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14 KULTUR JOKER VISION 2025

Herrmann in der Kirche

Neue sakrale Arbeiten des Freiburger Künstlers Harald Herrmann

Wo treffen Menschen auf

Kunst? Zunächst natürlich in Museen

und Ausstellungshäusern, in

Galerien, die besonders Interessierten

dann in privaten Sammlungen,

auf dem Kunstmarkt, bei

Messen und Auktionen. Öffentlich

präsent sind seit jeher der

urbane Raum, die Agora, große

Plätze, Garten- und Parkanlagen,

Gebäudefassaden. Zumindest

halböffentlich bleiben, je nach

Zugänglichkeit, Kunstwerke in

Verwaltungsgebäuden, Palästen

und Residenzen. Und schließlich

kommen die sakralen Orte hinzu:

Nekropolen seit der Antike, Friedhöfe

heute – und eben Tempel und

Heiligtümer, also in der Moderne:

Kirchen. Hier spielt sich ein Gutteil

der Hochkunst ab. Von der

Sixtinischen Kapelle Michelangelos

über Baldung Griens Altar

im Freiburger Münster reicht das

bis in die Gegenwart zu Gerhard

Richters Kirchenfenstern.

Und da kommt Harald Herrmann

ins Spiel. Der gebürtige

Schwarzwälder (Wolfach, 1954)

verschreibt sich schon längst vorrangig,

auch bei Kunst-am-Bau-

Projekten, den theologischen

Themen. Zuletzt, bei der Evangelischen

Christuskirche in der

Wiehre, die 2015/16 umfassend

restauriert wurde: Sehr kalt und

hell, wenig wärmelnd empfängt

der historistische Bau von 1891

die Besucher seitdem. Man mag

das kritisieren, manche tun es

auch, aber Herrmanns Arbeit,

eine kühle hellblaue Hinterfangung

des Altarraums unterstreicht

das Ensemble nurmehr. Hier zeigt

sich folglich sein Credo: die gegebene

Architektur zu verstehen,

aufzugreifen und zu „bespielen“,

wie er selbst sagt, – nicht brutalistisch

Kontrapunkte zu setzen.

Derzeit bietet der Künstler, beinahe

synchron, in drei Kirchen

und zwei kirchennahen Instituten

eine ganze Ausstellungsserie. Der

Start fand vorösterlich statt und ist

inzwischen abgebaut: in der Günterstäler

Liebfrauenkirche gab es

die Acrylbilder-Serie „Passio“,

erneut zentral hinter dem Altar.

Im Kreuzgang von St. Martin am

Rathausplatz hängen drei Bilder,

nicht aus der Distanz schaubar,

sondern im Vorbeischlendern,

wie es der Architektur entspricht,

zum Thema „Effata“: angespielt

ist auf Jesu Taufe eines Taubstummen,

berichtet im Markusevangelium.

‚Öffne Deine Sinne‘ lautet

der Appell hier.

Ebenfalls liturgisch definiert ist

die Intervention „Maria voll der

Gnade“ in der ökumenischen Kirche

im Rieselfeld und „Maria von

Magdala“. Beide Mariengestalten

inspirieren. Diejenige der sog.

Jungfräulichen Geburt erscheint

in fünf großformatigen Arbeiten

als Unterleib. Die Kontrahentin

Maria Magdalena, die Zeugin

der Auferstehung, schon früh als

„Apostelgleiche“ verehrt, gehörte

für Herrmann zwingend zum

Konzept dazu – und hätte ja auch

so gut in dies Gotteshaus gehört.

Doch die Gemeinde lehnte diesen

komplementären Part (ärgerlicherweise)

ab. Umso wichtiger,

dass wir eine der Arbeiten des

zweiteiligen Zyklus hier abbilden

können: Brust und Vulva, teils

klar, teils umspielt, bestimmen

das Bild; rechts die kräftige blutrote

Pinselspur als Zeichen von

Erotik, Kraft und Verletzlichkeit,

links die Dreiviertel-Silhouette

einer Löwin, größte Räuberin und

Beschützerin der jungen Mädchen

zugleich, wie schon die Göttin

Artemis in der griechischen Antike.

Parallel begleitende Ausstellungen

im Karl-Rahner-Haus und

in der Katholischen Akademie

liefern gleichsam die Erläuterung

im breiteren Schaffenskontext

Herrmanns. Wobei nicht im

Atelierlager gestöbert wurde, um

Verwaltungsgebäude zu bestücken.

