social attitude dritte Ausgabe #3
Wien steckt voller engagierter Menschen mit social attitude. Deswegen wollen wir in der dritten Ausgabe jene Menschen und Institutionen in den Mittelpunkt stellen, die sich mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftigen und sich dafür einsetzen, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben.
Wien steckt voller engagierter Menschen mit social attitude. Deswegen wollen wir in der dritten Ausgabe jene Menschen und Institutionen in den Mittelpunkt stellen, die sich mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftigen und sich dafür einsetzen, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben.
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MAGAZIN FÜR SOZIALES UND GESELLSCHAFT 01 | 2021
“
Alle Menschen sind frei
und gleich an Würde
und Rechten geboren. (...)
Jeder hat Anspruch auf die in dieser
Erklärung verkündeten Rechte und
Freiheiten ohne irgendeinen
Unterschied, etwa nach (...)
Hautfarbe, Geschlecht, Sprache,
Religion, politischer oder sonstiger
Überzeugung, nationaler oder
sozialer Herkunft, Vermögen,
Geburt oder sonstigem Stand.
”
MENSCHENRECHTSKONVENTION
ARTIKEL 1 + 2
Vorwort
2020 – was für eine Achterbahnfahrt. Das vergangene Jahr hat uns alle in Atem gehalten.
Eine weltweite Pandemie ist ausgebrochen, Menschenrechtsverletzungen haben
ganze Bewegungen in Gang gesetzt – all die Ereignisse haben eines unter Beweis gestellt:
Ohne Menschen im Sozialbereich geht es schlicht und einfach nicht. Nicht im
Gesundheitswesen, nicht, wenn es um Menschenrechte und den Einsatz gegen Diskriminierung
geht – unsere Gesellschaft würde zusammenbrechen, wenn es nicht
Menschen gäbe, die sich dafür einsetzen, dass wir alle dieselben Chancen und Rechte
haben. Eines ist klar: Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber es gibt so viele
engagierte Menschen, die jeden Tag daran arbeiten. Und genau diese stehen in unserer
dritten Ausgabe im Mittelpunkt.
Jana Reininger, Salme Taha Ali Mohamed, social attitude-Urgestein Jolly Schwarz und
ich haben Menschen vors Mikrofon geholt, die sich im engeren und weiteren Sinne
mit der Gleichberechtigung beschäftigen und mit ihrer Arbeit nicht nur einen wichtigen
gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten, sondern auch Hoffnung geben.
An dieser Stelle ist es mir wichtig, mich beim Team von social attitude zu bedanken.
Wochenlang war es im Einsatz, hat Interviews geführt und Portraits geschrieben – das
alles ehrenamtlich und das ist für mich nicht selbstverständlich. Es sind nicht nur drei
Frauen, deren Arbeit ich unglaublich schätze, sondern auch tolle Persönlichkeiten,
von denen ich froh bin, dass ich sie kenne. Ein großes Danke geht auch an alle Unterstützer:innen,
die diese Ausgabe mit Spenden und Inseraten supportet haben – nur
durch diesen Einsatz und die Zusammenarbeit können wir heute die dritte Ausgabe in
Händen halten!
Viel Vergnügen mit der dritten Ausgabe!
Redaktionsteam
Vorhang auf für das Team hinter social attitude. Den aufmerksamen Leser:innen wird auffallen: Wir
sind mehr geworden. Deswegen wollen wir nicht nur die Gesichter hinter den sozialen Projekten vor
den Vorhang holen, sondern auch jene unserer Redaktion.
JOLLY SCHWARZ
Fotocredit: Michael Taborsky
Jolly Schwarz hat ihre Begeisterung für die Fotografie
schon früh entdeckt und die Graphische Bundeslehr-
und Versuchsanstalt abgeschlossen. Neben
ihrer Selbstständigkeit hat sie zudem einige
Zeit bei der Rewe-International GmbH gearbeitet
und ihre Fotografien waren auch schon im deutschen
Rolling Stone Magazin zu sehen. In der Medienagentur
„House of Bandits” war sie Head of
Photography und hat nun ihr eigenes Studio. „Es
fasziniert mich, Menschen durch meine Bilder auf Reisen
zu schicken und ihnen dabei dasselbe Gefühl zu geben,
das ich erleben durfte.“
mail@jollyschwarz.at
HANNAH POPPENWIMMER
Fotocredit: Jolly Schwarz
Erste selbstständige redaktionelle Erfahrung hat Gründerin
Hannah Poppenwimmer gesammelt, als sie mit ihrem Kultur-Onlinemagazin
VIENNARAMA gestartet ist. Neben dem journalistischen
Tun hat es sie immer schon in den Sozialbereich gezogen.
Bei der Social City Wien und den Stadtmenschen Wien kann sie ihre
Leidenschaften kombinieren. Seit 2018 hat sie auch als selbstständige
Journalistin ein zweites Standbein und hat sich mit social attitude
einen Traum erfüllt. „Ich finde es total spannend, die Geschichten
von Menschen zu hören, und freue mich über das Vertrauen, das sie uns
entgegenbringen. Ich habe während der Arbeit an den drei Ausgaben
nicht nur spannende Gespräche geführt, sondern auch unglaublich viel
gelernt – dafür bin ich sehr dankbar.“
hannah.poppenwimmer@socialattitude.at
4 SOCIAL ATTITUDE 2021
SALME TAHA ALI MOHAMED
Salme Taha Ali Mohamed ist eine leidenschaftliche Geschichtenerzählerin.
Als Kind dachte sie sich gerne ihre eigenen Welten und Geschichten
aus und in ihrer Jugend entdeckte sie ihre Leidenschaft für das
Schreiben. Eine Leidenschaft, die die Journalistin bis ins Erwachsenenalter
begleitet. Ihre Artikel sind in verschiedenen österreichischen
Medien erschienen. Dabei merkte sie recht schnell, dass es vor allem
die Geschichten über soziale Projekte und ehrenamtliche Helfer:innen
sind, die sie besonders begeistern. Da war die Mitarbeit bei social attitude
nur der nächste logische Schritt. „Für mich stehen bei einem Artikel
immer die Menschen im Vordergrund: Ich will ihre Geschichten erzählen
und ihnen mit meiner Arbeit helfen.“
salme.tam@socialattitude.at
Fotocredit: Guilherme da Rosa
Fotocredit: Jolly Schwarz
JANA REININGER
Die Wiener Journalistin Jana Reininger ist der Neuzugang bei social
attitude. Ist sie nicht für social attitude unterwegs, schreibt sie unter
anderem für die Magazine DATUM – Seiten der Zeit und Moment
Magazin. Als studierte Soziologin und mit einer großen Begeisterung
für Psychologie hat sie ihren Fokus auf das Erforschen von Tabuthemen
und sozialer Ungerechtigkeit gelegt. Bei ihrem journalistischen
Tun versucht sie, mit Worten Bilder zu malen und Unbekanntes
vertraut zu machen. „Ich möchte immer das Denken und Handeln von
Personen verstehen und aufzeigen, wie jede:r einzelne die Welt zu einem
besseren Ort machen kann.“
jana.reininger@socialattitude.at
5
Inhalt
NO. 1 2021
13
Henrie Dennis ist unser
Covergesicht in dieser Ausgabe.
Was sie mit ihrer Organisation
AfroRainbow Austria erreichen will,
erfahren Sie ab Seite 17.
8
WARUM ICH IM
SOZIALBEREICH ARBEITE?
Was Menschen antreibt, die im sozialen
Bereich arbeiten? Wir haben
nachgefragt und die unterschiedlichsten
Antworten erhalten.
10
2 SEITEN,
4 UNTERNEHMEN
Kurz und knapp stellen wir vier
Unternehmen aus dem
Sozialbereich vor.
GENDERGERECHTE UND DISKRIMINIERUNGSSENSIBLE SPRACHE
Wir sind darum bemüht, gendergerechte und diskriminierungssensible Sprache zu verwenden. Hier eine kurze Erklärung mancher Begriffe, die in
unseren Artikeln verwendet werden.
CIS-Gender = bezeichnet die Übereinstimmung von Geschlechtsidentität und dem Geschlecht, das der Person bei der Geburt zugewiesen wurde.
Personen identifizieren sich eindeutig entweder als Mann oder Frau und schließen weitere Geschlechtsidentitäten aus.
Gendern = Um neben männlichen und weiblichen Personen auch weitere Geschlechter und Genderidentitäten zu inkludieren, verwenden wir den
Doppelpunkt. Zudem wird diese Schreibweise im Vergleich zu anderen Gendermöglichkeiten leichter von Vorleseprogrammen für sehbehinderte
und blinde Personen erkannt.
LGBTQUIA+ = Die Abkürzung steht für Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer, Intersex, Asexual. Das Plus ist ein Symbol für weitere Geschlechtsidentitäten
und Sexualitäten, die im Akronym nicht zu finden sind, beispielsweise Personen, die pansexuell, agender oder aromantisch sind. Je nach
der von unseren Gesprächspartner:innen verwendeten Form variiert der Einsatz der Abkürzung.
Schwarz = Der Begriff „Schwarz“ beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. Er wird von uns ausschließlich dann geschrieben,
wenn es sich um eine direkte Selbstbezeichnung handelt. Das großgeschriebene ‚S‘ wird bewusst gesetzt, um eine soziopolitische Positionierung
und eine emanzipatorische Widerständigkeitspraxis zu markieren. Der Begriff bezieht sich nicht auf die reelle Hautfarbe oder eine biologische
Eigenschaft der Person.
weiß = Als weiße Personen bezeichnen wir Menschen, die in einer von systematischem Rassismus geprägten Gesellschaft eine Macht- und Normposition
einnehmen. Wir schreiben den Begriff klein und kursiv, um darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um ein politisches Konstrukt und nicht
um reale biologische Eigenschaften handelt.
6 SOCIAL ATTITUDE 2021
21 31
43
13
AYTEN PACARIZ
Die Projektleiterin der Initiative
NACHBARINNEN unterstützt isoliert
lebende Familien.
14
MARTIN WURZ
Im neunerhaus Gesundheitszentrum
werden obdach- und wohnungslose
Personen behandelt. Martin Wurz
leitet die Arztpraxis.
17
HENRIE DENNIS
Henrie Dennis ist die Gründerin von
AfroRainbow Austria, dem ersten
Verein Österreichs von und für
LGBTQI-Personen mit afrikanischer
Herkunft.
21
KATHRIN LIMPEL &
INA PERVAN AL-SOQAUER
Die Gründerinnen von Fremde werden
Freunde vernetzen mit ihrer NGO
Menschen mit unterschiedlicher
Herkunft.
27
HANNAH-ISABELLA
GASSER
Der Verein Footprint unterstützt
Frauen, die Menschenhandel,
Zwangsprostitution und häusliche Gewalt
erleben.
31
FEDAA ALARNOOT
Fedaa Alarnoot ist Sozialarbeiter bei
der Queer Base und unterstützt vor
allem geflüchtete LGBTQUIA+
Personen bei ihren Asylverfahren.
35
DANIJELA CICVARIC
Danijela Cicvaric ist die pädagogische
Leiterin im Romano Centro im dritten
Bezirk und berichtet aus ihrem Alltag.
39
MONIKA HAIDER
Monika Haider verhilft mit ihrem
Schulungsinstitut equalizent gehörlosen
Personen zur Weiterbildung.
43
PATRICK ONYEMAECHI
KAINZ
Patrick Onyemaechi Kainz von Black
Movement Austria hat ein Ziel: das Leben
von Schwarzen Menschen in
Österreich zu verbessern.
46
GASTKOMMENTAR
ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit
geben in ihrem
Gastkommentar Einblick in ihren Alltag.
47
WUSSTEN SIE,
DASS ....?
Die wichtigsten Zahlen und Fakten aus
dem Report von ZARA auf einen Blick.
50
IMPRESSUM
7
Warum ich im
Sozialbereich
arbeite?
Auch in dieser Ausgabe wollten wir wissen: Was treibt Menschen an, die im sozialen Bereich arbeiten? Wir haben
gefragt und sie haben geantwortet. Unsere vier Protagonist:innen beweisen nicht nur, wie unterschiedlich ihre
Motivationen sind, sondern auch, wie facettenreich die Projekte, die im Sozialen entstehen, sind.
Fotocredit: Bianca Jakobic
1
JULIAN RICHTER
MORE THAN ONE PERSPECTIVE
„Wir stehen riesigen gesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber.
Chancenungerechtigkeit, globale Fluchtbewegungen oder der Klimawandel
sind die Themen unserer Zeit. Da ich lieber meinen Beitrag leisten
wollte, als ständig darüber zu sprechen, dass sich etwas ändern
muss, habe ich mich für den Sozialbereich entschieden. Und seit über
sechs Jahren arbeite ich nun an diesen großen Herausforderungen
unserer Zeit mit einem Fokus auf das Individuum – zuerst als Lehrkraft
im Rahmen von Teach for Austria an Bildungsgerechtigkeit und seit
über vier Jahren als einer der Gründer von MTOP mit meinen tollen Kolleginnen
und Mitgründerinnen an einer inklusiven Gesellschaft. 2021
starten wir mit dem LEARNING CIRCLE ein ganz neues Kapitel und setzen
uns für Bildungsgerechtigkeit in Österreich ein, indem wir Lernen
neu denken. So weiß ich, dass ich jeden Tag meinen (kleinen) gesellschaftlichen
Beitrag leiste.“
www.mtop.at
EVA VAN RAHDEN
VOLKSHILFE – SOPHIE
„Die Deutsche, die sich bei der Volkshilfe Wien um die
Prostituierten kümmert – so wurde ich in einem Workshop
von einer anderen Teilnehmerin beschrieben, als
wir uns gegenseitig mit einem Satz vorstellen sollten.
Seit bereits 17 Jahren darf ich die Beratungsstelle
SOPHIE der Volkshilfe Wien leiten. Die vielen Begegnungen
mit Sexarbeiterinnen haben mein Leben um so vieles
bunter, lustiger, aber auch trauriger und zorniger
werden lassen. Diese Frauen, die aufgrund von Stigmatisierung
und moralischen Vorverurteilungen häufig den
Weg wählen, nicht offen über ihre Tätigkeit zu reden,
brauchen unsere Unterstützung. Für sie da sein, wenn
Beratung und Begleitung gebraucht werden, macht
noch immer Freude. Leider wird weiterhin der gesellschaftspolitische
Diskurs zum Thema Sexarbeit selten
auf einer rein sachlichen Ebene geführt, die notwendig
wäre.“
www.volkshilfe-wien.at/soziale-arbeit/sophie-2/
8 SOCIAL ATTITUDE 2021
2
Fotocredit: Manuela Wölfl
3
MARKUS STEINBICHLER
GEBIETSBETREUUNG
STADTERNEUERUNG
Fotocredit: Alexandra Murg
„Ich bin gleich nach meiner Ausbildung als
Raumplaner an der TU bei der Gebietsbetreuung
Stadterneuerung gelandet. Anders als in
einem technischen Büro oder einer Planungsabteilung
hat man hier täglich mit einer immensen
Vielfalt an Menschen zu tun, von der
Stadträtin bis zum Nachbarn ums Eck. Dabei
geht es immer ums Zu- und Raushören, was
den Menschen in ihrem jeweiligen Umfeld
wichtig ist. Und ums Miteinander-Reden,
denn nur so und nur gemeinsam kann man
gute Lösungen oder Planungen erreichen.
