TanzArt Magazin
Das Magazin zum TanzArt ostwest Festival in Gießen 2021
Das Magazin zum TanzArt ostwest Festival in Gießen 2021
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
TanzArt ostwest-Festival
Gießen
dal
Gleiberger Weg
Kropbacher Weg
heimer Straße
August-Balzer-Weg
uchelheimer Straße
hnstraße
Grüner
ust- Balzer-Weg
der Hessenhalle
Sc
InfoCenter
rgarete nhütte
Klinikstraße
Alter Wetzlarer
Schubertstraße
Weg
hlacht hof st raße
Unteres
Wehr
Bahnhof
Am Güt er- bahnhof
Rudolf-Buchheim-Str.
Hillebrandstraße
Mit- telweg
Credner-
Steg Am Steg
Schwalbachacker
Krofdorfer Str.
3
12
straße
Weg
6
Krofdorfer Str.
Hofmannstr.
Frankfurter Straße
Fr.-Naumann Str.
4
Zur
großen
Bleiche
24
Lahnstraße
Schützenstraße
Stadtwerke
Klinikstr.
Langhansstr.
Am Steg
Gaffky-Straße
Leimenkauter Weg
Schlachthofstr.
Lahnstr.
Lahn
Gabelsberger
Straße
19
Friedrichstr.
Jahn-
Uferweg
Oberes
Wehr
Rodheimer Str.
Südhang
Flutgraben
Bahnhofstraße
Mathematikum
Balserische
Stiftung
e-
ärdizin
Universitätsklinikum
(UKGM)
Finanzamt
BFS
Aulweg
Uferweg
Hammstr.
Feulgenstraße
Paul-Meimberg-Str.
Lahnfenster
Zu den
Mühlen
Westanlage
Westanlage
Alicenstraße
Liebig-Museum
Schubertstraße
Frankfurter Str.
Lahn
Lahn
Bootshausstraße Bootshausstraße
Bahnhofstraße
Mensa
Wieseck
Hessenhallen
Petruskirche
(ev.)
BfA
Alicenstraße
Liebigstraße
Natur- und
Lebenswissenschaften
Ludwigstraße
Arbeitsagentur
THM
Lonystraße
Löberstraße
Bruchstraße
Liebigstraße
Uni
Verwaltung
Rathaus
Wilhelmstraße Wilhelmstraße Wilhelmstraße
Wartweg
Aulweg
L
Mühlstr.
Schanzenstr.
Justus-Liebig-
Universität
(JLU)
Bonifatiuskirche
St.-Josephs-
Krankenhs. (kath.)
11 18
35
33
34
Rodthohl
straße
Wartweg
7
Neustadt
Reichensand
14
straße
Bonifatiusweg
Ludwigstraße
Schillerstraße
Damm- straße
Leih
gest
Gartfeld
Stein- straße
erner
Weg
Nordanlage
Pfarr garten
Goethestr.
Bleichstraße
Ederstraße
Südanlage
Asterweg
Pankratiuskirche
(ev.)
Marktplatz
1
29
28
Ma rk
Kap
Johanneskirche
(ev.)
ts tr.
lansg.
l
Riegelpfad
Welckerstraße
Ebel-
Elsa Bra
Str.
Bu
Fuldastraße
5
Leih
Stein- straße
gest
Mä us burg
Versorgungsamt
Günthersgraben
Buffff-
Ring
St. Albertuskirche
(kath.)
9
Nordanlage
Asterweg
Sudetenlandstraße
Walltorstraße
Brandplatz
Schulstr. Neuen Bäue
Neuenweg
Johannesstr.
Aulweg
21
Bückingstraße
Weserstraße
Sonnenstr.
IHK
Gn
au
t
h
Riegelpfad
Friedrich-
Höpfner-
nd-
ström-
Arndtstr.
Heinrich-
erner
Ring
Weg
länd
straß
Schottstraße
Schottstraße
weg
Senc ke n
Altes Schloss
Lessingstr.
Diezstr.
Stadttheater
30
17
22
26
16
stra
ß
Aulweg
straße
e
erger-Str.
Werrastraße
Ostanlage
Ostanlage
THM
THM
Hauptgebäude
Gartenstraße
Stephanstraße
Bismarckstr.
Aulweg
Straße
Marburger
Heinrich-
Landgraf-
Phillipp-Platz
be rgst raße
Berliner
Platz
10
Hoher
Str.
Troppauer
Neues Schloss
Zeughaus (JLU)
Am
Brennofen
Gutfleischstr.
Platz d. Dt.
Einheit
Am alten
Gaswerk
Keplerstr.
Sternmark
Rain
Ohlebergsweg
Ringallee
Hinter der
Ostanlage
Ringallee
Standesamt/
Ortsgericht
Wiesenstr.
Technische
Hochschule
Mittelhessen
(THM)
Moltkestraße
Gutenbergstr.
Schiffenberger Weg
Erdkauter Weg
Wiesecker W
Nahrungsberg
P
Hein-Heck- roth-Str.
Roonstraße
Erdkauter Weg
Großer
Steinweg
Gr. Morgen
Karl-
Follen-
Straße
Ubbelohdeweg
An Steins
Garten
Wieseck
Wolfstraße
Ringallee
Grünberger Straße
Hessenstr.
Licher Straße
Schwanenteich
Alter Friedhof
Am
Südhang
Alfred-Bock-Straße
Hess. Hochschule
für Polizei
und Verwaltung
Stadtpark Wieseckaue
Neuer Teich
Curtmannstraße
Fröbelstraße
Gießen
Polizeipräsidium
Mittelhessen
Pestalozzistraße
Lutherberg
alten Friedhof
Bisma rck-
Goethestraße
Ludwigsplatz
Kongresshalle
Pestalozzistraße
Eichgärtenallee
Schwarzlach-
Plockstraße
Uni-Sportzentrum
Mensa
Asta Studentenwerk
Alter Stein
Sporthalle
Gießen Ost
HeegstrauchwegHeegstrauchweg
Raiffeisenstr.
Am Unteren
Eichgärten
Am alten Friedhof
Rain
Bänningerstraße
Quellgarten
Strandbar
Altenfeld sweg
Klingelbachweg
Fr.
rier-
E.-Eckstein-
Str.
Sandkauter Weg
eg
Schwarz-
Julius-
Str.
Siemensstraße
(ca. 5 km ->)
Spielorte und Ausstellungsräume in und um Gießen
2
27
23
8
13
31
aldbrunnenweg
Professorenweg
Straße
Str.
Ferniestr.
Philosophikum I
Klingelbach
Oberlache
Kant
August-Messer-Str.
Tannenweg
straße
str.
Licher Straße
Recht
und Wirtschaft
bacher
Weg
A bert- Stifter-
Karl-Reuter-
Weg
Otto-Behaghel-Straße
Rathenaustraße
A n
Eichgärtenallee
der
Grünberger Straße
Danziger Str.
15
20
25
32
Uni-Bibliothek
© Gießen Marketing GmbH
Philo
Liebig
Schiffenberger Weg
Philosophenwald
so
phenwald
Fröbelstraße
Kugelberg
Alter Steinbac
Karl-Glöckner-Straße
Kloster
Schiffenberg
Kletterwald
36
s h öhe
VHS
Miller Hall
Brumlikweg
Kugelberg
Friedensstraße
Vitos Klinik
her Weg
Rathenaustraße
Philosophikum II
Oswaldsgarten
Justizbehörden
Rechenzentrum
Kugelberg
Anneröder Weg
An derLärchenwäldchen
Str.
H.-Fou
Licher Straße
Fernverkehr
ca. 1 km
Landkreis Gi.
Fernverkehr
(ca.1 km-> )
Audi-Max
EDITORIAL 2
GRUSSWORTE / WORDS OF WELCOME 3
ANFÄNGE / BEGINNINGS 7
NETZWERK / NETWORK 16
CHRONIK – TANZART EROBERT DIE STADT / 32
CHRONICLE – TANZART CONQUERS THE CITY
SITE SPECIFICS 46
TANZCOMPAGNIE GIESSEN 56
FOTOGRAFIE / PHOTOGRAPHY 60
ORGANISATION / ORGANIZATION 63
VEREIN / ASSOCIATION 67
Pistorstraße
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Alte Kupferschmiede
Amtsgericht Gießen, Treppenhaus u. Flure
Autowaschanlage FAWA, An den Hessenhallen
Bahnhof Gießen, Bahnhofstraße:
Eingangshalle u. Bahnsteige
galerie h. remmele, Seltersweg, Hinterhof
Galerie Kornboden DreiFünf, Hinterhof
(Galeria) Neustädter Tor, Fitness-Studio
Gießener Allgemeine Zeitung, Produktionsräume
Justus-Liebig-Universität Gießen:
Kirchenplatz, Wissenschaftszelt Uni-Jubiläum 2007
Aula im Hauptgebäude, Ludwigstraße
Heli-Kino
Johanniter-Luftrettungszentrum:
Hubschrauber-Landeplatz
Jugendzentrum Jokus
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Karstadt-Parkhaus
Kino Traumstern, Lich
KiZ (Kultur im Zentrum, städtische Galerie
an der Kongresshalle)
Kümmerei, Schottstraße
Martinshof, Gesundheitszentrum
Mathematikum
MuK Musik- und Kunstverein Gießen e.V.,
Rivers Barracks
Nordstadtzentrum, Reichenberger Straße
OHM Oberhessisches Museum, Altes Schloss:
Foyer, Sonderausstellungsraum,
Netanya-Saal, Innenhof
Rathaus, Berliner Platz:
Foyer, Tiefgarage, Kunsthalle
Schlachthofgelände:
Lagerhalle + TCG-Studios bis 2014
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
Schloss Hungen, Hungen / Kreis Gießen
Stadttheater Gießen:
Großes Haus, Südanlage
taT-studiobühne, am Rathaus (ab 2015)
TiL-Studiobühne, am Löbershof (bis 2014)
TCG-Studios, (ab 2015)
THM Technische Hochschule Mittelhessen:
Hugo-von-Ritgen-Haus (Architektur Abt.)
Gebäude C14
TIG Technologie- und Innovationszentrum
Gießen, Europaviertel
UKG Universitätsklinikum Gießen:
Hauptgebäude, Foyer u. Magistrale
Schlaflabor, alte Orthopädie
Treppenhaus, Chirurgie
VHS Volkshochschule Gießen
2011 „Chaos algorythm“
©rkw
2014 „A Ciegas/Blindlings“
©rkw
Liebe Freund:innen des
zeitgenössischen Tanzes,
Das TanzArt ostwest-Festival
in Gießen wird volljährig!
Diese erfreuliche Botschaft sollte bereits im Mai 2020 mit
dem geplanten Festival bekannt gemacht und gefeiert werden.
Dann kam die Corona-Pandemie mit all ihren Folgen für
unser gesellschaftliches Miteinander. Der Theaterbetrieb ist
seit gut einem Jahr heruntergefahren, auch in 2021 wird es
daher kein TanzArt-Festival geben wie wir es bisher erleben
durften.
Die Idee eines Festival-Magazins war schon vorher geboren,
doch bot sich in der neuen Situation die Möglichkeit des Innehaltens
und der ausführlichen Rückschau auf 17 Jahre TanzArt
ostwest in Gießen. So konnte das Magazin auch zu einer Dokumentation
werden, ermöglicht mithilfe der Kulturförderung
durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst.
Wir haben uns angesichts der Internationalität des Tanz-
Art-Netzwerks für eine deutsch-englische Fassung und im
Deutschen für die Gender-Schreibweise mit „:“ entschieden.
Falls Sie beim Lesen Beiträge von einigen Personen vermissen:
Nur ein Teil war erreichbar und nicht alle Angeschriebenen
schickten einen Beitrag. Das Ergebnis ist vielfältig und ermöglicht
zugleich einen Überblick wie auch Einblicke in Details.
The TanzArt ostwest-Festival
in Gießen comes of age!
This good news should already be announced and celebrated
in May 2020 with the planned festival. Then the corona pandemic
came, with all its consequences for our social interactions.
The theatres are closed now for over a year, so there will
be no TanzArt-Festival in 2021 as we know so far. The idea of
a festival magazine was already born in advance, but the new
situation offered the opportunity to take a break and look back
in detail on 17 years of TanzArt ostwest in Gießen. In this way,
the magazine could also be turned into a documentation,
made possible with the help of cultural funding from the Hessian
Ministry of Science and Art.
In regard to the Internationality of TanzArt network we decided
for the German and English version and in the German
part for the gender spelling with “:”.
In case you miss contributions from some people while reading:
only some of them could be reached and not all of those
who were contacted sent a contribution. The result is diverse
and at the same time enables an overview as well as insights
into details.
das TanzArt ostwest-Festival wird volljährig! Vor 18 Jahren betrat
dieses Projekt zum ersten Mal in Gießen die Bühne. Sein
Ziel: die Kraft, die Intensität, die Ausstrahlung des zeitgenössischen
Tanzes aus Ost- und Westeuropa zusammenzuführen.
Dass ausgerechnet das magische 18. Jahr – ein Jahr, das
für Freiheit und Aufbruch steht – im eingeschränkten Corona-Rahmen
gefeiert werden muss, tut weh. Gerade in einer
künstlerischen Sparte wie dem Tanz, für die Begegnung und
Gemeinsamkeit so wichtig sind.
