16.04.2021 Aufrufe

Bikester Magazin Sommer 2021

Eine neue Ausgabe des Bikester Magazin ist erschienen. Wir blicken mit euch gemeinsam auf den Status Quo und die Chancen des neuen Velo-Booms. 2020 war ein gutes Jahr für das Velofahren: Eine Rekordzahl an Menschen ist umgestiegen und seitdem schneller und glücklicher unterwegs als vorher. Mit diesem Heft loten wir aus, was dazu beitragen kann, diese Entwicklung zu verstetigen. Bessere Infrastruktur, schönere Radreisen und die richtige Verpflegung im Gepäck, damit es auch 2021 an möglichst vielen Orten heißt: Fahr Rad – jetzt erst recht!

Eine neue Ausgabe des Bikester Magazin ist erschienen. Wir blicken mit euch gemeinsam auf den Status Quo und die Chancen des neuen Velo-Booms. 2020 war ein gutes Jahr für das Velofahren: Eine Rekordzahl an Menschen ist umgestiegen und seitdem schneller und glücklicher unterwegs als vorher. Mit diesem Heft loten wir aus, was dazu beitragen kann, diese Entwicklung zu verstetigen. Bessere Infrastruktur, schönere Radreisen und die richtige Verpflegung im Gepäck, damit es auch 2021 an möglichst vielen Orten heißt: Fahr Rad – jetzt erst recht!

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FRÜHJAHR / SOMMER <strong>2021</strong><br />

© DAVID SCHULTHEIß


EINPACKEN<br />

UND DAS WEITE<br />

SUCHEN<br />

croozer.com


LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!<br />

Letztes Jahr ist eine Rekordzahl an Menschen aufs Velo gestiegen und<br />

seitdem schneller und glücklicher unterwegs als vorher. Im Winter<br />

haben viele eine Pause eingelegt, aber mit den ersten Sonnenstrahlen<br />

wurde es auf den Velowegen wieder voller. Unsere Herzen hüpfen bei<br />

dem Anblick, aber es wird auch immer klarer: Etwas muss sich ändern.<br />

Vor allem die Politik ist jetzt gefragt, denn ihr beherztes Eingreifen<br />

auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie hat gezeigt: Wo ein Wille<br />

