Interview mit Ingeborg Stadelmann
Interview mit Ingeborg Stadelmann
Interview mit Ingeborg Stadelmann
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MonatSgeSpräch | <strong>Ingeborg</strong> <strong>Stadelmann</strong><br />
44<br />
’’<br />
Ich halte den<br />
Müttern<br />
den Spiegel vor<br />
Sie ist die Queen Mom unter den Hebammen, ihr Buch «Die Hebammen -<br />
sprechstunde» ein Verkaufsschlager: <strong>Ingeborg</strong> <strong>Stadelmann</strong> über falsche Geburtsbilder,<br />
die richtige Einstellung und kopflastige Mütter.<br />
<strong>Interview</strong> Kristina Reiss Fotos Stephanie Fuessenich<br />
Frau <strong>Stadelmann</strong>, in der Schweiz und<br />
in Deutschland haben die meisten<br />
werdenden Mütter Ihre «Hebammensprechstunde»<br />
im Regal stehen.<br />
Das hätte ich mir nie träumen lassen, als<br />
vor 17 Jahren ein Lastwagen die ersten<br />
3000 Bücher brachte. Weil die Verlage<br />
mein Manuskript ablehnten, gab ich es<br />
selbst heraus. Mein Mann fragte besorgt:<br />
«Was machen wir nur <strong>mit</strong> den Büchern,<br />
wenn sie sich nicht verkaufen?»<br />
Die Bedenken Ihres Mannes waren unbegründet;<br />
<strong>mit</strong>tlerweile haben Sie eine halbe<br />
Million Exemplare verkauft. Eine häufige<br />
Aussage von Leserinnen lautet jedoch:<br />
«Das Buch ist sehr hilfreich, aber auch<br />
recht esoterisch.»<br />
Das höre ich ab und zu. Was mich wundert,<br />
denn ich finde es überhaupt nicht esoterisch.<br />
’’<br />
Immerhin empfehlen Sie darin statt moderner<br />
Medizin Ihre selbst entwickelten<br />
Tees, Salben und Öle.<br />
Das hat nichts <strong>mit</strong> Esoterik zu tun, sondern<br />
ist wissenschaftlich erwiesene Naturheilkunde.<br />
Ich möchte, dass die Frauen die natürlichen<br />
Zusammenhänge verstehen. Am<br />
meisten aber schätzen sie wohl, dass ich<br />
sage, wie eine Geburt wirklich ist: nicht<br />
schön, aber leistbar.<br />
Sie schreiben unter anderem, eine Steisslage<br />
des Babys sei ein Zeichen für die<br />
werdende Mutter, dass diese noch nicht<br />
bereit sei und sich intensiver <strong>mit</strong> der<br />
Schwangerschaft beschäftigen müsse –<br />
das klingt mystisch.<br />
Ich versuche sowohl die Position der Mutter<br />
als auch die des Babys zu verdeutlichen.<br />
Vor allem die des ungeborenen Kindes<br />
wird oft vernachlässigt. Unnötige<br />
wireltern 10/2011<br />
Löst auch mal ein<br />
Stillproblem<br />
am anderen Ende der<br />
Welt – per Telefon:<br />
<strong>Ingeborg</strong> <strong>Stadelmann</strong><br />
wireltern 10/2011 45
«Die Frauen schätzen, dass ich sage, wie eine Geburt ist: Nicht schön, aber leistbar.»<br />
Dolcino_220x146_03.11_mBeschn:_ 29.3.2011 16:28 Uhr Seite 1<br />
Einleitungen und Kaiserschnitte verhindern<br />
häufig, dass das Kind den Zeitpunkt<br />
der Geburt selbst bestimmt. Ich weiss,<br />
dass ich oft anstrengend bin, weil ich den<br />
Müttern den Spiegel vorhalte. Zudem sage<br />
ich auch die Dinge, die sie von Schulmedizinern<br />
nicht hören.<br />
Etwa wenn Sie den vaginalen Ultraschall,<br />
wie er in der Frühschwangerschaft üblich<br />
ist, <strong>mit</strong> einer Vergewaltigung vergleichen?<br />
Das sind nicht nur meine Worte. Die<br />
Schwangeren der 90er-Jahre, für die ich<br />
das Buch ursprünglich geschrieben habe,<br />
empfanden dies ebenso. Heutige junge<br />
Frauen finden es womöglich ganz normal,<br />
ständig etwas in die Vagina zu stecken. Ab<br />
und zu überlege ich, dies bei der nächsten<br />
