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06 | ostsicht<br />
* AUS DER DDR KEINE MACHEN<br />
SPASSGESELLSCHAFT<br />
Die Ost-Perspektive: das Politbüromitglied Herbert Häber<br />
Herr Häber, Sie haben im Politbüro <strong>de</strong>r<br />
DDR gearbeitet. Wie war Ihr Verhältnis<br />
zur Ständigen Vertretung <strong>de</strong>r BRD in <strong>de</strong>r<br />
DDR?<br />
Ich war <strong>de</strong>r Meinung, dass dies ein<br />
großer und wichtiger Schritt war. Damit<br />
war eine Phase <strong>de</strong>r Konfrontation zwischen<br />
<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Staaten<br />
been<strong>de</strong>t. Neben allen Streitigkeiten um<br />
die Benennung war die Eröffnung <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Vertretungen ein großes Ereignis.<br />
Kann man sagen, dass die Einrichtung<br />
<strong>de</strong>r StäV <strong>de</strong>r Anfang vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DDR<br />
gewesen ist?<br />
Nein, wissen Sie, 1974, 1975 wur<strong>de</strong><br />
die DDR von vielen Staaten, auch von<br />
vielen westlichen Staaten diplomatisch<br />
anerkannt. Das war ja nicht <strong>de</strong>r Anfang<br />
vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DDR, das war zunächst<br />
die große Bestätigung <strong>de</strong>r Existenz <strong>de</strong>r<br />
DDR als ein selbständiger Staat. Wir<br />
sind ja auch gemeinsam mit <strong>de</strong>r BRD<br />
<strong>de</strong>r UNO beigetreten. Das war zunächst<br />
einmal das En<strong>de</strong> einer schlimmen Phase<br />
<strong>de</strong>s Kalten Krieges. Die Wie<strong>de</strong>rvereinigung<br />
stand überhaupt nicht auf <strong>de</strong>r<br />
Tagesordnung.<br />
Die Westvertretung wur<strong>de</strong> scharf von <strong>de</strong>r<br />
Stasi bewacht. Hatte man Angst, dass<br />
alle Spione sind?<br />
Das kann ich so nicht sagen. Wenn ich<br />
mir die Praxis <strong>de</strong>r USA heute ansehe, die<br />
horchen auch je<strong>de</strong> ausländische Botschaft<br />
in <strong>de</strong>n USA ab. Ich selbst bin in <strong>de</strong>r BRD<br />
von Kommandos <strong>de</strong>s Verfassungsschutz<br />
begleitet wor<strong>de</strong>n. Ich will das nicht<br />
auf die gleiche Stufe stellen, aber<br />
das ist internationale Praxis, dass die<br />
ausländischen Vertretungen beobachtet<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Staatssicherheit hatte allerdings<br />
ein übertriebenes Sicherheitsempfi<br />
n<strong>de</strong>n, das hängt damit zusammen, dass<br />
die Leute, die bei uns zuständig waren<br />
für die Stasi eng mit <strong>de</strong>m sowjetischen<br />
Staatssicherheitsdienst verbun<strong>de</strong>n waren,<br />
und in Moskau hat man immer sorgfältig<br />
darauf geachtet, dass die DDR nicht<br />
NARRENFREIHEIT<br />
FÜR DIE USA<br />
*<br />
Wie war die Einstellung <strong>de</strong>r USA zum<br />
Grundlagenvertrag von 1972 und zur<br />
Einrichtung einer Ständigen Vertretung<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik bei <strong>de</strong>r DDR?<br />
Am Anfang war es in <strong>de</strong>n USA<br />
umstritten, ob die Politik <strong>de</strong>r Annährung<br />
und Entspannung wirklich Erfolg haben<br />
wür<strong>de</strong>. Doch ab Mitte <strong>de</strong>r siebziger Jahre<br />
än<strong>de</strong>rte sich die negative Haltung, ab<br />
jetzt fan<strong>de</strong>n wir die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Annährung<br />
richtig. Wir wollten in Osteuropa bewusst<br />
die Machtmechanismen untergraben, von<br />
innen heraus, wussten aber nicht genau<br />
wie. Die StäV war da schon eine gute<br />
Institution.<br />
Hatten die USA jemals Angst, die<br />
Annährung könnte dazu führen, dass<br />
sich die Bun<strong>de</strong>srepublik <strong>de</strong>m Kommunismus<br />
unterordnet?<br />
Wissen Sie, wir in <strong>de</strong>r Ost-Berliner<br />
Botschaft waren da sehr gelassen. Viel<br />
gelassener als die Kollegen im Westen.<br />
Wir wollten die Wie<strong>de</strong>rvereinigung.<br />
Wie kann man die Beziehung <strong>de</strong>r US-<br />
Botschaft zur StäV beschreiben?<br />