ist, ist ein (Velo-)Weg. Mit der gleichen Entschlossenheit gilt es jetzt<br />

weiterzumachen. Wir brauchen mehr Velowege und eine für alle<br />

Menschen auf der Strasse sichere Infrastruktur.<br />

Aber nicht nur die Verwaltung kann etwas dafür tun, dass der Velo-<br />

Boom weiter anhält und Neulinge immer wieder gerne in den Sattel<br />

steigen. Wir alle können etwas dazu beitragen! Eine rücksichtsvolle<br />

Fahrweise hilft, den knappen Platz auf den Velowegen besser zu<br />

verteilen. Ein aufmunterndes Winken am steilen Berg zaubert ein<br />

Lächeln auf die Lippen. Ein an wildfremde Menschen gespendeter<br />

Ersatzschlauch oder ein Flickenset kann die Wochenendtour doch<br />

noch retten.<br />

So können wir alle ein kleines Stück dazu beitragen, dass es an<br />

möglichst vielen Orten heisst: Fahr Rad – jetzt erst recht!<br />

© LIV<br />

Dein <strong>Bikester</strong><br />

3


INH<br />

ALT.<br />

05<br />

DRAUFGEHALTEN<br />

Hier gibt’s was auf die Augen<br />

10<br />

DAS VELO KANN MEHR<br />

Wie dir dein Velo sogar den Arbeitsalltag versüssen kann<br />

18<br />

INFRASTRUKTUR, ABER RICHTIG!<br />

Städte neu denken<br />

26<br />

«EINFACH ERST MAL LOSFAHREN»<br />

Mit dem E-Bike durch Europa<br />

32<br />

NACHHALTIGKEIT BEIM VELOFAHREN<br />

Wie das sauberste Verkehrsmittel noch sauberer werden kann<br />

38<br />

ICH PACKE MEINEN KOFFER …<br />

Was bei Velotouren im Gepäck steckt<br />

46<br />

FRÜHLINGSERWACHEN<br />

Mountainbike-Profis machen keine Pausen<br />

52<br />

VOM SALTO ZUR FEIERABENDRUNDE<br />

Der Deutsche Meister im BMX steigt aufs Gravelbike<br />

56<br />

VON STUTTGART ZUM STELVIO<br />

Vom VOTEC-Hauptquartier ins Herz der Alpen<br />

62<br />

IN DIE FREIHEIT FAHREN<br />

Wie das Velo dabei geholfen hat, die Welt für Frauen besser zu machen<br />

BIKESTER


DRAUF-<br />

GEHALTEN<br />

© LIV<br />

5


© DAVID SCHULTHEIß<br />

BIKESTER


DRAUF-<br />

GEHALTEN<br />

7


BIKESTER


DRAUF-<br />

GEHALTEN<br />

© ORBEA<br />

9


Text: Ben Lubin<br />

DAS VELO<br />

KANN MEHR<br />

WIE DIR DEIN VELO SOGAR DEN ARBEITSALLTAG VERSÜSSEN KANN<br />

Es ist inzwischen kein grosses Geheimnis mehr,<br />

dass man mit dem Velo sehr gut zur Arbeit kommt.<br />

Es ist schnell, es schont die Umwelt und hält dich<br />

fit. Dafür musst du nur manchmal damit leben, ein<br />

bisschen nass zu werden – und selbst dafür gibt es<br />

Regenkleidung. Aber was wäre, wenn das Velo mehr<br />

als nur ein Transportmittel ist, mit dem du zur Arbeit<br />

fährst? Tatsächlich kann es vielleicht auch deinen<br />

Arbeitsalltag bereichern – selbst wenn du nichts<br />

auslieferst. Wir haben drei Leute getroffen, die<br />

uns erzählt haben, wieso ihr Velo unverzichtbarer<br />

Bestandteil ihrer Arbeit ist.<br />

BIKESTER


© MARTIN OHLIGER<br />

11


MIRKO<br />

Mirko ist Fotograf und leidenschaftlicher<br />

Velofahrer. Für ihn ist es sehr wichtig,<br />

schnell von einem Shooting zum nächsten<br />

zu kommen, ohne sich auf den öffentlichen<br />

Nahverkehr verlassen zu müssen. Er<br />

fotografiert öfters Sportevents und gerade zu<br />

diesen Anlässen gibt es ein deutlich besseres<br />

Bild ab, mit dem Rad anzukommen als mit<br />

dem Auto. Er hat ausserdem Mittel und<br />

Wege gefunden, sein Rad in seine Arbeit<br />

einzubauen.<br />

© MARTIN OHLIGER<br />

CHRISTIANE<br />

Christiane benutzt ihr E-Bike, um durch die<br />

Stadt zu flitzen und Kindern beizubringen,<br />

wie sie ihre Zähne putzen müssen. So<br />

bleibt sie von Fahrplänen unabhängig und<br />

kann flexibel mehrere Termine unter einen<br />

Hut bringen. Ihr Unterricht findet an<br />

Kindergärten und Grundschulen statt, die<br />

selten nahe beieinanderliegen. Zusätzlich zu<br />

den Touren durch die Stadt, die sie beruflich<br />

macht, plant sie auch ihre Urlaube rund ums<br />

Fahrrad. So hat sie in den letzten beiden<br />

Jahren satte 13.000 Kilometer auf ihrem<br />

E-Bike abgespult!<br />

© MARTIN OHLIGER<br />

BIKESTER


TOM<br />

Sanitäter*innen in Krankenwagen sind ein<br />

alltäglicher Anblick. Aber hast du schon mal<br />

einen auf einem Velo gesehen? Tom Baverstock<br />

arbeitet für den Londoner Rettungsdienst<br />

und ist einer von zwölf Sanitäter*innen, die<br />

im Rahmen eines neuen Projekts mit dem<br />

Velo Hausbesuche machen. So erledigt er<br />

viele Dinge, für die normalerweise ein Besuch<br />

in der Praxis fällig wären. Früher hat Tom als<br />

Rettungssanitäter gearbeitet und war unter<br />

anderem als Ersthelfer auf dem Velo in der<br />

Londoner Innenstadt unterwegs.<br />

© LONDON AMBULANCE SERVICE<br />

WARUM EIN VELO?<br />

Alle von uns Interviewten benutzen<br />

fast ausschliesslich ihre Velos, um sich<br />

fortzubewegen. Mirkos Regel, wann er das<br />

Velo nimmt, ist recht einfach: «Ich fahre<br />

immer Fahrrad – es sei denn, es ist zu weit.»<br />

Alles innerhalb der Stadtgrenzen seiner<br />

Heimatstadt Berlin erledigt er auf zwei<br />

Rädern, wobei er selbst in der Millionenstadt<br />

selten weiter als zehn Kilometer fahren muss.<br />

Der sportliche Ehrgeiz des passionierten<br />

Velofahrers klingt durch, wenn er klarstellt,<br />

dass er kein E-Bike fährt – jedenfalls noch<br />

nicht.<br />

Christiane hat sich schon vor vielen Jahren<br />

dazu entschieden, ihre Wege von einer<br />

Unterrichtsstunde zur nächsten mit dem Velo<br />

zurückzulegen. Sie hatte keine Lust mehr,<br />

täglich mit dem Auto im Grossstadtverkehr<br />

unterwegs zu sein, und wollte gerne Kosten<br />

und Aufwand sparen. Nach ein paar Jahren<br />

ohne Zusatzantrieb stieg sie dann auf ein<br />

E-Bike um. So gewinnt sie auch Zeit für<br />

sich: «Ich kriege ein bisschen Bewegung und<br />

komme nach draussen. Ich bin so richtig<br />

wach, wenn ich bei der Arbeit ankomme, und<br />

habe Zeit, nachzudenken und den Unterricht<br />

vorzubereiten. Ich benutze das Auto nur noch,<br />

wenn das Wetter wirklich furchtbar ist.»<br />

Für Mirko eröffnet das Velo im wahrsten<br />

Sinne des Wortes neue Perspektiven. Bei<br />

Sportevents wie Marathons kann er nur mit<br />

einem Velo Schritt halten und entlang der<br />

Strecke an mehreren Orten fotografieren.<br />

Neben der gewonnenen Flexibilität setzt<br />

er es im Arbeitsalltag aber vor allem aus<br />

Umweltgründen ein. Er will so nachhaltig<br />

wie möglich leben und verzichtet deswegen<br />

auch gerne auf den öffentlichen Nahverkehr,<br />

wann immer es geht. So bleibt ihm ausserdem<br />

die lästige Parkplatzsuche erspart, die er<br />

mit dem Auto hätte. Der Sanitäter Tom<br />

fährt auch in seiner Freizeit leidenschaftlich<br />

gerne Velo. Wenn er beruflich unterwegs ist,<br />

teilt er seine Zeit zwischen Krankenwagen<br />

und Velo auf. Auf zwei Rädern macht er<br />

bis zu acht Hausbesuche am Tag. Auch für<br />

ihn spielt Nachhaltigkeit eine grosse Rolle.<br />

Darüber hinaus bringt er aber vor allem den<br />

Gesundheitsaspekt ins Spiel: «Die Leute<br />

sehen mich als Sanitäter auf einem Velo –<br />

das ist die beste Werbung für einen aktiven<br />

Lebenswandel.» Als Rettungssanitäter war<br />

er auch mit dem Velo unterwegs und hat<br />

daraus gelernt, dass er mit dem Velo schneller<br />

als jedes Auto, selbst ein Krankenwagen<br />

ist. Besonders an mit dem Auto schwer<br />

zu erreichende Orte, zum Beispiel in<br />

verwinkelten Fussgängerzonen, kommt man<br />

mit dem Velo ohne grossen Aufwand: «Wenn<br />

ich auf dem Velo in der Nähe eines Notfalls<br />

war, dann wurde ich angerufen und war fast<br />

immer der Erste vor Ort.» So konnte er<br />

immer besonders schnell Erste Hilfe leisten.<br />

Aber auch bei Standardprozeduren, bei denen<br />

es nicht um Menschenleben geht, ist er über<br />

die zusätzliche Flexibilität und die gesparte<br />

Zeit dankbar.<br />

13


BIKESTER


DAS VELO ALS PACKESEL<br />

Für einen Rettungssanitäter und einen<br />

Fotografen ist entscheidend, dass sie ihre<br />

gesamte Ausrüstung immer zur Hand haben.<br />

Tom und Mirko schaffen das beide auch<br />

ohne Lastenrad. Tom bekommt sogar eine<br />

kleine Hausarztpraxis in seinen Taschen am<br />

Gepäckträger unter: «In diese Taschen passt<br />

echt eine Menge. Ich habe viel diagnostisches<br />

Equipment dabei, um zum Beispiel den<br />

Blutdruck zu messen oder Blutproben zu<br />

nehmen. Eigentlich habe ich alles dabei, was<br />

man für eine Routineuntersuchung benötigt.»<br />

Mirko hingegen trägt sein gesamtes<br />

Equipment, das bis zu 20 Kilogramm wiegt,<br />

in einem Rucksack auf dem Rücken. Das<br />

hängt aber stark davon ab, was er fotografiert:<br />

«Wenn ich Innenräume fotografiere, brauche<br />

ich nur eine Kamera und ein Stativ. Sobald<br />

ich aber Porträts oder Fashion fotografiere,<br />

benutze ich viel mehr Equipment und dann<br />

wird es schwieriger.»<br />

MEHR ALS NUR EIN<br />

TRANSPORTMITTEL<br />

© MARTIN OHLIGER<br />

Aber auch darüber hinaus, nur den Transport<br />

attraktiver und flexibler zu machen, hat das<br />

Velo weitere Vorteile bei der Arbeit. Sowohl<br />

Mirko als auch Christiane setzen es auch noch<br />

ein, nachdem sie angekommen sind. Kroko ist<br />

Christianes Handpuppe, die in ihrem Korb<br />

vor dem Lenker mitfährt. Die Kinder kennen<br />

Kroko und oft warten sie schon am Fenster<br />

auf seine Ankunft. So ist es ein Leichtes,<br />

auch das Velo noch in den Unterricht mit<br />

einzubeziehen und damit eine gesunde<br />

Art der Fortbewegung zu fördern. Mirko<br />

hingegen liefert das Velo Inspiration und<br />

Abwechslung. Er hat es schon oft benutzt, um<br />

nicht übermässig spannenden Locations den<br />

letzten Kick zu geben. Es kam auch schon als<br />

Accessoire bei Porträts zum Einsatz.<br />

15


© DIAMANT<br />

DAS VELO KOMMT AN<br />

Alle drei sind sich einig, dass sie mit der<br />

Wahl ihres Verkehrsmittels Pluspunkte<br />

sammeln. Christianes Kolleg*innen legen<br />

beispielsweise viel Wert auf Nachhaltigkeit.<br />

Auch viele Kindergärten und Schulen haben<br />

das Thema bereits entdeckt – dazu passt<br />

Christianes Anreise mit dem Velo perfekt.<br />

Mirko sieht hingegen manchmal noch in<br />

überraschte Gesichter, wenn er mit Velo<br />

und grossem Rucksack vorfährt. Das ändert<br />

sich aber schnell, wenn er erklärt, wieso<br />

er auf diese Art unterwegs ist. Gerade bei<br />

Firmen im Sportbereich läuft er damit offene<br />

Türen ein und baut so direkt eine besondere<br />

Beziehung auf. In Toms jetziger Position<br />

freuen sich die Leute vor allem darüber, dass<br />

er da ist, während das Velo zu Beginn eine<br />

herausgehobene Rolle spielt, um das Eis zu<br />

brechen: «Meine ‹Kundschaft› weiss es sehr zu<br />

schätzen, dass jemand zu ihnen nach Hause<br />

kommt, wenn sie selber es nicht in die Praxis<br />

schaffen. Das erste Mal, wenn sie mich auf<br />

einem Rad ankommen sehen, ist es vielleicht<br />

ein kleines Novum, aber die Reaktionen sind<br />

immer positiv.» Toms Team nimmt weltweit<br />

eine Vorreiterstellung ein, weil der London<br />

Ambulance Service sowohl im Rettungsdienst<br />

als auch bei Hausbesuchen auf Velos setzt. Er<br />

geht fest davon aus, dass Sanitäter*innen auf<br />

Velos bald überall zum Stadtbild gehören.<br />

Für sich persönlich hofft er, in Zukunft mehr<br />

Schichten auf dem Velo übernehmen zu<br />

können.<br />

Auch Christiane und Mirko werden ohne<br />

Zweifel weiter Rad fahren und hoffen, auch<br />

andere dazu bewegen zu können. Alleine<br />

sind sie damit nicht – das Velo findet immer<br />

weitere Verbreitung, nicht nur auf dem Weg<br />

zur Arbeit. Genau wie die drei gehen wir<br />

bei <strong>Bikester</strong> fest davon aus, dass sich unser<br />

(Zusammen-)Leben durch das Velo in den<br />

nächsten Jahren verbessern wird. Auf eine<br />

Zukunft mit zwei Rädern!<br />

BIKESTER


wherever<br />

you ride<br />

city helmets<br />

Tag oder Nacht. S-Pedelec, Stadtrad, E-Scooter<br />

oder Fixie. Die City-Helme von uvex garantieren<br />

jederzeit optimalen Schutz. Ob auf dem Weg zur<br />

Arbeit oder zur Schule: uvex kennt die Herausforderungen<br />

auf den Straßen der Stadt. Und hat<br />

für jede den passenden Helm. Zum Beispiel<br />

den uvex finale light 2.0 mit integrierter LED-<br />

Automatik. Immer sicher unterwegs.<br />

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17


Text: Oscar Hentmark<br />

INFRASTRUKTUR –<br />

ABER RICHTIG!<br />

STÄDTE NEU DENKEN<br />

Immer mehr Leute suchen nach Alternativen, um von A nach B zu kommen, und<br />

tauschen ihre Autos oder Monatstickets gegen Velos aus. Nicht nur deswegen sind<br />

findige Köpfe in ganz Europa damit beschäftigt, Städte für Velos einladender zu<br />

gestalten. Neben handfesten Umbauten schreiben sie Gesetze um und überlegen, wie<br />

die Zukunft aussehen könnte. Schon bevor Covid-19 unsere Vorstellungen, wie man<br />

am besten zur Arbeit kommen kann, über den Haufen geworfen hat, war das Velo<br />

auf dem Vormarsch. Der Aufstieg des E-Bikes und ein stärkeres Bewusstsein für die<br />

ökologischen Folgen unseres Lebensstils veränderten den Weg zur Arbeit – und die<br />

Stadtplanung. Velos müssen jetzt vom Beginn der Planung an in weitaus grösserem<br />

Mass als früher mitgedacht werden, um mit der Entwicklung auf der Strasse Schritt<br />

halten zu können. Überall gibt es schlaue Ideen, wie unsere Städte in Zukunft aussehen<br />

könnten. Ein paar davon möchten wir gerne vorstellen. Vielleicht werden dadurch ja<br />

kreative Energien freigesetzt, die darauf verwendet werden, vor Ort zu schauen, was<br />