Auflage umzuformulieren. Aber wahrscheinlich<br />
lasse ich es, denn ich will die<br />
Frauen für das Thema sensibilisieren.<br />
Mich enttäuscht die Tatsache, dass das<br />
«Babywatching» überhand nimmt:<br />
Schwangere sehen den Ultraschall oft<br />
nicht aus Sicht des Kindes – für dieses ist<br />
es womöglich purer Stress. Es geht ihnen<br />
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<strong>Ingeborg</strong> <strong>Stadelmann</strong><br />
Die 55-jährige Deutsche ist seit 35<br />
Jahren Hebamme und veröffentlichte<br />
1994 den Schwangerschaftsratgeber<br />
«Die Hebammensprechstunde», der sich<br />
bisher eine halbe Million Mal verkaufte<br />
(20 000-mal davon in der Deutschschweiz)<br />
und in mehrere Sprachen<br />
übersetzt wurde. Heute publiziert sie in<br />
ihrem eigenen Verlag Bücher, hält<br />
Vorträge, vertreibt per Onlineversand<br />
Naturtextilien und stellt zusammen <strong>mit</strong><br />
einer Apotheke Aromamischungen und<br />
Salben nach eigener Rezeptur her. Sie<br />
hat drei erwachsene Kinder und lebt im<br />
Allgäu/Deutschland.<br />
bloss darum, ihr Ungeborenes auf dem<br />
Bildschirm zu betrachten.<br />
Die Hebamme sitzt in ihrer Stube bei einer<br />
Tasse Ingwertee. Auf dem Stuhl schnarcht<br />
die Katze, im Garten scharren Hühner und<br />
über dem Esstisch hängt ein Kreuz. Hinter<br />
grünen Allgäuer Wiesen liegt das Dorf einen<br />
guten Kilometer entfernt. Zusammen<br />
<strong>mit</strong> Mann und Kindern führt die Hebamme<br />
ihr Familienunternehmen, zu dem auch der<br />
Verlag gehört, der im Wohnhaus untergebracht<br />
ist. Dabei legt sie eine hemdsärmelige<br />
Unkompliziertheit an den Tag: Deutet<br />
Ausschläge auf Babypopos per E-Mail oder<br />
versucht Stillprobleme am anderen Ende der<br />
Welt telefonisch zu lösen.<br />
Sie konnten gerade Ihr 35-Jahr-Hebammenjubiläum<br />
feiern. Sind Sie froh, dass Sie nicht<br />
mehr aktiv tätig sind, sondern sich auf das<br />
Vorträge halten verlegt haben?<br />
Nein, ursprünglich wollte ich nur eine<br />
Pause einlegen. Aber jetzt bin ich zu alt, um<br />
wieder einzusteigen, ausserdem ist mein<br />
Terminkalender recht voll. Für junge Mütter<br />
ist es im Wochenbett oft hilfreich, von<br />
einer älteren, erfahrenen Person betreut zu<br />
werden. Aber bei der Geburt ist es gut, wenn<br />
eine junge Hebamme dabei ist, welche die<br />
selbe Wellenlänge hat wie die Gebärende.<br />
Was machen Ihre jungen Berufskolleginnen<br />
heute anders?<br />
Der Geburtsvorgang hat sich nicht verän-<br />
<strong>Ingeborg</strong> <strong>Stadelmann</strong> | MonatSgeSpräch<br />
dert. Wir brauchen keine neue Technik,<br />
müssen aber auf die aktuellen Bedürfnisse<br />
der Frauen eingehen. Viele Kolleginnen<br />
klagen, dass sie heute 24 Stunden erreichbar<br />
sein müssen – für oft recht oberflächliche<br />
Fragen, <strong>mit</strong> denen sie per SMS oder<br />
E-Mail bombardiert werden.<br />
Sind Schwangere heute überängstlich?<br />
Sie haben ein riesiges Sicherheitsbedürfnis.<br />
In der Theorie wissen sie alles, weil sie den<br />
Arzt fragen, die Hebamme, die Stillberaterin,<br />
das Internet. Doch in der Praxis vermögen sie<br />
das nicht umzusetzen. Zurück bleibt eine<br />
grosse Unsicherheit. Dieser Kopflastigkeit der<br />
Frau, die alles gelesen hat, steht entgegen, dass<br />
sie <strong>mit</strong> der Körperlichkeit hadert und bei der<br />