Mit Gemeinwesenarbeit und Nachbarschaftsprojekten
arbeiten wir an einem guten Zusammenleben.
Denn eine Stadt braucht nicht nur
technische Infrastruktur – die soziale Infrastruktur
ist genauso wichtig und sollte mehr in
den Fokus gerückt werden.“
www.gbstern.at
4
Fotocredit: FiP - Frühstück im Park
FIONA RUKSCHCIO
FRÜHSTÜCK IM PARK
„Durch meine Hündin Suki kam ich zu meinen sozialen Aktivitäten im großen Stil, die nach wie vor ehrenamtlich, unabhängig, selbstorganisiert
und durch Spenden finanziert sind. Sie schnüffelt gerne an Menschen. So kam ich mit obdachlosen Nachbar:innen ins
Gespräch. Ich wohne beim Esterházypark und spendierte hin und wieder ein Frühstück, wenn ich auf meiner Morgenrunde Menschen
traf, denen ich auch den Wunsch nach einem starken Kaffee unterstellte. 2018 war dann klar, man muss das im größeren Rahmen
machen. Als Künstlerin bin ich gewohnt, mit wenig auszukommen, ohne finanziellen Rahmen etwas zu erschaffen, idealistisch
zu handeln und alles zu geben. Für mich war es selbstverständlich, nicht aufzugeben, auch wenn es teilweise einige Hürden zu bewältigen
gab und gibt. Nach zwei Jahren ist FiP nun ein Fixum und ein wöchentliches Highlight für unsere Gäste: wir bieten bedingungslos
ein warmes, gutes, gesundes und stärkendes Frühstück an. Außerdem gibt es Kleidung, Hygieneartikel und ein offenes
Ohr für individuelle Wünsche.“
www.fruehstueckimpark.at
9
2 Seiten,
4 Unternehmen
Text: Hannah Poppenwimmer
YEP – STIMME DER JUGEND
SOZIALUNTERNEHMEN FÜR PARTIZIPATION
Fotocredit: YEP – Stimme der Jugend
Eine starke Zivilgesellschaft ist heute wichtiger denn
je, davon ist das Team von YEP (Youth Empowerment
& Participation) überzeugt und versucht, das
zivilgesellschaftliche Engagement von jungen Menschen
zu fördern. Ihr Credo: Die Stimme der Jugend
muss ernst genommen werden. Mit ihrer Arbeit wollen
sie Jugendliche zu aktiven Bürger:innen machen.
Für YEP steht das Sichtbarmachen von Potenzialen
und Talenten dabei im Fokus ihrer Arbeit. In Coachings
und Workshops werden Jugendliche begleitet,
um sich in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen
und ihre eigenen Ideen umzusetzen.
www.yep-austria.org
BIZEPS
ZENTRUM FÜR SELBSTBESTIMMTES LEBEN
BIZEPS ist Anlaufstelle für Menschen mit Behinderungen
und deren Angehörige. Im Fokus der Arbeit
steht es, Rahmenbedingungen zu schaffen,
die ein selbstbestimmtes Leben mit Persönlicher
Assistenz möglich machen und eine umfassende
Behindertengleichstellungsgesetzgebung durchzusetzen.
In der Peer-Beratung werden eigene Erfahrungen
von Menschen mit Behinderung an andere
(behinderte) Menschen weitergegeben. Das
Team setzt sich für die Gleichstellung von Menschen
mit Behinderungen in allen gesellschaftspolitischen
Lebensbereichen ein und arbeitet
nach dem Motto: „Wenn wir heute nichts tun, leben
wir morgen wie gestern!“
www.bizeps.or.at
Fotocredit: BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben
10 SOCIAL ATTITUDE 2021
Fotocredit: Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus
DOKUSTELLE
FÜR ISLAMFEINDLICHKEIT UND
ANTIMUSLIMISCHEN RASSISMUS
Bei der Dokumentations- und Beratungsstelle
stehen Personen, die Islamfeindlichkeit und antimuslimischen
Rassismus erfahren haben, im
Fokus. Das ehrenamtlich arbeitende Team aus
Jurist:innen, Bildungswissenschaftler:innen,
Kultur- und Sozialanthropolog:innen, Psycholog:innen
und Politikwissenschaftler:innen berät
Betroffene, vermittelt an andere Organisationen,
dokumentiert antimuslimischen Rassismus,
der online und offline stattfindet, und
leistet Beistand für Betroffene. In der Praxis bedeutet
das, dass, wenn eine Person telefonisch
oder schriftlich konkrete Fragen bezüglich einer
Situation hat, das Team praktische Tipps gibt.
Außerdem setzen sie sich für Bildungsarbeit
und Bewusstseinsbildung ein und veranstalten
zur Sensibilisierung für das Thema Seminare,
Fortbildungen und Workshops.
www. dokustelle.at
PEREGRINA
BERATUNGSSTELLE FÜR MIGRANTINNEN
Die Geburtsstunde des Vereins ist das Jahr 1984, als der „Verein
solidarischer Frauen aus der Türkei und aus Österreich“ gegründet
wurde. Seitdem unterstützt Peregrina zugewanderte
Frauen und ihre Familien in ihren rechtlichen, sozialen und
sprachlichen Angelegenheiten. Für Frauen aus über 60 Herkunftsländern
gibt es Rechts- und Sozialberatung, psychologische
Betreuung, Bildungsberatung und ein Angebot an Bildungsmaßnahmen.
Dabei ist dem Verein besonders wichtig,
mit seinem Angebot flexibel auf gesellschaftliche, politische
und legislative Änderungen einzugehen. Peregrina stellt sich
der Herausforderung, Feminismus und Antirassismus intern zu
leben und nach außen zu vertreten.
www.peregrina.at
Fotocredit: Sieglinde Rosenberger
11
Ayten
Pacariz
Text: Hannah Poppenwimmer
Foto: Jolly Schwarz
Ayten Pacariz trifft man selten ohne ein Lächeln auf den Lippen an. Grund zu lächeln hat sie, leitet sie doch
seit dem Jahr 2014 das Projekt NACHBARINNEN, das es sich zum Ziel gemacht hat, isoliert lebende Familien
bei der Integration in die Gesellschaft zu unterstützen.
Vor acht Jahren suchten die Ärztin Christine Scholten
und die Sozialarbeiterin Renate Schnee Frauen,
die sie dabei unterstützen, isoliert lebende Familien
mit ihrem Angebot zu erreichen. „Die beiden sind
damals auf die Suche nach Frauen gegangen, die in
beiden Welten zu Hause sind. Frauen, die sich in den
eigenen Traditionen und Kulturen auskennen, aber
auch hier in Wien und Österreich schon viel gelernt
haben“, erinnert sich die Projektleiterin an die Anfänge.
Gefunden haben sie unter anderem Ayten Pacariz,
die mit fünfzehn weiteren Frauen zur Sozialassistentin
ausgebildet wurde. Seitdem haben sich die
NACHBARINNEN zu einer wichtigen Anlaufstelle für
zurückgezogen lebende migrantische und geflüchtete
Familien in Wien entwickelt. „Wir versuchen die
Familien dort abzuholen, wo sie gerade stehen, damit
der Weg auch erreichbar ist“, erklärt die Projektleiterin
das Ziel ihrer Arbeit. In der Praxis bedeutet
das, dass die NACHBARINNEN mit allen Familienmitgliedern
gemeinsam einen Plan erarbeiten, damit
diese aus der sozialen Schieflage wieder herauskommen.
Es werden Ziele gesetzt, die die Familie erreichen
will, und in einem Zeitraum von drei bis vier
Monaten kommt die NACHBARIN einmal pro Woche
zu Hause vorbei. Von Amtsbesuchen und dem Organisieren
von Nachhilfe bis hin zu Elterntischen mit
anderen Familien oder Fachvorträgen – in der Zeit
findet ein intensiver Austausch mit dem gesamten
Netzwerk statt, unter besonderer Berücksichtigung
der Kinder. Das Besondere an ihrem Angebot? Die
Beratungen werden in der Landessprache der Familie
durchgeführt, momentan in Arabisch, Dari/Farsi,
Tschetschenisch, Somali und Türkisch. Ein wichtiger
Schlüsselfaktor für das Gelingen des Projekts, wie
Ayten Pacariz überzeugt erzählt. Wichtig in ihrer Arbeit
ist vor allem die Verbindung des interkulturellen
Wissens der Frauen mit ihrem Fachwissen in der Sozialen
Arbeit – das schafft Vertrauen und fördert den
Fortschritt. In der Zusammenarbeit geht es vor allem
um das Empowerment der Frau, wie die Projektleiterin
ausführt. „Es geht darum, dass man die Mütter
stützt und ihnen Halt gibt. Wir sprechen über die
Perspektiven der Frauen und zeigen ihnen Möglichkeiten
auf, damit sie stark genug sind, um auf eigenen
Beinen zu stehen, auch wenn es mal Probleme
gibt.“ Dafür sind persönliche und ehrliche Gespräche
auf Augenhöhe ein Muss. „Es wird von den Familien,
die hier ankommen, erwartet, dass sie sofort
funktionieren – und das kann nicht funktionieren.
In Österreich wird sofort Leistung erwartet, wo keine
Leistung möglich ist“, berichtet sie über die Herausforderung
und den Integrationsdruck, der auf vielen
Familien liegt, und setzt nach: „Frauen haben viel
Energie, man muss sie nur machen lassen und Möglichkeiten
schaffen, dass sie auch mit wenig Deutschkenntnissen
etwas machen dürfen.“ Dafür muss es
vor allem individuelle Lösungen geben, ist sie überzeugt.
Mit der Zusammenarbeit beginnt dann ein
Neustart für die Familien. Dabei ist es den NACHBA-
RINNEN besonders wichtig, keine Abhängigkeiten
zu schaffen und dass die Familien die gemeinsame
Zeit gut nutzen. Gemeinsam werden notwendige
Schritte initiiert und das hat eine integrationsfördernde
Wirkung, wie die Projektleiterin berichtet.
„Es ist ein Prozess, der Zeit braucht. Integration geht
nicht von heute auf morgen“, betont Ayten Pacariz.
Für sie selbst war der Beginn bei den NACHBARIN-
NEN auch ein Wendepunkt in ihrem Leben, wie sie
lächelnd berichtet. „Ich war immer im Finanzbereich
tätig und habe eine Arbeit gemacht, die mir
keinen Spaß bereitet hat. In der Karenz habe ich mir
überlegt, dass es doch auch etwas anderes geben
muss, wofür ich brenne.“ Dann kamen die NACHBA-
RINNEN und waren auch für sie ein Neustart. Mittlerweile
ist Ayten Pacariz für die operative Planung
und die Vernetzungen zuständig und leitet die wöchentlichen
Meetings. „Das Erfüllende ist, dass es
eine sinnstiftende Arbeit ist. Man sieht, dass man
mit den Menschen auch etwas erreichen kann, wenn
man sich mit ihnen beschäftigt“, führt sie weiter aus.
Und dann lächelt sie wieder und man glaubt ihr jedes
Wort.
www.nachbarinnen.at
13
Martin
Wurz
Text: Hannah Poppenwimmer
Foto: Christoph Liebentritt
Im neunerhaus Gesundheitszentrum werden obdach- und wohnungslose Personen sowie Menschen ohne
Versicherung von einem Team aus praktischen Ärzt:innen, Zahnärzt:innen, Krankenpfleger:innen und Sozialarbeiter:innen
versorgt. Einer dieser Ärzte ist Martin Wurz, der seit dem Jahr 2019 die Arztpraxis leitet.
Weiße Wände, moderne Einrichtung und der Schriftzug
„du bist wichtig“ – im neunerhaus Gesundheitszentrum
werden die Patient:innen nicht nur durch ein engagiertes
Team, sondern auch durch ein modernes helles Ambiente
begrüßt. Auf den ersten Blick unterscheidet die Ordination
nichts von einer herkömmlichen Arztpraxis. Ins Gesundheitszentrum
kommen jedoch wohnungs- und
obdachlose Menschen sowie Menschen ohne Krankenversicherung,
denen der Zugang zu einer adäquaten medizinischen
Versorgung sonst verwehrt bleiben würde.
Dass auch sie genauso versorgt werden, dafür sorgen
Martin Wurz und seine Kolleg:innen. Das Zentrum vereint
eine Arztpraxis, eine Zahnarztpraxis und soziale Arbeit interdisziplinär
unter einem Dach. Diese Zusammenarbeit
ist nicht nur essenziell für den Ansatz, den neunerhaus
vertritt, sondern macht auch seine tägliche Arbeit so
spannend, wie Martin Wurz von seinem Alltag berichtet.
„Wir beleuchten in den Teamsitzungen die Fälle aus verschiedenen
Perspektiven, damit unsere Arbeit möglichst
ganzheitlich ist. Wir bemühen uns immer um Qualität vor
Quantität“, erzählt er vom intensiven Austausch der verschiedenen
Fachrichtungen, die hier Hand in Hand arbeiten.