am besten zu der Situation in deiner Stadt passen könnte?<br />

BIKESTER


© GEMMA EVANS<br />

19


WENIGER AUTOS, MEHR<br />

VELOS<br />

Die Verringerung des motorisierten<br />

Individualverkehrs ist eine beliebte Forderung<br />

von Umweltverbänden oder Städten, die<br />

etwas für ihre Nachhaltigkeit tun möchten.<br />

Absolut effektiv geht das, indem man Autos<br />

aus besonders dicht bewohnten Gebieten<br />

heraushält. Oft geschieht das auch über<br />

Zonen mit Einfahrverboten für ältere Autos,<br />

die besonders viele Schadstoffe ausstossen. Es<br />

gibt aber auch gute Beispiele für Städte, die<br />

über reine Verbote hinausgegangen sind.<br />

VELOAUTOBAHNEN IN<br />

KOPENHAGEN<br />

Dänemark ist zum Velofahren grossartig<br />

geeignet – es gibt dort schliesslich keine<br />

Berge. Die Hauptstadt Kopenhagen ist die<br />

grösste Stadt des Landes und jeden Morgen<br />

pendeln Hunderttausende Menschen zu ihren<br />

Arbeitsplätzen. Bevor dort in den 1980er-<br />

Jahren in grossem Stil Radwege angelegt<br />

wurden, gab es auf den Strassen ähnliche<br />

Konflikte wie überall: Autos und Velos<br />

mussten sich den beschränkten Platz teilen<br />

und die Luft war geschwängert von Abgasen.<br />

Um die dadurch entstehenden Konflikte<br />

aufzulösen, wurden Veloautobahnen angelegt,<br />

damit man auch von ausserhalb schnell mit<br />

dem Velo ins Zentrum kommt. Und das ganz<br />

ohne Kreuzungen und Abgase!<br />

© STEINAR ENGELAND<br />

BIKESTER


GRÜNE WELLE FÜR VELOS IN STOCKHOLM<br />

In Schweden gibt es schon eine Menge<br />

kleinere Einrichtungen, die Velofahren<br />

angenehmer machen. An vielen Radwegen<br />

stehen Zählstellen, die die Zahl der<br />

vorbeikommenden Velos erfassen und<br />

allen Velofahrer*innen gratulieren. Auch<br />

öffentliche Luftpumpen sieht man häufig<br />

entlang beliebter Radwege. Dazu werden<br />

Autos bereits mithilfe von Mautsystemen von<br />

vielen Innenstädten ferngehalten.<br />

In Stockholm ist man jedoch noch einen<br />

Schritt weiter gegangen. Die Götgatan ist<br />

eine der längsten und am meisten befahrenen<br />

Strassen der Stadt. Auf ihr finden sich vor<br />

allem Geschäfte, Bars und Cafés – sie ist<br />

eine typische Einkaufsstrasse, die voll mit<br />

Autos, Velos und Menschen ist. Traditionell<br />

sind Ampelphasen auf den Autoverkehr<br />

ausgerichtet, sodass du mit dem Velos<br />

immer wieder stehen bleiben musst. Auf<br />

der Götgatan können Radfahrer*innen jetzt<br />

auf der grünen Welle surfen, ohne alle paar<br />

Hundert Meter aufs Neue anfahren zu müssen.<br />

Als Nebeneffekt wirkt diese Ampelschaltung<br />

abschreckend auf Menschen in Autos, die<br />

öfter anhalten müssen und deswegen einen<br />

Bogen um die Strasse machen. So gibt es<br />

einen zweiten grünen Nebeneffekt: Die Luft<br />

in der Strasse wird besser!<br />

© WWW.EXKURS.WORLD<br />

(PARK-)PLATZ FÜR IDEEN<br />

Fast jedes Verkehrsmittel parkt länger,<br />

als es gefahren wird. Autos verbringen<br />

beispielsweise rund 94 Prozent ihrer Zeit am<br />

Strassenrand oder in der Garage! Deswegen<br />

darf die Infrastruktur der Zukunft nicht nur<br />

aus Radwegen bestehen, sondern muss auch<br />

die Abstellmöglichkeiten ins Auge fassen. Die<br />

Frage nach dem Parken ist also nicht nur eine<br />

praktische, sondern vor allem eine visionäre.<br />

Solange grosse Teile des öffentlichen Raums<br />

ganz selbstverständlich und in der Regel<br />

kostenlos von parkenden Autos in Beschlag<br />

genommen werden, verbietet sich jede<br />

andere Form der Nutzung. Das Hamburger<br />

Projekt ex_kurs hat sich die Frage gestellt,<br />

wie dieser Platz anders genutzt werden<br />

könnte. Mit einem bunt gemischten Team<br />

aus Wissenschaftler*innen und Leuten, die<br />

einfach Lust hatten, etwas zu bewegen, gingen<br />

sie als «Ortnungsamt» gegen «Radlosigkeit»<br />

vor und entwickelten frische Konzepte zum<br />

Veloparken. Das spannendste davon ist eine<br />

Dreiecksbox, die auf kleinstem Raum einen<br />

überdachten Dauerparkplatz (mit Platz für<br />

ein Lastenrad) mit einem Kurzzeitparkplatz<br />

auf dem Dach verbindet. Wäre es nicht<br />

fabelhaft, wenn du dein Velo in so einer Box<br />

unterstellen könntest, anstatt verzweifelt<br />

nach einem freien Ständer Ausschau halten<br />

zu müssen?<br />

21


© CUBE<br />

AMSTERDAM – EIN BISSCHEN URLAUB IM ALLTAG<br />

Amsterdam ist wahrscheinlich die Velohauptstadt<br />

der Welt. Die engen Strassen, die<br />

immer wieder von Grachten durchkreuzt<br />

werden, stammen aus einer Zeit, in der<br />

Autos und Parkhäuser noch nicht einmal<br />

Fiktion waren. Dementsprechend sind sie<br />

ohnehin schon nicht besonders gut für den<br />

Autoverkehr geeignet. Bestimmte Autos<br />

dürfen deswegen ausgewiesene Gebiete nicht<br />

befahren, um anderen Verkehrsmitteln mehr<br />

Platz einzuräumen. Ausserdem hat die Stadt<br />

die Parkgebühren im Zentrum drastisch<br />

erhöht – ein Stellplatz im Parkhaus kostet<br />

pro Tag mindestens 40 Euro. Zusammen mit<br />

einer konsequenten Ahndung von Parken<br />

ohne Parkschein und Strafen ab 300 Euro<br />

aufwärts sind weniger Autos unterwegs. Die<br />

meisten Einwohner*innen nutzen sowieso<br />

schon Velos für alle alltäglichen Wege. Diese<br />

erfreuliche Politik der Stadtverwaltung stellt<br />

sicher, dass sie dabei möglichst komfortabel<br />

und sicher an ihr Ziel kommen.<br />

Amsterdam ist ein beliebtes Reiseziel.<br />

Natürlich ist es für Tourist*innen ungewohnt,<br />

ihr Auto in einem Parkhaus am Stadtrand<br />

oder direkt ganz zu Hause zu lassen. Aber<br />

sie merken schnell, dass sie auf dem Velo viel<br />

besser die Sehenswürdigkeiten einer Stadt<br />

erkunden können. Das funktioniert auch im<br />

Alltag: Mit der geeigneten Infrastruktur wird<br />

jede Velofahrt so entspannend wie ein kleiner<br />

Urlaub!<br />

BIKESTER


Your Life,<br />

your Spirit.<br />

23


Orbea Gain F35<br />

City E-Bike<br />

WORAUF WIR<br />

ABFAHREN<br />

JENNY — ORBEA GAIN F35<br />

© EMELIE VOLTAIRE<br />

Wer bist du und was machst du bei<br />

<strong>Bikester</strong>?<br />

Ich bin Jenny und ich arbeite mit allen<br />

Informationen rund um unsere Produkte.<br />

Ich stelle sicher, dass alle Produkte in<br />

unserem Onlineshop den richtigen Text und<br />

die richtigen Informationen bekommen. In<br />

meiner Freizeit gleiche ich meine Fahrten zur<br />

Arbeit auf dem E-Bike dadurch aus, auf den<br />

dreckigsten Trails, die ich nur finden kann,<br />

Mountainbike zu fahren. Ich fahre eigentlich<br />

alles von ganz normalen Trails über Enduro<br />

bis hin zu Downhill. Ich bin vor allem ein Fan<br />

von kniffligen Steinfeldern und arbeite gerade<br />

daran, meine Angst vor Gaps und Sprüngen<br />

zu überwinden.<br />

Welches Velo fährst du und warum?<br />

Ich fahre aus verschiedenen Gründen ein<br />

Orbea Gain F35 E-Bike. Der wichtigste: Ich<br />

mag den öffentlichen Nahverkehr wirklich<br />

nicht. Mein ganzer Tag ist ruiniert, wenn ich<br />

morgens schon Zeit in stressigen Bahnhöfen,<br />

überfüllten Bussen und vollgestopften<br />

U-Bahnen verbringen musste. Stattdessen<br />

fahre ich lieber alleine mit dem Velo und habe<br />

meinen Frieden. Wenn es regnet, ziehe ich<br />

einfach die passenden Klamotten an. Dank<br />

des elektrischen Antriebs schwitze ich auch<br />

nicht und muss mich nicht umziehen, obwohl<br />

auf dem Weg ein paar nicht gerade kleine<br />

Hügel liegen.<br />

BIKESTER


TRELOCK FALTSCHLÖSSER<br />

DIE PERFEKTEN ALLROUNDER<br />

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25


BIKESTER


Text: Martina Domnick, Fotos: Carolin Töpfer<br />

EINFACH ERST MAL<br />

LOSFAHREN<br />

MIT DEM E-BIKE DURCH EUROPA<br />

Carolin Desirée Töpfer hatte grosse<br />

Pläne. Im März 2020 wollte die junge<br />

Unternehmerin auswandern und ihr<br />

Cybersecurity-Start-Up in Tallinn gründen<br />

– doch dann machten ihr die Corona-<br />

Pandemie und die Reisebeschränkungen<br />

einen Strich durch die Rechnung.<br />

Nachdem die Lage sich im <strong>Sommer</strong><br />

etwas beruhigt hatte, beschloss sie<br />

dann, auf ganz anderem Wege an ihr Ziel<br />

zu gelangen.<br />

Anstatt für knapp zwei Stunden in<br />

den Flieger zu steigen, unternahm sie<br />

eine dreimonatige Reise mit einem<br />

E-Bike. Von Berlin über Tschechien und<br />

Österreich, die Donau entlang bis nach<br />

Budapest und quer durch Polen und die<br />

baltischen Staaten hindurch, fuhr sie<br />

durch zehn Länder und legte dabei 2.600<br />

Kilometer zurück. Auf ihrer Reise hat sie<br />

andere Unternehmer*innen und viele<br />

spannende Menschen getroffen.<br />

Ihr Ziel: Auch wenn vieles ungewiss war,<br />

sollte es vorwärtsgehen. Egal wie schnell,<br />

irgendetwas muss sich bewegen.<br />

27


Du hast im letzten <strong>Sommer</strong> eine Reise<br />

gewagt, von der viele träumen. Du bist<br />

drei Monate mit dem Velo unterwegs<br />

gewesen. Warum hast du dich für deine<br />

Tour von Deutschland nach Estland für<br />

ein E-Bike entschieden?<br />

Ich habe vorher schon ein paar extreme<br />

Sportsachen gemacht, wie Crossfit und<br />

Hindernisläufe. Daher kenne ich meinen<br />

Körper ganz gut und wusste, dass ich das mit<br />

einem normalen Velo und Gepäck wohl nicht<br />

schaffen würde oder nur sehr, sehr langsam.<br />

So bin ich dann aufs E-Bike gekommen. Für<br />

die Reiseplanung ging es vor allem darum:<br />

Was macht realistisch Sinn auf der langen<br />

Distanz?<br />

Hast du dich körperlich besonders<br />

vorbereitet?<br />

Nein, also ich habe ganz normal<br />

trainiert, wenn möglich Krafttraining im<br />

Fitnessstudio, ein bisschen Ausdauer, viel<br />

Rudern und ansonsten Übungen mit der<br />

Langhantel – allgemeines Fitnesstraining<br />

halt. Später habe ich tatsächlich gemerkt,<br />

dass es nicht schadet, ein paar Muskeln zu<br />

haben, wenn man mit einem schweren Velo<br />

und Gepäck unterwegs ist. Ich musste es ja<br />

auch über ein paar Bahngleise tragen. Aufs<br />

Fahren selbst habe ich mich aber nicht<br />

gezielt vorbereitet.<br />

Das Gewicht bringt uns auch schon<br />

zur nächsten Frage: Wie hast du<br />

dein Gepäck verstaut? Gab es dabei<br />

Herausforderungen zu meistern?<br />

Ich glaube, ich habe fünf Mal aussortiert<br />

und meine Gepäckordnung geändert, bevor<br />

ich losgefahren bin. Dann habe ich mir<br />

irgendwann gesagt: «So, ich fahr jetzt erst<br />

mal so, wie es ist, bis Wien und dort kann<br />

ich aussortieren.» Von dort habe ich dann<br />

acht Kilo zurück nach Berlin geschickt. Das<br />

würde ich jedem empfehlen. Am Anfang hatte<br />

ich noch einen grossen Rucksack zusätzlich<br />

auf dem Gepäckträger dabei. Aber das hat<br />

nicht funktioniert. Auf ebenen Strecken ist<br />

Übergepäck kein Problem, weil es durch die<br />

Elektro-Unterstützung ausgeglichen wird.<br />

Aber im Gebirge oder auf unebenen Pfaden<br />

wird es schwierig mit der Balance.<br />

Also im Endeffekt ist die Idee, gut<br />

zu planen, aber dann erst einmal<br />

loszufahren, um zu sehen, was du<br />

tatsächlich brauchst.<br />

Genau. Man sollte das auch nicht zu verkopft<br />

angehen. Ich habe mir ein Startdatum gesetzt<br />

und mir vorgenommen, dann auch wirklich<br />

loszufahren. Es gibt überall in Europa<br />

Supermärkte, Drogerien und Veloläden, wo<br />

du das Nötigste kaufen kannst. Ich bin ja<br />

nicht allein in die Wüste gefahren.<br />

BIKESTER


MAN SOLLTE DAS AUCH NICHT ZU VERKOPFT<br />

ANGEHEN. ICH HABE MIR EIN STARTDATUM<br />

GESETZT UND MIR VORGENOMMEN, DANN<br />

AUCH WIRKLICH LOSZUFAHREN.<br />

Wie hast du deine eigentliche Fahrt<br />

geplant und auf welchen Wegen bist du<br />

so gefahren?<br />

Da hatte ich am Anfang einen Plan, der<br />

aber nicht funktioniert hat. Ich habe mir<br />

zuerst die Eurovelo-Routen herausgesucht<br />

und verschiedene Routen-Apps auf mein<br />

Smartphone geladen. Es hat sich aber<br />

gezeigt, dass diese Wege wohl niemand vor<br />

Ort getestet hat. Das Trekking-E-Bike hat<br />

zwischendurch bestimmt gedacht, es wäre ein<br />

Mountainbike, weil es oft einfach keine guten<br />

Velowege gab. Oder die Eurovelo-Route hat<br />

ausserhalb Prags ganz abrupt aufgehört. Auf<br />

dem Weg von Prag nach Budweis hat es in<br />

Strömen geregnet und die Strasse führte<br />

nur bergauf. Da hatte ich dann Glück, dass<br />

gerade eine Dame vorbeifuhr, die mit einem<br />

Anhänger ein Sofa abholen wollte und mich<br />

per Anhalter mitsamt Velo zum nächsten<br />

Bahnhof gebracht hat.<br />

29


Wie viele Kilometer hast du denn<br />

schätzungsweise am Tag zurückgelegt<br />

und wie oft Pause gemacht?<br />

Ich bin am Anfang so 40 bis 50 Kilometer am<br />

