SELTENE ERKRANKUNGEN
„Seltene Erkrankungen sollte man viel mehr im Blick haben“ - Hier erfahren Sie mehr.
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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET
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SELTENE
ERKRANKUNGEN
NICHT VERPASSEN:
Nierensteine bereits im Kindesalter?
Eine primäre Hyperoxalurie Typ 1 könnte
der Grund sein
Seite 05
Familiäres Mittelmeerfieber
Wenn Fieberschübe ständig
wiederkehren
Seite 13
Muskelschwäche, Müdigkeit,
Atemprobleme
Die seltene Erkrankung Morbus
Pompe
Seite 14
„Seltene Erkrankungen
sollte man viel mehr im
Blick haben“
Sofian hat Morbus Hunter. Seine Mutter Christina
Issa spricht im Interview über die Herausforderungen,
die diese Erkrankung mit sich bringt.
2
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VERANTWORTLICH FÜR DEN
INHALT IN DIESER AUSGABE
Miriam Hähnel
Menschen mit seltenen
Erkrankungen und ihre
Angehörigen tragen
jeden Tag eine immense
Last. Ihre Stimme muss
hörbar gemacht werden,
und das nicht nur
zum Tag der seltenen
Erkrankungen.
IN DIESER AUSGABE
06
Seltene Erkrankungen und
Psychosomatik
Auch die Seele muss versorgt werden.
10
Und plötzlich steht alles auf Pause
Volker Kowalski leidet an einer nichtdystrophen
Myotonie und hat mit drei anderen
Betroffenen die Patientenorganisation
„Mensch und Myotonie e. V.“ gegründet.
Key Account Manager Health: Miriam Hähnel Geschäftsführung:
Richard Båge (CEO), Philipp Colaço (Managing
Director), Franziska Manske (Head of Editorial & Production)
Sales Director: Henriette Schröder Designer: Elias Karberg
Mediaplanet-Kontakt: redaktion.de@mediaplanet.com
Coverbild: Privat Fotos: Privat, Shutterstock
Alle mit gekennzeichneten Artikel sind keine
neutralen Artikel der Mediaplanet-Redaktion.
facebook.com/MediaplanetStories
@Mediaplanet_germany
Please recycle
Eva Luise Köhler
Schirmherrin
ACHSE e. V.
„Was macht Sie stark?“
Das fragt die ACHSE, die Stimme der Menschen mit
chronischen seltenen Erkrankungen in Deutschland aus Anlass
des diesjährigen Rare Disease Day.
Die unzähligen Antworten, die
eingehen und um den Aktionstag
am 28. Februar veröffentlicht
werden, berühren zutiefst.
„Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht
kämpft, hat schon verloren“, lautet das
Lebensmotto einer Familie, deren sechsjähriger
Sohn an Kinderdemenz (juveniler
NCL) leidet. Das Kind ist bereits erblindet.
Sein Glück ist oberstes Gebot. Für ihn
und seine Familie zählt jeder Tag, denn
sein Leben ist kurz. „Ich lebe von Tag zu
Tag und versuche, jeden Tag gut zu meistern.
Und wenn es mir mal nicht gelingt,
versuche ich es am nächsten wieder. Mein
Motto: Leb einfach!“, sagt die junge Mutter
mit ihrem Baby auf dem Arm, sie und
ihr Partner sind beide chronisch krank.
In den mittlerweile 15 Jahren, die ich
mich als Schirmherrin der ACHSE und
im Rahmen meiner Tätigkeiten für die
Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für
Menschen mit Seltenen Erkrankungen
engagiere, habe ich unzählige Schicksale
kennengelernt: Kinder, denen nur wenig
Leben bleibt, Eltern oder Partner, die jeden
Tag auf Heilung hoffen, Patienten,
die zusätzliche Hürden im Alltag meistern
müssen. Allein in Deutschland sind
mindestens vier Millionen Menschen von
einer der bis zu 8.000 Seltenen Erkrankungen
betroffen, die zumeist chronisch
verlaufen, nicht selten lebensverkürzend
sind und oft mit schweren körperlichen
oder geistigen Beeinträchtigungen einhergehen
– unter ihnen sind besonders
viele Kinder. Eine große Anzahl Betroffener
ist auf lebenslange Unterstützung angewiesen.
Die Auswirkungen von Corona
treffen die chronisch kranken Menschen,
von denen eine große Anzahl aufgrund
eines Immundefektes oder einer Lungenerkrankung
besonders gefährdet ist,
besonders hart. Geschlossene Förder-
Die Auswirkungen von Corona
treffen die chronisch kranken
Menschen, von denen eine
große Anzahl aufgrund eines
Immundefektes oder einer
Lungenerkrankung besonders
gefährdet ist, besonders hart.
oder Tagespflegeeinrichtungen führen
zu Überlastung. Zum eigenen oder dem
Schutz anderer bleiben zum Teil ganze
Familien seit Monaten abgeschottet zu
Hause. Isolation und Einsamkeit prägen
den Alltag.
Gerade jetzt dennoch Stärke zu demonstrieren
und anderen Mut zu machen,
zeichnet die Gemeinschaft der Seltenen
aus. Gemeinsam kämpfen die Betroffenen
seit vielen Jahren für eine bessere
Versorgung, setzen sich aktiv für mehr
Wissen und Forschung ein. Für diesen
enormen Kraftakt in Zeiten, die für uns
alle schwierig sind, brauchen sie unsere
Unterstützung, auch über den Tag der
Seltenen Erkrankungen hinaus. Wir alle
können Stärke beweisen und aktiv helfen
– nämlich Aufmerksamkeit für die Anliegen
der Waisen der Medizin schaffen und
Unterstützung signalisieren.
Ich wünsche Ihnen eine informative
Lektüre.
Ihre Eva Luise Köhler
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Vetter Pharma International GmbH entstanden.
Lebensqualität erhalten –
auch bei seltenen Erkrankungen
Text Peter Sölkner
Peter Sölkner
Geschäftsführer
Vetter Pharma International
GmbH
In Deutschland leben etwa vier
Millionen Menschen mit einer der
rund 6.000 verschiedenen seltenen
Erkrankungen. Häufig sind diese
genetisch bedingt und verlaufen chronisch.
Betroffene leiden unter Invalidität
und/oder eingeschränkter Lebenserwartung.
Es ist oftmals schwierig, die
geeignete Behandlungsmöglichkeit zu
finden, da es sehr viele verschiedene
Erkrankungen mit jeweils verhältnismäßig
wenig Betroffenen gibt.
Hilfe versprechen die sogenannten Orphan
Drugs: häufig biologische, extrem
empfindliche und komplexe Wirkstoffe.
Die systematische Entwicklung dieser
Medikamente allerdings ist herausfordernd
– und war in der Vergangenheit
oft wenig lukrativ für Pharmafirmen. Ein
Grund, warum für viele Erkrankungen
noch kein Behandlungsmittel gefunden
wurde. Umso erfreulicher, dass den
seltenen Krankheiten in den letzten
Jahren mehr Beachtung geschenkt wird.
Mehr als 2.000 Wirkstoffkandidaten in
Europa befinden sich aktuell im Stadium
der Medikamentenentwicklung. Unter
den im vergangenen Jahr in Deutschland
zugelassenen 32 Medikamenten mit
neuem Wirkstoff haben bereits 13 Orphan-Drug-Status.
Wir, das Familienunternehmen Vetter
aus Ravensburg, unterstützen kleine und
große Pharma- und Biotechnologieunternehmen
bei der Entwicklung,
Herstellung und Verpackung von
Arzneimitteln, die injiziert werden. Die
bei uns produzierten Medikamente
werden unter anderem zur Behandlung
weitverbreiteter Krankheitsbilder wie
Multiple Sklerose oder schwere rheumatische
Arthritis eingesetzt – aber eben
auch bei seltenen Erkrankungen wie
zum Beispiel der Bluterkrankheit. Die
Motivation unserer aktuell über 5.000
Mitarbeitenden ist es, mit ihrer Tätigkeit
die Lebensqualität von Patienten
weltweit zu verbessern. Gemeinsam mit
unseren Kunden betreiben wir einen
hohen Aufwand, um auch den sogenannten
„Waisen der Medizin“ zu
helfen und ihnen eine neue Perspektive
zu ermöglichen. Daher halten wir die
Erforschung der Behandlungsmöglichkeiten
von seltenen Krankheiten auch
für außerordentlich wichtig: Jeder
Patient sollte die Chance auf eine
möglichst hohe Lebensqualität haben –
auch wenn seine Erkrankung selten ist.
Dafür setzen wir von Vetter uns
tagtäglich ein.
Weitere
Informationen unter:
www.vetterpharma.com
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„Zusammen ist man weniger allein“
Maria Hengsbach leidet an der seltenen Schlafkrankheit Narkolepsie. Im Interview spricht sie über den
schwierigen Weg bis zur Diagnose und erzählt, warum Selbsthilfe so wichtig ist.
Maria Hengsbach
Narkolepsiepatientin
und Leiterin
der Regionalgruppe
Westfalen
in Paderborn des
Narkolepsie-Netzwerkes
Das komplette
Interview lesen Sie
unter: seltenekrankheiten.de
Sie leiten die Regionalgruppe Westfalen des Narkolepsie-Netzwerkes
und sind selbst von der Erkrankung
betroffen. Wann haben Sie das erste Mal
Symptome bemerkt?
Die Regionalgruppe Westfalen und auch das Narkolepsie-Netzwerk
sind eine große Stütze für mich und liegen
mir sehr am Herzen. Die ersten Symptome traten bei mir
Ende 2011 auf.
Welche Symptome hatten Sie?
Angefangen hat es mit Problemen beim Nachtschlaf
– nachts konnte ich plötzlich nicht mehr schlafen und
tagsüber war ich müde und hatte richtig damit zu kämpfen.
Teilweise hatte ich das Gefühl, einige Sequenzen im
Alltag verpasst zu haben. Zudem war ich oft unkonzentriert
und manchmal knickte ich leicht weg und kam ins
Stolpern. Anfangs habe ich mir darüber keine großen
Gedanken gemacht. Doch mein Mann und meine beiden
Söhne fanden das zunehmend beängstigend. Im April
2012 eskalierte es dann.
Bitte gehen Sie näher darauf ein.
Wir saßen alle in lustiger Runde zusammen, mein Mann
erzählte einen Witz und auf einmal lag ich am Boden.
Vom Kopf her war ich völlig klar und nahm die Reaktionen
meines Umfeldes wahr, konnte mich aber nicht
bewegen, nicht reden und nicht einmal die Augen öffnen
– es ging einfach nichts mehr. Heute weiß ich, dass das
meine erste Kataplexie (ein völliger Muskelspannungsverlust)
war. Im weiteren Verlauf kamen dann Halluzinationen
und Schlaflähmungen hinzu.
Wie sah Ihr Weg bis zur richtigen Diagnose aus? Mit
welchen Herausforderungen sahen Sie sich konfrontiert?
Sehr problematisch. Das Krankheitsbild Narkolepsie als
solches wurde nicht erkannt. Die Zusammenbrüche und
alle vorher beschriebenen Symptome nahmen an Häufigkeit
und Intensität immer mehr zu. Meine Hausärztin
machte alle möglichen Untersuchungen, konnte aber
nichts finden und schickte mich zum Neurologen. Der
hatte den Verdacht auf Narkolepsie, sagte jedoch, dass
ich mit 48 Jahren zu alt dafür sei. Er wies mich dann in
die neurologische Abteilung unseres örtlichen Krankenhauses
ein. Dort konnten mir die Ärzte aber auch nicht
helfen, obwohl ich mittlerweile, aufgrund der Kataplexien,
häufiger lag als stand. Während meiner Zeit im
Krankenhaus habe ich durch eigene Internetrecherchen
Text Benjamin Pank
verschiedene Schlafmediziner herausgefunden und angeschrieben.
Nach einiger Zeit meldete sich tatsächlich
ein Spezialist zurück – das war nach langer Zeit der
Ungewissheit ein erster Lichtblick. In Absprache mit
ihm und meiner Hausärztin habe ich das Krankenhaus
verlassen und bin ein paar Tage später zu ihm gebracht
worden. Mittlerweile war es August und ich konnte
mich nur noch im Rollstuhl fortbewegen. An Laufen
oder Gehen war nicht mehr zu denken. Drei Tage nach
Erstanamnese diagnostizierte er eindeutig Narkolepsie.
Er gab mir ein spezielles Medikament, und bereits einige
Zeit später ging es mir etwas besser. Ich konnte, wenn
auch noch unsicher, erstmals nach langer Zeit wieder auf
meinen Beinen stehen und mit Hilfe langsam gehen. In
diesem Moment realisierte ich, welch großes Glück ich
hatte, dass dieser Arzt auf meine Mail geantwortet hatte.
Denn ab jetzt war ich mir sicher, beim Spezialisten für
meine Krankheit angekommen zu sein. Nun konnten
wir mit der medikamentösen Einstellung beginnen.
Was bedeutete, aus den wenigen am Markt verfügbaren
Medikamenten das geeignetste zum Wachbleiben wie
auch eins zum Schlafen auszuprobieren. Wie bei allen
anderen Medikamenten auch wirken die Medikamente,
die für Narkolepsiepatienten zur Verfügung stehen, unterschiedlich,
sodass dieser Weg nun noch bewältigt werden
musste. Ohne die Unterstützung von Familie und
Freunden wäre dies ein sehr strapaziöser Weg gewesen.
Was hat sich durch die Diagnose und Therapie in
Ihrem Alltag verändert?
Mein ganzes Leben hat sich verändert. Durch die medikamentöse
Einstellung können die Symptome zwar
gemindert werden, aber sie verschwinden nie. Narkolepsie
ist eine unheilbare Krankheit und so begleiten mich
die Kataplexien, Halluzinationen und Schlaflähmungen
mein Leben lang. Nie mehr allein schwimmen, nie mehr
ausgelassen fröhlich sein, nie mehr konzentriert ein
Buch lesen können. Was 48 Jahre lang zu mir gehörte,
war schlagartig anders. Weil dich die Müdigkeit oder die
Kataplexien ohne Ankündigung aus der Bahn werfen.