Umso mehr freue ich mich über dieses Jubiläumsheft, das
unabhängig von der Pandemiesituation den Leser:innen die
wunderbare Welt des Tanzes offenbart und einen interessanten
Blick hinter die Kulissen ermöglicht. Es zeigt in großartigen
Bildern, wie das TanzArt-Festival für Weltoffenheit und Kulturaustausch
steht. Es vernetzt Kompanien der freien Szene, Solokünstler:innen
sowie Tanz- und Ballettensembles an Stadtund
Staatstheatern miteinander und ist damit auch ein Motor
für die kulturelle Entwicklung der Region.
Wenn Menschen mit so einer Freude und derartigem Engagement
zusammenfinden und ein Programm dieser Größenordnung
auch unter Pandemie-Bedingungen auf die Beine
stellen, können sich die Festivalmacherinnen und -macher
unserer Unterstützung sicher sein. Als Schirmherrin des Festivals
freue ich mich ganz besonders darüber, denn die Künstlerinnen
und Künstler leisten Großartiges – professionelles
Tanzen ist Kunst und Hochleistungssport zugleich.
Ich wünsche Ihnen allen viel Freude beim Teilnehmen, Zuschauen
und Tanzen.
Dear Friends of
Contemporary Dance,
the TanzArt ostwest festival is coming of age! 18 years ago this
project entered the stage for the first time in Gießen. The aim:
to integrate the power, the intensity, the charisma of contemporary
dance from eastern and western Europe. It hurts that
of all things the magical 18th year – a year that stands for freedom
and awakening – has to be celebrated under those limiting
Corona conditions. Especially in an artistic category like
dance, where encounters and togetherness are so important.
I am all the more glad about this anniversary brochure that
reveals the wonderful world of dance to the reader, independent
of the pandemic situation. It shows in great images how
the TanzArt ostwest festival stands for openness to the world
and cultural exchange. It connects free scene companies,
solo artists as well as dance and ballet ensembles from city
and state theatres, which makes it an engine of the region’s
cultural development.
When people come together with such joy and commitment
and put together a program of this size even under pandemic
conditions, the organizers can be sure of our support. As the
patron of the festival I am especially glad about that because
the artists are achieving great things – professional dance is
art and top level sports at the same time.
Wir wünschen viel Freude beim Lesen und freuen uns auf das
nächste TanzArt ostwest-Festival!
Ihr Redaktionsteam
Dagmar Klein, Juliane Sersch,
Marie Claire Kazandjian
We hope you enjoy reading and look forward to the next Tanz-
Art-Festival!
Your Editorial Team
Dagmar Klein, Juliane Sersch,
Marie Claire Kazandjian
Angela Dorn
Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst
I hope you will enjoy participating, watching and dancing.
Angela Dorn
Hessian Minister for Science and the Arts
2 3
Movement never lies
von Martha Graham
TanzArt Motto 2017
Wichtiger Teil des Gießener
Kulturlebens
Die Zeit der TanzArt ostwest ist für mich immer eine besonders
anregende und inspirierende Zeit. Das ohnehin pralle
Kulturleben in Gießen erlebt um Pfingsten einen verdichteten
Höhepunkt. Es macht mich stolz, dass die TanzArt die Stadt
Gießen alljährlich sogar deutschlandweit in den Mittelpunkt
der Tanzwelt rückt.
Die Stadt ist mit der TanzArt seit 16 Jahren sehr intensiv bei
der Auftaktveranstaltung „Site Specific“ als Mitveranstalterin
und Hauptförderin verbunden.
Als Oberbürgermeisterin und Kulturdezernentin, aber auch
ganz persönlich, zähle ich von Anbeginn zu den begeisterten
Zuschauerinnen des Festivals, und zwar, soweit es meine Zeit
zulässt, vieler Tanzvorstellungen:
Seien es die teils hochkarätigen Beiträge verschiedenster
etablierter Tanzcompagnien bei der Tanz-Gala oder die auch
dem Nachwuchs dienenden Einzelvorstellungen im jetzigen
„taT“ oder der „Overlab“-Reihe zusammen mit der Hessischen
Theaterakademie.
Alle Vorstellungen sind besondere Erlebnisse, doch die Gala
ist für mich jeweils der Höhepunkt des Festivals, den ich nicht
versäumen möchte. Dann ist die west- und osteuropäische
Tanzwelt, auch einige internationale Vertreter:innen, zu Gast
in unserem Gießener Stadttheater, sind zeitgenössische
Tanzpositionen und -choreografien und wundervolle ausdrucksstarke,
exzellente, leidenschaftliche Tänzer:innen zu
erleben. Großartig!
Für Gießen und für mich persönlich ist die TanzArt ostwest als
stadtprägende Kulturveranstaltung nicht mehr weg zu denken.
Dietlind Grabe-Bolz
Oberbürgermeisterin und Kulturdezernentin
der Universitätsstadt Gießen
An Important Part of
Gießen’s Cultural Life
The time of TanzArt ostwest is always an especially inspiring
and stimulating period for me. At Pentecost, Gießen with its
bulging cultural life, experiences a compressed climax. It makes
me proud that TanzArt every year puts the city of Gießen
into the focus of the dance world throughout Germany.
For 16 years the city is very intensively connected with TanzArt
at the Site Specific-opening event as a funding co-organizer.
As mayor and head of culture – but also in a quite personal
way – I was an enthusiastic visitor of the festival from the beginning.
That is, as much as time allowed me.
Be it the often top class contributions of the most diverse
dance companies at the gala or the single performances that
also serve the next generation in the new taT or the “Overlab”-series
in cooperation with the Hesse Theatre Academy.
All performances are special experiences but for me the gala
is the respective highlight of a festival that I don’t want to miss.
Then, the western and eastern European dance world plus
a few international participants are guests in our Gießen city
theatre. And you can experience contemporary dance statements
and choreographies and wonderfully expressive, high
level and passionate dancers. Great!
I personally cannot imagine Gießen without TanzArt ostwest
as a defining cultural series of events any more.
Dietlind Grabe-Bolz
Mayor and Head of Culture
of the University City of Gießen
Liebe Tanzfreundinnen,
liebe Tanzfreunde,
seit 18 Jahren bietet das Stadttheater Gießen dem TanzArt
ostwest-Festival ein Zuhause. Gießen ist mit seiner individuellen
Ausprägung und Interpretation des internationalen Festivals
zur festen Plattform dieses ganz außergewöhnlichen
Netzwerkes der zeitgenössischen Tanzszene geworden. So
bietet sich hier für die stetig wachsende Zahl Tanzbegeisterter
die besondere Möglichkeit, sich immer wieder neu von
den innovativen Wegen bereits bekannter Tanzschaffender,
aber auch von Szene-Neulingen überraschen zu lassen. Um
die kreativen Impulse und deren Geburtsstunden miterleben
und teilen zu können, nehmen Publikum und Beteiligte teilweise
auch gerne weite Wege auf sich – andere genießen es,
einfach mit dem Fahrrad ins Theater oder zu einer der zahllosen
Außenspielstätten zu radeln, die im Stadtraum mit pulsierendem
Leben erfüllt werden.
Selbstverständlich ist auch TanzArt ostwest von den Einschränkungen
der Corona-Pandemie betroffen. Aber Tarek
Assam wäre nicht Tarek Assam, wenn er die rastlose kreative
Energie des Festivals ruhen lassen würde – aller Probleme
zum Trotz: Seine ursprüngliche Idee, einen Rahmen zu schaffen,
in dem sich Tanzkompagnien aus Stadt- und Staatstheatern,
Vertreter:innen freier Compagnien sowie Initiativen
begegnen, künstlerischen Austausch betreiben und danach
auch weiter in Kooperationen verbunden bleiben, war und ist
der Antrieb dieses Erfolgsmodells.
Und nun haben die Monate, in denen die Kulturszene von Covid
dominiert war, erneut gezeigt: Es war und ist eine kulturpolitisch
ganz außergewöhnlich weitsichtige Konzept-Idee. Das
Netzwerk TanzArt ostwest hält und ist nach 18 Jahren intensiver,
höchst erfolgreicher Arbeit selbst in einer Pandemie, die
niemand auch nur annähernd vorhersehen konnte, absolut
tragfähig. Selbst unter diesen erschwerten Bedingungen hat
es die Kraft zur kreativen Weiterentwicklung. Damit beweist
TanzArt erneut mehr als eindrücklich wie unendlich wichtig
Netzwerke sind. Aber zum nachhaltigen Erfolg benötigen
Netzwerke ganz dringend verlässliche Partnerschaften mit
tatkräftigen Unterstützer:innen. Auch damit ist TanzArt ostwest
reich gesegnet. Ihnen allen gebührt unser größter Dank.
Doch Unterstützer:innen fallen einem Festival nicht in den
Schoß. So ist auch dieses reiche Netzwerk Ausdruck für die
vorbildliche Arbeit, die in all den Jahren vom TanzArt-Team
aber und gerade auch von der TCG, der Tanzcompagnie Gießen,
geleistet wurde.
Ich kann und möchte mir ein Theater und eine Region ohne
die innovative Kraft des Tanzes nicht mehr vorstellen. Stillstand
ist keine Option. Dafür sind alle mitverantwortlich: die
Kulturpolitiker:innen, die Theaterleiter:innen, die Medienschaffenden,
aber natürlich ganz klar auch die Tanzschaffenden,
die immer und immer weiter durch Innovation und lebendige
Kreativität begeistern und überzeugen müssen. Und
nicht zuletzt sind auch wir, die Zuschauer:innen, eine wichtige
Kraft für die Zukunft des Tanztheaters. Bleiben wir neugierig –
dann ist mir um den Tanz nicht bange.
Cathérine Miville
Intendantin Stadttheater Gießen
Dear Dance-Lovers,
Stadttheater Gießen has been the home of the TanzArt ostwest-Festival
for the last 18 years. Gießen, with its individual
style and way of interpreting an international festival, has
become a permanent platform for a quite extraordinary network
within the contemporary dance scene. Over the years a
steadily growing number of dance enthusiasts has been given
the unique opportunity to be surprised time and again by the
innovative paths not only of well-known dance professionals,
but also by newcomers to the scene. In order to be able to
experience and share the birth of these creative impulses,
some audience members and participants do not shy away
from travelling long distances. Others enjoy simply cycling to
the theatre, or to one of the countless outdoor venues within
the urban space that are filled with vibrant life.
Of course, TanzArt ostwest has also been affected by the restrictions
of the Corona pandemic. But Tarek Assam wouldn‘t
be Tarek Assam if he allowed the restless creative energy of
this festival to be suspended - despite all the problems: His
original idea of creating a framework in which dance companies
from city and state theatres, representatives of independent
companies and initiatives meet, engage in artistic exchange
and then remain connected in cooperation, was, and
is, the drive behind this successful model.
And now the months in which the cultural scene has been dominated
by Covid19 have shown again that it was, and is, an
extraordinarily far-sighted concept in terms of cultural policy.
The TanzArt ostwest network remains strong and is absolutely
sustainable after 18 years of intensive, highly successful
work, even during a pandemic that nobody could even remotely
foresee. Even under these difficult conditions it has
had the strength to develop creatively. Impressively, TanzArt
proves once again how infinitely important networks are. However,
for sustainable success, networks urgently need reliable
partnerships with active supporters. TanzArt ostwest has
been richly blessed with these. Our warmest thanks go to all of
them. But supporters do not just fall into the lap of a festival.
This rich network is also an expression of the exemplary work
that has been done over the years by the TanzArt team and
especially by the TCG, the Tanzcompagnie Gießen.
I cannot and would not like to imagine a theatre and a region
without the innovative power of dance. Standing still is just
not an option. Everyone is responsible for this: the cultural politicians,
the theatre directors, the media professionals, and,
of course, the dance professionals themselves, whose task it
is to inspire and convince time and again with their innovation
and vibrant creativity. And last but not least, we, the audience,
are also an important force in the future of dance theatre. If
we stay curious, I have no fears for the future of dance.
Cathérine Miville
Director of Stadttheater Gießen
4 5
I explained it
when I danced it
von Margot Fonteyn
TanzArt Motto 2016
Blick hinter die Kulissen
Ach, was war das für eine Vorstellung! Tänzerinnen und Tänzer
auf den Stühlen und Pulten des Stadtverordnetensitzungssaales
im Rathaus der Stadt Gießen. 2015 hatten wir diesen
Raum zur Site Specific der Auftaktveranstaltung für das Tanz-
Art-Festival ausgesucht. Doch einfach so kommt man da
nicht rein und überhaupt, warum soll denn ausgerechnet da
getanzt werden? Ja eben, gerade hier!
Beglückt über die Überlassung, übergaben wir den Saal dem
Choreografen Felix Duméril. Der bemaß Ausdehnung und Distanzen,
identifizierte die Tücken und die – womöglich – durch
das Sicherheitsteam des Stadttheaters nur bedingt zuzulassenden
Ecken, Höhen und Tiefen.
Gespannt wohne ich einer der ersten Proben bei. Felix an
Laptop und Tonpult. Kameras sind angeschlossen. Musik.
