Die Mila Käsefibel
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MAGER WAR DER KÄSE WIE DIE ZEITEN<br />
HERSTELLUNG<br />
Der erste Käse in den Alpen war mit<br />
Sicherheit mager, sagt der Schweizer<br />
Foodhunter Dominik Flammer. <strong>Die</strong> Älpler<br />
kannten die römische Methode,<br />
mit Lab Fettkäse herzustellen, noch<br />
nicht. Bis ins Mittelalter blieb die Sauermilchkäserei<br />
für den Eigenbedarf<br />
im Gebirge die wichtigste Form der<br />
Milchverarbeitung. 1<br />
Später, als der Käse auch in den Alpen<br />
fetter wurde und die Bauern Geld<br />
mit dem „guten Kas“ verdienen wollten,<br />
waren die Zeiten nicht danach,<br />
um dick zu werden. Dafür sorgten<br />
schon der Landesfürst und der Bischof.<br />
Immer wieder wogen sie ab: Was ist<br />
wichtiger, das Seelenheil oder der<br />
Fettbedarf der Christen? <strong>Die</strong> Butternachfrage<br />
in den Städten oder der<br />
Käseverdienst der Bauern?<br />
Entschieden wurde lange gegen den<br />
Käse. So wurde der Käseverkauf<br />
durch Händler 1573 in der Tiroler<br />
Landesordnung einfach<br />
verboten.<br />
Butter galt im Mittelalter<br />
als verbotenes<br />
Lebensmittel<br />
für das Volk.<br />
Um 1700 wurde die Fettkäserei<br />
komplett untersagt; zugelassen war<br />
nur die Herstellung von Magerkäse,<br />
der Rahm wurde für die Butter<br />
der Adeligen und Bürger gebraucht.<br />
Was aber ist der Leib, wenn die Seele<br />
auf dem Spiel steht. Bischof Nikolaus<br />
von Kues (Cusanus) war gnadenlos:<br />
Im 15. Jahrhundert bestand er darauf,<br />
dass in Tirol Milch, Käse und Butter<br />
an allen Fastentagen – nahezu 150 im<br />
Jahr – gemäß päpstlicher Verfügung<br />
verbotene Speisen waren. <strong>Die</strong> Leute<br />
sollen eben Olivenöl essen, sagte<br />
der Bischof. Nur wo das in den rauen<br />
Bergen zu kriegen war, das sagte er<br />
den Leuten nicht. Es blieb nur, sich freizukaufen:<br />
mit dem „Schmalzpfennig“,<br />
ähnlich dem Kirchenablass. Das Verbot<br />
selbst blieb weitere hundert Jahre<br />
aufrecht. Dann gab der Papst auf. 2<br />
Ob sich die braven Tiroler rächen wollten,<br />
als sie den Kässonntag einführten?<br />
So wird in Südtirol der erste Fastensonntag<br />
genannt. Historiker meinen,<br />
das rühre daher, dass am Samstag<br />
davor große Käsemärkte stattfanden.<br />
Man musste sich schließlich eindecken<br />
für die magere Fastenzeit. Oder?<br />
Der Schlanderser ist der Magerkäse<br />
von <strong>Mila</strong>. Und eine besondere Herausforderung<br />
für die Käser. Magerkäse<br />
wirkt leicht trocken und leer im Geschmack.<br />
Da ein beachtlicher Fettanteil<br />
durch Wasser ersetzt wird, besteht<br />
die Gefahr, dass der Käse bitter wird.<br />
„Da sind die Käser sehr gefordert“,<br />
sagt Ludwig Tschurtschenthaler, Käsefachmann<br />
im Milchhof Bruneck, „sie<br />
müssen den Geschmack in den Käse<br />
hineinbringen.“<br />
<strong>Die</strong>ses Verfahren hat sich bewährt: <strong>Die</strong><br />
Milch wird homogenisiert, wie sonst<br />
nur beim Blauschimmelkäse üblich.<br />
Dabei entstehen von einem großen<br />
Fettkügelchen viele kleine. So wird<br />
die Milch insgesamt cremiger. Danach<br />
hängt es vom Geschick der Käser und<br />
der Rezeptur ab, wie die Mischung der<br />
Milchsäurebakterien im Käse gelenkt<br />
wird, um das gewünschte Aroma zu<br />
erhalten.<br />
Über die Jahre ist das Rezept des<br />
Schlanderser immer wieder verfeinert<br />
worden. „Wir sind auf dem Weg zur<br />
Perfektion“, sagt Ludwig Tschurtschenthaler.<br />
1<br />
(Flammer/ Müller: Das kulinarische Erbe der Alpen, S. 78 ff.)<br />
2<br />
(Arunda Kulturzeitschrift, Nr. 53, Milch, S. 74 und 119 f.)