Die Amerikaner hatten weitaus mehr<br />
Narrenfreiheit als die Beschäftigten <strong>de</strong>r<br />
Ständigen Vertretung. Die StäV-Mitarbei-<br />
ter waren vorsichtiger, für sie war es<br />
schließlich Innenpolitik. Ich war dauernd<br />
in <strong>de</strong>r Ständigen Vertretung und habe<br />
meist die Veranstaltungen dort besucht.<br />
Ich habe dann auch berichtet, was ich in<br />
<strong>de</strong>r DDR erfahren habe, von <strong>de</strong>n Menschen<br />
und Lebensumstän<strong>de</strong>n. Wie gesagt,<br />
ich hatte Narrenfreiheit und konnte beispielsweise<br />
auf die Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>monstrationen<br />
gehen.<br />
Am 22. Januar 1984 gab es einen Zwischenfall<br />
mit sechs DDR-Flüchtlingen, die<br />
die US-Botschaft besetzten. Sie wur<strong>de</strong>n<br />
alle über die Grenze in <strong>de</strong>n Westen<br />
gebracht. Die USA hatte dafür doch<br />
eigentlich keine Befugnis?<br />
Die Sechs sind einfach in die Botschaft<br />
gekommen und wollten nicht mehr<br />
gehen. Zuerst riefen sie das Westfernsehen<br />
an - Sie müssen wissen, wir hatten<br />
mehrere öffentliche Telefone in unserer<br />
Bibliothek - um <strong>de</strong>n Journalisten zu<br />
sagen, dass sie die US-Botschaft besetzt<br />
haben. Das war natürlich gefun<strong>de</strong>nes<br />
Fressen für die Presse. Ich war damals<br />
Vermittler, da ich so gut Deutsch spreche,<br />
und wir hatten die Flüchtlinge schon<br />
fast aus <strong>de</strong>r Tür. Doch da mischte sich<br />
ein ARD-Korrespon<strong>de</strong>nt ein und sagte:<br />
>> „Ich musste Hals über Kopf<br />
verschwin<strong>de</strong>n“: Herbert Häber im<br />
„staeffi“-Zeitzeugengespräch.<br />
eigenständig ihr Verhältnis zur BRD<br />
gestaltet.<br />
Dann war also Stasi-Chef Erich Mielke<br />
Moskaus bester Mann?<br />
Das war ja auch mein Untergang. Als<br />
ich versucht hatte, zu Politikern <strong>de</strong>r SPD<br />
und CDU eine Vertrauensbasis herzustellen,<br />
missfi el das <strong>de</strong>n Scharfmachern aus<br />
<strong>de</strong>r Sowjetunion, und <strong>de</strong>shalb musste ich<br />
auch 1985 Hals über Kopf verschwin<strong>de</strong>n.<br />
Woran liegt es, dass so wenige an<strong>de</strong>re<br />
führen<strong>de</strong> Politiker <strong>de</strong>r DDR bereit sind,<br />
sich <strong>de</strong>r Vergangenheitsaufarbeitung zu<br />
stellen?<br />
Viele führen<strong>de</strong> Politiker leben ja nicht<br />
mehr. Aber warum zum Beispiel zum<br />
Nach<strong>de</strong>nken über 30 Jahre Ständige Vertretungen<br />
niemand aus <strong>de</strong>m ehemaligen<br />
DDR-Außenministerium gekommen ist,<br />
kann ich Ihnen nicht sagen. Ich hab<br />
keinen Grund mich zu verweigern, ich<br />
kann meine Wahrheit erzählen. Ich hab ja<br />
selber Mut bewiesen in <strong>de</strong>r DDR und bin<br />
dafür bestraft wor<strong>de</strong>n.<br />
Amerikanische Soldaten und Botschaftsangehörige konnten sich auf Grund <strong>de</strong>s<br />
Besatzungsstatutes frei in <strong>de</strong>r DDR bewegen. Sie gingen shoppen und spielten<br />
Räuber und Gendarm mit <strong>de</strong>r Stasi. Walter Andrusyszyn war von 1982 bis 1984<br />
als junger Diplomat in <strong>de</strong>r US-Botschaft in Ost-Berlin tätig. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n vier<br />
Jahren arbeitete er für die US-Regierung in Washington D.C., bis er 1988 wie<strong>de</strong>r<br />
nach Deutschland zurückkehrte und in Bonn für Berlin und das Vier-Mächte-Recht<br />
zuständig war. Im Gespräch mit Janina Rogge blickt er zurück.<br />
,Geht zurück!‘ Dies taten die Flüchtlinge<br />
dann auch. Nach mehreren Stun<strong>de</strong>n hat<br />
schließlich die DDR entschie<strong>de</strong>n, dass<br />
die Sechs ausreisen dürfen.<br />
Es gab ja die Bibliothek in <strong>de</strong>r US-Botschaft,<br />
die für DDR-Bürger zugänglich<br />
war. Zu<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Botschaft auch<br />
westliche Filme gezeigt. Warum?<br />
Zu <strong>de</strong>r Zeit war so etwas noch ziemlich<br />
normal in Botschaften. Wir wollten<br />