Aufgrund der langen Zeit der Krankschreibung wurde
ich von der Krankenkasse zu einer Reha geschickt. Dort
wurde festgestellt, dass ich berufsunfähig bin. Das war
sehr einschneidend für mich, da ich immer gern
arbeiten gegangen bin. Nun bin ich aber ein Mensch, der
nicht stillstehen kann, und so habe ich begonnen, mich
in der Selbsthilfe zu engagieren, denn zusammen ist
man weniger allein.
NARKOLEPSIE-
NETZWERK E. V. –
ANLAUFSTELLE
FÜR BETROF-
FENE, DEREN
ANGEHÖRIGE
UND MEDIZINER
Das Narkolepsie-
Netzwerk e. V. bietet
Hilfestellungen für
diagnostizierte Narkoleptiker
und alle sonstigen
Interessierten,
darunter Ärzte – vom
Neurologen bis zum
Allgemeinmediziner.
Dabei spielt der Austausch
Betroffener in
der Selbsthilfe eine
zentrale Rolle: So können
sich Narkolepsiepatienten
gegenseitig
unterstützen, sich
gegenseitige Hilfestellung
bei Fragen rund
um die Erkrankung
und deren Behandlung
geben und sich bei
sozialen Fragen unterstützen.
Zudem unterstützen
und begleiten namhafte
Schlafmediziner die
Arbeit des Netzwerkes.
Damit ist eine kompetente
und solide Basis
geschaffen, sodass
sowohl Betroffene als
auch interessierte Ärzte
auch über aktuelle
medizinische Erkenntnisse
informiert werden
und einen Überblick zu
bestehenden und neuen
Behandlungsmethoden
erlangen.
Weitere Informationen:
www.narkolepsienetzwerk.de
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HELLWACH
DURCHS LEBEN
NEUE PERSPEKTIVEN FÜR PATIENTEN
Bioprojet entwickelt auf der Basis eigener Grundlagenforschung neue Therapieoptionen
mit dem Ziel, schwerwiegende Schlafkrankheiten zu lindern und die Lebensqualität von
Patienten nachhaltig zu verbessern.
Um diese Vision zu verwirklichen, arbeitet Bioprojet weltweit mit Forschern, Ärzten und
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4
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hATTR-Amyloidose:
Eine lebensbedrohliche Multisystemerkrankung
Bei der hereditären ATTR-Amyloidose handelt es sich um eine seltene, autosomal-dominant vererbte Erkrankung,
bei der durch verschiedene Mutationen im TTR-Gen abnorme Transthyretin-Varianten gebildet werden. Über
Diagnostik und Therapie sprachen wir mit PD Dr. med. Katrin Hahn im Interview.
Text Benjamin Pank
PD Dr. med.
Katrin Hahn
Oberärztin der
Klinik für Neurologie
und Experimentelle
Neurologie der
Charité Berlin und
Sprecherin des
Amyloidosis Center
Charité Berlin
(ACCB)
Lesen Sie das ganze
Interview auf:
seltenekrankheiten.de
Die ATTR-Amyloidose ist nicht leicht zu
diagnostizieren. Wie macht sich die Erkrankung
bemerkbar und was erschwert die Diagnose?
Die hereditäre Transthyretin-Amyloidose ist eine
lebensbedrohliche Multisystemerkrankung und
macht sich ganz vielfältig bemerkbar. Je nachdem
was für ein Genotyp, also was für eine Mutation, im
Patienten vorliegt, dominiert eine unterschiedliche
Organbeteiligung. Das kann das Herz sein, das
periphere Nervensystem, der Gastrointestinaltrakt,
das können aber in seltenen Fällen auch die Augen
sein. Kurzum: Die Vielzahl der Symptome, mit der
sich die Erkrankung präsentieren kann, macht das
klinische Spektrum sehr breit und erhöht die Wahrscheinlichkeit,
dass die Patienten von verschiedenen
Fachdisziplinen gesehen, aber aufgrund der
unspezifischen Symptome eben auch übersehen
werden. Die ATTR-Amyloidose ist quasi wie ein
Chamäleon, mit relativ vielen Manifestationen, die
sich durch den Systemcharakter der Erkrankung
ergeben. Wenn man versucht zu extrahieren, was in
der Vielfalt am häufigsten ist, dann ist es neben der
neurologischen Mitbeteiligung vor allem das Herz.
Neurologisch präsentieren sich die Patienten mehrheitlich
in Form einer relativ rasch progredienten
Polyneuropathie, die initial mit Missempfindungen
oder Schmerzen starten kann, im Verlauf aber
mehrheitlich zu Lähmungserscheinungen führt.
Die Patienten haben zusätzlich oft ein Karpaltunnelsyndrom,
was dadurch zustande kommt, dass
sich das Transthyretin-Amyloid häufig im Ligamentum
carpi transversum einlagern kann und
dann zu Druck auf den Nerven führt. Auf das Herz
bezogen entwickeln Patienten im Verlauf typische
Symptome einer Herzmuskelschwäche. Sie klagen
dabei über eine verminderte Belastbarkeit, Luftnot
und berichten häufig über Schwindel bei Lagerungsänderung.
Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur
Diagnose?
In Ländern, wo die Erkrankung endemisch ist, wie
zum Beispiel in Portugal, hat man aufgrund der
Häufigkeit ein gutes Auge für die Symptome. In
anderen Ländern, wo die Erkrankung sporadisch
und damit sehr selten ist, sind es durchschnittlich
fünf bis acht Jahre oder mehr bis zur Diagnosestellung.
Deutschland gehört dazu. Hierzulande
schätzt man, dass circa 400 bis 450 Patienten mit
einer hATTR-Amyloidose diagnostiziert sind.
Warum ist eine möglichst frühe Diagnose
entscheidend für Betroffene?
Mittlerweile stehen uns relativ viele therapeutische
Optionen zur Verfügung und wir wissen,
dass die Wahrscheinlichkeit des therapeutischen
Ansprechens umso größer ist, je
früher wir mit einer Therapie beginnen.
Wie wird die Erkrankung derzeit behandelt?
Die uns zur Verfügung stehenden Medikamente
verfolgen unterschiedliche mechanistische
Ansätze. Eine Möglichkeit ist, die
Bildung des mutierten Transthyretin in der
Leber maßgeblich zu unterdrücken. Hierfür
stehen uns neue Substanzen zur Verfügung,
die eine sogenannte Antisense-Strategie oder
das Prinzip der RNA-Interferenz nutzen. Das
älteste Verfahren, die TTR-Bildung in der
Leber zu unterdrücken, ist die Lebertransplantation,
die aufgrund von besser verträglichen
Alternativen immer seltener zum
Einsatz kommt. Ein anderer Therapieansatz
fokussiert darauf, das instabile mutierte
Transthyretin, was in Form einer Tetramerstruktur
vorliegt, zu stabilisieren. Auch wenn
die neuen Therapien einen großen Fortschritt
bewirkt haben, ist eine Heilung der Erkrankung
zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht
möglich.
Hoffnung Gen-Stilllegung
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Die Ursache vieler seltener Erkrankungen liegt
im Erbgut der Betroffenen. Mit konventionellen
Behandlungsmethoden lassen sich häufig nur
die Symptome therapieren. Das Prinzip der RNA-
Interferenz ermöglicht einen neuen Ansatz, mit
dessen Hilfe sich die Aktivität einzelner Gene gezielt
regulieren lässt. So können auch genetisch bedingte
Erkrankungen ursächlich behandelt werden – ohne
dabei das Erbgut zu verändern.
Mithilfe kurzer RNA-Stränge (orange) kann die
Funktion von Genen „deaktiviert“ werden.
Im vergangenen Jahr hat die breite Öffentlichkeit
erstmals Notiz genommen
von einer neuen Klasse von Impfstoffen
auf Basis von Boten-RNA (Messenger-RNA,
mRNA). Durch das Einbringen
dieser mRNA werden die Zellen dazu
gebracht, ein bestimmtes Virus-Protein
zu produzieren, wogegen das Immunsystem
dann Antikörper bildet. mRNA
gibt es in jeder Zelle in Hülle und Fülle.
Ihre Funktion ist es, die im Erbgut gespeicherten
Informationen an die Ribosomen
zu übermitteln, die mittels dieser
„Baupläne“ verschiedenste Proteine
herstellen. Diese Transportfunktion
macht die mRNA zu einem Ziel für neue
therapeutische Ansätze.
Viele seltene Erkrankungen gehen zurück
auf Mutationen im Erbgut. Dadurch
können etwa die „Baupläne“ für wichtige
Proteine fehlerhaft sein. Diese „kaputten“
Proteine können zu schweren Komplikationen
im Stoffwechsel des Körpers
führen, zum Beispiel wenn sie toxisch
wirken, wie bei der akuten hepatischen
Porphyrie, oder aufgrund ihrer veränderten
Struktur Ablagerungen (Amyloid) bilden,
die wiederum die Funktionsfähigkeit
der Organe beeinträchtigen, zum
Beispiel bei der ATTR-Amyloidose.
Eine neue Klasse von Arzneimitteln
Vor gut 20 Jahren entdeckten Wissenschaftler
einen natürlichen Mechanismus,
mit dem Zellen die Aktivität einzelner
Gene steuern können. Dieser Mechanismus
wird als RNA-Interferenz
(RNAi) bezeichnet. Für ihre Forschungen
erhielten die US-Wissenschaftler
Andrew Z. Fire und Craig C. Mello im
Jahr 2006 den Medizin-Nobelpreis. Die
Entdeckung der RNA-Interferenz legte
den Grundstein für eine völlig neue Klasse
von Arzneimitteln.
Die Grundidee ist simpel. Die Aktivität
eines für eine Erkrankung ursächlichen
Gens wird einfach herunterreguliert. Das
geschieht, indem die Informationsübertragung
zwischen dem „defekten“ Gen
und den Protein-produzierenden Ribosomen
unterbrochen wird. Da der Protein-
Bauplan von der mRNA übertragen wird,
lässt sich der zelleigene Mechanismus
der RNA-Interferenz dahingehend aktivieren,
um präzise genau jene mRNA zu
zerstören, die den fehlerhaften Bauplan
überträgt. Um diesen Prozess einzuleiten,
nutzt man eine kurze RNA-Sequenz,
die der Zelle mitteilt, welche mRNA abgebaut
werden soll. Ein Vorteil der RNA-Interferenz:
Im Gegensatz zu einer Gentherapie
wird nicht in das Erbgut eingegriffen.
Setzt man die Behandlung aus, wird
das betreffende Protein wieder hergestellt.
Das Gen ist gewissermaßen wieder
"aktiv". Mögliche langfristige Nebenwirkungen,
die potenziell bei einer Gentherapie
noch Jahre später auftreten können,
sind so besser kontrollierbar.
Das Potenzial der RNAi zum Wohle von
Patienten weltweit nutzbar machen – mit
dieser Vision hat sich 2002 das biopharmazeutische
Unternehmen Alnylam in
den USA gegründet. Seither hat Alnylam
mehr als drei Milliarden US-Dollar in
die Entwicklung von RNAi-Therapeutika
investiert. Seit 2018 wurden bereits drei
RNAi-Therapeutika zur Behandlung seltener,
genetisch bedingter Erkrankungen
in Europa zugelassen. Weitere sind
in Entwicklung.
Perspektivisch lassen sich mit RNAi-Therapeutika
nicht nur genetisch bedingte
Erkrankungen behandeln, sondern potenziell
auch Herz- und Stoffwechselkrankheiten,
Infektionskrankheiten und
Erkrankungen des zentralen Nervensystems.
Dies ist ein gutes Beispiel, wie von
der Forschung an seltenen Erkrankungen
mittelfristig auch viele andere Patienten
profitieren können.
02.2021 PH1-DEU-00007
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„Wenn Kinder Nierensteine haben,
sollten Ärzte hellhörig werden“
Die primäre Hyperoxalurie Typ 1 ist eine extrem seltene Erkrankung, die im Endstadium zu einer
lebensbedrohlichen Nierenschwäche führen kann. Über die Erkrankung und Meilensteine in der Therapie spricht
Prof. Dr. med. Felix Knauf im Interview.
Text Paul Howe
Herr Prof. Knauf, Sie betreuen unter anderem
Patienten, die an Kristall-assoziierten
Nierenerkrankungen leiden. Was geschieht
speziell bei der primären Hyperoxalurie Typ
1 (PH1) im Körper Betroffener?
Nierensteine sind eine extrem häufige Erkrankung
und betreffen in der Mehrheit aller
Fälle vor allem ältere Patienten. Zusätzlich zu
diesem sehr häufigen Aufkommen von Nierensteinen
bei den Älteren gibt es aber auch
eine genetische Variante, bei der bereits junge
Patienten betroffen sind. Dieser genetische
Defekt führt zu einer vermehrten Bildung von
Oxalat in der Leber. Oxalat ist ein Endprodukt
des Stoffwechsels und wird, solange die
Nierenfunktion ausreichend ist, fast komplett
über den Urin ausgeschieden. Bei extrem hoher
Oxalatausscheidung, wie bei der primären
Hyperoxalurie üblich, ist der Urin immer für
Calciumoxalat (CaOx) übersättigt, es bilden
sich CaOx-Kristalle. Dies führt zu Ablagerungen
dieser Kristalle im Nierengewebe (Nephrocalcinose)
oder zu Steinbildung in den ableitenden
Harnwegen. Beides löst eine chronische
Entzündungs- und Vernarbungsreaktion und
schließlich eine Nierenfunktionseinschränkung
aus.
Wie äußert sich die Erkrankung und bei welchen
Symptomkonstellationen sollten Ärzte
hellhörig werden?
Dadurch, dass bei der PH1 bereits junge Menschen,
mitunter schon Babys und Kleinkinder, unter
Nierensteinen leiden. Bei jedem jungen Patienten,
der einen Nierenstein hat, sollten Ärzte hellhörig
werden, insbesondere wenn es oxalathaltige
Steine sind. Die primären Hyperoxalurien sind
autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen. Das
bedeutet, dass der Patient sowohl auf dem von der
Mutter als auch auf dem vom Vater geerbten Chromosomanteil
die gleiche Veränderung in einem
spezifischen Gen geerbt haben muss, um erkrankt
zu sein. Die Eltern sind dabei meist nicht von der
Erkrankung betroffen. Unbehandelt führt die
Erkrankung zur Niereninsuffizienz. Mit fortschreitender
Nierenschwäche kommt es zur prognostisch
sehr ungünstigen Auskristallisation
von Calciumoxalat im gesamten Organismus
(Oxalose). Symptome einer Nierenschädigung
sind Schwäche, Antriebslosigkeit, Schmerzen und
teilweise auch blutiger Urin.
