Die Neue Hochschule Heft 2-2021
Zeitschrift des hlb Hochschullehrerbund e.V. - Themenschwerpunkt: Forschung über die eigene Lehre: Scholarship of Teaching and Learning
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24 Forschung über die eigene Lehre: Scholarship of Teaching and Learning<br />
Blinde Flecken der Lehrenden<br />
entdecken und beheben mit<br />
„Decoding the Disciplines“<br />
Lehrende sind Expertinnen und Experten mit selbstverständlich gewordenen, fachspezifischen<br />
Arbeits- und Denkweisen. Oft stellt das Erlernen dieser Fähigkeiten eine besondere<br />
Hürde für Studierende dar. Decoding the Disciplines ist eine Methode, die Expertenwissen<br />
wieder sichtbar und unterrichtbar macht. | Von Prof. Dr. Christine Niebler und Dr. Britta Foltz<br />
Foto: Studioline<br />
Prof. Dr. Christine Niebler<br />
Professorin für Automatisierungstechnik mit<br />
Schwerpunkt Medizintechnik<br />
TH Nürnberg Georg Simon Ohm<br />
Fakultät EFI<br />
Keßlerplatz 12 | 90489 Nürnberg<br />
Christine.Niebler@th-nuernberg.de<br />
Foto: Privat<br />
www.th-nuernberg.de<br />
Dr. Britta Foltz<br />
Lehrkraft für besondere Aufgaben<br />
Fachhochschule Aachen – University of<br />
Applied Sciences<br />
Fachbereich Bauingenieurwesen<br />
Bayernallee 9 | 52066 Aachen<br />
foltz@fh-aachen.de<br />
www.fh-aachen.de/menschen/foltz<br />
Kennen Sie als Lehrende die Situation, dass<br />
Sie Antworten von Studierenden hören<br />
oder lesen und sich fragen „Warum begreifen<br />
die Studierenden dieses Thema/den<br />
Aspekt nicht?! Das habe ich doch so oft<br />
erklärt, mein Bestes gegeben und diverse<br />
didaktische Methoden eingesetzt!“. <strong>Die</strong>s<br />
kann dazu führen, dass Lehrende<br />
wütend und enttäuscht sind über die<br />
Studierenden und/oder sich selbst,<br />
resigniert sind und es hinnehmen,<br />
dass dieses Thema häufig nicht<br />
verstanden wird,<br />
die eigenständige Aneignung der betreffenden<br />
Kompetenz als Initiationsritus<br />
empfinden („Nur so jemand darf zu<br />
meiner Fachdisziplin gehören“).<br />
Doch warum scheitern Studierende<br />
an manchen Themen, mit den immer<br />
gleichen Fehlern und Fehlverständnissen,<br />
und an anderen nicht, obwohl diese<br />
genauso schwer sind? An dieser Stelle<br />
setzt die Methode des „Decoding the<br />
Disciplines“ im Sinne des Scholarship of<br />
Teaching and Learning an. Ihr Ziel ist es,<br />
die eigene Lehre systematisch an Punkten<br />
zu untersuchen und zu verbessern,<br />
die sich als immer wiederkehrende Lernhürden<br />
für Studierende erwiesen haben.<br />
Solche Ausgangspunkte zum Beforschen<br />
und Verbessern der eigenen Lehre werden<br />
als Bottlenecks bezeichnet.<br />
Wie funktioniert Decoding the<br />
Disciplines?<br />
Hochschullehrende sind Expertinnen und<br />
Experten ihres Fachs. Charakteristisch für<br />
Expertentum ist, dass bestimmte Inhalte<br />
und Methoden zu implizitem Wissen und<br />
Können werden. Sie werden von Expertinnen<br />
und Experten unbewusst und völlig<br />
selbstverständlich als Strategie zur Lösung<br />
von Bottlenecks herangezogen und nicht<br />
mehr als erwähnenswert, vielschichtig<br />
oder herausfordernd wahrgenommen.<br />
Decoding hilft dem Lehrenden beim<br />
Analysieren solcher „blinder Flecken“<br />
und Dokumentieren seiner persönlichen<br />
Expertenstrategie. Das geschickte Aufarbeiten<br />
ebendieser Expertenstrategie für die<br />
Lehre hilft den Studierenden beim eigenen<br />
Durchschreiten ihrer Lernhürde, da<br />
die disziplintypischen Denkweisen sichtbar<br />
gemacht werden und nicht mehr nur<br />
unterschwellig durchscheinen.<br />
Dazu führt der Decoding-Prozess (Abbildung<br />
1) Lehrende vom Präzisieren des<br />
Bottlenecks über das Entschlüsseln der<br />
Expertenstrategie, durch die Entwicklung<br />
und Evaluation passender Lehrkonzepte<br />
bis zur Veröffentlichung der resultierenden<br />
Ergebnisse. Ein entscheidender<br />
Schritt in diesem Prozesskreis ist das<br />
Decoding-Interview. Durch geschickte<br />
Fragestellungen unterstützt hierbei ein<br />
Gesprächspartner den Lehrenden, das<br />
Durchschreiten des Bottlenecks in allen<br />
Details wiederzuentdecken und transparent<br />
zu machen. Für eine ausführlichere<br />
Darstellung eines Interviews empfiehlt<br />
sich Riegler 2019. Ein klassisches Beispiel<br />
eines Decoding-Prozesses wird von einem<br />
der Begründer der Methode, David Pace,<br />
berichtet: In einem seiner Geschichtskurse<br />
beobachtete er, dass viele Studierende<br />
an der Erarbeitung eigener Interpretationen<br />
und Argumente für historische Ereignisse<br />
scheiterten. Sie waren durchaus in<br />
02 | <strong>2021</strong> DNH