„Ich bin gerne in einem Team, mit dem ich mich
fachlich unterhalten kann. Teamarbeit ist wertvoll, das
macht einen auch sicherer in der Arbeit. Es ist wichtig,
dass man nicht allein ist – das finde ich schön“, führt er
den interdisziplinären Ansatz weiter aus. In die Praxis
kommen obdach- und wohnungslose Menschen genauso
wie Personen, die keine Krankenversicherung haben,
weil sie beispielsweise arbeitslos sind und eine Meldefrist
verpasst haben, einen abgelehnten Asylbescheid haben
oder keine Sozialhilfen beziehen, sich aber keine
Selbstversicherung leisten können. Neben medizinischen
Akutfällen sind Martin Wurz und seine Kolleg:innen
ganz ,normale‘ Hausärzt:innen, die ihre Patient:innen
regelmäßig betreuen. „Wir sind nicht nur eine Krisenanlaufstelle,
sondern wir sind auch der Hausarzt, der chronische
Krankheiten begleitet und regelmäßig Blutdruckpulver
aufschreibt.“ Zu den Zuständigkeiten als Praxisleiter
gehört es auch, Dienstpläne zu erstellen und externe
Therapien wie notwendige Operationen mit Kooperationspartner:innen
zu organisieren. Gemeinsam mit dem
Netzwerk wird dann versucht, die schnellste und beste
Lösung für die Patient:innen zu finden. Das ist nicht immer
einfach und auch Corona hat hier vieles herausfordernder
gemacht, wie der Leiter berichtet. „Die Maßnahmen
machen das Angebot hochschwelliger und es wird
immer schwieriger, dass die Menschen zu einer adäquaten
Behandlung kommen“, berichtet er von den täglichen
Herausforderungen. Dass er als Arzt seine Patient:innen
ein Stück ihres Weges begleiten kann und dadurch auch
viele Schicksale hautnah miterlebt, empfindet er als Privileg
seines Berufs. „Es ist wichtig, die Leute abzuholen
und sie ernst zu nehmen, auch wenn man nicht alle Probleme
lösen kann“, berichtet er vom Umgang mit besonders
harten Schicksalen. Hier einen Mittelweg zwischen
Empathie und Überfürsorge zu finden, sieht er als essenziell
an, um seinen Patient:innen die bestmögliche Behandlung
zukommen lassen zu können. Doch neben den
vielen Herausforderungen überwiegen die schönen Momente,
wie er unterstreicht. Am meisten Freude bereitet
ihm seine ärztliche Kernarbeit, unter anderem, weil mit
dem Netzwerk von neunerhaus so viel möglich gemacht
werden kann. Besonders in Erinnerung ist ihm eine Patientin
ohne Versicherung geblieben, die eine Hepatitis C-
Behandlung gebraucht hat. Diese ist jedoch kostenintensiv
und ohne Versicherung unmöglich. Durch Medikamentenspenden
haben Martin Wurz und sein Team die
Therapie aber trotzdem möglich gemacht. Die Freudentränen
und das Lachen seiner Patientin sind ihm bis heute
im Gedächtnis geblieben. Martin Wurz und seine Kolleg:innen
bieten mit ihrer Arbeit dabei viel mehr als nur
eine medizinischen Betreuung, denn die körperliche Gesundheit
ist oft eine zentrale Voraussetzung, damit vielen
ihrer Patient:innen der Weg aus prekären Lebenssituationen
gelingt. Blickt er in die Zukunft, hat er einen klaren
Wunsch: „Ich würde mir wünschen, dass es unmöglich ist,
dass ein in Österreich lebender Mensch ohne Gesundheitsversorgung
dasteht, und dass unser Konzept gar nicht
notwendig wäre.“ Ihren Beitrag leisten Martin Wurz und
seine Kolleg:innen jeden Tag aufs Neue – auch morgen,
wenn sich die Türen zur Ordination wieder öffnen.
www.neunerhaus.at
14 SOCIAL ATTITUDE 2021
16 SOCIAL ATTITUDE 2019
Henrie
Dennis
Text: Jana Reininger
Fotos: Jolly Schwarz
Die Organisation AfroRainbow Austria ist Österreichs erster und einziger Verein von und für LGBTQI-
Personen mit afrikanischer Herkunft. Ihre Gründerin Henrie Dennis erzählt, wofür die Organisation steht,
welche Kämpfe sie führt und wo die Anfänge des Vereins liegen.
Das Büro von Henrie Dennis ist immer und überall. So ist
es stets dort, wo es gebraucht wird. Deshalb steht sie
gerade in einer verregneten Straße mitten im 9. Bezirk.
Hier findet heute ein Interview und somit Öffentlichkeitsarbeit
statt. Henrie Dennis ist Gründerin von AfroRainbow
Austria und die Organisation lebt von und für die Öffentlichkeit.
„AfroRainbow Austria ist die erste und
einzige Organisation für und von LGBTQI-Personen afrikanischer
Abstammung“, erzählt Henrie Dennis leise. Sie
blickt prüfend durch die Gläser ihrer Brille und fügt hinzu:
„Eigentlich geht AfroRainbow Austria viel weiter als eine
Organisation. Wir sind eine Community.“ Das bedeutet,
dass es bei AfroRainbow Austria oder auch ARA, wie
Henrie Dennis gerne sagt, keine Hierarchien gibt. „Alles
wird kollektiv getan und unsere Priorität ist die Sichtbarkeit
von LGBTQIs“, erklärt sie.
„Die Sichtbarkeit ist wichtig, denn die Zielgruppe ist groß“,
erzählt die Obfrau von ARA. „Man kann ja nicht sagen,
wie viele wir sind“, sagt sie und deutet auf das beschlagene
Fenster des Cafés, „aber schau einfach mal hinaus!“
LGBTQIs sind überall in der Stadt. Letztes Jahr hat Afro-
Rainbow Austria ein Straßenfest veranstaltet. Rund 400
Menschen haben es besucht. „Aber die Zahlen sind
vage“, erklärt Henrie Dennis. Richtig aktiv in der Organisation
sind wahrscheinlich etwa 50, vielleicht 55 Menschen.
So genau kann die Gründerin das nicht sagen, denn das
ist nicht, worum es ihr geht. Schließlich ist ARA hauptsächlich
eine Community. Hier steht das Gemeinsame im
Vordergrund und nicht die Zahlen. Um das Gemeinsame
zu stärken und um für Bewusstsein und Sichtbarkeit in
der Gesellschaft zu sorgen, tut AfroRainbow Austria so
einiges. Die Aktivitäten reichen von Peer Kommunikation
über Workshops bis hin zu Diskussionsrunden und Podiumsdiskussionen.
Aber auch Demonstrationen und Performances
zählen zu den alltäglichen Tätigkeiten von
AfroRainbow Austria und seinen Mitgliedern. Erst vor wenigen
Wochen haben die Aktivist:innen für eine solche
Vorführung einen Boxring aufgestellt, in dem mehrere
LGBTQIs gekämpft haben. Mit Worten, versteht sich. Gegen
Fantasien und Vorurteile, die andere Menschen
LGBTQIs mit afrikanischer Herkunft entgegenbringen.
Auch politisches Speeddating haben sie vorgeführt.
Gleichzeitig arbeitet AfroRainbow Austria viel mit der Europäischen
Union zusammen. Auch hier geht es um Themen
wie Transparenz, um Rechte oder um das psychische
Wohlbefinden von afrikanischen LGBTQIs. Die
Inhalte, die Henrie Dennis und ihren Gleichgesinnten
wichtig sind, finden über viele Wege in die Öffentlichkeit.
Social Media ist da eine wichtige Plattform, aber auch offline,
im Fernsehen, im Radio oder in schriftlichen Publikationen
macht sich die Gruppe stark.
„Unsere Sichtbarkeit ist uns sehr wichtig“, sagt die junge
Frau. „Erst wenn du die Existenz einer Gruppe bemerkst,
fängst du an, sie ernst zu nehmen.“ Und das Ernstnehmen
ist erst der Anfang. Der Kampf gegen Rassismus
und Diskriminierung, das Genderbewusstsein, die richtigen
Pronomen für Menschen zu verwenden, all das gehört
zu den Zielen von AfroRainbow Austria. All das ist,
wofür ihre Mitglieder innerhalb und außerhalb ihrer eigenen
Community kämpfen. Das zielt dabei nicht nur auf
die österreichische Gesellschaft ab, vor allem auch im
Herkunftskontinent Afrika wird das immer noch gängige
Thema von Homophobie adressiert. „Wir sind die Verbündeten“,
sagt Henrie Dennis und bestellt zwischendurch
schnell noch einen zweiten Kaffee. „Entschuldige,
ich bin ein Kaffeejunkie“, lacht sie.
Obwohl AfroRainbow Austria vor allem eine Community
ist, ist sie heute dennoch als Organisation registriert. „Wir
mussten uns anmelden, weil wir Afrikaner:innen eine
Community sind. Die Gesellschaft reagiert angespannt,
wenn sie zu viele Afrikaner:innen zusammen auf einem
Fleck sieht“, hält Henrie Dennis fest. Also wurde ARA
nach den ersten selbstorganisierten Meet and Greets unter
Gleichgesinnten offiziell gemacht. Und wo haben die
ersten Treffen stattgefunden?
Als Henrie Dennis neu in Österreich war, feierte sie gerne.
„Eigentlich tue ich das immer noch“, lacht sie und nimmt
einen Schluck von ihrem Kaffee. Doch die Clublandschaft
17
“
ERST WENN DU DIE EXISTENZ EINER
GRUPPE BEMERKST, FÄNGST DU AN,
SIE ERNST ZU NEHMEN.
”
für Lesben in Wien war begrenzt. Und ihre Diversität erst
recht. „Ich bin immer in denselben Club gegangen und
habe schnell realisiert, dass ich die einzige Schwarze Person
dort war. Nicht nur die einzige Schwarze Person afrikanischer
Herkunft, sondern ganz allgemein die einzige
Schwarze“, erinnert sich die Aktivistin zurück. Anfangs
störte Henrie Dennis das nicht. Andere Sorgen wie etwa
die, ob sie weiterhin in Österreich bleiben konnte, hatten
Vorrang. Doch als ihr Aufenthaltsrecht geklärt war, war für
Henrie Dennis Zeit, etwas zu tun. „Damals war ich auch
in anderen Organisationen aktiv, die mir bis heute sehr
wichtig sind“, erzählt sie. „Dort habe ich mit Freunden gesprochen,
mit sehr guten Verbündeten. Ich habe ihnen erzählt,
dass ich mich auf die Suche nach queeren Afrikaner:innen
machen möchte.“ Schon lange hatte die
Gründerin an verschiedensten Orten in Wien vereinzelte
LGBTQIs mit afrikanischer Herkunft getroffen. Nur an der
Gemeinschaft hatte es gefehlt. „Es war mir wichtig, eine
Plattform zu gründen, um sich miteinander auszutauschen,
um sich über Ungleichheiten zu beschweren und
füreinander da zu sein“, erinnert sich die heutige Wienerin.
Vor allem Neuankömmlingen in Österreich wollte sie
dabei die Möglichkeit bieten, Anschluss zu finden. Also
sorgte Henrie Dennis für Vernetzung. Sie lief von Ort zu
Ort, besuchte Plätze, an denen sie hoffte, Interessierte zu
finden, setzte auf Mundpropaganda und lud zu der ersten
Versammlung ein: ARA sollte ein Platz für gegenseitige
Unterstützung sein, in einer Gesellschaft, in der man so
oft auf Ablehnung stößt.
Das ist AfroRainbow Austria auch heute noch und das ist
ihrer Gründerin wichtig. „Wir können nicht für alles Lösungen
finden“, sagt die Frau mit der Kappe auf dem Kopf
langsam. „Aber wir versuchen, da zu sein. Das ist wichtig.
Wir sind ein Ort, an dem Menschen nichts sein müssen.
Hier musst du nur du selbst sein. Existieren“, fügt sie hinzu.
Das ist die grundlegende Idee, für die Henrie Dennis’
Organisation existiert. Natürlich kommen Menschen mit
spezifischen Anliegen, doch es geht vor allem darum,
miteinander zu sein. Eine Gemeinschaft aufzubauen, in
einer Welt, in der man sich so oft alleine fühlt. Weil man
so oft in der Minderheit ist. „Ich bin eine nigerianische lesbische
Frau. Eine Mutter. Eine Migrantin. Ich lebe in Österreich“,
spricht Henrie Dennis und betont jedes ihrer
Worte einzeln. „Meine Realität und die Realität von Menschen,
die aussehen wie ich, muss wichtig sein. Das ist,
warum ich mache, was ich mache.“ Dabei geht es nicht
nur darum, anderen zu helfen. Was die Aktivistin tut, tut
sie vor allem für sich selbst. „Und für die ungeborene Generation“,
fügt Henrie Dennis hinzu. „Wir sitzen alle im
selben Boot.“ Also tut Henrie Dennis, was Henrie Dennis
tut. Auch wenn das, was sie tut, eigentlich Aufgabe des
Staates wäre, wie sie betont. Auch wenn sie für das, was
sie tut, kein Geld bekommt. Ihren Lebensunterhalt verdient
sie sich mit einem anderen Job. Obwohl AfroRainbow
Austria eigentlich ihr Hauptjob ist. Ein unbezahlter
eben. Ihre Arbeit macht sie immer und überall. Persönlich
und am Telefon. Unter der Woche in der U-Bahn und am
Wochenende zu Hause. Nicht nur die Gründerin, auch
ihre Mitstreiter:innen arbeiten so. „Wenn ich die Anzahl
der Stunden, die wir investieren, aufschreiben würde,
wäre der Staat gar nicht mehr in der Lage, uns zu bezahlen“,
lacht die junge Frau.
Und was können wir tun? „Bleibt nicht leise, wenn ihr
euch mit etwas unwohl fühlt“, antwortet die Gründerin.
„Niemand erwartet, dass jemand, der immer in einem
Glashaus gelebt hat, weiß, wie es ist, auf der Straße zu
wohnen. Aber wenn euer Gefühl euch sagt, dass etwas
falsch ist, dann handelt danach. Wir brauchen Verbündete,
die handeln. Die ihre Meinung sagen. Niemand hat
sich ausgesucht, geboren zu werden, wie er geboren wurde.
Aber es ist unsere Verantwortung, uns der Macht, die wir
verkörpern, bewusst zu sein. Und darüber, wie wir die
Macht für jeden nutzen können“, spricht Henrie Dennis
und stellt ihre Kaffeetasse auf dem hölzernen Tisch vor ihr
ab. Dann malt sie Bilder von einer Welt, in der Gleichberechtigung
nicht nur Illusion ist. „Jede queere Person, jede
transafrikanische Person, jede LGBTQI-Person, jede nonbinäre
Person. Jede non-binäre Person afrikanischer Herkunft.
Jede Schwarze Person ist wichtig“, sagt sie laut.
„Jede Schwarze Person ist wichtig“, sagt sie leise.
www.afrorainbow.at
19
Kathrin Limpel
&
Ina Pervan Al-Soqauer
20
Text: Jana Reininger
Fotos: Jolly Schwarz
“
ZUR INKLUSION
GEHÖREN IMMER
BEIDE SEITEN. DAZU GEHÖRT,
DASS MENSCHEN WEGE
FINDEN, IN DIE
GESELLSCHAFT ZU KOMMEN.
”
Die NGO Fremde werden Freunde in Wien bemüht sich
um die Vernetzung von Menschen mit unterschiedlichen
Herkünften. Wie das funktioniert, was es damit genau
auf sich hat und welche Ziele hinter dem Vorhaben
stehen, wissen die beiden Gründerinnen Kathrin Limpel
und Ina Pervan Al-Soqauer.
Zwischen hohen Flügeltüren und hellen Wänden stehen
Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel im Eingangsbereich
ihres Büros. Durch die doppelten Fenster wirft
die Sonne ihr Licht auf den weitläufigen Parkettboden.
„Wir sind ganz neu hier“, strahlen sie und das merkt man.
Noch kitzelt der Geruch von frischen Möbeln in der Nase,
hier und da lehnt ein Verpackungskarton an der Wand.
Auf weißen Tischen stehen Laptops. Hier arbeiten
Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer. Sie sind die
Gründerinnen und Geschäftsführerinnen von Fremde
werden Freunde.
