Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
MÄRZ
2021
+
MAMA, WIRST DU
ABGESCHOBEN?
+
SIGI MAURER
IN ZAHLEN
+
FRAUEN
EMPOWERMENT
SPECIAL
+
ZWISCHEN PROTZ
UND TROTZ
ÖSTERREICHS JUNGER ADEL ÜBER DIE
EIGENE PARALLELGESELLSCHAFT
Uvek
ispravno,
ali sada
dvostruko
važno!
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Držite rastojanje od najmanje 2 m
Nosite FFP2 masku
Redovno provetravajte
Sve informacije o zaštitnim merama
na oesterreich.gv.at
Ove jednostavne zaštitne mere pomažu
i protiv novih sojeva virusa, koji su mnogo
zarazniji od prethodne verzije virusa.
Ako svi te mere poštujemo.
Zajedno ćemo uspeti.
Čuvaj
sebe,
čuvaj
mene.
3
minuten
mit
Nenda
Mit ihrem Nr. 1 Hit „Mixed Feelings“ ist
die Tiroler Rapperin Nenda in aller Munde.
Die Ötztalerin mit nigerianischen
Wurzeln über das „Tiroler Corona-Malheur“,
Herkunftsfragen und die heimische
Rap-Szene.
Von Aleksandra Tulej
© Yuki Gaderer
BIBER: Nenda, du bist im Tiroler Ötztal
aufgewachsen, lebst aber seit einigen
Jahren in London. Wird dir die ewige
„Woher kommst du wirklich?“-Frage
dort auch gestellt, oder ist das ein
österreichisches Phänomen?
NENDA: Das werde ich in England auch
gefragt, aber weniger als in Österreich.
Die Menschen reagieren aber
überrascht, wenn ich sage, dass ich
Österreicherin bin. Vor allem, weil mein
Akzent sehr britisch klingt. Die Leute
erwarten, dass ich Familie entweder in
England, in Nigeria oder Jamaika habe
– weil viele Menschen, die in London
leben, westafrikanische oder jamaikanische
Wurzeln haben. Mein Vater kommt
tatsächlich aus Nigeria, aber ich bin
nicht mit ihm aufgewachsen, deshalb
bin ich durch und durch Österreicherin.
Ist Alltagsrassismus deinen Erfahrungen
nach in England und Österreich
gleichmäßig präsent?
In Österreich habe ich das wöchentlich
erlebt. Oft als Kompliment versteckt,
wenn Leute meinen: „Mei, du bist ja so
schön, woher kommst du denn?“ Wenn
ich dann antworte: „Aus dem Ötztal“,
meinen sie dann lachend: „Nein, aber
jetzt wirklich, woher?“ Ich weiß, dass
das lieb gemeint ist, aber es kommt
falsch rüber. Oder dass Menschen mich
auf Englisch ansprechen, ich ihnen auf
Deutsch antworte und sie dann erst
recht auf Englisch weiterreden.
Ganz Österreich schaut ja gerade mit
dem erhobenen Zeigefinger nach Tirol
rüber – Stichwort Mutation und Ski-
Tourismus. Wie ist die Stimmung im
Ötztal?
Ich kann das schwer beantworten, weil
ich ja nicht vor Ort bin. Aber ich glaube,
man kann schon zugeben und sagen:
Wir haben vielleicht einen Fehler
gemacht - und die Kritik annehmen.
Kriegen die Leute in London das eigentlich
mit, was gerade in Tirol abgeht?
Ich glaube, in England hat noch nie
jemand von Tirol gehört. (lacht)
Wie würdest du Wiener*innen die Tiroler
Mentalität erklären?
Es ist ein bisschen chilliger als in Wien,
man stresst sich weniger. In Wien wird
viel gemotzt und gejammert, in Tirol
sind die Leute ein bisschen entspannter.
Bist du stolz darauf, Tirolerin zu sein?
Auch gerade jetzt?
Sehr stolz! Trotz des Corona-Malheurs.
Wie steht's in deinen Augen momentan
um die österreichische Rapszene?
Ich habe die österreichische Rapszene
gerade erst entdeckt. Dadurch, dass ich
ja in London lebe, habe ich bisher nicht
viel aus der österreichischen Szene
mitbekommen. Aber ich bin voll begeistert
und positiv überrascht, was es da
alles so gibt. Ich bin ein großer Fan von
Kerosin95. Ansonsten feiere ich Frauen
wie Little Simz, No Name und Rapsody,
weil sie wichtige Themen ansprechen,
es aber cool klingen lassen.
Mit welchen Problemen hat man als
Künstlerin während der Pandemie zu
kämpfen? Musstest du beim Videodreh
für „Mixed Feelings“ etwas umdisponieren
oder umdenken?
Ich wollte eigentlich eine ganze Musikkapelle
im Video haben, das ging dann
aber wegen der Regelungen nicht. Wir
mussten aufpassen, dass wir nicht zu
viele Leute sind. Aber ansonsten hat
alles gut geklappt – nur die Kapelle
hätte ich wirklich gerne gehabt.
Alter: 26
Geburtsort: Nenda ist in Wien geboren,
und im Ötztal aufgewachsen.
Besonderes: Sie kann überall und immer
einschlafen. Sie wurde sogar auf
Narkolepsie getestet, aber zum Glück
nicht mit der Krankheit diagnostiziert.
/ 3 MINUTEN / 3
3 3 MINUTEN MIT
NENDA
Die Ötztaler Rapperin über Heimat, Identität
und Corona in Tirol.
8 IVANAS WELT
Kolumnistin Ivana Cucujkić ist zum zweiten Mal
Mama geworden und hat die Schnauze voll.
POLITIKA
10 FREMD IN DER HEIMAT
Wie es ist, in Österreich geboren und
aufgewachsen zu sein – aber ohne
Staatsbürgerschaft.
14 „FRAU MAURER,
WIE KORRUPT IST
ÖSTERREICHS POLITIK?“
Biber fragt in Worten,
Sigrid Maurer antwortet in Zahlen
16 „KEINE ANGST VOR DER
POLIZEI, NUR VOR ALLAH.“
An der bosnisch-kroatischen Grenze zeigen
starke Frauen, wie Zivilcourage geht.
14
„FRAU MAURER, WIE VIELE MACHOS
GIBT ES IM PARLAMENT?“
Sigrid Maurer im Interview in Zahlen.
IN
RAMBAZAMBA
22 ZWISCHEN PROTZ
UND TROTZ
Was es bedeutet, jung und adelig im
21. Jahrhundert zu sein.
SPECIAL: EMPOWERMENT
30 WAS SOLLEN DIE
ANDEREN DENKEN?
Wenn die Tochter für den „Ruf der Familie“
zuständig ist.
32 „EIN MANN KANN
FRAUEN NICHT HELFEN.“
Tanya Kayhan über ihre Flucht vor den Taliban
und Empowerment afghanischer Frauen.
36 BYE BYE, EUROZENTRISCHE
SCHÖNHEITSIDEALE
Junge Frauen aus der Iranischen Community
fordern: „Decolonize your beauty standards.“
16
DIE HÜTERINNEN
DER MENSCHLICHKEIT
Petar Rosandićs Reportage über
den Einsatz starker Frauen im
bosnisch-kroatischen Grenzgebiet.
42 „DAS GEHÖRT SICH NICHT
FÜR EINE SOMALI“
Sihaam ist Aktivistin – in ihrer strengen,
somalischen Community eine Seltenheit.
LIFE&STYLE
45 DIE ARMEN
KARRIEREMÄNNER
Über Trends der Nullerjahre, frustrierte
Karrieremänner und „Kanak Iz Da“
22
HALT MÄRZ
2021
„KOMM INS
PALAIS, WIR
MÜSSEN
REDEN.“
Junge Adelige über
den Spagat zwischen
Tradition und
Moderne.
28
GROSSES
EMPOWERMENT-
SPECIAL
Vier Frauen über
ihren individuellen
Weg zu mehr
Selbstbestimmung.
© Zoe Opratko, © Hasan Ulukisa, © Eugénie Sophie ,Cover: © Zoe Opratko
48 „ICH BIN DER
QUOTENMANN“
Ljubiša Bušić über seinen neuen Posten als stv.
Chefredakteur des Magazins „Wienerin“
KARRIERE
50 FÜR MEHR SOLIDARITÄT
Was sich in puncto Frauen und Karriere getan
hat, beschreibt Anna Jandrisevits.
51 IVOS WELT
Ein Gespräch über türkische Vereine
in Österreich und warum die aktuelle
Integrationspolitik eine „Katastrophe“ ist.
52 SELBERMACHER
Zwei Schwestern gaben Wien-Favoriten ein
lang ersehntes Kindergeschäft.
TECHNIK
55 KAPUTTE SPIELEBRANCHE
Adam Bezeczky über das Fiasko „Cyberpunk
2077“
KULTUR
56 KULTURA NEWS
Nada El-Azar über russisches Reality-TV
und Tipps für Kulturhungrige.
59 DIPLOMIERTER
FLÜCHTLING
Jad Turjman über seine Erfahrung als Flüchtling
und seine Migrationskompetenzen.
60 VOM BRAINFUCK AUF DIE
LEINWAND
Arman T. Riahi und Aleksandar Petrović über
ihren neuen Film „Fuchs im Bau“.
Liebe Leserinnen und Leser,
Vieles im Leben kann man sich nicht aussuchen, darunter die Umstände
der eigenen Geburt. Während die einen in Österreich mit silbernem Löffel
zur Welt kommen und Kaiserin Sissi in ihrer Blutlinie nachweisen können,
müssen andere Säuglinge von Stunde null an ihre Integration beweisen
und können sich dankbar schätzen, wenn sie nicht mit Mama abgeschoben
werden. Willkommen in den Parallelgesellschaften Österreichs!
Chefreporterin Aleksandra Tulej hat mal wieder eine beeindruckende
Reportage vom Rand der Gesellschaft geschrieben – dem jungen Adel
Österreichs. Sie sprach mit drei Aristo-Sprösslingen über ihr Leben
zwischen „Protz und Trotz“, über ein Geburtsrecht, das sich schwer
ablegen lässt und über Etikette-Shaming beim Dating. Merke: Mahlzeit
sagt man nicht, das sagen nur Proleten. Ab Seite 22
„
Frauen 2021 in Österreich:
Sie dürfen nicht daten. Sie
müssen heiraten. Sie sollen
nicht politisch sein, nicht
aktivistisch, nicht frei. Frauen
in Österreich kämpfen für
ihre Selbstbestimmung. Im
biber-Empowerment-Spezial
machen Community-Rolemodels
die Kampfansage:
mein Körper, mein Leben, meine
Entscheidung. Ab S. 28
Delna Antia-Tatić “
Chefredakteurin
Mit einem anderen Geburtsrecht, das sich schwer ablegen lässt, haben
die Jugendlichen Meri, Aylin und Mirjana zu kämpfen: Sie haben keine
österreichische Staatsbürgerschaft, obwohl sie in Österreich geboren sind,
hier groß werden, zur Schule gehen und verwurzelt sind. Die Journalistin
Anna Jandrisevits geht in der Reportage „Fremd in der Heimat“ einem
neuen Gefühl der Angst nach, das sich seit den Abschiebungen unter
Jugendlichen breitmacht. Denn zugehörig fühlten sie sich oft nicht, aber
kann man sie wegschicken? Seite 10
Tanya Kayhan hat sie, jene ultimative Integrationslizenz und höchste
Sicherheitsstufe: Die geflüchtete afghanische Star-Reporterin ist seit
2020 Österreicherin. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben mit
Chauffeur in Kabul, von ihren „Ressorts“ Taliban, Opium und Korruption,
und vom Schock in Österreich plötzlich nur mehr „die Afghanin“ zu
sein, die am Flughafen jobbt. Sie berichtet über die Furcht vor ihrer
Community, die Scham eine „schlechte“ Frau zu sein, und wie afghanische
Männer bewusst Analphabetinnen hierzulande ausnutzen. Seite 32.
Frau zu sein ist nicht leicht – weder in den Communitys, noch in der Politik.
So erzählt etwa Sigi Maurer im Interview in Zahlen (Seite 14) , dass sie
allein in der letzten Woche 100 sexistische Nachrichten erhalten hat und
sich auch bei den feministischen Grünen Machos tummeln.
Wir sagen viel Spaß beim Lesen und wünschen Protz Mahlzeit!
Bussis, Eure biber-Redaktion
© Zoe Opratko
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,
E-1.4, 1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at marketing@
dasbiber.at abo@dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
STV. CHEFREDAKTEUR:
Amar Rajković
CHEFiN VOM DIENST:
Aleksandra Tulej
CHEFREPORTERIN:
Aleksandra Tulej
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Todor Ovtcharov, Jad Turjman
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 1. HJ 2020:
Druckauflage 70.663 Stück
verbreitete Auflage 66.363 Stück
DRUCK: Mediaprint
LEKTORAT: Florian Haderer
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Yasmin Maatouk, Benjamin
Jaffery, Tansu Akinci, Anna Jandrisevits
CONTENT CREATION, CAMPAIGN MANAGEMENT
Aida Durić
SOCIAL MEDIA:
Weronika Korban
REDAKTIONSHUND:
Casper
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
Erklärung zu gendergerechter Sprache:
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden
die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die
Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.
Bezahlte Anzeige
Frauen.
Gestalten.
Zukunft.
„Gerade im abgelaufenen Jahr haben wir Frauen
einmal mehr gezeigt, was in uns steckt. Mit Willensstärke,
Mut und Optimismus meistern wir sämtliche
Herausforderungen. Sei es die Liebe zur Musik,
die Leidenschaft für den „Männersport“ Eishockey
oder unsere Partnerin, die uns Halt gibt. Umso mehr
feiern wir am diesjährigen Internationalen Frauentag
unsere Leistungen und Errungen schaften. Und
blicken gestärkt in die Zukunft.“ (Virginia Ernst)
Nutze das Online-Programm am 8. März. Wirf
schon jetzt einen Blick in die Programmvorschau!
Virginia Ernst,
Singer-Songwriterin/
Künstlerin
Internationaler Frauentag
8. März 2021
Online-Programm:
frauentag.wien.gv.at
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Ivan Minić
SCHEISS AUF SUPERMUTTI
Mein Name ist Ivana, ich bin zweifache Mutter und ich hab‘ die Schnauze voll.
Was sich nach einer Vorstellungsrunde der „anonymen
schlechten Mütter“ anhört, ist der Versuch,
das Kind beim Namen zu nennen: Mutterschaft ist ein
beschissen harter Job. Man darf es nur nicht laut sagen.
Ups.
Zugegeben, die Tonalität dieser Zeilen ist dezent aggressiv.
Es gelingt mir nicht auf Anhieb mitten in der
Nacht mit drei Stunden Schlaf in den Knochen, einem
von Koliken geplagten Neugeborenen im Arm und
einem Dreijährigen am Peak der Trotzphase, weichgespülte
Kitschphrasen übers Mutterglück in die Tastatur
zu klopfen. Entweder mein Oxytocin-Pegel ist
im Keller oder meine Mom-Skills sind einfach grottenschlecht.
Aber hey, Mutti hat’s doch auch gepackt!
Bin ich doch genau mit diesem Frauenbild sozialisiert
worden: Die Mutter als stoische Heldin des Alltags,
die täglich (!) eine warme Mahlzeit (selber) zubereitet,
für den Parkettboden ein eigenes Putzmittel verwendet,
Übergriffigkeiten der Schwiegerfamilie zenartig
mit einem Lächeln abschmettert und es schafft, ihren
Morgenkaffee heiß zu trinken. Aber vielleicht ist da ja
ein Schuss Schnaps drin…
FRAU, MUTTER, KÖNIGIN
Anyway. Diese glorifizierte Standhaftigkeit wird seit
Generationen hindurch mit dem Slogan „Kad je Majka
mogla“, also „Wenn Mutti das gepackt hat“, weiter auf
dem Podest gehalten. Nix anderes als ein Marketing-
Schmäh. Und damit sich diese Mogelpackung der anzustrebenden
Überfrau besser verkaufen lässt, drückt
man ihr ein sexy Branding auf: Žena, Majka, Kraljica.
Frau, Mutter, Königin. Für eine Balkanfrau ist damit
der Plafond der Komplimenten-Skala erreicht: Über ihr
thront niemand mehr. Super-Woman auf Jugo quasi.
Denn wehe, eine Jungmutter drängt der Alltag mal an
den Rand des Nervenzusammenbruchs, dann kommt
stracks ein Witzbold um die Ecke und watscht sie verbal
ab: „Kad je Majka mogla“. Will meinen: Goschn
halten, Krönchen richten und Babykotze vom Cape
wischen.
DAS KRÖNCHEN WACKELT
Mein Krönchen rutscht mir ständig von den fettigen
Haaren beim Versuch, die Nummer vom Chinesen ins
Handy zu tippen, die Staubwolken unter die Couch zu
schieben, das Shirt von letzter Woche mit Parfum zu
übertünchen und dabei my inner soul auf der Think-
Positive-App auszubalancieren.
Oh, aber da haben die Jugos für das Vernachlässigen
der eigenen Bedürfnisse noch so einen flotten Slogan
in petto: „Slatke muke“ - „süße Qualen“- dieses Elternleben.
Für so viel Zynismus hab‘ ich einfach keine
Kapazitäten. Wir sind grad mitten im dritten Entwicklungssprung
und ein in die Hälfte geschnittenes Croissant
ist für den Dreijährigen pretty serious shit. Nein,
das süße Babylächeln ist nicht Belohnung genug und
alles ist damit sicher auch nicht vergessen.
Aber sehen wir das ganze mal positiv, sagt meine
App: Das Leben mit zwei kleinen Kindern qualifiziert
mich für jeden CEO-Job der Welt. Stressresistenz,
Hands-on-Mentalität, Durchhaltevermögen, Leadership,
Risiko-Management – Mommy got skills. Meine
Bewerbung schick’ ich morgen ab. Mutti muss den
Busen auspacken, die Nachtschicht beginnt.
* Oxytocin ist ein Kuschel-Hormon
cucujkic@dasbiber.at
8 / MIT SCHARF /
NEMA PROBLEMA
FOTONOVELA
Nenad hat die HTL abgebrochen und keinen Plan, was er mit
seinem Leben anfangen will. Viel Zeit zum Grübeln bleibt
ihm aber nicht – Mutter Senada sitzt ihm schon im Nacken.
BEZAHLTE ANZEIGE
NEUES AUS DEM LEBEN
DER FAMILIE PRAVDOVIĆ
Boah
jetzt lässt du mich
auch noch im
Stich??
Sine, was
soll ich nur mit
dir machen? Jetzt hast
du sogar die Schule
abgebrochen …
„… was
sollen da nur die
Leute denken …“,
ich weiß, Mama! Aber
Elektrotechnik ist
ur fad.
Anscheinend
nicht, wenn es
um PlayStation
geht!
Spiel
mal lieber mit
der Jopsy App von
der AK statt mit der
PlayStation!
Ja chill,
mach ich!
Bože, womit habe
ich zwei Mütter
verdient?
Nenad erlebt mit dem Berufsinteressentool
der Jopsy App eine Überraschung:
Technik liegt ihm gar nicht. Dafür ist er der
geborene Versicherungsmakler – denn vom
Interessentyp her ist er zu 82% Überzeuger.
Oha schau!
So viel wie du
redest, kannst eh jedem
was verkaufen. Die AK
Bildungsberatung ist eh auf
WhatsApp! Hajde, keine
Ausreden mehr, schreib
ihnen gleich!
Hab‘ ich dir
schon fünf Mal
gesagt
Fotos: Zoe Opratko
AK JOPSY APP und BILDUNGDSNAVI
Du willst jetzt sofort wissen, was in dir steckt? Go
for it! Die AK JOPSY App gibt‘s hier:
Du willst darüber reden? Das AK BILDUNGSNAVI hilft dir:
01 501 65 13801. Wir antworten binnen 24 Stunden.
Mo & Do 9–14 Uhr, Di & Mi 13–18 Uhr
bildungsnavi@akwien.at
Ja fix,
mach ich
gleich!
FREMD
IN DER
HEIMAT
„
Kann Mama
abgeschoben
werden?
“ Kani, 17
10 / POLITIKA /
Österreichs Gesetzeslage verweigert Tausenden
hier geborenen Menschen die Staatsbürgerschaft.
Die Abschiebungen der letzten Zeit lösen ein neues
Gefühl der Angst unter den Kindern der Diaspora
aus. Junge Menschen erzählen, wie es ist,
wenn man in der Heimat nie zu Hause ist.
Text: Anna Jandrisevits, Fotos: Zoe Opratko
Kann Mama abgeschoben werden?“, schreibt Kani
ihrer Schwester. Die 17-Jährige macht sich Sorgen.
Auf Instagram hat sie von den Abschiebungen in
Wien erfahren, sie hat Menschen gesehen, die mitten in der
Nacht ihr Zuhause verloren haben. Mit Schrecken hat sie die
Geschichte von den Kindern Tina, Lea, Sona und Ashot und
ihren Müttern verfolgt. Kanis Eltern sind Kurden aus dem Iran.
Sie selbst hat die österreichische Staatsbürgerschaft, ihre
Mutter jedoch nicht. Kann ihrer Mutter also dasselbe passieren?
Kanis Schwester beruhigt sie, sagt ihr, dass Mama
nichts geschehen wird. Es ist ein Gespräch, das viele mit
ihren Geschwistern, Kindern, Müttern und Vätern in Österreich
führen. Dass sie niemals „richtig“ dazugehören werden, fühlen
sie schon lang. Aber diese Angst ist neu: Könnten sie oder ihre
Liebsten einfach weggeschickt werden?
Um erst einmal zu beruhigen: Österreich schiebt niemanden
ab, der sich legal im Land aufhält.
Auch nicht Kanis Mutter, die eine
Aufenthaltsgenehmigung hat. Die
dramatischen Abschiebungen haben
allerdings gezeigt, dass „Illegalität“
moralisch dann absurd und grausam
wird, wenn Kinder sie erben. Unabhängig
davon, ob sie hier geboren
wurden, hier aufwuchsen, zur Schule
gehen und verwurzelt sind: Wie etwa im Fall der 12-jährigen
Tina. Die Frage, warum Kinder wie sie nicht längst ÖsterreicherInnen
werden konnten, drängt sich ebenso auf, wie die
generelle Frage: Warum wird man nicht per Geburt Österreicherin
und Österreicher? Denn es betrifft nicht nur Extremfälle
im Asylbereich, sondern alltäglich viele Migrantenkinder zweiter
und dritter Generation.
PROZESS VOLLER HÜRDEN
Mehr als 220.000 Menschen sind in diesem Land geboren,
haben aber keine österreichische Staatsbürgerschaft. Weitere
Tausende leben schon seit Jahrzehnten in Österreich und
stehen vor massiven Einbürgerungshürden. In fast keinem
anderen Land ist es so schwierig, die Staatsbürgerschaft zu
In fast keinem anderen
Land ist es so schwierig,
die Staatsbürgerschaft zu
bekommen, wie in Österreich.
bekommen, wie in Österreich. Laut einer Studie des „Migrant
Integration Policy Index“, die 52 Länder untersucht hat, ist
Österreich beim Zugang zur Einbürgerung gemeinsam mit
Bulgarien Schlusslicht in Europa. Europäische Spitzenreiter
bei der Einbürgerung sind Portugal und Schweden und selbst
in den USA sind dort geborene Menschen automatisch US-
Staatsbürger. Hierzulande schaut man stattdessen auf den
Pass der Eltern, es gilt das Abstammungsprinzip (Ius sanguinis),
und nicht das Geburtsrecht, das den Geburtsort berücksichtigt
(Ius soli). So haben selbst hier geborene Kinder erst
nach sechs Jahren Aufenthalt die Möglichkeit der Einbürgerung
und müssen denselben komplizierten und kostspieligen Prozess
durchlaufen, wie neu Zugezogene: Sie müssen bis zu 2000
Euro bezahlen, Deutsch- und Integrationsnachweise erbringen
und dürfen oft nicht einmal harmlose Verkehrsdelikte begangen
haben.