Tag gefahren und am Ende auch mal 130. Ich<br />

kann aber im Nachhinein nicht empfehlen,<br />

mit Bergregionen anzufangen, weil die<br />

Anstiege dort wirklich extrem waren. Aber es<br />

war auf jeden Fall sehr lehrreich für den Rest<br />

der Tour. Ich habe meinen Körper durch die<br />

Anstrengung noch bewusster erfahren und<br />

gelernt, dass ich gut drei Tage durchfahren<br />

kann. Aber dann ist es auch Zeit für eine<br />

Pause, damit sich der Körper erholt.<br />

Was für Menschen hast du auf der Reise<br />

getroffen und wie haben die darauf<br />

reagiert, dass du so eine weite Strecke<br />

mit dem E-Bike zurücklegst?<br />

Ich habe superviele Leute an Tankstellen und<br />

vor Supermärkten getroffen und alle waren<br />

total fasziniert. Besonders Frauen über 50<br />

haben oft gesagt: «Das ist so cool, dass du das<br />

machst, und gerade jetzt mit 30.» Sie fühlten<br />

sich schon zu alt oder trauten sich so eine Tour<br />

nicht mehr zu. Da waren auch viele Leute<br />

dabei, die gerade überlegten, sich ein E-Bike<br />

zu kaufen. Also habe ich auch Beratung in<br />

Sachen E-Bike gemacht, weil einige denken,<br />

dass sei nur etwas für alte oder gebrechliche<br />

Menschen. Vor allem, nachdem ich erst mal<br />

Kondition aufgebaut hatte und von oben bis<br />

unten braun gebrannt und sportlich aussah,<br />

war ich da ein gutes Gegenbeispiel.<br />

Ich finde es auch wichtig zu erwähnen,<br />

dass ich als Frau auf dieser dreimonatigen<br />

Tour keine negativen Erfahrungen gemacht<br />

habe. Niemand hat mich belästigt oder ist<br />

aufdringlich geworden. Also gerade diese<br />

Befürchtungen, die besonders Frauen haben,<br />

bevor sie alleine losziehen – es ist nichts<br />

passiert. Ich bin respektvoll behandelt<br />

worden und Fremde haben mir geholfen.<br />

Wie war es, als du manchmal tagelang<br />

durch Wälder und einsame Gebiete<br />

geradelt bist?<br />

Es ist sehr entspannt, wenn du dich alleine in<br />

die Natur begibst und kilometerweit keine<br />

Menschenseele siehst. Du merkst einfach,<br />

was wichtig ist: dass du deinen Körper kennst,<br />

dass du Trinkwasser und etwas zu essen<br />

dabeihast und dass du spät am Nachmittag<br />

schon eine Idee hast, wo du übernachtest. In<br />

der Krisenzeit und da ich während der Tour<br />

ganz normal weitergearbeitet habe, war das<br />

eine wertvolle Erfahrung. Du siehst Business-<br />

Stress einfach in einem entspannteren<br />

Licht, weil diese Dinge in erster Linie nicht<br />

überlebenswichtig sind.<br />

Ein Perspektivwechsel sozusagen.<br />

Was kannst du unseren Leser*innen<br />

empfehlen, wenn sie auch mal eine<br />

längere Tour unternehmen wollen? Man<br />

muss ja nicht gleich 2.600 Kilometer<br />

abreissen.<br />

Ich würde empfehlen, mit 40 bis 50<br />

Kilometern anzufangen, so eine Tagestour.<br />

Und dann einfach mal eine Nacht irgendwo<br />

zelten oder im Hotel übernachten. Das kann ja<br />

auch schon eine super Abwechslung sein. Und<br />

fast jeder kann es machen. Man muss auch<br />

nicht von vornherein die perfekte Ausrüstung<br />

haben. Auf der Tour bekommt man schon mit,<br />

was man noch gebrauchen könnte. Und es ist<br />

wichtig, auf den eigenen Körper zu hören und<br />

sich vorher die geografischen Gegebenheiten<br />

anzugucken. Flache, gut ausgebaute Strecken<br />

an Flüssen und mit Bahnlinien in der Nähe<br />

sind super für den Anfang. Und ansonsten:<br />

Einfach losfahren.<br />

BIKESTER


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31


BIKESTER


Text: Martin Ohliger<br />

NACHHALTIGKEIT<br />

BEIM VELOFAHREN<br />

WIE DAS SAUBERSTE VERKEHRSMITTEL NOCH SAUBERER WERDEN KANN<br />

Gute 200 Gramm Kohlenstoffdioxid<br />

sparst du auf jedem Kilometer ein, wenn<br />

du dich für das Velo anstatt für das Auto<br />

entscheidest. Wenn die U-Bahn die<br />

Alternative wäre, sparst du immer noch<br />

rund 50 Gramm pro Kilometer. Selbst<br />

der vergleichsweise sparsame Dieselbus<br />

im Nahverkehr stösst noch ungefähr 20<br />

Gramm mehr CO2 pro Kilometer aus als<br />

du auf dem Rad. Nebenher braucht das<br />

Velo (auch das E-Bike!) bei der Herstellung<br />

vergleichsweise wenige Ressourcen,<br />

nimmt in der Stadt kaum Platz weg und<br />

ist auch noch besonders leise. Durch<br />

umsichtige Entscheidungen beim Kauf<br />

(und auch danach!) kannst du deinen<br />

ohnehin schon eher kleinen ökologischen<br />

Fussabdruck auf zwei Rädern allerdings<br />

noch weiter verkleinern, bis nur noch eine<br />

ganz schmale Reifenspur zurückbleibt.<br />

33


WIE GRÜN IST DEIN<br />

RAHMEN?<br />

Das fängt natürlich mit dem Velo an, auf dem<br />

du sitzt. Herkömmliche Velorahmen werden<br />

aus Stahl oder Aluminium geschweisst, was<br />

beides keine idealen Materialien sind. Stahl<br />

ist sehr schwer und das weiter verbreitete<br />

Aluminium benötigt zur Herstellung<br />

enorme Mengen an Energie. Rund 1.600<br />

Kilowattstunden Strom werden benötigt,<br />

um das Aluminiumerz für einen einzigen<br />

Rahmen zu fördern, zu schmelzen und<br />

in Form zu bringen. Das ist ungefähr ein<br />

Drittel des jährlichen Stromverbrauchs eines<br />

vierköpfigen Haushalts! Beide Materialien<br />

können zwar recycelt werden, aber dafür<br />

müssen enorme Mengen an Energie<br />

aufgewendet werden.<br />

© MARTIN OHLIGER<br />

Magnesium hingegen bietet einen goldenen<br />

Mittelweg zwischen Performance und<br />

Nachhaltigkeit. Die noch junge Firma<br />

Vaast verwendet deswegen für ihre<br />

Rahmen ausschliesslich eine neuartige<br />

Magnesiumlegierung namens «Super<br />

Magnesium». Die satten Gewichtsersparnisse<br />

sind ein erfreulicher Nebeneffekt, im<br />

Mittelpunkt steht aber die Nachhaltigkeit<br />

des Materials. Magnesium hat in der<br />

Hinsicht gleich doppelt die Nase vorn, wie<br />

Daniel Schlegel erklärt, der in Europa für<br />

den Vertrieb der Marke zuständig ist: «Der<br />

zentrale Aspekt ist der Energiebedarf in der<br />

Produktion, um bestimmte Rohrformen<br />

herzustellen. Magnesium benötigt dafür<br />

deutlich niedrigere Temperaturen als<br />

Aluminium. Dadurch erzielen wir einen<br />

Grossteil der ‹grünen Effekte› unserer<br />

Legierung. Darüber hinaus ist Magnesium<br />

zu 100 Prozent recycelbar. Wir können zum<br />

Beispiel einen alten Magnesiumrahmen<br />

nehmen und durch unseren einzigartigen<br />

Schmelzprozess einen neuen Rahmen oder<br />

andere Magnesiumprodukte daraus machen.»<br />

EIN VELO IST MEHR ALS<br />

EIN RAHMEN<br />

Mit einem Velo aus Magnesium bist du<br />

also umwelttechnisch auf dem Weg in die<br />

richtige Richtung. Nur deswegen eine<br />

Neuanschaffung zu planen, wäre aber<br />

grundfalsch. Das nachhaltigste Velo ist<br />

immer das, welches du schon besitzt und<br />

noch fahren kannst. Je länger du ein Rad<br />

(und die daran verbauten Teile) nutzt, desto<br />

positiver fällt seine Ökobilanz aus. Sieh es<br />

als direkten Akt des Umweltschutzes, dein<br />

Velo unter einem Vordach oder im Keller<br />

anstatt im Regen zu parken und es damit vor<br />

Rost zu schützen. Durch Handlungen wie<br />

diese minimierst du auch die Zeit, die du mit<br />

Werkstattbesuchen verbringst. Ausserdem<br />

verlängerst du die Lebensdauer aller<br />

Verschleissteile, die tatsächlich den grössten<br />

Teil des Materialverbrauchs ausmachen. Über<br />

die gesamte Zeitspanne, die du dein Velo<br />

fährst, ergibt es einen riesigen Unterschied,<br />

ob du nach jedem Winter eine neue Kette<br />

brauchst oder nicht.<br />

BIKESTER


© MARTIN OHLIGER<br />

35


«STROHHALME SIND<br />

NICHT DAS GRÖSSTE<br />

PROBLEM»<br />

Auch bei der Kleidung, die du auf dem Velo<br />

trägst, kannst du einen grünen Unterschied<br />

machen. Wie genau das im Moment am<br />

besten geht, kann Pamela Barclay erklären.<br />

Sie kümmert sich bei der Bekleidungsfirma<br />

Endura als Mitgründerin und Brand Director<br />

um Nachhaltigkeit und gibt eine klare<br />

Marschrichtung vor: «Strohhalme sind nicht<br />

das grösste Problem, das wir gerade haben.<br />

Wir müssen uns jetzt auf die Erderwärmung<br />

konzentrieren, sonst können wir bald nicht<br />

mehr über andere Dinge wie Recycling<br />

nachdenken.» Eine Million Bäume, die von<br />

Endura pro Jahr in Schottland und Mosambik<br />

gepflanzt werden, gleichen den CO2-Ausstoss<br />

der weltweit operierenden Firma aus. Das ist<br />

ganz ausdrücklich nur eine Übergangslösung,<br />

bis es praktikable Methoden gibt, weltweite<br />

Lieferketten komplett nachhaltig zu gestalten.<br />

Gleichzeitig treibt Endura auch in der<br />

Produktion umweltfreundliche Alternativen<br />

voran. Das passiert aber ganz anders, als man<br />

zuerst denken würde. Naturfasern sind auf<br />

den ersten Blick eine sichere Bank in Sachen<br />

Nachhaltigkeit. Dabei hat aber beispielsweise<br />

Baumwolle eine absolut verheerende<br />

Wasserbilanz. Für ein T-Shirt werden bis zu<br />

4.100 Liter Wasser von den Baumwollpflanzen<br />

aufgenommen oder verschmutzt! Stattdessen<br />

kommen bei Endura also vor allem (teilweise<br />

recycelte) Kunstfasern zum Einsatz –<br />

auch um Eigenschaften wie die schon fast<br />

legendäre Haltbarkeit gewährleisten zu<br />

können. Eine Jacke, die nicht nach einer<br />

Saison in die Altkleidersammlung wandert,<br />

sondern dich zehn Jahre lang durch dick und<br />

dünn begleitet, schont deinen Geldbeutel<br />

und die Umwelt gleichermassen. Und bis du<br />

die Jacke, die du heute kaufst, verschlissen<br />

hast, sind hoffentlich auch Lösungen zum<br />

Recycling von Kunstfasern in grossem Stil<br />

marktreif. Langlebiges Design hilft natürlich<br />

nicht in allen Fällen. Solltest du irgendwo<br />

unglücklich hängen geblieben sein oder bei<br />

einem Sturz ein Loch in deine Lieblingshose<br />

gerissen haben, kannst du sie bei Endura für<br />

einen symbolischen Betrag reparieren lassen.<br />

Viele andere Firmen bieten ähnliche Services<br />

an oder veranstalten Reparatur-Workshops,<br />

damit du deine Kleidung so einfach reparieren<br />

kannst wie dein Velo.<br />

© ENDURA<br />

BIKESTER


© ENDURA<br />

WASCHEN MACHT AUCH<br />

DRECK<br />

Recyceltes Ausgangsmaterial und möglichst<br />

haltbares Design sind aber nur die eine Seite<br />

der Medaille. Rund 20 Prozent der gesamten<br />

CO2-Emissionen, für die ein Kleidungsstück<br />

verantwortlich ist, entstehen nämlich durch<br />

das Waschen. Du kannst also nicht nur durch<br />

bewussten Konsum etwas für die Umwelt<br />

tun, sondern auch noch danach. Klar, die<br />

Unterwäsche gehört nach jeder Tour in die<br />

Waschmaschine, ebenso stark verschwitzte<br />

oder matschige Kleidungsstücke. Aber muss<br />

eine Jacke wirklich mit in die Waschtrommel,<br />

nur weil sie ein paar Dreckspritzer<br />

abbekommen hat? In vielen Fällen kannst<br />

du den Dreck einfach abklopfen oder<br />

ausbürsten, wenn er getrocknet ist. Vor allem<br />

Naturmaterialien reagieren erstaunlich gut<br />

darauf, einen Tag zum Lüften ins Fenster<br />

gehängt zu werden.<br />

NACHHALTIGKEIT ALS<br />

TRITT IN DEN HINTERN<br />

Wie du siehst, muss es dich keinen Cent<br />

kosten, auf dem Velo noch etwas nachhaltiger<br />

unterwegs zu sein. Sollte für dich eine<br />

Neuanschaffung anstehen, dann lohnt es sich,<br />

auf recycelte oder gut recycelbare Materialien<br />

wie zum Beispiel Magnesium oder bestimmte<br />

Polyesterarten zu achten. So minimierst<br />

du nicht nur deinen eigenen ökologischen<br />

Fussabdruck, sondern unterstützt auch<br />

Firmen wie zum Beispiel Vaast und Endura,<br />

bei denen Nachhaltigkeit eine wesentliche<br />

Triebkraft für ihre Entwicklung ist. Dank ihrer<br />

Suche nach ökologisch besser verträglichen<br />

Materialien und Herstellungsprozessen<br />

stehen uns jetzt erschwingliche, komfortable<br />

und grünere Velos und Kleidungsstücke<br />

zur Verfügung. Wenn noch mehr Firmen<br />

Nachhaltigkeit als Innovationsmotor sehen<br />

und wir alle dafür sorgen, dass es sich für sie<br />

auszahlt, dann geht die Fahrt in eine grüne<br />

Zukunft erst so richtig los!<br />

37


© MARTIN OHLIGER<br />

Text: Bramm Clitherow<br />

ICH PACKE MEINEN<br />

KOFFER …<br />

WAS BEI VELOTOUREN IM GEPÄCK STECKT<br />

Wir alle nehmen die unterschiedlichsten Dinge auf unsere Touren mit. Du musst dich auf eine Velotour nicht vorbereiten wie<br />

für eine Arktisexpedition, aber es schadet sicher nicht, auf die eine oder andere Panne vorbereitet zu sein. Manche Velos<br />

brauchen spezielles Werkzeug und du hast garantiert schon Erfahrungen gemacht, die dafür sorgen, dass du ohne ein<br />

bestimmtes Teil nicht mehr aus dem Haus gehst. Manche können die Zeit im Sattel nur dann geniessen, wenn sie auf alle<br />