unser Land schließlich <strong>de</strong>n Bürgern<br />
zugänglich machen. Zu<strong>de</strong>m waren die<br />
DDR-Bürger in ihrer Meinungsfreiheit<br />
sehr eingeschränkt. Das wollten wir<br />
än<strong>de</strong>rn. Wir legten beispielsweise auch<br />
Westpresse, wie <strong>de</strong>n „Spiegel“, in <strong>de</strong>r<br />
Botschaft aus. Die meisten Bürger hatten<br />
aber Angst, die Bibliothek zu betreten.<br />
Hatten die Bürger <strong>de</strong>nn Nachteile, wenn<br />
sie die Botschaft besuchten?<br />
Manche bekamen Schwierigkeiten,<br />
an<strong>de</strong>re nicht. Sicherlich, wir wur<strong>de</strong>n von<br />
<strong>de</strong>r Stasi überwacht, und je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r die<br />
Botschaft besuchte, bekam einen Vermerk<br />
in seine Akte, stand somit unter<br />
Fahndungskontrolle. Das wussten die<br />
DDR-Bürger auch. Das ist das eigene<br />
politik <strong>orange</strong><br />
Der ehemalige Ständige Vertreter <strong>de</strong>r DDR in<br />
Bonn, Ewald Moldt, ließ nicht mit sich re<strong>de</strong>n.<br />
An<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r ehemalige SED-Funktionär Herbert<br />
Häber (73). Er übernahm im Dezember 1973<br />
die Leitung <strong>de</strong>r Westabteilung <strong>de</strong>s Zentralkomitees<br />
<strong>de</strong>r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED)<br />
und war von Mai 1984 bis November 1985 Mitglied<br />
<strong>de</strong>s Politbüros und Sekretär <strong>de</strong>s ZK <strong>de</strong>r SED. Nach Differenzen<br />
zwischen <strong>de</strong>r SED- und <strong>de</strong>r KPdSU-Spitze über<br />
<strong>de</strong>utschlandpolitische Operationen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gesundheitlich<br />
angeschlagene Häber von Erich Honecker geschasst.<br />
Ärgert Sie es, dass die Geschichte <strong>de</strong>r<br />
DDR an Schüler heute kaum vermittelt<br />
wird?<br />
Es ist lei<strong>de</strong>r so, dass die Aufarbeitung<br />
<strong>de</strong>r jüngsten Geschichte sehr einseitig<br />
verläuft. Die Geschichte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
wird behan<strong>de</strong>lt, und die Geschichte<br />
<strong>de</strong>r DDR kommt fast gar nicht vor, o<strong>de</strong>r<br />
es wird nur vom Unrechtsstaat DDR<br />
gesprochen. Ganz so einfach war das<br />
nicht.<br />
Statt<strong>de</strong>ssen boomen Ostalgieshows…<br />
Also die waren gar nicht nützlich. Man<br />
darf aus <strong>de</strong>r DDR nachträglich keine<br />
Spaßgesellschaft machen. Das wird <strong>de</strong>r<br />
Wirklichkeit dieser komplizierten Zeit<br />
nicht gerecht.<br />
Interview: Ida Krenzlin und Holger Kulick<br />
Risiko. Je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mit mir verkehrte - und<br />
ich hatte viele Bekannte und Freun<strong>de</strong> in<br />
<strong>de</strong>r DDR - musste sich <strong>de</strong>ssen bewusst<br />
sein.<br />
Was sagen Sie <strong>de</strong>nn zur „legalen Spionage“,<br />
die GIs in Ost-Berlin betrieben<br />
haben?<br />
Das war sicherlich eher ein Spiel. Ich<br />
meine, <strong>de</strong>r Wert dieser Fotos, welche die<br />
GIs in Ost-Berlin geschossen haben, war<br />
sehr gering. Berlin stand immer noch<br />
unter Alliierten-Recht. Die DDR konnte<br />
<strong>de</strong>mentsprechend auch wenig gegen US-<br />
Soldaten machen. Es gab aber US-Spione,<br />
die im gesamten Osten arbeiteten. Deren<br />
Spionage war schon wichtig. Wir wollten<br />
natürlich wissen, wie <strong>de</strong>r militärische o<strong>de</strong>r<br />
volkswirtschaftliche Stand <strong>de</strong>r UdSSR<br />
war. Und es interessierte uns auch, wie <strong>de</strong>r<br />
Spionage-Apparat von DDR und UdSSR<br />
funktionierte. So hat IBM mal absichtlich<br />
einen fehlerhaften Chip gebaut, <strong>de</strong>r in<br />
West<strong>de</strong>utschland verbreitet wur<strong>de</strong>. Die<br />
östlichen Geheimdienste haben sich die<br />
Daten besorgt, und die DDR-Firma<br />
Robotron hat <strong>de</strong>n Chip dann nachgebaut -<br />
zu unserer Freu<strong>de</strong> mitsamt <strong>de</strong>m Fehler.