Geburt das Durch haltevermögen oft fehlt.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Ich finde es toll, dass Frauen heute so ein Wissen<br />
haben. Aber sie müssen lernen, anders<br />
da<strong>mit</strong> umzugehen, sich wieder auf ihr Urvertrauen<br />
zu verlassen – das haben sie verlernt.<br />
Für mich hat dies viel <strong>mit</strong> verlorenem Glauben<br />
zu tun. Meine Erfahrung ist: Wer glaubt,
MonatSgeSpräch | <strong>Ingeborg</strong> <strong>Stadelmann</strong><br />
egal an was, steht eine Geburt besser<br />
durch. Vielen fehlt es an Körpervertrauen<br />
– den eigenen Körper spüren, sich bewusst<br />
sein, dass das Kind im Mutterleib<br />
bereits <strong>mit</strong>empfindet. Gleichzeitig ist<br />
Schwangerschaft und Geburt eine Chance,<br />
wieder Urvertrauen zu erleben. Es geht<br />
um das Gleiche, was in Coaching-Seminaren<br />
für teures Geld angeboten wird: eigene<br />
verborgene Fähigkeiten und Grenzen<br />
kennenzulernen. Frauen, die ein Kind<br />
zur Welt bringen, brauchen dafür keinen<br />
Hochseilgarten.<br />
Warum ist bei der Geburt Angst so ein<br />
grosses Thema?<br />
Es ist die Angst, ausgeliefert zu sein; an<br />
einem Punkt im Leben die Kontrolle zu verlieren.<br />
Die Geburt ist eine der wenigen<br />
Situationen, in der etwas <strong>mit</strong> uns Frauen<br />
passiert, das wir nicht im Griff haben. Alles<br />
andere planen wir ja heute minutiös. Wir<br />
klingeln nicht mehr bei jemandem an der<br />
Tür, sondern rufen vorher an und sagen:<br />
«Hallo, ich bin da, ich klingle jetzt.»<br />
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Spielt auch das Alter eine Rolle? Die meisten<br />
Frauen sind bei der Geburt ihres ersten Kindes<br />
heute über 30.<br />
Das finde ich nicht entscheidend. Es gibt Ältere,<br />
die ganz unbedarft an eine Geburt heran<br />
gehen und Jüngere, die sehr verkrampft<br />
sind. Was viele Ängste allerdings erst auslöst,<br />
ist diese ganze technisierte Geburtshilfe. Leider<br />
sind wir immer noch so medizinhörig.<br />
Immerhin hat die Frau dank der Schulmedizin<br />
heute die Wahl, ob sie sich bei der Geburt<br />
eine Periduralanästhesie (PDA) setzen<br />
lassen will oder nicht. In Ihrem Buch allerdings<br />
werden diese Frauen als verweichlicht<br />
dargestellt, die ihrem Kind einen schweren<br />
Start ins Leben bereiten.<br />
Das stimmt nicht. Ich schreibe und sage immer:<br />
Es gibt überall ein Rettungsboot. Jede<br />
Frau muss individuell schauen, was sie<br />
braucht. Allerdings finde ich, das sich die<br />
Frau nicht schon eine PDA setzen lassen<br />
sollte, ehe die Geburt richtig im Gange ist.<br />
Sie geben also Ihren Segen zur PDA?<br />
Prinzipiell finde ich es verständlich, dass sich<br />
Frauen für eine Betäubung entscheiden, denn<br />
viele können Geburtsschmerzen nicht mehr<br />
aushalten. Andererseits sollten sie auch an ihr<br />
Kind denken – für dieses ist eine Geburt ohne<br />
PDA leichter, natürlicher. Produziert die<br />
Mutter körpereigene Wehen, profitiert auch<br />
das Kind von den Endorphinen, die von der<br />
Mutter freigesetzt werden. Nicht von ungefähr<br />
verlangsamen sich gegen Ende einer Geburt<br />
oft die Herztöne des Kindes, weil ihm<br />
bei einer PDA besagte Endorphine fehlen.<br />
Das Kind leidet schon Not im Bauch, das darf<br />
nicht vergessen werden.<br />
Wie meinen Sie das: «Viele Frauen können<br />
Geburtsschmerzen nicht mehr aushalten?»<br />
Wenn eine Frau per Kaiserschnittgeburt auf die<br />
Welt geholt wurde und beim kleinsten Schmerz<br />