Diese österreichische Gesetzeslage
führt nicht nur zur Ungleichbehandlung,
sie nimmt Jugendlichen das
Gefühl von Zugehörigkeit. Im Extremfall
droht die Abschiebung, wie
Ende Jänner in Wien, als die Kinder
mitten in der Nacht mit einem riesigen
Polizeiaufgebot vor den Augen ihrer
protestierenden MitschülerInnen
abgeschoben wurden. Diese Geschehnisse sind keine Einzelfälle.
In Österreich stehen Hunderte Kinder und Jugendliche
vor ihrer Abschiebung. „Wer hat das Recht, sie einfach so
abzuschieben und ihnen das alles zu nehmen?“, fragt sich
Meri. Seit 18 Jahren ist Wien ihr Zuhause, wie Kani ist sie hier
geboren, aufgewachsen und geht zur Schule. Österreich ist
ihr Leben. Trotzdem hat Meri die mazedonische und nicht die
österreichische Staatsbürgerschaft, weil ihre Eltern sie zwar
beantragt aber nie bekommen haben. Wenn die Zeit kommt,
will sie unbedingt die Staatsbürgerschaft beantragen. „Das
wäre eigentlich nur die Bestätigung von dem, was ich eh schon
bin.“
Infolge der Abschiebungen in Wien hat die Menschenrechtsorganisation
SOS Mitmensch eine Initiative für die faire Einbürge-
/ POLITIKA / 11
„
Man kann sich nie sicher
sein, dass es einem nicht
selbst passiert.
“ Mirjana, 17
rung hier geborener Kinder gestartet, die dazugehörige Petition
wurde bereits mehr als 35.000 Mal unterzeichnet. Die Menschenrechtsorganisation
fordert, dass die Staatsbürgerschaft
mit der Geburt automatisch verliehen wird, wenn zumindest ein
Elternteil schon 6 Jahre in Österreich lebt – ähnlich wie es etwa
in Deutschland der Fall ist. Zudem fordert die Petition, dass in
Österreich geborene Kinder, deren Elternteil kürzer hier lebt,
im Alter von 6 Jahren eine bedingungslose und kostenfreie
Staatsbürgerschaft erhalten. Dadurch sollen auch Fälle von
abgeschobenen Minderjährigen verhindert werden. „Es geht
darum, dass Kinder, die hier zur Welt kommen, als Österreicher
und Österreicherinnen die gleichen Rechte, die gleiche Anerkennung
und den gleichen Schutz durch den Staat haben“,
sagt Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.
DER EWIGE KAMPF
Die Abschiebungen in Wien schockierten vor allem Jugendliche,
die sich mit den Betroffenen identifizieren können. Als
Mirjana von den Schicksalen der Kinder in der Zeitung las,
hatte sie trotz ihrer Aufenthaltsgenehmigung Angst, dass ihr
dasselbe drohen könnte. „Man kann sich nie sicher sein, dass
es einem nicht selbst passiert.“ Mirjana,
deren Eltern aus Serbien stammen,
ist in Wien geboren. Wie die
17-Jährige kommen jedes Jahr etwa
14.000 Menschen in Österreich zur
Welt, die keine österreichische Staatsbürgerschaft
erhalten und dadurch
weniger Rechte haben, so Pollak von
SOS-Mitmensch: „Das Thema wird
Viele junge Menschen passen
ihr Verhalten an die fehlende
Staatsbürgerschaft oder den
Migrationshintergrund an.
von Jahr zu Jahr dringlicher.“ Auch Aylin, Mirjanas Mitschülerin,
spürt plötzlich ein neues Gefühl der Angst, seit sie von den
Abschiebungen weiß. Ihre Eltern kommen ursprünglich aus der
Türkei und Versuche, die österreichische Staatsbürgerschaft
zu beantragen, scheiterten. Auch ihre Familie hat eine Aufenthaltsgenehmigung,
obwohl sie schon lange in Wien lebt. „Ich
werde oft von Verwandten gefragt, wieso ich die Staatsbürgerschaft
nicht habe, und ich kann es nicht ordentlich erklären“,
erzählt Aylin. „In solchen Momenten fühle ich mich, als
wäre ich nicht ein Teil von diesem Land. Es ist zwar nur Papier,
aber trotzdem.“ Aylin lebt seit 17 Jahren in Wien, sie ist hier
geboren und aufgewachsen. Als sie neben der Schule im Einzelhandel
tätig werden wollte, musste sie eine Arbeitserlaubnis
nachweisen.
Es ist nur Papier, aber es beeinflusst das gesamte Leben.
Nicht nur bürokratische Angelegenheiten sind komplizierter,
auch das Wohlbefinden und der soziale Umgang der Kinder
wird beeinträchtigt. Viele junge Menschen passen ihr Verhalten
an die fehlende Staatsbürgerschaft an. Manchmal hat
Mirjana den Eindruck, dass sie sich nicht schlecht benehmen
darf. Seit sie klein ist, hat sie das Gefühl, dass sie sich von
ihrer besten Seite zeigen muss. „Ich
darf nichts falsch machen, weil ich
Migrationshintergrund habe. Sonst
denkt man vielleicht schlecht von
mir oder hat Vorurteile.“ Auch Kani
fühlt sich in bestimmten Situationen
unter Druck gesetzt. „Wenn jemand
in der Schule mit mir diskutiert und
mich provozieren will, halte ich mich
12 / POLITIKA /
zurück, obwohl ich mir das eigentlich nicht gefallen lassen
möchte.“ Schon mehrmals war die 17-Jährige kurz davor,
mit der Schule aufzuhören. Während sich bei anderen
SchülerInnen mit schlechten Noten nichts ändert, werden
jenen mit Migrationshintergrund, wie Kani, oft Alternativen
zur Matura aufgezeigt. „Es sind immer nur wir bei der
Vertrauenslehrerin. Es sind wir, die schlimm sind und wir,
die angeschrien werden. Es ist dieser ewige Kampf, den
ich eigentlich langsam leid werde.“ Und dabei hat Kani die
österreichische Staatsbürgerschaft. Gleichwertig zugehörig
fühlt sie sich dennoch nicht.
EIN TEIL VON ÖSTERREICH
Bei Mirjana spielte die Staatsbürgerschaft letztes Jahr zum
ersten Mal keine Rolle. In ihrer Schule fand eine „Pass-
Egal-Wahl“ statt, das Klassenzimmer wurde zum Wahllokal.
Mit echten Wahlkabinen, ausgewerteten Stimmen und
Staatsbürgerschaften aus der ganzen Welt. Alle, die bei
der richtigen Wahl nicht wählen konnten, durften teilnehmen.
Viele SchülerInnen wählten zum ersten Mal in ihrem
Leben. Während andere in ihrem Alter schon an richtigen
Wahlen teilnehmen konnten, durfte Mirjana erstmalig ihre
Stimme abgeben. „Die Stimmen haben nicht gezählt, aber
trotzdem. Es war sehr schön.“ Auch Meri nahm an der
„Pass-Egal-Wahl“ teil und beschreibt eine unvergleichbare
Freude. „Obwohl es eine ungültige Wahl war, war es einfach
dieses schöne Gefühl. Und ich würde dieses Gefühl
gerne im echten Leben spüren. Ich wäre gerne ein Teil
dieser Demokratie.“
Ginge es nach der Gesetzeslage in anderen Ländern
könnten Aylin, Mirjana und Meri schon Staatsbürgerinnen
sein. Sie könnten problemlos wählen gehen, und arbeiten,
ohne um Erlaubnis bitten zu müssen – und sie müssten
nie ängstlich daran zweifeln müssen, dass dieses Land
für immer ihr Zuhause sein kann. Es sind nicht die jungen
Menschen selbst, die sich hier nicht zu Hause fühlen, es
sind andere Menschen, die ihr Heimatgefühl unterwandern
und ihnen große Unsicherheit über die eigene Zukunft aufbürden.
Es ist die Politik, die ihnen bürokratische Hürden
in den Weg legt, und ein Teil der Gesellschaft, der sie im
Glauben lässt, sie wären nicht „österreichisch genug“ für
den Pass. Ein Argument, das man im Zusammenhang mit
der Staatsbürgerschaft oft hört, ist, das Vorhandensein
einer guten Integration. Wer gut integriert sei, habe die
österreichische Staatsbürgerschaft verdient, so heißt es.
Dadurch haben Kinder das ständige Gefühl, sich beweisen
zu müssen, um in diesem Land wertgeschätzt zu
werden. „Wir müssen ihnen zeigen, dass wir uns hier zu
Hause fühlen und dass sie uns dieses Gefühl nicht einfach
nehmen können.“, sagt Meri. Dabei sollten sich Kinder in
ihrem Zuhause nicht behaupten müssen. Es sollte keine
Rolle spielen, ob Tina, Lea, Sona und Ashot gut Deutsch
sprechen oder ihre Eltern berufstätig sind. Sie verbringen
ihr Leben in diesem Land, sie gehen hier zur Schule, sie
haben hier ihre Freunde. Österreich ist ihre Heimat, so wie
es die Heimat von Kani, Meri, Aylin und Mirjana ist. Das
sollte Beweis genug sein. ●
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Clemens Nitsch
T. +43 (0)1 878 28 1216
E. clemens.nitsch@buwog.com
www.liwi.buwog.com
Frau Maurer,
wie korrupt ist
Österreichs
Politik?
Wie viele
Machos gibt
es im österreichischen
Parlament?
Wie viele
Machos kennen
sie bei den
Grünen?
Wie oft haben
Sie sich in
den letzten
Wochen für Ihr
Bundesland
Tirol geschämt?
Interview in Zahlen:
In der Politik wird genug geredet.
Biber fragt in Worten, die
Klubobfrau der Grünen, Sigrid
Maurer, antwortet mit einer Zahl.
27
8
1
Von Amar Rajković, Fotos: Eugénie Sophie
4 Mal war Sigrid Maurer in Ihrem Leben verliebt.
Mit 6 türkisen KollegInnen würde Maurer auch in Ihrer Freizeit
einen Spritzer trinken.
Wie viele
Kinder aus
griechischen
Flüchtlingslagern
sollte
Österreich
aufnehmen?
Wie viele
sexistische
Nachrichten
haben Sie in
der letzten
Woche
bekommen?
Wie oft
haben Sie Ihr
Mittelfinger-
Schampus-
Foto bereut?
Wie oft haben
Sie Schadenersatz
von der
Kronen Zeitung
gefordert?
Wie oft waren
Sie in Ihrem
Leben verliebt?
100
100
3
2
4
14 / POLITIKA /
Bis zu welchem
Jahr wird die
Koalition mit
Türkis halten?
Mit wie vielen
Türkisen
würden Sie in
Ihrer Freizeit
einen Spritzer
trinken?
Wenn heute
Wahlen wären,
wie viele
Prozent würden
die Grünen
bekommen?
Wie hoch ist die
Wahrscheinlichkeit
in Prozent,
dass Gernot
Blümel vor Ende
der Legislaturperiode
gehen muss?
Wie korrupt
ist Österreichs
Politik?
(1=gar nicht;
10=sehr)
2024
6
13
2
2
Nur 1 Mal in der letzten Woche hat sich die gebürtige Tirolerin
über die COVID-Politik von Platter & Co geschämt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Gernot Blümel vor dem Ende der
Koalition gehen muss, betitelt die Grüne Klubobfrau mit 2%.
Wie alt wollen
Sie mindestens
werden?
Vor wie vielen
Monaten
sind Sie das
letzte Mal als
Sängerin vor
einem Publikum
aufgetreten?
Wie viele
Menschen
kennen Sie, die
an den Folgen
von COVID-19
verstorben
sind?
Wie groß (in
Quadratmetern)
ist Ihre
Wohnung?
Wie viele
Bekannte
wollen seit dem
Zustandekommen
der Türkis-
Grünen-Regierung
mit Ihnen streiten?
77
2
0
50
5
/ POLITIKA / 15
ZEMIRA, DIE
BOSNISCHE
UTE BOCK:
„ICH HABE KEINE
ANGST VOR DER
POLIZEI, NUR
VOR ALLAH“
Frauen, die hierzulande meist als unterdrückte Hinterwäldlerinnen abgestempelt werden, zeigen
in der bosnisch/kroatischen Grenzregion wie Zivilcourage geht. Sie unterstützen geflüchtete
Menschen, während die europäische Hilfe nur stockend bis gar nicht ankommt. Der
Gründer der „SOS Balkanroute“, Petar Rosandić, über Heldinnen im Kopftuch.
© Ben Owen-Browne
16 / POLITIKA /
In solchen Objekten leben Flüchtlinge in Bosnien: Das
nie in Betrieb gegangene Pensionistenheim in Bihać
Die Fabrikshallen des einstigen jugoslawischen
Landwirtschaftsimperiums „Agrokomerc“
Es riecht nach Abfall und
Fäkalien als wir das unfertige
Gebäude des nie in Betrieb
gegangenen und heute
leerstehenden Pensionistenheims in
der nordwestbosnischen Stadt Bihać
betreten. Gelegen am wunderschönen
Fluss Una hätten nach den Plänen von
Titos jugoslawischen Kommunisten hier
Menschen leben sollen, die auf eine
Pflege und Versorgung rund um die
Uhr angewiesen sind. Doch als Anfang
der neunziger Jahre der Krieg in Bosnien
ausbrach, zogen die Bauarbeiter
endgültig ab und das Heim wurde nie
fertiggestellt.
Drei Jahrzehnte später wirkt das
leerstehende, graue Gebäude wie der
Schauplatz eines Ostblock-Horrorfilms.
„As-Salamu Alleykum, wie gehts dir,
mein Sohn?“, sagt unsere Begleiterin
Zemira zu einem der ungefähr hundert
Geflüchteten, die seit der Schließung
der Balkanroute in den labyrinthartigen
Räumen zumindest ein Dach über dem
Kopf gefunden haben. Die Menschen, die
hier in unmöglichen Bedingungen - ohne
Strom, Wasser und Nahrungsversorgung
- leben, freuen sich sichtlich über den
Besuch von Zemira.
HÜHNERSUPPE AUS DEM
VW POLO
Viele der dort lebenden Burschen sprechen
sie auch mit „Mama“ an. „Nein, es
sind nicht meine Kinder, aber es sind die
Kinder von jemandem, der sich Sorgen
um diese macht. Heute schreibe ich auf,
wer alles Hosen, Socken und Schuhe
braucht. Morgen kommen wir dann
wieder. Ich werde vorher kochen und
eine Hühnersuppe für die Jungs machen.
Kannst du das Feuerholz besorgen,
Pero?“, weiht mich die Frau, die wir seit
fast zwei Jahren als SOS Balkanroute
regelmäßig mit humanitären Transporten
und Geldspenden versorgen, in ihre
Pläne für die nächsten Tage ein. Als wir
einen Tag später aus dem Kofferraum
ihres polizeibekannten, hellblauen VW
Polos Hühnersuppe, Feuerholz und
Kleidung verteilen, strahlen nicht nur für
einen kurzen Moment die sonst so hoffnungslosen
Gesichter der Geflüchteten,
sondern auch das von Zemira.
Die dunklen Räume, in denen einige
Gruppen von Geflüchteten Feuer machen
und sich so zumindest wärmen können,
passen zur völlig aussichtslosen
Lage dieser Menschen. Viele von ihnen
stecken seit Jahren bereits in Bosnien
fest und sie versuchen - allen Rückschlägen
zum Trotz - immer und immer
wieder, über die Grenze nach Kroatien
zu gelangen. Die Rede ist von „The
Game“, dem Spiel die kroatische Grenze
zu übertreten, ohne dabei von Polizisten
grün und blau geschlagen und anschließend
- ohne die Möglichkeit, überhaupt
einen Asylantrag zu stellen - nach
Bosnien zurückgeschoben zu werden.
Die Berichte, Beweise und Dokumen-
© Hasan Ulukisa, Ben Owen-Browne
Für immer mehr Familien wird die EU-Außengrenze
zum Teufelskreis: Sie können weder rein, noch zurück.
Helferinnen Alma (ganz rechts) und Zehida (ganz links)
/ POLITIKA / 17
Zwei Schwestern, eine Mission: Amina und
Merdija versorgen die Flüchtlinge
Auch für Dženeta ist es selbstverständlich, zu helfen.
tationen über die brutale Gewalt der
EU-GrenzschützerInnen haben wir
Justizministerin Alma Zadić bereits im
Juni 2020 persönlich übergeben, ebenso
wie den Menschenrechtssprechern aller
Parteien im österreichischen Nationalrat,
nur nicht dem der FPÖ. Doch bis auf
den Antrag und die Initiative von Nurten
Yilmaz (SPÖ), abgelehnt von Türkis-Grün,
ist wenig passiert und nichts hat sich für
die Menschen, die wir täglich in Bosnien
versorgen, geändert.
DIE SUCHE NACH
DER MILLION
Seit zwei Jahren sind wir Zeugen, dass
in Bosnien-Herzegowina die Hilfe für
die ungefähr 10.000 Geflüchteten vor
allem von Einzelpersonen wie Zemira und
kleinen, zivilgesellschaftlichen Initiativen
abhängt. Ob es sich um Helferin
Anela in Bihać, die jungen Schwestern
und Studentinnen Amina und Merdija in
Zenica oder die Volksschullehrerin Alma
in Velika Kladuša handelt: Es sind vor
allem die Frauen, die in der bosnischen
Gesellschaft und in der seit drei Jahren
andauernden Flüchtlingskrise auf der
Balkanroute die Verantwortung übernommen
haben. Von der einen Million
Euro Soforthilfe der österreichischen
Regierung ist hingegen nichts zu bemerken.
Auch die grüne Abgeordnete Ewa
Ernst-Dziedzic, die mit uns vor Kurzem
in Bosnien war, versuchte in Gesprächen
mit LokalpolitikerInnen erfolglos, die
Spuren des von Österreich propagierten
Konzepts der „Hilfe vor Ort“ zu identifizieren.
Genauso erfolglos übrigens wie
die Suche nach den von Karl Nehammer
versprochenen Spenden für die Flüchtlinge
in den Lagern auf dem griechischen
Lesbos.
Wer vor Ort hingegen jeden Tag in
Aktion zu finden ist, ist die junge Anwältin
Dženeta Delić Sadiković in Tuzla. Als
in ihrer Stadt vor zwei Jahren rund um
den Busbahnhof Menschen begannen
ihre Zelte aufzuschlagen, war sie zur
Stelle und ist es bis heute auch geblieben.
Mittlerweile hat sie die Anwaltskanzlei
verlassen und betreut täglich
von 9 bis 18 Uhr Geflüchtete, die ins von
uns finanzierte Tageszentrum kommen.
„Ich bin froh, dass wir den Menschen
wenigstens 9 Stunden pro Tag einen
warmen Raum anbieten können“, sagt
Dženeta stolz. Dank Powerfrauen wie
ihr und ihrer Kollegin Mirela haben die
Menschen im bosnischen Dschungel der
Hoffnungslosigkeit - auf der geschlossenen
Balkanroute - wenigstens die Gelegenheit,
für ein paar Stunden täglich eine
gewisse „Normalität“ zu leben. Als wir
sie besuchen, schneiden sich die Jungs
gegenseitig die Haare, kochen Kaffee
oder spielen gemeinsam Schach.
Wie viel Einzelpersonen auch in so
einer großen Krise bewegen können,
zeigt zudem das Beispiel der Schwestern
Amina und Merdija in Zenica.
„Wir können gar nicht anders. Unsere
Im Dorf Bojna nahe der kroatischen Grenze
leben zahlreiche Kinder auf der Straße.
Das Horrorcamp Vučjak wurde als „Lager
auf der Müllhalde“ bekannt
© Hasan Ulukisa, Ben Owen-Browne
18 / POLITIKA /
Sanela war selbst mal Flüchtlingskind in der Schweiz.
Heute hilft sie anderen Geflüchteten.
Volksschullehrerin Alma hilft Menschen
am Grenzgebiet zu Kroatien.
Eltern haben uns dazu erzogen, dass
wir Menschen, die in Not sind, helfen.
Dabei ist es egal, woher diese Menschen
kommen“, sagt Amina, die mit ihrer
Schwester Merdija täglich Gruppen von
100 bis 200 Menschen in der bosnischen
Stahlstadt Zenica versorgt.
Die Mädels zeigen uns Zeichnungen
von einem Geflüchteten, der - wie
sie uns erzählen - „von vielen gemobbt
wurde“. „Jetzt hat er schon einige Zeichnungen
verkauft, weil sie den Leuten so
gut gefallen. Das hat sein Selbstbewusstsein
wieder auf Vordermann gebracht“,
sagt Merdija, die gemeinsam mit ihrer
Schwester und ihrem Vater, einem islamischen
Religionslehrer, täglich Essen
und Sachspenden in die Abbruchhäuser
bringt.
„ANGST VOR ALLAH, ABER
NICHT VOR DEN BULLEN“
„Letztens haben wir einen Jungen zur
Fremdenpolizei begleitet und wollten
einen Asylantrag mit ihm stellen. Der
Beamte hat uns schimpfend rausgeschickt
mit der Aussage, die ‚Migranten‘
seien alles Kriminelle“, erzählt uns Amina
enttäuscht. Doch so wie viele bosnische
Frauen entlang der Balkanroute kennt
auch sie kein Aufgeben. „Jetzt schauen
wir nach Sarajevo mit ihm. Dort sollen
die Beamten freundlicher sein“, so
Amina.
Dabei haben Amina, Zemira, Alma,
Sanela, Anela, Mirela oder Dženeta in
ihrer humanen Mission oft Probleme mit
der Polizei gehabt. Insbesondere im Una-
Sana-Kanton sind die Bedingungen für
Flüchtlingshilfe schwierig und die Hilfe
von Einzelpersonen ist auch offiziell verboten.
„Ich wurde schon so oft zur Polizeistation
geladen, kontrolliert, bestraft…
Aber in Wirklichkeit habe ich keine Angst
vor der Polizei, nur vor Allah“, erklärt uns
die bosnische Ute Bock Zemira.
In einer Zeit, in der Europa sich stufenweise
von seinen eigens festgelegten
Menschenrechtskonventionen verabschiedet
und die kroatische EU-Außengrenze
mit Bosnien immer mehr zum
Moria vor der Haustür wird, ist auf diese
Frauen - im Gegensatz zur Politik - auch
Verlass. Dass es sich dabei oft um Frauen
mit Kopftuch handelt, kann ein Zufall
sein oder auch nicht. Im Grunde spielt
das auch keine Rolle. Tatsache jedoch
ist: Genau jene Frauen, die von Europas
Rechtspopulisten aufgrund dieses religiösen
Symbols als „radikale Hinterwäldler“
abgestempelt werden, sind die letzten
Botinnen der Menschlichkeit entlang der
EU-Außengrenze.