Eventualitäten vorbereitet sind. Andere packen nur das Minimum ein und vertrauen darauf, dass es bisher noch immer gut<br />

gegangen ist. Wir haben ein paar Fahrer*innen interviewt, um herauszufinden, was sie unbedingt einpacken.<br />

BIKESTER


BRITTANY<br />

© MARTIN OHLIGER<br />

Stell dich doch mal kurz vor!<br />

Hallo, ich bin Brittany und lebe seit zwei<br />

Jahren in Berlin. Ursprünglich komme ich aus<br />

Portland, Oregon in den USA. Mein treuer<br />

Begleiter ist ein Bombtrack Gravelbike mit<br />

sehr komfortablen, breiten Reifen, jeder<br />

Menge Platz für Gepäck und einem Dynamo,<br />

damit ich immer Licht und Strom habe.<br />

Was ist bei einer normalen Tour in<br />

deinen Taschen?<br />

Ein Schweizer Taschenmesser, um Käse zu<br />

schneiden und Weinflaschen zu öffnen, ein<br />

Multitool, Ersatzschlauch, Reifenheber,<br />

eine Pumpe mit Klebeband, Flickzeug,<br />

Sonnencreme, Haarbänder, Geld und ein<br />

Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade.<br />

Bist du optimistisch oder pessimistisch,<br />

wenn du packst?<br />

Ich komme aus Portland und bin mit dem<br />

Sprichwort aufgewachsen, dass es kein<br />

schlechtes Wetter, sondern nur schlechte<br />

Kleidung gibt. Ich bin eine Pessimistin und<br />

habe immer eine Regenjacke dabei.<br />

Gibt es einen Luxusgegenstand, der<br />

immer bei dir dabei ist?<br />

Wasserdichte Socken! Ich habe bei so vielen<br />

Touren unter kalten, nassen Füssen gelitten,<br />

bevor ich mir die gekauft habe – die verändern<br />

echt alles!<br />

Was ist deine liebste Verpflegung auf<br />

dem Velo?<br />

Ich liebe Pizza so sehr, dass ich zusammen mit<br />

Freund*innen unsere Touren rund um unsere<br />

liebsten Pizzerien plane. Wir nennen es «Pizza<br />

Gravel»! Wenn ich eine Route plane, dann<br />

immer so, dass es jede Menge Möglichkeiten<br />

zur Verpflegung gibt. Ich bin ein grosser Fan<br />

von Kaffeepausen und halte auch mal an einer<br />

Tankstelle für Bratwurst und Cola an. Bei<br />

längeren Touren helfen mir Gummibärchen,<br />

grössere Anstiege hochzukommen.<br />

Kennst du kleine Helferlein, die einen<br />

Tag auf dem Velo wirklich angenehmer<br />

machen?<br />

Kabelbinder und Klebeband liegen auf<br />

der Hand, aber ich habe auch schon mal<br />

Haarbänder benutzt, um meine Lenkertasche<br />

wieder zu befestigen, als der Gurt gerissen<br />

war.<br />

Musstest du dein Velo schon mal<br />

unterwegs reparieren?<br />

Auf einer langen Tour ist mir mal mein<br />

Schaltauge gebrochen und keiner der Läden,<br />

an denen wir vorbeigekommen sind, hatte das<br />

passende Ersatzteil. Nachdem wir alle Läden<br />

abgeklappert hatten, hat ein Mechaniker zum<br />

Glück ein anderes Schaltauge so lange mit der<br />

Feile bearbeitet, bis es an mein Velo passte.<br />

Die Lektion habe ich gelernt: Seitdem habe<br />

ich immer ein Ersatzschaltauge dabei.<br />

Würdest du jemandem deinen einzigen<br />

Ersatzschlauch geben?<br />

Natürlich, obwohl ich vielleicht vorher<br />

versuchen würde, den anderen Schlauch zu<br />

flicken. Wahrscheinlich hängt das auch davon<br />

ab, wie weit es bis zum nächsten Ort ist, aber<br />

ich sage einfach mal Ja.<br />

39


OTTILIE<br />

Stell dich doch mal kurz vor!<br />

Ich bin Ottilie und ich arbeite als Lehrerin.<br />

Mein Weg zur Arbeit führt mich circa 35<br />

Minuten durch die viel befahrenen Strassen<br />

der Innenstadt Londons. Ich fahre jeden Tag<br />

mit dem Velo zur Arbeit, egal bei welchem<br />

Wetter. Es ist nichts Besonderes, aber ich<br />

mag es sehr. Ich habe nur einen Gepäckträger<br />

für meine Taschen nachgerüstet und Licht für<br />

den Winter.<br />

Was ist bei einer normalen Tour in<br />

deinen Taschen?<br />

Normalerweise habe ich nur eine Tasche am<br />

Velo. Da sind dann ein paar Schulbücher drin,<br />

meine Korrekturen, ein paar Stifte und meine<br />

Geldbörse. Ich nehme auch immer mein<br />

Mittagessen und eine Thermoskanne Kaffee<br />

mit. Wenn ich einkaufe, dann nehme ich auch<br />

die zweite Tasche mit, um ein bisschen mehr<br />

Platz zu haben.<br />

Bist du optimistisch oder pessimistisch,<br />

wenn du packst?<br />

Ich bin Optimistin und fahre deswegen mit<br />

leichtem Gepäck. Wenn es wirklich heiss ist,<br />

trage ich manchmal eine Velohose und ziehe<br />

mich dann auf der Arbeit um. Aber das ist<br />

auch alles.<br />

© CLEMENTINE CHEETHAM<br />

BIKESTER


© CLEMENTINE CHEETHAM<br />

Was ist deine liebste Verpflegung auf<br />

dem Velo?<br />

Wenn ich meine Wochenendtouren plane,<br />

denke ich schon mal daran, ein Picknick<br />

mitzunehmen. Aber dann plane ich die Tour<br />

doch immer so, dass ich an mindestens<br />

einem Café vorbeikomme, damit ich nichts<br />

mitschleppen muss.<br />

Kennst du kleine Helferlein, die einen<br />

Tag auf dem Velo wirklich angenehmer<br />

machen?<br />

Ich habe einen guten Ratschlag: Lass<br />

dich nicht verrückt machen. Du brauchst<br />

eigentlich nichts zum Velofahren, weder<br />

spezielles Werkzeug noch besondere<br />

Kleidung. Wenn du nicht verschwitzt bei<br />

der Arbeit ankommen möchtest, dann fahr<br />

doch einfach ein bisschen langsamer. So<br />

kommst du frisch und ausgeruht an, anstatt<br />

auf dem Weg zur Arbeit ein Rennen zu<br />

veranstalten und deswegen auch noch einen<br />

Satz Wechselkleidung mitnehmen zu müssen.<br />

Musstest du dein Velo schon mal<br />

unterwegs reparieren?<br />

Bis auf ein paar Plattfüsse im Urlaub<br />

eigentlich nicht. Ich hatte einmal ein kleines<br />

Problem mit meiner Gangschaltung, als ich<br />

einen nicht gerade kleinen Hügel hochfuhr.<br />

Zum Glück war die nächste Person, die<br />

vorbeikam, ein Mechaniker, der das Problem<br />

schnell lösen konnte.<br />

Würdest du jemandem deinen einzigen<br />

Ersatzschlauch geben?<br />

Natürlich! Wenn ich allerdings noch mehrere<br />

Stunden vor mir hätte und es schon dunkel ist<br />

und ich vielleicht auch schon etwas hungrig<br />

wäre, dann vielleicht nicht. Ansonsten helfe<br />

ich natürlich gerne, wenn jemand Hilfe<br />

braucht!<br />

41


SABINE &<br />

MATHIAS<br />

© GUIDO WIRTZ<br />

Stellt euch doch mal kurz vor!<br />

Wir sind Sabine und Mathias aus Wannweil<br />

bei Reutlingen. Wir sind mittlerweile<br />

nicht mehr berufstätig und können unsere<br />

Passion Velofahren noch intensiver leben.<br />

Unser grosses Ziel ist es, eine Weltreise in<br />

Etappen zu unternehmen. Jedes Jahr drei<br />

Monate, 7.000 Kilometer auf einem anderen<br />

Kontinent. Der Start mit unserer Europatour<br />

(Prag – St. Petersburg – Helsinki und zurück)<br />

wäre 2020 im Mai gewesen. Coronabedingt<br />

musste diese leider verschoben werden.<br />

Wir haben dann wenigstens eine Tour nach<br />

Norditalien und zurück gemacht und jede<br />

Menge Tagestouren in der Umgebung.<br />

Was packt ihr für eine normale<br />

Tagestour in eure Taschen?<br />

Eine Landkarte, Erste-Hilfe-Täschchen,<br />

Handy und Ladegerät, bei längeren<br />

Touren Ersatzakku und Ladegerät,<br />

Werkzeug und Reparaturset inklusive<br />

Ersatzschlauch, Bedienungsanleitung<br />

fürs Velo, Zitronenbonbons, gefüllte<br />

Getränkeflasche am Rahmen, Vesper: Apfel,<br />

Möhren, Landjäger, Brot und Picknickdecke,<br />

Badeanzug/Badehose, Handtuch (man weiss ja<br />

nie, ob ein Badesee oder Bach am Wegesrand<br />

zum Reinhüpfen einlädt), Toilettenpapier,<br />

Taschenmesser, Sonnencreme, Gesässcreme,<br />

Fahrtenbuch, in dem alle Touren notiert<br />

werden, Nähzeug, Lippenstift, Haarbürste,<br />

Desinfektionsmittel.<br />

Seid ihr optimistisch oder pessimistisch<br />

beim Packen?<br />

Wir sind realistisch. Bei gemischter<br />

Vorhersage gehört die Regenjacke in<br />

jedem Fall ins Gepäck. Bei absolut guter<br />

Wettervorhersage ersetzen wir die Regenjacke<br />

gerne durch Sonnencreme.<br />

Gibt es einen Luxusgegenstand, der<br />

immer bei euch dabei ist?<br />

Bei mir ist es definitiv der Lippenstift und<br />

eine Haarbürste, damit ich auch bei der Pause<br />

eine «bella figura» mache.<br />

BIKESTER


Was ist eure liebste Verpflegung?<br />

© GUIDO WIRTZ<br />

Wir machen gerne Päuschen in Biergärten.<br />

Coronabedingt war dies in 2020 leider kaum<br />

möglich.<br />

Kennt ihr kleine Helferlein, die einen<br />

Tag auf dem Velo wirklich angenehmer<br />

machen?<br />

Kabelbinder sind zentraler Bestandteil<br />

des Werkzeugtäschchens ebenso wie ein<br />

Multifunktionswerkzeug. Panzertape gehört<br />

auch zu den «Must-haves». Und Plastiktüten<br />

für Müll, bei Regen über die Socken etc.<br />

Musstet ihr eure Velos schon mal<br />

unterwegs reparieren?<br />

Schlauch wechseln ist Standard. Die<br />

schwierigste Reparatur war das Ersetzen eines<br />

Bremszuges, aber mit etwas Geduld hat auch<br />

das geklappt. Die abgefahrenste Reparatur war<br />

bei der Umrundung der Südinsel Neuseelands<br />

der geplatzte Reifen des Hinterrades. Wir<br />

hatten keinen Ersatz dabei und es gibt dort<br />

keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wir<br />

mussten uns also als Anhalter versuchen. Ein<br />

reizendes australisches Pärchen mit einem<br />

VW-Bus hat uns dann 80 Kilometer bis zum<br />

nächsten Ort mitgenommen.<br />

Würdet ihr jemandem euren einzigen<br />

Ersatzschlauch geben?<br />

Ja, wir haben schon mehrfach mit einem<br />

Schlauch ausgeholfen. Uns wurde aber auch<br />

schon geholfen. Einmal haben wir den Mantel<br />

nicht von der Felge runterbekommen. In<br />

einem Bauhof haben tatkräftige Männer<br />

dankenswerterweise das Problem gelöst.<br />

© GUIDO WIRTZ<br />

43


Liv Embolden<br />

Trail MTB<br />

WORAUF WIR<br />

ABFAHREN<br />

SVENJA — LIV EMBOLDEN<br />

© MARIO JANUSCH<br />

Wer bist du und was machst du bei<br />

<strong>Bikester</strong>?<br />

