gab März 2021
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16 RHEIN-MAIN-NECKAR<br />
BEWEGUNG<br />
BEI DER<br />
POLIZEI<br />
COMMUNITY<br />
FOTO: ANN-KATRIN BRITZE<br />
Joschua Thuir ist der neue Vorsitzende<br />
von VelsPol Hessen, ein Netzwerk<br />
von Polizeibediensteten, Juristen und<br />
Interessierten, die sich mit queeren<br />
Angelegenheiten im polizeilichen<br />
Kontext auseinandersetzen und sich für<br />
die Interessen der queeren Bevölkerung<br />
sowie für LSBTIQ*-Gleichstellung im<br />
Polizeidienst engagieren. Der 30-jährige<br />
Polizeikommissar war vor seinem im<br />
vergangenen Jahr absolvierten Studium<br />
einige Jahre als Kontroll- und Streifenbeamter<br />
am Frankfurter Flughafen tätig<br />
und bildet nun als Lehrgruppenleiter und<br />
zugleich Lehrkraft im Bereich Recht und<br />
Verwaltung, Polizeianwärter*innen aus.<br />
VelsPol fordert seit Jahren Fortbildung<br />
für einen handlungssicheren Umgang in<br />
Verbindung mit dem queeren Teil der Bevölkerung,<br />
aber auch für ein verbessertes<br />
Arbeitsklima für queere Polizeibedienstete.<br />
Im Interview berichtet Joschua<br />
Thuir wie schwierig es ist, innerbehördlich<br />
Veränderungen herbeizuführen und<br />
welche Erfolge es dennoch zu verzeichnen<br />
gibt.<br />
Joschua, bei unserem letzten<br />
Gespräch vor drei Jahren stand die<br />
Polizeidienstvorschrift 300 auf eurer<br />
Agenda; eine Vorschrift die insbesondere<br />
dir als trans* Mann enorme<br />
Probleme bereitet hat. Um was geht<br />
es dabei?<br />
Die Polizeidienstvorschrift 300 (PDV<br />
300) beinhaltet die gesundheitlichen<br />
Einstellungsvoraussetzungen, an denen<br />
sich die Polizeiärztlichen Dienste bei allen<br />
deutschen Polizeibehörden beim Auswahlverfahren<br />
orientieren müssen.<br />
Diese PDV 300 wurde in den vergangenen<br />
Jahren überarbeitet und die neue Version<br />
wurde im Dezember 2020 endlich bei<br />
der Innenministerkonferenz einheitlich<br />
beschlossen.<br />
Das Problem lag zum einen darin, dass<br />
diese PDV sich lediglich auf männliche und<br />
weibliche Einstellungsvoraussetzungen<br />
bezog und zudem geschlechterbezogene<br />
Körperlichkeiten voraussetzte. Diese<br />
Kriterien konnten von trans* und inter*<br />
Personen schlicht weg nicht erfüllt werden.<br />
Als Beispiel: Männer brauchen zumindest<br />
einen funktionierenden Hoden, was bei<br />
trans* Männern nicht gegeben ist.<br />
Die PDV 300 schloss folglich trans*, inter*<br />
und nicht-binäre Menschen von der Einstellung<br />
bei der Polizei aus – selbst wenn sie<br />
nachweislich kerngesund waren.<br />
Auch bei der Verbeamtung auf Lebzeiten<br />
trägt die PDV 300 eine entscheidende Rolle.<br />
Ich hatte mein inneres Coming-out als<br />
trans* noch während der Ausbildung und<br />
wollte damals nicht riskieren, wegen der<br />
PDV 300 aus dem Dienst entfernt zu<br />
werden. Also blieb mir bis zur Beendigung<br />
meiner Probezeit quasi nichts anderes<br />
übrig, als in der Rolle einer Frau zum Dienst<br />
zu gehen. Fünf Jahre lang bin ich als Lesbe<br />
zum Dienst gegangen, obwohl ich wusste,<br />
dass ich keine bin. Ich fühlte mich genötigt<br />
alle anzulügen, um diese Legende aufrecht<br />
zu erhalten. Im privaten Bereich war es genau<br />
umgekehrt. Diese zwei Leben zu leben<br />
verlangte einiges von mir ab und stellte<br />
bisher meine größte berufliche Herausforderung<br />
dar.<br />
Wir verzeichnen mit den neuen Einstellungsvoraussetzungen<br />
einen großartigen<br />
Erfolg. Der Neuzugang von inter* und trans*<br />
Menschen sowie das Sichtbarwerden derer<br />
die sich bislang in ihrer Uniform versteckt<br />
haben, wird die Polizeikultur intern und das<br />
Verhältnis zwischen Polizei und queerer<br />
Bevölkerung in Zukunft positiv verändern.