Wie wurde die PH1 bisher therapiert?
Erstes Ziel ist die frühe Diagnose, um durch eine
konsequente konservative Therapie eine Nierenschädigung
zu minimieren. Bei terminaler Niereninsuffizienz
ist eine intensivierte Dialyse nötig,
um das hohe Risiko der systemischen Oxalose in
diesem Stadium zu reduzieren. Zur Korrektur des
Enzymdefekts bei PH1 war bisher eine kombinierte
Leber-Nieren-Transplantation nötig. Das
Problem bei der Transplantation ist die limitierte
Verfügbarkeit der Organe, und bei der PH1 werden
gleich zwei Organe benötigt. Hinzu kommen die
Nebenwirkungen einer immunsuppressiven Therapie.
Auch die Lebensdauer von transplantierten
Organen ist limitiert.
Wie sieht momentan der Behandlungsstandard
aus?
Es hat sich zum Glück sehr viel getan, eine
spezifische Therapie ist auf den Markt gekommen,
die konkret an dem genetischen Defekt ansetzt.
Man kann Enzymreaktionen, die diesem Defekt
vorgeschaltet sind, ausschalten und dadurch
speziell in den Metabolismus von Oxalat eingreifen.
Der Wirkstoff senkt also den Oxalatspiegel im
Urin bei Kindern und Erwachsenen. Dadurch setzt
man an der Ursache der Nierensteinbildung an,
wodurch ein schwerer Verlauf hoffentlich
ausgeschlossen ist. Das ist ein wahrer Meilenstein
in der Therapie.
Prof. Dr. med.
Felix Knauf
Leiter der AG
Nephrologie und
Internistische Intensivmedizin
am CCR
und Ansprechpartner
für die Nierensteinsprechstunde
am Center for Rare
Kidney Diseases
(CeRKiD) der
Charité Berlin
„Mein Mann war ein Kämpfer“
Stephanie und ihr Mann Jörg führten ein Leben wie aus dem Bilderbuch: ein schönes Haus, zwei gesunde, lebensfrohe Kinder, tolle Jobs.
Dass Jörg an der seltenen Erkrankung PH1 leidet, ändert nichts an ihrem Glück – bis zu dem Tag, als Jörgs Nieren versagen. Im Interview
spricht Stephanie über das gemeinsame Leben, die Erkrankung und darüber, was sie sich für Betroffene und Angehörige wünscht.
Text Benjamin Pank
Welchen persönlichen Bezug haben Sie zur seltenen
Erkrankung PH1?
Ich habe meinen Mann durch die Krankheit verloren.
Er litt seit Geburt an PH1, doch die Diagnose kam erst 39
Jahre später. Schon als wir uns kennenlernten, mit Mitte
20, hatte er immer mal wieder Nierensteine, hatte Koliken
und musste häufiger ins Krankenhaus. Das war auch
immer schlimm mit anzusehen – die Schmerzen müssen
teilweise schrecklich gewesen sein. Doch mein Mann hat
sich das, außerhalb dieser Akutphasen, nie anmerken lassen.
Er war ein Kämpfer, hat nicht gern Schwäche gezeigt
und hat versucht, die Krankheit einfach aus seinem Leben
auszuklammern. Seine Nierensteine sammelte er wie
Trophäen, wohl auch um sich selbst zu beweisen, dass er
stärker ist als die Krankheit. Das hat lange gut funktioniert,
doch leider nicht so lange, bis das Medikament auf den
Markt kam.
Wie hat die Erkrankung Ihres Mannes Ihr Familienleben
verändert?
Jahrelang gar nicht. Wir haben das Leben in vollen Zügen
genossen. Wir sind viel gereist, haben unseren Kindern
die Welt gezeigt. Mein Mann war beruflich sehr erfolgreich
und hat sich immer neue Karriereziele gesetzt. Er war superfit
und voller Lebensenergie. Krank zu sein, hat da für
ihn einfach nicht reingepasst. Auch wenn er regelmäßig
Kontrolltermine hatte, hat er nie über seine Krankheit
gesprochen und immer abgeblockt, wenn ich ihn darauf
angesprochen habe. Bis es nicht mehr wegzudrücken ging.
Bitte gehen Sie näher darauf ein.
Ende 2015 hatte er immer mal einen Tremor. Anfang 2016
waren wir in Tirol Ski fahren, wo er öfters gestürzt ist.
Ich habe ihn gebeten, zum Arzt zu gehen, doch er wollte
partout nicht. Ostern und Sommer 2016 habe ich eine
deutliche Veränderung bei Jörg wahrgenommen. Er wurde
fahrig, hat gezittert und Dinge durcheinandergebracht. Ich
begann mir immer größere Sorgen zu machen, habe ihn
immer wieder gebeten, zum Arzt zu gehen. Doch er wollte
es einfach nicht wahrhaben. Im Juli 2016 waren wir in
Frankreich, und dort ist er zusammengebrochen – Nierenversagen.
Mein Mann wurde als Notfall in die Uniklinik
eingeliefert, wo er noch in der Aufnahme notdialysiert
wurde. Von da an war unser Leben, wie wir es kannten,
vorbei und es ging fast nur noch bergab: Dialyse, Transplantation,
Sepsis, Koma – zwei Jahre später war Jörg tot.
Warum sind ein offener Umgang mit der Erkrankung
und die Vernetzung mit anderen Betroffenen so
wichtig? Welche Möglichkeiten zur Vernetzung und
Hilfsangebote gibt es?
Selbsthilfegruppen und Vernetzung sind meiner Meinung
nach sehr wichtig. Einerseits hat es den emotionalen Faktor,
dass man andere trifft, die auch betroffen sind und mit
denen man sich austauschen kann. Jörg wollte das leider
nie, weil es ihn heruntergezogen hat. Zudem bekommt
man über Selbsthilfegruppen den Kontakt zu Spezialisten.
Ich war selbst in einer PH-Selbsthilfegruppe tätig und
habe gemerkt, dass viele Leute viel zu wenig informiert
sind. Uns ging es auch so. Niemand hat uns über Warnsignale
wie den typischen Geruch nach Salmiak oder die
Verwirrtheit wegen des hohen Harnstoffwertes bei einem
Nierenversagen aufgeklärt. Hätte ich das gewusst, hätten
wir schneller reagieren können.
Was wünschen Sie sich an Veränderungen, wenn es um
die Versorgung Betroffener geht?
Ich wünsche mir, dass Urologen genauer hinschauen und
die Erkrankung dadurch früher erkannt wird. Zudem
wünsche ich mir psychologisch geschultes Personal in den
Kliniken, das als Bindeglied wirkt zwischen den Ärzten
und den Patienten und deren Angehörigen, um sie aufzufangen,
aber auch um ihnen Sachverhalte so zu erklären,
dass alle es verstehen. Das bleibt häufig auf der Strecke
und Patienten und Angehörige stehen alleingelassen da.
Stephanie und Jörg
Das komplette Interview und Stephanie Schulz im Video-
Interview sehen Sie auf: www.seltenekrankheiten.de
6
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Seltene Erkrankungen
und Psychosomatik –
Auch die Seele muss versorgt werden
Menschen mit seltenen Erkrankungen warten in Deutschland immer noch mehrere Jahre, bis sie eine
Diagnose erhalten. Dabei sind die Betroffenen sowohl auf dem Weg zur Diagnose als auch danach enormen
psychischen Belastungen ausgesetzt. Ein Gespräch mit Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rupert Conrad über die
psychischen Leiden im Zusammenhang mit seltenen Erkrankungen und mögliche Lösungsansätze, um
Betroffene auch im Hinblick auf ihre seelische Gesundheit besser versorgen zu können.
Text Hanna Sinnecker
Menschen mit seltenen Erkrankungen
warten oft jahrelang auf ihre Diagnose.
Was macht das mit der Psyche der
Patienten?
Tatsächlich dauert es im Mittel etwa drei bis
vier Jahre, bis Patienten
mit seltenen
Erkrankungen ihre
Diagnose erhalten,
nach einer Umfrage
der European Organization
of Rare Diseases
beträgt die Zeit bei
einem Viertel der Patienten
sogar zwischen
5 und 30 Jahre. Die
Zeit bis zur richtigen
Diagnosestellung führt
in der Mehrzahl der
Fälle zu unangemessenen
und belastenden
medizinischen Untersuchungen bzw. Eingriffen.
Nicht selten wird in diesem Zusammenhang
auch eine psychische Fehldiagnose
gestellt, beispielsweise die Patienten als somatoforme
Störung fehldiagnostiziert: Dabei
handelt es sich um Störungsbilder, bei denen
die medizinischen Befunde die geklagten
Beschwerden nicht hinreichend erklären können.
Dies ist natürlich für die Patienten mit
seltenen Erkrankungen äußerst belastend.
Das wiederum beleuchtet zusätzlich ein
generelles Problem in Bezug auf psychische
und psychosomatische Erkrankungen in
unserer Gesellschaft: Menschen mit einer
psychischen Erkrankung werden häufig nicht
ernst genommen und die Erkrankung als
eingebildet abgetan, was natürlich zu Stigmatisierung
und Ausgrenzung führt und dem
erheblichen Leidensdruck und der dringenden
Behandlungsbedürftigkeit dieser psychischen
Krankheitsbilder in keiner Weise gerecht wird.
Solange der Patient keine Diagnose hat,
aber weiter unter den Symptomen der
seltenen Erkrankung leidet, wachsen auch
die Probleme im Alltag. Welche Folgen hat
das für den seelischen Zustand Betroffener?
Dies kann natürlich negative psychische
Folgen für den Betroffenen haben. Der Patient
leidet unter seinen Krankheitssymptomen,
kann diese gleichzeitig keiner Krankheit
zuordnen, wird durch sein Umfeld, das die
Krankheitssymptome ebenfalls nicht versteht,
verunsichert, womöglich sogar stigmatisiert
und ausgegrenzt.
All dies kann erhebliche
Auswirkungen
auf sämtliche Lebensbereiche
haben und
schränkt die Lebensqualität
von Patienten
massiv ein. Langfristig
kann dies zu psychi-
95%
schen Erkrankungen,
insbesondere Angst und
Depression, führen.
der Befragten berichten
über Ängste und Sorgen
aufgrund der Erkrankung*
Was verändert sich
dann mit dem Moment
der Diagnosestellung
in positiver Hinsicht?
Die frühe und exakte Diagnosestellung ist
von entscheidender Bedeutung, um den
Leidensweg von Patienten mit einer seltenen
Erkrankung zu verkürzen. Mit einem Mal
lassen sich konkrete Fragen stellen und
Antworten suchen, wie zum Beispiel nach
den Behandlungsmöglichkeiten und der
Kostenübernahme, nach eventuellem Förderoder
Pflegebedarf, zum Thema Familienplanung
und Familienanamnese, falls die
Erkrankung vererbbar ist, oder zur Prognose
der Erkrankung.
So schwer oder belastend im Einzelfall die
Diagnose auch sein mag, bedeutet sie für viele
Betroffene und deren Angehörige oft Erlösung
aus einer langen Zeit der Ungewissheit und
damit einer Situation, die nicht bewältigt
werden kann, weil sie komplett unklar ist
90%
klagen über depressive
Symptome*
und Betroffene und Angehörige nicht wissen,
worauf sie sich einstellen müssen. Diese Ungewissheit
erhöht Stress, Angst und Hilflosigkeit.
Wie sehen die psychischen Herausforderungen
nach der Diagnosestellung aus?
Es gibt inzwischen einige Studien, die sowohl
die psychischen Herausforderungen
bei Betroffenen als auch bei Eltern betroffener
Kinder untersuchen, wobei Studien aus
Deutschland fehlen. Für von einer seltenen
Erkrankung Betroffene ergeben sich emotionale
Belastungen durch Unsicherheiten im
Hinblick auf die Behandlung, den Krankheitsverlauf
und die Prognose. Hinzu kommt,
dass viele Betroffene immer wieder mit der
mangelnden Kenntnis im medizinischen
Versorgungssystem konfrontiert sind, was
bedeutet, dass Betroffene häufig schildern,
selbst zu Experten ihrer Erkrankung werden
zu müssen, um sich für die richtige Behandlung
im medizinischen Versorgungssystem
einzusetzen. Aber auch die Unkenntnis über
die eigene Erkrankung im direkten Umfeld
macht Betroffenen zu schaffen, weil dies oft
mit Stigmatisierung
und
Ausgrenzung
einhergehen
kann. Die aus
all diesen
Faktoren
resultierende
emotionale
Belastung
mündet
häufig in eine
psychische
Erkrankung,
wie etwa eine Depression oder Angststörung.
In einer aktuellen Studie aus Großbritannien
mit über 1.300 Patienten mit seltenen
Erkrankungen schildern 36% der Befragten
sogar Suizidgedanken im Zusammenhang mit
der Belastung. Gleichzeitig weisen die Betroffenen
in den Studien darauf hin, dass ein
ausreichendes Bewusstsein für das Ausmaß
psychischer Belastung durch eine seltene
Erkrankung bei Behandlern fehlt, ihnen
nur in seltenen Fällen psychische Unterstützung
angeboten wurde, was zu einem
auf die körperliche Behandlung verengten
Prof. Dr. med.
Dipl.-Psych.
Rupert Conrad,
MBA
Ambulanz- und
Forschungsleiter,
Oberarzt der Klinik
und Poliklinik für
Psychosomatische
Medizin
und Psychotherapie
am UK Bonn
93%
haben eine hohe
Stressbelastung*
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 7
Versorgungsangebot führt.
Betrachten wir die Belastung von Eltern
betroffener
Kinder, so sind die
Eltern häufig von
Trauer überwältigt,
befürchten den
Verlust ihres
Kindes, spüren
Schuldgefühle
und Hilflosigkeit.
Sie fühlen sich in
der alltäglichen
Fürsorge für ihr
Kind überfordert
und sind unsicher, ob sie die Fürsorgepflichten
langfristig bewältigen können.