Die Tänzer:innen in verharrter Position der vorherigen Szene.
Plötzlich hebt ein Toben an. In atemberaubendem Tempo begegnen
sich die Tänzer:innen, mal auf, mal unter den Tischen,
auf dem Sitz des Stadtverordnetenvorstehers. Auf den Magistratsbänken
hüpft, rollt, räkelt sich das Team der Tanzcompagnie
Gießen. Was wird das? Eine Persiflage auf die Rituale
einer Versammlung der Stadtverordneten?
Nein. Es steckt viel mehr darin. Nach drei Wochen Probeneinblicken
– mein Büro liegt ganz in der Nähe – nehme ich
zur Premiere erneut Platz auf der Zuschauerbank und erlebe:
Einen getanzten Sturm der politischen Ideengeschichte, ihrer
„Irrungen und Wirrungen“, ihrer Konzepte und Verwerfungen.
Weit mehr als eine Persiflage, weit mehr als ein satirischer
Kommentar. Hier wird die Frage nach den Utopien und den
Desastern politischer Rationalität gestellt. Nach Fortschritt
und Geschichte, nach Macht und Ohnmacht. Hier. Eben.
Ungestümer Applaus. Ich bin begeistert. Und glücklich, erneut
eine Site Specific mit auf den Weg gebracht zu haben. Blumengrüße
und Küsschen an die Tänzerinnen und Tänzer. Und
an unseren Gastchoreografen. Ich freue mich schon auf die
kommende Site Specific.
Annette Eidmann
Kulturamt der Stadt Gießen
A Look behind the Scenes
What a show that was! Dancers on the chairs and desks of the
assembly room of Gießen city hall. In 2015 we had selected
that space for the Site Specific opening event of TanzArt-Festival.
But you can’t just get in there, and why should people
dance there? Right there, exactly!
Happy about the permission, we gave the space to choreographer
Felix Duméril. He measured dimensions and distances,
identified the snags and the corners, heights, and depths
which possibly could only be approved by the city theatre’s
safety team under certain conditions.
Excitedly I watch one of the first rehearsals. Felix at the laptop
and sound console. Cameras are connected. Music. The dancers
are frozen in a position of the last scene. Suddenly a riot
breaks loose. With breathtaking speed the dancers meet on
or under the desks, on the principal city counselor’s seat. The
TCG team hops, rolls and lounges on the seats of the magistrate
bench. What’s this going to be? A parody on the rituals of
a city council meeting?
No. There’s much more to it. After collecting impressions during
three weeks of rehearsals – my office is quite close – I take
a visitor’s seat on the day of the premiere. And I experience
a dance storm of the history of political ideas, their trials and
tribulations, their concepts and upheavals. Far more than
a parody, far more than a satirical comment. This poses the
question for utopia and the disasters of political rationality.
About progress and history, about power and impotence.
Here. Right.
Enormous applause. I am thrilled. And happy having helped to
put in place another Site Specific.
Flowers and kisses for the dancers. And for our guest choreographer.
I’m looking forward to the next Site Specific.
Annette Eidmann
Cultural department of the City of Gießen
6 7
TanzArt ostwest –
seit den Anfängen 1997
Gründungs-Duo Mechtild Hobl-Friedrich
(MHF) und Tarek Assam (TA)
Ihr habt das Netzwerk TanzArt ostwest als Low-
Budget-Festival auf der Basis des gegenseitigen
Austauschs begründet. Wie kam es dazu?
MHF Das Ganze hat sich entwickelt. Es geht zurück auf die
gemeinsame Erfahrung von Tarek und mir, bereits in unserer
Zeit am Theater Pforzheim, dass es an den Theatern kein
Geld gab, um Gäste einzuladen, weder als Gastchoreograf:innen
für Workshops noch als (Teil-) Ensemble für eine Gala.
Das war damals noch nicht üblich. Eine weitere Erfahrung für
uns beide war, dass der Unterschied im Bühnentanz von Ostund
West-Europa groß war: im Osten durchgängig klassisches
Ballett russischer Prägung und die Tradition der Volkstänze,
im Westen viel zeitgenössischer Tanz und Tanztheater.
Das erfuhren wir, als wir Jobs in ostdeutschen Städten/
Theatern übernahmen. Ich war seit 1994 Kulturamtsleiterin
in Eisenhüttenstadt, das liegt direkt an der Oder, am gegenüberliegenden
Ufer ist Polen. Ich wollte zwei traditionelle
Tanzgruppen aus der DDR-Zeit organisatorisch zusammenbringen
und habe Tarek gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen.
TA Was ich auch getan habe. Das war eine sehr spannende
Zeit. Ich habe Workshops gegeben, bin zum ersten Mal Trabi
gefahren. (lacht) Wir wussten nicht, was hinter dem Eisernen
Vorhang war. Es gab keinerlei Austausch zwischen Ost- und
West-Ensembles. Der Hunger war groß, Neues kennenzulernen.
Mechtild und ich reisten nach Bytom/Polen, wo es ein
erstes modernes Tanztheater gab, und nach Varna/Bulgarien,
das eine hervorragende kulturelle Infrastruktur hat. Generell
war in Osteuropa die Kultur damals von staatlicher Seite sehr
gut gestellt, oft besser als die im Westen. Leider hat sich das
im Laufe der Jahre gedreht, in einigen osteuropäischen Staaten
sind die Kulturetats fast komplett gestrichen worden.
MHF … und aus diesen Kontakten haben wir das erste kleine
Festival, besser eine Gala, 1997 in Quedlinburg gemacht.
Denn mittlerweile war Tarek Ballettdirektor am Nordharzer
Städtebundtheater geworden, bei dem die drei Theater Halberstadt,
Quedlinburg und Ballenstedt fusionierten.
Wie ging es weiter?
TA Mechtild war mittlerweile Theaterleiterin in Herford.
Dort haben wir 1998 unsere Idee des Low-Budget-Festivals
auf der Basis des gegenseitigen Austauschs zum ersten Mal
einem Kreis von etwa 10 Ballettdirektor:innen vorgestellt. Bis
auf einen haben alle in den kommenden Jahren mitgemacht.
Die meisten sind mittlerweile in anderen Positionen, leider
verstorben oder in Pension. Wir sind die einzig verbliebenen
Aktiven aus der Anfangszeit.
MHF Die Bezeichnung TanzArt ostwest-Festival wurde erst
später geboren, es gab irgendwann ein gemeinsames Logo.
Das Festival ist nicht überall gewachsen, das hing auch von
der Unterstützung durch die Theaterleitungen und städtischen
Kulturämter ab. An meinem nächsten Lebensort Itzehoe
etwa, da hat es nicht geklappt. Dort war meine Arbeit als
TanzArt ostwest – since
the Beginnings in 1997
Two founders Mechtild Hobl-Friedrich
(MHF) and Tarek Assam (TA).
You founded the TanzArt ostwest network
on the basis of mutual exchange.
How did that come about?
MHF The whole thing developed. It’s going back to Tarek’s
and my common experience, already during our time at the
Pforzheim theatre, that the theatres had no money to invite
guests – neither as guest choreographers for workshops nor
as a (partial) ensemble for a gala. It just wasn’t common back
then. Another experience for both of us was, that the difference
between stage dance in Eastern and Western Europe was
so big: they did classical Russian ballet throughout the east
plus the traditional folk dances and in the west there was a lot
of contemporary dance and dance theatre.
We learned that, when we took jobs in east German cities and
theatres. I had been head of the cultural office in Eisenhüttenstadt,
that’s directly on the Oder river, on the opposite
shore there’s Poland. I wanted to bring together two traditional
dance groups from the times of the GDR and asked Tarek
to do the job.
TA Which I did. It was a very exciting time. I taught workshops,
drove a “Trabi” for the first time (laughs). We didn’t
know what was behind the Iron Curtain. There was no exchange
between eastern and western ensembles. There was
a big hunger to discover new things. Mechtild and I went to
Bytom, Poland where they had a first modern dance theatre
and to Varna, Bulgaria, which had an excellent cultural infrastructure.
Generally speaking, culture was very well taken care
of by the states in Eastern Europe, often much better than in
the West. Unfortunately that changed during the last years,
in some Eastern European countries the cultural funds have
been cancelled almost completely.
MHF … and we turned these contacts into the first small festival,
rather a gala in 1997 in Quedlinburg. Because in the meantime
Tarek had become ballet director at the Nordharzer
Städtebundtheater, into which the three theatres of Halberstadt,
Quedlinburg und Ballenstedt were merged.
How did it go on?
TA Mechtild in the meantime had become artistic director
in Herford. There we introduced our idea of a low budget festival
based on mutual exchange to a circle of about ten ballet
directors in 1998. Except one they all joined in the coming years.
Most of them have moved into other positions, have deceased
or retired. We are the only ones left from the beginning
of that time.
MHF The term TanzArt ostwest festival was only born later,
at some time there was a common logo. The festival didn’t
Theaterdirektorin sehr raumgreifend. Aber ich habe ein anderes
Format gefunden, eine Kulturnacht für alle Kunstgenres.
Der Auftritt der Tanzcompagnie Gießen in der gotischen Kirche
von Itzehoe war immer der krönende Abschluss um Mitternacht.
TA In Gießen hatte ich das Glück, von Cathérine Miville,
der Intendantin, unterstützt zu werden. Die erste Spielzeit
2002/03 bedeutete ein heftiges Arbeitspensum für uns, da
meine Assistentin Susan McDonald und ich ständig zwischen
Halberstadt und Gießen pendelten. Aber schon in dieser
Spielzeit organisierten wir eine erste Gala und nutzten die
TiL-Studiobühne für die Präsentation des Tanz-Nachwuchses.
Wir wollten mehr, vor allem andere Bühnen in der Stadt bespielen.
Daher fragte ich beim Kulturamt um Unterstützung
an. Der damalige Kulturdezernent Dr. Reinhard Kaufmann
setzte sich dafür ein, und so wurde eine erste finanzielle und
organisatorische Förderung ins Leben gerufen, die letztlich
die Site Specifics ermöglichte. Die erste war im Europaviertel,
im Keller des TIG (Technologie und Innovationszentrum Gießen).
Auch wenn die Finanzierung jedes Jahr neu beantragt
werden muss, es wurde zu einem wichtigen Standbein des
Festivals in Gießen. Die Orte und Choreografien bleiben auch
auswärtigen Gästen in lebhafter Erinnerung.
grow everywhere. That also depended on the theatre directors’
and the support by the local cultural offices. At my next
place of residence in Itzehoe for instance it didn’t work. My
work as an artistic director was very space demanding, but I
found a different format, a night of culture for all artistic genres.
The performances of the Tanzcompagnie Gießen in the
gothic church of Itzehoe were always the brilliant finale at
midnight.
TA I was lucky that Gießen’s artistic director Cathérine Miville
supported me. The first season 2002/03 meant a massive
workload for us, since my assistant Susan McDonald and I had
to permanently commute between Halberstadt and Gießen.
Already in this season we organized a first gala and used the
TiL stage for a presentation of the dance trainees.
We wanted more, above all to play on more stages in the city.
So I asked the cultural office for support. The head of cultural
affairs at the time, Dr. Reinhard Kaufmann, stood up for this
and so an initial financial and organizational support was established,
which finally made Site Specifics possible. The first
one happened in the Europaquartier in the basement of TIG
(Technologie- und Innovationszentrum Gießen). Even if the
financial support has to be applied for again every year it became
an important standing leg of the festival in Gießen. The
locations and choreographies created vivid memories with
our guests from out of town, too.
2018 „Musique à Genoux“
(Alte Kupferschmiede)
Mechtild Hobl-Friedrich
und Michael d’Ambrosio
©rkw
8 9
Was ist deine Aufgabe als Gesamtleiter
des TanzArt-Verbunds?
TA Die Aufgabe besteht im Organisieren, im Vermitteln, das
was man Netzwerken nennt. Damit sind keine finanziellen
Mittel verbunden. Das Einzige, was wir übergreifend nutzen ist
das Logo und die Webseite, also die corporate identity.
Und der 2015 gegründete TanzArt-Verein spielt
welche Rolle?
TA Im Laufe der Jahre kamen immer neue Ideen hinzu,
neue Mittel mussten eingeworben werden. Damit klar ist, es
geht nicht um persönlichen Profit, sondern um Förderung
des Tanzes gründeten wir den Verein, das wurde uns auch aus
ministerieller Sicht empfohlen. Die Gelder dürfen nur der Satzung
entsprechend und zweckgebunden ausgegeben werden.
Ihr habt begonnen mit dem Ziel, an den Theatern
eine interessante, vielgestaltige Gala mit Tanzensembles
von Stadt- und Staatstheatern zu zeigen.
Schon bald hat die freie Tanzszene das Festival
entdeckt und als Plattform genutzt. Wie kam es
dazu?
TA Auch hier gilt: Es entwickelte sich. Damals herrschten
noch große Vorbehalte der Profi-Theater hinsichtlich Qualität
und Verlässlichkeit der freien Gruppen. Die hatten oft keine
eigenen Räume, trafen sich oft nur kurz und projektorientiert.
Es gab wenig feste Ansprechpartner, was die Planung erschwerte.