Der tägliche Einsatz dieser Frauen ist
die wahrhaftige und gelebte Solidarität,
stärker als jeder Reisepass, jede Grenze,
jede Hautfarbe und jedes rechtspopulistische
Hetzplakat der Welt. ●
© Hasan Ulukisa, Ben Owen-Browne
Warten auf bessere Zeiten: Die
Zustände sind unzumutbar
HelferInnen vermerken in Listen, wer
Schuhe oder Kleidung braucht.
/ POLITIKA / 19
BIBER MACHT DEUTSCHLAND SCHARF!
Stipendiat*innen der biber-Akademie haben ab 2021 die
Chance, ihr Folgepraktikum bei jetzt in München zu machen –
dem jungen Onlinemagazin der Süddeutschen Zeitung.
Während Tirol und Bayern hart an
der Grenze sind, gehen Wien
und München eine Fernbeziehung ein.
Die biber-Akademie kooperiert von nun
an mit jetzt, dem jungen Onlinemagazin
der Süddeutschen Zeitung. Biber bringt
Nachwuchsjournalist*innen mit scharf
nach Deutschland und darauf sind wir
mächtig stolz.
Exzellente Stipendiaten aus der
biber-Akademie können seit 2021 ihr
Folgepraktikum in der Redaktion von
jetzt machen. Ein Anreiz, eine Chance
und vor allem eine Auszeichnung für
die Leistungen der biber-Akademie im
letzten Jahrzehnt. Seit 2011 macht die
biber-Akademie mit ihren Absolventinnen
und Absolventen die österreichische
Medienlandschaft diverser. Ziel war und
ist es, Jungjournalist*innen mit Migrationshintergrund
zu rekrutieren, die sonst
den Schritt in den Journalismus nicht
wagen würden, deren Perspektive aber
in den Redaktionen oft gänzlich fehlt: Sie
haben Gastarbeitereltern, Fluchterfahrung
und sie wissen, was es heißt, Rassismus
und Diskriminierung am eigenen
Leib zu erfahren – gleichzeitig sind sie
mehrsprachig, kennen kulturelle Codes
und haben Zugang zu völlig anderen
Geschichten. Die biber-Akademie versteht
sich als Talentepool und legt ihren
Stipendiat*innen durch Folgepraktika
in bewährten Redaktionen ein Sprungbrett.
Mit Erfolg: Ob im Boulevard oder in
Qualitätsmedien, biber-Stipendiat*innen
haben inzwischen Festanstellungen quer
durch die Medienwelt und machen sich
dort einen Namen.
„Die Kooperation mit jetzt freut uns
außerordentlich – nicht nur aufgrund der
langjährigen redaktionellen Partnerschaft
mit jetzt. Das Interesse aus Deutschland
zeigt, dass Diversität auch international
in den Redaktionen noch längst keine
Selbstverständlichkeit ist und es mehr als
Versprechen bedarf, diese zu erreichen.
Es braucht Expertise und Know-How.
Dass wir Stipendiat*innen nun ein Folgepraktikum
bei einem deutschen Jung-
Medium dieses Kalibers ermöglichen
können, ist eine schöne Errungenschaft“,
so Delna Antia-Tatic, Chefredakteurin
von biber.
„Das Biber ist nicht nur bekannt für
guten und vielfältigen Journalismus,
sondern auch für seine ausgezeichnete
Nachwuchsarbeit. Die Journalist*innen,
die bei Biber arbeiten, bringen spannende
Perspektiven mit, sie schreiben
Geschichten, die nah am Leben sind
und Menschen repräsentieren, die
von anderen Medien zu oft übersehen
werden. Nachdem wir inhaltlich schon
seit 2016 mit dem Magazin kooperieren,
freuen wir uns deshalb in Zukunft Biber-
Praktikant*innen auch bei uns ausbilden
zu dürfen“, so Patrick Wehner, Initiator
der Kooperation und Chef vom Dienst bei
jetzt.
Du hast Interesse an der biber-Akademie
oder möchtest dich bewerben? Dann
informiere dich auf www.dasbiber.at/
akademie und/oder schicke deine aussagekräftige
Bewerbung an Amar Rajković
rajkovic@dasbiber.at
© Andrea Zapanta Scharf
20 / MIT SCHARF /
WIR SORGEN
FÜR EINEN
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Einfach QR-Code scannen und sich auf unserem
Jobportal guterjob.at bewerben.
IHRE SORGEN MÖCHTEN WIR HABEN
Alle Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt.
Auf den Bildern handelt es sich nicht um die
ProtagonistInnen aus dem Artikel. Herzlichen
Dank an das Grand Hotel Wien, das uns eine
wunderschöne Suite für das Fotoshooting zur
Verfügung gestellt hat.
22 / POLITIKA /
KOMM INS PALAIS,
WIR MÜSSEN
REDEN
Sisi, Krönchen und Schlösser: Die Monarchie in Österreich ist vor über
hundert Jahren gefallen. Trotzdem gibt es noch adelige Familien, die
den Status von damals aufrechterhalten wollen. Dabei ist der Glamour
nach außen nicht alles – wie sieht das Leben des sagenumworbenen
Blauen Bluts im Jahre 2021 von innen aus? Drei junge Adelige über ein
Geburtsrecht, das man nur schwer ablegen kann.
Text: Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko
Das ist ein Birth-Code: Wie
du isst, wie du das Besteck
hältst, wie du die Hand
reichst, wie du jemanden
ansprichst. Etikette wurde uns immer
eingetrichtert. Ordentlich kleiden, nicht
zu viel Schmuck tragen. Das war meiner
Großmutter sehr wichtig, die war noch
von der ganz alten Schule. Ohrringe habe
ich mir heimlich stechen lassen“, erzählt
die 29-Jährige Mia. Kaiserin Sisi von
Österreich war Mias Ur-Ur-Ur-Ur-Großmutter,
in der direkten Linie väterlicherseits.
Wenn es heute noch die Monarchie
gäbe, würde Mias voller Name „Mia, Prinzessin
zu Windisch-Graetz“ lauten.
„An Weihnachten bei meiner
Groß mutter in Wien hatten wir immer
Köche, Angestellte und Kellner. Das war
normal.“ Genau wie antike Möbel und
Gemälde zuhause, damit ist Mia aufgewachsen.
„Die Weihnachtsfeste an sich
waren sehr schön, aber sie waren eben
nie intim. Meine Großmutter hat sich
auch nie selbst die Haare gewaschen
oder gekocht. Sie ist leider vor einigen
Jahren verstorben. Sie war eine tolle
Frau, ich hatte eine starke Bindung zu
ihr.“ Mias Großmutter hat es geliebt,
Tees und Feiern zu veranstalten – die
ganz großen dann auf einem Schloss.
„Aber sie war eben noch sehr traditionell.“
Mias Eltern sehen all das schon
wesentlich lockerer. Und Mia sowieso.
„Meine Tante hat heute noch jemanden,
der ihr die Haare wäscht. So ein dekadentes
Leben in der heutigen Zeit zu führen,
lehne ich ab. Das ist erstens nicht
zeitgemäß, zweitens zeugt das davon,
dass man nie unabhängig sein kann“, so
die 29-Jährige. Sie verwendet heute den
bürgerlichen Nachnamen ihrer Mutter.
Sie hat ihren eigentlichen Namen immer
gehasst, erzählt sie. „Wenn ich Briefe
bekomme, die an „Mia, Prinzessin zu
Windisch-Graetz“ adressiert sind, muss
ich einfach nur lachen.“ Mia hat sich
heute stark von diesen Kreisen distanziert
– auch wenn ihre Herkunft immer
Teil ihrer Identität sein wird.
MEHR SCHEIN
ALS SEIN
Die kaiserlich und königliche Monarchie
(k. u. k.) in Österreich ist 1918 gefallen.
Seit dem Adelsaufhebungsgesetz 1919
sind über hundert Jahre vergangen. Das
„von“ im Nachnamen darf man seitdem
in Österreich nicht mehr führen. Schätzungsweise
würden 1,4 Prozent der
österreichischen Bevölkerung heute zum
Hochadel gehören. Ein kleiner Kreis also
– und einer, der sich für Außenstehende
nur schwer öffnet. Trotzdem oder genau
deshalb bringt die sagenumwobene
Aristokratie noch immer eine gewisse
Faszination mit sich – sie trägt hierzulande
eine lange Tradition. Allerdings liest
man, wenn überhaupt, dann nur in der
Klatschpresse oder in Historienromanen
darüber: Wie steht es wirklich um den
jungen Adel in Österreich? Wie leben
junge Adelige? Ist alles Glitzer und Glamour?
Und vor allem: Was spielt sich in
diesen geschlossenen Kreisen ab, in die
man schwer hineinkommt?
Mia klärt auf: „Es ist mehr Schein
als Sein. Diese ganzen Schlösser und
Angestellten, das hört sich ja irgendwann
auch auf. Aber es ist schwierig,
einen Lebensstandard, den Adelige
früher hatten, aufrechtzuerhalten. Und
das erfordert heute mehr als nur einen
Namen.“ Es herrscht die Annahme, dass
alle Adeligen nach wie vor sehr reich
sind. „Ja, man hat vielleicht Familienschmuck,
den andere nicht haben, aber
es ist ganz bestimmt nicht mehr so, wie
damals.“ Vorab: Den „Typus Adeliger“
gibt es nicht. Vor allem heutzutage hält
/ POLITIKA / 23
sich nicht mehr jeder und jede an die
vorgegebenen Regeln. Wie überall gibt
es die, die Klischees bedienen, und die,
die den Zuschreibungen ganz und gar
nicht entsprechen. Und jene, die all dies
kritisch hinterfragen.
Wie Anna * , die aus einem anderen
österreichischen Adelsgeschlecht
stammt. Anna ist heute in der Kreativbranche
tätig. Sie möchte anonym
bleiben. Soviel muss reichen: Ihre Eltern
wären, wenn es die Monarchie noch
gäbe, beide Graf und Gräfin. Der Adel
in Österreich ist eng vernetzt, also ist
Vorsicht geboten, wenn man aus dem
Nähkästchen der eigenen Familie plaudert.
Soviel muss reichen: Ihre Eltern
sind beide Graf und Gräfin. „Dieser Kreis
will etwas aufrechterhalten, das einfach
nicht mehr existiert. Richtig viele Familien
können sich das aber einfach nicht
mehr leisten, die ganzen Schlösser zum
Beispiel, von denen sie sich aber nicht
trennen können. Es ist ein riesiges Privileg,
so aufzuwachsen. Aber es ist Fluch
und Segen zugleich“, so die 31-Jährige.
Besitztümer und Materielles sind eine
Sache. Aber was beide Frauen wirklich
beschäftigt, sind die Werte, die ihnen
von klein auf beigebracht wurden.
„MAHLZEIT“ SAGT
MAN NICHT
Etikette sei wichtig, besonders Manieren
„Dieser Kreis
will etwas aufrechterhalten,
das so nicht
mehr existiert.“
beim Essen. Bei Tisch gerade sitzen, die
Gabel speziell halten, und die Serviette
auf den Schoß legen. „Wer diese Etikette
nicht beherrscht, wird bei uns schief
angeschaut.“ Adelige erkennen Adelige
– da sind sich Anna und Mia einig. Vor
allem an ihren Tischmanieren.“
„Wir essen nicht wie Bauern“, hieß es
immer in Annas Familie. „Guten Appetit“
oder „Mahlzeit“ sage man nicht vor dem
Essen. Niemals. Das kommt laut Mia
daher, dass in gediegenen Kreisen Essen
nichts Besonderes sein durfte. „Mahlzeit“
war etwas für die Armen, die sich über
Essen am Tisch gefreut hatten. „Das war
bei uns ein totales No-Go.“ Mia erinnert
sich, als sie eines Tages ihren damaligen
Freund zu einem Essen bei ihrer
Großmutter mitgenommen hatte. Er war
Musiker aus Berlin und die Adels-Etikette
war ihm fremd. Als das Essen serviert
wurde, hatte er allen „Guten Appetit“
gewünscht und damit die Runde in Verlegenheit
gebracht. Mia und Anna haben
sich beide schon dabei erwischt, wie sie
bei vergangenen Partnern darauf geachtet
haben, ob diese auch Tischetikette
beherrschen. „Ob er gerade sitzt, ob er
„richtig“ isst“, erzählt Mia. Heute hat sich
diese Denkweise bei ihr stark geändert.
“Das war so bescheuert von mir. Aber
es war einfach so tief in mir verankert.“
Es hat auch bei Anna Jahre gedauert,
bis sie es geschafft hat, die Denkmuster
aus ihrer Kindheit aufzubrechen. Vieles
werde so gelebt, weil "man das eben
so macht": Die Etikette, der sonntägliche
Gang in die Messe, die Exklusivität.
Irgendwann hat Anna begonnen, all dies
stark zu hinterfragen. „Ich musste mich
quasi selbst neu erziehen, damit ich mich
für die Welt öffnen kann.“ Heute erzählt
Anna reflektiert und offen über ihre Vergangenheit.
Ihre Kindheit hat sie trotz all
der Regeln aber gut in Erinnerung.
Auch der 26-Jährige Medizinstudent
Friedrich*, dessen Mutter aus einem
österreichischen Ritterstand stammt, und
dessen Vater aus Deutschland kommt,
hat eine strenge Erziehung genossen,
wie er selbst sagt. „Vor allem was die
Tischkultur angeht. Vernünftig und höflich
benehmen – das heißt: leise sein und
sich den Gepflogenheiten anpassen, das
wurde uns immer eingebläut.“ Friedrichs
Eltern war es immer sehr wichtig, dass
ihre Kinder „etwas vorzeigen können“:
Wie Klavierspielen oder gute sportliche
Leistungen. „Da waren meine Eltern
sehr bedacht darauf.“ Nach Außen eben.
Innerhalb der Familie war das anders:
„Meine Familie ist sehr distanziert. Es
wird wenig mit Emotionen umgegangen.
Ich habe so gut wie nie gesehen, dass
meine Eltern sich küssen oder körperliche
Nähe zeigen.“
„AM LIEBSTEN WÄRE
IHR JA PRINZ HARRY
GEWESEN.“
Friedrich lässt das „von“ bei seinem
Nachnamen gerne aus - vor allem auf
seinem Namensschild im Krankenhaus,
in dem er gerade arbeitet. Er dürfte es
offiziell noch angeben, da er halb Deutscher
ist. In Deutschland ist das „von“
nicht abgeschafft, aber Friedrich lebt in
Österreich. „Dann fragt mich niemand
über meine Familie aus. Das würdest
du ja andere Leute auch nicht fragen.“
Mia und Anna hängen ihre Herkunft
auch nicht an die große Glocke. Es sei
irgendwo ein Stigma, von dem man
nicht loskommt: Ob Bemerkungen im
Geschichtsunterricht, Mobbing durch
MitschülerInnen und die Tatsache, dass
jeder alles über deine Familiengeschichte
nachlesen kann – auch durchaus negative
Vorfälle. Das Gefühl, sich rechtfertigen
zu müssen, sei sehr präsent.
„Ich habe lange gedacht, dass ich
24 / POLITIKA /
„Es ist ein riesiges Privileg, so aufzuwachsen. Aber es ist Fluch und Segen zugleich.“
benachteiligt werde. In der Schule, bei
zwischenmenschlichen Situationen. Aber
ich bin natürlich krass privilegiert bei den
Dingen, auf die es wirklich ankommt.
Wie beispielsweise in der Arbeitswelt“,
resümiert Anna.
Nach außen hin wolle man sich
bedeckt halten. „Untereinander“ sei das
aber anders: „Du wirst mehr akzeptiert,
wenn du aus „gutem Hause“ bist,
vor allem von den älteren Leuten“, so
Mia. Man wolle unter sich bleiben. „Der
Kreis öffnet sich für Außenstehende
sehr schwer“, so Friedrich. Und dieser
Kreis ist hier in Österreich klein. „Ab der
dritten Feier, auf der du warst, weißt
du schon genau, wer wer ist.“ Das wird
von den älteren Generationen auch so
propagiert: Cocktailpartys und Feste, auf
denen die Sprösslinge aus Adelsfamilien
zusammengewürfelt werden. Anna*
konnte damit nie richtig etwas anfangen:
„In diesen Kreisen sind ganz basale patriarchale
Strukturen so präsent. Vor allem
beim Dating – Slutshaming sei gang und
gäbe. „Das habe ich selbst erlebt und
von einigen Frauen gehört. Dieses „Der
Mann ist der Held, und die Frau wird
verurteilt“ werde ganz stark gelebt. Nach
außen hin zählt aber der Schein.
Mias Großmutter war erpicht darauf,
dass ihre Enkelinnen einen adeligen
Partner finden. „Am liebsten wäre ihr
ja Prinz Harry gewesen“, lacht Mia.
„Sie war eben noch von der ganz alten
Schule. Ich selbst habe mich immer
dagegen gesträubt, jemand mit adeligem
Hintergrund zu daten.“ Den Prototyp des
adeligen jungen Mannes, der rote Hosen
und ein Jägersakko trägt und Familienwappen
vergleicht, lehnt Mia entschieden
ab. Obwohl sie genug davon kennt.
„Ich wollte immer das Gegenteil: Ich
fühlte mich immer zu Rebellen hingezogen“
Da Mias Vater auch schon gegen
diese Limitationen rebelliert hat, wurde
es nach und nach akzeptiert. Weder
Mias, noch Annas, noch Friedrichs Eltern
haben sie dazu gedrängt, „standeswürdige“
Partnerschaften zu schließen. Alle
drei haben ein gutes Verhältnis zu ihrer
engen Familie. Im erweiterten Kreis sieht
das allerdings schon problematischer
aus.
BLACKFACE, SEXISMUS
UND CHAMPAGNER
Im September 2015 war Anna auf einer
Aristo-Hochzeit eingeladen. „Der Empfang
war in einem Park aufgebaut: Und
dann haben wir erfahren, dass genau
da, wo wir jetzt unter dem weißen Zelt
mit unserem Champagner und Kanapees
stehen, in der Nacht zuvor Flüchtlinge
übernachtet haben. Da habe ich wirklich
gemerkt, dass unsere Welt realitätsfern
ist.“ Stichwort Parallelgesellschaft. Anna
führt heute immer wieder hitzige Diskussionen
über Feminismus und Gleichberechtigung
mit Familienmitgliedern
– und stößt teils auf Zustimmung, aber
teils auch auf taube Ohren. „Man spricht
nicht darüber, dass es Leute gibt, denen
es schlechter geht als einem selber. Es
kommt auf die Leute drauf an; manche
sind offener, manche kritischer, auch was
das Politische angeht, die sind aber eher
die Ausnahme“, so Friedrich. „Österreich
ist ein goldener Käfig. Wir haben hier
nicht so viele Kulturen wie beispielsweise
in London oder Paris. Und: Unser Sozialsystem
ist sehr gut und das kaschiert viel
/ POLITIKA / 25
an Armut.“ Wie gut ihre gesellschaftliche
und finanzielle Situation ist, ist nicht allen
so bewusst, wie Anna, Mia und Friedrich.
Eine Arroganz und ein Obrigkeitsgefühl
seien durchaus präsent.
„Bei diesen Adels-Festen werden teilweise
Sexismen und Rassismen reproduziert,
das ist wirklich arg. Es werden
Witze über Menschen gerissen, die einen
anderen Background haben.“ Anna ist
besonders eine Situation in Erinnerung
geblieben. „Es gab eine Kostümparty.
Das Motto war Safari – die Gäste waren
als Tiere oder Dandys verkleidet. Und es
gab tatsächlich einen, der als Sklave verkleidet
war. Inklusive Blackface und Kette
am Fuß. Und da hieß es dann von einigen
anderen Anwesenden: ‚Darf ich die
Kette auch mal halten?‘“, erinnert sich
Anna. „Ich habe so viel Scham gespürt.
Es war ein betretenes Schweigen im
Raum, aber gesagt wurde trotzdem
nichts. Ich war aber erst 16 Jahre alt und
wusste nicht, wie ich mich verhalten soll.
Mir war aber klar, dass das ganz falsch
ist. Das war auch der erste Moment, wo
ich gemerkt habe, dass ich weiß bin.“
Sowohl Anna als auch Mia haben sich
viel mit ihrer Identität und den Strukturen,
in denen sie aufgewachsen sind,
beschäftigt. Sie sind sich ihrer Privilegien
bewusst und kritisieren deshalb
auch das, was falsch läuft. Wie in allen
Gruppen, die von außen als homogen
betrachtet werden, aber eigentlich divers
sind, gerät man auch in Adels-Kreisen
schnell in einen Topf. „Es gibt wie überall
solche und solche“, so Mia. Die Erfahrungen
der drei sind subjektiv –und stehen
nicht representativ für die ganze Gruppe–
aber sie sind hilfreich, um einen Blick
„von innen“ zu bekommen.
EIN WELTWEITES
NETZWERK
Der familiäre Zusammenhalt wird in
Familien aristokratischer Herkunft groß
geschrieben, wie Mia, Anna und Friedrich
berichten. Alles wird groß gefeiert:
Geburtstage, Hochzeiten und Feiern aller
Art. Bei Todesfällen beispielsweise wird
von allen Seiten Geld gesammelt und
Unterstützung geboten. So war es auch,
als Annas Vater vor einigen Jahren plötzlich
verstorben ist. Man hält zusammen,
auch international. „Das ist ein riesiges
weltweites Netzwerk. Ich kann sagen: Ich
will an irgendeinen beliebigen Ort auf
der Welt und es gibt immer irgendeine
Tante, die irgendwen dort kennt, wo man
unterkommen kann“, lacht Anna. Auch
Friedrich bestätigt das: „Das schöne
ist: Man kennt überall Menschen, man
weiß, wenn man nach Madrid fliegt,
dann kennt man irgendeinen Cousin und
kann dort schlafen. Auch wenn man den
vielleicht nicht so gut kennt.“ Mia hat
ihre Au-Pair Monate in Italien verbracht
- bei einer adeligen, sehr wohlhabenden
Familie, die sie durch ihre Großmutter
kennengelernt hat. „Unsere Familien sind
sehr groß und vernetzt - und das auf
der ganzen Welt. Dadurch kann man viel
reisen und ist meist dann auch überall
sehr willkommen.“ Mia findet es schön,
dass sie durch ihren Background so viel
über ihre Familie lesen kann. „Ich weiß,
dass es außergewöhnlich ist, dass ich
über meine Vorfahren so viel erfahren
kann“, sagt sie.
„MAN KANN NICHT
ALLE STRUKTUREN
AUFBRECHEN“
„Das Interessante ist ja: Man denkt
heutzutage, dass man alle möglichen
Strukturen durchbrechen kann. Aber das
hier, das bleibt aufrecht. Auch 100 Jahre
später.“ Man würde immer und immer
wieder untereinander bleiben und untereinander
heiraten. Richtig werten will
Friedrich das nicht. Mia und Anna haben
noch nicht aufgegeben: Sie können sich
EXPERTIN DR. GUDULA WALTERSKIRCHEN IM INTERVIEW
Die Historikerin, Journalistin
und Autorin Gudula Walterskirchen
hat mehrere Bücher
veröffentlicht, die sich mit der
Entwicklung des österreichischen
Adels auseinandersetzen.,
wie unter anderem das
Buch „Der verborgene Stand.