Bei Fremde werden Freunde geht es genau darum, dass
Fremde Freunde werden. „Der Name besteht nicht nur
einfach so“, lacht Kathrin Limpel, die nun am großen, runden
Tisch im Besprechungszimmer sitzt. „Jeder, der in
Österreich lebt, weiß, wie wichtig ein Netzwerk ist. Dass
ich jemanden kenne und Dinge nachfragen kann. Oder
auch einfach Freundschaften habe“, sagt sie und legt ihre
Hände auf den Tisch.
Fremde werden Freunde ist eine Initiative zur gesellschaftlichen
Inklusion. Das bedeutet, dass hier Kontaktpunkte
geformt werden. Aktivitäten, an denen Menschen
mit verschiedenen Hintergründen in einen Austausch
kommen. „Zur Inklusion gehören immer beide Seiten“, erklärt
Ina Pervan Al-Soqauer, die neben ihrer Kollegin auf
einem der gelben Sessel Platz genommen hat. „Dazu gehört,
dass Menschen Wege finden, in die Gesellschaft zu
kommen. Und dazu gehört auch, dass die Gesellschaft et-
21
was dafür tut, dass das ermöglicht wird“, ergänzt sie und
Kathrin Limpel nickt.
Deshalb geht es bei Fremde werden Freunde um Vernetzung.
Nicht um vorgeformte Integrationsziele für geflüchtete
Menschen, nicht um Verpflichtungen ehrenamtlich
mitarbeitender Personen und schon gar nicht um die Injektion
eines Hilfsprojektes, in dem bestimmte Menschen
als hilfsbedürftig betrachtet werden. „Unser Menschenbild
ist die Augenhöhe“, erklärt Ina Pervan Al-Soqauer, die
zuvor an der Wirtschaftsuniversität gearbeitet hat. „Es
geht nicht darum zu sagen, die einen sind die Benachteiligten
und die anderen die Besseren. Vielleicht ist jemand
in einem Bereich benachteiligt. In einem anderen dafür
vielleicht nicht.“
Um für gesellschaftliche Teilhabe zu sorgen, ermöglicht
Fremde werden Freunde Aktivitäten. Die entstehen vor
allem basierend auf den Wünschen, die die Teilnehmer:innen
an die Gründerinnen herantragen. Vorausgeplant
wird da nichts. „Jeder Mensch hat eine Kompetenz
oder irgendwas, das ihm Freude macht und das er gerne
auch anbieten würde. Das machen wir dann möglich“,
sagt Kathrin Limpel. „Zu Beginn haben ein paar Leute gesagt,
sie würden gerne Schach spielen. Also haben wir gesagt
‚Super, wir machen die Kommunikation und schauen,
dass wir Schachbretter und einen Raum bekommen’“,
erinnert sich Kathrin Limpel zurück. Das Schachspielen
war ein voller Erfolg. Die Aktivität läuft bis heute und ist
somit das kontinuierlichste Programm, das der Verein
rund um Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel anbietet.
Neben der Kontinuität von erfolgreichen Programmen
sind es nämlich vor allem die Werte Flexibilität und Adaptabilität,
die den beiden Frauen, die bereits für ihr humanitäres
Engagement ausgezeichnet wurden, wichtig sind.
„Wir bieten z.B. schon lange keine Deutschkurse mehr an“,
erzählt Kathrin Limpel. Das liegt daran, dass die Menschen,
die in den letzten Jahren nach Österreich gekommen
sind, heute Deutsch können. Außerdem arbeiten sie
jetzt und haben am Vormittag meistens keine Zeit, erzählen
die Geschäftsführerinnen. „Da muss sich das Engagement
natürlich auch immer irgendwie verändern“, hält
Kathrin Limpel fest. Deswegen finden heute stattdessen
Bewerbungstrainings statt. Die sind nämlich gefragter.
Aber auch zu anderen Aktivitäten wie Wanderungen,
Tischtennis oder Erzählcafés wird regelmäßig eingeladen.
Ausgeschrieben werden diese Aktivitäten vor allem auf
der Facebookseite des Vereins – damit auch jeder teilnehmen
kann, der Interesse hat. Ganz unabhängig von
seiner Herkunft.
Neben Programmen zur Vernetzung von Menschen betreibt
Fremde werden Freunde aktuell ein Mentoring Pro-
jekt, in dem geflüchtete Studierende von bereits länger
studierenden Personen begleitet werden. Außerdem
wird in einem internationalen Projekt geforscht und im
Wiener Museumsquartier findet zeitgleich in Kooperation
mit der Künstlerin Deborah Sengl ein Escape Room statt.
Alles zum Thema Flucht, versteht sich. Auch mit Organisationen
finden immer wieder Zusammenarbeiten statt,
mit großen wie dem ORF oder der Caritas oder auch mit
kleinen, neuen Initiativen, die Veranstaltungsräume brauchen.
Denn Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer
wissen, wie es ist, am Anfang zu stehen.
Ihren Anfang nimmt die Geschichte von Fremde werden
Freunde im Sommer 2015 am Wiener Hauptbahnhof. In
dem Jahr, in dem man plötzlich so vielen neu angereisten
Menschen ins Gesicht sehen konnte. „2015 war das Thema
Flucht so nah, dass ich einfach mal zum Bahnhof gefahren
bin“, erinnert sich Kathrin Limpel. Was sie dort sah,
berührte sie und weckte ihre Willenskraft. „Man kann
dann nicht einfach dasitzen und sagen ‚Boah, ist das arg,
jemand muss etwas tun‘“, erzählt die Kommunikationsexpertin
von ihren Eindrücken. „Man muss selbst etwas
tun.“ Also meldete sie sich als Freiwillige und fand sich
schon bald in den Räumen der Kleiderspenden wieder.
Ina Pervan Al-Soqauers Zugang zu den Geschehnissen
am Wiener Hauptbahnhof rief vor allem persönliche Erinnerungen
hervor. „Ich bin 1992 selbst aus Bosnien geflüchtet
und hab mich eigentlich immer von dem Thema
ferngehalten“, erzählt die Gründerin. Das Fernhalten war
einfach, denn bis zu jenem Sommer hat kaum jemand
über Fluchthintergründe gesprochen, wie sie sich erinnert.
Doch als 2015 die vielen Menschen nach Österreich
kamen, war das Verdrängen keine Möglichkeit mehr. „Ich
habe das so intensiv erlebt, schon bevor die Menschen in
Österreich waren. Da wusste ich einfach, was auch immer
da dann an Trauma auftaucht, jetzt muss ich etwas tun“,
erinnert sich die Wienerin.
Ganz zufrieden waren die beiden Frauen in ihrem Engagement
rund um den Bahnhof aber nicht. „Die Tätigkeiten
dort waren wichtige Aufgaben“, sind sich die heutigen
Geschäftsführerinnen, die sich damals noch gar nicht
kannten, einig. „Aber meine Kompetenzen waren überhaupt
nicht richtig eingesetzt. Weil ja, ich kann schon Gewand
sortieren, aber eigentlich kann ich noch ganz andere
Sachen“, erzählt Kathrin Limpel. Dem schließt sich
auch Ina Pervan Al-Soqauer an, die bereits vor dem ereignisreichen
Jahr Non-Profit-Organisationen beraten und
evaluiert hat. „Ich kannte den Sektor ganz gut und fand
diese organisatorischen Geschichten immer total spannend.
Also war ich immer mit einem evaluierenden Auge
mit dabei“, erinnert sie sich zurück.
Getroffen haben sich die beiden bei einem Vernetzungstreffen,
das von der Caritas für jene Menschen organisiert
23
“
DAS WAREN TOP JUNGE LEUTE, (...)
DIE (...) SAGEN, SIE WERDEN MANCHMAL GAR
NICHT ZUM VORSTELLUNGSGESPRÄCH
EINGELADEN. WEGEN IHRES NAMENS.
WEIL SIE EIN KOPFTUCH TRAGEN. WEIL SIE EINE
DUNKLERE HAUTFARBE HABEN.
”
wurde, die auch nach den Erlebnissen am Bahnhof weiterhin
Engagement zeigen wollten. Und das wollten auch
Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel. Auf dem Vernetzungstreffen
haben die beiden Frauen erkannt, dass
sie gleiche Absichten hatten, also entstand schon bald
Fremde werden Freunde. So engagieren sie sich bis heute
gemeinsam.
„Das hört sich manchmal so einfach an, wie wir das formulieren.
Als könnte man einfach eine NGO hinstellen“,
lacht Ina Pervan Al-Soqauer über den Anschein der Märchenhaftigkeit
der Entstehung. Denn ganz so einfach war
es in Wahrheit nicht. Beide Geschäftsführerinnen bringen
breite Fächer an Erfahrung und Kompetenz mit, die
zum Aufbau eines Betriebes zweifelsfrei notwendig sind.
Dazu gehören etwa das Wissen über Organisationsstrukturen,
über Projektkonzepte oder über das Verfassen von
Anträgen. Und auch heute noch besuchen die beiden
laufend Weiterbildungen, um weiterhin vorne dabei zu
sein. Gerade haben Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer
ihr Team erweitert. Eine neue Anstellung war geplant.
Geworden sind es dann vier. „Wir sind in der Früh
mit dem Vorhaben reingekommen, sieben Leute anzuschauen
und uns dann für eine Person zu entscheiden.
Nur um danach draufzukommen, dass das eigentlich gar
nicht geht und anders viel besser funktionieren würde“,
lacht Kathrin Limpel und auch ihre Kollegin grinst. „Ich
war mir da unsicher, weil ich relativ wenig geschlafen hab
und mir gedacht hab, bin ich jetzt übernächtig und mach
jetzt so einen Wahnsinn, dass wir einfach statt einer Person
vier einstellen“, erinnert sich Ina Pervan Al-Soqauer
kopfschüttelnd. Aber auch am nächsten Tag hat es gestimmt.
„Das waren top junge Leute, die tolle Ausbildungen
haben, die sich super engagieren, die dann aber dasitzen
und sagen, sie werden manchmal gar nicht eingeladen
zum Vorstellungsgespräch. Wegen ihres Namens. Weil sie
ein Kopftuch tragen. Weil sie eine dunklere Hautfarbe haben“,
erzählt Kathrin Limpel. Also wurden sie zu Fremde
werden Freunde ins Boot geholt. „Wir ändern die Dinge
dann einfach schnell. Wir machen uns nicht das Leben
schwer, indem wir die Sachen viel zu formal angehen. Wo
es dann tausend Dokumente gibt, so ausgearbeitet, dass
du sie später gar nicht mehr umwerfen willst. Bei uns geht
alles relativ schnell“, sagt Ina Pervan Al-Soqauer und lächelt.
Still steht bei Fremde werden Freunde nichts. Da folgen
auf neue Projekte noch neuere, auf alt gewordene Veranstaltungen
andere und auf Stellenangebote eben noch
mehr davon. Je nachdem, wo sich gerade Bedarf zeigt.
Denn nur Jammern bringt ja nichts. Wer mit den Dingen
unzufrieden ist, muss selbst anpacken. So wie Ina Pervan
Al-Soqauer und Kathrin Limpel, in deren Büro es noch
nach Umzug riecht.
www.fremdewerdenfreunde.at
24 SOCIAL ATTITUDE 2021
„Die Fotografie lebt von
Emotionen und ich liebe es,
ebendiese einzufangen.“
Werbe-, Mode- und Portrait-Fotografie
bilden die Arbeitsschwerpunkte von
Jolly Schwarz. Seit dem Jahr 2009
arbeitet sie als selbstständige
Fotografin in Wien.
Nähere Infos unter:
www.jollyschwarz.com
Hannah-Isabella
Gasser
Text: Salme Taha Ali Mohamed
Fotos: Jolly Schwarz
Hannah-Isabella Gasser hat die vergangenen zehn Jahre ihres Lebens damit verbracht, Frauen, die
Menschenhandel und häusliche Gewalt erleb(t)en, zu unterstützen. Bei ihrem Verein Footprint können die
Betroffenen Deutsch lernen, Yoga machen oder sich einfach auf einen Kaffee miteinander treffen.
Hannah-Isabella Gasser brennt für ihre Arbeit. Ihr Verein
unterstützt Frauen in Österreich, die Opfer von häuslicher
Gewalt und Menschenhandel geworden sind, und sobald
sie anfängt, davon zu erzählen, merkt man sofort,
wie wichtig ihr die Arbeit ist. „Gewalt kann alle Frauen
gleich treffen. Das ist eine Tatsache, die viele Leute oft
nicht hören wollen“, schildert die Vereinsleiterin bestimmt,
während sie den Milchkaffee in ihrem Becher behutsam
umrührt. „Wir betreuen Frauen aus allen Schichten
mit allen Ausbildungen, mit und ohne Migrations- oder
Fluchtgeschichte.“
Mit dem unendlichen Häusermeer Wiens im Rücken sitzt
Hannah-Isabella Gasser zurückgelehnt im blauen Lehnstuhl
in der kuscheligen Beratungsecke des Vereines.
Sie ist eine lebensfrohe und humorvolle Person, die gerne
lacht und viel erzählt. Doch sobald sich das Gespräch
um ernstere Themen dreht wie etwa die Arbeit ihres Vereines,
schlägt ihre Stimmung um und sie wird nachdenklicher.
„Das Footprint ist so etwas wie ein Tageszentrum
für die Frauen, die von Frauenhandel und/oder häuslicher
Gewalt betroffen sind oder waren. Sie können mit all ihren
Anliegen zu uns kommen, unabhängig davon, ob sie
unsere Rechts- und Sozialberatung in Anspruch nehmen
wollen, auf der Suche nach einem Kindergartenplatz sind,
Begleitung bei Terminen zu Frauenärzt:innen oder offiziellen
Behörden brauchen oder in akuten Notsituationen
eine Unterkunft für die Nacht benötigen“, erklärt sie. Bei
Footprint können Klientinnen auch ganz alltägliche Angebote
in Anspruch nehmen. So können die Frauen, die
sich hilfesuchend an den Verein wenden, hier Deutsch
lernen, unterschiedliche Sportarten ausüben, Yogakurse
oder Kurse in Sexualerziehung und weiblicher Gesundheit
besuchen. Das Frauencafé ist das Herz von Footprint.
Hier treffen sich die Mitarbeiter:innen und Klientinnen,
um sich bei einer Tasse Kaffee und Kuchen zu unterhalten
und ihre Erfahrungen miteinander auszutauschen –
manchmal in der hinteren Ecke der kleinen Küche,
manchmal in der Mitte des großen Bewegungsraumes,
wo eine Reihe von Yogamatten an Seilen von der Decke
hängt und die großen Fenster einen beeindruckenden
Ausblick auf Wien gewähren.