eine Tablette nimmt, kann ich von ihr nicht erwarten,<br />
dass sie <strong>mit</strong> 35 ohne Schmerz<strong>mit</strong>tel gebärt.<br />
Im Erinnerungssystem fehlt dann das System<br />
der Schmerzverarbeitung. Nicht umsonst<br />
sprechen wir von der Geburt als das prägende<br />
Ereignis für das ganze Leben.<br />
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Tatsächlich nehmen aber Wunschkaiserschnitte<br />
zu.<br />
Ja, leider. Dabei wären laut WHO nur etwa<br />
15 Prozent aus medizinischen Gründen<br />
notwendig. Für die Mutter-Kind-Bindung<br />
ist es einfach gut, wenn die beiden unter<br />
der Geburt zusammengearbeitet haben.<br />
Auch die Erfahrung des sich durchkämpfen<br />
müssen fehlt Wunschkaiserschnitt-<br />
Kindern. Frauen, die sich dafür entscheiden,<br />
rate ich, diesen wenigstens erst nach<br />
dem natürlichen Geburtsbeginn machen<br />
zu lassen, wenn das Kind sich auf den Weg<br />
machen will. Dieser Kompromiss geht eigentlich<br />
immer.<br />
Viele Mütter fühlen sich heute unter<br />
Still-Druck. Wer öffentlich sagt,<br />
nicht stillen zu wollen, wird schief<br />
angeschaut. Warum?<br />
Das erstaunt mich nicht. Nachdem Stillen<br />
seit Mitte der 70er-Jahre propagiert wurde,<br />
sehe ich dies als normales pubertäres Verhalten,<br />
sich vom Üblichen loszusagen.<br />
Mittlerweile gibt es ja sogar brustanato-<br />
mische Schoppenflaschen zu kaufen. Die<br />
Wirtschaft springt ein, da<strong>mit</strong> Frauen ein<br />
gutes Gewissen haben und kein Defizit<br />
empfinden. Leider geht auch hier der Gedanke<br />
ans Kind verloren. Vielleicht sollte<br />
es ein Recht auf Muttermilch geben.<br />
Was ist heute eine gute Mutter?<br />
Eine Frau, die ihr Kind liebt, die ehr -<br />
lich ist und die auch mal Wut zeigt. Freilich<br />
ist Muttersein eine ständige Herausforderung.<br />
Aber es bringt auch viel<br />
Bestätigung. Ein Kind verzeiht einem weitaus<br />
mehr als jeder Arbeitgeber.<br />
Welche Rolle spielen für Sie die Väter?<br />
Sie sind dabei, ihr Vaterdasein neu zu finden.<br />
Das sehe ich auch bei meinen Söhnen<br />
und dem Schwiegersohn. Alle drei nehmen<br />
ihre Rolle sehr ernst. Das ist toll! Meine<br />
Kinder hatten einen Hausmann als Vorbild.<br />
Hätte mein Mann nach der Geburt<br />
des dritten Kindes seinen Beruf nicht aufgegeben,<br />
hätte ich so nicht weiterarbeiten<br />
können.<br />
GALA BLEIBT GALA.<br />
NEUE VERPACKUNG. GLEICHER GENUSS.<br />
Sie haben drei Enkelkinder, das vierte<br />
kommt in wenigen Wochen zur Welt.<br />
Müssen Sie sich zurückhalten, um<br />
Ihre Kinder nicht dauernd <strong>mit</strong> guten Ratschlägen<br />
zu überhäufen?<br />
Nein, da<strong>mit</strong> komme ich ganz gut klar.<br />
Wenn sie etwas wissen wollen, fragen sie.<br />
Wenn mir etwas auffällt, sage ich es trotzdem.<br />
Welche Vorbereitung empfehlen<br />
Sie Schwangeren für ein gutes Geburtserlebnis?<br />
Bereits in der Schwangerschaft das Baby als<br />
eigenständiges Wesen wahrnehmen. Auch<br />
mal innehalten wenn das Kind heftig<br />
strampelt, während man etwa ein geschäftliches<br />
Telefonat führt. Bezieht die Frau das<br />
Ungeborene <strong>mit</strong> ein, indem sie etwa sagt<br />
«Nur noch kurz, dann bin ich wieder für<br />
dich da», hat sie es kapiert. Oder wie ich in<br />
der «Hebammensprechstunde» schreibe:<br />
Erstens kommt eine Geburt anders, zweitens<br />
als Eltern denken, drittens dann und<br />
dort, wo das Kind es will.