Wir hatten auch in Gießen einmal das Problem, das
alle vier Gruppen für eine Vorstellung kurzfristig absagten. So
kann man auf Dauer natürlich kein Festival organisieren. Aber
das änderte sich allmählich und es gab natürlich auch andere,
wie Irene Kalbusch aus Eupen.
Eine befreundete Choreografin, die viel zu früh gestorbene
Nancy Seitz-McIntyre, trat mit ihrer Gruppe in den Mainzer
Kammerspielen auf. Sie hatte eine Art Zwitterposition zwischen
freier Szene und Compagnie mit fester Spielstätte, was
damals noch ganz ungewöhnlich war. Ich hatte mit ihr 2003
ein Stück für die Studiobühne geschaffen („Seiltänzer“), danach
war klar, dass sie auch zum Festival kommt.
Der nächste war Darrel Toulon aus Graz/Österreich. Ihm bot
das Festival die Möglichkeit, experimentelle spartenübergreifende
Arbeiten zu präsentieren, die außerhalb der konservativen
Zwänge und Einschränkungen der Oper Graz entstanden.
2006 gründeten Darrel Toulon als künstlerischer Leiter
und Herwig Baumgartner als Videokünstler die unabhängig
finanzierte „The Alpha Group“. Das bot die Gelegenheit, ausgewählte
internationale Künstler einzuladen und mit einigen
Tänzer:innen der Kompanie während ihrer Freistellung zu
arbeiten. Für Darrel Toulon war dies ein notwendiges Outlet
für kreative Freiheit und ein Laboratorium für das Schaffen
jenseits seiner üblichen Möglichkeiten. “The Alpha Group“ war
außerdem die erste, die auf dem Festival komplexe Hybridstücke
aus Video, Kamera und Tanz präsentierte. Und gehörten
zu denen, die baten, ein komplettes Programm zeigen zu
können, wenn sie als Gruppe von so weither anreisten. Es gibt
sie übrigens heute noch.
Gibt es ein TanzArt ostwest-Festival von vergleichbarer
Größe und Internationalität in anderen
(Bundes-)Ländern? Das macht ja auch viel Arbeit,
immer im Austausch zu bleiben.
TA Wohl nicht. Der Kontakt zu Ana Baer und Kim Olson in
den USA ist zum Beispiel eingeschlafen. Ana Baer war zuletzt
2009 hier, mit dem John-Cage-Projekt im neuen Rathaus.
Wir wollten es noch mal versuchen, aber dann kam Trump, da
What is your job as the general director
of the TanzArt network?
TA The job consists of organizing, mediating, what you call
networking. No funds come into play with that. The only thing
we use across all levels are the logo and the website, hence
the corporate identity.
And what role does the TanzArt association play,
founded in 2015?
TA Through the years more and more ideas were added,
new funds had to be raised. To make this clear: It’s not about
personal profit. We founded the association for support, the
ministry recommended that. The funds may only be spent in
accordance with the Articles of Association and for a specific
purpose.
You started out with the aim to show the theatres
an interesting diverse gala with dance ensembles
of city and state theatres. Soon the free dance
scene discovered the festival and used it as a platform.
How did that come about?
TA The same applies here: Everything developed. At that
time there were still great reservations among professional
theaters about the quality and reliability of the free groups.
They often didn’t have their own rooms, met only for short
periods of time and based on projects. There were few steady
contacts which made organizing harder. Once we had the
problem in Gießen too, that all four groups slated for a performance
cancelled. Naturally you cannot organize a festival
that way in the long run. But that changed slowly and of course
there were others like Irene Kalbusch from Eupen.
A choreographer I was close with, Nancy Seitz-McIntyre, who
died far too early, performed at the Mainzer Kammerspiele.
She had a kind of two-way position between the free scene
and a company with a regular venue, which was quite unusual
at the time. I had created with her in 2003 a piece for the
studio stage (“Seiltänzer”), and after that it was clear that she
would also join the festival.
Next was Darrel Toulon from Graz, Austria. The festival offered
him the chance to present experimental works covering
several disciplines that emerged outside of the conservative
pressures and restraints of the Graz opera. In 2006 Darrel
Toulon as the artistic director and Herwig Baumgartner as a
video artist founded the independently funded “The Alpha
Group”. That presented the opportunity to invite selected
international artists and have them cooperate with dancers
of the company during their release. For Toulon this was a
necessary outlet for creative freedom and a laboratory to
create things beyond his usual opportunities. Besides that
“The Alpha Group” was the first one to present at the festival
complex hybrid pieces from video, camera and dance. And
belonged to those who asked to present a complete program
if they arrived as a group from so far away. By the way, they still
exist today.
Is there a TanzArt ostwest festival of comparable
size and international nature in other places? It is
definitely a lot of work to permanently continue
this exchange of ideas.
TA There rather isn’t. For instance the contact with Ana
Baer and Kim Olson in the USA has gone to sleep. Ana Baer
was here last in 2009 with the John Cage project in the city
ging nichts mehr. In Osteuropa gibt es, wie gesagt, kaum noch
Gelder für Theateraustausch /Tanzaustausch. Dafür ist der
Austausch noch weiter Richtung Osten, nach China immens
gewachsen. Und ich habe 2018 in Shenzhen das erste Dance
Festival mit TanzArt-Partnern organisiert. Wobei Kuratierung
auch hier bedeutete, die technischen Grundlagen eines Auftritts
abzufragen. Inhaltlich sind die Ensemble-Leiter frei, das
zu zeigen, was ihnen in dem Moment künstlerisch wichtig ist.
Was hat sich beim Festival verändert
im Laufe von 25 Jahren?
MHF Es ist vielfältiger, länger, größer und wohl auch prominenter
geworden. Es hat auch einen pädagogischen Effekt
entwickelt, dadurch dass Choreografie-Neulinge oder Wettbewerbssieger:innen
hier auftreten (dürfen). Das gibt Selbstvertrauen,
löst einen großen Schub aus in den Heimatorten
und gibt allen im Netzwerk neue kreative Impulse.
TA Die freie Szene hat sich stark professionalisiert. Das
Festival hat seinen Nischencharakter abgelegt und hohen
Bekanntheitsgrad erlangt. Auch innerhalb der Tanzszene
dank der jährlich produzierten, mittlerweile sehr begehrten
T-Shirts mit ihren wechselnden Aufdrucken; eine Anfangsidee
von Sue McDonald. Am Theater selbst ist das TanzArt-Festival
zunehmend als Aushängeschild erkannt worden. Wir haben
mittlerweile auch Landesmittel (dabei), etwa im Austausch
mit Shenzhen, und indirekt auch Bundesmittel, als wir die Abschlussveranstaltung
des IGS-Press yourself-Projekts mit der
Busecker Gesamtschule in das Festival integrierten.
Wie seht Ihr die Zukunft für das TanzArt-Festival?
TA Grundsätzlich bin ich überrascht und dankbar, dass es
überhaupt so lange und erfolgreich gelaufen ist. Wir bleiben
dran, auch im zweiten Corona-Pandemie-Jahr. Sei es in Corona
bedingter distanzierter Form, als Outdoor-Veranstaltung
oder in Teilen als Streaming. Kunst braucht den Mut neue
Wege zu denken – nur dann entsteht Kreativität. Wir machen
weiter.
Das Gespräch führte Dagmar Klein,
per Zoom Ende Februar 2021
hall. We wanted to try again but then Trump came and nothing
worked any more. And there’s hardly any money in Eastern
Europe anymore for theatre exchange or dance exchange. Instead
the exchange with China, a country much further east,
grew immensely. And in 2018 in Shenzhen I organized the first
dance festival with TanzArt partners. Where curating also meant
to test the technical basis of a performance. The ensemble
leaders are free to show what is important to them in that
moment.
What changed with the festival in the course
of 25 years?
MHF It became more diverse, longer, bigger and probably
more prominent. It also developed a pedagogical effect
in that new choreographers or contest-winners can appear
here. That provides confidence, causes a big push in the home-towns
and gives everybody on the network new creative
impulses.
TA The free scene has professionalized a lot. The festival
lost its niche character and gained high publicity. That’s also
within the dance scene because of the annual issue of the
very popular T-shirts with their changing logos; an original idea
of Susan McDonald. At the theatre itself the TanzArt festival
gained growing recognition as a showpiece. In the meantime
we even use state funds for instance for the exchange with
Shenzhen. And indirectly we used federal funds when we integrated
the final event of the “IGS-Press-yourself-project” of
a comprehensive school in Buseck into the festival.
How do you feel about the future of the TanzArt
festival?
TA In principle I’m surprised and grateful that it ran for so
long and so successfully at all. We’ll stay with it even in the second
year of the Corona pandemic. Be it in a distanced format
during Corona, as an outdoor event or partly as a streaming
event. Art needs the courage to think in new ways – only
then there will be creativity. We’re moving on.
Existence is
Movement
The Interview was conducted by Dagmar Klein,
end of February 2021 via Zoom
von Rudolf von Laban
TanzArt Motto 2019
10 11
2011 “Chaos Algorythm” Probe (v.l.) Tarek Assam,
Magdalena Stoyanova, Leszek Stanek
©rkw
TanzArt ostwest –
in Gießen seit 2003
Tarek, du kamst zur Spielzeit 2002/03 ans Stadttheater
Gießen. Dein erstes Jahr war noch vom
Hin- und Herpendeln zwischen deinem alten
Arbeitsplatz in Halberstadt und dem neuen in Gießen
geprägt. Schon in deiner zweiten Spielzeit hast
du das Festival auch nach Gießen gebracht. Was
erinnerst du aus der Anfangszeit? Welche Schwierigkeiten
oder positiven Erfahrungen gab es?
Tarek Assam (TA) Zunächst möchte ich sagen, dass
es ein großer Vertrauensbeweis des Intendanten in Halberstadt
und der Intendantin in Gießen war, dass ich ein Jahr lang
gleichzeitig an beiden Häusern die Sparte Tanz führen durfte.
Es gab anfangs in Gießen noch keinen Spielplan-Slot für ein
Festival, also keinen festen Ort in der Jahres-Planung. Wir haben
die Termine variabel gestaltet und die Gala in den ersten
Jahren vormittags veranstaltet. Die Orientierung in Richtung
Sommer war deshalb, weil es zum Ende der Spielzeit weniger
Premieren gibt und alle Theater solche Gastspiele besser planen
können. Pfingsten wurde fast beiläufig zum Fixtermin. Der
damalige Disponent meinte, da bräuchte man nichts zu planen,
da käme in Gießen eh niemand ins Theater. Also standen
die Tage fortan für uns zur Verfügung.
Das TiL als Spielstätte für kleinere Formate konnten wir bald
mitnutzen, das war zwar weniger professionell als das taT heute,
aber sehr gemütlich. Ich erinnere an die Techniker, die den
Umbau vor den Augen des Publikums machten und immer
mit Applaus bedacht wurden. Und was haben wir da alle geschwitzt
unter dem Dach des einstigen Werkstattgebäudes,
das sich den ganzen Tag aufgeheizt hatte. In jeder Pause wurden
die Türen aufgerissen, damit etwas frische Luft hereinkam.
TanzArt ostwest –
in Gießen since 2003
You came to the Stadttheater Gießen in the
2002/03 season. Your first year was determined
by commuting between your old place of work in
Halberstadt and the new one in Gießen. You also
brought the festival to Gießen in your second
season already. What do you remember about the
early stages? What were the problems or positive
aspects?
Tarek Assam (TA) First I would like to say, that it was a
huge sign of confidence by the artistic director in Halberstadt
and in Gießen, that they let me lead the dance departments in
both houses. In the beginning there was no definitive slot for a
festival in the annual theatre schedule in Gießen. We set variable
dates and for the first years the gala took place on Sunday
morning. Our focus on summer was important as there
are fewer premieres towards the end of the season and all
theatres can take these guest appearances more easily. Pentecost
became a fixed date almost incidentally. The schedula
at the time told me, we didn’t have to plan anything on Pentecost,
because people in Gießen wouldn’t come to the theatre
anyway. So we took these days at our disposal. We could
soon also use the TiL as a venue for smaller formats. That was
less professional like the taT today, but very comfortable. I
remember the technicians, who did the set changes in front
of the audience and always got an applause. How we sweated
under the roof of that former workshop building that had
heated up all through the day. The doors were yanked open at
Warum war/ist es dir so wichtig, das Austauschfestival
zu präsentieren? Das benötigt doch sehr
viel Energie, Zeit und Arbeit.
TA Das hat mit der Erfahrung aus meiner Zeit als Tänzer zu
tun. Ich war sehr neugierig auf das, was andere Compagnien
machten. Es gab noch nicht so viele neue Impulse die man
ansehen konnte. Und Austausch sowieso nicht. Ich bin oft von
Wiesbaden nach Frankfurt gefahren, um z.B. Rui Horta mit
seiner S.O.A.P.-Gruppe im Mousonturm zu sehen oder William
Forsythe in der Oper Frankfurt. Das war absolut neu, was die
machten, das hat mich fasziniert. Und diese Haltung habe ich
als Ballettdirektor beibehalten. Ich wollte und will allen Beteiligten
den Austausch, das gegenseitige Kennenlernen ermöglichen.
Das befruchtet unsere Kreativität gegenseitig.