„Footprint soll ein niederschwelliger Wohlfühlort sein, wo
alle Frauen einfach nur anwesend sein können“, erzählt
Hannah-Isabella Gasser. „Keine Frau muss erklären, warum
sie hier ist, oder ihre Geschichte erzählen, wenn sie
das nicht tun möchte. Es soll ein Ort sein, wo Mütter ihre
Kinder mitnehmen können, anstatt sich Sorgen machen
zu müssen, ob sie einen Kindergarten oder eine andere Betreuung
für sie finden, um zu Footprint kommen zu können.“
Die bunten Stofftiere, die in den weißen Regalen
und Bücherschränken im ganzen Verein zu finden sind,
bezeugen das. Im Beratungszimmer liegt eine Babydecke
auf dem braunen Fliesenboden und eine mobile Wiege
steht daneben. „Hauptsache für uns ist es, dass sich
die Frauen hier nehmen können, was sie wirklich brauchen,
und sich ein Netzwerk aufbauen, sich anfreunden,
27
gegenseitig unterstützen und ermutigen“, führt die Vereinsleiterin
weiter aus. Das ist es, was den Verein so fundamental
von anderen Opferschutzeinrichtungen unterscheidet.
Denn während das Ziel der meisten bereits
etablierten Institutionen darin liegt, die Täter:innen von
Menschenhandel und häuslicher Gewalt zu fassen und
Betroffene im Prozess zu begleiten, dreht sich bei Footprint
alles darum, die Lebensqualität von den Frauen zu
verbessern. Das fühlt man auch. Im Eingangsbereich
wird man darauf hingewiesen, die Schuhe auszuziehen,
und an den weiß gestrichenen Wänden hängen Bilder,
von denen Mitarbeiter:innen und Klientinnen bei Exkursionen
und Projekten auf die Betrachter:innen herablächeln.
In jeder Ecke stehen hochgewachsene Pflanzen
oder Regale mit vielen unterschiedlichen Büchern für Erwachsene
und Kinder, deren Titel von Sexualerziehung
über Flucht und Frauenrechte bis hin zu Self Care erzählen.
Hannah-Isabella Gasser fand den Weg zu ihrer heutigen
Arbeit über mehrere Umwege. Nachdem sie die Matura
abgeschlossen hatte, wollte sie im darauffolgenden
Herbst ein Medizinstudium beginnen. Aufgrund ihrer Legasthenie
schaffte die heutige Vereinsleiterin jedoch den
Aufnahmetest an der Medizinischen Universität Wien
nicht. Also entschied sie sich, stattdessen Afrikawissenschaften
an der Universität Wien zu studieren. Neben ihrem
Studium engagierte sie sich ehrenamtlich in unterschiedlichen
Organisationen, die sich mit der Gesundheit
und Sicherheit von Frauen mit Migrationsgeschichte befassten.
In ihrer Diplomarbeit beschäftigte sie sich mit
Frauen, die Opfer von Frauenhandel geworden waren.
Anhand von qualitativen Interviews mit den Betroffenen
fand sie heraus, welche Mängel im jetzigen System bestehen,
und entwickelte mögliche Lösungsansätze. Später
nutzte sie die Erkenntnisse, die sie im Rahmen ihrer
Arbeit gewinnen konnte, um den ersten Grundstein für
Footprint zu legen. „Bei den Interviews konnte ich stark
heraushören, was die Frauen brauchen. Sie waren bei der
Entstehung von Footprint maßgeblich involviert und haben
aktiv mitdiskutiert, wie der Verein weiterentwickelt
werden und welches Angebot zur Auswahl stehen sollte“,
erläutert sie.
Heute ist der Verein ein Safer Space für seine Klientinnen.
Die einzigen Männer, die die Räumlichkeiten von Footprint
betreten dürfen, sind die Mitarbeiter. Denn die Sicherheit
der Frauen steht hier an vorderster Stelle. Deswegen
können sie mit einem Decknamen zu dem Verein
kommen. Das ist auch der Grund, warum Hannah-Isabel-
28 SOCIAL ATTITUDE 2021
“
ES TUT SICH EINFACH VIEL ZU WENIG,
OBWOHL MAN VON DEN ZUSTÄNDEN
VON DIESEN FRAUEN WEISS. ES WIRD EINFACH
IN DIE FALSCHEN DINGE INVESTIERT
UND VIEL ZU WENIG IN DIE RICHTIGEN.
”
la Gasser dem Verein seinen heutigen Namen gegeben
hat: „Mir war es sehr wichtig, dass es ein neutraler Name
ist. Die Frauen können sagen, dass sie zu Footprint gehen,
ohne dass es sofort ersichtlich ist, dass es sich hierbei um
eine Opferschutzeinrichtung handelt.“ Das ermögliche
den Frauen, den Verein auch vor den Partner:innen zu erwähnen,
von denen sie missbraucht werden, ohne dass
sie dadurch in Gefahr geraten würden. Obwohl die Arbeit
mit Frauen, die Erfahrungen mit Menschenhandel und
Gewalt gemacht haben und in manchen Fällen sogar
noch immer davon betroffen sind, mental belastend und
anstrengend ist, schafft es Hannah-Isabella Gasser, sich
davon nicht unterkriegen zu lassen. Mehr noch: Sie
schöpft Kraft aus ihrer Arbeit und dem, was sie und ihre
ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen bewirken können.
„Jedes Schicksal bewegt und berührt mich natürlich. Aber
wir sind in der Position, dass wir uns darum kümmern
müssen, dass wir handlungsaktiv mit den betroffenen
Frauen werden. Die Frauen, die zu uns kommen, wollen
etwas an ihrer Situation verändern. Es ist eigentlich sehr
schön zu sehen, wie sie sich entwickeln und was für unglaublich
starke Persönlichkeiten wir hier haben“, sinniert
die Vereinsleiterin mit fester Stimme und einem Lächeln
auf den Lippen. „Diese positiven Entwicklungen bei meinen
Klientinnen geben mir sehr viel. Wie schlimm die
Schicksale unserer Klientinnen auch waren oder sind, es
ist einfach schön zu sehen, wie sie sich dann bei uns wohlfühlen
und regelrecht aufblühen.“ Ihre Familie und vor allem
ihre Tochter, mit der sie viel in der Natur unterwegs
ist, helfen ihr dabei, sich zu entspannen und außerhalb
des Vereines auf andere Gedanken zu kommen.
Angetrieben wird die Vereinsleiterin von Wut. Wut auf die
Zustände, in denen sich ihre Klientinnen befinden und die
es ihnen oft unmöglich machen, daraus auszubrechen.
Wut vor allem auf die Regierung, die laut Hannah-Isabella
Gasser viel zu wenig mache, um Frauen, die von Gewalt
und Menschenhandel in ihrem Leben betroffen sind, zu
unterstützen. „Es tut sich einfach viel zu wenig, obwohl
man von den Zuständen dieser Frauen weiß. Es wird einfach
in die falschen Dinge investiert und viel zu wenig in
die richtigen“, meint die Vereinsleiterin angespannt und
erklärt weiter, dass der Verein immer wieder mit finanziellen
Schwierigkeiten zu kämpfen habe, da sie genauso
wie ähnliche NGOs nicht genug finanzielle Unterstützung
seitens der Regierung bekämen. „Ich wünsche mir, dass
es uns nicht mehr geben muss, weil das Problem nicht
mehr besteht. Ich bin aber realistisch genug, dass ich weiß,
dass das nicht der Fall sein wird.“
www.footprint.or.at
29
Fedaa
Alarnoot
Text: Salme Taha Ali Mohamed
Fotos: Jolly Schwarz
Das österreichische Asylverfahren ist beschwerlich und kompliziert – vor allem für geflüchtete LGBTQUIA+
Personen. Fedaa Alarnoot, Sozialarbeiter bei der Queer Base, hilft ihnen dabei, im System sicher zu
navigieren und ihren Platz in Österreich zu finden.
Deutsch lernen, sich ein neues Leben in einem neuen
Land aufbauen und gleichzeitig andere Menschen durch
das Asylverfahren begleiten. All das bewältigt Fedaa
Alarnoot gleichzeitig. Der gebürtige Syrer lebt seit über
vier Jahren in Österreich und hilft seitdem als Sozialarbeiter
bei der Queer Base Menschen, die vor der fatalen
Homo- und Transphobie in ihrer Heimat geflüchtet sind.
Der arabischsprachige Sozialarbeiter ist die erste Anlaufstelle
für queere Flüchtlinge – größtenteils schwule Cis-
Männer – aus arabischsprachigen Ländern. „Es ist wichtig,
dass sich unsere Klient:innen sicher fühlen und wissen,
dass sie im Asylverfahren offen über ihre Sexualität und
Geschlechtsidentität reden können“, erklärt Fedaa Alarnoot.
Die Beine locker übereinander geschlagen, die
Hände in seinem Schoß ruhend und mit einer bunten
Kappe auf seinem Kopf sitzt der Sozialarbeiter gelassen
auf dem großen Sofa in der Bibliothek der Türkis Rosa Lila
Villa. Das bunt bemalte Haus in der linken Wienzeile inmitten
von historischen Altbauten und den kleinen Lokalen
am Naschmarkt ist das Zuhause der Queer Base. Im
Inneren dekorieren Poster vergangener Veranstaltungen
die Wände. Auf jeder Oberfläche lassen sich Sticker, Flyer
und Broschüren mit Infomaterial zu unterschiedlichen
Aktionen und Themen rund um die LGBTQUIA+ Community
finden. Jede Tür im Eingangsbereich trägt eine andere
Farbe und führt entweder in den Innenhof, die Büros
oder die kleine Bibliothek, wo Fedaa Alarnoot heute die
Queer Base vorstellt.
Lässig, souverän und doch immer darauf bedacht, die
richtigen Worte zu finden, berichtet er von den Schwierigkeiten,
mit denen queere Flüchtlinge im österreichischen
Asylverfahren konfrontiert sind. „Es fängt bei den
Falschinformationen an. Es gibt so viele Klient:innen, die
nicht wissen, wie das Verfahren tatsächlich abläuft und
vollkommen falsche Informationen darüber erhalten haben“,
erzählt der Sozialarbeiter. „Manche glauben zum
Beispiel, dass sie vor den Behörden Sex haben müssen, um
ihre Sexualität zu beweisen, oder dass ihre Sexualität oder
Geschlechtsidentität wie ein Stempel in all ihren Dokumenten
festgehalten wird.“ Wieder andere vertrauen ihren
Dolmetscher:innen nicht, aus Angst, dass diese sie
vor ihrer Familie oder gemeinsamen Bekannten gegen ihren
Willen outen würden. Oder sie haben vor ihrer Ankunft
in Österreich unter dem Druck ihrer Familie geheiratet
und werden deswegen in ihrem Asylverfahren weniger
ernst genommen. „Wie sollen diese Männer erklären,
dass sie eigentlich schwul sind, aber gezwungen waren,
eine Frau zu heiraten?“, führt Fedaa Alarnoot weiter aus.
„Und was bedeutet es für die Ehefrau und deren Kinder,
wenn er es doch tut?“ Noch schwieriger wird es für die
Asylsuchenden, wenn die Beamt:innen, die die Asylanträge
bearbeiten, selbst homo- oder transphob sind und
sich in ihrer Entscheidung von ihren eigenen Vorurteilen
leiten lassen.
Deswegen gibt es die Queer Base. „Wenn jemand 25 Jahre
lang hört, dass queere Menschen eine Schande sind,
dann glaubt die Person irgendwann, dass sie selbst eine
Schande ist“, erläutert Fedaa Alarnoot. „Wenn die homooder
transphobe Verfolgung im Herkunftsland der Grund
für den Asylantrag ist, macht es einen großen Unterschied,
31
“
UNSERE ARBEIT IST SEHR WICHTIG. NICHT
NUR FÜR DIE MENSCHEN, DIE VOR
HOMO- UND TRANSPHOBIE FLIEHEN,
SONDERN FÜR DIE GANZE GESELLSCHAFT.
”
ob sich der:die Antragsteller:in wohl mit seiner:ihrer Sexualität
fühlt oder nicht. Ist er:sie nicht in der Lage, darüber
zu sprechen, kann das die Chancen auf einen positiven
Asylbescheid verringern.“ Deswegen bietet der Verein
geflüchteten queeren Personen nicht nur eine Rechtsund
Sozialberatung während des Asylverfahrens an, sondern
auch eine Coming-out-Beratung, in der die Klient:innen
die internalisierte Homo- oder Transphobie, die sie
ihr Leben lang mit sich getragen haben, ablegen und lernen,
stolz auf sich selbst zu sein.
Eine Gemeinschaft von Menschen, die in der gleichen Situation
sind oder waren, hilft dabei. Denn viele queere
Flüchtlinge befinden sich in Selbstisolation. Sie haben
meistens keinen Kontakt zu anderen geflüchteten
LGBTQUIA+ Personen und halten sich in den Communitys
auf, vor denen sie ursprünglich geflohen sind. „Das
macht es ihnen schwer, Freund:innen zu finden, die verstehen
können, was sie gerade durchmachen“, führt
Fedaa Alarnoot weiter aus. Mitten im Asylverfahren und
nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen, müssen sie
sich wochen-, monate- oder sogar jahrelang einem Leben
des Nichtstuns hingeben. „Es gibt bei uns Klient:innen,
die fünf Jahre lang in ihrem Asylverfahren warten
müssen und währenddessen nichts zu tun haben. Es
macht die Menschen psychisch fertig“, so der Sozialarbeiter.
Durch unterschiedliche Aktivitäten wie Grillpartys
oder Deutschkurse bringt die Queer Base ihre Klient:innen
zusammen und ermöglicht es ihnen, neue Freund:innen
und eine neue Community zu finden, in der sie sie
selbst sein können. Fedaa Alarnoot teilt mehr mit seinen
Klient:innen als nur eine gemeinsame Sprache. Auch er
ist ein schwuler Cis-Mann, der in Syrien geboren wurde
und seine Heimat verlassen musste, weil er dort aufgrund
seiner Sexualität staatlicher Verfolgung ausgesetzt war.
Dabei war es die LGBTQUIA+ Community in Syrien, die
Fedaa Alarnoot die beschwerliche und harte Flucht aus
Damaskus ermöglichte. Es war ein schwuler Mann mit
den richtigen Beziehungen, der die nötigen Papiere für
den heutigen Sozialarbeiter besorgte, und ein weiterer
schwuler Mann, der ihm Unterschlupf bot, bis er das
Land verlassen konnte. „Das war das erste Mal, dass ich
mitbekam, dass es dort eine Gemeinschaft gibt, die einander
hilft und unterstützt“, erzählt Fedaa Alarnoot mit gedämpfter
Stimme. Langsam, behutsam, während seine
Hände unablässig über seine nackten Arme fahren. Plötzlich
ist die lässige Haltung von zuvor verschwunden,
wohl durch das Gewicht der Erinnerungen, die dem jungen
Sozialarbeiter deutlich ins Gesicht geschrieben stehen.
In Österreich angekommen stolperte Fedaa Alarnoot
2016 durch Zufall über die Queer Base. Sein Asylverfahren
war nach nur zwei Wochen abgeschlossen und er
war gerade auf der Suche nach einer Wohnung. „Ich
stand damals in Kontakt mit einer Sozialberaterin von
der Diakonie, die versuchte, mir zu helfen. Sie wusste,
dass meine Homosexualität der Grund für mein Asyl war,
und verwies mich an die Queer Base“, erinnert er sich.
