>eine</strong>n geeigneten Partner finden, bleiben wir zusammen, bis<br />

<strong>eine</strong>r von beiden stirbt. Erst danach wählen wir <strong>eine</strong>n anderen Partner.<br />

Ariel ist die Liebe m<strong>eine</strong>s Lebens, und ich könnte mir k<strong>eine</strong>n liebevolleren<br />

und fürsorglicheren Partner wünschen. Ich hoffe, wir <strong>haben</strong> noch viele weitere<br />

Jahre zusammen.<br />

DA KÖNNTEN SICH ABER VIELE MENSCHEN EIN BEISPIEL AN EUCH<br />

NEHMEN. WIE ALT KÖNNEN RABENKRÄHEN DENN EIGENTLICH<br />

WERDEN?<br />

Wir können über 19 Jahre alt werden. Ariel ist jetzt vier und ich dreieinhalb,<br />

also können wir noch viele schöne Jahre zusammen verleben und<br />

viele Junge aufziehen. Er ist nämlich ein sehr liebevoller Vater. Unsere Jungen<br />

wohnen in <strong>eine</strong>m Schwarm, welcher sich in unserer Nähe befindet. Da<br />

wir hier ein genügend grosses Nahrungsangebot <strong>haben</strong>, brauchen wir auch<br />

unser Revier nicht so aggressiv zu verteidigen. Eigentlich sind wir nämlich<br />

sehr soziale Vögel. Bis zur Geschlechtsreife <strong>haben</strong> wir auch in diesem<br />

Schwarm gelebt und uns erst danach ein eigenes Revier gesucht. Es ist ein<br />

sehr guter Schwarm, welcher sofort merkt, wenn jemand fehlt. So wissen<br />

wir, dass unser Nachwuchs gut aufgehoben ist.<br />

173


LIEBE RAVENSONG, DAS WAR WIRKLICH EIN WUNDERBARES GESPRÄCH.<br />

ICH DANKE DIR SEHR DAFÜR UND HOFFE, DASS WIR NOCH VIELE<br />

WEITERE GESPRÄCHE FÜHREN WERDEN. GIBT ES NOCH ETWAS, WAS<br />

DU DEN MENSCHEN GERNE SAGEN WÜRDEST?<br />

Ich danke dir auch und werde gerne wieder mal <strong>eine</strong> Unterhaltung mit<br />

dir führen. Den Menschen würde ich gerne mitteilen, dass sie nicht immer<br />

Vorurteile <strong>haben</strong> sollen. Man sollte immer ganz genau hinschauen und<br />

alles hinterfragen, bevor man über etwas urteilt. Es ist nicht immer alles<br />

so, wie es aussieht, und man versteht nicht immer alle Zusammenhänge,<br />

also sollte man sich nie ein vorschnelles Urteil bilden. Nur weil nicht alle<br />

die menschliche Zunge beherrschen und nicht so aussehen, heisst das<br />

nicht, dass sie weniger intelligent oder weniger wert sind als die Menschen.<br />

Sie sehen nur anders aus und verhalten sich artspezifisch. Daran sollte man<br />

immer denken, denn das macht unsere Welt harmonischer und unseren<br />

Umgang miteinander respektvoller.<br />

DAS SIND SEHR WEISE WORTE RAVENSONG. DANKE UND ALLES GUTE.<br />

174


175


AUTORIN<br />

Virginia Knaus, geb. 1969, aufgewachsen auf<br />

dem Land bei ihren Gross eltern, lebt mit<br />

ihrem Mann und ihren <strong>Tiere</strong>n in der Schweiz<br />

im Kanton Zürich. Sie ist berufstätig und<br />

schreibt nebenbei für das NATURZYT-Magazin<br />

Artikel wie den Basteltipp und «Tierisch gute<br />

Interviews».<br />

176


Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch wir<br />

sehen die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es,<br />

wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner<br />

dieser Erde uns zu sagen <strong>haben</strong>? Was würden sie wohl<br />

über uns Menschen denken, und wie würden sie ihr Zusammenleben<br />

mit uns empfinden?<br />

Eine spannende Idee – sähen wir das Ganze einmal aus ihrer Sicht und<br />

er führen, was sie uns alles zu sagen hätten. Virginia Knaus hat sich<br />

deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber<br />

Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir<br />

sie einfach fragen könnten.<br />

ISBN 978-3-033-07896-3<br />

9 783033 078963

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