Welche Rolle spielt(e) die Tatsache, dass Gießen
als Mittelstadt recht überschaubar ist, aber eine
traditionsreiche Universität und eine Technische
Hochschule hat? Tatsächlich gibt es hier ja die
höchste Studierendendichte Deutschlands.
TA Für Intendantin Cathérine Miville und mich war es von
Anfang an klar, dass wir in Gießen, das in der Nähe des großen
Ballungszentrums Rhein-Main mit seinen diversen Theatern
liegt, ein eigenes Profil entwickeln mussten. Das galt genauso
für die Tanzcompagnie und das TanzArt-Festival. Natürlich
war die Universität immer Ansprechpartnerin, aber es galt Vorbehalte
vor allem bei der Angewandten Theaterwissenschaft
zu durchbrechen. Mirko Hecktor war im Übrigen der erste, der
auf uns zugekommen ist, er suchte Profi-Tänzer:innen für sein
Filmprojekt. Daraus ist dann eine mehrfache, produktive Zusammenarbeit
geworden. Und mit der THM haben wir kooperiert
als die Shenzhen-Gruppe zu Gast war.
Außerdem war uns wichtig, die regionale Präsenz des Theaters
auszubauen, was wir beim TanzArt-Festival über die Site
Specifics erfolgreich umsetzen konnten.
In der Spielzeit 2022/23 gibt es eine neue Intendanz.
Lässt sich schon was zur Zukunft des Festivals
in Gießen sagen?
TA Nein, noch nicht. Derzeit müssen wir alle zunächst mal
den Corona-Lockdown überwinden.
Das Gespräch führte Dagmar Klein.
every intermission to let a little fresh air come in.
Why was/is it so important to you to present the
exchange festival? That takes a lot of energy, time
and work.
TA It has to do with my experience during my time as a dancer.
I was very curious about what other companies were doing.
There weren’t so many new impulses you could watch. Let
alone an exchange. I often used to drive from Wiesbaden to
Frankfurt, for instance to see Rui Horta with his S.O.A.P. group
in the Mousonturm or William Forsythe in the Frankfurt opera.
What they did was absolutely new, it fascinated me. And I kept
this attitude as a ballet director. I wanted to give everybody
the chance for exchange, for meeting. That mutually stimulates
our creativity.
How important was the fact that Gießen as a
mid-sized city is pretty transparent, but has a
university with a rich tradition and a technical university?
As a matter of fact, we have the highest
density of students in Germany.
TA For artistic director Cathérine Miville and me it was clear
from the beginning, that we had to develop an individual profile
in Gießen, close to the big Rhein-Main metropolitan area
with its many theatres. The same applied to the Tanzcompagnie
and the TanzArt-festival. Naturally, the university always
was a contact, but there was prejudice to be overcome, mainly
with the Applied Theatre Science. By the way, Mirko Hecktor
was the first one, who approached us. He was looking for
professional dancers for his film project. This turned into a
multiple productive cooperation. And we cooperated with
THM when the Shenzhen group was with us. Besides that it
was important to us to build up the theatre’s regional presence
which we could achieve with the TanzArt-Festival using the
Site Specifics.
In the 2022/23 season there will be a new artistic
director at Stadttheater Gießen. Can you say anything
now about the festival’s future?
TA No, not yet. Presently we all have to overcome the Corona
lockdown first.
TanzArt ostwest T-Shirts 2006-2019
© Sue McDonald
The Interview was conducted by Dagmar Klein.
12 13
Susan McDonald
Mit Freude habe ich über die Jahre die Entwicklung des Tanz-
Art-Festivals von nah und fern miterleben können! Ich kann
sagen, dass ich seit Tag eins dabei war! Das Konzept vom
Ideenaustausch mit Künstler:innen aus aller Welt hatte seinen
Ursprung noch vor Tarek Assams Zeit in Gießen.
Ich war schon vorher am Theater Halberstadt, bevor Tarek Assam
1995 dort begann. Es herrschte immer noch Aufbruchstimmung
nach dem Mauerfall. Und die Unterschiede zwischen
Ost und West waren in allen Bereichen noch deutlich
erkennbar. Tarek und Mechtild Hobl-Friedrich hatten die Idee
der Verbindung zwischen Deutschland und Europa.
Nachdem das Theater in Quedlinburg renoviert war, haben wir
dort 1997 eine erste Tanz-Gala organisiert und alle Freunde
aus Deutschland dazu eingeladen. Das war der Anfang! Das
Publikum bleibt daheim im vertrauten Theater und kann Gäste
aus aller Welt empfangen. Das ist das Besondere daran. Bis
heute!
Beim ersten Festival in Gießen 2003 kamen die Gäste aus
Poznan und Tarek hat dort „The Wall“ mit der Tanzcompagnie
Gießen gezeigt. Ich habe zwei Sommer lang Workshops in
Poznan gegeben. Dann wurde das Festival immer größer. Die
erste Bühne außerhalb des Theaters war der Keller im TIG, wo
Choreograf José Alves eine Wohnungseinrichtung installierte,
für die wir Tänzer:innen einen Lieblingsraum benannten. So
kam es, dass ich in einer Badewanne tanzte. Mit ein bisschen
Wasser drin.
Zu den Anfangsideen gehörte auch das T-Shirt mit dem Tanz-
Art-Aufdruck. Beim ersten Mal war meine Mutter zu Besuch
und wurde gleich mit einer Aufgabe betraut: sie bügelte die
Folien auf 100 gespendete T-Shirts auf. Das T-Shirt-Tragen
stärkte den Zusammenhalt und machte das Festival bekannt.
Ich habe hier in Braunschweig mehrere Auditions erlebt, bei
denen Tänzer mit einem TanzArt-T-Shirt aus Gießen auftraten.
Das war ein gutes Gefühl! Ich habe sie alle gesammelt,
auch nach meinem Weggang 2010.
Dieses Festival bietet eine Plattform für junge Tanzkünstler:innen,
die sich häufig nur in der freien Szene zeigen können oder
in ihrem heimischen Theater. Es ermöglicht Begegnungen von
Künstler:innen aus verschiedenen Kulturen, aber immer mit
dem gemeinsamen Ziel, zeitgenössischen Tanz aus heutiger
Sicht zu zeigen.
Dieses Festival ist in der Tanzwelt weit über die Grenzen von
Gießen hinaus bekannt. Gießen kann stolz darauf sein!
2005 „Blanche“ (TIG)
©dkl
Susan McDonald
I enjoyed following the development of the TanzArt ostwest-Festival
through the years from near and far! I can say
I was with it from day one! The concept of exchanging ideas
with artists from all over the world had its origin even before
Tarek Assam’s time in Gießen.
I had been at the Halberstadt theatre before Tarek Assam
started there in 1995. There was still a spirit of optimism after
the fall of the Berlin Wall. And you could see the differences
between East and West in every aspect. Tarek and Mechtild
Hobl-Friedrich had the idea of connecting Germany and Europe.
After the Quedlinburg theatre had been renovated, we organized
the first dance gala there and invited all our friends
from Germany. That was the beginning! The audience stays at
home in its familiar theatre and can welcome guests from all
over the world. That is the special thing about it. Even today!
At the first festival in Gießen 2003 the guests from Poznan
arrived here and Tarek showed “The Wall” with TCG there. I
taught workshops for two weeks in summer in Poznan. Then
the festival became bigger and bigger. The first stage outside
the theatre was the basement in the TIG, where choreographer
José Alves installed home furnishings in which the dancers
named a favorite room. And so I danced in a bathtub.
With a little water in it.
One of the original ideas was the T-shirt with the TanzArt logo.
At the first time my mother had come to visit me and got a
job right away: she ironed the foils onto 100 donated T-shirts.
Wearing the T-shirts strengthened solidarity and promoted
the festival. I saw several auditions here in Braunschweig, where
dancers performed wearing a TanzArt T-shirt from Gießen.
That was a good feeling! I collected all of them, even after I left
in 2010.
This festival provides a platform for young dance artists who
often can only appear on a free scene stage or in their home
theatre. It allows encounters between artists from different
cultures but always with a common goal: to show contemporary
dance from today’s perspective.
This dance festival is known in the dance world far beyond the
borders of the city of Gießen. Gießen can be proud of it!
2007 „Lichtspieltänze“
©syg
2012 „Macbeth“
©rkw
Magdalena Stoyanova
Meine kleine Geschichte beginnt in 2001. In diesem Jahr kam
ich als Tänzerin zu Tarek Assams Compagnie am Nordharzer
Städtebund-Theater. Das öffnete mir nicht nur die Tür zum
deutschen Theater, sondern auch zur Erfahrung des Tanz-
Art-Festivals.
Im selben Jahr stellte uns Tarek seine neue Idee eines Tanz-
Art-Netzwerks vor, und wir hatten großes Glück, die erste
Tanzgala in Halberstadt zu eröffnen. Niemand dachte in
diesem Moment, dass das erst der Anfang dieses herrlichen
„Tanzmarathons“ war, wie ich ihn nenne. Und dass ich die Ehre
haben würde, Teil davon zu sein und bis heute gemeinsam mit
dem Festival zu wachsen, als Tänzerin, als Choreografin, Assistentin
einiger Site Specific-Stücke und als Zuschauerin.
Seit 2002/03 sind wir in Gießen zu Hause, wo Tarek Assam Unterstützung
fand und mit seinem „Baby“ weitermachen konnte.
Er hatte Erfolg damit, das TanzArt-Festival größer, reichhaltiger
und viele Tage länger zu machen und die große Gala als
Höhepunkt zu erhalten.
Die Bedeutung des Festivals für Tänzer:innen, Künstler:innen
und Besucher:innen ist enorm. Sich treffen, sich austauschen,
Dinge erforschen, einander respektieren und auf eine kulturell
sehr vielfältige Art zu lernen – und dies mit derart vielen Informationen
-, das bekommt man nicht oft im täglichen Leben
und in der Arbeit. Videotrailer zu schauen und soziale Medien
kann man nicht damit vergleichen, lebendig in der Mitte von
allem zu sein.
Nach so vielen Jahren, Stücken und Leuten ist es schwer, ein
oder zwei besondere Momente herauszupicken. Das Festival
hatte in jedem Jahr seine Höhepunkte für mich. Tarek brachte
es fertig, dieses Festival zu einem Zuhause für viele Choreograf:innen,
Partner:innen und Exkolleg:innen zu machen. Sie
treffen sich jedes Jahr und haben das Glück, ihre neuesten
künstlerischen Entwicklungen zu teilen. Mit Respekt zuschauen
und mit Freude tanzen, aber definitiv nicht zu wetteifern.
Das ist genau, was es für mich besonders macht.
Die Idee des Site Specific bringt eine neue Ebene in das Festival,
über die Gießen aus und an vielen verschiedenen Ecken,
Perspektiven und Orten gezeigt wird. Krankenhäuser, Waschstraßen,
Bahnhof, Parkdecks, Schlaflabore, Helikopter-Landeplätze
sind nur einige „der Orte“ in Gießen. Aber sie wurden in
einer Weise gezeigt, wie sie bis dahin noch nie jemand gesehen
hatte.
Diesen Koffer voller beruflicher Erfahrungen, Momente und
Leute trage ich mit großer Freude und einem Gefühl der Ehre.
Danke. Das ist meine kleine Reise mit TanzArt.
2017 „InPatients Suite“
©dkl
Magdalena Stoyanova
My little story begins in 2001. In that year I joined Tarek Assam’s
Compagnie at Nordharzer Städtebund-Theater as a
dancer. Not only did that open the door to the German theatre
for me but also to the TanzArt-Festival experience.
In the same year Tarek introduced to us his new idea of the
TanzArt-Network and we were more than lucky to open the
first Ballet Gala in Halberstadt. Nobody thought in that moment
that this was just the beginning of this beautiful „dance
marathon“, as I call it. And that I would have the honor to be
part of it and grow together with the festival until today as dancer,
choreographer, assistant of some Site Specific pieces
and as a spectator.
Since 2002/03 we are based in Gießen, where Tarek Assam
got the support and managed to continue with his „baby”.
He succeeded in making the TanzArt-Festival bigger, richer,
many days longer and keeping the big ballet gala as the highlight.
The importance of the festival for dancers, choreographers,
artists and visitors is huge. Meetings, exchanging, exploring,
respecting and learning in a very multicultural way and with
so many information, you don’t get often in your daily life and
work. Watching video-trailers and social media cannot be
compared to being lively in the middle of it all.
After so many years, pieces and people it’s hard to pick one
or two special moments. In each year the festival had its highlights
for me. Tarek managed to make his festival a home for
many choreographers, partners and ex-colleagues. They
meet every year and are lucky to share their latest artistic developments.
Looking with respect and dance with happiness,
but definitely not competing, that is exactly what makes it
special to me.
The idea of the Site Specific brings another level to the Festival,
showing Gießen from many different corners, perspectives
and sites. Hospitals, car wash, train station, parking lots,
sleeping laboratories, helicopter spaces are just some of “the
places” in Gießen but were shown in a way nobody until now
had seen.
This big bag full of professional experience, moments and
people is the bag I carry with great pleasure and honor.
Thanks. This is my little journey with TanzArt.
