14.04.2021 Aufrufe

Red Bulletin 0521 DE

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Musik<br />

„Meine Songs<br />

sind dunkelgrün<br />

und himbeerrot“<br />

Wenn Lea Lu singt, wird ihre Welt ganz bunt – denn<br />

jeder Klang ist für sie Farbe. Die Sängerin sieht Töne.<br />

Und das gibt ihrer Musik einen einzigartigen Anstrich.<br />

Interview SABRINA LUTTENBERGER<br />

Foto CLAUDIO STRÜBY<br />

Wenn Lea Lu auf die dunkle Seite<br />

ihrer Seele wechselt – dorthin, wo<br />

es ein wenig düsterer zugeht –, sieht<br />

sie nicht schwarz, nein, sie hört<br />

dunkelgrün.<br />

Für die Sängerin, 36, steht Dunkelgrün<br />

für F-Dur. Und zwar immer.<br />

Denn Lea Lu ist Synästhetikerin.<br />

Das heißt: Jeder Ton, jeder Akkord<br />

lässt vor ihrem inneren Auge eine<br />

bestimmte Farbe erklingen.<br />

Nur einer von 20.000 Menschen,<br />

schätzen Experten wie der Neuropsychologe<br />

Lutz Jäncke von der Uni<br />

Zürich, besitzt diese Gabe. Der russische<br />

Maler Wassily Kandinsky soll<br />

sie gehabt haben, US-Sängerin Lady<br />

Gaga und der Frontmann der britischen<br />

Popband Coldplay, Chris<br />

Martin, sehen Töne wie Lea Lu.<br />

Neue Studien gehen davon aus,<br />

dass fast jeder Zwanzigste Töne<br />

sieht, viele, ohne sich dessen bewusst<br />

zu sein. Lange ahnte auch Lea<br />

Lu nichts von ihrer Gabe, erst eine<br />

Doku über Synästhesie öffnete ihr<br />

die Augen. Dabei hatte sich die<br />

Schweizerin schon als Sechsjährige<br />

mit ihrer speziellen Fähigkeit durch<br />

den Geigen-Unterricht geschummelt:<br />

Statt der Noten merkte sie sich die<br />

Farbfolge, die sie sah, wenn ihr die<br />

Lehrerin ein Stück vorspielte.<br />

Ob die Farbe vor ihrem inneren<br />

Auge ihren Liedern einen besonderen<br />

Klang verleiht? Wir meinen ja, ihrer<br />

ersten Single „I Call You“ gibt sie<br />

einen einzigartigen Anstrich, ihr dieses<br />

Jahr erscheinendes Album verspricht<br />

eine bunte Welt. Ein Happy<br />

End, mit einem dunkelgrünen Start<br />

in New York.<br />

the red bulletin: Wenn du mit<br />

anderen Musik machst, kann es<br />

passieren, dass andere etwas<br />

richtig gut finden, für dich aber<br />

die Farbkombination nicht funktioniert?<br />

lea lu: Ja, das kommt wirklich<br />

vor. Wenn die Komposition toll ist,<br />

die Farben aber langweilig sind,<br />

beeinflusst das schon meine Wahrnehmung<br />

des Songs. Oder zum Beispiel<br />

F-Dur, das ist für mich immer<br />

dunkelgrün, ein bisschen düster. Es<br />

kann schon sein, dass ich dafür eher<br />

melancholischere Themen wähle.<br />

Auf der anderen Seite würde ich<br />

niemals einen traurigen Song in<br />

A‐Dur schreiben. A-Dur ist himbeerrot,<br />

eine fröhliche Farbe!<br />

Wie kann man sich das vorstellen,<br />

wenn du Musik nicht nur hörst,<br />

sondern siehst?<br />

Es ist wie eine Farbebene, die immer<br />

da ist, also auch jetzt, wenn wir<br />

sprechen. Es gibt dieses Empfinden,<br />

das mehr im Inneren des Körpers<br />

stattfindet. Ich habe das nicht nur<br />

bei Tönen, sondern auch, wenn ich<br />

lese und Buchstaben sehe. Da sind<br />

dann aber nicht die Buchstaben<br />

farbig, sondern ich sehe die Farben.<br />

Bei der Musik ist das eben auch so:<br />

Es tauchen Farbnebel vor meinem<br />

inneren Auge auf. Jeder Akkord und<br />

jeder Ton hat in meinem Kopf eine<br />

bestimmte Farbe. Und das ist immer<br />

dieselbe.<br />

Beeinflusst dich diese Fähigkeit<br />

auch in anderen Bereichen?<br />

Mir hilft das dabei, mir Dinge zu<br />

merken. Also, ich hab schon als<br />

kleines Kind Geige gespielt, konnte<br />

aber keine Noten lesen. Die Geigenlehrerin<br />

wusste das aber nicht und<br />

hat mir das Notenblatt hingestellt.<br />

Ich hab sie dann gefragt: „Können<br />

Sie das bitte vorspielen?“ Ich habe<br />

mir die Tonfolge farblich gemerkt<br />

und so getan, als ob ich die Noten<br />

lesen würde. Sie hat das sechs Jahre<br />

lang nicht gemerkt! (Lacht.)<br />

Normalerweise würden wir jetzt<br />

über deinen New-York-Aufenthalt<br />

sprechen. Doch 2020 kam alles<br />

anders.<br />

Ja, ich wäre von März bis September<br />

mit einem Auslandsstipendium der<br />

Stadt Zürich in New York gewesen.<br />

Der Traum jedes Künstlers! Ich<br />

bin am 9. März angereist und war<br />

am 17. März notgedrungen wieder<br />

zurück in der Schweiz. Das war<br />

ein Schock, wie die Pandemie sich<br />

so plötzlich entfacht hat.<br />

Wie hast du die Zeit erlebt?<br />

Zuerst hatte ich natürlich Angst,<br />

um meine Familie, meine Freunde,<br />

meine Gesundheit. Ich war wie in<br />

einer Schockstarre, bis ich erkannt<br />

habe, ich muss da wieder raus. Das<br />

habe ich geschafft, indem ich mir<br />

möglichst viele wissenschaftliche<br />

Informationen zu Covid-19 beschafft<br />

habe. Ich hab viel gelesen und mich<br />

mit Freunden aus Taiwan ausgetauscht,<br />

die bereits früh Erkenntnisse<br />

34 THE RED BULLETIN

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!