Dazu kommen Unsicherheiten hinsichtlich
des Verlaufs der Erkrankung und des kindlichen
Wohlbefindens. Im Erleben der Eltern
werden nahezu alle sozialen Beziehungen
durch die mit der Betreuung verbundenen
Pflichten nachteilig beeinflusst. Die alltägliche
Pflegebedürftigkeit und die versäumten
Möglichkeiten, Zeit miteinander zu verbringen,
wirken sich negativ auf die Paarbeziehung
aus. Eltern bezeichnen insbesondere
finanzielle Angelegenheiten als Hauptursache
von Stress und äußern Sorge bezüglich der
zukünftigen finanziellen Belastungen durch
die Erkrankung. Trotz der starken emotionalen
Belastung wird nur wenigen Eltern
im Rahmen der Behandlung psychologische
Unterstützung durch einen spezialisierten
Arzt/Psychologen oder durch eine Selbsthilfegruppe
angeboten.
Seltene Erkrankungen sind bei Betroffenen
und Angehörigen also mit erheblichen psychischen
Herausforderungen verbunden, und
88%
sind emotional erschöpft*
diese Tatsache ist vielen Behandlern noch
nicht ausreichend bewusst.
Welche Rolle spielt
die interdisziplinäre
Versorgung von Menschen
mit seltenen
Erkrankungen, zum
Beispiel an einem
Zentrum für Seltene
Erkrankungen,
besonders auch im Hinblick
auf die psychische
Gesundheit der Betroffenen?
Die Zentren für Seltene Erkrankungen stellen
durch eine enge Zusammenarbeit von Spezialisten
verschiedener Fachgebiete und durch die
Verknüpfung von Krankenversorgung und
Forschung eine deutliche Verbesserung der
Versorgungsqualität dar.
Seit dem Jahr 2009
wurden an vielen
deutschen Universitätskliniken
ZSEs gegründet.
Durch die Bündelung
verschiedener Fachdisziplinen
nehmen die
Zentren nicht nur die
körperlichen Symptome,
sondern auch die psychischen
Symptome von
Betroffenen in den Blick,
ohne dass Patienten in
Sorge sein müssen, dass
aufgrund psychischer
Symptome die körperlichen
Beschwerden nicht ausreichend ernst
genommen werden. Diese Versorgung von Seele
und Körper, nichts anderes heißt ja
Psychosomatische Medizin, ist wesentlich
dafür, dass sich Betroffene in ihrem Leiden
verstanden fühlen. So ist am Bonner Zentrum
für Seltene Erkrankungen, mit dem ich selbst
eng zusammenarbeite, eine Fachärztin für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
an zentraler Stelle in das Zentrum integriert. In
Zusammenhang mit den ZSEs kann nicht
genügend betont werden, dass die Verbesserung
der Versorgungsqualität nicht zuletzt über die
laut hörbare Stimme der Patientenorganisationen
für seltene Erkrankungen wie die
European Organization of Rare Diseases und die
Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen
maßgeblich bewirkt wurde, die Patienten ihr
Schicksal also tatkräftig selbst in die Hand
genommen haben. Es ist sehr zu wünschen,
dass diese verbesserte Versorgung von Betroffenen
und Angehörigen in den Zentren für
Seltene Erkrankungen nachhaltig gesichert und
weiter ausgebaut
wird. Dafür ist
natürlich die zukünftige
finanzielle
Ausstattung der
Zentren, um die
natürlich gerade in
36%
*
der Befragten schilderten
sogar Suizidgedanken im
Zusammenhang mit der
Belastung*
Pandemiezeiten
gerungen wird, von
großer Bedeutung.
Im Zentrum aller
Bemühungen bei
seltenen Erkrankungen
sollte auch
in Zukunft die
Verminderung des
körperlichen und
seelischen Leidens sowie die Verbesserung der
Lebensqualität aller betroffenen Menschen
stehen.
Quelle: Spencer-
Tansley R et al.
Rare diseases and
mental health in
the UK – a quantitative
survey and
multi-stakeholder
workshop.
www.researchsquare.com/
article/rs-9686/
v2 (letzter Zugriff:
05.02.2021)
8
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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Takeda Pharma Vertriebs GmbH & Co. KG entstanden.
Diana
Morbus Fabry-
Patientin
Die Erkrankung als lebenslanger
Begleiter
Der Großteil der bisher bekannten seltenen Erkrankungen
ist chronisch im Verlauf: Die Symptome
beeinträchtigen das Leben Betroffener und ihrer
Angehörigen also dauerhaft. In vielen Fällen sind
die Erkrankungen progredient fortschreitend, das
heißt, ohne Behandlung verschlimmern sich die
Beschwerden im Laufe der Zeit. Eine frühe Diagnose
ist entscheidend, um die Symptome in Schach zu
halten und Beschwerden einzudämmen. Die gute
Nachricht: Es gibt immer mehr medikamentöse
Therapiemöglichkeiten, um einzelne Erkrankungen
gezielt zu behandeln. Das wiederum kann zu
einer Verbesserung der Lebensqualität Betroffener
führen.
Endlich mit 41 Jahren erhielt ich meine
Diagnose. Ich kann jetzt ganz normal
leben, wie andere Menschen auch. Ich
lebe jetzt und ich genieße es!
Tanja
Tanja
HAE-Patientin
Aber auch hier ist noch viel zu tun, denn für den
Großteil der bisher bekannten seltenen Erkrankungen
gibt es bislang keine medikamentöse Therapie.
Für Patienten mit
einer seltenen
Erkrankung
kommt der Weg zur
Diagnosestellung
oft einer Odyssee
gleich.
Text
Paul Howe
Quelle:
1
Magerl et al. Orphanet
Journal of Rare Diseases
(https://doi.org/10.1186/
s13023-020-01506-5;
Stand: 12.01.2020)
Die Last einer
seltenen Erkrankung
Eine seltene Erkrankung zu haben, bedeutet für Betroffene und deren Angehörige,
tagtäglich eine Last zu schultern, die mit enormen Herausforderungen einhergeht.
Seltene Erkrankungen stehen in den letzten Jahrzehnten vermehrt im Fokus der
Forschung, und es wird zunehmend Aufklärungsarbeit betrieben, was Betroffenen
zugutekommt. Es ist aber noch viel zu tun, um die Bürde der Erkrankung für Patienten
und ihre Angehörigen erträglicher zu machen.
Leben ohne Diagnose
Seltene Erkrankungen sind selbst für erfahrene
Mediziner eine Herausforderung. Die Folge sind oft
lange Diagnosewege, in manchen Fällen bleibt eine
Diagnose sogar ganz aus.
Viele Betroffene berichten von einer jahrelangen
Odyssee von Arzt zu Arzt.
In vielen Fällen werden Fehldiagnosen gestellt
und entsprechende Behandlungen in die Wege
geleitet, die dann aber nicht helfen. In einer Studie mit
Patienten, die am Hereditären Angioödem leiden, gab
beispielsweise fast die Hälfte der Befragten an,
Fehldiagnosen erhalten zu haben, und 80% davon
wiederum erhielten entsprechende Fehltherapien,
die teilweise auch invasiv waren (z.B. operative
Entfernung des Blinddarmes) 1 .
Bei ausbleibender Diagnose werden Betroffene
häufig in die „Psychosomatik-Ecke“ geschoben, Eltern
betroffener Kinder gelten als Hypochonder oder
„Helikoptereltern“.
Paradox dabei ist, dass das unerkannte Leiden
dann tatsächlich zu psychischen Problemen führen
kann, weil sich Betroffene unverstanden und nicht
ernst genommen fühlen.
Die Diagnose als Erleichterung
– und die Suche nach Informationen
Für viele Betroffene geht es mit einer großen
Bevor die Diagnose HAE gestellt wurde,
habe ich fünf Bauchspiegelungen und
sieben große Bauch-Operationen hinter
mich gebracht. Mein Bauch sieht aus
wie eine Landkarte.
Tanja
Erleichterung einher, dass das Leiden einen Namen
bekommt, auch wenn es sich um eine schwere
Erkrankung handelt. Oft sind aber nur unzureichende
Informationen zu den einzelnen Erkrankungen
vorhanden, die Betroffene und ihre Angehörigen aber
dringend benötigen. Da seit den vergangenen beiden
Jahrzehnten verstärkt im Bereich der seltenen Erkrankungen
geforscht wird, gibt es auch zunehmend
Informationen zu den einzelnen Krankheitsbildern.
Dieses Wissen wird beispielsweise in speziellen Zentren
für Seltene Erkrankungen gebündelt. So können
Betroffene mittlerweile sehr viel besser aufgefangen
werden als noch vor einigen Jahren.
Aber auch Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen
spielen eine wichtige Rolle als erste Anlaufstelle
für Betroffene. Der Austausch in Patientengruppen
zeigt Betroffenen, dass sie nicht allein
sind. Zudem kann man sich Rat holen, wenn es um
Behandlungsoptionen oder soziale Fragen geht.
Natürlich geht es mir durch die
Therapie besser, und dafür bin ich
sehr dankbar.
Diana
Auswirkungen auf das berufliche und soziale
Leben
Eine seltene Erkrankung kann durch die damit
verbundenen körperlichen Beschwerden, aber auch
durch anfallende Untersuchungs- und Therapietermine
oder Krankenhausaufenthalte gravierende
Einschränkungen im sozialen Leben mit sich
bringen. Oftmals sammeln sich die Fehltage in der
Schule, im Studium oder der Arbeitsstelle, was
dazu führen kann, dass Betroffene als unzuverlässig
oder nicht produktiv genug angesehen
werden. Speziell bei progredient verlaufenden
Erkrankungen können Betroffene existenzielle
Ängste entwickeln, wenn der Verlust des Arbeitsplatzes
droht oder man sich aufgrund einer
fortschreitenden Erkrankung Gedanken über eine
Berufsunfähigkeit machen muss. Hinzu kommt
oftmals auch Unverständnis im persönlichen
Umfeld, wenn zum Beispiel aufgrund der
Erkrankung gemeinsame Treffen nicht realisiert
werden können oder bestimmte Aktivitäten nicht
möglich sind. Betroffene werden also häufig
stigmatisiert, was sie in die soziale Isolation
treiben und psychische Probleme zur Folge haben
kann. Die Belastungen, mit denen sich Patienten
mit einer seltenen Erkrankung konfrontiert
sehen, sind enorm. Um Diagnosewege zu verkürzen,
müssen an erster Stelle Ärzte verstärkt für
seltene Erkrankungen sensibilisiert werden und
Patienten ganzheitlich betrachten, denn nur so
können lange Leidenswege vermieden werden.
Zudem ist eine möglichst weitreichende
Aufklärung der Öffentlichkeit, zum Beispiel am
diesjährigen Tag der seltenen Erkrankungen, von
weitreichender Bedeutung für Betroffene: um
Aufmerksamkeit für Menschen mit seltenen
Erkrankungen zu schaffen, für mehr Verständnis
und Akzeptanz zu werben und gesundheitspolitische
Probleme anzusprechen, mit denen
Betroffene tagtäglich konfrontiert sind. Damit die
Last Stück für Stück gemindert werden kann.
Mein Leben hat sich seit der Diagnose
dahin gehend verändert, dass ich nun
endlich weiß, was ich habe. Und auch
mein Umfeld versteht mich und all
meine Leiden nun besser.
Diana
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„Ich genieße jeden Augenblick,
den wir zusammen haben dürfen“
Sofian ist acht Jahre alt und
ein lebensfroher Junge, der
es liebt, auf dem Trampolin zu
springen und zu singen – und
er ist unheilbar krank. Sofian
hat Morbus Hunter, eine
Stoffwechselerkrankung, bei
der viele Betroffene das 20.
Lebensjahr nicht erreichen.
Im Interview spricht seine
Mutter, Christina Issa, über
die Herausforderungen
im Alltag, das Verdrängen
des Unausweichlichen und
ihre Wünsche in Bezug auf
Diagnose und Therapie.
Text Benjamin Pank
Ihr Sohn Sofian hat die seltene Erkrankung Morbus Hunter. Was hat die Diagnose für Sie als Mutter
bedeutet?
Es hat bedeutet, dass man sich mit Abschied auseinandersetzen muss. Morbus Hunter ist leider eine
unheilbare Erkrankung mit einem fortschreitenden Verlauf. Die Perspektive für Sofian ist, dass er nicht
sehr alt werden wird. Während andere Eltern hoffen, dass ihr Kind ein gutes Studium absolviert, wünsche
ich mir für meinen Sohn, dass er jeden Tag, den er am Leben sein darf, genießt. Natürlich denke ich nicht
jeden Tag an die Erkrankung. Ehrlich gesagt, verdränge ich die Konsequenzen
oft. Anders würde ich das gerade alles nicht meistern
können.
Was hat sich durch die Diagnose in Ihrem Familienleben
geändert?
Bevor die Diagnose kam, haben wir eine Odyssee hinter uns
gebracht: 16 stationäre Krankenhausaufenthalte, unzählige Tage
in der Notaufnahme, Kinderärzte, Humangenetik, verschiedene
Besuche in sozialpädiatrischen Zentren, Hunderte Tests und
Dutzende Therapien. Sieben Jahre hat es gedauert, bis die Diagnose
kam. Heute gehören für uns regelmäßige Arztbesuche und
Therapien zum Alltag.
Mit welchen Herausforderungen sieht sich Ihr Sohn in seinem
so jungen Alter durch die Erkrankung
konfrontiert?
Er muss regelmäßig zum Arzt, und durch die kognitive Einschränkung,
die Morbus Hunter mit sich bringt, kann man ihm
auch nicht erklären, dass das nur zu seinem Besten ist. Genauso
wenig wie die wöchentliche Infusionstherapie, die vier bis fünf
Stunden dauert. Also quasi ein ganzer Nachmittag, nach einem
Schultag. In dieser Zeit kann er dann nicht auf seinem geliebten
Trampolin springen und seinen starken Bewegungsdrang ausleben.
Doch zum Glück gibt es die Möglichkeit, dass Sofian die
Infusionen zu Hause verabreicht bekommt. Wenn wir dafür jede
Woche ins Krankenhaus müssten, wäre das noch viel schlimmer für ihn.
Bevor die Diagnose
kam, haben wir eine
Odyssee hinter uns
gebracht: 16 stationäre
Krankenhausaufenthalte,
unzählige Tage
in der Notaufnahme,
Kinderärzte,
Humangenetik,
Hunderte Tests und
Dutzende Therapien.