Ich bin Svenja, seit fünf Jahren in der Firma<br />

und verantworte das People Relations<br />

Department. Ich bin so was wie der<br />

Tourguide. Mein Team kümmert sich um<br />

ein stimmiges Erlebnis von der Einarbeitung<br />

über die reibungslose Organisation bis hin zu<br />

Techniktipps und konstruktivem Feedback.<br />

Und auch wenn die Sonne mal nicht scheint,<br />

finden wir Lösungen. Outdoorsport war<br />

schon immer ein Ausgleich für mich, ich<br />

komme allerdings vom Leistungsschwimmen.<br />

Meine Leidenschaft fürs Velo habe ich so erst<br />

bei <strong>Bikester</strong> entdeckt. Die meisten Kilometer<br />

lege ich auf meinem Gravelbike zurück,<br />

habe aber auch Gefallen am technischeren<br />

Mountainbiken gefunden.<br />

Welches Velo fährst du und warum?<br />

Als ich ins Mountainbiken eingestiegen bin,<br />

war das Liv Embolden die perfekte Wahl.<br />

Ich wollte ein robustes und tourentaugliches<br />

Trailbike. Ich liebe längere Touren und fahre<br />

es auch mit Spass lange Passagen bergauf.<br />

Vor allem aber wollte ich meine Technik<br />

in technisch anspruchsvollen oder steilen<br />

Abfahrten ausbauen. Und da ich nicht wusste,<br />

ob ich bei dieser Disziplin bleiben würde, war<br />

mir auch das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht<br />

unwichtig. Auf dem Embolden fühle ich mich<br />

sicher und kann meine Grenzen verschieben.<br />

Mit 120 Millimetern Federweg liegt es stabil<br />

auf jedem Trail und hat mir so manchen Fehler<br />

verziehen. Seitdem ich ein paar Teile optimiert<br />

habe, fahre ich es mit noch mehr Freude!<br />

BIKESTER


ABUS QUIN SYSTEM<br />

CRASH<br />

DETECTION<br />

Das ABUS QUIN System ist die smarte Crash-Erkennung<br />

für ABUS Helme. Egal ob Road oder Offroad, der QUIN Chip<br />

erkennt zuverlässig deinen Crash. Im Ernstfall werden<br />

deine Notfallkontakte sofort über deinen Standort informiert.<br />

abus.com/QUIN<br />

45


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Text: Nathalie Schneitter, Fotos: Balz Weber<br />

FRÜHLINGSERWACHEN<br />

MOUNTAINBIKE-PROFIS MACHEN KEINE PAUSEN<br />

Die Schweizerin Nathalie Schneitter kennt das Business bestens. Elf Jahre<br />

war sie als Profi im Cross-Country-Weltcup unterwegs, bis sie den Job an den<br />

Nagel hängte und wieder Bikerin aus Leidenschaft wurde. Warum? Weil sie<br />

mehr erleben und die Zeit auf dem Zweirad wieder mehr geniessen wollte. Ein<br />

Essay einer Frau, die weiss, dass Velofahren glücklich macht.<br />

BIKESTER


47


Profisport ist vor allem eine Sache<br />

fanatischer Planung. Im Herbst wird die<br />

Saison strukturiert und schon herrscht<br />

Gewissheit, was in jeder einzelnen Woche<br />

des nächsten Jahres ansteht. Wochenenden<br />

zu Hause sind seltene Highlights und Nächte<br />

in Hotelzimmern fast so normal wie das<br />

Zähneputzen vor dem Zubettgehen. Genauso<br />

wichtig wie das Schmieden der Pläne ist es<br />

aber, flexibel zu bleiben. Denn Pläne sollen<br />

zu erfüllten Zielen führen. Ändert sich<br />

die Ausgangslage oder gar das Ziel, muss<br />

auch der Plan angepasst werden. Bestes<br />

Beispiel dafür sind jegliche Coronabedingten<br />

Unsicherheiten. Wahrscheinlich werden<br />

mehr Zukunftspläne auf den Kopf<br />

gestellt als umgesetzt. Als Athletin weiss<br />

ich, dass bei Krankheiten, Verletzungen<br />

und vielen anderen Stolpersteinen eine<br />

Kursanpassung der einzige Weg vorwärts<br />

ist. Ein gutes Körpergefühl und eine offene<br />

Kommunikation sind dabei entscheidend.<br />

Weder Coach noch Teamchef können besser<br />

beurteilen, was es zum Erfolg braucht. Ich<br />

bin und bleibe die beste Expertin der eigenen<br />

Leistungsfähigkeit.<br />

BIKESTER


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WAHRSCHEINLICH WERDEN MEHR<br />

ZUKUNFTSPLÄNE AUF DEN KOPF<br />

GESTELLT ALS UMGESETZT.<br />

Um im Sport vorwärtszukommen, braucht<br />

es Ziele, die herausfordern und motivieren.<br />

Zudem müssen sie auf einer persönlichen<br />

Ebene so wichtig sein, dass sich der<br />

eigene Mikrokosmos darum drehen kann.<br />

Immerhin gilt es, tagtäglich Schweiss<br />

und Willen aufzubringen und gleichzeitig<br />

den Spass nicht zu verlieren – ein Spagat<br />

sondergleichen! Verliert man das Interesse<br />

an den eigenen Zielen, ist das ein guter<br />

Indikator, dass diese entweder zu klein<br />

oder zu gross gesteckt wurden, Teilziele<br />

auf dem Weg fehlen oder sie einem nicht<br />

wichtig genug sind. Eine Kursanpassung ist<br />

vonnöten, wenn man trotz klar gesteckter<br />

Ziele orientierungslos zurückbleibt. Auch<br />

nach der Profikarriere wird sich so manche*r<br />

Athlet*in dabei ertappen, das Leben dauernd<br />

mit neuen Plänen vollzupacken. Man hat es<br />

ja nie anders gelernt.<br />

49


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Da genau in den Wintermonaten die Basis<br />

für die bevorstehende Saison gelegt wird,<br />

ist Winterzauber für die meisten Profis ein<br />

Fremdwort. Die Winterflucht bedeutet<br />

einerseits unendliche sonnige Stunden im<br />

Rennvelosattel, andererseits aber auch viel<br />

Monotonie. Die Erkenntnis, dass man im<br />

Winter das Rennvelo auch mal ein paar<br />

Wochen im Keller stehen lassen kann, sich<br />

polysportiv durchschlägt oder aus purer<br />

Freude mit dem Mountainbike im Matsch<br />

spielen geht, ist neu. Neu ist auch, dass man<br />

einfach nach Hause geht, wenn man kalte<br />

Füsse kriegt, oder es ab und zu okay ist, einen<br />

Sonntag auf dem Sofa zu verbringen. Nur wer<br />

das eine kennt, kann das andere schätzen.<br />

Wenn im Frühjahr die Tage länger werden, die<br />

Vöglein im Wald zwitschern und die Sonne<br />

die Herzen wärmt, dann ist die Vorfreude<br />

auf die Bike-Saison am grössten. Diese<br />

Frühlingsfreude ist für viele Ex-Profis neu.<br />

Das Frühjahr bedeutete früher, ausgebrannt<br />

zu sein vom vielen Grundlagentraining und<br />

innerlich zwiegespalten zu sein zwischen<br />

Erleichterung und Angst, dass die Rennsaison<br />

losgeht. Hat man die Profikarriere an den<br />

Nagel gehängt, gewinnt so manche*r die<br />

Liebe zum Velofahren zurück. Nichts macht<br />

glücklicher, als mit dem Mountainbike über<br />

Trails zu heizen oder mit dem Gravelbike<br />

stundenlang durch die Wälder zu cruisen.<br />

Deshalb ist Endura auch genau der richtige<br />

Partner für mich. Sie ermöglichen mir mit Stil<br />

und ökologisch ruhigem Gewissen unterwegs<br />

zu sein, sowohl in Lycra als auch in Baggys.<br />

Im Frühling wieder in Schwung zu kommen<br />

ist aber natürlich plötzlich etwas zäher. Die<br />

eigenen Erwartungen herunterzuschrauben<br />

und Geduld mit sich selber zu haben,<br />

ist das Einzige, was hilft. Konzentriert<br />

man sich bei den ersten Ausfahrten nicht<br />

darauf, wie fit man ist, sondern wie gut<br />

einem die Bewegung und die Natur tun,<br />

dann bedeutet das Frühlingserwachen nur<br />

Glücksgefühle. Der Fitnessgewinn wird dann<br />

zur Begleiterscheinung.<br />

VELOFAHREN MACHT<br />

GLÜCKLICH, DAS IST<br />

EIN FAKT.<br />

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51


VOM SALTO ZUR<br />

FEIERABENDRUNDE<br />

Text & Fotos: Martin Ohliger<br />

WIE DER DEUTSCHE BMX FREESTYLE MEISTER ANDERE VELOS LIEBEN LERNTE<br />

BIKESTER


Jetzt gilt es. Die Preisrichter waren gnadenlos und haben einen kleinen Fehler im<br />

ersten Lauf brutal abgestraft. Wenn Daniel Tünte noch Deutscher Meister werden<br />

möchte, muss er im zweiten (und letzten) Lauf fehlerlos bleiben. 60 Sekunden lang<br />

fliegt er über den Parcours, ohne dass man ihm den Druck anmerken würde. Mal hängt<br />

er dabei kopfüber in der Luft, mal dreht er das Bike mehrfach unter seinem Körper. Am<br />

Ende passt tatsächlich alles und Daniel wird der erste offizielle Deutsche Meister im<br />

BMX Freestyle. Eineinhalb Jahre später rollt der gleiche Sportler auf einem Gravelbike<br />

gemütlich in den Sonnenuntergang. Statt Schonern trägt er Lycra und die Tour dauert<br />

deutlich länger als nur eine Minute. Wie kam es denn dazu?<br />

BMX sieht aus wie ein Sport für Adrenalinjunkies, die Spass am Hinfallen haben.<br />

Stimmt das?<br />

Wenn du die spektakulärsten Tricks lernen möchtest, musstt du schon ein bisschen verrückt<br />

sein. Aber Hinfallen gehört halt dazu. Das passiert einfach und du trägst ja auch Schutzkleidung<br />

und lernst, wie du hinfallen kannst.<br />

Wie sah denn dein Training im Lauf deiner Karriere aus?<br />

Vereinsstrukturen gab es im BMX lange nicht. Besser zu werden hat immer nur bedeutet,<br />

den nächsten Trick zu lernen oder am Anfang überhaupt erst mal über verschiedene Rampen<br />

springen zu können. Zehn Jahre meiner professionellen Karriere lief das so und dann wurde<br />

BMX Freestyle olympische Disziplin. Dadurch haben sich auch Vereinsstrukturen entwickelt,<br />

es wurde ein Bundeskader aufgestellt und da war ich von Anfang an dabei.<br />

Und dann bist du Deutscher Meister geworden?<br />

Ja, im März 2019. Das war die erste Deutsche Meisterschaft mit den Regeln des<br />

Weltradsportverbands und es hat mich natürlich sehr gefreut, dass ich da gewinnen konnte und<br />

jetzt immer noch amtierender Deutscher Meister bin. Aber im Endeffekt war das auch nur ein<br />

Contest, bei dem ich ganz oben auf dem Treppchen stehen konnte.<br />

Als du da gewonnen hast, hast du schon recht viel trainiert?<br />

Bevor ich im Bundeskader war, bin ich einfach nur BMX fahren gegangen, wann ich wollte.<br />

Wenn ich eine Woche keine Lust hatte, habe ich das einfach gelassen. Ausgleichssport habe<br />

ich auch keinen gemacht. Aber als das dann mit dem Kader anfing, ging es auch darum, sich<br />

ausserhalb vom BMX fahren fit zu halten, um auf dem Bike besser zu werden. Dann gab es drei<br />