Adel in Österreich heute“. Sie
liefert die Hintergründe:
BIBER: Frau Walterskirchen, seit dem Adelsaufhebungsgesetz
1919 sind mehr als hundert Jahre vergangen. Wieso gibt es
dann noch heute, im Jahre 2021, Familien, in denen die adelige
Abstammung, die Traditionen und die Blutlinie noch solch
eine Rolle spielen?
GUDULA WALTERSKIRCHEN: Man muss erstmal zwischen
Hochadel und niederem Adel unterscheiden. Das hatte lange
mit der Hoffähigkeit zu tun: Nur der Hochadel hatte Zugang
zum kaiserlichen Hof. Nachdem wir schon hundert Jahre Republik
haben, spielt das heute natürlich keine Rolle mehr. Aber
einiges hat sich erhalten: Da hingehend, dass diese bekannten
© Rita Newman
und früher einflussreichen Familien noch immer einen exklusiven
Zirkel bilden. Aber auch jene, die früher dem niederen Adel
angehört haben, bei denen das mitunter am Familiennamen
nicht gleich zu erkennen ist, legen großen Wert auf ihren Status,
auf die Traditionen. Das alles wird aber nach innen gelebt,
innerhalb der Familie und der sozialen Gruppe. Nach außen hin
versucht man eher unauffällig zu sein. Beim Standesbewusstsein
muss man unterscheiden zwischen jenen, die noch über
einen angestammten Besitz verfügen, und denen, die alles
verloren haben, weil sie beispielweise aus kommunistischen
Staaten vertrieben wurden. Das ist ein kollektives Trauma, und
man will den früheren Status wieder erreichen.
Man will also „unter sich“ bleiben. Inwiefern spielt das auch bei
Beziehungen oder Heirat eine Rolle?
Grundsätzlich wird es oft noch immer lieber gesehen, wenn
der Partner aus einer Familie stammt, die man kennt. Man will
unter sich bleiben, um das Vermögen und den Besitz abzusichern
und den Status zu erhalten. Dabei geht es nicht bloß um
Geldvermögen, sondern viel mehr um den Erhalt von Traditionen
und Werten: Beispielsweise über Generationen zu denken,
viele Kinder zu haben und sehr religiös zu sein.
26 / POLITIKA /
nicht vorstellen, dass diese Muster noch
lange erhalten bleiben – und das wollen
sie auch nicht. Sie sehen nicht ein, dass
man etwas, das einfach nicht mehr existent
ist, mit einer künstlichen Arroganz
weitertragen will.
Anna wünscht sich, dass interne
Strukturen aufgebrochen werden und
man offener wird. „Über den heutigen
Adel liest du in der Klatschpresse oder in
Historienromanen, die alte weiße Männer
geschrieben haben.“ Es gäbe selten
etwas dazwischen. „Das einzige, was du
von außen mitbekommst, ist, dass in der
Berufswelt recht hohe Positionen von
solchen Familien eingenommen werden.
Und die ganze Freunderlwirtschaft. Aber
die internen strukturellen Probleme reichen
viele Generationen zurück, werden
teils nicht hinterfragt oder offen aufgearbeitet.
Das muss sich endlich ändern.“ ●
„Über den heutigen
Adel liest du in der
Klatschpresse oder
in Historienromanen,
die alte weiße Männer
geschrieben haben.“
Alle Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt
– bei den abgebildeten Personen handelt es sich
nicht um die Protagonistinnen aus dem Artikel.
Die Namen, die mit einem * versehen sind, wurden
von der Redaktion geändert.
Die Aufnahmen sind im Grand Hotel Wien entstanden.
Man geht in diesen Familien davon aus, dass die Werte und
Traditionen eher weitergegeben werden, wenn man jemanden
heiratet, der aus genauso einer Familie stammt. Wie überall,
wenn man einer gewissen „Gruppe“ angehört. Von Generation
zu Generation wird der Anteil der rein aristokratischen Ehen
allerdings immer geringer, das habe ich auch statistisch untersucht
– die Verbindungen zu bürgerlichen Familien nehmen
immer mehr zu. Mangels Kaisertum gibt es keine Nobilitierungen
(anm.d. Red.: Erhebungen in den Adelsstand) mehr, Familien
sterben aus, es gibt immer weniger die „infrage kämen“
und die Standesdünkel nehmen ab.
Und wenn man jemanden heiratet, der nicht „standesgemäß“
ist?
Das ist von Familie zu Familie unterschiedlich. Ein prominentes
Beispiel, wie schwierig das mitunter sein kann, war die Ehe von
Karl Habsburg-Lothringen und Francesca Thyssen-Bornemisza.
Francesca Thyssen kommt aus dem niederen Adel und ist eine
extravagante Frau. Da hat es in Habsburg-Kreisen geheißen
„Die passt nicht zu uns, das wird nicht gut gehen.“ Obwohl sie
viel Geld in die Ehe mit eingebracht und versucht hat, sich dem
konservativen Lebensstil anzupassen, hat das nicht viel geändert.
Nach der Scheidung hieß es dann: „Kein Wunder, dass die
Ehe gescheitert ist, die hat nie zu uns gepasst.“ Die Vorbehalte
bei nicht-standesgemäßen Verbindungen sind also nach wie
vor präsent.
Mit welchen Problemen und Vorurteilen, die dem Mainstream
unbekannt sind, hat der heutige „Adel“ zu kämpfen?
Die Abgeschlossenheit mag nach außen hin wie die einer versnobten
Elite wirken. Es steckt aber auch die Sorge dahinter,
dass die Außenwelt einem wegen seiner Abstammung feindselig
begegnet. Daher sind Angehörige aus Adelskreisen oft
sehr vorsichtig, wenn man sich noch nicht gut kennt. Das hat
sehr viel mit den Vorurteilen zu tun, die Adeligen häufig entgegengebracht
werden: Wenn wir „normalerweise“ Menschen
kennenlernen, nehmen wir die Person als Individuum wahr.
Wenn man aber einen prominenten Nachnamen wie beispielsweise
„Schwarzenberg“ trägt, ist man kein Individuum mehr,
sondern man ist Mitglied einer Gruppe. Und hier gibt es zwei
Möglichkeiten, wie einem gegenüber begegnet wird: Entweder
mit Bewunderung und fast schon Unterwürfigkeit, oder mit
Feindseligkeit. Niemand aber begegnet einem ohne eine Reaktion.
Man wird nicht wirklich als eigenständige Person wahrgenommen,
sondern als Mitglied einer sozialen Gruppe, der Ruf
der gesamten Familie ist entscheidend. Das kann nützen, aber
auch schaden. Unbelastet davon sind diese Menschen nie.
/ POLITIKA / 27
28 / EMPOWERMENT SPECIAL /
© Zoe Opratko, Tina Herzl, bereitgestellt
ICH
BESTIMME.
PUNKT.
Mein Körper, mein Leben, meine Entscheidung – ein
biber-Special über die Selbstbestimmung von Frauen.
Junge Journalistinnen, Aktivistinnen und Community-Insiderinnen
berichten, warum auch 2021 ein freies
und gleichwertiges Leben für sie keine Selbstverständlichkeit
ist. Und wie sie dafür kämpfen.
Ob es darum geht, westlichen Schönheitsidealen nicht mehr nachzueifern, der
konservativen somalischen Community zu trotzen oder als afghanische Frau
ein neues Leben in Österreich zu beginnen: Junge, migrantische Frauen zeigen,
wie Selbstbestimmung geht. Das Empowerment-Special erscheint in print und
online.
Die besten Texte übersetzen wir auf mehrere Sprachen – von Farsi bis Russisch.
Das Ergebnis lest ihr auf den folgenden Seiten. Dort findet ihr Frauenpower
in völlig neuer Dimension und mit klarer Ansage: Wir bestimmen. Punkt.
Das Projekt „Du bestimmst.Punkt.“ findet im Rahmen des Aufrufs „Maßnahmen gegen
Gewalt und zur Stärkung von Frauen und Mädchen im Kontext von Integration“ des
Österreichischen Integrationsfonds statt. Dieses Projekt wird durch den Österreichischen
Integrationsfonds finanziert. Die Redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 29
DER RUF
DER FAMILIE
Was sollen die anderen denken? Dieser
Satz ist Teil ihrer DNA. Yasmin Maatouk
ist Österreicherin und Feministin, für
ihre koptischen Eltern ist sie vor allem
„Ehrenfrau“. Warum sie sich an strenge
Regeln halten muss, da sie sonst nicht nur
Schande über ihre Familie, sondern auch die
von anderen bringen könnte, erzählt sie hier.
Ich, als gebürtige Österreicherin und Tochter ägyptischstämmiger
Eltern, habe die Unterschiede der zwei Kulturen
früh erkannt. Der für mich signifikanteste Unterschied liegt
im Stellenwert der Familie. Innerhalb meiner arabischen vier
Wände, die mich von den österreichischen Werten abgrenzen,
wurde mir bereits in meine Windeln gelegt, was Familie bedeutet:
alles. Und ich, das Mädchen, die Frau, die Tochter, kann
mich mit meinen Lebensvorstellungen hinten anstellen. Falls
Schlange stehen überhaupt etwas bringt. Individuelle Wünsche?
So was gibt es bei uns nicht, so was kennen nur Österreicher.
Zunächst geht das Tochtersein natürlich mit Verpflichtun-
© Ūla Šveikauskaitė
30 / EMPOWERMENT SPECIAL /
gen einher. Auch wenn ich nicht die älteste Tochter bin, bleibt
in Sachen Haushalt, Küche und Wäsche, genügend für mich
übrig. Bin ich damit fertig, wartet schon die familiäre „Paper-
Work“ auf mich. Ich kümmere mich um die E-Mails meiner
Mutter, die als Altenpflegerin in Österreich zwar seit 13 Jahren
schuftet, deren Deutsch für das Magistratskauderwelsch aber
leider nicht ausreicht. Und natürlich bin es auch ich, die das
Home-Schooling meines neunjährigen Bruders begleitet. Diese
Familienarbeit ist zwar energieraubend und hält mich nicht
selten von meinem Studium ab, aber darüber beklage ich mich
nicht, denn sie gehört gemacht und ist notwendig. Was mich
stört, ist etwas anderes. Etwas, das mit meinem österreichischen
Blick auf die Welt nicht existenziell ist: koptische Family
Affairs.
KOPTISCHE FAMILY AFFAIRS
Warum muss ich überall dabei sein? Warum muss ich dreimal
die Woche zu Community-Veranstaltungen der Kopten Wiens,
warum muss ich mein Outfit für diese Veranstaltungen wie ein
kleines Kind von meiner Mutter absegnen lassen? Und warum
muss ich bei der Bewirtung der Eltern des Verlobten meiner
großen Schwester – ja langsam lesen – jedes einelne Mal den
Kaffee servieren? Obwohl ich eigentlich eigene Termine hätte,
an der Uni zum Beispiel. Doch da zuckt meine Mutter nur mit
den Schultern: Absagen ist ihre Divise, die Familie geht vor.
Für sie ist das nämlich so: Eine Tochter zu haben, die nicht an
allen Familienaktivitäten teilnimmt, wirft ein schlechtes Licht
auf die gesamte Familie. Es wäre ein Anstoß für die misstrauische
Frage: „Was kann für deine Tochter denn wichtiger sein
als die Familie?“ Damit solche Fragen gar nicht erst entstehen,
die Ehre der Tochter nicht hinterfragt wird und womöglich die
Ehre unserer Familie leidet, heißt es: Yasmin, anwesend sein!
Meine eigenen „Wünsche“ fallen nicht ins Gewicht und ich rede
hier nicht von Spaziergängen mit Freundinnen, sondern meinen
Arztterminen oder sogar Prüfungen. Wenn ich meinen autochthonen
Freund*innen diese Sorgen schildere, kommt immer
dieselbe Aussage: „Mach es doch einfach nicht!“ Wenn es nur
so einfach wäre. Die Verpflichtungen, mit denen ich in meinem
Alltag konfrontiert werde, sind anders als auf arabischen Märkten,
nicht verhandelbar. Und auch wenn mir persönlich der
Familienruf seit Kindesalter unwichtig ist, bin ich mir bewusst,
wie wichtig er meiner Familie ist. Der „Ruf der Familie“ wurde
mir angeboren, als ich in meine Familie hineingeboren wurde.
„Was sollen denn die anderen von uns denken?“, lautet
Mamas Lieblingssatz. In letzter Zeit sind diese anderen übrigens
ganz besondere Leute: Es sind die zahlreichen Verwandten
des Verlobten meiner Schwester. Dass meine Schwester
sich einen Kopten gesucht hat, macht die Sache nicht unbedingt
leichter. Denn für mich bedeutet das nicht nur, dass ich
zweimal wöchentlich die Barista daheim mime und mit nettem
Geplänkel den Besuch unterhalte. Nein, ich muss auch mein
Verhalten abseits dieser Zusammentreffen noch sorgfältiger
prüfen als früher. Denn zu der ewigbekannten Frage, was würde
meine Familie dazu sagen, kommt nun die Metaebene dazu:
Was würde seine Familie dazusagen? Die des Verlobten meiner
Schwester. Kompliziert? Welcome to my world. Nach arabischer
Logik kann ich nämlich den Ruf seiner Familie ruinieren.
„EHRENFRAU“ DATET NICHT
Dass ich eine Tochter, sprich Frau bin, spielt hier natürlich eine
Schlüsselrolle. Bestimmte Restriktionen treffen mich gezielt,
weil bestimmtes Verhalten in unserer Community nicht „Lady-
Like“ ist. Wenn ich bei einer Freundin übernachten möchte,
kriege ich zu hören: „Du bist kein Mann, dass du woanders
nächtigen darfst.“ Obwohl ich nach österreichischem Gesetz
mit meinen 19 Jahren eine mündige Erwachsene bin, bin ich
nach arabischem Gesetz vor allem eines: „Ehrenfrau“. Und
die darf nicht daten. Mit Mitte 20 erwartet man aber von mir,
dass ich einen Ring am Finger habe. Die ungeklärte Frage: Wie
bekomme ich meinen Ehemann? Es ist 2021 und eine Pandemie
prägt unseren Alltag. Clubs und Bars sind eh nichts für
Ehrenfrauen. Aber nicht einmal die Universität bietet Kennenlernmöglichkeit.
Doch Gott bewahre, wenn eine koptische
Frau eine Dating App wie zum Beispiel Tinder benützt. Man
sollte meinen, dass sie nicht erwischt werden würde, weil ja
auch alle männlichen Kopten „Ehrenmänner“ sind und darauf
verzichten. Ein Blick auf die App verrät jedoch, dass männliche
Kopten vom ungeschriebenen Tinder-Tabu ausgenommen
sind. Freundinnen von mir nehmen sich trotzdem die Freiheit
heraus, Tinder zu nutzen, aber das Credo lautet immer: „Bloß
keinen Kopten sehen oder irgendjemanden der möglicherweise
in seinem Leben einen Kopten oder eine Koptin kennt.“ Wenn
eine von uns ohne bevorstehende Hochzeit händchenhaltend
mit einem Mann sehen würde, wäre das eine Katastrophe,
eine Schande. Würde ich theoretisch eine Dating-App nutzen,
würde das mit Sicherheit so ablaufen: Es würde sich in kürzester
Zeit in der Community herumsprechen, Gerüchte würden
entstehen und meiner Familien-Bewertung würde ein Stern
abgezogen werden. Und das Schlimmste: Der Ruf meiner Familie
wäre beschädigt, der meiner Schwester, der ihres Verlobten
und der seiner Familie. Denn die Rechnung ist so einfach
wie belastend: Prestige meinerseits heißt Prestige für meine
Familie. Schande meinerseits heißt Schande für meine gesamte
Familie. Und das ist der entscheidende Unterschied, der sich
nicht leicht ins Deutsche übersetzen lässt. Wenn es um den
Ruf der Familie geht, geht es um viel mehr als nur ein positives
Auftreten und möglichst wenig kursierende Gerüchte. Es geht
um das Aufrechterhalten von zwischenmenschlichen Beziehungen
und den Respekt innerhalb der Community. Das, was ich
mache, wird von gefühlt tausenden Augen meiner Community
beobachtet und auf meine ganze Familie projiziert.
Ich glaube, das ist das Schlimmste an dem Versuch, eine
moderne Frau in einer arabischen Community sein zu wollen:
die lähmende Angst. Sei es beim Daten, beim Händchen halten
oder bei einem anderen Community-Verstoß. Denn unabhängig
wie überzeugt ich von meinen Werten bin, es geht immer um
meine Verantwortung für den Ruf der Familie. ●
Yasmin Maatouk ist 19 Jahre alt und
absolviert gerade die biber-Akademie. Yasmin
studiert Publizistik und setzt sich für
Emanzipation und Frauenrechte innerhalb
ihrer koptischen Community in Wien ein.
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 31
JOURNALISTIN TANYA KAYHAN:
„Männer können
Frauen nicht helfen“
Sie war ein Medienstar mit Chauffeur, berichtete über die Taliban, bis sie vor ihnen fliehen musste.
In Österreich war Tanya Kayhan plötzlich nur mehr die Afghanin und Muslima. In ihrer Community
fürchtete sie ein schlechtes Image, weil sie als Frau allein war. Im biber-Interview erzählt sie, warum sie
den persischen TV-Sender OXUS gegründet hat, wie afghanische Männer bewusst Analphabetinnen
ausnutzen und warum sich die Integrationspolitik mehr auf afghanische Obfrauen konzentrieren sollte.
Interview: Delna Antia-Tatić
BIBER: Führen afghanische Frauen in
Österreich ein selbstbestimmtes Leben?
TANYA KAYHAN: Sie können in Österreich
an Selbstbestimmung dazugewinnen,
das ja. Erstens, weil die Regierung
ihnen hilft. Zweitens, weil die österreichischen
Gesetze den Frauen mehr Rechte
geben und die Gesellschaft sehr offen
ist. Und drittens, weil sie hier in Österreich
ausgebildet werden – im Gegensatz
zu ihrer Heimat Afghanistan. Meistens
haben sie hier die Chance in die Schule
oder an die Universität zu gehen, oder
eine Ausbildung zu machen.
Du zählst natürlich zu den gebildeten
Frauen aus Afghanistan. Du hast in
Kabul als Journalistin gearbeitet. Wie
war das?
Ja, ich war eine bekannte Journalistin in
Afghanistan – ein bekanntes Gesicht in
der Medienwelt. Trotzdem hatte ich nicht
genug Freiheit. Damals, kurz nach dem
Talibansturz 2005, war die Gesellschaft
nicht bereit für uns Frauen in den Medien.
Bei unserer Arbeit wurden wir diskriminiert,
was eine Karriere sehr schwierig
machte. Obwohl Frauen die Chance
haben, in den afghanischen Arbeitsmarkt
einzutreten, nach oben schaffen sie es
selten.
Du schon.
Ja. Weil ich viel gearbeitet habe und vor
allem viel gekämpft habe. Ich war sehr
stark. Deswegen habe ich es geschafft,
vor die Kamera zu kommen. Aber es war
nicht einfach zu meiner Zeit.
Warum bist du geflüchtet?
Ich hatte zwei Probleme. Einerseits
konnte ich nicht mehr auf die Straße
gehen, als ich bekannt geworden war.
Die Leute auf der Straße haben mich
belästigt und es kam vor, dass sie auch
auf bekannte Frauen einprügelten oder
sie als Geisel nahmen. Das andere
Problem waren die Taliban. Sie haben
damals mit Journalistenmorden gedroht.
So wie auch jetzt. Allein in den letzten
zwei Monaten wurden viele Journalisten,
darunter auch Frauen, getötet. In Kabul
habe ich zunächst als Moderatorin für
das Staatsfernsehen 1TV gearbeitet.
Dort habe ich Kopftuch getragen. Doch
zuletzt, von 2010-2011, habe ich für den
TV-Sender Voice of America gearbeitet.
Dort trug ich kein Kopftuch mehr. Ich
war eine Reporterin, die über die Taliban,
über Opium und Korruption berichtete.
Das wurde schwierig für mich. Deshalb
musste ich 2011 flüchten.
Wie alt warst du da?
25 Jahre.
Als junge, afghanische Frau allein in
Wien - wie ist es dir ergangen?
Es war schwierig. Gerade die ersten
Jahre. Vor allem wegen der Sprache. Das
zweite Problem war, dass der Arbeitsmarkt
in Österreich Journalistinnen und
Journalisten nicht hilft. Das AMS hat
keine Ausbildung für sie und findet keine
Arbeit für sie in der Medienbranche. Und
das dritte Problem war der Name meines
Herkunftslands. Wenn ich gesagt habe,
dass ich aus Afghanistan komme, haben
alle von mir Abstand genommen. Doch
trotz aller Schwierigkeiten habe ich auch
Hilfe gehabt.
Hattest du in Österreich Kontakt zu
anderen Afghaninnen oder Afghanen?
Nein. Ich wollte nicht nochmal hier als
Journalistin in der afghanischen Community
bekannt werden. Ich hatte einfach
zu viele Probleme in Afghanistan gehabt,
deshalb wollte ich in Wien Abstand von
meinen Leuten haben. Denn es ist auch
problematisch für eine afghanische Frau
allein herzukommen. Dann wird falsch
über dich gedacht. Wenn du keine Familie,
keinen Bruder, keine Schwester hier
hast… vielleicht bist du dann keine gute
Frau?!
© Maria Noisternig
32 / EMPOWERMENT SPECIAL /
„Ich glaube, die afghanischen
Frauen sind offener als die
Männer.“ Journalistin Tanya
Kayhan über die afghanische
Community in Wien
/ POLITIKA / 33
Tanya gründete OXUS, das erste persische Fernsehen für geflüchtete
Menschen aus Afghanistan in Österreich.
Hattest du Angst?
Ja, viel. Denn mein Leben warf zu viele
Fragen auf: Warum ich allein bin, was
ich für eine Familie haben muss, die mir
erlaubt, als Flüchtling allein zu kommen...
Deswegen habe ich die ersten fünf
Jahre Abstand zu meiner Community
genommen – bis ich 2015 zu biber in die
Akademie kam.
Wo hast du vor der biber-Journalismus-
Akademie gearbeitet?
Am Flughafen.
Wie war das für dich? Immerhin warst
du in deinem Leben davor ein Star mit
Chauffeur.
Psychisch war ich damals nicht gut
beieinander. Ich war in Afghanistan
„Jemand“. Ich war eine sehr bekannte
Frau, die aus einer bekannten Familie
kommt und auf einmal bin ich hier ein
Flüchtling, eine Afghanin, eine Muslima.
Das war sehr schwierig für mich. Und
auch wenn meine Arbeit am Flughafen
okay war, es war nicht meine Branche.
Also habe ich den Wiedereinstieg in
meinen Beruf gewagt – und bei der
Fairversity-Messe bin ich auf die biber-
Akademie gestoßen.
Du hast auch begonnen, dich in deiner
Community zu engagieren. Warum?
In den fünf Jahren Abstand von meiner
Community war ich meistens in der
österreichischen Gesellschaft unterwegs.