Herrmann betont, dass er

Harald Herrmann: „Maria von Magdalena“ 2021 Foto: Roland Krieg

konkret für die Raumsituatio-nen

produziert hat, insgesamt eineinhalb

Jahre lang. Die alttestamentarische

Hiob-Figur, auch Maria

Magdalena und Judas begegnen

uns da, allesamt Exempel des

Generalthemas. „Legenden der

Übertreibung – Heilige“ heißt

das Projekt. Mit den christlichen

Legenden verhält es sich kaum

anders als mit den Mythen der

alten Griechen: je nach Bedarfslage

und punktueller (meist politischer)

Intention der Autoren

wurden sie variiert und geradezu

beliebig ausgeschmückt. Das hat

der Künstler wahrgenommen; insofern

steckt in dem von ihm gewählten

Begriff „Übertreibung“

auch eine kritische Haltung, die

er an die Kirche zurückwendet.

Tradierte Narrative gilt es stets

neu zu überprüfen. Gerade heute.

Harald Herrmann signiert nicht

als Monogrammist. Doch er

könnte es sich leisten, sein Name

hat sich als Signet längst in die

Kunstlandschaft eingedrückt.

Infos: St. Martin, Kreuzgang.

Karl-Rahner-Haus, bis 20. Juli

2021.

Katholische Akademie, bis 30.

Juli 2021.

St. Maria Magdalena, ab 15.

Mai 2021.

Martin Flashar

70 Jahre Kunst am Bau – Bundesbauministerium legt Zeugnis ab

Der politische Prozess begann

im Juni 1928, als ein

Ministererlass der Weimarer

Regierung bei staatlichen Bauten

das Engagement forderte,

um Bildenden Künstlern aus

finanziellem Engpass zu verhelfen

und ihnen Aufträge zu

verschaffen. Der etwas sperrige

Titel hat sich bis heute

gehalten, wobei „am“ ebenso

„neben“, „bei“ und „im“ meint.

Die Kunstpolitik der NS-Zeit

desavouierte das Programm, so

dass erst ein zögerlicher Neuanfang

in Zeiten des Wiederaufbaus

kam. Doch schon 1950

beschlossen beide deutsche

Staaten, ein Jahr nach ihrer

Gründung, mit der Auflage entsprechender

Kunstförderung.

Das gab Anlass für das verantwortliche

Bundesbauministerium,

eine Ausstellung zum

Jubiläums-Thema sowie einen

begleitenden, opulenten Katalog

auf den Weg zu bringen.

Darin sind die großen Etappen

der Kunst am Bau bestens

dargestellt. Stets geht es um die

Balance zwischen ästhetischem

Dialog mit der geplanten Architektur,

möglichem Rekurs auf

Inhalte und Zweckbestimmung

der betreffenden Gebäude sowie

die Einbettung in den urbanistischen

Kontext. Inzwischen

gilt unstrittig: „Kunst am Bau

ist ein wesentliches Element

der demokratischen Kultur (…)

Sie bezieht zu den Themen unserer

Zeit Stellung und ist eine

besonders nachhaltige Möglichkeit,

die Umwelt zu humanisieren

und im Sinne heutiger

Baukultur aufzuwerten“ (Katalog).

Hotspot der Politik war nach

der Wiedervereinigung natürlich

Berlin. Das Kanzleramt

birgt seitdem mannigfaltige

Kunst. Vor dem Axel Schultes-

Bau posiert, tagtäglich in den

Nachrichten, die große Cortenstahl-Plastik

von Eduardo

Chillida: „Berlin“, als Symbol

der Annäherung zweier vormals

getrennter Einheiten. Im

Innern, am Treppenaufgang

steht Lüpertz‘ „Philosophin“,

vorahnend als Sinnfigur weiblicher

Führungskraft im Staat,

mit klassischem Nachdenklichkeitsgestus

der an das Kinn

geführten Linken. In dem Katalogbuch

sind weitere Etappen

des Programms dokumentiert

und historisch aufgearbeitet.

Die wesentliche Zäsur gibt eine

Richtlinie des Bundes aus dem

Jahr 2005 (2012 aktualisiert),

wonach, je nach Höhe der Bauwerkskosten,

zwischen 0,5 und

1,5 Prozent aus dem Bautitel

für Kunst eingesetzt werden

sollen. Dies gilt zugleich als

Memento an Länder und Kommunen.

Die Vorgabe des Bundes ist

ein deutliches Signal auch an

die Stadt Freiburg, die in den

letzten Jahrzehnten nur sehr

zögerlich – meist mit Verweis

auf knappe Finanzen – Kunstam-Bau-Maßnahmen

umsetzte.

Die Ausstellung wandert.

Infos: Ute Chibidziura –

Constanze von Marlin, 70 Jahre

Kunst am Bau, Katalog, 316

Seiten, Deutscher Kunstverlag

2020, 45 Euro.

Martin Flashar

Markus Lüpertz: „Die Philosophin“,

Bronze 1998/2001,

Bundeskanzleramt Berlin

Foto: privat

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