Die Malteser-Zeitung 1/2021
Berichterstattung über nationale und internationale Tätigkeiten des Souveränen Malteser-Ritter-Orden und seine Werke sowie religiöse, karitative und soziale Fragen aller Art.
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MALTESERWELTWEIT<br />
„FREI WIE EIN VOGEL“<br />
Jean-Marie Musy (sprich „Müsi“) ist ein MALTESER der ganz seltenen Sorte. Der Botschafter des <strong>Malteser</strong>ordens,<br />
derzeit in Madrid, lebt seit Jahrzehnten, wozu das Christuswort einlädt. Ein Porträt eines besonderen Menschen.<br />
Bei Jean-Marie Musy zeichnete sich eine starke Bindung an<br />
die Bibel und die Kirche bereits ab, als wir einander im April<br />
1975 zum Erste-Hilfe-<strong>Die</strong>nst am Petersplatz in Rom trafen.<br />
Der damalige Kommandant Berthold Waldstein hatte<br />
mich als „alten Hasen“ (20-jährig) gebeten, das blutjunge<br />
Schweizer <strong>Malteser</strong>-Hilfsdienst-Mitglied bei seinem ersten<br />
Auslandseinsatz zu begleiten.<br />
Das Feuer des Jungmaltesers<br />
brannte in Jean-Marie Musy<br />
wie in uns allen. Aber er las<br />
in der Bibel und freute sich über die tägliche Heilige Messe<br />
im Petersdom an einem der viele Seitenaltäre. <strong>Die</strong>se<br />
Gelegenheit nahmen die meisten anderen in der Gruppe<br />
weniger wahr. Hingegen sah die Bar auf der Piazza del<br />
Sant’Ufficio diese Mitglieder viel öfter. Ich selbst war eine<br />
Wanderin zwischen diesen beiden <strong>Malteser</strong>welten und<br />
bin es wohl bis heute geblieben.<br />
Mission Tschad<br />
Unverheiratet und materiell abgesichert war der Schweizer<br />
Ordensritter Musy in den Augen von Großmeister Fra’<br />
Andrew Bertie prädestiniert, 1991 die damals schwierigste<br />
Mission des Ordens zu übernehmen: die Eröffnung der<br />
diplomatischen Vertretung im Tschad mitsamt dem Aufbau<br />
eines humanitären Hilfsprogramms.<br />
Gerade weil er noch kein „kanonisches Alter“ hatte, gerade<br />
weil er davon träumte, sich viel mehr als bisher für den<br />
Orden und seine Ideale einzusetzen, konnte der Großmeister<br />
seinen Freund Musy sofort einsetzen. Der Krieg,<br />
die Trockenheit, die endemische Armut schrien nach einem<br />
Kämpfer des achtspitzigen Kreuzes.<br />
Von Aglaë Hagg<br />
Gefährlich, hart, spannend<br />
„<strong>Die</strong> Vasallen Christi“, 1988 von Berthold Waldstein als<br />
„Kulturgeschichte des Johanniterordens im Mittelalter“<br />
veröffentlicht, war Musy bereits zum Lebensprogramm<br />
geworden. Vielen Ordensmitgliedern weltweit hat das<br />
Buch bis heute ebenso als Wegweiser gedient. Ganz in<br />
die Vorsehung ließ sich<br />
Musy fallen, eben wie der<br />
biblische „Vogel des Himmels“,<br />
der sich als wertvolles<br />
Kind des Vaters im<br />
Himmel weiß – jeden Tag, jahrein, jahraus. Nach zwölf<br />
Jahren stand schließlich die ständige medizinische Versorgung<br />
von 100.000 Menschen im Wüstenstaat, aufgebaut<br />
vom <strong>Malteser</strong>orden.<br />
„Seht euch die Vögel des Himmels an:<br />
Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine<br />
Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt<br />
sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ (Mt 6, 26)<br />
Der Abenteurer Musy fand sich während dieser zwölf<br />
Jahre im Tschad ganz in seinem Element. „Es war sehr<br />
gefährlich, sehr hart, aber sehr spannend“, sagt er heute<br />
und zeigt auf die Bilder seines Jeeps in der Wüste, der<br />
zehn Zentimeter neben einer Mine vorbeifuhr, bis er<br />
dann irgendwann im Sand steckenblieb.<br />
„Wie man wirklich helfen kann“<br />
Jahre zuvor, in den Sterbehäusern von Mutter Teresa in<br />
Kalkutta ebenso wie in den Favelas Brasiliens, so dachte<br />
Musy, habe er das Schlimmste an Armut bereits gesehen.<br />
Weit gefehlt: Der Kriegsschauplatz Tschad produzierte<br />
nichts, hatte absolut nichts: keine Lazarette, keine Sanitätsausrüstungen.<br />
Beim Verlassen des einzigen Hauptspitals<br />
in N’Djamena wurden Teilnehmer einer internationalen<br />
Delegation unter dem Eindruck der unfassbaren Bilder,<br />
des Geruchs und der Verzweiflung vor dem Tor ohnmäch-<br />
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DIE MALTESER 1/<strong>2021</strong>