Wie viele seiner heutigen Klient:innen suchte Fedaa Alarnoot
nach einer Unterkunft, in der er seine Sexualität vor
seinen möglichen homophoben oder transphoben Mitbewohner:innen
weder verstecken noch deswegen in
Gefahr geraten würde. Obwohl die Queer Base damals
nicht der große Verein war, den man heute kennt, schafften
es die Aktivist:innen trotzdem in kürzester Zeit, eine
32 SOCIAL ATTITUDE 2021
Wohnung für Fedaa Alarnoot zu organisieren. „Ich fühlte
mich überrumpelt“, erinnert sich Fedaa Alarnoot an jene
Zeit. „In Syrien kannte ich eine solche Zivilarbeit von Vereinen
nicht. Die Idee, dass eine Gruppe von Menschen jemandem
hilft, einfach so, ohne die Erwartung, dafür etwas
zurückzubekommen, das fühlte sich gut an und ich
wollte auch mithelfen.“ Es war eine Möglichkeit, sich bei
jener Gemeinschaft, die ihm so oft geholfen hatte, zu revanchieren.
„Ich habe mir gesagt, dass jetzt die Zeit ist,
um zurückzugeben. Hier gibt es die Möglichkeit und eine
Community, die man unterstützen kann.“
Fedaa Alarnoots Fluchterfahrungen erleichtern und erschweren
seine Arbeit zugleich. Seine Klient:innen vertrauen
sich ihm eher an, wenn sie wissen, dass er das
Gleiche durchgemacht hat, und der Sozialarbeiter kann
sich besser in sie hineinversetzen und ihre Sorgen und
Probleme verstehen. Gleichzeitig bringt es aber auch
Nachteile: „Als Flüchtling ist die Arbeit oft schwerer für
mich als für Menschen, die diese Erfahrungen nicht gemacht
haben. Vor allem am Anfang habe ich deswegen
versucht, eine Nähe zu meinen Klient:innen aufzubauen“,
verrät der Sozialarbeiter. Mit der Zeit musste er jedoch
lernen, dass das nicht gesund für ihn war. Wenn eine:r
seiner Klient:innen einen negativen Asylbescheid bekam
oder ihm:ihr die Abschiebung drohte, traf es Fedaa Alarnoot
umso mehr, nachdem er sich mit ihnen angefreundet
hatte. „Ich musste lernen, eine Grenze zu meinen
Klient:innen aufzubauen und professioneller in meinen
Beziehungen zu ihnen zu sein.“
Wenn die Belastung in der Arbeit zu viel wird, kann er sich
auf die emotionale Unterstützung seiner Kolleg:innen
verlassen. „Hier im Team unterstützen wir einander. Wir
reden miteinander über unsere Probleme, beraten uns gegenseitig
und tauschen unsere Erfahrungen aus.“ Reden
ist ein wichtiger Bewältigungsmechanismus für Fedaa
Alarnoot. Manchmal, wenn niemand anderer da ist, mit
dem er reden kann, redet er einfach mit sich selbst. „Ich
mache das sehr oft“, gibt der Sozialarbeiter lachend zu.
„Das Reden, das hilft manchmal, die schlechten Zeiten zu
überleben. Die professionelle Supervision ist gut, aber es
gibt immer bestimmte Schritte und Methoden, die man
befolgen muss. Wenn ich mit mir selbst rede, kann ich einfach
alles rauslassen.“
Doch so schwer und nervenaufreibend die Arbeit bei der
Queer Base manchmal sein kann – Fedaa Alarnoot ist
glücklich, sie machen zu können. Denn er ist überzeugt:
„Unsere Arbeit ist sehr wichtig. Nicht nur für die Menschen,
die vor Homo- und Transphobie fliehen, sondern
für die ganze Gesellschaft.“
www.queerbase.at
33
34 SOCIAL ATTITUDE 2019
Danijela
Cicvaric
Text: Jana Reininger
Fotos: Jolly Schwarz
Im dritten Wiener Gemeindebezirk steht ein Verein von Rom:nja für Rom:nja. Seine Angebote sind vielseitig
und vor allem notwendig, denn vielen Rom:nja wird der Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe verwehrt.
Was im Romano Centro genau passiert, weiß die pädagogische Leiterin Danijela Cicvaric.
An der hellen Wand hinter Danijela Cicvarics Kopf geht es
wild zu. Sie ist bedeckt von Plakaten, Fotos und Flugblättern,
die um die Aufmerksamkeit der Besucher:innen
wetteifern. Neben Grafiken des österreichischen Bildungssystems
strahlen zahllose Mädchen und Frauen
von Fotos herab. Hinter einer hölzernen Kiste mit Büchern
wechseln sich Bilder von Pferden mit Logos von
österreichischen Hilfsorganisationen ab. Während ein
großes Papier über Verhütungsmethoden aufklärt, zeigt
ein noch viel größeres in handgeschriebenen Buchstaben
auf, worum es hier eigentlich geht: Rom:nja in Österreich.
„Ich beschreibe mich eigentlich als Sozialarbeiterin, obwohl
ich seit März 2019 auch die pädagogische Leitungsposition
im Romano Centro übernommen habe“, erzählt
Danijela Cicvaric. Und für die pädagogische Leiterin gibt
es dort viel zu tun. Der Verein widmet sich den Anliegen
von Rom:nja in Österreich. Er zielt darauf ab, die Lebenssituation
der so stark marginalisierten Gruppe zu verbessern,
und steht ihr mit Beratung aller Art zur Seite. „Am
Anfang war das Romano Centro als Kulturverein vorgesehen“,
erklärt die Sozialarbeiterin. „Aber wir haben schnell
gesehen, dass Rom:nja, die in Österreich leben, auch viele
andere Bedürfnisse an uns hatten.“
Rom:nja gelten als eine der meist diskriminierten Volksgruppen
Europas. Das zeigt auch der Antiziganismusbericht
auf, der vom Romano Centro publiziert wird. Die Vorfälle
zeigen sich im öffentlichen Raum und im Internet, in
mehrheitsgesellschaftlichen Medien, in der Politik, in Arbeit
und Bildung. Doch da hört die Liste nicht auf.
„Rom:nja sind eine Gruppe, die überall diskriminiert
wird“, erzählt Danijela Cicvaric. Daher betreibt das Romano
Centro neben der Berichterstattung über Diskriminierungsvorfälle
noch viele weitere Projekte. Im Jahr 2015
hat das Projekt Romane Thana im Wien Museum auf öffentliche
Bewusstseinsbildung gesetzt, in den darauffolgenden
Jahren in anderen Museen Österreichs. Zusätzlich
stellt Romane Thana Unterrichtsmaterialien für den
Schulbetrieb bereit. „Da kann man mit den Kindern die
Thematik bearbeiten“, sagt Danijela Cicvaric. Denn sonst
werden Rom:nja im österreichischen Lehrplan kaum behandelt.
Da Rom:nja-Kinder und -Jugendliche oft aus bildungsfernen
Familien kommen, wird ihnen im Romano Centro außerdem
Lernhilfe angeboten, wie die pädagogische Leiterin
erzählt. Dabei besuchen Lernhelfer:innen die
Schüler:innen zu Hause und bieten Unterstützung in verschiedenen
Schulfächern an. Zusätzlich vermittelt die
Rom:nja-Schulmediation zwischen Kindern, Eltern und
Lehrer:innen, um einen erfolgreichen Bildungsabschluss
zu unterstützen.
Was der pädagogischen Leiterin des Romano Centro
aber am meisten am Herzen liegt, sind ihre feministischen
Ambitionen. Denn wo Rom:nja-Männer Diskrimi-
35
nierung erfahren, sind Rom:nja-Frauen umso mehr betroffen.
„Rom:nja-Frauen haben keine Stimme in der
Gesellschaft und auch keine Stimme in der eigenen Community“,
erzählt Danijela Cicvaric. „Deshalb haben wir
beschlossen, Angebote extra für Frauen zu machen.“ Zum
einen gibt es da die Mädchenwoche, in der Töchter aus
Rom:nja-Familien mit den Mitarbeiterinnen eine Woche
außerhalb von Wien verbringen. Dabei setzen sie sich mit
Themen auseinander, von denen sie andernfalls vielleicht
nichts erfahren. „Sie besprechen da wichtige Dinge, wie
Identität, Frauenrechte, Beruf und Bildung. Aber auch Sexualität
ist ein Tabuthema in sehr vielen Familien und
damit Lebensplanung oder diverse Formen von Familien
auch“, erzählt Danijela Cicvaric. Und weil die Mädchenwoche
nur einmal im Jahr stattfindet, lädt das Projekt „Zurale
Seja-Strake Mädchen“ die Mädchen monatlich zusätzlich
zum feministischen Austausch ein. „Manchmal
gehen wir ins Kino, um einen Film mit einer besonderen
Thematik anzuschauen, worüber wir dann diskutieren
können. Oder wir organisieren Workshops wie zum Beispiel
Selbstverteidigungskurse. Einmal waren wir im Verhütungsmuseum.
Die Mädchen sollen einfach die Möglichkeit
haben, viele Dinge kennenzulernen“, fasst Danijela
Cicvaric zusammen. Oft sehen die Mädchen sonst nämlich
wenig Wahlmöglichkeiten, verlieren sich in traditionellen
Rollen als Ehefrau und Mutter und verzichten damit
weitgehend auf Unabhängigkeit. Viele leben am Rand
der Gesellschaft und kennen nach einem ganzen Leben
in Wien schlichtweg Orte wie den Stephansplatz nicht,
wie die pädagogische Leiterin erzählt. Wie wirksam ihre
Arbeit ist, sieht Danijela Cicvaric immer wieder. Etwa
wenn sich ehemalige Kinder mit Lernschwierigkeiten
später selbst als Lernhelfer:innen engagieren, weil sie
mittlerweile studiert haben. Oder wenn junge Frauen ihr
erzählen, dass sie ohne den Einfluss der Sozialarbeiterin
schon längst verheiratet wären – wie die Tanten und die
Mütter, die selbst mit 13 oder 14 geheiratet haben.
Ist es das, was Danijela Cicvarics Engagement antreibt?
„Ich bin selber Romni. Das ist meine Identität und ich verberge
das nicht. Und das ist es auch, was ich meinen Jugendlichen
beibringen möchte“, erzählt die Sozialarbeiterin.
Denn viele schämen sich für ihren Hintergrund oder
haben Angst, durch die Offenlegung ihrer Herkunft in der
Schule oder in der Arbeit umso mehr ausgeschlossen zu
werden. Exklusion kennt Danijela Cicvaric als Romni mit
Migrationshintergrund selbst. „Ich bin 2001 von Serbien
nach Wien gekommen und konnte kein Deutsch, wirklich
“
WIR MÜSSEN LERNEN, DASS SICH DIE
GESELLSCHAFT VERÄNDERT. DASS SICH
ALLE IRGENDWIE AN DIE VERÄNDERUNG
ANPASSEN MÜSSEN UND NICHT NUR EINE
BESTIMMTE GRUPPE.
”
36 SOCIAL ATTITUDE 2019 2021
kein Wort. Da habe ich gemerkt, es ist nicht leicht, wenn
man die Sprache nicht kann. Mir ist aufgefallen, du
kannst Atomphysiker sein, wenn du die deutsche Sprache
nicht beherrschst, schauen dich alle an, als wärst du
dumm“, erinnert sie sich empört.
So sitzt Danijela Cicvaric heute hinter ihrem Schreibtisch
vor der wild beklebten Bürowand, begrüßt zehn oder 15,
manchmal sogar 20 Klient:innen pro Woche und macht
das, was ihr damals als Schwäche angelastet wurde, heute
zu ihrer großen Stärke: die slawische Muttersprache.
„Den Klient:innen geht es um Themen wie Aufenthaltstitel,
um Gesundheit oder soziale Situationen. Sehr viele
sind von Armut betroffen, das ist eigentlich unser Hauptthema.“
Oft kommen die Menschen mit Taschen voller
Briefe, mit Köpfen voller Sorgen und Verzweiflung an.
Dann brauchen sie Beratung, Bestärkung und vor allem
auch Übersetzungen von der serbischen Frau. Und obwohl
sich das Romano Centro an Rom:nja richtet, kommen
manchmal auch Menschen, die keine Rom:nja sind.
Menschen, die aus Bulgarien kommen oder Mazedonien
und von den Sprachkünsten der pädagogischen Leiterin
gehört haben. Dann bittet Danijela Cicvaric auch diese
Gäste in ihr Büro.
„Ich werde ja niemandem sagen ‚Es tut mir leid, aber ich
kann Sie nicht beraten, weil Sie keinen Roma-Hintergrund
haben‘“, sagt Danijela Cicvaric.
Genau das ist es auch, was sich die Sozialarbeiterin von
der Gesellschaft wünscht: die Menschen individuell zu
betrachten. Nicht über Gruppen zu urteilen, sondern zu
schauen, was dieser eine Mensch gerade braucht, der
vor einem steht. Mehr Offenheit und vielleicht auch ein
bisschen mehr Adaptionsfähigkeit. „Wir müssen lernen,
dass sich die Gesellschaft verändert. Dass sich alle irgendwie
an die Veränderungen anpassen müssen und nicht
nur eine bestimmte Gruppe. Nicht nur die, die herkommen,
sondern alle.“
Danijela Cicvaric lächelt. Und hinter ihr lächeln die zahllosen
Mädchen und Frauen von den Fotos herab. Ein Plakat
erklärt das Frauenwahlrecht, auf einem anderen befindet
sich ein Bild traditioneller Rom:nja-Musiker.
Ausgeschnittene Kopien zeigen bekannte Persönlichkeiten
der Pop-Kultur, deren Rom:nja-Hintergrund man nie
erraten hätte. Daneben steht in blauer Handschrift geschrieben,
wie viele Rom:nja schätzungsweise auf der
Erde leben: 10 bis 12 Millionen.
www.romano-centro.org
37
Monika
Haider
Text: Salme Taha Ali Mohamed
Fotos: Jolly Schwarz
Gehörlosen Personen zur Weiterbildung verhelfen: Das ist das Lebenswerk von Monika Haider. In ihrem
Schulungsinstitut equalizent können gehörlose Personen Kurse in Österreichischer Gebärdensprache
besuchen und hörende Personen mehr über die Community in Wien erfahren.
Wer Monika Haider das erste Mal trifft, versteht sofort,
warum sich ihr Gebärdenname von ihrem Lächeln ableitet.
Der Zeigefinger deutet auf die Wange, ein paar Drehungen
in beide Richtungen, die Mundwinkel zeigen dabei
nach oben. Sie ist die Gründerin und Geschäftsführerin
von equalizent, dem ersten und einzigen Schulungs-
und Weiterbildungsinstitut für gehörlose Menschen
in Österreich. „Wir sind so etwas wie eine Volkshochschule
für gehörlose Personen“, fasst Monika Haider
das Konzept zusammen.