Da habe ich gemerkt: Alle haben mich
respektiert, bis sie sie erfahren haben,
dass ich aus Afghanistan komme. Dann
sind sie auf Distanz gegangen. Damals
habe ich mich gefragt, warum die Leute
so denken. Durch biber habe ich mehr
erfahren und auch mehr Nachrichten
gehört. Ich habe plötzlich realisiert,
welch negatives Image die Afghanen
in Österreich haben. Also habe ich
begonnen, etwas zu machen, um die
Integration der afghanischen Leute zu
beschleunigen und das negative Image
zu bekämpfen.
Was machst du genau bei deinem Medienprojekt
OXUS?
Ich mache die positiven Beispiele sichtbar.
In der afghanischen Community
„
Wenn du keine Familie,
keinen Bruder hier
hast, bist du dann noch
eine gute Frau?
“
haben wir genügend Jugendliche, die
etwas geschafft haben. Sie haben eine
Ausbildung, eine Arbeit… 30-40 Prozent
arbeiten in sehr guten Bereichen und
bringen gute Leistungen. Aber niemand
berichtet darüber. Nur wenn einer etwas
Schlimmes gemacht hat, dann explodiert
das wie eine Bombe und betrifft alle
Afghanen. Das ist schade. Deswegen
habe ich OXUS gegründet, das erste
persische Fernsehen für geflüchtete
Menschen aus Afghanistan in Österreich.
Einmal um zu informieren, was in Österreich
im Bereich Asyl, Integration und
Co passiert. Das zweite Ziel: Wir wollen
afghanische Jugendliche und Frauen
motivieren.
Wobei motivieren?
Afghanische Frauen sind in einer nichtoffenen
Gesellschaft aufgewachsen. Sie
wurden in Afghanistan stets unterdrückt.
Ob im Bildungsbereich, in der Arbeit und
in der Gesellschaft – Frauen werden diskriminiert.
Wenn sie nun hierherkommen,
dann wollen sie meist schnell heiraten.
Die Heirat steht im Mittelpunkt für
afghanische Frauen. Das ist Tradition. Sie
haben Angst, zu alt zu werden und dass
sie dann keiner mehr will. Deswegen ist
es auch für Familien sehr wichtig, dass
sie ihre Töchter schnell verheiraten.
Auch in Österreich?
Ja, auch für die meisten afghanischen
Frauen in Österreich. Karriere ist keine
wichtige Sache. Deswegen machen wir
bei OXUS Portraits und Reportagen über
starke Frauen, die zum Beispiel trotz oder
mit Mann und Kindern Karriere gemacht
haben und sich in der Community engagieren.
Wir erreichen damit wirklich gute
Aufrufzahlen: Zuletzt hat eine Reportage
eine halbe Million Aufrufe und 1.800
Shares gehabt. Und auch für Wirbel in
der Community gesorgt.
Worum ging es da?
Es war eine Reportage über eine Frau,
die in Wieneine erfolgreiche Unternehmerin
ist. Aber das Problem für
unsere Community war, dass sie einen
arabischen Mann geheiratet hat. Denn
Heiraten mit anderen Kulturen sind ein
Tabu für afghanische Frauen. Obwohl
ihr Ehemann Muslim war. Es ging um
seine Nationalität, er stammt aus dem
Irak. So wie für Österreicher Menschen
aus Afghanistan keine gute „Bewertung“
genießen, so ist das auch bei uns in
Afghanistan mit Ländern wie dem Irak.
Sehen die Frauen das auch so – oder
würden sie gerne einen Nicht-Muslim
oder Nicht-Afghanen heiraten?
Ich glaube, die afghanischen Frauen sind
offener als die Männer. Für eine gebildete
afghanische Frau ist es kein Problem
einen Mann aus einem anderen Land,
einer anderen Religion oder Kultur zu
heiraten. Aber trotzdem ist es schwer.
Weil sie damit ein anderes Bild in der
Gemeinschaft bekommen wird – ein
negatives.
In deinen zahlreichen Projekten gehst du
auch die Problematik der Analphabetin-
© OXUS TV
34 / EMPOWERMENT SPECIAL /
nen an. Wie kann denn eine analphabetische
Frau, die nach Österreich kommt,
ein selbstbestimmtes Leben führen?
Schwierig. Die meisten verheirateten
Frauen und älteren Frauen über 30 sind
nicht ausgebildet, oft sogar eben analphabetisch.
Daher können wir sie nicht
über ein Magazin informieren, sondern
der einzige Weg ist über das Hören und
Sehen. Deswegen produzieren wir extra
Reportagen für diese Frauen, die zuhause
sind.
Aus Recherchen weiß ich selbst, dass
geflüchtete Frauen und Mädchen oft von
Männern, also ihren Vätern oder Brüdern,
abgeschottet werden. Sie werden
von Integrationskursen abgeholt oder
dürfen gar nicht erst hin. Da entsteht
eine gefährliche Abhängigkeit und auch
Sozialarbeiterinnen haben oft keine
Chance auf Zugang.
Ja solche Fälle gibt es. Oft „holen“ sich
afghanische Männer aus Österreich extra
eine ungebildete und sogar in manchen
Fällen auch explizit eine analphabetische
Frau aus Afghanistan und nutzen sie aus.
Diese Männer verstehen in Österreich
alles, die Sprache, Schrift, die Kultur. Die
Frau ist hingegen ohne ihren Mann aufgeschmissen
und akzeptiert, was er sagt.
Kannst du diese Frauen erreichen?
Ich erinnere mich an einen Mann, der
eine Afghanin geheiratet und sie hergebracht
hat. Dieser Mann wollte seine
Frau nicht zum Deutschkurs bringen.
Sie durfte nicht einmal Kontakt mit ihrer
afghanischen Community haben. Sie war
damals 28 Jahre alt. Natürlich besaß
sie kein Handy. Ich habe ihn angerufen:
Kannst du bitte dein Handy deiner Frau
geben, ich will mit ihr sprechen. Aber er
hat nein gesagt. Ich habe es zwei, dreimal
probiert, aber er hat es nicht zugelassen.
Dieser Mann wollte nicht, dass
seine Frau durch Kontakt mit anderen
Frauen auf ihre Rechte in Österreich aufmerksam
wird. Solche Fälle sind wenige,
aber es gibt sie.
Welche Hilfe wünschst du dir für die
Frauen?
Ich wünsche mir, dass die österreichische
Regierung mehr die afghanischen
Vereine unterstützt, die in diesem
Bereich tätig sind. Aber nicht nur die
„
Karriere ist für afghanische
Frauen keine
wichtige Sache.
“
Vereine, die einen Obmann haben,
sondern solche, die Obfrauen haben. Ein
Obmann, der unter der Taliban und Mujaheddin
und in einer patriarchalischen
Gesellschaft aufgewachsen ist, kann
den Frauen nicht helfen. Wir müssen die
Frauen aus der Community aktivieren,
damit sie in der Zivilgesellschaft aktiv
werden, damit sie Vereine gründen zum
Beispiel. Denn die meisten Projekte
werden von österreichischen Vereinen
umgesetzt, aber die haben in der
Community keine große Wirkung. Der
ÖIF macht viele Projekte – aber da sind
ÖsterreicherInnen im Mittelpunkt. Es wird
von ÖsterreicherInnen implementiert, die
die Probleme einer afghanischen Frau
nicht kennen. Die Projektleitung sammelt
zwar Meinungen von afghanischen Verei-
nen, aber das ist nicht genug.
Bei der Redaktionssitzung zu diesem
Empowerment-Special haben wir über
Scham und Tabus in der Community
gesprochen. Du hast erwähnt, dass Artikel
über Tampons oder Jungfräulichkeit
zwar interessant sind, aber nie im Social
Media geshared würden. Obwohl wir sie
extra auch auf Farsi übersetzt haben.
Ja, das stimmt. Die Frauen möchten es
lesen, aber keine möchte es teilen. Sie
schämen sich. Selbst ich als Journalistin,
die sehr offen ist, könnte solche Artikel
nicht teilen.
Weil?
Weil die Leute das schlecht kommentieren
würden. Sie würden denken: Tanya
ist nach Europa gegangen und ist eine
schlechte Frau geworden. Und sie will
die anderen Frauen auf falsche Wege
leiten.
Bedeutet falsche Wege „Sex mit Männern“?
Richtig. Weil Sexualität kommt in unserer
Kultur nicht vor – außer mit dem Ehemann.
Hättest du dir damals in Kabul gedacht,
dass Sozialarbeit mal dein Leben bestimmen
wird?
Nein. Aber ich habe gedacht, dass ich
in die Politik eintreten würde – wie mein
Vater. Das war ein Traum von mir.
Das kann ja noch kommen! Nach sechs
Jahren kannst du ja Österreicherin werden,
oder?
Jetzt bin ich schon Österreicherin. Seit
2020.
Na dann!
Ein Handwerk für Gesundheit und Wohlbefinden
Sind dir Gesundheit und Wohlbefinden anderer Menschen wichtig?
Möchtest du ein Handwerk erlernen, das du eine Leben lang ausüben kannst?
Überall, egal wo du bist?
Möchtest du selbständig und eigenveranwortlich arbeiten?
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das richtige für dich!
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/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35
FALSCHE
VORBILDER
HÖRT AUF, DEN WESTLICHEN
SCHÖNHEITSIDEALEN NACHZUEIFERN!
36 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Kleine Nase, blaue Augen, keine Körperbehaarung: Mädchen und
Frauen aus der iranischen und kurdischen Community in Österreich
versuchen ihr ganzes Leben lang, einem weißen, eurozentrischen
Schönheitsideal nachzueifern. In BIPOC (Black, Indigenous, People of
Colour)-Kreisen werden Rufe wie „Decolonize your beauty-standards!“
laut. Es wird Zeit, rassistische Schönheitsideale abzulegen und zu
natürlichen Features zu stehen. Als Akt radikaler Selbstliebe.
Text: Sara Mohammadi, Fotos: Tina Herzl
Sara jan, ich habe dir etwas
für deine Schulaufführung
gekauft“, sagt meine Mutter
zu mir und überreicht mir
ein schönes, weißes T-Shirt, das etwas
bauchfrei ist. Stolz und glücklich ziehe
ich es an. Ich bin gerade einmal neun
Jahre alt. Heute findet eine Talentshow
in meiner Volksschule statt, bei der die
verschiedenen Klassen etwas aufführen.
Meine Klasse hatte beschlossen, zu
„Lucky“ von Britney Spears zu tanzen.
Doch während wir noch im Unterricht
sitzen, bemerke ich, wie sich meine
Mitschüler*innen etwas zuraunen.
„Schau, die Sara hat voll die Rückenhaare“,
flüstern sie sich zu. „Boah, das ist
so eklig!“ Im Laufe meiner Kindheit und
Jugend hören die Kommentare bezüglich
meiner Körperbehaarung nicht auf
– seien es eher harmlose Kommentare,
die einfach den „state of the art“ meines
Körpers kommentieren, wie „du bist voll
behaart“ oder rassistische Aussagen wie
„Du Affe“. Die Lästereien führen dazu,
dass ich einige Zeit akribisch meinen
gesamten Körper enthaare und erst
wieder ein Croptop anziehe, als ich als
Teenager eine Enthaarungscreme für
den Rücken entdecke. Schmerzvolle
Erfahrungen dieser Art habe nicht nur ich
gemacht, sie sind gang und gäbe in der
iranischen und westasiatischen Community.
KÖRPERBEHAARUNG UND
MONOBRAUE
„Ich hatte immer Angst, dass jemand
meine Körperbehaarung sehen könnte.
Ich habe deswegen immer lange
Hosen und T-Shirts getragen. In der
Schule habe ich immer ein Unterleiberl
angehabt, damit, falls ich mich bücke,
niemand meine Rückenbehaarung sehen
kann“, erzählt Gülden. Gülden ist Kurdin
und 24 Jahre alt. Auch sie wurde in der
Schule aufgrund ihrer Körperbehaarung
und Hautfarbe gemobbt, auch sie wollte
blond und hell sein. „Das Mobbing hat
dazu geführt, dass ich früher alles, was
„orientalisch“ aussah, nicht schön fand.
So begann ich früh meine Augenbrauen
zu zupfen und mein Gesicht zu waxen.“
Heute findet sie, dass sich vor allem
durch Social Media langsam etwas
verändert. „Mittlerweile gibt es ja auf Instagram
Accounts, die Körperbehaarung
normalisieren möchten. Mich stört aber,
dass es vor allem weiße Menschen sind,
die vielleicht ein paar Härchen unter der
Achsel haben, weil sie sich zwei, drei
Monate nicht rasiert haben. Ich würde
mir da viel mehr BIPoC wünschen, die
ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht
haben.“
Eine dieser Frauen, wenn auch nicht
als Influencerin aktiv, ist Jasmin, 23.
Jasmin hat iranische Wurzeln. Sie hat
sich bis in die Oberstufe im Gymnasium
die Augenbrauen gezupft – weil sie aufgrund
ihrer dunklen Gesichtsbehaarung
gemobbt wurde. Doch dann beschloss
sie, sich ihre natürlichen Features wieder
anzueignen. Heute trägt sie stolz eine
Monobraue. „Die meisten weißen Frauen
sich plötzlich dickere Augenbrauen ins
Gesicht malen, sich aber nicht trauen,
eine Monobraue ins Gesicht zu ‚malen‘.
Mittlerweile will ja fast jede dichte
Augenbrauen haben.“
CARA DELEVINGNE UND
DER EUROZENTRISMUS
Jasmin spricht damit einen wichtigen
Punkt an. Denn seitdem das Model
Cara Delevingne mit ihren dichten
Augenbrauen die Laufstege eroberte,
sind buschige, aber nicht zu buschige
Augenbrauen vollkommen in Mode. Das,
wofür westasiatische und nordafrikanische
Frauen jahrelang gemobbt wurden,
wurde wieder in, weil es eine weiße Frau
trug. Während ich lange gerne geglaubt
habe, dass ich heute meine Augenbrauen
wieder dicht trage, weil ich mich
gegen eurozentrische Schönheitsideale
auflehnen will, hat das wohl eher mit
dem Aufstieg von Cara Delevingne zu
tun gehabt.
Eurozentrismus in Schönheitsidealen
bedeutet, dass unser Konzept von
Schönheit, also das, was wir als schön
empfinden, vom Westen beeinflusst und
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 37
vorgegeben wird. Das geht von Hautfarbe
über Haartextur bis zu gewissen
„Features“, also Gesichtszügen. Eines
der wichtigsten Features dabei ist die
kleine, europäische Nase. Wie absurd
das Streben nach diesem Ideal werden
kann, zeigen eindeutig die zahlreichen
Nasenoperationen im Iran und im
westasiatischen Raum, die sich oft auf
die Diaspora dieser Länder im Westen
auswirken.
NASEN-OP ZUR
VOLLJÄHRIGKEIT
Etwa 200.000 Nasenoperationen pro
Jahr finden im Iran statt. Unabhängig
von Geschlecht oder Alter: Nasenoperationen
sind so normal wie eine Zahnspange
oder eine Pediküre. In meiner
„
DIe Lästereien
führen dazu,
dass ich
jahrelang
akribisch
meinen Körper
enthaare.
“ Sara, 24
Familie sind sie total normalisiert und ich
bin mit Gesprächen über vermeintlich
„perfekte“ Nasen und dem Wunsch,
solch eine zu haben, aufgewachsen. Ich
habe es mir auch schon mehr als einmal
überlegt, meine Nase zu operieren. Nicht
selten wird Töchtern und Söhnen zum
18. Geburtstag eine Nasenverkleinerung
geschenkt. Auch viele Iraner*innen, die
in der Diaspora leben, streben die kleine,
europäische Nase an. Dafür reisen sie
extra in den Iran ein, nicht zuletzt aus
Kostengründen.
„Ich glaube, dass der kulturelle
Einfluss aus dem Iran in Österreich
eine große Rolle spielt. Dort lassen sich
so viele Frauen und Männer die Nase
operieren, man macht sich also schneller
Gedanken darüber. Es ist einfach
sehr üblich dort, man hat einfach einen
leichteren Zugriff auf Operationen“,
erklärt Kani, 24. Kani ist Kurdin aus dem
Iran und hat sich vor fast zwei Jahren die
Nase operieren lassen. „Mit 14 habe ich
angefangen zu merken, dass mir meine
Nase nicht so gefallen hat. Die Mädchen
in meiner Klasse hatten alle kleine Nasen
und ich habe mich mit ihnen verglichen.
Die Jungen haben mich öfters auf
meine Nase angesprochen und ich habe
mich damit unwohl gefühlt.“ Kani hat
ihren Unmut über ihre Nase zwar ihrer
Mutter gegenüber öfters erwähnt, ihrem
Vater jedoch nicht direkt gesagt, da sie
wusste, dass so eine Operation nicht
billig ist. „Er hat es aber irgendwann
gemerkt und mich direkt gefragt, ob ich
eine Nasen-OP haben möchte.“ Ihr Vater
finanzierte schließlich die Operation, ein
Familienmitglied kümmerte sich um die
Organisation: „Die Frau meines Cousins
hatte schon öfters Nasen-Operationen
für Familienmitglieder organisiert. Ich
musste nur mehr in den Iran fliegen, mir
die Nase von dem Schönheitschirurgen
ansehen lassen und zur Operation
gehen. Den Arzt habe ich vor der OP
eigentlich nur einmal gesehen. Dieser
wollte ein Foto von meinem Nasenprofil,
hat mir Blut abgenommen und mir
erklärt, wie die OP verlaufen wird. Insgesamt
hat die OP sechs Stunden gedauert.“
Kani steht zu ihrer Entscheidung:
„Ich habe lange wegen meiner Nase mit
meinem Selbstbewusstsein gekämpft.
Durch die Operation bin ich selbstbewusster
geworden. Ich finde es nicht
schlimm, wenn man das haben möchte.“
BEAUTY-DOC-INSPO AUF
Doch im Boom der weltweiten Schönheitsindustrie
gibt es einen wichtigen
Faktor, den man nicht vergessen darf:
Instagram, eine Plattform, die Fluch und
Segen zugleich ist. Zwar finden dort
immer mehr Body-Positivity und Inklusivität
bezüglich Schönheit statt, gleichzeitig
spielt Instagram keine unwichtige Rolle,
was Body-Image-Issues betrifft.
Laut der Deutschen Gesellschaft für
ästhetisch-plastische Chirurgie kurbeln
soziale Medien die Nachfrage nach
Schönheitsoperationen an. So sagten
14 Prozent der von ihnen befragten
Patient*innen, dass sie durch Selfies zu
38 / EMPOWERMENT SPECIAL /
einer Schönheitsoperation motiviert wurden.
Jede*r Zehnte konsultierte bei der
Suche nach Informationen zu ästhetischplastischen
Behandlungen Instagram,
Facebook & Co.
So gibt es nicht wenige Instagram-
Kanäle von Schönheitschirurgen, die Vorher-Nachher
Fotos ihrer Patient*innen
posten, auch Influencer*innen mischen
da ganz schön mit. „Ich habe vor allem
durch Influencerinnen auf Instagram
gelernt, dass man sich die Nase auch
mittels Hyaluron spritzen und sie so
entweder kleiner oder größer aussehen
lassen kann. Das ist weniger aufwendig
als eine Operation und kostet auch weniger“,
erzählt Susanna, 23. Sie führt einen
ständigen Kampf mit sich und ihrer Nase.
„Ich mag einfach meinen Höcker nicht
und hätte gerne eine Stupsnase“, erzählt
sie. „Aber ich versuche mich, damit
abzufinden und meine Nase zu mögen.
Manchmal gelingt es mir jedoch nicht. In
diesen Momenten würde ich schon gerne
zur Spritze greifen.“
Neben Detox-Tees und Öko-Unterwäsche
finden sich also mittlerweile auch
Werbungen für Schönheitseingriffe und
Gesichts-Korrekturen. Schönheit wird
also immer mehr ein kapitalistisches
Instrument: Es wird jungen Mädchen und
Frauen gezeigt, wie sie sich Features
kaufen können, um letztendlich dem
immer noch sehr weißen Schönheitsideal
entsprechen zu können. Doch woher
kommen unsere Schönheitsideale?
„
Die Mädchen in
meiner Klasse hatten
alle kleine Nasen, und
ich hab mich mit ihnen
verglichen.
“ Kani, 24
Kani, 24 (links), Susanna, 23
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SCHÖNHEIT – EIN
KOLONIALES ERBE
In einer Folge des deutschen Podcastes
„Realitäterinnen“ sprachen die afghanisch-deutsche
Künstlerin Moshtari Hilal
und die Gründerin Nana Addisson über
den Ursprung dieser Schönheitsideale.
Beide sind sich dabei einig, dass Vieles
auf die Kolonialzeit zurückzuführen sei,
in der weiße Menschen gegenüber BIPoC
hierarchisch überlegen definiert wurden.
Das Ideal sei also gewesen: Helle Haare,
helle Augen, helle Haut, kleine Nase.
Diese kolonialen Vorstellungen breiteten
sich mit der Globalisierung immer weiter
aus, sodass sie sich bis heute auf unsere
Wahrnehmungen von Schönheit auswirken.
„Beauty“ ist also auch etwas, was
systematisch zu betrachten und historisch
gewachsen ist.
Die rassistischen Ideale lassen sich
damit insbesondere in der Schönheitsindustrie
finden. Laut einem Bericht der
Süddeutschen Zeitung sind 80% aller
Models auf Laufstegen und Magazincovern
weiß, nur 2,3 Prozent kommen
aus Westasien und Nordafrika. Wenn
sie medial auf irgendeine Art und Weise
repräsentiert werden, dann auf dem
„Vorher“-Bild eines Instagramsposts über
Nasen-OPs.
Viele Frauen, die nicht in das Schönheitsideal
passen, greifen zu anderen
Mitteln, die auch gefährlich sein können.
Neben der Nasenverkleinerung bietet die
VOGUE Arabia, der arabische Ableger
des Modemagazins, unter dem Suchwort
„slimmer nose“ Anleitungen an, wie
Leser*innen ihre Nase nicht-operativ kleiner
erscheinen lassen können – von Contouring
bis zu einer speziellen Massage.
In der Jugendzeit meiner Mutter war es
nicht unüblich, die Armhaare mit Bleichmittel
heller zu machen, in vielen Ländern
bleichen sich WoC (Women of Colour)
sogar die Haut, um weißer zu wirken. Das
bleibt jedoch nicht nur bei der Hautfarbe:
„Blaue oder grüne Augen waren voll mein
Ideal. Ich habe mir sogar extra grüne
Kontaktlinsen gekauft“, erzählt Susanna.
Das passiert nicht selten in migrantischen
Communities in Österreich. Auch im Iran
und im westasiatischen Raum gelten vor
allem Frauen mit heller Haut und entweder
grünen oder blauen Augen als „schöner“
oder „besonderer“, weil sie dadurch
als ‚Weiß‘ markierte Features haben.
„
Ich fand mein
orientalisches Aussehen
früher nicht schön.
Schluss damit!
“ Gülden,24
„DECOLONIZE YOUR
BEAUTY-STANDARDS!“
In BIPoC-Communities werden Rufe
laut, diese kolonialen und kapitalistischen
Strukturen der Schönheitsideale
abzulegen. Nicht-weiße Frauen sollen
erkennen, dass die Standards von dem,
was sie als „schön“ empfinden, uns
eingetrichtert wurden und wir diese
Ideale internalisiert haben, ohne darüber
nachzudenken, woher sie eigentlich
stammen. „Decolonize your beautystandards!“
fordert, sich aktiv mit diesen
Konzepten auseinanderzusetzen und
damit die Vorstellungen von Schönheit
zu entkolonialisieren. Steh zu deinen
eigenen natürlichen Features!