Mal die Woche Krafttraining mit Gewichten und zwei Mal pro Woche Ausdauertraining auf<br />

dem Ergometer. Dazu bin ich natürlich auch noch BMX gefahren. Das war schon etwas ganz<br />

anderes als vorher und hat auch ein bisschen den Spass genommen. Ich habe 2019 das ganze Jahr<br />

eigentlich jeden einzelnen Tag trainiert.<br />

53


Hat sich durch das Training und den<br />

Bundeskader deine Einstellung zu<br />

Wettbewerben verändert?<br />

Überhaupt nicht. Ich wollte schon immer gut<br />

fahren und die beste Platzierung rausholen,<br />

die ich schaffen kann. Wettbewerbe haben für<br />

mich einfach immer zu BMX gehört. Es geht<br />

mir auch immer eher darum, den Leuten, die<br />

ich kenne, zu zeigen, was ich kann, egal ob<br />

da noch hundert oder tausend andere Leute<br />

zugucken.<br />

Im Zusammenhang mit dem<br />

Bundeskader hattest du dann aber<br />

deine ersten Erfahrungen mit einem<br />

Rennvelo gemacht, oder?<br />

Ja, genau. Ich bin Ende 2017 mit dem BDR<br />

ins Rennrad-Trainingslager nach Spanien<br />

geflogen. Da bin ich dann zehn Tage lang<br />

jeden Tag Rennvelo gefahren – obwohl ich<br />

vorher noch nie auf einem gesessen hatte.<br />

Das war schon anstrengend, drei Stunden<br />

durch die Berge zu fahren, wenn mal nicht<br />

die Sonne schien und es geregnet hat. Zum<br />

Glück war das ein Grundlagenausdauer-<br />

Camp, die anderen sind also nicht so schnell<br />

gefahren und ich konnte mithalten. Ich<br />

fand das schon cool, aber ich habe danach<br />

trotzdem mein gesamtes Ausdauertraining<br />

auf dem Ergometer gemacht. Ich habe mich<br />

einfach nie dazu entscheiden können, ein<br />

Rennvelo zu kaufen, weil es schon eine nicht<br />

zu verachtende Investition ist. Im Lockdown<br />

war es dann aber so weit.<br />

Warum ausgerechnet dann?<br />

Viele Freunde von mir hier in Berlin haben<br />

Rennvelos oder Gravelbikes und als das mit<br />

dem Lockdown anfing, fielen BMX und auch<br />

fast alle anderen Sportarten plötzlich weg. Da<br />

fing das an, dass plötzlich alle ihre Rennvelos<br />

wieder rausgeholt haben, weil auch das Wetter<br />

besser wurde. Das war wirklich die perfekte<br />

Zeit und dann habe ich endlich zugeschlagen.<br />

Würdest du das Training nennen, was<br />

du mit deinem Gravelbike machst?<br />

Nein, auf keinen Fall. Ich bin einfach nur<br />

irgendwelche Touren gefahren, hauptsächlich<br />

auf der Strasse, um irgendwie ein bisschen<br />

Sport zu machen. Dabei kann man sich<br />

ja auch entspannt unterhalten, wenn man<br />

nicht zu viel Gas gibt. Graveltouren machen<br />

mir am meisten Spass, auch gerne mal über<br />

mehrere Tage. Vielleicht mache ich das<br />

irgendwann auch mal mit Zelt, da habe ich<br />

echt Lust drauf. Wir haben im <strong>Sommer</strong> eine<br />

Tour in der Sächsischen Schweiz gemacht<br />

und das ist genau das, was ich weiter am<br />

liebsten machen würde. Ich benutze das<br />

Gravelbike aber auch jeden Tag, um damit in<br />

der Stadt unterwegs zu sein.<br />

BIKESTER


Also das Gravelbike ist für dich kein<br />

Sportgerät?<br />

Nicht nur. Es gab auch ein paar Runden, wo<br />

wir ambitioniert gefahren sind und einen<br />

Schnitt über 30 Kilometer pro Stunde fahren<br />

wollten, das wurde dann schon ein bisschen<br />

sportlich.<br />

Hast du denn Ambitionen, damit ein<br />

Rennen zu fahren?<br />

Auf keinen Fall, wieso das denn? Beim BMX<br />

hast du im besten Fall Talent und versuchst<br />

einfach die Tricks, bis sie klappen. Das macht<br />

auch richtig Spass. Training auf dem Rennvelo<br />

mit Intervallen und so macht mir aber gar<br />

keinen Spass. Touren fahren ist super, aber<br />

das Training, das ich machen müsste, um<br />

besser und wirklich schnell zu werden, ist<br />

überhaupt nichts für mich.<br />

Was hat das Gravelbike denn für dich<br />

verändert?<br />

Ich habe Berlin und das, was drumherum<br />

ist, auf eine ganz andere Art kennengelernt.<br />

Ich wäre ohne das Bike niemals in die<br />

Sächsische Schweiz gekommen und das war<br />

eine super Erfahrung, da die kleinen Wege<br />

entlangzufahren und die schöne Landschaft<br />

zu geniessen.<br />

Ist das Gravelbike dann einfach nur ein<br />

grösseres BMX-Rad?<br />

Beim BMX steht die Gemeinschaft im<br />

Vordergrund, und es macht eigentlich<br />

alles Spass, was ich damit mache. Das<br />

Gravelbike ist halt eine Mischung aus<br />

Sport und Gemeinschaft. Das wird bei mir<br />

wahrscheinlich auch irgendwann das BMX<br />

ablösen. Irgendwann spielt der Körper<br />

beim BMX nicht mehr mit, aber auf dem<br />

Gravelbike kann ich dann immer noch sitzen.<br />

55


Text: Martin Ohliger, Fotos: Tom Schlegel<br />

VON STUTTGART<br />

ZUM STELVIO<br />

VOM VOTEC-HAUPTQUARTIER INS HERZ DER ALPEN<br />

BIKESTER


Der Stelvio ist kein Berg, er ist ein Mythos. Oft genug ist er der höchste Punkt des<br />

Giro d’Italia, der dreiwöchigen Italienrundfahrt, und in dieser Funktion sind an ihm<br />

zahlreiche Helden geboren (und gestürzt) worden. Mit den zahlreichen Legenden, die<br />

sich um ihn ranken, ist er natürlich auch ein Wallfahrtsort für alle Rennvelofahrer*innen<br />