Die Geschäftsführerin strotzt vor Lebensfreude und
Warmherzigkeit. Vom ersten Moment des Gesprächs bis
zum Ende des Besuchs verlässt ihr Lächeln niemals ihre
Lippen. Mit einer unvergleichlichen Offenheit und Zuvorkommenheit
führt sie durch das Gebäude und die Geschichte
von equalizent. Hier, in den einladenden und mit
Pflanzen und Bildern dekorierten Räumlichkeiten von
equalizent, wird eine breite Palette an Kursen und Fortbildungsmöglichkeiten
in Österreichischer Gebärdensprache
(ÖGS) angeboten – angefangen bei LGBTQUIA-inklusiver
Sexualerziehung für Jugendliche bis hin zu
Suchtprävention und beruflichen Weiterbildungsoffensiven.
„Wir haben von Anfang an eine große Themenvielfalt
angestrebt, weil wir die Ersten in Österreich waren, die
ein Bildungsangebot in Österreichischer Gebärdensprache
aufgesetzt haben. Die Bedürfnisse und Interessen der Gehörlosen-Community
sind so unterschiedlich, wir mussten
an allen Ecken und Enden etwas entwickeln“, erklärt
Monika Haider. Als sie equalizent vor sechzehn Jahren
gemeinsam mit gehörlosen und hörenden Mitstreiter:innen
gegründet hatte, schuf sie nicht nur eine neue Art
von Institution, die es so vorher in Österreich nicht gab –
sie erfüllte damit auch ein wichtiges Weiterbildungsbedürfnis
der Gehörlosen-Community. „Die Schulbildung,
die gehörlose Personen in Österreich erfahren, reicht in der
Regel nicht dafür aus, sofort in weiterführenden Schulen
anzudocken“, erläutert die Geschäftsführerin. „Das Problem
ist, dass sie meistens nicht in ihrer Erstsprache ÖGS
unterrichtet werden, sondern in deutscher Lautsprache.“
Dadurch gehen in der Kommunikation viele Informationen
verloren und die Schüler:innen könnten dem Unterricht
nicht immer folgen.
Monika Haider weiß viel über die Bildungsgeschichte der
Gehörlosen-Community in Österreich zu berichten. Sie
war nicht nur außenstehende Beobachterin, sondern hat
dem Thema aktiv einen Großteil ihres Lebens gewidmet.
Als hörende Person, die in einer hörenden Familie geboren
wurde und in einem hörenden Umfeld aufwuchs, hatte
sie in den ersten Jahren ihres Lebens kaum Kontakt zu
gehörlosen Personen. Erst ihr Studium an der Sozialakademie
machte sie mit der Community in Wien bekannt.
„Ich wollte mir neben dem Studium etwas dazuverdienen
und habe nach einem Arbeitsplatz gesucht. Zur gleichen
39
Zeit war im Gehörloseninstitut eine Stelle frei“, erinnert
sich die heutige Geschäftsführerin. Obwohl sie damals
keine einzige Gebärde in der Österreichischen Gebärdensprache
beherrschte, bewarb sie sich für den Job und
bekam ihn zu ihrer großen Überraschung auch. „Man hat
von mir nicht erwartet, dass ich irgendwelche Kenntnisse
in dieser Richtung mitbringe oder sogar später erwerben
sollte. Ich konnte dort dank meiner Ausbildung in der Sozialakademie
gleich mit gehörlosen Kindern und ihren Eltern
arbeiten.“
„Der Oralismus war damals das Grundprinzip der Gehörlosenbildung“,
schildert Monika Haider weiter. „Das bedeutet,
dass alles mit der Stimme gemacht werden
musste. Die Schüler:innen durften die Österreichische Gebärdensprache
nicht verwenden. Stattdessen trugen sie
Hörgeräte an ihren Ohren und ein Empfangsgerät um den
Hals, wodurch sie die Lehrperson, welche in ein Mikrofon
sprach, hören konnten.“ Hört man Monika Haider zu, entsteht
ein bedrückendes Bild vor den Augen: gehörlose
Kinder, die in der Schule auf ihren Händen sitzen müssen,
um nicht gebärden zu können; hörende Lehrer:innen
ohne Kenntnisse in ÖGS, die ihnen Lippenlesen und
Sprechen beizubringen versuchen. Die Geschichten, die
die Geschäftsführerin erzählt, erinnern eher an die autoritäre
Erziehung des 19. Jahrhunderts als an den österreichischen
Schulunterricht vor 35 Jahren.
Faszination, Neugier, Empörung und Unverständnis waren
damals ständige Begleiter ihres Berufsalltags, wie die
Geschäftsführerin berichtet. Ihre Zeit am Institut war
Monika Haiders erste bewusste Berührung mit gehörlosen
Personen und gleichzeitig der Funke, der ihr Interesse
an der Community und der Gebärdensprache weckte:
„Eine der Reinigungspersonen am Institut war eine gehörlose
Frau namens Lotte. Eines Tage habe ich beobachtet,
wie sie in einer Pause im Schulhof mit den Schüler:innen
gebärdete. Die Kinder haben aufmerksam aufgepasst und
es sofort aufgenommen, als sie ihnen in ihrer gemeinsamen
Erstsprache verschiedene Regeln erklärte.“ Das Lächeln,
das Monika Haider während des ganzen Gesprächs
gezeigt hat, wird bei der Erwähnung ihrer alten
Freundin ein Stück breiter. „Die Szene hat mich stark berührt.
Ich habe Lotte gleich danach gefragt, ob sie mir die
Österreichische Gebärdensprache beibringen kann.“
Nachdem sie ihre ersten Gebärden von Lotte gelernt hat,
absolvierte die heutige Geschäftsführerin weitere ÖGS-
Kurse. Daneben spezialisierte sie sich in ihrem Pädagogikstudium
immer mehr auf das Thema. Und je mehr sie
lernte, desto mehr AHA-Momente hatte sie und desto klarer
erschienen ihr die Missstände in der damaligen Gehörlosenbildung.
Also gründete sie 2004 equalizent.
Heute zählt ihr Unternehmen mehr als 60 Mitarbeiter:innen.
Rund dreißig Prozent von ihnen sind gehörlos oder
schwerhörig. Alle beherrschen die Österreichische Gebärdensprache.
Bei equalizent sind ÖGS und Deutsch
gleichberechtigte Unternehmenssprachen. Die Geschäftsführerin
sieht vor allem im Bereich Arbeitsmarkt
Verbesserungsbedarf und hat dementsprechend schon
40 SOCIAL ATTITUDE 2021
“
WENN WIR UNS EIN GLAS
ANSCHAUEN, DANN WÜRDE ICH SAGEN,
DASS ES NICHT HALB LEER IST,
SONDERN HALB VOLL UND WENN ES NICHT SO
IST, DANN ÜBERLEGE ICH SEHR LANGE,WIE ES
HALB VOLL WERDEN KANN.
Doch damit ist die Arbeit nicht getan. Denn die Arbeitskolleg:innen
müssen vor der Ankunft der neuen Mitarbeiter:innen
sensibilisiert werden. Zu diesem Zweck bietet
equalizent auch ÖGS-Kurse an, bei denen hörende Personen
die Sprache lernen und die Community näher kennenlernen
können. Daneben können hörende Besucher:innen
in der Ausstellung „HANDS UP – Gelebte
Stille“ erstmals erleben, wie es ist, einige Minuten in einer
Welt ohne Geräusche zu leben. Als Geschäftsführerin eines
branchenleitenden Unternehmens mit so vielen verschiedenen
Angeboten steckt Monika Haider bis zum
Hals in Arbeit. Sie muss immer alles im Auge behalten:
Entscheidungen müssen getroffen, Pläne gemacht und
in die Wege geleitet werden. Nichts bewegt sich im equalizent
weiter, ohne dass Monika Haider davon weiß und
es vorher genehmigt hat. Die Verantwortung für das Institut
ruht alleine auf ihren Schultern. „In der Geschäftsfüh-
”
von Anfang an einen besonderen Fokus darauf gelegt: rung gibt es eine gewisse Einsamkeit, weil man sehr oft
„Wir haben damit begonnen, Berufe aus dem Gesundheitsund
Sozialbereich zu identifizieren, die demografisch
sinnvoll sind und wo gehörlose Menschen anschließend einen
fixen und gut bezahlten Job bekommen können. Danach
haben wir Vorbereitungskurse entwickelt, die es den
Menschen, die sie besuchen, ermöglichen, als Erste durch
weiterführende Ausbildungen in diesem Beruf anzudocken“,
beschreibt Monika Haider eines der erfolgreichsten
Projekte von equalizent. „Dadurch haben wir es geschafft,
neun Berufsfelder zu öffnen, in denen bis dahin
keine gehörlosen Personen gearbeitet hatten.“
Entscheidungen treffen muss“, verrät Monika Haider. Man
kann der Geschäftsführerin förmlich ansehen, wie sehr
sie damit hadert. „Ich muss mich immer wieder darauf
besinnen, dass ich nicht die Freundin der Mitarbeiter:innen
bin, sondern ihre Vorgesetzte. In der Regel ist es so:
Die Dinge, die nicht funktionieren, kommen zu mir. Aber
die Dinge, die funktionieren, kommen nicht zu mir“, führt
sie weiter aus. Die Balance zwischen den beiden zu finden
– das ist eine Herausforderung, welche die Geschäftsführerin
jeden Tag meistert. Mittlerweile hat Monika
Haider gelernt, besser mit dem Stress umzugehen.
Ausgleich zu ihrem auslaugenden Arbeitsalltag findet sie
im Sport. „Es gibt kaum eine Sportart, die ich nicht gerne
mache. Hauptsache, ich bewege mich“, lacht sie. „Ein- bis
zweimal in der Woche gehe ich zum Yoga und zweimal die
Woche ins Fitness-Studio.“ Zur Arbeit fährt sie meistens
mit dem Fahrrad. Im Sommer geht sie regelmäßig
schwimmen, im Winter fährt sie Ski.
Außerdem versucht Monika Haider, sich nicht nur mit den
Problemen im Institut zu beschäftigen: „Ich versuche mir
bewusst zu machen, was alles funktioniert“, so Monika
Haider. „Eigentlich bin ich ein eher positiver, fröhlich
grundgestimmter Mensch. Wenn wir uns ein Glas anschauen,
dann würde ich sagen, dass es nicht halb leer ist,
sondern halb voll. Und wenn es nicht so ist, dann überlege
ich sehr lange, wie es halb voll werden kann“, betont Monika
Haider und schenkt uns das strahlende Lächeln,
nach dem sie benannt wurde.
www.equalizent.com
41
Patrick
Onyemaechi
Kainz
Text: Salme Taha Ali Mohamed
Fotos: Jolly Schwarz
Black Movement Austria hat ein Ziel: das Leben von Schwarzen Menschen in Österreich zu verbessern.
Patrick Onyemaechi Kainz, Pressesprecher beim Kollektiv Black Movement Austria, erzählt, warum Black Lives
Matter mehr als nur ein Hashtag ist und wie weiße Menschen anti-rassistische Arbeit vorantreiben können.
Patrick Onyemaechi Kainz hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
Schon als Kind ließ er sich manchmal
absichtlich beim Ballspielen abschießen, damit seine
Mitschüler:innen wieder mitspielen konnten: „Mir war es
wichtig, dass alle Kinder teilnehmen konnten. Es ging mir
immer um die Gerechtigkeit.“
Das hat sich seitdem nicht geändert. Heute hat der in
Österreich und im Bundesstaat New York zugelassene
Rechtsanwalt seine eigene Kanzlei in Wien. Daneben ist
er seit dem Sommer 2020 Pressesprecher von Black
Movement Austria. Das Kollektiv besteht aus Schwarzen
Aktivist:innen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben,
das Leben von Schwarzen Menschen in Österreich zu
verbessern. „Unsere Gründung war eine Reaktion auf
den schrecklichen Mord an George Floyd in den USA“, erzählt
Kainz. „Wir sehen uns als eine Antwort auf jene Menschen,
die meinen, dass das, was in den USA passiert,
zwar schrecklich ist, aber hier nicht geschehen könnte. Wir
wollen mit unserer Arbeit zeigen, dass Racial Profiling
und Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen auch in Österreich
eine Realität ist.“
Es ist eine Realität, die Patrick Onyemaechi Kainz nur allzu
gut kennt. Schwarze Menschen sind laufend mit dem
strukturellen Rassismus in Österreich konfrontiert. „Ich
habe schon zu viele Dinge gesehen, wo ich mir gedacht
habe, dass es nicht möglich sein kann, dass sie im
21. Jahrhundert noch so passieren“, erzählt er nüchtern
und führt weiter aus, „als Schwarze Person wird man in
der Regel mehr als Migrant:in gesehen als andere Personen
mit Migrationsgeschichte. Uns wird oft unterstellt,
dass wir etwas Kriminelles im Schilde führen – vor allem,
wenn wir uns an gewissen öffentlichen Orten in Österreich
aufhalten.“ Das führt laut Patrick Onyemaechi Kainz auch
dazu, dass Afro-Österreicher:innen eher bei alltäglichen
Handlungen von Polizist:innen kontrolliert werden als
weiße Österreicher:innen. Wenn weiße Polizist:innen
Schwarze Personen und dunkelhäutige POC (People of
Colour) alleine aufgrund ihrer Ethnie oder Hautfarbe kontrollieren
oder beamtshandeln, wird das als rassistisches
oder ethnisches Profiling bezeichnet.
„Wir kennen Fälle, wo bei Amtshandlungen Menschen zu
Tode gekommen sind“, berichtet Kainz. Der bekannteste
Fall in Österreich ist der Tod von Marcus Omofuma. Der
nigerianische Staatsbürger stellte einen Asylantrag in Österreich
und starb bei seiner Abschiebung 1999 nach der
brutalen Behandlung durch mehrere Polizist:innen. „Den
Polizisten ist da nichts Gravierendes passiert. Ohne natürlich
selbst in den Fall involviert gewesen zu sein, frage ich
mich, ob sie tatsächlich den Umständen entsprechend bestraft
wurden“, berichtet Kainz. Die milden Urteile, die in
den Gerichtsprozessen verhängt wurden, wurden von
vielen Beobachter:innen demgemäß auch kritisiert. „Bisher
lief es so: Wenn jemand der Polizei vorwirft, sich
43
falsch verhalten zu haben, zum Beispiel, weil sie jemanden
alleine aufgrund seiner:ihrer Ethnie oder dem Aussehen
kontrolliert hat, konnte man sich an eine Beschwerdestelle
wenden“, erklärt Patrick Onyemaechi Kainz. Da
diese jedoch im Innenministerium angesiedelt ist, sind
es Polizist:innen, die das Fehlverhalten ihrer Kolleg:innen
überprüfen. Dass dies dazu beitragen kann, dass es nur
in den seltensten Fällen zu einer Disziplinierung der in
Polizeigewalt involvierten Beamt:innen kommt, ist die
Meinung einiger Expert:innen. Aus diesem Grund gehört
die Errichtung einer unabhängigen und unparteiischen
Kontrollbehörde für die Polizei zu einer der zentralen Forderungen
von Black Movement Austria. Diesen haben sie
in zwei Briefen, die sie an das Justiz- und Innenministerium
geschickt haben, sowie einer groß angelegten Black
Lives Matter Demonstration Nachdruck verliehen.