Um eines aber klarzustellen: Ich bin
nicht hier, um die zu verurteilen, die sich
für eine Nasen-OP entscheiden – denn,
wenn etwas nicht einfach ist, dann
Unsicherheiten, die einem jahrelang von
anderen Menschen eingetrichtert worden
sind, abzulegen. Aber uns muss klar sein,
dass, wenn wir uns die Nase machen
oder sämtliche Körperhaare entfernen,
die Gründe dafür auch problematisch
sein können. Und so wird jeder bewusste
Schritt in Richtung Ablehnung kolonialer
Schönheitsideale ein radikaler Akt der
Liebe gegenüber uns selbst und unserer
Herkunft. ●
Zur Autorin: Sara Mohammadi ist 24
Jahre alt und hat iranische Wurzeln. Sie
ist Absolventin der biber-Akademie und
studiert Internationale Entwicklung. Sara
schreibt vor allem über Rassismus, Feminismus
und arbeitspolitische Themen.
40 / EMPOWERMENT SPECIAL /
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/ MIT SCHARF / 41
„Das gehört
sich nicht für
eine Somali“
42 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Sihaam Abdillahi ist 17 Jahre alt, politische Aktivistin
– und Teil der Somali-Community in Wien. In ihrem
Gastkommentar erzählt sie, wie sie sich trotz
der traditionellen und patriarchalen Werte ihrer
Community eine Stimme verschafft hat.
© Zoe Opratko
Schämst du dich nicht, dass
man dein Gesicht überall
sieht?“ – Sätze wie diesen
durfte ich mir von meiner
Community schon oft anhören. Ich bin
Somali und Aktivistin. Das eine schließt
für mich das andere nicht aus. Aber
mein Umfeld will es nicht verstehen.
Aufgrund der traditionalistischen Haltung
von vielen in der Community gibt es
sehr wenige somalische Flint*(Anm. d.
Red.: Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary,
Trans)- Personen, die sich den Raum
nehmen und ihre Geschichten erzählen.
Sie haben die Befürchtung, sie
könnten in Ungnade fallen. Unsere
Community ist so darauf versessen, dass
ein Mädchen nur dann wirklich glänzen
kann, wenn sie sich zurückhält. Das
heißt konkret: Wenn sie im Haushalt hilft
und die große weite und ein wenig verkorkste
Welt meidet. Nicht aufzufallen ist
eine Tugend, die jedes Somali Mädchen
besitzen sollte.
ICH VERSCHAFFE MIR
EINE STIMME UND NERVE
WEISSE ALTE CIS-
MÄNNER
Mein Aktivismus ist von meiner intersektionalen
(Anm. d. Red,: Intersektional
bedeutet die Überschneidung mehrerer
Diskriminierungskategorien) Identität
geprägt. Als schwarze Hijabi und als
Flint*-Person bin ich eine Zielscheibe
für rassistische, sexistische und faschistische
Sprüche und genau dagegen
kämpfe ich. Und obwohl meine Familie
sich mit meinem Aktivismus identifizieren
kann – immerhin behandle ich Themen
wie Antirassismus, Politik, oder Bildung
-, stellen sie mir immer die ein- und dieselbe
Frage: „Warum musst du diejenige
sein, die das thematisiert?“ Ich antworte
ihnen darauf, dass ich nicht länger auf
eine idealisierte Heldin, die mich repräsentiert,
warten werde. Ich will selbst
diese Heldin sein. Sie sind zwar nicht
begeistert davon, dass ich schon mit 17
derart politisiert bin. Ich habe ihnen aber
bewusst gemacht, dass ich sicher nicht
aufhören werde. Die Dickköpfigkeit liegt
in der Familie. Selbst als ich als erste
schwarze Hijabi Landesschulvertreterin
geworden bin und das eigentlich nur
zelebrieren wollte, ist es einigen negativ
aufgestoßen. Warum ist es so verwerflich,
gesehen und gehört werden zu
wollen, wenn weiße alte Männer unsere
Community als ein Pack voller gewalttätiger,
ungebildeter Asylanten darstellen?
Sollte nicht eine Lobeshymne gesungen
werden, wenn ich den Menschen
zeige, was unsere Community alles zu
bieten hat? Das einmalige und kaum zu
übertreffende Essen zum Beispiel, den
Zusammenhalt innerhalb der Community,
die Schönheit unserer Festtage
und unsere traditionelle Kleidung, die
unsere Verbundenheit zu unserem Land
repräsentiert. Oder liegt es schlicht und
einfach daran, dass ich eine weiblich
assoziierte Person bin?
Ich bin da draußen, verschaffe mir
eine Stimme und nerve weiße alte
Cis-Männer. Ich zeige ihnen mit meiner
Stärke und meinem Durchhaltevermögen,
dass ich hergekommen bin, um zu
bleiben. Und ich soll damit aufhören,
damit ich eine gute Hausfrau* werde?
Damit ich mir diktieren lasse, wie ich sein
soll? Sicher nicht.
ICH ENTFERNE TOXISCHE
MENSCHEN AUS MEINEM
LEBEN. NATÜRLICH
HÖFLICH, WIE SICH DAS
FÜR EINE SOMALI ZIEMT.
Am Anfang dachte ich, dass ich gezwungen
bin, eine Art Doppelleben zu führen.
Zu verheimlichen, dass ich auf Demos
gehe und meine Erfolge, wie beispielsweise
die Wahl in die Landesschulvertretung
oder auch den Sieg beim
Redewettbewerb „Sag‘s Multi“ oder auch
die Tatsache, dass ich im Landesteam
der Aktion Kritischer SchülerInnen Wien
bin, geheim zu halten.
Die somalische Community tendiert
dazu, zu denken, dass eine Flint*-Person
am besten aufgehoben ist, wenn sie
sich lediglich in den Kreisen ihrer Familie
aufhält. Kritisch und auffallend zu sein
würden nur der Reputation der Flint*-
Person schaden und nach außen sollte
sie wie ein stets eleganter, zurückhaltender
Schatten sein, der weder gesehen,
noch gehört wird.
Aber das widerspricht meiner Natur.
Ich liebe es, auf Demos zu gehen, und
ich feiere gerne mit meinen geliebten
Menschen meine hart erarbeiteten Erfolge
und auch Niederlagen. Wie kurz nach
dem Terroranschlag im November, als ich
kurz davor war aufzugeben, weil ich es
nicht mehr geschafft habe, mich von den
Hassnachrichten nicht treffen zu lassen.
Ich habe aufgehört, toxische Menschen
– seien es Leute aus der somalischen
Community oder die alten weißen
Männer, die mich verunsichern möchten
und mich meiner Stimme und meiner
Stärke berauben wollen – zu rechtfertigen.
Manche Menschen in meiner
Umgebung wollen mich daran hindern,
ich selbst zu sein, und deshalb spreche
ich ihren Meinungen jeglichen Wert ab.
Ich weiß, wer ich bin und wohin ich will,
und was ich will – das ist alles, was zählt.
Und so entferne ich sie aus meinem
Leben. Natürlich mache ich das höflich,
wie sich das für eine Somali ziemt. ●
Zur Autorin: Sihaam Abdillahi ist 17
Jahre alt, Landesschülervertreterin und
politische Aktivistin. Sie setzt sich für
Selbstbestimmung und Ermächtigung
junger Frauen ein.
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 43
NEHMEN WIR
DEM SCHWARZ
DIE KRAFT.
© Zoe Opratko, Jonathan Friolo / Zuma / picturedesk.com, Milan Amini
MEINUNG
Die armen,
frustrierten
Karrieremänner
Wenn du als Frau noch keine dreißig bist
und dabei eine relativ stabile „Karriere“ am
Laufen, jedoch keinen Freund hast, dann
ist da bestimmt etwas faul. Erstens: Welche
Karriere? Ich tue das, was ich liebe,
und bekomme auch noch Geld dafür. Das
ist für mich meine „Karriere“. Zweitens:
Das mit den Beziehungen, die ewige Leier.
Ich mochte die noch nie und das ändert
sich mit dem Alter auch nicht. Es hat eh
tausend Gründe, aber dafür müssten wir
die Seitenzahl dieser Ausgabe ins Unendliche
vervielfachen. Ich bin nicht frustriert,
ich mag einfach nicht. Ich bin so eine Art
extrovertierter Einsiedlerkrebs. Nach dem
Motto: Bist eh leiwand, aber lass mich
dann irgendwann halt in Ruhe. Umgekehrt,
wenn ich mir Männer in meinem Alter
ansehe, die alleine leben, single sind und
für ihren Job brennen – die müssen sich
dafür nie rechtfertigen. Bei mir hingegen
heißt es: „Also langsam frage ich mich
echt, was mit dir nicht stimmt.“ Eh so einiges
nicht, sicherlich, danke der Nachfrage.
Aber was mich mehr beschäftigt: Was ist
mit den Männern? Den armen, frustrierten
Karriere-Powermännern, die keine Frau
haben? Fragt doch mal bei denen nach.
Bei den Armen muss ja so viel schieflaufen.
tulej@dasbiber.at
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Von Aleksandra Tulej
Haut-Retter
TEEBAUMÖL,
ICH LIEBE DICH
Wie heißt es so schön: Ein
Pickel kommt selten allein. Den
Spruch habe ich jetzt erfunden,
aber hear me out: Ich habe
wochenlang reine Haut und dann
beschließt mein Gesicht, dass
das zu viel des Guten war und
liefert mir Pickel an den besten
Stellen: Stirn, Nasenspitze, Kinn.
Schön präsent. Das ist die Strafe
dafür, dass ich als Teenager keinerlei
Hautprobleme hatte. Oder,
dass ich mich halt abwechselnd
von Döner und Redbull ernähre.
Aber wie dem auch sei. Die
Wunderwaffe: Teebaumöl aus der
Apotheke. Es wirkt antiseptisch
und antibakteriell – und riecht
auch noch extrem gut und wohltuend.
Einfach mehrmals täglich
auftupfen, und schon sind die
Unreinheiten verschwunden. Bis
zum nächsten Mal halt.
3 FRAGEN AN:
KANAK IZ DA
Schadi gibt euch in seinem
Podcast „Kanak Iz da“
Life-Tipps der anderen Art.
Auf Instagram findet ihr
Schadi unter: kanak_iz_da
BAM,
OIDA:
VON DUTCH-
TRUCKER-CAP
Ein klassischer Fall von: Was ist peinlich,
wenn du arm bist, aber cool, wenn du reich
bist?
Richtig, eine Trucker-Cap mit Riesen-Logo
drauf. Während in Wien erst nach 2007
die aus dem Nichts aufgetauchten Krocha
diese Sparte für sich vereinnahmten, trug
2006 in Hollywood jeder, der etwas auf sich
hielt, eine Trucker-Cap. Am besten von der
Kultmarke Von Dutch. Seither hat niemand
mehr etwas von dieser Marke gehört, aber
sie existiert tatsächlich noch. Was so besonders
an diesen stinknormalen Kappen war,
die nicht einmal außergewöhnlich gut genäht
waren? Amerikas It-Girls haben sie getragen.
Mein 13-Jähriges Ich musste damals
natürlich auch so eine besitzen. Ich habe
sie getragen, bis die Krocha es mir vermiest
haben. Oida.
Schadi, in deinem Podcast behandelst du u.a.
Themen wie Beziehungen, Life-Hacks, gelegentlich
Insider-Stories aus dem Deutschrap ‚biz‘:
Was kommt am besten an?
Man glaubt, Deutschrap siegt im Internet.
Aber es ist wie auch im echten Leben eher
das Thema Beziehungen. Beziehung zu sich
selbst, zur Familie oder zur großen Liebe,
alles Beziehungen über die man gerne redet
und sich austauscht. Ich behandle aber gerne
Persönlichkeits entwicklung, aber eben auf cool
und nicht so Fachsprachen-Scheiße. Bildung
ohne Niveau also!
Wer ist deine Zielgruppe?
Junge Leute bis 35 Jahren mit Migrationsbackground.
Ich habe auch eine 55-jährige
Schweizerin als großen Fan, sowie 12-jährige
ur-deutsche Kinder. Alles dabei.
Wie kommst du zu deinen Inhalten?
Es ist immer das, was ich grad erlebe und
fühle. Mal ist es mehr über Frauen, mal ist es
mehr über persönliche Motivation.
/ LIFESTYLE / 45
DER CLUBHOUSE-CLAN:
EIN BISSCHEN GEHT NOCH.
Streitigkeiten arabischer Clans,
nervige Start-Up-Gründer und
ein kaputter Schlafrhythmus:
Redakteurin Aleksandra Tulej
hat eine Woche lang jede
Nacht in der Clubhouse-Sekte
verbracht. Und langsam
braucht sie Detox. Aber
ein bisschen geht noch.
Text: Aleksandra Tulej,
Collage: Zoe Opratko
Ich habe seit einer Woche
jeden Tag meinen Wecker
verschlafen. Der Grund?
Scheinbar habe ich jetzt einen
zweiten Vollzeitjob: Tagsüber bin ich
als Journalistin tätig, meine Nachtschichten
schiebe ich neuerdings auf
Clubhouse - der App, die gerade alle
in meinem Umfeld ohne Ende hypen.
Die Phase wird sich nicht lange
halten. Aber noch habe ich nicht
genug. Da kann man doch noch was
rausholen. Das Konzept von Clubhouse
ist im Prinzip ganz banal: Es
ist eine Drop-In-Audio-App, auf der
Menschen in virtuellen Räumen
miteinander verschiedenste Themen
diskutieren können. Der Haken: Du
brauchst ein iPhone – die App gibt
es momentan nur für iOS. Und eine
Einladung – von einer Person, die
bereits auf der App aktiv ist. Da meine
Freunde genau solche Hype- und
Konsum-Opfer sind wie ich, war das
aber keine Hürde. Ein paar Klicks und
schon wurde ich Teil dieser pseudoexklusiven
Sekte.
DER GUTE ALTE
LOVEROOM 69
Die App ist ja eigentlich zum Networken
gedacht: Man findet allerhand
Talks zu politischem Tagesgeschehen,
Marketing, oder Start-Up-Gründer-Chats,
in denen dir Hamburger
Typen namens Nils versichern, sie
würden mit DER innovativen Idee für
biologisch abbaubare Tischtennis-
Tische kurz vor dem Durchbruch
stehen. Immerhin haben sie ja
alle Entrepreneur in ihrer Bio stehen.
Die sind aber super fad. Gut - mir ist
halt auch fad, weil Lockdown. Und
so lande ich eines nachts in Farid
Bangs „Loveroom 69“ – Eine Art
Speeddating, Deutschrapper Farid
spielt den Kuppler. Die Frauen sehen
alle zwanzig mal geiler aus als ich,
keine Chance. Raus hier. Ich überlege,
es gut sein zu lassen und wie in
den guten alten Zeiten anno 2020
BC (before Clubhouse – Danke, ich
cringe selbst über meine Erfindung.)
ein Buch zu lesen.
DIE NÄCHTLICHEN
CLAN-TALKS
Auf meinem Nachtkästchen liegt
„Die Macht der Clans“. Inhalt: Die
kriminellen Machenschaften arabischer
Großfamilien wie Abou-Chaker,
Miri und Rammo. Geschrieben von:
Claas Meyer-Heuer. Noch ein letzter
© unsplash.com, pexels.com, Britta Pedersen / dpa / picturedesk.com
46 / LIFESTYLE /
Blick aufs Handy: Mir poppt just in der
Sekunde ein Room auf, in dem besagter
Arafat Abou-Chaker, der halbe Miri-Clan
und Claas Meyer-Heuer von Spiegel-TV
ihre Diskrepanzen öffentlich austragen.
Vor über dreitausend Menschen. Das
muss Schicksal sein. Wozu soll ich
darüber lesen, wenn ich mir das auch
live und unzensiert ins Ohr geben kann?
Und so vergehen vier Stunden, in denen
ich gemeinsam mit tausenden anderen
diesem voyeuristischen Spektakel beiwohne.
Wo sonst bekommst du mit, dass
sich Arafats Anwältin und Fler gegenseitig
überschreien? Wo sonst hörst du, wie
sich jüngere Clan-Mitglieder beschweren,
dass sie aufgrund ihres Nachnamens
keinen Studienplatz bekommen? Es fühlt
sich an, als würdest du einem Streit auf
der Straße zusehen – aber aus sicherer
Entfernung. Wieder ist es fast fünf Uhr
morgens. Aber das war es wert.
IST STAUBSAUGEN ALS
MANN HARAM?
Als ich am nächsten Tag die Redaktionssitzung
verschlafe, macht sich die erste
Red Flag meines Doppellebens bemerkbar.
Aber egal. Das war doch nur einmal,
ich kann jederzeit aufhören. Heute gehe
ich früher ins Bett. Fehlanzeige. Während
sich untertags auf Clubhouse nur die
Start-Up-Talks der Entrepreneur-Nils-
Clans häufen, wird es - wie so Vieles
– erst spannend, wenn die guten Bürger
schon schlafen. Mein Algorithmus ist
jedenfalls nachtaktiv. Ich könnte mich ja
zu Bitcoins und „Medienmenschen Vernetzung“
informieren, aber irgendeine
unerklärliche Kraft treibt mich in Räume
mit klingenden Namen wie „Ist Staubsaugen
als Mann haram?“ Ge bitte - ich
sollte einfach schlafen gehen.
ES IST WIE EINE RIESIGE,
NERVIGE WG. ABER MAN
WILL NICHT AUSZIEHEN.
Aber: Meine Clubhouse-Kontakte erwachen
um circa ein Uhr nachts zu ihrer
Prime Time. Ich fühle mich wie in einer
riesigen WG, in der ständig jemand an
meine Tür klopft. Oder, um es in Clubhouse-Jargon
zu sagen: „In den Room
pinged.“ Niemand zwingt mich, aufzumachen.
Außer ich mich selbst. Ausziehen
will ich auch nicht, ich hab die Menschen
ja irgendwie lieb. Und dann geht es
richtig los. Diskussionen über Gott und
die Welt – wortwörtlich – die katholische
Kirche und Kannibalismus. Es ist
wie Freunde treffen, nur ohne Freunde
zu treffen. Der nächste Gedanke: Wozu
machen wir das eigentlich öffentlich?
Damit unschuldige fremde Menschen
beitreten und sich fragen, was das für
ein Haufen Verwirrter ist? Kann mir egal
sein. Die Sekten-Exklusivität steigt zu
Kopf. Man könnte die App natürlich auch
seriös nutzen, aber was heißt heutzutage
schon seriös. Der Hype um die App wird
sich, denke ich, nicht lange halten – für
Lockdown-Zeiten ist es aber eine willkommene
Abwechslung. Vielleicht finde
ich in Farids Loveroom 69 ja die Liebe
meines Lebens – einen Enterpreneur-Nils
oder ein missverstandenes Clan-Mitglied.
Wir sehen uns dann in einem Monat auf
meiner Hochzeit, oder in der Clubhouse-
Aussteiger-Selbsthilfegruppe wieder.
Aber ich muss jetzt weiter, irgendwer hat
wieder einen neuen Room aufgemacht.
Nur kurz. Ein bisschen geht noch. Ihr
wisst ja, wo ihr mich findet. ●
CORONA
DIE STIRN
BIETEN!
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Im Rahmen der Corona-Joboffensive bietet das Arbeitsmarktservice Wien jetzt verstärkt zahlreiche
Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung an. Die österreichische Bundesregierung hat dafür
zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Das bringt den Arbeitsmarkt und uns alle #weiter
Jetzt informieren: www.ams.at/jetztweiterbilden oder Weiterbilden-Hotline 050 904 944
Ihr Arbeitsmarktservice Wien
„Ich bin hier nicht der Jugo.
Ich bin hier der Quotenmann.“
Endometriose, Clown-Contouring und eine Clutch – was viele Männer nicht
einmal buchstabieren können, gehört zu seinem Tagesgeschäft. Die WIENERIN
hat seit Anfang 2021 einen neuen stv. Chefredakteur. Der ist nicht nur ein Mann,
sondern auch ein „Jugo“. Im biber-Interview spricht Ljubiša Bušić über Frauen,
Männer und verrät, warum er der Typ „überintergiert“ ist.
Interview: Delna Antia-Tatić, Foto: Susanne Einzenberger
DASBIBER: Herzliche Gratulation zur
neuen Position. Gab es eigentlich Bedenken,
wenn ein Mann Teil der Chefredaktion
wird – oder ist das ein Zeichen von
Feminismus?
LJUBIŠA BUŠIĆ: Ich würde es als Zeichen
von Feminismus sehen: Dass wir
keine Grenzen ziehen und sich auch ein
Mann mit feministischen Themen befasst
– und keine Berührungsängste hat.
Habt ihr eine Obergrenze für Männer?
(lacht) Nicht dass ich wüsste. Das Thema
hatten wir noch nie. Ich bin bis jetzt
immer der eine Quotenmann gewesen.
Bist du auch der Quotenmigrant?
Nein, bin ich nicht. Wir haben in der WIE-
NERIN andere Redakteurinnen mit Migrationshintergrund.
Es war der WIENERIN
immer wichtig, divers zu sein.
Wie geht es denn Frauen 2021 in Österreich
und was steht auf deiner Agenda?
Ganz groß steht da natürlich, wie sehr
Corona die Ungleichheit gezeigt hat und
die Belastungen für Frauen noch größer
gemacht hat. Stichwort: Homeschooling,
Care-Arbeit, unbezahlte Arbeit etc.
Nach sechs Jahren als Insider - würdest
du dich als Frauen-Experte bezeichnen?
Immerhin bist du sicher einer der wenigen,
der Endometriose buchstabieren
kann.
Ja, das kann ich. (schmunzelt) Ich würde
mich trotzdem nicht als Frauenexperte
bezeichnen, sondern, dass ich keine
Scheu vor „Frauenthemen“ habe.
Was sind denn Frauenthemen? Ich
selbst ärgere mich manchmal über diese
Schublade und denke mir, das sind doch
Gesellschaftsthemen.
Deswegen habe ich auch unter Anführungszeichen
gesagt. Das Lustige ist ja:
Als ich mich bei der Wienerin beworben
habe, hatte ich überhaupt nicht erwartet,
der einzige Mann zu sein. Ich habe
die Inhalte des Magazins gar nicht als
Frauenthemen gesehen. Für mich war
die WIENERIN mehr ein Lifestyle-Magazin
und da ging es um gutes Leben, um
Genuss und Self-Care.
Wie ist es denn ausschließlich mit Frauen
zusammenzuarbeiten?
Für mich macht es keinen Unterschied,
ob ich jetzt mit 20 Frauen oder Männern
arbeite, ich muss mich immer auf die
Leute einlassen. Vor der WIENERIN war
ich bei KOSMO. Da gab es nur Typen, aus
allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.
Aber auch dort war ich der Fremde,
ich war der Schwabo. Die KOSMO-
Redakteure waren alle viel mehr in der
Ex-Yu-Community verwurzelt. Ich war
tatsächlich der pünktlich kommende und
korrekte, strebsame Schwabo-Kollege
und musste auch dort ganz viel lernen.
Bist du dann umgekehrt hier bei der
Wienerin der Jugo?