Der Patient im
Mittelpunkt
Seltene und komplexe Erkrankungen
stellen die Medizin vor besondere
Herausforderungen. Nur wenige Ärzte
sind mit ihren Symptomen vertraut
und nur eine kleine Gruppe von Unternehmen
legt den Fokus ihrer Forschung
und Entwicklung auf dieses Gebiet.
Takeda setzt als eines der weltweit
führenden Biotechnologie-Unternehmen
genau auf diesen Themenschwerpunkt.
Ziel unserer Forschung
ist es, Menschen mit stark lebensverändernden
Krankheiten ein besseres
Leben zu ermöglichen, Initiativen zur
Unterstützung eines verbesserten Diagnosewegs
anzustoßen und schnelleren
sowie leichteren Zugang zu Therapien
zu eröffnen.
Zudem möchten wir dazu beitragen,
vermehrt Informations- und Unterstützungsangebote
zu schaffen, da es oft
schwer ist, an fundierte Informationen
zu seltenen Krankheitsbildern zu gelangen.
Mit der neuen Website
www.was-ist-selten.de hat Takeda
daher eine Anlaufstelle geschaffen, über
die Interessierte, Betroffene sowie Ärzte
und medizinische Fachkräfte umfangreiche
Informationen zu seltenen Erkrankungen
finden können.
Zu den dort verfügbaren Angeboten gehören
unter anderem:
Detaillierte Informationen über
verschiedene seltene Krankheitsbilder
Erfahrungsberichte von Menschen
mit einer seltenen Erkrankung
Broschüren zum Download
Symptom-Checklisten, die man bei
einem Verdacht auf eine seltene
Erkrankung im Gespräch zwischen
Arzt und Patient durchgehen kann
Informationen zu möglichen Anlaufstellen,
wie zum Beispiel Zentren
für seltene Erkrankungen oder
Patientenorganisationen
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Mit dem folgenden Code gelangen Sie direkt
auf die Website www.was-ist-selten.de:
Wie sieht das bei Ihnen als Pflegeperson Ihres Sohnes aus?
Ich muss mir natürlich diese Nachmittage auch frei halten, meine Arbeit und mein Leben drumherum
organisieren. Eine solche Erkrankung mit dem Berufsleben zu vereinbaren, ist nicht immer leicht. Ich
habe das Glück, einen Chef zu haben, der das versteht und mich unterstützt, wo es geht.
Sehen Sie konkrete Lösungsansätze, die dazu beitragen können, die Last zu mildern, die eine seltene
Erkrankung mit sich bringt?
Ich wünsche mir, dass der Diagnose einer seltenen Erkrankung nicht so häufig ein jahrelanger Leidensweg
vorausgeht. Schon beim Neugeborenenscreening kann so viel diagnostiziert werden, aber auch
später, wenn Kinderärzte Auffälligkeiten feststellen, sollten sie viel mehr die Seltenen im Blick haben.
Frühe Diagnose heißt früher Therapiebeginn, wodurch die Folgen einer seltenen Erkrankung viel mehr
eingegrenzt werden können.
Was würden Sie anderen Betroffenen und Angehörigen mit auf den Weg geben?
Dass man nicht alles mit sich allein ausmachen muss. Es gibt tolle Patientengruppen, wie in unserem Fall
die MPS-Gesellschaft. Der Austausch hilft sehr, die Tipps sind unbezahlbar und man spürt dadurch auch:
Man ist nicht allein.
EXA/DE/FAB/0050_LSDAWE00022_02/2021
10
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„Und plötzlich steht alles auf Pause“
Nicht-dystrophe Myotonien (NDM) sind eine Gruppe seltener Erberkrankungen. Das Hauptsymptom: Betroffene sind aufgrund der
Krankheit nicht fähig, die der körperlichen Bewegung dienenden Muskeln (Skelettmuskulatur) nach der Kontraktion sofort wieder
zu entspannen. Ein Gespräch mit Volker Kowalski, der selbst von einer NDM betroffen ist und 2014 mit drei weiteren Betroffenen die
Patientenorganisation „Mensch und Myotonie e. V.“ ins Leben gerufen hat.
Volker Kowalski
1. Vorsitzender
Mensch und
Myotonie e. V.
Text
Hanna Sinnecker
Sie sind betroffen von einer nicht-dystrophen
Myotonie (NDM). Wann haben Sie das erste
Mal gemerkt, dass mit Ihren Muskeln etwas
nicht stimmt?
Ich habe tatsächlich schon im Kindergartenalter
gemerkt, dass meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt
ist. Damals war ich vier oder fünf Jahre
alt. Meine Eltern dachten, ich sei einfach ein
bisschen faul und träge, und haben versucht, mich
mit verschiedenen pädagogischen Maßnahmen
anzuspornen. Zum Arzt sind sie mit mir aber nie
gegangen.
Die tatsächliche Diagnose wurde gestellt, als ich 15
Jahre alt war. Ich hatte zu der Zeit im Schulsport
großen Stress und Druck, weil ich den Aufgaben
an Schnelligkeit, Ausdauer und Kraft einfach nicht
gewachsen war. Daher bin ich dann einfach selbst
zum Arzt gegangen, weil ich wissen wollte, was
mit mir los ist. Ich hatte das riesige Glück, dass
mein damaliger Hausarzt seine Doktorarbeit über
die Myotonia congenita Becker geschrieben hat.
So war die Diagnose direkt ein Volltreffer und mir
blieb so der möglicherweise lange Spießrutenlauf
von Arzt zu Arzt glücklicherweise erspart.
Wie wirkt sich die Erkrankung im Alltag aus,
mit welchen Einschränkungen haben Betroffene
zu kämpfen?
Jegliche Art von Bewegungswechsel kann Betroffenen
Probleme bereiten, weil die Muskeln sich
aufgrund der Erkrankung wesentlich langsamer
entspannen als bei gesunden Menschen. Man
muss die betreffenden Muskeln jedes Mal auf eine
bestimmte Art der Bewegung vorbereiten, dann
kann man sie kurzzeitig relativ normal ausführen.
Es gibt aber Situationen, wo dieser Übergang
zwischen Bewegungen zu massiven Schwierigkeiten
führen kann. Die Funktions- und Leistungsfähigkeit
der Muskulatur ist ständigen täglichen
Schwankungen ausgesetzt. An bestimmten Tagen
muss man beispielsweise beide Hände nutzen, um
eine Kaffeetasse zu halten, weil die Kraft temporär
sonst nicht ausreicht. Das ist Außenstehenden
schwer zu vermitteln: Man hat da einen athletischen,
scheinbar kräftigen jungen Mann vor sich
sitzen, der aber Probleme hat, ein Glas Wasser mit
einer Hand zu halten.
Eine andere Situation könnte so aussehen: Stellen
Sie sich vor, man geht über eine Fußgängerampel
und kommt ins Stolpern, was bei NDM-Patienten
ein typisches Symptom ist. Man fällt der Länge
nach hin, aber kann nicht wieder aufstehen, weil
die Bewegung förmlich eingefroren ist. Wenn
dann die Ampel auf Rot springt und dazu die anfahrenden
Autos auf einen zufahren, womöglich
noch hupen, dann tut die Stresssituation ihr
Übriges. Denn dann geht gar nichts mehr, weil
die Muskeln einfach den Dienst versagen. Das ist
nicht nur sehr unangenehm, sondern kann sehr
gefährlich für Betroffene werden.
Ich habe selbst folgende Situation erlebt: Im
Schwimmunterricht in der 6. Klasse musste ich
ins relativ kalte, tiefe Wasser springen, ohne dass
ich meine Muskeln in irgendeiner Form darauf
vorbereitet habe. Da Kälte, genauso wie Stress,
symptomfördernd ist, konnte ich mich nicht mehr
bewegen und bin einfach untergegangen. Ich wäre
ertrunken, wenn mein Sportlehrer mich nicht aus
dem Wasser gezogen hätte. Die Erkrankung kann
mit ihren Auswirkungen also durchaus lebensgefährlich
werden.
Mittlerweile gibt es eine zugelassene Therapie
und zudem weitere Ansätze zur Behandlung,
die genutzt werden. Kann man unter Therapie
denn ein geregeltes Leben führen?
Es gibt verschiedene Medikationen, das ist richtig.
Allerdings ist die Wirksamkeit trotz gleicher
Diagnose bei jedem einzelnen Patienten verschieden,
eventuelle Nebenwirkungen fallen ebenfalls
unterschiedlich aus. Hier muss man sich dann
intensiv austauschen, was für welchen Patienten
die individuell passende Behandlungsmöglichkeit
ist. Es ist aber durchaus so, dass die verfügbaren
Medikamente das alltägliche Leben vereinfachen
können. Ich habe vor zehn Jahren Medikamente
gefunden, die meine Beweglichkeit enorm steigern.
Das hat eine ganz neue Lebensqualität für
mich bedeutet.
Sie haben vor einigen Jahren die Patientenorganisation
„Mensch und Myotonie e. V.“
gegründet. Was war die Motivation und was ist
das Ziel der Organisation?
Ich habe vor zehn Jahren die für mich optimale
Behandlungsoption gefunden. Diese Erfahrung
wollte ich gern an andere Betroffene weitergeben
und nicht für mich behalten. Aus diesem Grund
wurde 2014 der beim Amtsgericht Dortmund eingetragene
und als gemeinnützig anerkannte Verein
gegründet. Unser Ziel war es von Anfang an,
Informationen an andere Betroffene weiterzugeben
und einen persönlichen Austausch in Bezug
auf Therapieoptionen und Erfahrungen im Umgang
mit der Erkrankung zu ermöglichen. Zudem
sind wir inzwischen aufgrund unserer zahlreichen
„NDM“-Vereinsmitglieder in unserer Patientenorganisation
auch für Mediziner als Ansprechpartner
interessant geworden: Prof. Dr. Schoser vom
„Friedrich-Baur-Institut“ in München hat unsere
Organisation persönlich kontaktiert, um das dort
bestehende Patientenregister um den Bereich
der nicht-dystrophen Myotonien zu erweitern. Er
referierte zu dem Thema auch in einer Sonderveranstaltung
unserer Organisation in Dortmund
und stellte sich den medizinischen Fragen unserer
Vereinsmitglieder.
INFORMATIONEN ZUR
PATIENTENORGANISATION
„MENSCH & MYOTONIE GEM. E. V.“:
Eine Mitgliedschaft in der ehrenamtlich
geführten Patientenorganisation „Mensch
& Myotonie gem. e. V.“ ist komplett kostenlos.
Jeder zusätzliche Beitritt stärkt uns,
unsere Interessen in der Öffentlichkeit und
bei Institutionen wahrzunehmen.
Zusätzlich zu den „NDM“ engagieren wir
uns auch für Betroffene von „Periodischen
Paralysen“ sowie von „Neuromyotonien“.
Machen Sie mit – in Ihrem und unserem
Interesse!
Weitere Informationen:
www.menschundmyotonie.de
Nicht-dystrophe Myotonien –
Ständig unter Strom, und doch blockiert
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Ich habe meinen
Job verloren, weil ich
zu langsam war.
Ich bin sehr muskulös,
habe aber keine Kraft. Mein
Nachbar hält mich für einen
Macho, weil meine Frau die
Getränkekisten trägt….
Die Musik ist mein
Leben: die erste
Geige im Orchester
spielen – ein Traum,
der Dank einer
wirksamen Therapie
Realität ist.
Als ich
die Hand
meines neuen Chefs
nicht loslassen konnte,
wäre ich am liebsten im
Boden versunken. Ihm
nicht die Hand zu geben
war keine Option!
Kälte verstärkt
meine Symptome.
Wintersport -
ohne Therapie
undenkbar!
Meine Eltern
hielten mich für bockig,
weil ich vor der Treppe stehen
blieb und nicht hochgehen
konnte. Sie dachten, ich wolle
nicht und gaben mir noch einen
Klaps auf den Hintern.
Die Unfähigkeit, einen Muskel nach Anspannung schnell wieder zu entspannen (Myotonie), beeinträchtigt das Leben betroffener Patienten
in vielerlei Hinsicht. Alltägliche Dinge wie Händeschütteln, Treppensteigen, nach dem Bus Rennen, sogar Aufstehen und einfach
Loslaufen stellen enorme Herausforderungen dar und bedeuten emotionalen Stress für die Betroffenen. Äußerlich wirken sie
gesund, teilweise sogar athletisch, was oft Unverständnis bei Außenstehenden hervorruft und zusätzlich belastet.
Wir lassen Sie nicht allein!
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 11
Wenn der Blutdruck im
Lungenkreislauf chronisch erhöht ist
Die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) ist eine seltene, aber schwerwiegende und progressive Erkrankung. Im
Interview spricht Priv.-Doz. Dr. med. Hans F. E. Klose, Chefarzt der Abteilung Pneumologie der II. Medizinischen
Klinik und Poliklinik am UKE, über Symptome, Diagnose und Therapiemöglichkeiten.
Text Franziska Manske
Priv.-Doz. Dr. med.
Hans F. E. Klose
Chefarzt der Abteilung
Pneumologie
der II. Medizinischen
Klinik und
Poliklinik am UKE
Eine frühzeitige,
gezielte und
adäquate
Therapie
kann das
Fortschreiten
der Erkrankung
aufhalten.
Wenn man von Bluthochdruck spricht, wissen
direkt alle, was gemeint ist. Aber von
Lungenhochdruck haben sicher bisher die
wenigsten gehört. Was verbirgt sich hinter
diesem Begriff?
Lungenhochdruck oder pulmonale Hypertonie
(PH) dient als Überbegriff für Krankheitsbilder,
denen gemeinsam ist, dass der Blutdruck im
Lungenkreislauf erhöht ist. Bei Gesunden
bleibt der Druck in der Lungenarterie unterhalb
eines Wertes von 21 mmHg (Millimeter
Quecksilbersäule), bei 21 mmHg aufwärts
spricht man von pulmonaler Hypertonie und
ab einem Druck von 25 mmHg sind spezifische
Medikamente zur Therapie des Lungenhochdrucks
zugelassen.
Was passiert im Körper Betroffener?
Bei Lungenhochdruck ist der Widerstand in
den Lungengefäßen erhöht und der Blutstrom
dadurch verändert. Hinzu
kommen Blutbotenstoffe
und Wachstumsfaktoren in
den Blutgefäßen. Auf Dauer
führen all diese Faktoren zu
einem starken Wachstum
der Lungengefäße und des
Herzmuskels, der dadurch
immer weniger elastisch
wird und die notwendige
Blutmenge nicht mehr
transportieren kann. Die
Sauerstoffversorgung des
Körpers ist durch diese
Veränderungen herabgesetzt
und die Leistungsfähigkeit
der Betroffenen
drastisch einschränkt.