14 15
2016 „World Wi(l)de Walking“
©dkl
Beate Sokoll
Pfingsten und TanzArt ostwest – das war, zumindest vor Corona-Zeiten,
ein Synonym für mich. In der Erinnerung findet das
Festival immer an wunderbar sonnigen Tagen statt. Kann zwar
nicht stimmen, aber diese Erinnerung spiegelt die Freude wider,
die TanzArt ostwest stets bringt.
Kennen gelernt habe ich das Festival 2007 oder 2008. Tarek
Assam hatte in der Bonner Brotfabrik, wo ich zu der Zeit tätig
war, ein Stück gemeinsam mit Guido Markowitz erarbeitet. Tarek
lud mich dann zu seinem Festival ein, und direkt das erste
Mal, als ich dort war, schlug es mich in den Bann. Ich habe seither
kein Jahr ausgelassen. Die gelungene Melange aus Produktionen
freischaffender Künstler:innen und Compagnien und
die Arbeiten städtischer Compagnien bei der Gala zeigen die
Vielfalt und die Bandbreite des professionellen Bühnentanzes
auf eindrucksvolle Weise. Ebenso ist das Festival auch eine
Art „Familientreffen“ des Tanzes. Man trifft viele Menschen,
die man lange nicht gesehen hat, kann sich austauschen und
miteinander das Festival und die Atmosphäre genießen.
Es gibt so vieles Außergewöhnliches bei TanzArt ostwest,
zum Beispiel die Orte der Vorstellungen, die Tarek Assam immer
wieder zu entdecken weiß: den Sitzungssaal im Rathaus,
eine Tiefgarage, den Bahnhof, den Hubschrauberlandeplatz
der Johanniter, die alte Kupferschmiede, den verlassenen
Flügel eines Krankenhauses… Und immer bekommen diese
Orte eine ganz besondere Stimmung durch die Produktionen,
die extra für diese Stätten choreographiert werden.
TanzArt ostwest ist sehr besonders, die Kunst, die Atmosphäre,
die Hingabe an den Tanz, die immer zu spüren ist. Ich freue
mich auf viele weitere Jahre und gratuliere ganz herzlich zur
Volljährigkeit.
Beate Sokoll
Pentecost and TanzArt ostwest – that was a synonym for me,
at least before the times of Corona. In my memory the festival
always used to take place on wonderfully sunny days. That
can’t be right, but this memory reflects the joy that TanzArt
always brings you.
I got to know the festival in 2007 or 2008. Tarek Assam had
developed a play together with Guido Markowitz at the Bonn
Brotfabrik, where I used to work at the time. Tarek invited me
to his festival, and right the first time I was there it put a spell
on me. I did not skip a single year since then. This successful
blend of productions by free-lance artists and companies as
well as the works of municiple dance ensembles impressively
shows the diversity and the spectrum of professional stage
dance. At the same time, the festival is kind of a family meeting
of dance. You meet a lot of people you haven’t seen in a long
time, you get to compare notes and enjoy the festival and the
atmosphere together.
There is so much out of the ordinary with TanzArt ostwest, for
instance the show locations Tarek Assam keeps discovering
again and again: the assembly hall in city hall, an underground
garage, the railway station square, the Johanniter’s heliport,
the old copper forge, the deserted hospital wing… And these
places always receive a very special atmosphere by the productions
choreographed specifically for these locations. TanzArt
ostwest is very special, the art, the ambience, the devotion
to dance you can always feel. I’m looking forward to many
more years: my heartfelt congratulations to coming of age.
16 17
Darrel Toulon
Darrel Toulon
Von all den Jahren des TanzArt ostwest Festivals, in denen ich
teilgenommen habe, könnte jedes einzelne als Highlight gelten.
Es fühlt sich wie eine Heimkehr oder ein Familientreffen an,
wenn man nach einigen Jahren wieder auf die altbekannten
Kolleg:innen oder auch auf neue junge Gesichter trifft: Die
generationsübergreifende Tanzgemeinde versammelt sich
an diesem Wallfahrtsort, und unsere kollektive Energie verursacht
eine Veränderung der sonst unabänderlichen Sommersonnenwende.
Neue Stücke wurden exklusiv für die Gießener Bühnen entwickelt.
Es wurden Streifzüge in eine experimentelle Arena
unternommen, die es meinen Co-Kreativen und mir ermöglichten,
zu forschen und Risiken einzugehen, da wir wussten,
dass wir unter Gleichgesinnten waren, die ebenso neugierig
und bereit waren, durch den brennenden Reifen zu springen.
Arena, Reifen, Feuer, Reisewege und Inventar wurden alle perfekt
von Tarek und seinem Team koordiniert.
Herzlichen Glückwunsch zur Errichtung dieses Wahrzeichens
und zur Sicherung einer Festung, die stolz auf tausende von
Künstler:innen und Zuschauer:innen zurückblicken kann, deren
Füße vom Umkleideraum zum Aufführungsort gegangen
sind, deren Hände applaudiert haben und die vom TanzArt
ostwest-Festival berührt wurden.
2008 „Time Extensions/ Just
Thirty Minutes“
©mee
Of the series of TanzArt ostwest festivals at which I participated,
each one could count as a highlight.
Like at a homecoming or a family gathering I think of my old
colleagues I met again after several years, as well as the new
faces and young hopefuls who I met for the first time: The inter-generational
dance congregation assembled at that place
of pilgrimage, our collective energy causing an inflection of the
otherwise inevitable summer solstice.
There were new works made exclusively for the stages of Gießen.
There were forays into an experimental arena which allowed
my co-creators and myself freedom to explore and to
take chances, knowing that we were amongst peers equally
inquisitive and ready to leap through the hoops of fire.
Arena, hoops, fire, itinerary and inventory all perfectly coordinated
by Tarek and his team.
Congratulations for establishing this landmark, and securing a
stronghold that can proudly look back on thousands of artists
and spectators, whose feet have walked from dressing room
to the performance space and to auditorium, whose hands
have applauded, and who have been moved by the TanzArt
ostwest-Festival.
2011 “The Dance Kitchen”
©rkw
David Williams
Es war sehr aufregend, dass ich mein Stück „Physical Graffiti“
2007 bei TanzArt zeigte. Sechs Tänzer:innen und ich mieteten
einen Van und fuhren von Braunschweig nach Gießen. Es
war die letzte Spielzeit, in der wir in Braunschweig zusammenarbeiteten,
bevor wir uns in alle Winde zerstreuten. Ich habe
seither als freiberuflicher Choreograf gearbeitet. Die Fahrt und
der Auftritt in Gießen waren eine schöne Art, uns auf der Bühne
voneinander zu verabschieden.
Ich weiß nicht wie, aber wir haben uns dabei verfahren. Ich hatte
meine Tanzkarriere tatsächlich 1991 in Gießen begonnen,
sodass es für mich ein besonderer Moment war, das erste
Mal seit damals in die Stadt zurückzukommen. Ich zeigte den
Tänzer:innen, wo ich gewohnt hatte und erzählte ihnen von
den Schweinen neben dem Ballettstudio und den Fliegen im
Sommer.
Wir trafen Tarek und das Lichtteam besprach den Beleuchtungsplan.
Alles fühlte sich ganz offen und einladend an. Es
war eine Atmosphäre, an die ich mich erinnerte, als ich mit
einem anderen Choreografen bei unserem eigenen Tanzfestival
in unserer Heimatstadt Ingolstadt anfing. Das wir dann für
einige Jahre mit TanzArt ostwest verbanden. Wir zeigten ein
paar Vorstellungen von TanzArt bei unserem Festival und umgekehrt.
Einige Tanzfestivals fühlen sich eher wie Wettbewerbe
an, bei denen die Choreografen einander zu übertrumpfen
versuchen. In der Zeit, in der ich Arbeiten bei TanzArt zeigte,
hatte ich nie dieses Gefühl.
Es ist ein Festival, das unsere choreografischen Unterschiede
feiert und die einzigartige Weltsicht jedes Choreografen und
seine künstlerische Sichtweise zeigt. Es gab nie ein Gefühl der
Beurteilung der gezeigten Werke und diese Ausdrucksfreiheit
macht TanzArt für die Teilnehmenden zu einem ganz besonderen
Tanzfestival.
Ich erinnere mich, dass wir nach der Vorstellung 2007 mit den
Tänzer:innen zusammensaßen und alle sehr glücklich und erfreut
waren, dass wir unser Bestes gegeben hatten. Wir verabschiedeten
uns von Tarek und seinem Team und beschlossen,
dass auf dem Rückweg nach Braunschweig jemand anderes
die Karte lesen sollte.
Ich wünsche Tarek und TanzArt für die kommenden Jahre das
Allerbeste und danke für die Möglichkeiten am Festival teilzunehmen.
David Williams
It was very exciting to present my piece “Physical Graffiti”
2007 at TanzArt. Six Dancers and I rented a van and drove
from Braunschweig to Gießen. It was our last season working
together in Braunschweig before we would all go our different
ways. I have been working as a freelance choreographer since
then. The trip and performance in Gießen was a nice way for
us to say goodbye to each other on stage.
I don’t know how but we got lost on the way. I actually started
my dancing career in Gießen in 1991, so it was a special moment
for me to return to the city for the first time since then.
I showed the dancers where I had lived and told them about
the pigs next to the ballet studio and the flies in summer.
We met Tarek, and the lighting team discussed how the lighting
was going to be. It all felt very open and inviting. It was an
atmosphere that I remembered when I started our own dance
festival with another choreographer in our hometown of Ingolstadt,
which we then linked in with TanzArt for a couple
of years, presenting a few performances from TanzArt in our
festival and vice versa. Some dance festivals feel more like
competitions where choreographers are trying to outdo each
other. I never had that feeling when I was presenting work in
TanzArt.
It was a festival that celebrated our choreographic differences
and each choreographer’s unique view of the world and his artistic
vision. There was never a sense of judgement about the
works presented and that freedom of expression makes Tanz-
Art a very special dance festival to be part of.
After the performance in 2007 I remember sitting with the
dancers and all of us being very happy and pleased that we
had given our best. We said our goodbyes to Tarek and his
team and decided someone else should read the map on the
way back to Braunschweig.
I wish Tarek and Tanzart all the best for the coming years, and
thanks for the opportunities I had participating in the Festival.
18 19
Dieter Heitkamp
Das TanzArt ostwest-Festival ist ein wunderbares Beispiel für
erfolgreiche Netzwerkarbeit im Bereich des Zeitgenössischen
Tanzes und des Tanztheaters mit Fokus auf den Austausch
zwischen Tanzcompagnien aus Ost- und Westeuropa. Über
fast zwei Jahrzehnte ist es den Veranstaltern gelungen, das
weite Spektrum an zeitgenössischen choreografischen Praxen
und Entwicklungen an Theatern und Kultureinrichtungen
aufzuzeigen. Das ist spannend für das Publikum, dem sich
neue Perspektiven auf das aktuelle Tanzgeschehen eröffnen
und gleichzeitig wichtig für die Begegnung von Tänzer:innen
und Choreograf:innen. Dabei wurde auch Wert gelegt, die Bezüge
im Tanzschaffen zu anderen Kunstformen zu verdeutlichen.
Neue Tanzentwicklungen finden oft in den Grenzbereichen
zu anderen Sparten statt, sind im besten Sinne interdisziplinär.
Besonders erfreulich ist, dass von Beginn der Kontakt zu
Tanzausbildungsinstitutionen gesucht wurde und der tänzerische
Nachwuchs die Möglichkeit erhalten hat, sich in anderen
Kontexten zu präsentieren. 2004 und 2007 hatte die Tanzabteilung
der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
(HfMDK) Frankfurt am Main die Möglichkeit, mit anderen Ausbildungsinstitutionen
im Theater im Löbershof (TiL) am Tanz-
Art-Festival teilzunehmen. Durch die Zusammenarbeit in der
Hessischen Theaterakademie gab es bereits 2019 das Over-
Lab-Projekt und in 2021 gibt es hoffentlich die Gelegenheit,
den Tanz-Studierenden der HfMDK neue Räume zu eröffnen
und zwei Programme im öffentlichen Raum, einem Parkhaus,
zu zeigen.
2005 Flamenco-Stück
©mee
Dieter Heitkamp
The TanzArt ostwest-Festival is a wonderful example for successful
networking in the field of contemporary dance and
dance theatre, focusing on the exchange between dance
companies from Eastern and Western Europe. During almost
two decades the organizers managed to present the wide
spectrum of contemporary choreographic stiles and developments
in theatres and in cultural institutions. That’s exciting
for the audience which is introduced to new perspectives on
the present dance action and at the same time important for
the dancers and choreographers. One tried to clarify the relations
between dance creation and other art forms.
New developments in dance often take place in the areas
bordering other disciplines and are interdisciplinary in the
best sense of the word. It is especially gratifying that from
the beginning contact was sought with institutions educating
young dancers and the latter got the opportunity to present
themselves in different contexts. In 2004 and 2007 the dance
department of the Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst (HfMDK, University of Music and Performing Arts) Frankfurt
am Main had the opportunity with other institutions to
participate in the TanzArt-Festival in the Theater im Löbershof
(TiL). The cooperation with the Hessische Theaterakademie
(Hesse Theatre Academy) resulted in the OverLab project
in 2019 and the opportunity in 2021 to offer new rooms to
the students of HfMDK and show two programs in the public
space, a parking garage – hopefully.