Ich bin hier nicht der Jugo. Ich bin ein
Mann bei einem Frauenmagazin.
Was heißt das?
Dass ich Vieles zu lernen habe und Vieles
nicht kenne. Stichwort: Clown-Counturing,
Keypieces. Ich weiß jetzt, was
eine Clutch und was Endometriose ist.
Trotz „Überintegration“ – wo kommt
denn der Jugo in dir raus?
Beim Essen. Fleisch, Fleisch, Fleisch und
immer wieder Burek.
Klischeefrage: Aber was sagt die Familie
unten zu deinem Job beim Frauenmagazin?
Die Familie unten hat das nicht so ganz
verstanden, was ich da mache und
denkt, ich arbeite bei einem Modemagazin.
Stolz sind sie natürlich trotzdem,
dass ich hier weiterkomme.
In Österreich bezeichnen sich junge, linke
Männer selbstverständlich als Feministen
– ist das in Bosnien auch so?
Das glaube ich nicht. Sicher gibt es
schon welche, aber es ist noch nicht so
Mainstream wie hier.
Wir reden grad viel über Männer versus
Frauen, dabei ist diese Geschlechtereinteilung
längst überholt. In Deutschland
wurde das dritte Geschlecht eingeführt,
auf Instagram gehört es dazu das Pronomen
dazu zu schreiben und junge Frauen
bezeichnen sich als Flint-Personen und
bekämpfen den Cis-Mann. Steht das
Geschlecht in Zeiten des Gender-Queer
weniger im Vordergrund oder bräuchte
die WIENERIN ein Sternchen* am Cover?
…ein Sternchen am Cover – müssen
wir uns überlegen. (lacht) Wir sind ein
feministisches Magazin, so gesehen ist
das Geschlecht natürlich ein Thema, an
dem wir uns viel abarbeiten. Dass das
jetzt fließender wird, schließt ja nicht aus,
48 / LIFESTYLE /
dass man sich trotzdem damit beschäftigt
und es irgendwie ein Teil der Identität
ist. Fließend bedeutet ja nicht, dass
ich kein Mann mehr bin, sondern dass
ich ein Mann bin und aber trotzdem
Yoga mache und Mandalas ausmale.
Was sagst du zur Frauenquote?
Bin ich dafür. Sie ist notwendig und
man kann sie definitiv einer Regierung,
den öffentlichen Einrichtungen und
größeren Konzernen zumuten. Vielleicht
nicht jeder kleinen Firma ums Eck, aber
jenen, die groß in der Gesellschaft eine
Funktion haben, sollten doch eine Verantwortung
übernehmen und nicht nur
draufschauen, was für sie bequem ist.
Was hältst du von einer Migrantenquote?
Da hätte ich nichts dagegen.
Am 8 März ist Frauentag, am Balkan
eine große Sache und traditionell gibt es
Blumen. Warum braucht es diesen Tag
und schenkst du einen Strauß?
Klar braucht es den Frauentag, aber
Blumen schenke ich nicht. Auch nicht
meiner Mama, obwohl sie es sich wohl
so vorstellen würde. Aber das ist eine
Verwechslung mit dem Muttertag und
Valentinstag. Der Frauentag ist ein politischer
Tag, wo es nicht darum geht, dass
man lieb ist zu Frauen, sondern dass
Frauenpolitik in den Mittelpunkt rückt.
Zum Schluss, verrätst du uns dein
Beauty-Geheimnis?
Natürlich, ausreichend Schlaf und viel
frisches Wasser.
Ljubiša Bušić, stv. Chefredakteur und
erster Jugo-Mann bei der „Wienerin“
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Anna Jandrisevits
MEINUNG
Für mehr Solidarität
Zum Thema Frauen und Karriere könnte ich
über Vieles schreiben. Etwa über das Homeoffice,
das für viele Frauen ein beruflicher
Rückschritt ist, weil Betreuungspflichten und
Hausarbeit an ihnen hängen bleiben. Oder
über Frauen, die gar nicht im Homeoffice sein
können, weil sie in systemrelevanten Berufen
tätig sind, in denen sie weder ausreichend
bezahlt noch wertgeschätzt werden. Statt
mich dem Comeback traditioneller Geschlechterrollen
zu widmen (vielleicht waren sie nie
weg?) oder der geringen Wertschätzung von
überwiegend weiblich besetzten Berufen,
möchte ich dieses Mal die Aufmerksamkeit
auf Frauen und Organisationen lenken, die
unsere Teilhabe und Unterstützung brauchen,
damit strukturelle Ungleichheit in der
Gesellschaft irgendwann ein Ende nimmt. Die
Frauendomäne ist eine kostenlose Datenbank
für Expertinnen aus allen Fachbereichen,
damit die Ausrede, man hätte keine weibliche
Expertin gefunden, endgültig hinfällig ist.
Im Podcast Große Töchter spricht Beatrice
Frasl mit weiblichen Gästen über Feminismus,
Geschlecht und Gleichbehandlungspolitik. Die
Schwarze Frauen Community ist ein Verein,
der schwarze Frauen, Kinder und Jugendliche
begleitet, fördert und berät. Mit der Aktion
#ReframingQuotenfrau fordert das Frauennetzwerk
Medien auf allen Ebenen Frauenquoten
von 50%. Die Liste geht endlos weiter,
unsere Solidarität ist gefragt. Für mehr fehlt
mir jetzt erst mal der Platz, aber die nächste
Kolumne kommt bestimmt.
jandrisevits@dasbiber.at
FOMO („FEAR OF MISSING OUT“)
WAR GESTERN!
Die Tage werden länger, die Motivation steigt und auch die VHS
startet wieder mit tausenden Kursen ins neue Semester. Nach
dem etwas längeren Winterschlaf zwischen Netflix und Co. ist
es wieder an der Zeit, um voll durchzustarten. Keinen Plan wie´s
weitergehen soll? Mit dem zweiten Bildungsweg der VHS kann
man günstig und unkompliziert den Bildungsabschluss nachholen.
Ob Pflichtschulabschluss, Berufsreifeprüfung oder Studienberechtigungsprüfung
– auf vhs.at/de/bildungsabschluesse findet ihr alle
wichtigen Infos auf einen Blick! Jetzt gibt’s keine Ausreden mehr.
Tipps
WOMEN
EMPOWERMENT
Lesen: „Unsichtbare Hürden“.
Unsere Welt wurde von
Männern für Männer gemacht.
Caroline Criado-Perez erklärt, wie
ein System, das die Hälfte der
Bevölkerung ignoriert, funktioniert.
Ein starker Appell für
Veränderung.
Sehen: Insecure“. Die
Comedy-Serie begleitet zwei junge
Schwarze Frauen, die gemeinsam
die Herausforderungen
ihrer Karrieren und Beziehungen
meistern. Es geht sowohl um
Feminismus und Freundschaft,
als auch um Gesellschaftskritik
und Rassismus.
Hören: „Femality“. Das
feministische Radiomagazin auf
Radio NJOY 91.3 widmet sich
Themen aus Kultur, Politik und
Wissenschaft, und räumt dabei
mit Geschlechterstereotypen auf.
Jeden Mittwoch um 20 Uhr auf
91.3.
Projekt
des Monats
FAIR PLUS SER-
VICE
Frauen stehen in der Pandemie
be sonders häufig vor existenziellen
Herausforderungen. Noch immer
herrscht ein zu großer Unterschied
zwischen Männern und Frauen in
der beruflichen Entwicklung und nun
beeinträchtigt die Wirtschaftskrise
stark weiblich besetzte Bereiche
zusätzlich. Mehr denn je braucht es
Projekte, die für Chancengleichheit
und die Selbstermächtigung von Frauen
einstehen. Fair Plus Service zum
Beispiel ist ein kostenfreies Beratungsund
Coachingangebot für Unternehmen
aus dem Niedrig lohnsektor, die
besonders viele Frauen beschäftigen.
Das Projekt unterstützt Betriebe bei
der Aus- und Weiterbildung von
gering qualifizierten und dequalifiziert
beschäftigten Frauen. Das Projekt
erarbeitet Strategien, damit Betriebe
kompetente Mitarbeiterinnen gewinnen
und die Arbeitssituation von bildungsbenachteiligten
Frauen verbessert
wird. So leistet Fair Plus Service einen
aktiven Beitrag zur Gleichstellung von
Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt.
Gerne mehr davon!
www.fairplusservice.at
© Zoe Opratko
50 / KARRIERE /
IVOS WELT
Ivo Davidovski erzählt uns, warum
er das Studium zugunsten der neuen
Spar-Lehre abgebrochen hat und
gibt uns einen Einblick in seinen
Arbeitsalltag zwischen Regale
schlichten und Wurst aufschneiden.
Interview: Benjamin Jaffery, Foto: Eugénie Sophie
DASBIBER: Was hast du gemacht, bevor du bei Spar angefangen
hast?
IVO DAVIDOVSKI: Ich habe davor Wirtschaftsingenieurwesen
studiert. Als ich im zweiten Jahr mehr im Bereich
Softwareentwicklung machen musste, habe ich einen
Schlussstrich gezogen. Das war nämlich gar nicht so meins.
Und warum hast du dich dann für diese Stelle entschieden?
Bei Spar hab ich viele Aufstiegschancen. Die 2-jährige
Lehre nach der Matura bietet mir nicht nur einen sicheren
Arbeitsplatz, auch in Pandemiezeiten, sondern auch von
Anfang an ein super Einstiegsgehalt.
Wie sieht dein Arbeitsalltag hier aus?
Ich habe eine 38,5 Stundenwoche. Davon bin ich 28,5
Stunden in der Filiale. Aktuell arbeite ich bei den Milchprodukten,
davor war ich in der Obst- und Gemüseabteilung.
Die restlichen zehn Stunden verbringe ich mit Weiterbildung.
Dort wird mir theoretisches Wissen vermittelt, wie
z.B. das Bedienen einer Kassa oder richtiges Einschlichten.
Als nächstes bin ich in der Feinkostabteilung. Darauf bin ich
schon sehr gespannt.
Wie sieht die Ausbildung aus?
Alle paar Monate wechselt man Abteilungen, dort lernt man
die Basics. Alles verläuft nach einem fixen Plan, der wird
einem am Anfang der Ausbildung mitgeteilt. Dazu kommt
Büroarbeit und ein abschließendes Karrieregespräch. Darin
geht’s um die Ziele, die man als nächstes erreichen möchte.
Wohin führt dich deine Reise bei Spar?
Wir sind aktuell 18 Leute, die gerade die Ausbildung nach
der Matura machen. Die meisten streben eine Stelle als
Gebiets oder Marktleiter an. In die Richtung soll es auch bei
mir gehen, endgültig festgelegt habe ich mich aber noch
nicht.
Ist die Lehre in deinem Freundeskreis auch ein Thema?
Ja schon, viele meiner Freunde machen eine, aber ich bin
der Einzige der die Lehre nach der Matura macht.
Name: Ivo Davidovski
Alter: 27
Macht seit September die
zweijährige Lehre nach der Matura
/ KARRIERE / 51
Selbermacher
Zwei Schwestern
geben Wien-Favoriten
ein lang ersehntes
Kindergeschäft. Für
die beiden ein nachhaltiges
Heimspiel.
Text: Nada El-Azar, Fotos: Lisa Leutner
J
asmin und Melanie sind zwei waschechte
Favoritnerinnen. Die Schwestern,
35 und 41 Jahre alt, wuchsen
in der Per-Albin-Hansson-Siedlung auf und
bezeichnen den Bezirk als ihre Heimat.
Jeweils haben sie zwei Kinder und wohnen
im trendigen Sonnwendviertel in der Nähe
des Hauptbahnhofs. Die erste Idee für ein
Baby- und Kindergeschäft entstand vor
etwa fünf Jahren. „Uns fiel auf, dass es in
Favoriten eigentlich kein richtiges Kindergeschäft
gab und alle immer in die Stadt zum
Einkaufen fuhren. Dabei ist Favoriten die
drittgrößte Stadt Österreichs!“, so Jasmin.
Im Jahr 2019 eröffneten sie deshalb
„1100Kind“ in einem Gassenlokal beim Helmut-Zilk-Park.
Melanie, die Volksschullehrerin
ist, und Jasmin, die Soziologie studiert
hat, nahmen hierzu den Gründerservice der
Wirtschaftskammer Wien in Anspruch.
Wenn die
Krisenzeit zur
Trotzphase
wird
INDIVIDUELLE GESCHENKE
UND BERATUNG
„Unsere Produkte sind nachhaltig und
langlebig, selbstverständlich ist die Kleidung
aus Bio-Baumwolle“, so die ältere Schwester
Melanie, die auch Trageberatung für die
Kundschaft anbietet. Die hohen Regalwände
des Geschäfts bieten eine große Auswahl
an Spielzeug, Kleidung, Bilderbüchern,
Puzzles, Schuhen und praktischen Gadgets
für den Alltag, geeignet für Kinder im Alter
von 0 bis 12 Jahren. Gefördert werden
heimische Produzenten so gut es geht – der
Großteil des Sortiments wurde in Europa
produziert. Kleine Besonderheiten und
Geschenkideen abseits der großen Ketten
lassen sich bei „1100Kind“ leicht finden. Für
Erwachsene und angehende Mütter gibt es
liebevoll gestaltete Schwangerschaftsbü-
52 / KARRIERE /
cher und Grußkarten, sowie robuste Trinkflaschen,
die man mittels individueller Gravur
personalisieren kann. Durch die Coronakrise
wurden die Schwestern kreativ und setzten
auf Online-Beratungen über Social Media und
führten abends Lieferungen und Postsendungen
durch. „Gerade bauen wir unseren
Onlineshop auf und stehen in der Zwischenzeit
unseren Kunden weiterhin mit Rat und Tat
zur Seite.“
UNTERSTÜTZUNG AUS DER
BUNTEN NACHBARSCHAFT
Der Standort im lichtdurchfluteten
Sonnwendviertel bringt eine bunte
Mischung von Kunden ins Geschäft. „Viele
Menschen denken, dass hier im Viertel nur
Bobos wohnen, aber hier treffen so viele
unterschiedliche Menschen aufeinander“,
so die Schwestern. Durch Zufall sind beide
von ihnen mit türkischstämmigen Männern
verheiratet. „Es ist natürlich ein großer
Vorteil für das Geschäft, wenn man mit den
türkischen Kundinnen einige Worte in ihrer
Sprache wechseln kann“, grinst Melanie. Wir
finden: Ein Ausflug mit Kind nach Favoriten
lohnt sich auf alle Fälle.
Bei 1100Kind ist für Kleine und Große
Schönes zu finden.
1100Kind
Sissy-Löwinger-Weg 5/4
1100 Wien
www.1100kind.com
WKO-WIEN HILFT
Im Gründerservice der
WKO-Wien kann man bei
einem Beratungsgespräch
alle Fragen stellen, die die
Gründung eines Unternehmens
betreffen. Im Vorhinein
kann man sich auch
schon eigenständig online
informieren. Ob generelle
Tipps zur Selbstständigkeit,
rechtliche Voraussetzungen,
Amtswege oder
Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:
Auf
der Website kommt man
mit wenigen Klicks zu allen
wichtigen Informationen.
wko.at/wien
www.gruenderservice.at
Die Selbermacher-Serie ist
eine redaktionelle Kooperation
von das biber mit der
Wirtschaftskammer Wien.
Jetzt online informieren.
© philipp nemenz/Shutterstock
VON DER IDEE
BIS ZUR GRÜNDUNG
» GRÜNDUNG UND ÜBERGABE
» Basis-Informationen und Tools zur Gründung
finden Sie auf unserer Webseite.
© Randy Faris/Corbis
W www.gruenderservice.at/wien
GEGENDARSTELLUNG
„DAS ENDE EINES GENERATIONEN-FLUCHS“
Gegendarstellung von Metin K. zum Beitrag von Berfin Marx mit dem
Titel „Das Ende eines Generationen-Fluchs“ in der biber Winter-Ausgabe
2020 und Online-Veröffentlichung am 2.12.2020
„In der biber Printausgabe vom Dezember 2020
sowie auf der biber-Website wurde ein Beitrag
der Online-Aktivistin Berfin Marx veröffentlicht. In
diesem Beitrag erzählt sie die Lebensgeschichten
ihrer Mutter und Großmutter und deren Auswirkungen
auf ihr eigenes Leben. Berfin Marx berichtet,
dass ihre Großmutter und ihre Mutter mit 15
Jahren zwangsverheiratet wurden. Ihr Vater soll 15
Jahre älter sein als ihre Mutter. Angeblich standen
Gewalt, Vergewaltigung und Alkoholmissbrauch auf
der Tagesordnung.
Diese Anschuldigungen entsprechen nicht der
Wahrheit.
Die Mutter war bei der Heirat 21 Jahre alt und
die Eheschließung erfolgte im beidseitigen Einverständnis.
Auch ist der Vorwurf der Anwendung
jeglicher Art von Gewalt und der missbräuchliche
Konsum von Alkohol völlig haltlos!
Aus staatlich ausgestellten Dokumenten geht
hervor, dass der Altersunterschied zwischen dem
Vater und der Mutter von Berfin Marx nicht wie
angegeben 15 Jahre beträgt, sondern nur knapp
6 Jahre. Zudem war die Mutter bei der Heirat nicht
15, sondern 21 Jahre alt!
Die Mutter wurde von ihrem Onkel nach Stuttgart
geholt, damit sie bessere Zukunftschancen hat
als in der Türkei. Dort wurde sie wie die eigenen
Kinder behandelt. Auch die Vorwürfe gegen die
Verwandten in Deutschland sind völlig haltlos.
Um seiner Ex-Frau ein eigenes Einkommen zu
ermöglichen, hat Herr Metin K. den Kredit für ihren
Frisörsalon aufgenommen. So konnte sie ihren
Traum verwirklichen. Selbst nach der Scheidung
wurde der Kredit von Herrn Metin K. weiterbezahlt,
damit seine Töchter keine finanziellen Einbußen
spüren. Zudem hat Herr Metin K. etliche Jahre vor
der Scheidung seine Ex-Schwiegermutter nach
Österreich geholt, um seine Ex-Frau zu entlasten.
Berfin Marx hat viele Tanten und Cousinen, die
Akademikerinnen sind und ein emanzipiertes Leben
führen.
Berfin Marx stellt sich im Beitrag als Feministin
dar und als erste Frau in ihrer Familie, die nicht
zwangsverheiratet wird und sich ihrer Bildung widmen
kann. Diese Darstellung ist unwahr. Mehrere
Tanten und Cousinen ersten Grades sind Akademikerinnen,
die ein selbstbestimmtes Leben führen.
Der Vater, Herr Metin K., hat alles in Gang gesetzt,
damit seine Töchter über den Bildungsweg den
sozialen Aufstieg schaffen und ein emanzipiertes
Leben führen können. Auch nach der Scheidung
hat er regelmäßigen Kontakt zu seinen Töchtern
gehalten.
Offensichtlich hat Berfin Marx beabsichtigt,
über eine erfundene Familiengeschichte und die
Selbstinszenierung als Opfer die eigene Popularität
zu erhöhen und die eigene Reichweite in den sozialen
Medien zu steigern.“
STELLUNGNAHME VON BIBER
Die biber-Redaktion entschuldigt sich hiermit bei der Familie K., besonders bei Herrn Metin K., bei den Verwandten
der Familie in Österreich, in der Türkei und in Deutschland für die Veröffentlichung des Gastbeitrages
und den möglicherweise entstandenen Eindruck, dass die Darstellung von Berfin Marx von der biber-Redaktion
mitgetragen würde. Das ist nicht der Fall. Sollte dies missverstanden worden sein, erklären wir hiermit ausdrücklich
unsere Distanzierung als auch Entschuldigung.
Hiermit veröffentlichen wir die Gegendarstellung von Herrn Metin K. und seiner Familie in unserem Medium.
Darüber hinaus wird sich biber in Zukunft nicht weiter mit dieser Angelegenheit befassen. Im Sinne einer
Distanzierung wird biber dieses Thema journalistisch nicht behandeln. Auch werden zu diesem Thema keine
weiteren Gastbeiträge von Berfin Marx oder anderen Dritten veröffentlicht. Sollten in Zukunft Gastbeiträge von
Berfin Marx erscheinen, werden diese ausdrücklich und unmissverständlich als Gastbeiträge gekennzeichnet.
Gastbeiträge, die die Familie betreffen, werden nicht veröffentlicht.
54 / MIT SCHARF /
© Marko Mestrovic, E Ink Holdings, Cyberpunk, Space X
MEINUNG
Kaputte
Spielebranche
Ausbeutung, Sexismus und Missmanagement.
So oder so ähnlich könnte man die
Welt hinter der glitzernden Fassade der
Spieleentwicklung beschreiben. Berichte
über bis ans Ende geschundene MitarbeiterInnen
vor Veröffentlichungen, über latenten
Sexismus und herumirrendes Management
wollen nicht abreißen. Das letzte Beispiel
dafür: Das Chaos um Cyberpunk 2077.
Das vielversprechende Spiel wurde von
der Gamingwelt heiß herbeigesehnt und
hat herb enttäuscht. Die EntwicklerInnen
wurden beschimpft, bedroht und runtergemacht.
Dabei waren es das Management
und Marketing, die das Spiel totgehyped
haben – die EntwicklerInnen haben nur
die Rechnung kassiert. Auch bei Amazon
Game Studios soll die Lage nicht rosig sein:
Grabenkämpfe und Streit im Management
haben vielversprechende Veröffentlichungen
versenkt, kreative Köpfe schmeißen
ihre Jobs hin. Leute, was ist los?
Gerade in einer Zukunftsbranche
sollten doch altbackene Traditionen
überwunden sein und das Management
auf das Team hören – und nicht
blindlings in das nächste Desaster
laufen! Anscheinend gilt das Sprichwort,
dass man nur aus dem eigenen
Schaden klug wird, auch im 21. Jahrhundert.
bezeczky@dasbiber.at
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
Digitale
Bekleidung
Die Unternehmen „Plastic Logic“ und
„E-Ink“ haben sich zusammengetan,
um farbenfrohe, stromsparende und vor
allem biegsame E-Ink Displays herzustellen.
Damit könnten in der Zukunft
auch smarte Kleidungsstücke versehen
werden. Wer glaubt, dass dies „nur mal
wieder mehr Elektroschrott“ bedeutet,
möge kurz innehalten: Wie wäre es,
wenn dadurch weniger Textilien erzeugt,
geliefert und schlussendlich weggeschmissen
werden müssten – weil man
das Aussehen mit einem Tastendruck
verändern könnte? Zudem könnten diese
Anzeigenfelder auch mit smarten Geräten
gekoppelt werden, die bei Notfällen
automatisch für Aufmerksamkeit sorgen.
Solarzellen-
Sandwich
Forscher des Helmholtz-
Zentrums in Berlin haben
die zwei herkömmlichen
Arten von Solarzellen
übereinander gelegt – und
steigern den Leistungszuwachs
bei „billigen“ Solarmodulen
auf 29 Prozent.
Für die Zukunft (und die
Natur) bedeutet das mehr
Energie aus günstigeren
Solarzellen, womit wir der
nachhaltigen Energieerzeugung
wieder einen
Schritt näher kommen.
MAL
WIEDER
ÄRGER
FÜR MUSK
Elon Musk hat mal wieder
Ärger. Diesmal mit seiner
Raumfahrtfirma SpaceX
und der US Flugbehörde.