Symptome wie Luftnot,
Atemnot, Sauerstoffmangel
und Herzschwäche sind die
Folge und ein Lungenhochdruck kann sich zu
einem lebensbedrohlichen Zustand entwickeln.
Die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) ist
eine Form des Lungenhochdrucks und wie
viele seltene Erkrankungen nicht leicht zu
diagnostizieren. Warum ist das so?
Normalerweise ist der Lungenhochdruck ein pathologischer
Folgezustand einer anderen Erkrankung.
Diese ist sehr häufig. Bei der PAH steht aber
das Lungengefäß selbst im Fokus der Ursache.
Eine Gefäßverengung der Pulmonalarterie ist
schuld an der Widerstandserhöhung, dem Druckanstieg
und der Mehrbelastung des Herzens.
Da Patienten mit einer PAH zumeist nur unspezifische
Symptome wie Luftnot bei Belastung,
Schwindel, dicke Beine und Erschöpfung zeigen,
können Jahre nach Auftreten der ersten Symptome
vergehen, bis die Diagnose gestellt wird.
Bei welchen Symptomen sollten Betroffene
und behandelnde Ärzte hellhörig werden, und
wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Leider gibt es nicht das eine Symptom, das den
Verdacht auf eine PAH lenkt. Ärzte sollten eher
bei der Konstellation der Symptome hellhörig
werden. Wenn der Herz- und Lungenspezialist
keine Ursache für die vom Patienten beklagten
Symptome findet und dadurch alle geläufigen
Erkrankungen ausgeschlossen werden können,
muss man an die seltenen Erkrankungen, die Pulmonalgefäße
und den Lungenhochdruck denken.
Danach sollte eine Überweisung zu einem Spezialisten
erfolgen. Es gibt in Deutschland mehrere
Fachzentren, die auf die Diagnose und Behandlung
von PAH spezialisiert sind. Hier erfolgen
dann weitere Untersuchungen. Die Rechtsherzkatheteruntersuchung
bestätigt dann die
PAH. Ohne diese kann man die Diagnose nicht
exakt stellen.
Gibt es bestimmte Risikogruppen?
Ja, dazu gehören Patienten mit einer systemischen
Sklerose, einer rheumatischen
Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der
Bindegewebserkrankungen. Bei ihnen tritt
eine PAH relativ häufig auf, zwischen zehn
und 20 Prozent sind betroffen. Hier muss man
ganz besonders hinschauen, da die Sterblichkeit
in Kombination beider Krankheiten sehr
hoch ist. Weitere Risikogruppen sind Patienten
mit angeborenen Herzfehlern, Betroffene
einer Lungenembolie und HIV-Erkrankte.
Warum ist eine möglichst frühe Diagnose
entscheidend?
Eine frühzeitige, gezielte und adäquate Therapie
kann das Fortschreiten der Erkrankung
aufhalten. Dadurch kann die Lebensqualität
länger erhalten bleiben und die Mortalität
reduziert werden. Für die Patienten ist eine
frühzeitige Diagnose also essenziell.
Wie sehen die momentanen Behandlungsoptionen
aus, und können Patienten, die
eine entsprechende Therapie erhalten, ein
normales Leben führen?
Eine PAH wird medikamentös behandelt.
Neben supportiven Behandlungsmöglichkeiten
wie Sauerstoffgabe, überwachter Sport-/
Physiotherapie, Medikamenten zur Entlastung
des rechten Herzens und entwässernden
Medikamenten stehen bei pulmonal arterieller
Hypertonie Substanzen mit direkter Wirkung
auf die Lungengefäße zur Verfügung. Bei allen
Medikamenten werden die Symptome behandelt,
um Betroffenen das Leben zu erleichtern,
jedoch nicht die Krankheit selbst. Heilen kann
man die PAH bisher nicht, doch es stehen
Therapien in der Pipeline, die das Problem an
der Wurzel packen. Ich schaue optimistisch in
die Zukunft.
Bei Lungenhochdruck stehen Lunge und Herz unter Druck
Die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH)
– eine spezielle Form des Lungenhochdrucks
– ist eine seltene und schwere
Herz-Lungen-Erkrankung. Ohne Behandlung
kann die PAH so schnell tödlich verlaufen
wie eine fortgeschrittene Krebserkrankung.
1,2 Dabei ist die Krankheit heute
gut behandelbar, besonders wenn sie
frühzeitig diagnostiziert wird 3 . Allerdings
verzögert sich die Diagnose häufig, da
die Erkrankung zu unbekannt ist und erste
Anzeichen wie Atemnot und Erschöpfung
recht unspezifisch sind. Mit der Initiative
„So klingt Lungenhochdruck“
möchte das forschende Pharmaunternehmen
Janssen Deutschland die PAH
bei Ärzten und Laien bekannter machen.
Ziel ist es, die Krankheit früher im Verlauf
zu erkennen, damit möglichst zeitnah mit
einer Therapie begonnen werden kann.
Lungenhochdruck?
Klingt nach etwas,
was das Herz
nicht betrifft.
Falsch gedacht
Ein angeborener Herzfehler kann der Auslöser
für Lungenhochdruck sein. Informiere Dich auf
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Mit einem angeborenen Herzfehler, auch wenn dieser bereits korrigiert wurde, haben Patienten ein erhöhtes
Risiko eine PAH zu entwickeln. Sie sollten sich auch ohne Symptome regelmäßig auf PAH untersuchen lassen.
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Bei PAH sind die Blutgefäße in der Lunge
verengt und verdickt. Die Folge: Der Druck
in den Lungengefäßen steigt. Gegen diesen
zunehmenden Widerstand muss das
Herz das sauerstoffarme Blut aus dem Körper
in die Lunge pumpen, wo es wieder
mit Sauerstoff angereichert wird. Auf Dauer
PAC_PHK_20005_Awarenesskampagne_Motive_150x100mm_RZ.indd kann der Herzmuskel den steigenden 2
Druck immer schlechter überwinden. Betroffene
erschöpfen schneller, sind weniger
leistungsfähig und leiden an Luftnot - in einem
späteren Stadium selbst bei geringster
körperlicher Betätigung. Daher sollte Atemnot
immer ärztlich abgeklärt und häufigere
Krankheiten wie z. B. Asthma ausgeschlossen
werden. Zeigt sich keine Besserung,
16.10.20 17:32
sollte an eine PAH gedacht und an ein auf
Lungenhochdruck spezialisiertes Zentrum
überwiesen werden.
PAC_PHK_20005_Awarenesskampagne_Motive_150x100mm_RZ.indd 2 16.10.20 17:32
Wichtig zu wissen: Patienten mit einer Bindegewebserkrankung
wie beispielsweise
systemische Sklerose oder mit einem angeborenen
Herzfehler, auch wenn dieser
bereits korrigiert wurde, haben ein erhöhtes
Risiko eine PAH zu entwickeln. Diese Patientengruppe
sollte sich auch ohne Symptome
regelmäßig auf PAH untersuchen lassen.
PAH ist behandelbar
Auch wenn die PAH nicht heilbar ist, lässt
sie sich heute häufig langfristig gut behandeln.
Dazu stehen Wirkstoffe aus mehreren
Medikamentengruppen zur Verfügung,
die miteinander kombiniert werden können.
Damit kann der Arzt je nach Krankheitsstadium
und Patientenbedürfnis die passende
Therapie auswählen.
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[1] D‘Alonzo GE et al. Ann Intern Med 1991; 115:343-349, [2] Kato H et al. Cancer 2001;92;2211-2219, [3] Galiè et al. Eur Heart J. 2016 Jan 1;37(1):67-119
12
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de
Das Nebennierenkarzinom:
Warum Spezialzentren die erste Therapiewahl sein sollten
Das Nebennierenkarzinom ist eine bösartige Entartung der Nebennierenrinde. Da die Erkrankung äußerst
selten ist, gibt es nur wenige Kliniken, die auf die Behandlung spezialisiert sind. Die Endokrinologie des
Universitätsklinikums Würzburg hat sich in Diagnostik, Therapie und Forschung zu dem aktuell größten Zentrum
der Welt für diese Erkrankung entwickelt. Der Leiter der Endokrinologie und Diabetologie, Prof. Dr. med. Martin
Fassnacht, im Interview. Er ist gleichzeitig Vorstandsmitglied des Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZESE)
Nordbayern und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.
Text Franziska Manske
Prof. Dr. med.
Martin Fassnacht
Hormon- und
Krebsexperte
Wie selten ist das Nebennierenkarzinom?
Es gibt jährlich nur 80 bis 100 neue Fälle in Deutschland.
Sind eher Männer oder Frauen betroffen, und in welcher
Altersgruppe tritt die Erkrankung vorwiegend auf? Kann man
das eingrenzen?
Tatsache ist, im Gegensatz zu vielen anderen Tumorerkrankungen,
die ja eher bei älteren Menschen auftreten, dass das Nebennierenkarzinom
in jedem Alter vorkommen kann. Relativ gesehen gibt es sogar
einen gewissen Anstieg im Kindesalter. Absolut gesehen ist es am
häufigsten zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Es sind knapp zwei
Drittel Frauen und ein Drittel Männer betroffen.
Wie entsteht der Tumor?
Leider weiß man bisher relativ wenig darüber, auch weil es eine seltene
Erkrankung ist. Wir und einige andere Gruppen weltweit arbeiten
intensiv daran, mehr darüber zu erfahren. Wir wissen mittlerweile
Einiges, aber warum der eine Mensch die Erkrankung bekommt und
die meisten anderen nicht, ist weiterhin unklar.
Werden Nebennierenkarzinome rechtzeitig erkannt? Wie
werden sie diagnostiziert?
Rund 60 Prozent der Patienten fallen durch die Hormonproblematik
auf, 30 Prozent tumorbedingt durch Schmerzen und in zehn Prozent
liegt ein Zufallsbefund im Rahmen einer Bildgebung aus anderen
Gründen vor. Mittels bildgebender Verfahren wie einer Computertomografie
(CT), einer Magnetresonanztomografie (MRT) oder einer
Positronen-Emissions-Tomografie (PET) lassen sich die Größe und
Ausdehnung des Tumors bestimmen und eventuelle Tochtergeschwüre,
sogenannte Metastasen, erkennen. Aber hierdurch lässt
sich keine eindeutige Diagnose stellen, da es auch noch andere
Tumore im Bereich der Nebenniere gibt. Wichtig ist deshalb eine
ausführliche hormonelle Diagnostik, vor allem der Steroidhormone,
die in der Nebennierenrinde gebildet werden. In unserem Labor
können wir zum Beispiel mittels der sogenannten Massenspektrometrie
mehr als 15 Steroidhormone bestimmen. Dies erlaubt
uns, dass wir häufig schon vor der Operation sagen können, ob
tatsächlich ein Nebennierenkarzinom vorliegt. Nach der Operation
bestätigt ein Pathologe dann die Diagnose endgültig.
Die Deutsche Gesellschaft für
Endokrinologie (DGE) ist die wissenschaftliche
Fachgesellschaft
und Interessenvertretung all derer,
die im Bereich von Hormonen und
Stoffwechsel forschen, lehren oder
ärztlich tätig sind. Die DGE sieht
ihre Hauptaufgabe in der Förderung
der Forschung auf dem
Gebiet der gesamten Endokrinologie,
unter anderem auch im Bereich
seltener Hormonstörungen.
Die Bedeutung seltener
Erkrankungen wird auch dadurch
unterstrichen, dass der DGE-Medienpreis
2020/21 diese
Krankheitsbilder im Fokus hat.
www.endokrinologie.net
Wir arbeiten mit Ihrer außergewöhnlichen Gemeinschaft
zusammen, weil wir bei HRA Pharma Rare Diseases eine
persönliche Verpflichtung darin sehen, unseren Teil dazu
beizutragen, aktuelle Herausforderungen anzugehen,
die Zeit bis zur Diagnose zu verkürzen, einen globalen
Zugang zur Therapie zu ermöglichen und die
langfristige Behandlung zu optimieren.
Wir teilen Ihr Ziel: die Lebensqualität
und die Behandlungserfahrungen
von Familien, die von einer
Seltenen Erkrankung betroffen
sind, zu verbessern.
Let’s make the negative impact of rare diseases
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HRA Pharma Deutschland GmbH, Taunusstr. 3, 65183 Wiesbaden
1-21-01-3 Stand Jan 2021
Welche Symptome machen sich bei einer solcher Erkrankung
bemerkbar?
Häufig spielen die Hormone verrückt. Bei den Frauen werden durch
den Tumor häufig vermehrt männliche Hormone produziert, die eine
stärkere Körperbehaarung sowie einen Bartwuchs auslösen können.
Zusätzlich kommt es oft durch das Ausschütten des körpereigenen
Hormons Cortisol zu Blutdruckerhöhung, Neigungen zu Blutergüssen
und dem Schwinden der Muskelkraft. Bei Männern kann zum
Beispiel die vermehrte Ausschüttung weiblicher Hormone zu einer
Brustentwicklung führen. Wenn diese Symptome sehr ausgeprägt
sind, wird von den Betroffenen schnell reagiert. Ist die Ausprägung
geringer, leider nicht, und es kann einige Monate dauern, bis man
sich beim Arzt vorstellt. Wenn die Tumore nicht so hormonaktiv sind,
können sie zum Teil sehr groß werden. Die Nebenniere selbst ist ein
sehr kleines Organ, das nur wenige Zentimeter misst. Die Tumore haben
hingegen im Schnitt einen Durchmesser von zwölf Zentimetern,
können aber bis zu 30 Zentimeter und größer werden. Dann rufen sie
oft ein Völlegefühl und Schmerzen hervor.
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Also ist die Therapie des Nebennierenkarzinoms die Operation.
Im Idealfall ja. Ist die Erkrankung auf die Nebennieren beschränkt,
ist die vollständige operative Entfernung des Tumors der wichtigste
erste Therapieschritt, und die Heilungschancen sind gut. Durch eine
vorbeugende, sogenannte adjuvante medikamentöse Therapie kann
man diese Chancen weiter verbessern. Wenn eine Operation nicht
möglich ist, ist die Gesamtprognose entsprechend schlechter.