2011 „Freiwillige Selbstkontrolle“
©mee
Guido Markowitz
Unglaublich und SEHR GUT!, dass die TanzArt ostwest bereits
ihre 17. Ausgabe feiern konnte. Es berührt mich sehr zu sehen,
dass alle in Gießen dieses Festival seit so vielen Jahren immer
wieder erblühen lassen - allen voran mein Freund Tarek Assam,
die Stadt Gießen, die vielen Künstler:innen und weitere
Akteure. Den Effekt dieses wichtigen, weit in die Welt des Tanzes
strahlenden Festivals, das für mich ein großer Vorreiter in
Sachen Öffnung der Theater nach Außen war und ist, habe ich
auch persönlich an meinem Lebensweg spüren dürfen. Tarek
und sein Festival haben mich als Choreograf gefördert und gepusht.
Das erste Mal hatte mich Tarek 2005 mit meinem Stück „Lust“
eingeladen. 2007 haben wir dann gemeinsam „Snow Motion“
choreografiert – ein Stück über Schnee, seine Eigenschaften,
seine Zustände, seine Wirkung und metaphorische Aussagekraft
über den Menschen. Es tanzten die Tänzer:innen des
Stadttheater Gießen zusammen mit Laientänzer:innen und
Turner:innen. Das war toll. Wir brachten die Premiere in der
Bonner Brotfabrik heraus und spielten es zur Eröffnung von
TanzArt ostwest in Gießen. So haben wir die Zusammenarbeit
von freier Szene und Stadttheater realisiert.
Meine Verbindung zu Tarek und TanzArt ostwest empfinde
ich auch deswegen bis heute als eng. Seit ich Ballettdirektor
in Pforzheim bin, kann ich viel zurückgeben. Wir pflegen den
Austausch bilateral und jedes Mal wenn Tarek mit seiner Truppe
bei uns zu Gast ist oder wir bei der TanzArt ostwest-Gala,
kann ich den wichtigen Austausch- und Vernetzungs-Gedanken
von TanzArt ostwest neu mit Leben füllen.
Guido Markowitz
Unbelievable and VERY GOOD! that TanzArt ostwest could already
celebrate its 17th birthday. I was deeply touched to see
that since many years everybody in Gießen makes this festival
flourish again and again, led by my friend Tarek Assam, the city
of Gießen, the numerous artists and further parties. I felt the
effect of this important festival on my own way of life, a festival
that pioneered and still acts that way in opening theatres to
the outside world, a festival that is radiating far into the world
of dance. Tarek and his festival promoted and pushed me.
Tarek had first invited me in 2005 with my production of
“Lust”. In 2007 we choreographed “SnowMotion” together, a
piece about snow, its capacities, its conditions, its effect and
metaphorical statement about human beings. The Stadttheater
Gießen dancers performed together with amateur dancers
and gymnasts. That was great. We released the premiere
in Bonn’s Brotfabrik and performed it on the opening of Tanz-
Art ostwest in Gießen. That way we realized the cooperation of
the free scene and Stadttheater.
This is why I still feel a close connection with Tarek and TanzArt
ostwest today. Since I became ballet director in Pforzheim I
can give back a lot. We cultivate a bilateral exchange, and every
time we have Tarek and his group with us or they have us
at the TanzArt ostwest gala, I can fill this important idea of exchange
and networking with new life.
20 21
2013 taT-Forum
Tarek Assam und Huang Quicheng
©rkw
Tanz zu den Menschen
bringen
Bringing Dance to
the People
Irene Borguet-Kalbusch
Irene Borguet-Kalbusch
Huang Qicheng
Die Shenzhen Arts School hat seit 2012 mit TanzArt ostwest
aufgrund ihrer gemeinsamen Interessen und Wertvorstellungen
im Hinblick auf Tanz eine Partnerschaft aufgebaut.
Für mich persönlich ist TanzArt ostwest eine hochwertige
internationale Kulturaustauschplattform, die sich mit der
Entwicklung des Tanzes befasst und hervorragende Beiträge
leistet. Es ist mir eine große persönliche Ehre, Tarek Assam zu
kennen, der während unserer Treffen stets aufgeschlossen
und engagiert war, und mit ihm befreundet zu sein.
Während der letzten Jahre haben unsere Fachbereiche und
Studierenden Gießen besucht, um aufzutreten und zu lernen.
Sie lebten und arbeiteten mit Gießens Tänzer:innen, lernten
einander kennen und gelangten zu intensivem Austausch. An
diese berührenden und unvergesslichen Szenen erinnere ich
mich oft. Wir haben uns immer gerne an verschiedene Momente
mit den Choreograf:innen, Tänzer:innen und anderen
beteiligten Künstler:innen des Festivals sowie den Tänzer:innen
der TCG erinnert.
Um das Wesentliche des zeitgenössischen Tanzes weiter zu
entwickeln, besitzen TanzArt ostwest und die Shenzhen Arts
School ein Kooperationsabkommen. In diesem wollen beide
Seiten gemeinsam zeitgenössische Tanzseminare und Lehrmaterialien
entwickeln, um so 5000 Jahre chinesischer Kultur
und fortgeschrittene Konzepte europäischen zeitgenössischen
Tanzes durch Unterricht an der Shenzhen Arts School
zu integrieren.
Ein weiteres großes Anliegen unserer Partnerschaft war die
Kooperation beim ersten Shenzhen Musik- und Tanzfestival
2018. Damals konnten wir fünf Compagnien des TanzArt ostwest-Netzwerks
einladen, um ihre Arbeit auf verschiedenen
Bühnen in Shenzhen zu zeigen.
Ich glaube fest, dass sich unsere Freundschaft vertiefen wird,
indem unsere Zusammenarbeit fortschreitet. Ich erwarte von
unserer Kooperation weitere fruchtbare Ergebnisse. Lassen
Sie uns ein harmonisches, schönes und herrliches Kapitel der
Entwicklung einer Gemeinschaft angehen, die eine gemeinsame
Zukunft im Streben nach großartiger Kunst und einem
besseren Leben besitzt!
Huang Qicheng
Shenzhen Arts School has built up a partnership with TanzArt
ostwest and Tanzcompagnie Gießen since 2012 because of
their common interests and shared values in dance.
For me personally TanzArt ostwest means a high-level international
culture exchange platform facing the development
of dance and making outstanding contributions. It is a great
honour for me personally to know and be friend with Tarek
Assam, who has always been open minded and passionate
during our cooperation.
During the last few years, our faculties and students have visited
Gießen for performing and learning. They lived, worked,
and got to know each other with Gießen’s dancers for in-depth
exchange. Those touching and unforgettable scenes often
occur to me. We have always been pleasant to recall various
memories with the choreographers, dancers and other artists
involved in the festival as well as the dancers of Tanzcompagnie
Gießen.
To carry forward the essence of contemporary dance, TanzArt
ostwest and Shenzhen Arts School are keeping up a cooperation
agreement, in which both parties jointly develop contemporary
dance courses and teaching materials in order to
integrate 5000 years of Chinese culture and advanced concepts
of European contemporary dance through teaching at
Shenzhen Arts School.
One other big effort in our partnership was the cooperation
for the first edition of the Shenzhen Music & Dance Festival in
2018, when we were able to invite five companies of the TanzArt
ostwest network to present their work on different stages
in Shenzhen.
I have faith that we will develop deeper friendship as our cooperation
goes further. I expect that our cooperation will yield
more fruitful results. Let us embark on a harmonious, beauteous
and splendid chapter for the development of a community
with a shared future in pursuit of magnificent art and better
life!
Die Compagnie Irene K. gehört zu den ersten freien Gruppen,
die beim TanzArt ostwest-Festival in Gießen dabei waren. Die
Performance war 2005 im Untergeschoss des TIG. Wie der
Kontakt zwischen Eupen und Gießen zustande kam, wollte ich
im Videotelefonie-Gespräch wissen. Tatsächlich erinnern sich
weder Irene Kalbusch noch Tarek Assam daran. Es sei einfach
zu lange her.
Festzuhalten ist, dass seitdem ein großes Vertrauensverhältnis
entstanden ist. „Der Austausch war immer gegenseitig und
verlässlich“, erklärt die Choreografin, „es fließt ohne Reibungsverluste“.
Und dass die Cie. Irene K. tatsächlich die einzige
unter den teilnehmenden Gruppen der freien Tanzszene ist,
die jedes Jahr nach Gießen kam, das war ihr nicht bewusst.
Freudiges Erstaunen.
Irene Kalbusch hat mit ihren Tänzer:innen immer mit Bezug
auf den umgebenden Raum gearbeitet, hat ihre Stücke und
Performances darauf ausgerichtet. Eindrücklich zu erleben
war dies 2006 im Stadttheater, als ihre Tänzerinnen vor der
Gala die ankommenden Gäste im Foyer verblüfften und nach
der Gala sogar auf dem Vorplatz des Stadttheaters rund um
ein Bett tanzten. Begleitet von einem Alphorn-Bläser. Das kam
so leicht und selbstverständlich daher, für das Gießener Theaterpublikum
war so etwas neu. „Mich hat an diesem Ort der
Kontrast zwischen der historischen Architektur und der innovativen
Performance fasziniert“, erinnert sich Irene Kalbusch.
Compagnie Irene K. is one of the first free groups to join the
TanzArt ostwest-Festival in Gießen. Their performance in
2005 ran in the TIG basement. How did that contact between
Eupen and Gießen happen, I wanted to know in a video call.
As a matter of fact neither Irene Kalbusch nor Tarek Assam remember.
It is simply too long ago.
It should be noted, that since then a strong mutual trust developed.
“The exchange went both ways and was always reliable”
says the choreographer, “there is a flow without any friction.”
And that Irene K.’s company indeed is the only participating
free company to return to Gießen every year had not occurred
to her. Joyful amazement.
Irene Kalbusch always worked in relation to the surrounding
space with her dancers, oriented her pieces and performances
to that. It was impressive to experience this in the Stadttheater
Gießen in 2006, when her dancers surprised the arriving
visitors in the foyer, and after the gala even danced around a
bed in front of the theatre. Accompanied by an alphorn player.
It happened so easily and naturally, something like that was
new to the Gießen theatre audience. “The contrast between
historical architecture and innovative performance was what
fascinated me with this location,” Irene Kalbusch remembers.
Soon the first member of TCG went to Compagnie Irene K. in
Eupen: Hiroshi Wakamatsu, Masami Sakurai soon followed.
In 2011 Svende Obrocki joined, and a little later Melodie Lasselin
did as well. “More dancers from Gießen wanted to come
to us, but our capacity is limited. Our work is project-related,
the dancers are not permanently employed.” Still the persons
mentioned before stayed for a long time, co-developed pieces
and also performed at TanzArt-Festival in Gießen.
2016 „Eat it”
©rkw
Huang Qicheng
Vizepräsident der chinesischen Bildungsunion der Künste
Direktor der Shenzhen Arts School
Huang Qicheng
Vice Chairman of China Education Federation of the Arts
Principal of Shenzhen Arts School
2011 „Cocon“
©rkw
22 23
Schon bald ging ein erstes Mitglied der Tanzcompagnie Gießen
zur Compagnie Irene K. nach Eupen: Hiroshi Wakamatsu,
es folgte bald Masami Sakurai. 2011 kam noch Svende Obrocki
und wenig später Melodie Lasselin hinzu. „Es wollten noch
weitere Tänzer aus Gießen zu uns kommen, aber unsere Kapazität
ist begrenzt. Wir arbeiten projektbezogen, die Tänzer:innen
sind nicht fest angestellt.“ Dennoch sind die vier Genannten
lange dabei blieben, haben Stücke mitentwickelt und zum
TanzArt-Festival auch in Gießen performt.
Das TanzArt ostwest-Festival im grenznahen Eupen ist kürzer
und weniger umfangreich als in Gießen. „Es findet immer in der
Woche nach der TanzArt in Gießen statt, damit ausländische
Ensembles die Chance haben, anschließend noch bei uns
aufzutreten.“, erklärt Irene Kalbusch.
Außerdem gibt es in Belgien seit sechzehn Jahren das Festival
„Tanzende Stadt“, das in wechselnden Orten stattfindet
und das Irene Kalbusch ins Leben gerufen hat. Es findet ausschließlich
im Außenraum statt, „immer in Absprache mit den
Kommunen, die ja unterschiedliche Gegebenheiten haben
und entsprechende Wünsche äußern.“ Dieses Festival entspricht
ihrem Herzensanliegen, den Tanz zu den Menschen zu
bringen, ohne große Hürden.
2019 erprobten sie ein weiteres Konzept. „Durch eine Kooperation
konnten wir das Veranstaltungshaus ‚Schlachthof‘ in
Eupen nutzen. Dort wurden mehrere Räume parallel bespielt,
die Gruppen haben mehrmals getanzt und die Zuschauer:innen
sind gewandert. Das würden wir gern wiederholen, wenn
es wieder möglich ist.“ Nach der Corona-Pandemie.
