blu Mai / Juni 2021
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14 KULTUR<br />
NACHGEFRAGT<br />
Er produziert Kunst, ist Obmensch<br />
von ĀRT HOUSE und<br />
spielt Viola da Gamba und Kontrabass.<br />
Wir chatteten mit dem<br />
Künstler.<br />
FOTO: VINCENT NANTEZA<br />
GEORG KRONEIS:<br />
„Schwierige Zeiten bringen immer auch<br />
Chancen ...“<br />
Corona hat das Musikleben fast<br />
völlig zum Erliegen gebracht. Wie<br />
geht es dir damit?<br />
Schwierige Zeiten bringen immer auch<br />
Chancen mit sich. Schon als uns vor<br />
einem knappen Jahr der erste Lockdown<br />
erwischt hat, habe ich angefangen,<br />
nach künstlerischen Alternativen<br />
zu suchen. Zum Glück habe ich ein paar<br />
Partner, die das genauso sehen. Zusammen<br />
haben wir einen neuen Verein<br />
gegründet, ĀRT HOUSE, und als Erstes<br />
einen digitalen Salon aufgezogen.<br />
Durch die neuen Kommunikationstools<br />
wie Zoom ist es jetzt eigentlich ganz<br />
leicht, sich zu vernetzen, auch wenn<br />
man in Quarantäne sitzt oder Tausende<br />
Kilometer voneinander entfernt ist.<br />
Und wir besprechen dort in einer<br />
superinteressanten und diversen Runde<br />
ganz grundlegende Fragen, von Gender<br />
und Politik bis hin zur Zukunft der<br />
Kunst. Natürlich war das erst einmal<br />
eine Vollbremsung, ich war gerade von<br />
meiner ersten Australientour zurück, als<br />
der Lockdown kam. Ich muss dennoch<br />
ehrlich sagen, ich arbeite seitdem<br />
bestimmt nicht weniger.<br />
Zumindest ist ja ein Ende<br />
abzusehen …<br />
Aber ich denke, die Szene wird sich<br />
nachhaltig verändern, und auch das<br />
Publikum. Ich spiele ja durchaus auch<br />
jetzt noch immer wieder, CD-Aufnahmen,<br />
Live-Streamings, was eben erlaubt ist. Es<br />
ist eben nicht selbstverständlich, dass die<br />
Leute in unsere Programme strömen. Ich<br />
glaube, wir müssen uns wirklich viel mehr<br />
Gedanken darüber machen, was wir den<br />
Leuten erzählen wollen und wie.<br />
Hat das auch mit deiner Sexualität<br />
zu tun?<br />
Nicht unmittelbar, aber im weiteren Sinne<br />
schon. Die klassische Musik hatte schon<br />
vor Corona viele Probleme. Zu Recht wird<br />
sie oft als abgehoben wahrgenommen.<br />
Diversität ist kaum sichtbar, alte<br />
Rollenmodelle wie der männliche Dirigent<br />
oder der gottgleiche Intendant spielen<br />
immer noch eine große Rolle. Mit meinem<br />
Ensemble FETISH BAROQUE – Musiker<br />
aller Sexualitäten in Leder spielen klassische<br />
Musik – gehen wir bewusst dagegen<br />
an. Das ganz große Projekt, an dem wir<br />
gerade arbeiten, ist eine Aufführung von<br />
Bachs berühmter „Kaffeekantate“ in<br />
queerem Kontext. Das kaffeesüchtige<br />
Liesgen ist bei uns ein Mann im Comingout.<br />
Das Ganze spielt in einer kleinen<br />
Bar mit Talentbühne, Crossdressern und<br />
Transmenschen. Dass dabei richtige<br />
Klassikstars wie Philipp Mathmann und<br />
Dietrich Henschel mitmachen, darauf bin<br />
ich richtig stolz.<br />
Produzierst du nur, oder spielst du<br />
auch mit?<br />
Haha, natürlich spiele ich mit … ich hab<br />
mir auch schon den passenden Song<br />
ausgesucht: „Ich weiß nicht, zu wem ich<br />
gehöre …“<br />
Das ist aber hoffentlich nicht<br />
autobiografisch …<br />
Na klar doch, schließlich endet der Song<br />
so: „Ich glaub, ich gehör nur mir ganz<br />
allein.“ Und damit kann ich mich durchaus<br />
identifizieren. (grinst breit)<br />
*Interview: Michael Rädel