Bitte gehen Sie näher darauf ein.
Beim Nebennierenkarzinom ist die Prognose insgesamt leider eher
schlecht. Wird der Tumor sehr früh erkannt, was leider selten ist,
überleben die meisten Patienten langfristig. Aber wenn es bereits
zu Metastasen gekommen ist, liegt das Überleben leider oft nur im
Bereich von ein bis zwei Jahren. Allerdings gibt es auch hier immer
wieder positive Ausnahmen und auch in dieser Situation erfreulicherweise
Langzeitüberlebende.
Damit umzugehen, ist für Betroffene und Angehörige schwer
zu verarbeiten. Wohin können sich diese Menschen wenden,
um zusätzliche Unterstützung zu bekommen?
Meiner Meinung nach ist das Wichtigste, dass Betroffene an ein
Zentrum geraten, in dem die Erkrankung häufiger behandelt
wird. Je erfahrener die Ärzte in Bezug auf das Nebennierenkarzinom
sind, desto besser stehen die Chancen. Und es ist wichtig,
dass viele Disziplinen sich mit der Erkrankung auskennen – unter
anderem Endokrinologen, Chirurgen, Radiologen, Onkologen.
Leider kommen Patienten häufig zu spät oder gar nicht in
spezialisierte Zentren, da anfangs versucht wird, die Erkrankung
auf lokaler Ebene zu behandeln. Das führt dazu, dass Betroffene
an Ärzte geraten, die noch nie einen Patienten mit Nebennierenkarzinom
gesehen haben. Das ist suboptimal. Spezialisierte
Zentren für Seltene Erkrankungen sind also meine erste Empfehlung,
da sie dann an die Expertenzentren verweisen können.
Auch Selbsthilfegruppen sind sehr sinnvoll und können für
Betroffene und deren Angehörige sehr hilfreich sein. Leider gibt
es in Deutschland aktuell keine Gruppe, die sich ausschließlich
mit dem Nebennierenkarzinom auseinandersetzt. Eine Option
ist das Netzwerk für Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen
"Glandula". International gibt es einige Gruppen, die
auch diverse Internetforen anbieten, in denen Patienten, die sich
nicht vor dem Englischen scheuen, Austausch mit Betroffenen
finden.
Was wünschen Sie sich an Verbesserungen für die Versorgung
von Betroffenen und wie können diese Ihrer Meinung
nach erreicht werden?
Mein Hauptwunsch wäre, dass alle Patienten schon vor der
Operation, vor der Ersttherapie Kontakt mit einem spezialisierten
Zentrum aufnehmen, damit die Therapie dort stattfindet, wo
ausreichend Erfahrung hierfür besteht. Damit würde es bei
vielen Patienten gelingen, die Prognose um ein Vielfaches zu
verbessern.
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 13
Familiäres Mittelmeerfieber:
Wenn Fieberschübe ständig wiederkehren
Das familiäre Mittelmeerfieber, kurz FMF, ist eine erblich bedingte Erkrankung und gehört zu den periodischen
Fiebersyndromen. Warum es in Deutschland mittlerweile gar nicht mehr so selten ist und wie es behandelt wird,
erklärt Priv.-Doz. Dr. med. Philipp Sewerin im Interview.
Text Hanna Sinnecker
Priv.-Doz. Dr. med.
Philipp Sewerin
Facharzt für Innere
Medizin und Rheumatologie
am UK
Düsseldorf
Autoinflammatorische Erkrankungen wie das
familiäre Mittelmeerfieber sind seltene rheumatische
Erkrankungen. Ist es für Ärzte schwierig,
eine solche Erkrankung zu erkennen?
Prinzipiell sind autoinflammatorische Syndrome
seltene Erkrankungen, das stimmt. Es gibt aber
regionale Häufungen. Der Großteil dieser Erkrankungen
ist genetisch vermittelt. Daher speziell
beim FMF auch der Name „Familiäres“ Mittelmeerfieber.
Diese Häufungen finden sich speziell
in Südeuropa und Nordafrika, also im Mittelmeerraum,
und im Nahen Osten wie z.B. Israel. Auch in
der Türkei ist das FMF eine sehr häufige Erkrankung.
In Deutschland haben wir Regionen, wo viele
türkische Einwandererfamilien ansässig sind und
in denen das FMF entsprechend gehäuft auftritt.
Auch zu Zeiten der Flüchtlingskrise traten solche
Erkrankungen häufiger auf. Und plötzlich ist das
FMF auch in bestimmten Teilen Deutschlands gar
nicht mehr so selten. Dort kennen sich die Ärzte
mittlerweile auch recht gut mit dem FMF aus.
Für Ärzte, die selten mit solchen Krankheitsbildern
zu tun haben, ist es aber nicht leicht, sie zu
erkennen. Das betrifft meist die Regionen in
Deutschland, in denen die Bevölkerungsstruktur
eine andere ist, z.B. im Norden oder Osten. Meist
werden die Symptome dann als wiederkehrende
Infekte fehlgedeutet.
Mit welchen Symptomen äußert sich konkret
das FMF bei den betroffenen Patienten?
Das wichtigste Symptom sind wiederkehrende
Fieberschübe. Weiterhin treten oft Bauchschmerzen
auf und es kann sich durch die Entzündungssituation
Wasser im Bauchraum ansammeln. Diese
Kombination aus Fieber, Schüttelfrost und starken
Bauchschmerzen ruft häufig die Chirurgie auf den
Plan und führt dazu, dass Betroffenen oft fälschlicherweise
der Blinddarm entfernt wird.
Dazu kommen Gelenkschmerzen bis hin zu
Gelenkentzündungen, die große Gelenke wie
Knie, Hüfte, Sprunggelenke, Handgelenke oder
Schultern betreffen können. Gelegentlich können
auch rötliche Hautveränderungen zum Beispiel im
Bereich der Knöchel auftreten. All diese Symptome
treten typischerweise im Rahmen des Fieberschubes
auf und klingen nach kurzer Zeit selbstständig
wieder ab.
Jetzt könnte man sagen: Wenn die Beschwerden
von allein wieder abklingen, dann muss man ja
gar nicht therapeutisch intervenieren. Das ist aber
mitnichten so, denn die Fieberschübe sind für
Betroffene extrem belastend. Außerdem gehen
hohe Ausfälle im Schulalltag, im Berufs- und
Sozialleben damit einher. Zudem sind stetige
Entzündungen im Körper ein Problem: Betroffene,
die nicht behandelt werden, können sogenannte
sekundäre Amyloidosen entwickeln, die schwere
Organschäden zur Folge haben können. Patienten
werden dann niereninsuffizient, müssen an der
Dialyse behandelt werden und versterben in der
Regel auch früher.
Wie kann das FMF verlässlich diagnostiziert
werden?
Erhöhte humorale Entzündungszeichen wie
CRP-Werte oder Blutsenkungsgeschwindigkeit
sind hier besonders wichtig und können auf die
richtige Spur führen. Absolute Gewissheit kann
dann die genetische Diagnostik bringen.
Welche Behandlungsoptionen gibt es für
Patienten mit einem FMF?
Aufgrund der guten Therapiemöglichkeiten können
Patienten ein weitestgehend beschwerdefreies
Leben führen. Wichtig ist eine konsequente Kontrolle
der Entzündungsreaktion, damit langfristig
keine Folgeerkrankungen entstehen und die Belastungen
durch die Symptome eingedämmt werden
können. Die Basistherapie besteht nach wie vor in
der Gabe von Colchicin, das früher in großen Mengen
in Tablettenform an Betroffene verabreicht
wurde. Das wiederum hatte oft Beschwerden wie
Durchfall und Erbrechen zur Folge, weswegen
man heute geringere Dosen verabreicht.
Bei manchen Patienten treten aber auch unter
Gabe von Colchicin weiter Fieberschübe auf.
Für diese Patienten gibt es eine ganze Reihe von
neuen Therapieoptionen in Form von Biologika,
sogenannte Interleukin-1-Antagonisten. Interleukine
sind entzündungsfördernde Botenstoffe,
von denen Patienten mit autoinflammatorischen
Erkrankungen zu viele produzieren, was dann die
Fieberschübe auslöst. Die neuen Medikamente
sorgen dann ganz vereinfacht ausgedrückt dafür,
dass die Bildung des Hauptbotenstoffes Interleukin-1
verhindert wird, um die Entzündung
gar nicht erst entstehen zu lassen. Derzeit sind
zwei Präparate in Deutschland zugelassen, wobei
beide insbesondere bei schweren Verlaufsformen
eingesetzt werden und sich im Wesentlichen in
der Frequenz der Applikation unterscheiden.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit
Patienten mit autoinflammatorischen Symptomen
schneller diagnostiziert werden können
und die Hilfe bekommen, die sie benötigen?
Die ersten Adressaten sind hier die Familien
selbst, denn wenn solche Fiebererkrankungen
gehäuft auftreten, dann ist das oft kein Schicksal,
mit dem man dann eben leben muss. Dafür muss
man betroffene Familien aus den entsprechenden
Regionen verstärkt sensibilisieren, damit die
Patienten behandelt werden können. Die zweite
Adresse sind natürlich die Ärzte. Besonders
Hausärzte und Pädiater muss man dafür sensibilisieren,
dass Patienten mit den beschriebenen
Symptomen, die aus den genannten Gebieten
kommen, eine solche Erkrankung haben könnten.
Daher sollte bei der beschriebenen Symptomatik
auf jeden Fall eine Familienanamnese
gemacht werden, eine Kontrolle der Entzündungsparameter
erfolgen und bei Verdacht auf
FMF eine genetische Diagnostik in die Wege
geleitet werden. Wenn der Befund positiv ist,
sollte der Patient an ein spezialisiertes Zentrum
überwiesen werden, damit er adäquat versorgt
werden kann.
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Dieses Fieber
liegt in der Familie
Wiederkehrendes Fieber mit Schmerzen kann ein Anzeichen
für das seltene familiäre Mittelmeerfieber sein.
Das ist zwar erblich, aber behandelbar. Machen Sie den
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14
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Muskelschwäche,
Müdigkeit, Atemprobleme:
Die lysosomale Speicherkrankheit Morbus Pompe
Morbus Pompe ist eine seltene Erbkrankheit, die in vielen Fällen mit einer ausgeprägten Muskelschwäche
einhergeht. Über die Ursachen der Erkrankung, die Herausforderungen bei der Diagnosestellung und die
derzeitigen Behandlungsoptionen sprachen wir mit Prof. Dr. med. Benedikt Schoser.
Text Hanna Sinnecker
Morbus Pompe ist eine sehr seltene
Erkrankung, in Deutschland leben schätzungsweise
nur 300 bis 500 Betroffene. Wo
liegt die Ursache für die Erkrankung?
Der Morbus Pompe ist eine autosomal-rezessiv
vererbte, langsam fortschreitende Stoffwechsel-
und Muskelerkrankung, die zu den lysosomalen
Speichererkrankungen gehört. Die
Häufigkeit (Prävalenz) liegt bei einem pro
40.000 bis 200.000 Menschen.
Der Gendefekt beim Morbus Pompe betrifft ein
bestimmtes Enzym, die saure a-1,4-Glukosidase
(GAA). Dieses Enzym steuert den Abbau von
Glykogen in den Lysosomen. Die Lysosomen
sind dafür zuständig, bestimmte Substanzen
weiterzuverarbeiten oder abzubauen, wozu sie
Enzyme wie GAA benötigen. Ganz vereinfacht
könnte man sich das Enzym GAA als Teil einer
zellulären Wiederaufarbeitung für Glykogen
innerhalb der Lysosomen vorstellen. Durch
die eingeschränkte oder fehlende Aktivität der
GAA bei Menschen mit einem Morbus Pompe
sammelt sich das Glykogen am Anfang in den
Lysosomen, später in den gesamten Zellen
der Muskelfasern, da die zelluläre Wiederaufarbeitung
nur eingeschränkt oder gar nicht
funktioniert. Eine massive Ansammlung von
Glykogen führt zu Zellschäden in den betroffenen
Organen und zum Beispiel in der Muskelfaser
wird der sogenannte molekulare Motor
geschädigt, sodass es dann unter anderem zu
einer Muskelschwäche und zum Muskelabbau
kommt.
Wie äußert sich der Morbus Pompe und
was bedeutet die Erkrankung für den Alltag
Betroffener?
Glykogen ist der wichtige Speicherzucker
und Energielieferant unter anderem für die
Muskulatur, aber beispielsweise auch für Herzund
Nervenzellen. Ist dieser Energielieferant
unzureichend oder nicht vorhanden, kommt es
zu den für Morbus Pompe so typischen Symptomen.
Bei erwachsenen Patienten mit Morbus Pompe
ist die rumpfnahe Muskulatur geschwächt.
Diese sogenannte Gliedergürtelschwäche ist
im Bereich der Beckenmuskulatur besonders
ausgeprägt. Typisch für den Morbus Pompe ist
beispielsweise das sogenannte Trendelenburg-
Zeichen: Dem Patienten kippt das Becken beim
Gehen nach beiden Seiten ab, er hat einen
Schaukelgang. Viele beklagen aber auch Muskelschmerzen
in Ruhe und unter Belastung,
insbesondere im Bereich der Rückenmuskulatur,
weil neben der muskulären Schwäche
auch Skelettveränderungen wie eine Skoliose
(Verkrümmung des Rückgrats) auftreten
können. Zudem haben viele Betroffene eine
eingeschränkte Herzleistung und klagen über
Müdigkeit und eine Belastungsinsuffizienz. Bei
einigen Patienten ist auch das Zwerchfell betroffen,
sodass Patienten besonders im Liegen
und beim Treppensteigen Probleme mit der
Atmung haben. Dies führt bei vielen Patienten
ohne Therapie zur progressiven allgemeinen
Muskelschwäche bis hin zur Rollstuhlpflichtigkeit
und einer maschinellen 24-Stunden-
Beatmungspflichtigkeit.
Bei Babys, die mit einem Morbus Pompe
geboren werden, ist die Symptomatik direkt
sehr ausgeprägt, da sie als sogenannte „Floppy
Babys“ direkt auffällig werden. Das heißt, sie
sind sehr schwach, können kaum die Arme
und den Kopf halten. Zudem haben betroffene
Babys eine Herzmuskelvergrößerung und eine
Atemschwäche, was unbehandelt zum frühen
Tod im ersten Lebensjahr führt.