– der ultimative Härtetest auf 2.757 Metern über dem Meeresspiegel.<br />

4 FAHRER*INNEN<br />

Auch im Votec-Hauptquartier schaute man<br />

oft sehnsüchtig Richtung Süden. Wäre es<br />

wohl möglich, nonstop von Stuttgart auf<br />

den Stelvio zu fahren? Der Launch des<br />

neuen Votec VRC, eines Allroad-Bikes<br />

mit Langstreckenpotenzial, lieferte den<br />

heiss ersehnten Anlass, um eine motivierte<br />

Truppe zusammenzustellen und einfach mal<br />

loszufahren. Angesichts der Mitreisenden<br />

war schon vor dem Start recht klar, dass selbst<br />

390 Kilometer mit 7.260 Höhenmetern kein<br />

allzu grosses Problem darstellen würden. Im<br />

Vorfeld bezeichnete Marion Touren dieser<br />

Grössenordnung als «Pillepalle», was sicher<br />

keine Angeberei war. Sie hatte wie Maren<br />

und Raphael bereits zahlreiche, teilweise<br />

deutlich längere Langstreckentouren dieser<br />

Art hinter sich gebracht. Sie alle gingen mit<br />

der ruhigen Gewissheit, mit sehr grosser<br />

Wahrscheinlichkeit irgendwie anzukommen,<br />

an den Start. Anders sah das bei Lukas<br />

aus. Der hat sich zwar die Fitness seiner<br />

Profikarriere auf dem Rennvelo bewahrt,<br />

konnte aber nicht auf eigene Erfahrungen<br />

bei ähnlichen Touren zurückgreifen: «Ich<br />

dachte ja eigentlich immer, dass ich viel<br />

Fahrrad fahre, aber als ich die Geschichten<br />

vom Rest der Gruppe gehört habe, hatte ich<br />

schon Panik. Ich bin völlig unerfahren in<br />

diesem Ultrabereich und der Rest der Truppe<br />

macht dauernd so was.» Die Route sah vor,<br />

von Stuttgart aus über die Schwäbische Alb<br />

den Bodensee anzusteuern, in der Schweiz<br />

den Flüela sowie den Ofenpass mitzunehmen<br />

und über den Umbrailpass auf dem Stelvio<br />

anzukommen. Im Höhenprofil sehen die<br />

ersten 250 Kilometer seltsam flach aus. Das<br />

sind sie natürlich nicht, aber im Vergleich<br />

mit den Bergriesen im späteren Verlauf<br />

wird selbst der Anstieg auf die Schwäbische<br />

Alb zu einem kaum sichtbaren Hügel<br />

degradiert. Erst ab dem Bodensee würde es<br />

also richtig zur Sache gehen. Um möglichst<br />

viel Tageslicht mitnehmen zu können, war<br />

der Start auf Mitternacht gelegt worden.<br />

Geplant war, im Sonnenuntergang auf dem<br />

Stelvio zu stehen, was ambitioniert, aber<br />

nicht völlig unmöglich war.<br />

389 KM<br />

7.260 HM<br />

17:00 H<br />

BEWEGUNGSZEIT<br />

FLÜELA-, OFEN-,<br />

UMBRAILPASS<br />

57


«DER ERSTE BERG GING NACH 250 KILOMETERN LOS, ES<br />

WAREN 30 GRAD IM SCHATTEN UND DA LAGEN NOCH 5.500<br />

HÖHENMETER VOR UNS.»<br />

- Raphael<br />

Die Gruppe kannte sich vorher nur teilweise<br />

und ein bisschen Spannung lag schon in<br />

der Luft, als es dann tatsächlich losging.<br />

Aber schon nach kurzer Zeit hatten sich<br />

alle aufeinander eingestimmt und rollten<br />

zügig Richtung Berge. Solange die Beine<br />

noch frisch waren, lief es auch rund. Der<br />

Sonnenaufgang tat sein Übriges, besonders<br />

für Maren: «Auf der Schwäbischen Alb wurde<br />

es langsam hell und ganz hinten am Horizont<br />

habe ich das Alpenpanorama gesehen und<br />

wusste, dass wir da noch durchfahren. Das<br />

war schon ein cooles Gefühl, das liess sich<br />

ein bisschen mit meiner ersten Tour zur<br />

Ostsee vergleichen, einem meiner ersten<br />

Aha-Erlebnisse auf dem Fahrrad.»<br />

BIKESTER


So langsam näherten sich aber auch die<br />

Berge – für den Grossteil der Gruppe völlig<br />

unbekannte Grössen. Nur Raphael hatte<br />

schon Erfahrungen mit längeren Anstiegen,<br />

erreichte aber trotzdem direkt am ersten<br />

Berg seinen absoluten Tiefpunkt: «Als das<br />

flache Stück vorbei war, waren wir schon<br />

gut kaputt. Der erste Berg ging nach 250<br />

Kilometern los, es waren 30 Grad im Schatten<br />

und da lagen noch 5.500 Höhenmeter vor<br />

uns.» Selbst ohne bereits zehn Stunden<br />

im Sattel gesessen zu haben, wäre das eine<br />

Monstertour gewesen. Für Lukas fing<br />

hier allerdings der vergnügliche Teil an.<br />

Als Sportwissenschaftler hatte er seine<br />

Ernährung minutiös durchgeplant und bis<br />

zum Bodensee schon zwölf Energiegels intus.<br />

Das trug augenscheinlich Früchte: «Es tat<br />

mir auch leid, dass ich dann angefangen habe,<br />

die Leute zuzuquatschen, weil ich einfach<br />

plötzlich so Bock hatte. Mir ging es viel zu<br />

gut dafür, dass ich schon fast 300 Kilometer<br />

in den Beinen hatte.» So zerschellte schon<br />

am ersten Berg, dem Flüelapass, der Plan, im<br />

Sonnenuntergang den Gipfel des Stelvios zu<br />

erreichen. Die Abfahrt hatte sich verzögert,<br />

alle fuhren bergauf ihr eigenes Tempo und<br />

in der Gruppe brauchen Pausen einfach<br />

länger als bei Solofahrten. Ein Problem<br />

war das keinesfalls, das Motto der Tour war<br />

schliesslich «Erlebnis vor Ergebnis». Und so<br />

startete der Aufstieg auf den Stelvio mit den<br />

letzten Sonnenstrahlen. Raphael liess sich<br />

zu Beginn von Lukas noch mit Anekdoten<br />

aus der Radsportgeschichte unterhalten,<br />

bevor er ihn ziehen lassen musste. Marion<br />

und Maren hingegen hatten ihren Vorrat an<br />

Optimismus weitestgehend aufgebraucht.<br />

Insbesondere Maren haderte mit den im<br />

Vergleich zu ihrem normalen Trainingsrevier<br />

im flachen Brandenburg ungewohnten<br />

Höhenmetern: «Um Gottes Willen, wieso<br />

machst du die Scheisse? Wieso machst du<br />

nicht Yoga wie deine Freundinnen?» Und<br />

dann drohte da noch das Begleitfahrzeug, ein<br />

immerwährendes Angebot zur Aufgabe. Das<br />

hatte den ganzen Tag mit Erfrischungen<br />

die Moral hochgehalten, wurde aber<br />

während des Anstiegs in der Dunkelheit<br />

für alle zur mentalen Belastungsprobe.<br />

Das Angebot nahm letzten Endes niemand<br />

an und so stand die Gruppe nach gut 20<br />

Stunden in völliger Dunkelheit auf dem<br />

Gipfel eines der berühmtesten Berge der<br />

Velowelt. Pures Gänsehautfeeling!<br />

Die Zahlen sehen überwältigend aus,<br />

aber Touren dieser Art sind keinesfalls<br />

nur wenigen Ausnahmeathlet*innen<br />

vorbehalten. Natürlich solltest du ein wenig<br />

Grundlagenfitness mitbringen, aber du<br />

brauchst weder jahrzehntelanges Training<br />

noch ein Begleitfahrzeug. Am Ende<br />

entscheidet bei solchen Strecken sowieso<br />

der Kopf, ob und wie du ankommst. Die<br />

dafür benötigte Einstellung fasst Maren<br />

gut zusammen: «Für so was muss man<br />

schon ein bisschen bekloppt sein.» Wärst<br />

du bekloppt genug?<br />

59


Cannondale Topstone<br />

Gravelbike<br />

WORAUF WIR<br />

ABFAHREN<br />

MADELEINE — CANNONDALE TOPSTONE<br />

© MADELEINE BACZ<br />

Wer bist du und was machst du bei<br />

<strong>Bikester</strong>?<br />

Welches Velo fährst du und warum?<br />

Mein Name ist Madeleine und ich bin 28<br />

Jahre alt. Da das Radfahren schon lange<br />

meine Leidenschaft war, habe ich mir eine<br />

emotionale Verbindung zwischen meinem<br />

Beruf und Hobby gewünscht. Als Customer<br />

Relationship Manager verfolge ich das Ziel,<br />

die Zufriedenheit unserer Kunden zu steigern.<br />

Dadurch ist meine Arbeit sehr vielfältig und<br />

abwechslungsreich. Zum Beispiel führe ich<br />

Umfragen durch, um aus den Ergebnissen<br />

Optimierungsansätze abzuleiten und diese<br />

dann auch umzusetzen. Wenn unsere Kunden<br />

glücklich sind, dann bin auch ich glücklich!<br />

Tatsächlich war die erste Begegnung mit dem<br />

Topstone von Cannondale Liebe auf den<br />

ersten Blick. Eine Arbeitskollegin hat sich das<br />

gleiche Modell gekauft und ich fand es vom<br />

ersten Moment an einfach nur wunderschön!<br />

Da ich mir sowieso ein Gravelbike anschaffen<br />

wollte, habe ich es innerhalb kürzester Zeit<br />

bestellt. Normalerweise zögere ich immer<br />

etwas, bis ich mir ein neues Velo kaufe, aber<br />

das Topstone hat alle Kriterien hinsichtlich<br />

Farbe und Optik erfüllt. Ich bin letztes Jahr<br />

knapp 7.000 Kilometer damit gefahren und<br />

immer noch sehr glücklich damit.<br />

Es ermöglicht mir sehr viel: Asphalt, Schotter,<br />

Wald- und Feldwege, flowige Trails und auch<br />

matschige Passagen sind kein Problem damit.<br />

Des Weiteren habe ich das Bikepacking<br />

für mich entdeckt und bin letztes Jahr<br />

drei Wochen mit meinem Topstone durch<br />

Deutschland gefahren.<br />

BIKESTER


KENNST DU<br />

DAS PIKSEN?<br />

Wir haben was dagegen:<br />

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61


IN DIE FREIHEIT FAHREN …<br />

WIE DAS VELO DABEI GEHOLFEN HAT, DIE WELT FÜR FRAUEN BESSER ZU MACHEN<br />

An den Vorteilen des Velos gibt es nichts zu rütteln. Die meisten von uns schätzen seine<br />

positiven Effekte auf Gesundheit und Umwelt sehr. Aber nicht allen ist bekannt,<br />

dass das Velo auch gesellschaftliche Verbesserungen angestossen oder<br />

befördert hat – insbesondere für Frauen.<br />

Text: Joanna Mackiewicz, Illustrationen: Carolin Stiefel<br />

BIKESTER.CH


Im 19. Jahrhundert fand allerdings auch der<br />

allererste Velo-Boom statt. Das Velo gab<br />

es zwar schon etwas länger. Aber erst die<br />

Erfindung des sogenannten «Sicherheitsvelos»<br />

mit Diamantrahmen, Kettenantrieb und<br />

gleich grossen Rädern vorne und hinten<br />

sorgte für seinen Durchbruch. Es war nicht<br />

nur einfacher zu fahren als die wackligen<br />

Hochräder, sondern durch verbesserte<br />

Produktionsmethoden auch billiger als ein<br />

Pferd.<br />

Das Aufkommen dieser Art von Velo fiel mit<br />

der ersten Welle des Feminismus zusammen<br />

und verursachte etwas, das Konservative<br />

damals als «den Beginn des Verfalls jeder<br />

Moral» bezeichneten. Frauen hatten plötzlich<br />

die Möglichkeit, sich weiter als jemals zuvor<br />

vom eigenen Zuhause zu entfernen. Velos<br />

sorgten so für eine grössere Sichtbarkeit<br />

von Frauen in einer Umgebung, wo sie<br />

bisher praktisch keine Rolle gespielt hatten:<br />

ausserhalb der eigenen vier Wände.<br />

Dadurch geriet auch die Mode in Bewegung<br />

und die Ära der Reformkleidung begann.<br />

Sie zeichnete sich durch die Abschaffung<br />

unnötig komplizierter und einengender<br />

Kleidungsstücke aus. Lange Kleider, Korsette<br />

und Reifröcke waren einfach nicht zum<br />

Velofahren gedacht. Die flatternden Stoffe<br />

verhedderten sich in Kette oder Speichen und<br />

verursachten Stürze – also weg damit! Velo<br />

fahren verlangte nach kürzeren und leichteren<br />

Röcken und die mutigsten Frauen trugen<br />

sogar Bloomers (weite Hosen, die an den<br />

Knöcheln mit einem Bund zusammengefasst<br />

sind), die Männerhosen schon sehr ähnlich<br />

sahen.<br />

Um das zu verstehen,<br />

müssen wir eine Zeitreise<br />

ins Grossbritannien des<br />

19. Jahrhunderts unternehmen. Im<br />

ausgehenden Viktorianischen Zeitalter<br />

herrschte eine strikte Aufteilung der<br />

Gesellschaft nach Geschlechtern. Falls es<br />

die finanziellen Möglichkeiten einer Familie<br />

erlaubten, waren Frauen von bezahlter<br />

Arbeit ausgeschlossen. Stattdessen war<br />

es ihre Aufgabe, sich um den Haushalt zu<br />

kümmern – und es wurde von ihnen erwartet,<br />

zu Hause zu bleiben. Männern hingegen<br />

wurden naturgegebene Eigenschaften<br />

zugeschrieben, die sie für ein aktives Leben in<br />

der Öffentlichkeit bestimmten.<br />

Das war zu viel für die traditionelle<br />

viktorianische Gesellschaft. Die<br />

aufgebauschten Kleidungsstücke dieser<br />

Epoche wurden deswegen getragen, weil<br />

es als nicht schicklich galt, Körperteile<br />

zu zeigen. Man kann es heutzutage kaum<br />

verstehen, aber es gab wenig Dinge, die die<br />

Öffentlichkeit damals so in Rage versetzten<br />

wie ein aufblitzender Knöchel. Frauen wurden<br />

deswegen nicht nur beschimpft, wenn sie Velo<br />

fuhren – manchmal flogen sogar Steine!<br />

Besonders findige Skeptiker hielten Frauen<br />

auf ganz besondere Art vom Velofahren<br />

ab: durch das Erfinden von Krankheiten<br />

wie dem «Velogesicht». Das angestrengte<br />

63


Gesicht während des Fahrens sollte angeblich<br />

zu Nervenschäden, Kopfschmerzen und<br />

Demenz führen. Diese Atmosphäre nutzten<br />

gewiefte Geschäftsleute auf ihre ganz<br />

spezielle Art aus: Sie boten geführte Touren<br />

mit Anstandsdamen an. Für diesen Beruf<br />

konnte man sich nur qualifizieren, wenn<br />

man verheiratet, verwitwet oder eine «alte<br />

Jungfer» über 30 war. Zusätzlich brauchte eine<br />

Anstandsdame noch Empfehlungsschreiben<br />

von zwei Frauen in «angesehener<br />

gesellschaftlicher Position» und von einem<br />

Geistlichen.<br />

Trotz all dieser Hürden traten Frauen einfach<br />

weiter in die Pedale. Sie waren nicht mehr<br />

auf Männer angewiesen, um das Haus zu<br />

verlassen, und hatten dadurch viel mehr<br />

Möglichkeiten, Lohnarbeit nachzugehen<br />

oder andere Menschen kennenzulernen.<br />

Ausserdem konnten sie so deutlich effektiver<br />

für ihre Rechte kämpfen. Im frühen 20.<br />

Jahrhundert gewannen die Suffragetten, die<br />

für das Frauenwahlrecht kämpften, immer<br />

mehr an Bedeutung. Ein Teil ihres Erfolgs<br />

beruhte auf dem Einsatz von Velos, die ein<br />

wesentlicher Teil aller ihrer Aktionen waren.<br />

Einer dieser Proteste hielt sogar Winston<br />

Churchill mit einer aus Velos gebauten<br />

Barrikade davon ab, London zu verlassen!<br />

Auch heute ist die Verbindung zwischen<br />

dem Velo und einem besseren Leben für<br />

Frauen immer noch stark. Zum Beispiel beim<br />

Fancy Women Bike Ride in der Türkei, bei<br />

dem eine Menge schick angezogene Frauen<br />

auf Velos durch die Stadt fahren und so die<br />

Sichtbarkeit von Frauen im urbanen Raum<br />

erhöhen. Oder die #BIKEYGEES, die in<br />

Berlin geflüchteten Frauen Velofahren und<br />

Reparaturen beibringen. In Afghanistan sind<br />

Velo fahrende Frauen noch ein Statement für<br />

Gleichberechtigung, weil sie sich damit<br />

gegen die von Männern dominierte<br />

Gesellschaft auflehnen.<br />

1896 hat Susan B. Anthony<br />

festgestellt, dass das Velo «mehr<br />

für die Emanzipation der Frau<br />

getan hat als irgendetwas anderes<br />

auf der Welt». Wie wir sehen, ist<br />

damit noch lange nicht Schluss!<br />

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Geschäftsführer/Verantwortliche<br />

für Herausgabe und Inhalt:<br />

Dr. Hans Dohrmann (CEO), Thomas Spengler (CCO)<br />

Druckerei:<br />

Vogel Druck und Medienservice GmbH<br />

Leibnizstrasse 5, D-97204 Höchberg<br />

Urheberrecht:<br />

Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck oder<br />

Vervielfältigung auf Papier und elektronischen Datenträgern sowie<br />

Einspeisung in Datennetze nur mit schriftlicher Genehmigung der<br />

Internetstores GmbH.<br />

Redaktioneller Stand: 25. März <strong>2021</strong><br />

IMP<br />

RES<br />

SUM.<br />

Anzeigen:<br />

Philipp Seyb<br />

Redaktion:<br />

Bastian Steinecker, Frank Maier, Martin Ohliger<br />

Grafik:<br />

Christian Wenglorz, Jonas Christoph<br />

Mitarbeit an dieser Ausgabe:<br />

Ben Lubin, Bramm Clitherow, Joanna Mackiewicz, Martina Domnick,<br />

Oscar Hentmark<br />

Unsere Druckerei und das Papier des <strong>Bikester</strong>-<strong>Magazin</strong>s<br />

sind FSC-zertifiziert.<br />

BIKESTER


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D<br />

Aktiviere<br />

Körper und<br />

Geist zum<br />

Sonnenaufgang.<br />

#SunriseMind

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