Offensichtlich wurde beim
Test des letzten Spaceship-Modells
getrickst,
jetzt schaut ihnen die
Behörde besonders genau
auf die Finger. Folge:
Startverzögerungen für
das Modell SN9 und
SN10.
/ TECHNIK / 55
KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
MEINUNG
Freakshow auf
Russisch
Ich, eine Araberin, habe Slawistik studiert.
Ja, sogar fertig studiert! Für viele Leute ist
das etwas so Außergewöhnliches, ja fast
Unbegreifliches. Ich frage mich, ob man all
die „Autochthonen“ im Romanistik- oder
Skandinavistik-Institut nicht auch mit Aussagen
à la „warum nicht Germanistik?“ nervt,
so wie mir Leute die Orientalistik an den
Kopf werfen. Nun aber habe ich den wahren
Nutzen des jahrelangen Russischlernens
entdeckt: Reality TV-Shows. Allem voran
steht ein würziges Format namens „Давай
поженимся!“ („Lass uns heiraten!“), in dem
seit dem Jahr 2008 liebeswillige Singles
nach dem idealen Partner suchen. Zwei
zynische Kupplerinnen stellen dem Kandidaten
drei potenzielle PartnerInnen vor. Sie
erzählen von ihren Affären in der Vergangenheit,
sind ehrlich über ihre Macken – oft
ein wenig zu ehrlich. Die Buhler müssen
nicht nur sympathisch sein, sondern stellen
auch ihre Talente zur Schau. Auch wenn sie
keine haben. Frauen, die ein wenig zu oft
beim Beauty-Doc gewesen sind, gehören
genauso zur Klientel, wie Männer, die teilweise
noch bei ihrer Mutter wohnen. Es ist
schlicht gesagt eine absolute Freakshow –
unterhaltsam bis fremdschamerregend. Das
perfekte Lockdown-Programm eben.
el-azar@dasbiber.at
Netflix Tipp
Lupin
Assane Diop wächst als
Sohn eines einfachen senegalesischen
Chauffeurs für
eine wohlhabende Familie
in Paris auf. Im Jahr 1995
wurde sein Vater zu Unrecht
des Diebstahls eines kostbaren
Colliers bezichtigt und
landet im Gefängnis. Diops
Vater begeht scheinbar Suizid in seiner Zelle – Assane wird mit 14 Jahren zur
Vollwaise. 25 Jahre später taucht das Schmuckstück wieder auf. Assane, der
in jungen Jahren von seinem Vater Bücher über den französischen Meisterdieb
Arsène Lupin bekam und der mittlerweile seine tiefe Faszination für diese literarische
Kultfigur mit seinem Sohn teilt, begibt sich mit den raffiniertesten Tricks
auf die Suche nach der Wahrheit und will Gerechtigkeit für seinen Vater. Omar
Sy („Ziemlich beste Freunde“) brilliert in der Hauptrolle als moderner Trickster.
Staffel 1 jetzt auf Netflix sehen!
Ausstellungstipp
CORONAS
AHNEN
In der Kaiserlichen Wagenburg
dreht sich alles um Masken
und Seuchen am Wiener Hof
von 1500 bis zum Ende der
Spanischen Grippe 1918. Der
Bogen spannt sich um eine
jahrhundealte, lang verdrängte
Angst der Menschen vor
Seuchen. Aus aktuellem Anlass
leider eine notwendiger, dafür
aber spannende Reise in die
Vergangenheit.
Bis 11. April 2021 zu sehen!
© Christoph Liebentritt, Emmanuel Guimier / Netflix, KHM-Museumsverband, Nourhan Maayouf, Filmarchiv Austria
56 / KULTURA /
Fotos: shutterstock
Banal Complexities
Zwischen März und September veranstaltet philomena+
vier kollaborative Kunstinterventionen im öffentlichen
Raum. Im Fokus: Der 2. Bezirk zwischen Praterstern und
Volkertmarkt. Für die Projektserie kommen Kunstschaffende
aus Wien und Nordafrika zusammen. Im März/April
machen so Margareta Klose und Nourhan Maayouf ihre
„Grüne Pause“. Gefüllte Melanzani, eingelegte Gurken
und Schnitzel treffen am Volkertmarkt so auf die Themen
Rollenbilder und Migration. Geplant sind neben einer
Open-Air-Ausstellung mit Fotografien auch eine Reihe
partizipativer Workshops. Kuratiert von Christine Bruckbauer
und Aline Lenzhofer.
Mehr Informationen auf: www.philomena.plus
Probier‘s
jetzt
ONLINE!
Zeit für
Erfolgserlebnisse
Für alle, die sich einen langersehnten Wunsch
erfüllen wollen: Lernen Sie jetzt online bei den
Wiener Volkshochschulen Ihr Lieblingsinstrument!
Houchang Allahyari
Wie alle anderen Kinos wird das Filmarchiv vorerst
auf digitales Heimkino setzen müssen. Bis zum 18.
März kann man eine umfassende Retrospektive des
Filmwerks des 1941 in Teheran geborenen Regisseurs
und Psychiaters Houchang Allahyari sehen. Allahyari,
der als Jugendlicher nach Österreich auswanderte,
thematisiert Flucht und Asyl mit humoristischen Elementen.
Mit dabei ist auch der bekannte Kurzfilm „I
Love Vienna“ aus dem Jahr 1994.
Mehr Informationen unter: www.filmarchiv.at
#meinerfolgserlebnis
www.vhs.at
Bildung
und Jugend
UNERHÖRT?!
STARKE
FRAUEN
IN DER
DIASPORA
Als Beitrag zum Internationalen Frauentag 2021 feiert das VIDC, in Kooperation
mit Seti Women, Okto TV und das Biber, all die zahlreichen Frauen aus der Diaspora,
die Empowerment tagtäglich und doch ungesehen vorantreiben.
Ihre Arbeit ist unersetzlich. Ihre Wirkung
enorm. Ihre Vorbildrolle groß. Aber wer
kennt die Gesichter und Geschichten
dieser Frauen? Abseits ihrer Communities
sind die Empowerment-Leistungen von
Frauen mit Migrationshintergrund kaum
sichtbar.
Dabei sind es so viele, die in Österreich
ihre neue Heimat gefunden haben und
heute als Lehrerinnen, Ärztinnen, Unternehmerinnen,
Wissenschaftlerinnen u.v.m.
tätig sind. Ihr Beitrag für Diversität,
ihre Leistung bei der Bekämpfung von
Gewalt, Rassismus und Diskriminierung
als auch ihre Rolle in der Pandemie sind
enorm. Frauen sind die zentralen Akteurinnen
bei der Forcierung von Bildung in
den Communities. Sie wirken als „Role
Models“ und machen anderen Frauen
und Mädchen Mut, ihr Leben selbst in
die Hand zu nehmen. Es sind Frauen wie
Hawwa, Vanessa und Soraya.
SORAYA OHADI
2012 flüchtete Soraya mit ihrer Familie
aus Afghanistan. Die heute 23-Jährige
studiert inzwischen an der Wirtschaftsuniversität
Wien. Gleichzeitig betreibt sie
zusammen mit ihrer Familie das afghanische
Restaurant Asman in Wien. Ihr
Motto: „Glaub an dich! So kannst du die
Welt verändern.“
VANESSA OSAYI EDIONWE
Vanessa war zwei Jahre alt, als sie mit
ihrer Familie nach Österreich auswanderte.
Heute studiert die 20-Jährige
Rechtswissenschaften, weil sie sich für
mehr Gerechtigkeit einsetzen möchte.
„Als schwarze Frau in Österreich habe
ich oftmals das Gefühl, mich doppelt
beweisen zu müssen, einerseits weil ich
eine Frau bin und andererseits, weil ich
schwarz bin.“
HAWWA OZOTU OSHAFU
Hawwa ist Senior Technikerin in der Tierimpfstoff-Produktion.
Für die gebürtige
Österreicherin mit nigerianischen Wurzeln
waren ihre Eltern stets Vorbild: Sie
haben ihr beigebracht, mit wenigen Ressourcen
viel zu bewirken. Die 31-Jährige
kämpft gegen das „Schubladendenken“
und lässt sich durch Vorurteile über ihre
Religion oder Hautfarbe nicht beirren.
TV-TIPP MIT SCHARF. Einschalten, zuschauen, zuhören!
Als Beitrag zum Internationalen
Frauentag 2021
lädt das VIDC, in Kooperation
mit Seti Women
und dasBiber, zum Studiogespräch
„Unerhört?!
Starke Frauen in der
Diaspora“ auf OKTO TV.
Montag, 1. März 2021,
19:00 - 21:00 Uhr
Live auf Okto TV und auf
dem Facebook-Kanal
des VIDC
Es diskutieren:
Esther Maria Kürmayr - Antidiskriminierungsexpertin, Sozialarbeiterin,
Lehrerin, Obfrau des Vereins Schwarze Frauen
Community,
Ishraga Mustafa Hamid - Politologin, Autorin und Menschenrechtsaktivistin,
2020 erhielt sie das Goldene Verdienstzeichen
des Landes Wien
Rojin Ali - Soziologin, Dolmetscherin und Sozialarbeiterin, Diakonie
Frauenberatung, Wien
Noreen Mughal - Maturantin, Black Lives Matter, Vorarlberg
Aadilah Amin - Studentin an der Universität Wien, Gründungsmitglied
des afghanischen Studenten*innenvereins IGASUS
Moderation:
Delna Antia-Tatić, Biber-Chefredakteurin
© privat
58 / MIT SCHARF /
KOLUMNE
Ich bin diplomierter Flüchtling mit Auszeichnung
von der Balkanroute-Universität.
Lieber Verstand der Menschheit, dürfte
ich Sie kurz entführen und auf einen
Kaffee auf dem Mond weit weg von
dem Lärm der ringenden Egos einladen?
Ich bin ein geradliniger Gesprächspartner,
der kein Interesse an vorgetäuschten
Höflichkeiten hat. Lassen
Sie unsere Kaffeepause hemmungslos
und übergangslos ablaufen. Ich
möchte Ihre Betrachtung bestimmter
Dinge neu verhandeln.
Exil ist nicht, wenn Sie in der
Fremde leben. Exil ist, wenn Sie sich
in der eigenen Heimat fremd fühlen.
Exil ist, wenn Sie als Kind jeden
Tag in der Schule für den Diktator, der
Ihre Zukunft stiehlt, rufen müssen: “Es lebe der ewige
Führer”.
ICH MACHE DEN MASTER AN DER
HOCHSCHULE DER FREMDE
Diaspora ist nicht die Verstreuung eines ganzen
Volkes vor den Toren der Ungewissheit, hoffend,
dass die Raupe ein Schmetterling werden kann,
ohne ihre Flügel mit der Schere der Herabwürdigung
zu beschneiden
Diaspora ist, wenn Sie in der Blüte ihres Lebens
wegen eines Rufes nach Freiheit gefangengenommen
werden, mit jedem Schlag Ihrer Peiniger ein
Stück von Ihrem Menschsein verlieren, und während
des Folterns laut rufen müssen: “Es lebe der ewige
Führer.”
Lieber Verstand der Menschheit, Sie runzeln die
Stirn, als schmecke Ihnen der Kaffee nicht! Und bitte
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Comedian, Buch-Autor
und Flüchtling aus Syrien.
In seiner Kolumne schreibt
er über sein Leben in
Österreich. In dieser
Ausgabe in Form eines
Gedichtes.
blicken Sie nicht besorgt auf die Erde,
sie werden Ihre Abwesenheit nicht
merken. Oder sind Sie überrascht,
weil sie doch eine Kugel ist?
Lieber Verstand der Menschheit,
ich möchte auch, dass mein Studienabschluss
anerkannt wird. Ich bin
diplomierter Flüchtling mit Auszeichnung
von der Balkanroute-Universität.
Ich machte dann den Master an der
Hochschule der Fremde. Dort lernte
ich, dass es keine Fremde gibt. Es
gibt nur fehlendes Interesse, den
Anderen kennenzulernen.
ICH TRAGE DIE PERSPEKTIVE
DREIER MENSCHEN IN MIR
Kann ich künftig meine Flucht- und Fremdsein-Kompetenzen
in meinen Lebenslauf einfügen und darauf
hoffen, höheres Gehalt dadurch zu bekommen? Ich
werde an meinem ersten Arbeitstag meine Zertifikate
stolz im neuen Büro aufhängen und die Bewunderungsblicke
genießen. Ich habe immerhin für dieses
Studium viel bezahlt. Es hat mich den Verzicht auf die
Umarmungen meiner Mutter gekostet.
Lieber Verstand der Menschheit, es wäre nur
gerecht, mein Fluchtstudium und meine Migrationskompetenzen
anzuerkennen. Denn ich trage die
Perspektive dreier Menschen in mir. Eine des Einheimischen,
eine des Fremden und eine desjenigen, der
die beiden in mir beobachtet.
Lieber Verstand der Menschheit, wohin gehen Sie,
warten Sie...
C‘est la vie. Ich bin es gewohnt, die Rechnung
alleine zu bezahlen...
Robert Herbe
/ MIT SCHARF / 59
In Arman T. Riahis Film
„Fuchs im Bau“ fängt der
Protagonist Hannes Fuchs
nach einem schweren
Schicksalsschlag einen
Job als Gefängnislehrer
an. Gemeinsam mit
Hauptdarsteller Aleksandar
Petrović sprach der Regisseur
mit biber über den neuen
Film, geschlossene Kinos und
das Krisenmanagement der
türkis-grünen Regierung.
Interview: Nada El-Azar
Der Regisseur
Arman Riahi…
Vom
Brainfuck auf
die Leinwand
… und Hauptdarsteller
Aleksandar Petrović.
BIBER: Wie genau entstand die Idee für
„Fuchs im Bau“?
ARMAN T. RIAHI: Vor zwölf Jahren habe
ich für meine erste Doku „Schwarzkopf“
recherchiert, die von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund handelte, die
sich nicht als Teil der österreichischen
Gesellschaft wahrgenommen haben
und kriminell wurden. Dabei wurde ich
letztlich an die Justizanstalt Josefstadt
verwiesen und traf junge Häftlinge sowie
den Gefängnislehrer Wolfgang Riebniger.
Das war sehr faszinierend, zumal ich gar
nicht gewusst hatte, dass so etwas wie
eine Gefängnisschule überhaupt existiert.
Ich sah ihm damals bei der Arbeit über
die Schulter und wusste sofort, dass ich
darüber einen Film drehen wollte. Die
Figur des „Neulings“ Hannes Fuchs in
der Gefängnisschule und das Geschehene
dort ist inspiriert von wahren Begebenheiten.
Wie bereitet man sich auf die Hauptrolle
des Hannes Fuchs vor?
ALEKSANDAR PETROVIĆ: Anders als
bei Fernsehproduktionen, kann man
sich beim Film wirklich Zeit zum Recherchieren
nehmen. In der Handlung des
Films gibt es Anknüpfungspunkte für
mich als Darsteller, mit denen ich mich
intensiv beschäftige. Ich war oft im
Gefängnis und habe Bücher gelesen. Ich
habe sogar über Füchse gelernt, weil
die Figur Fuchs heißt – manchmal findet
man da eine spannende Schnittstelle.
Und ich habe ja das Glück, mit Arman
© Ivory Rose Photography, Arman T. Riahi, Filmladen Filmverleih
60 / KULTURA /
einen Regisseur zu haben, mit dem ich
gemeinsam das Drehbuch geschrieben
habe und ewig über die Figuren im Film
„brainfucken“ kann.
Neben dir sind noch andere bekannte
Gesichter wie Maria Hofstätter und Sibel
Kekili zu sehen.
ALEKSANDAR: Ich wusste zuerst nicht,
dass ich die Hauptrolle bekommen würde.
„Fuchs im Bau“ ist Armans zweiter
Spielfilm, und das ist nicht zuletzt eine
große Vertrauenssache, auch wenn wir
seit 20 Jahren befreundet sind und lange
unsere Leidenschaft für Film teilen. Die
Besetzung muss immer auch vor der Produktionsfirma
gerechtfertigt werden. In
„Die Migrantigen“ spielte ich auch schon
eine der Hauptrollen.
ARMAN: Bei „Die Migrantigen“ war es
schön, dass zwei relativ unbekannte
Schauspieler rund 100.000 Zuschauer
ins Kino locken können. Sonst setzen
Regisseure ja oft auf Zugpferde,
also große Namen. Damals war es
irgendwo auch Kalkül gewesen, dass
in den Nebenrollen sehr bekannte
Schauspieler mitgespielt haben. Bei
„Fuchs im Bau“ geschah das weniger
durch Kalkül, als dadurch, dass unsere
Schauspieler*innen vom Drehbuch überzeugt
waren. Es ist ja nicht so, dass man
uns Ausländern einen Gefallen getan
hätte. (lacht)
Welche Konsequenzen hat die Corona-
Pandemie auf das Filmemachen?
ARMAN: Ich hatte Glück im Unglück,
da unser Film fertig geworden ist. Die
Dreharbeiten waren nur minimal von
der Pandemie betroffen – aber dafür die
Auswertung. Der Film sollte auf Festivals
kommen, und im Kino gespielt werden.
In der ganzen Szene herrscht eine große
Vorsicht vor Kinofilmen, durch die unsichere
Lage. Viele verkaufen daher ihre
Filme an Streaming-Plattformen, aber
ich mache einfach Filme fürs Kino und
möchte Projekte nicht online verbraten,
wo man im Überangebot untergehen
kann.
Herrscht in der Szene eine Skepsis
gegenüber Netflix und Co.?
ARMAN: Bei mir persönlich sind Streaming-Plattformen
nicht verpönt, aber
es gibt dort schon viel Mittelmäßiges
zu finden. Selbst wenn wir einen Film
online verkaufen, würden wir auf einen
Kinostart in Deutschland, Österreich und
„Fuchs im Bau“ beruht auf wahren Begebenheiten aus der JVA Josefstadt
in Wien.
Maria Hofstätter und Aleksandar Petrovic sind
Kollegen in der Gefängnisschule.
der Schweiz bestehen. Aber es wäre auf
jeden Fall eine Option, wenn die Spielzeit
im Kino zu Ende ist.
Seid ihr zufrieden mit dem aktuellen Kulturmanagement
der Regierung?
ARMAN: Von Freunden aus der Szene
habe ich mitbekommen, dass es sehr
schlecht läuft mit den Antragsstellungen
und der finanziellen Hilfe. Ich kenne
mindestens drei Filmemacher, die durch
die Pandemie vor dem Konkurs stehen.
Man muss der Tatsache ins Auge sehen,
dass Kultur und Film in Österreich keinen
besonders großen Stellenwert bei den
Regierenden haben. Egal ob ÖVP, Grüne
oder SPÖ. Die Kulturszene ist, neben der
Gastronomie, die am schwersten getroffene
Branche.
ALEKSANDAR: Ich habe keine Unterstützungen
beantragt und kam irgendwie so
durch. Wir schreiben parallel schon an
den nächsten Drehbüchern, für die wir
schon vor der Pandemie Förderungen
bekommen haben. Vergangenes Jahr
gab es für mich ab August auch einige
Drehs, also komme ich gerade zurecht.
Aber Theater und die freie Szene? Denen
geht es wirklich schlecht. Ohne Publikum
kann man nicht spielen. Und was ich von
den Proben mitbekommen habe: Manche
Ensembles sind kein fixes Team, sondern
kommen für einen Zeitraum zum Arbeiten
zustande. Durch ständige Verschiebungen
fallen Produktionen aber einfach
auseinander und aus.
Wie geht es euch mit den derzeit
geschlossenen Kinos?
ARMAN: Durch die Pandemie mussten
einige Kinostarts aufgeschoben werden.
Im Oktober waren die Kinos ja nur
einen Monat lang geöffnet, und unser
Filmverleih musste andere Filme, die
schon länger in der Warteschleife waren,
vorziehen. Das ist natürlich blöd für uns,
aber so geht es momentan allen in der
Szene. Nun ist „Fuchs im Bau“ aber
Eröffnungsfilm bei der Diagonale, die
von 8. – 13. Juni in Graz stattfindet.
INSIDER LOCKDOWN-FILMTIPPS:
ARMAN T. RIAHI:
„Glücklich wie Lazzaro“ (Alice
Rohrwacher, 2018)
ALEKSANDAR PETROVIĆ:
„Pieces of a Woman” (Kornél
Mundruczó, 2020)
/ KULTURA / 61
„Die Leiden des jungen Todor“
Von Todor Ovtcharov
Schlösser
Diktatoren lieben Schlösser. Egal ob
Ceaușescu in Rumänien, Erdoğan in
der Türkei oder Putin in Russland.
Alle sind der Meinung, dass ihnen zwei, drei
oder sogar zwölf Zimmer nicht ausreichen.
Man braucht mindestens zweihundert Zimmer,
dazu Swimmingpools, wo das Wasser aus
goldenen Röhren hineinrinnt, private Kinosäle
und Parkplätze mit der Größe des Praters.
Das ist natürlich kein neues Phänomen. Im
Frankreich zum Beispiel wurden sehr viele
Schlösser gebaut. Das hat aber eine Erklärung:
Es gab damals keine WCs und die Adeligen
mussten ihre Geschäfte in den Ecken der
Zimmer verrichten. Deshalb brauchte man so
viele Zimmer. Und wenn das ganze Gebäude
so stark nach Urin gerochen hat, dass man es
nicht mehr aushalten konnte, dann baute man
halt ein neues. Aber das Innen-WC gibt es
schon lange, deshalb fragt man sich, warum
heutige Diktatoren wohl riesige Schlösser
brauchen.
Es schaut so aus: Je schlechter es dem
Volk geht, desto größere Schlösser brauchen
die Herrschenden. Man kann nachschauen,
wie der Durchschnittsrusse heute lebt und wie
groß das Schloss von Putin in Gelendschik ist.
Oder wie die Menschen in der Türkei zu Zeiten
einer 20-prozentigen jährlichen Inflation
ausharren und wie die Häuser von Erdoğan
ausschauen. Gerüchten zufolge, soll im
türkischen Haushalt schon das Geld für zwei
weitere Schlösser eingerechnet sein. Dieses
Jahr sollten sie gebaut werden.
Alle Diktatoren glauben, dass es ihnen
zusteht in Schlössern zu leben. Sie sagen,
dass das gar nicht ihre Schlösser sind, sondern
Schlösser des Volkes. Warum wird dann
das Volk immer eine Schusslänge von den
Schlössern weggehalten? Vielleicht, weil sich
alle erinnern, wie das Schloss von Gadaffi
2011 gestürmt wurde und Obdachlose in
seinen Ruinen einzogen.
Man macht alles nur des Volkes wegen.
Jedes Schloss verschafft Arbeitsplätze. Wenn
man das Land mit Schlösser bedeckt, können
alle zum Schlosspersonal werden. Man sagt,
dass es im Topkapi-Schloss in Istanbul allein
für die Versorgung der Öfen 2000 Menschen
Personal gebraucht hatte. Erdoğan bezieht
sich immer wieder auf die Größe des Osmanischen
Reiches, durch Schlösserbau mag
er die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Und Putin
wird dafür sorgen, dass jeder Russe ein eigenes
Schloss hat. Wenn nicht auf dieser Welt,
dann im nächsten Leben. ●
62 / MIT SCHARF /
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Starmania | jeden Freitag 20:15