Die internationale Patientengruppe Morbus
Pompe (IPA) hat sich das Faultier als
Maskottchen ausgesucht. Das sagt vieles über
die Eigenwahrnehmung der Patienten aus, die
sich aufgrund ihrer muskulären Schwäche und
ihrer fehlenden Leistungsfähigkeit als schwerfällig
und „faul“ ansehen, da sie für alle Bewegungen
einfach wesentlich länger brauchen.
Das betrifft Alltagsaktivitäten wie das Aufstehen,
Duschen, Haarekämmen. Aber auch das
Laufen auf der Ebene, Treppauf- und Treppabgehen,
Aufstehen vom Stuhl dauert lange.
Entgegen der eigenen Wahrnehmung vieler
Betroffener handelt es sich aber keinesfalls um
Faulheit, sondern schlicht und einfach um die
so charakteristische muskuläre Schwäche aufgrund
dieser Erkrankung. Bei allen Patienten
ist die soziale Partizipation und Lebensqualität
also deutlich eingeschränkt, unbehandelt ist
auch die Lebenserwartung oft verkürzt.
Was sind die Herausforderungen bei der
Diagnosestellung?
Die kleinsten Patienten sind durch die beschriebenen
Symptome tatsächlich sofort
auffällig. Von daher sind diese kleinen Patienten
sofort unter maximaler Aufmerksamkeit
und bekommen in der Regel direkt auch die
notwendige schnelle medizinische Versorgung.
Bei Betroffenen, die später Krankheitsanzeichen
zeigen, ist das anders. Es dauert
zwar nicht mehr 15 Jahre oder länger, bis
eine Diagnose gestellt wird. Aber erwachsene
Patienten müssen meist immer noch mehrere
Jahre warten, bis sie eine Diagnose bekommen
(sog. Patientenodyssee). Oft sind die ersten
Krankheitszeichen unspezifisch und vieldeutig,
daher verzögert sich die Diagnosestellung und
damit auch der Start der spezifischen Therapie.
Es ist eine seltene Erkrankung und auch viele
Ärzte haben sie nie in ihrem Leben gesehen
oder wahrgenommen, geschweige denn diagnostiziert.
Was man mittlerweile aber in jedem Fall bei
Patienten, die eine muskuläre Schwäche
aufweisen, machen sollte, ist ein sogenannter
Enzymaktivitäts-Trockenbluttest. Damit kann
man die Enzymaktivität aus getrocknetem Blut
bestimmen und recht schnell eine Aussage treffen,
ob es ein Morbus Pompe sein könnte oder
nicht. Dieser Trockenbluttest hat die diagnostischen
Möglichkeiten sehr vereinfacht.
Wie sehen die derzeitigen Therapieoptionen
aus, und können Betroffene unter Therapie
ein weitestgehend normales Leben führen?
Es gibt bisher keine Möglichkeit, Morbus
Pompe zu heilen, aber es gibt seit 15 Jahren
eine zugelassene Enzymersatztherapie mit
humaner rekombinanter alpha-Glukosidase.
Betroffenen kann also das fehlende Enzym
über ein Medikament zugeführt werden, damit
das Glykogen abgebaut werden kann und die
Beschwerden entsprechend gemindert werden
können. Diese alle 14 Tage als Infusion zu verabreichende
Therapie hat bei vielen Patienten
eine Verbesserung des körperlichen Zustands
und der Atmung bewirkt. Das bedeutet, dass
eine gewisse Verbesserung der Lebensqualität
erzielt werden kann. Zudem muss man auch
sagen, dass Betroffene früher, als es noch keine
medikamentöse Therapie gab, oft verfrüht an
den Folgen der Erkrankung verstorben sind.
Wir können also durch den Einsatz dieses
Medikaments einiges an Verbesserungen
erzielen, aber hier gibt es durchaus noch viel
Luft nach oben.
Haben Sie die Hoffnung, dass die
Erkrankung irgendwann heilbar sein wird?
Aktuell werden in zwei großen Phase-3-Studien
neue Enzyme klinisch geprüft, um eine weitere
Verbesserung der Therapie zu erzielen. Zusätzlich
sind unterschiedliche Ansätze der Gentherapie
in erster Erprobung. Auf diese unterschiedlichen
Therapieoptionen setzen viele
Wissenschaftler, Ärzte und Patienten mit
Morbus Pompe ihre ganze Hoffnung. Mit diesen
Optionen, ob alleine oder in Kombination,
werden wir in den nächsten Jahren eine sehr
gute Therapie mit Verbesserung der Lebensqualität
in allen Altersstufen erreichen können.
Heilung gerade für seltene Erkrankungen bleibt
ein großes Wort, das werden auch diese
Therapien noch nicht leisten können.
Prof. Dr. med.
Benedikt Schoser
Oberarzt Friedrich-Baur-Institut
an der Neurologischen
Klinik
und Poliklinik des
LMU Klinikums
München
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 15
Schwachstelle Zwerchfell:
Atemschwierigkeiten bei Morbus Pompe
Das Leitsymptom der seltenen Erkrankung Morbus Pompe ist eine ausgeprägte Muskelschwäche, die sich unter anderem
auf die Atmung auswirkt. Was das mit der aktuellen Pandemiesituation zu tun hat, erklärt uns Dr. med. Matthias Boentert,
der am UK Münster seit vielen Jahren Morbus Pompe-Patienten betreut.
Morbus Pompe geht mit einer Schwächung
der Muskulatur einher. Wie wirkt sich das
speziell auf die Atemmuskulatur aus und welche
Folgen kann das für Betroffene haben?
Bei Patienten mit Morbus Pompe kommt es zu
einer in der Regel langsam voranschreitenden
Schwäche der rumpfnahen Muskeln an Armen
und Beinen; außerdem können die Haltemuskulatur
des Rückens und das Zwerchfell betroffen
sein. Während die Schwäche der Rumpf- und
Gliedmaßenmuskeln Probleme beim Stehen,
Gehen und Treppensteigen macht, kommt
es durch die Beteiligung des Zwerchfells zu
Beschwerden, die alle mit der Atmung zu tun
haben. Hierzu zählen Luftnot bei körperlicher
Belastung, manchmal auch schon in Ruhe, und
im Liegen (vor allem in flacher Rückenlage), eine
Abschwächung des Hustenstoßes, Durchschlafstörungen,
morgendliche Kopfschmerzen und
ein chronisch unerholsamer Nachtschlaf. Wird
die Zwerchfellschwäche im Krankheitsverlauf
schlechter, erhöht sich das Risiko für Infekte der
unteren Atemwege, d. h. für Lungenentzündungen.
Nicht wenige Patienten mit Morbus
Pompe und anderen neuromuskulären Erkrankungen
müssen zu Hause eine nicht invasive
Beatmung mittels einer Atemmaske während der
Nacht einsetzen, damit die genannten Beschwerden
gut behandelt sind.
Gerade ist die breite Öffentlichkeit sehr
sensibilisiert, wenn es um Themen wie
Atemprobleme oder künstliche Beatmung
geht. Beim Morbus Pompe spielen diese
Themen ebenfalls eine tragende Rolle.
Erklären Sie uns, warum?
Eine Infektion mit COVID-19 kann eine
schwere virale Lungenentzündung verursachen
oder eine zusätzliche bakterielle
Pneumonie begünstigen. Patienten mit Morbus
Pompe oder anderen neuromuskulären
Erkrankungen, bei denen eine höhergradige
Zwerchfellschwäche vorliegt, haben kein
erhöhtes Risiko, sich mit COVID-19 zu infizieren,
laufen aber Gefahr, im Fall einer Infektion
einen schwereren Erkrankungsverlauf zu
haben. Das hat damit zu tun, dass ein intaktes
Zwerchfell und ein kräftiger Hustenstoß generell
wichtig sind, um eine Lungenentzündung
besser zu überstehen. Ist die Zwerchfellkraft
herabgesetzt, besteht ein erhöhtes Risiko
dafür, dass eine künstliche Beatmung früher
eingeleitet und insgesamt deutlich länger
durchgeführt werden muss als bei Patienten
mit einem gesunden Zwerchfell. Daraus
ergibt sich dann fast automatisch ein höheres
Risiko für einen längeren Aufenthalt auf der
Intensivstation, häufigere Komplikationen
und eine ungünstigere Prognose.
Könnten durch den derzeitigen Fokus auf
Atemwegsbeschwerden auch vermehrt Morbus
Pompe-Patienten diagnostiziert werden?
Die aktuelle Pandemie lenkt allgemein die Aufmerksamkeit
auf Krankheiten, für deren Behandlung
die künstliche Beatmung eine Rolle spielt. Ob
dies eine größere Aufmerksamkeit für das Thema
Schlaf und Atmung bei Patienten mit neuromuskulären
Erkrankungen einschließt und ob dadurch
vielleicht sogar die Diagnosequote bei so seltenen
Erkrankungen wie Morbus Pompe in Zukunft
ansteigen wird, bleibt abzuwarten. Es ist zu hoffen,
dass insbesondere Hausärzte und niedergelassene
Neurologen für atembezogene Beschwerden
sensibilisiert sind, damit die typische Symptomkonstellation
aus Muskelschwäche, Luftnot bei
Anstrengung und Schlafstörungen erkannt wird
und weitere Untersuchungen veranlasst werden.
Halten Sie eine Priorisierung von Patienten mit
seltenen Erkrankungen wie dem Morbus Pompe
beim Thema Corona-Impfung für sinnvoll?
Definitiv. Patienten mit bestehender Heimbeatmung
oder messbarer Zwerchfellschwäche sollten
bevorzugt geimpft werden. Das gilt zum einen für
Patienten mit einer schweren neuromuskulären
Erkrankung wie dem Morbus Pompe, aber generell
auch für Personen mit schweren Lungenerkrankungen.
Priv.-Doz. Dr. med.
Matthias Boentert
Oberarzt der Klinik
für Neurologie mit
Institut für Translationale
Neurologie
am UK Münster
Lesen Sie das ganze
Interview auf:
seltenekrankheiten.de
Text
Hanna Sinnecker
Mitkämpfer für seltene Erkrankungen gesucht!
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In Europa gilt eine Erkrankung als selten,
wenn nicht mehr als 5 von 10.000
Menschen davon betroffen sind. Allerdings
sind heute bereits mehr als
8.000 seltene Erkrankungen bekannt.
In Deutschland leben also rund 4 Millionen
Menschen mit einer davon – so
selten ist das also gar nicht!
Atemmuskulatur, die ohne Behandlung immer
schwächer wird. Doch für diese Erkrankung
gibt es, im Gegensatz zu vielen anderen seltenen
Krankheiten, eine spezifische Therapie.
Vielen dieser Erkrankungen ist gemeinsam,
dass es häufig nicht einfach ist, sie zu diagnostizieren.
Oft beginnen sie mit unspezifischen
Symptomen, denen sich kein eindeutiges
Krankheitsbild zuordnen lässt. Eine Herausforderung
für alle Beteiligten, für Ärzte und Ärztinnen
wie für die Patienten. Viele haben einen langen
Weg hinter sich, bevor endlich eine eindeutige
Diagnose gestellt werden kann. „Es hat
fast 14 Jahre gedauert, bis ich endlich erfahren
habe, dass ich Morbus Gaucher habe“, sagt
Sabine Biermann, die sich in der Patientenorganisation
Gaucher Gesellschaft Deutschland
engagiert. „Es mag sich komisch anhören,
aber das war dann eine echte Erleichterung.
Erst seitdem ich weiß, was mir fehlt, kann
ich etwas gegen die Krankheit unternehmen
und habe dadurch ein fast normales Leben zurückgewonnen!“,
sagt die Berlinerin.
Kilian leidet seit seiner Geburt an Morbus
Pompe. Wie Morbus Gaucher gehört Morbus
Pompe zu den sogenannten lysosomalen
Speichererkrankungen. „Nach Kilians Geburt
wussten wir wochenlang nicht, was ihm fehlt,
und waren sehr in Sorge, wie es weitergehen
würde. Als wir erfahren haben, dass er an Morbus
Pompe leidet, konnten wir erst einmal
nicht viel damit anfangen – von dieser Erkrankung
hatten wir zuvor noch nie gehört,“ erinnert
sich Kilians Mutter Evi. Bei Morbus Pompe
ist vor allem die Muskulatur betroffen, auch die
Kilian mit seiner Mutter Evi
Kilian ist mittlerweile sieben Jahre alt und
kam letztes Jahr in die Schule. Dass er so
mobil ist wie gesunde Kinder, laufen, toben,
trampolinspringen und sogar Fahrrad fahren
kann, erfüllt die Familie mit großer Dankbarkeit.
„Wir freuen uns an allem, was möglich
ist und was Kilian trotz seiner Erkrankung
gelingt. Darauf konzentrieren wir uns
- und wenn etwas nicht so gut klappt, dann
akzeptieren wir das und bekommen es gemeinsam
so gut wie möglich hin! Und wir
sprechen über unsere Erfahrungen, um anderen
Mut zu machen“, so Evi. „Deshalb
sind wir bei der Aktion „Fight for Rare“ zum
Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar
2021 dabei!“
Die Aktion Fight for Rare wurde von Sanofi
Genzyme, der Geschäftseinheit von
Sanofi, die sich unter anderem der Entwicklung
von Therapien für seltene Erkrankungen
widmet, ins Leben gerufen und
wird unterstützt von Panagiota Petridou.
„Ich setze mich dafür ein, dass seltene Erkrankungen
bekannter werden, damit sie
schneller erkannt und behandelt werden
können“, so die TV-Moderatorin. „Ich habe
einige Menschen mit seltenen Erkrankungen
interviewt und bin beeindruckt von ihrem
Kampfgeist, ihrem Durchhaltevermögen
und ihrer positiven Grundeinstellung.
Deshalb kämpfe ich mit – für mehr Wissen,
für schnellere Diagnosen und bessere Therapien.
Jeder kann mitmachen – werden
Sie Mitkämpfer!“
Die Interviews mit Panagiota Petridou
und mit den Patienten und Informationen
dazu, wie man sich an der
Aktion beteiligen kann, finden Sie auf
www.rarediseaseday.de.
Mit freundlicher Unterstützung der
Sanofi-Aventis Deutschland GmbH