Es war die dritte Wiener Black Lives Matter Demonstration
im Sommer 2020. Doch während Polizeigewalt und
Anti-Schwarzer Rassismus die Wochen nach dem Tod
von George Floyd dominiert haben, scheint nur wenige
Monate später kaum noch jemand darüber zu sprechen.
„Leider muss man sagen, dass der Hashtag Black Lives
Matter für viele Menschen offenbar ein Trend gewesen ist“,
kritisiert Patrick Onyemaechi Kainz. „Wenn Menschen ihr
Profil auf Instagram verdunkeln, ist das eine gute Geste,
aber es muss mehr getan werden. Es genügt auch nicht,
einmal etwas Aktivistisches zu machen oder etwas Geld
zu spenden und dann nicht mehr darüber reden zu wollen.
Wenn man die Arbeit nicht ständig macht, wird es
auch keine Ergebnisse geben.“ Enttäuscht zeigt sich Kainz
auch darüber, dass Black Lives Matter im Wiener Wahlkampf
2020 kaum noch eine Rolle gespielt hat. Auf seiner
Instagramseite veranstaltete Black Movement Austria in
jener Zeit deswegen eine Vortragsreihe, in der sie mit
Schwarzen Politiker:innen über die Anliegen und Probleme
von Afro-Österreicher:innen gesprochen haben. „Unser
Ziel ist es, dass die Themen in Österreich weiter auf der
Tagesordnung stehen. Uns ist bewusst, dass wir in einer
weißen Mehrheitsgesellschaft leben und dass es deswegen
notwendig ist, dass auch die weiße Mehrheitsgesellschaft
Schritte setzt“, so Patrick Onyemaechi Kainz.
Das fängt laut Kainz damit an anzuerkennen, dass wir in
einem System von weißer Vorherrschaft, also White Supremacy,
leben. Hierbei handelt es sich um ein Wertungsund
Entwertungssystem, in dem weiß sein immer besser
als Schwarz sein ist. Danach gibt es Abstufungen und je
weiter entfernt man in dieser Abstufung vom Weißsein ist,
desto negativer sind die gesellschaftlichen Konsequenzen.
„Das zieht sich durch jeden Gesellschaftsbereich, mag
es nun z.B. Politik, Arbeit oder das Gesundheitssystem
“
LEIDER MUSS MAN SAGEN,
DASS DER HASHTAG
BLACKLIVESMATTER FÜR
VIELE OFFENBAR EIN
TREND GEWESEN IST.
”
sein. Jede Person, die ein Ally für Schwarze Menschen sein
möchte, muss sich mit dem eigenen Stellenwert in diesem
System auseinandersetzen“, bekräftigt Patrick Onyemaechi
Kainz. „Es gibt mittlerweile viele Ressourcen, die man
lesen kann, um sich auf diesem Gebiet weiterzubilden.“
Jede:r kann in seinem:ihrem Alltag anti-rassistische Arbeit
vorantreiben. Für ihn ist es wichtig, das zu betonen:
„Oft unterschätzt man sich in dem, was man leisten kann.
Man muss nicht Jus, Sozialarbeit oder Medizin studiert
haben, um anderen Menschen zu helfen. Jede:r kann etwas
beitragen.“
Wenn Patrick Onyemaechi Kainz einmal abschalten und
seinen Kopf frei kriegen möchte, hört er viel Musik. Denn
wie alle Aktivist:innen bei Black Movement Austria engagiert
auch er sich ehrenamtlich neben seinem Hauptberuf
beim Kollektiv. Und seitdem er in dem Kollektiv als
Pressesprecher in Erscheinung getreten ist, hat sich die
Anzahl der Anfragen an ihn im Zusammenhang mit den
Erfahrungen Schwarzer Menschen in Österreich erhöht.
„Jetzt schreiben mir Leute auch privat, erzählen mir von
ihren eigenen Erfahrungen mit Polizeigewalt und Racial
Profiling und fragen mich um Rat“, schildert er.
Manchmal mag es viel sein, doch für den Moment ist
Patrick Onyemaechi Kainz so sehr von dem Bedürfnis, etwas
tun zu müssen, angetrieben, dass er den Arbeitsaufwand
bewältigen kann. „Ich möchte einfach, dass sich die
nächste Generation, seien es meine Kinder oder die von
anderen, mit solchen Dingen nicht mehr rumschlagen
muss. Ich sehe, dass es momentan viel für mich zu tun
gibt.“
www.facebook.com/blackmovement.at
44 SOCIAL ATTITUDE 2021
TBernhard
Hofer .
GASTKOMMENTAR
ZARA – ZIVILCOURAGE UND
ANTI-RASSISMUS-ARBEIT
Text: Philippe Schennach
MEHR ALS NUR DIE SPITZE DES EISBERGS SICHTBAR MACHEN
Wir stehen momentan gleich vor mehreren globalen Krisen und alle führen dazu, dass bestehende
Ungleichheiten verstärkt werden – insbesondere jene, die auf Rassismen beruhen.
Um diese bekämpfen zu können, müssen wir sie sichtbar machen!
In unseren Rassismus Reports möchten wir durch anonymisierte Beispiele von Vorfällen, die uns gemeldet wurden, zeigen,
wie rassistische Erlebnisse in verschiedenen Lebensbereichen aussehen und wie sehr alle Bereiche des Lebens davon
nach wie vor durchdrungen sind. Fast 20.000 rassistische Vorfälle wurden in der ZARA-Beratungsstelle für Betroffene und
Zeug:innen von Rassismus seit ihrer Gründung im Jahr 1999 dokumentiert und bearbeitet.* Diese Zahl bildet aber nur die
Spitze des Eisbergs ab: Weit mehr Menschen werden diskriminiert, angegriffen und herabgewürdigt, weil sie so sind, wie
sie sind. Die Dokumentation von Rassismus ist keine angenehme Tätigkeit, aber sie ist eine wichtige, weil sie aufzeigt, dass
Handlungsbedarf besteht, wenn wir uns zukunftsfähig entwickeln wollen. Die #BlackLivesMatter-Demonstrationen haben
einen großen Beitrag geleistet, um kritische Reflexionsprozesse in Gang zu setzen und ein gesteigertes öffentliches Bewusstsein
für das Phänomen Rassismus zu schaffen. Damit stieg auch die Bereitschaft, Rassismus zu melden: So gingen
allein im Monat Juni 2020 rund 411 Meldungen in der Beratungsstelle ein – mehr Meldungen als je zuvor.
Die derzeitige Empörung kann aber genauso schnell wieder verschwinden, wie sie entstanden ist. Während die Welt mit
der COVID-19 Pandemie konfrontiert ist, erleben wir schon wieder, dass mit rassistischen Aussagen Ängste in der Bevölkerung
geschürt und Feindbilder geschaffen werden – auf dem Rücken von Menschen, die auf der Flucht sind.
Es ist höchste Zeit für eine nachhaltige Auseinandersetzung mit einem historisch gewachsenen und systemisch verankerten
Rassismus. Ein nationaler Aktionsplan gegen Rassismus ist jedenfalls schon längst überfällig, insbesondere, weil wir
aktuell vor mehreren globalen Krisen stehen, die dazu führen, dass bestehende Ungleichheiten verstärkt werden. Die Corona-Pandemie
darf das Phänomen Rassismus nicht von den Agenden der Politiker:innen verdrängen, weil beide Themen
eng miteinander verknüpft sind. Bleiben wir wachsam und machen wir auf Rassismus aufmerksam, damit Politiker:innen
sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen müssen. Jede:r einzelne von uns ist gefragt, Anti-Rassismus nicht nur zum
Trend werden zu lassen, sondern zur Norm!
www.zara.or.at
* Seit der Gründung von ZARA 1999 bis zum 1. Halbjahr 2020 sind insgesamt 19.667 Meldungen von Rassismus bei der ZARA-Beratungsstelle eingegangen.
46 SOCIAL ATTITUDE 2021
Wussten Sie, dass...?
...ES IM ERSTEN
HALBJAHR 2020
1.577
MELDUNGEN
VON
RASSISMUS GAB?
Durch die stark gestiegene Bereitschaft
Rassismus zu melden wird erstmals
mehr als die Spitze des Eisbergs
an rassistischen Vorfällen sichtbar.
... ES BEI ZARA SEIT
SEINER GRÜNDUNG
19.667 MELDUNGEN
VON RASSISMUS GAB?
Seit der Gründung von ZARA
1999 bis zum 1. Halbjahr 2020
sind insgesamt 19.667 Meldungen
von Rassismus bei der ZARA-
Beratungsstelle eingegangen.
...ES IM ERSTEN
HALBJAHR 1.150
MELDUNGEN
VON ONLINE-
RASSISMUS GAB?
Das heißt: 3 von 5 Meldungen von
Rassismus betrafen den
Lebensbereich Internet.
... 25% DER * GEMELDE-
TEN FÄLLE VON ONLINE-
RASSISMUS
STRAFRECHTLICH
VERFOLGBAR SIND?
*IM 1. HALBJAHR 2020
.... 75% DER *
GEMELDETEN FÄLLE VON
ONLINE-RASSISMUS
NICHT STRAFRECHTLICH
VERFOLGBAR SIND?
*IM 1. HALBJAHR 2020
...ES 411
MELDUNGEN VON
RASSISMUS IM JUNI
2020 GAB?
Das sind mehr Meldungen in einem
Monat als je zuvor.
...ZARA IM
JAHR 1999
GEGRÜNDET
WURDE?
Alle Zahlen wurden uns direkt von ZARA
zur Verfügung gestellt
47
Feedback, Wünsche und
Kooperationen?
Kräfte bündeln und Wissen teilen, gemeinsam erreichen wir
mehr. Deswegen sind wir immer auf der Suche nach Kooperationen
und Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Sie arbeiten
an einem interessanten Projekt? Sie kennen jemanden, über
den wir schreiben sollten, oder Sie haben Interesse an einem
Inserat? Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme, konstruktives
Feedback und Input für social attitude.
Mailen Sie uns einfach:
Wien ist sozial – teilen Sie es mit
anderen!
Wien ist sozial – wir reden drüber. social attitude erzählt die Geschichten
von Menschen im Sozialbereich. Erzählen Sie es
weiter – auch online. Liken, teilen und unterstützen Sie uns auf
Social Media!
hannah.poppenwimmer@socialattitude.at
Wir freuen uns, von Ihnen zu hören!
/socialattitudevienna/
/social_attitude_wien/
48 SOCIAL ATTITUDE 2021
Bildbeschreibung: Die abgebildete Gebärde für equalizent setzt sich aus der Handform für Qualität zusammen, die dann mit beiden Händen schwungvoll nach oben gezogen
wird. Die Gebärde wurde bei der Gründung des Kompetenzzentrums von gehörlosen Erstsprachler:innen im Team entwickelt.
Blick nach vorn!
Aller guten Dinge sind drei – deswegen haben wir auch alles darangesetzt, dass auch eine dritte Ausgabe von social
attitude erscheinen kann. Aber wir sind ehrlich, es war auch dieses Mal kein einfaches Vorhaben. Umso stolzer sind wir,
dass es uns dennoch gelungen ist. Für unsere weiteren Ausgaben ist aber trotzdem unser Wunsch: Wir wollen durch
eine nachhaltige Finanzierung die Zukunft von social attitude sichern. Wie? Durch Kooperationen und den Verkauf von
Inseraten.
Wenn Sie interessiert sind, unser Projekt zu unterstützen oder ein Inserat – wie hier zu Ihrer Rechten – zu kaufen, schauen
Sie entweder online auf: www.socialattitude.at/mediadaten vorbei oder wenden Sie sich direkt an uns!
Wir freuen uns drauf!
Mailen Sie uns:
hannah.poppenwimmer@socialattitude.at
Fotocredit: Jolly Schwarz
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Impressum
Herausgeber und Medieninhaber:
social attitude – Verein zur Förderung sozialer
Aktivitäten in Wien
Vereinssitz & Redaktionssitz:
Kluckygasse 17/41, 1200 Wien
Telefon: +43 681 204 089 59
E-Mail: hannah.poppenwimmer@socialattitude.at
Website: www.socialattitude.at
Chefredakteurin: Hannah Poppenwimmer
Redakteurinnen: Salme Taha Ali Mohamed,
Jana Reininger
Fotografin: Jolly Schwarz, Fotocredit, wenn nicht
anders angegeben, von Jolly Schwarz
www.jollyschwarz.at
Lektorat: Renate Poppenwimmer, Marlene Winter
Druck: Druckerei Janetschek, Februar 2021
Das Magazin einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich
geschützt. Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise)
in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder
anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung,
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gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche
schriftliche Genehmigung der Herausgeberin
untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.
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/social_attitude_wien/
Offenlegung gem. § 25 MedienG
Herausgeber und Medieninhaber: social attitude – Verein zur Förderung sozialer Aktivitäten in Wien
Vereinssitz & Redaktionssitz: Kluckygasse 17/41, 1200 Wien / ZVR-Zahl 1612125876
Vereinszweck: Der gemeinnützige Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Projekten, neuen Konzepten und Geschichten im sozialen
Bereich eine Plattform zu bieten und sie bei deren Verbreitung zu unterstützen. Es soll dadurch das Bewusstsein für die Tätigkeiten in
diesem Sektor gestärkt, für aktuelle Themen im Sozialen sensibilisiert und die Wertschätzung für diesen Bereich gefördert werden. Projekte
sollen somit online und offline unterstützt werden und durch die Multiplikation soll eine breitere Zielgruppe erreicht werden.
Mitglieder des Vorstands: Hannah Poppenwimmer und Peter Patak
Blattlinie: social attitude ist ein österreichisches Magazin für Soziales und Gesellschaft, das quartalsweise erscheint. In Reportagen, Interviews
und Portraits werden Menschen und ihre beruflichen Lebenswege im sozialen Bereich in den Fokus gestellt.
50 SOCIAL ATTITUDE 2021
Bernadette
Ingenieurin
Ich arbeite am Ausbau von erneuerbaren Energien.
Und sorge für 100% grünen Bahnstrom.
Aus diesem Grund arbeiten die ÖBB schon heute am weiteren Ausbau der Wasser-, Wind- und Sonnenkraftwerke in ganz Österreich,
um den nächsten Generationen morgen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.
HEUTE. FÜR MORGEN. FÜR UNS.
@unsereOEBB
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Wien ist sozial – reden wir darüber! social attitude erzählt die Geschichten von Menschen im Sozialbereich. Erzählen Sie es weiter.