In der Rückbesinnung auf die vergangenen 15 Jahre TanzArt
in Gießen, die sie miterlebte, überlegt sie eines zu ändern: Sie
würde gerne an allen Festivaltagen anwesend sein, statt am
Tag nach dem Gastspiel den Heimweg wieder anzutreten.
Das Gespräch führte Dagmar Klein
TanzArt ostwest-Festival in Eupen (close to the border) is
shorter and smaller than the one in Gießen. “It always takes
place a week after TanzArt in Gießen, so that foreign ensembles
have a chance to perform with us afterwards,” says Irene
Kalbusch.
Besides, for 16 years there is the “Dancing City” festival in Belgium,
initiated by Irene Kalbusch, taking place at different locations.
It exclusively happens outside, “always in agreement
with the authorities, which have different conditions and express
respective requests.” This festival meets her heart’s desire
to bring dance to the people without any obstacles.
In 2019 they tried out another concept. “Through a cooperation
we could use the “Schlachthof” venue in Eupen. Parallel
performances took place in several rooms there, the groups
performed several times, and the audience wandered around.
We would like to repeat that if possible.” After the Corona pandemic.
Thinking back on the 15 years of TanzArt in Gießen she witnessed,
she considers changing one thing: She would like to
attend all festival days instead of returning home the day after
her guest performance.
The Interview was conducted by Dagmar Klein.
2018 „Körper im Dialog“
(Alte Kupferschmiede)
©cl
2013 „Three“
©rkw
Jutta Ebnother
Gerne erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit dem
TanzArt-Festival 2007 im Theater Gießen. Tarek Assam fragte
mich bei der Ballettdirektoren-Konferenz, ob ich Interesse
hätte, an dem Festival teilzunehmen und mir vorstellen könnte,
dieses auch in Nordhausen zu veranstalten, wo ich Ballettdirektorin
und Choreografin war. Also kamen wir nach Gießen
und zeigten einen Ausschnitt aus „RequiemMozartTanz“.
In der darauffolgenden Spielzeit waren wir bereits Gastgeber!
Unser Publikum war sehr neugierig und aufgeschlossen mehr
Tanz und andere choreografische Handschriften zu entdecken.
Das Wichtigste des Festivals ist, den „Tanzhorizont“ des
Publikums und den der Tänzer:innen am eigenen Haus zu erweitern.
Das TanzArt-Festival 2009 in Nordhausen ist mir besonders
in Erinnerung. Eric Gauthier und Jason Reilly vom Stuttgarter
Ballett, Tänzer aus Helsinki, Barcelona, Ungarn, die Palucca-Schule
Dresden, die Tanzcompagnie Gießen waren unsere
Gäste und boten ein spannendes Programm! Absurd war
nur, dass sich die Presse kein bisschen für dieses spannende,
international geprägte Event interessierte. Damals ärgerte ich
mich, heute schmunzle ich darüber. Die Erinnerung an die unglaubliche
Stimmung auf, hinter der Bühne und danach bleibt!
TanzArt führte mich an viele schöne Theater und Orte. Durch
den strengen Zeitplan gab es nicht immer genügend Zeit, die
Städte zu erkunden. TanzArt ist Austausch auf vielen Ebenen
und ich hoffe, dass dieses Festival noch viele Jahre erleben
kann.
Jutta Ebnother
I like to remember my first encounter with TanzArt ostwest
in 2007 at the Gießen theatre. At the ballet directors‘ conference
Tarek Assam asked me if I was interested in participating
in the festival and if I also could imagine to organize it in Nordhausen,
where I was ballet director and choreographer. So we
came to Gießen and showed an excerpt from “RequiemMozartTanz“.
During the following season we were already hosting it! Our audience
was very curious and open to experiencing dance and
different choreographic stiles. Most important about the festival
is to widen the “dance horizon” of the audience and the
dancers in your own house.
I remember TanzArt in Nordhausen in 2009 especially well.
Eric Gauthier and Jason Reilly of the Stuttgart Ballet, dancers
from Helsinki, Barcelona, Hungary, the Palucca school in
Dresden, and the Tanzcompagnie Gießen were our guests and
presented an exciting program! The only absurd thing was that
the press wasn’t at all interested in this exciting, internationally
characterized event. At the time I was angry, today I can only
smile about it. The memory of the incredible atmosphere on
the stage and backstage remains!
TanzArt took me to many beautiful theatres and places. The
tight schedule didn’t always leave enough time to explore the
cities. TanzArt stands for exchange on many levels, and I hope
that this festival is going to see many more years.
24 25
Massimo Gerardi
TanzArt ist derzeit eines der umfassendsten Tanzfestivals.
Die Zuschauer:innen haben die Möglichkeit, einige der neuesten
Entwicklungen deutscher und internationaler Tanzproduktionen
sowie „kleinere“ Arbeiten weniger bekannter
Choreograf:innen zu sehen, die sonst nicht die Möglichkeit
hätten, sich vor einem großen Publikum zu präsentieren. Dieses
Merkmal ist für mich einzigartig und vor allem mutig: Nicht
viele Festivalorganisatoren würden es riskieren, Stücke zu präsentieren,
ohne zu wissen, ob die Choreograf:innen bekannt
genug sind, um ein Publikum anzuziehen. Das ist der Grund,
warum sich die Programme vieler Festivals ähneln und die bekanntesten
Produktionen fast überall zu finden sind.
Ich fühle mich jedes Mal geehrt, an diesem aufregenden
Event teilnehmen zu dürfen. Seit 2010 habe ich beim Festival
mit zwei Tanzabenden für die TCG und mit vielen kleineren
Arbeiten Premiere feiern können. Seit kurzem ermöglicht Tarek
Assam den Gewinner:innen des italienischen Choreografie-Wettbewerbs
WhatWeAre – den ich mit Elisabetta Ceron
zusammen leite – ihre Arbeiten bei TanzArt zu präsentieren.
Auf diese Weise wird das Festival zum Impuls für die neueste
Generation von Choreograf:innen und bestätigt seinen Mut
als einzigartiges Projekt in der deutschen Tanzszene.
Massimo Gerardi
TanzArt is one of the most comprehensive dance festivals at
the moment. The audience has the chance to see some of the
newest developments in German and foreign dance production
as well as “minor” works of lesser-known choreographers,
which otherwise wouldn‘t get the chance to be presented to
a wide audience. For me this feature is unique and above all
courageous: Many festival programmers wouldn’t risk to invite
some piece, not knowing if the choreographer is well-known
enough to attract an audience. That is also why many festival
programs are similar, and the most popular productions appear
in nearly all of them.
I am always honored to participate in this exciting event. Since
2010 I have been assigned two full length creations for the
TCG and many shorter works to be premiered at TanzArt.
Recently, director Tarek Assam also gave the opportunity to
the winners of the Italian choreographic platform WhatWeAre
- which I co-direct with Elisabetta Ceron - to perform their
works at TanzArt. In this way the festival becomes an impulse
for the newest generation of choreographers confirming the
audacity of a unique project in the German dance scene.
2017 „Seid was Ihr wollt“
©rkw
Paolo Fossa
Seit sechs Jahren nehme ich in verschiedenen Formen am
TanzArt ostwest Festival teil. Für das Festival habe ich getanzt,
choreografiert, unterrichtet und in einigen Fällen bei der Organisation
geholfen. Und natürlich habe ich das Festival als Zuschauer
besucht.
Das Festival wurde auf eine sehr zugängliche Weise konzipiert
und schlägt jedes Jahr neue Wege vor. Von der Hauptbühne
mit der Abschlussgala bis hin zu ortsspezifischen Projekten
an verschiedenen Orten der Stadt, die sie neu entdecken. Vor
zwei Jahren hatte ich die große Ehre und das Vergnügen, mit
der Schauspielerin Esra Schreier im Foyer der Universitätsklinik
in Gießen zu tanzen und zu choreographieren. Ein unvergessliches
Erlebnis.
Für mich begann alles im April 2015, als ich eingeladen wurde,
einen verletzten Choreographen zu ersetzen, um eine Produktion
mit der TCG für das Festival zu realisieren, das Ende
Mai stattfinden sollte. Eine Notsituation, wenig Zeit zur Verfügung,
wie es bei unserer Arbeit oft vorkommt. Ich erinnere
mich, dass ich am Tag zuvor eine Premiere als Tänzer in Bremen
hatte, ich war müde und fühlte eine große Verantwortung
auf meinen Schultern.
Ich hatte wenig mehr als einen Monat Zeit, um eine Choreographie
mit einem vorgegebenen Titel, der nicht geändert
werden konnte, zu konzipieren und zu realisieren. „Der Tag an
dem der Goldfisch starb“, ein bizarrer Titel, aber nicht ohne
Charme. Ich erinnere mich, dass ich an einen 007-Film dachte,
vielleicht wegen dieses Goldfischs, der in meinem Unterbewusstsein
an „Goldfinger“ erinnerte. Definitiv ein perfekter
Titel für einen Gangsterfilm, zumindest in meiner Vorstellung.
In der Tat wurde es für eine moderne Version von Schwanensee
entworfen.
Also habe ich zum ersten Mal in meiner Karriere einen Banküberfall
choreographiert. Sechs Tänzer:innen, eine Gang und
ein Schatz von Goldbarren zu erobern. Eine Gruppe von Kleinkriminellen,
die sich durch ihr typisches Tattoo auf dem Rücken
auszeichnet: ein Goldfisch nämlich. Das Ergebnis: eine
der Choreografien, die mir besonders am Herzen liegen.
Dank diesem Goldfisch und dem TanzArt-Festival entstand
eine Zusammenarbeit mit der TCG, die bis heute anhält, und
vor allem wurde eine schöne Freundschaft mit Direktor Tarek
Assam geboren.
Paolo Fossa
For six years, I’ve been participating in TanzArt ostwest-Festival
in different ways. I danced for the festival, choreographed
for it, and in some cases helped with the organization. And of
course I visited the festival as a spectator.
The festival was designed in a very accessible way, suggesting
new ways every year. This happens on the main stage with the
final gala and with site specific projects at different locations
in the city – re-discovering and upgrading them. Two years ago
I had the big honor and the pleasure to dance and choreograph
with actress Esra Schreier in the university clinic’s foyer.
An unforgettable experience.
For me everything started in April 2015 when I was invited to
replace an injured choreographer to realize a production with
Tanzcompagnie Gießen (TCG) for the festival, which was to
run from the end of May. An emergency situation, not a lot of
time, as it often happens in our line of work. I remember having
had a premiere as a dancer in Bremen the day before, I was
tired and felt the weight of a huge responsibility on my shoulders.
I had less than a month to design and realize a choreography
with a given title that could not be changed. “The day the goldfish
died”, a bizarre title, but not without charme. I remember
thinking of a James-Bond-Movie, maybe because of that
goldfish which subconsciously reminded me of “Goldfinger”.
Clearly a perfect title for a gangster movie, at least in my imagination.
It was indeed designed for a modern version of “Swan
Lake”.
For the first time in my career I choreographed a bank robbery.
Six dancers, a criminal gang and a treasure of gold bars to capture.
A group of petty criminals identified by a typical tattoo
on their backs: a goldfish. The result was one of the choreographies
I am still particularly attached to.
Thanks to this goldfish and the TanzArt-Festival, a cooperation
with TCG developed that still stands. Above all, a beautiful
friendship with director Tarek Assam was born.
2015 „Der Tag, an dem der Goldfisch starb“
©rkw
26 27
Simon Ding
Es ist mir eine große Ehre, Ihnen meinen Beitrag übermitteln
zu dürfen. Ich wünsche dem kommenden Festival großen Erfolg,
insbesondere unter den harten Bedingungen der Pandemie.
Das TanzArt ostwest-Festival ist ein tolles und außergewöhnliches
Festival. Durch die Sprache des Tanzes schlägt es eine
Brücke, die die westlichen und östlichen Kulturen verbindet
und die Anerkennung der Kunst für Menschen aus aller Welt
neu definiert.
Als Künstler mit einem grundlegenden Verständnis - sowohl
der östlichen wie der westlichen Kultur - verbindet Tarek Assam
zudem unterschiedliche Kulturen und lässt das Festival
beständig mit schillernder Brillanz und neuer Vitalität überquellen.
Einem Lichtstrahl gleich, spornen uns die Künste an,
stärker zu werden und vereint zusammenzustehen. Ich wünsche
dem Festival einen Riesenerfolg.
DING Zhongyuan
Direktor der Abteilung für internationalen Kulturaustausch
Amt für Kultur, Sport und Tourismus der Stadt Shenzhen
Simon Ding
I am very honored to deliver my comments to you. I wish the
coming festival would have a great success even under the
harsh circumstances of the pandemic.
The TanzArt ostwest-Festival is a great and extraordinary
festival. Through the language of dance, the festival forms a
bridge that connects eastern and western cultures and redefines
the acknowledgement of arts for people from all over the
world.
Also as an artist who has a profound understanding of both
eastern and western cultures, Tarek Assam connects different
cultures and makes the festival constantly bursting with dazzling
brilliance and new vitality. As the beam of the light, the
arts would encourage us to become stronger and reunited. I
wish the festival to have a great success.
DING Zhongyuan
Director of Division of External Culture Exchange
Administration of Culture, Sports & Tourism of Shenzhen Municipality
2013 „Sleepwalker“
©rkw
Paul Julius
Seit vielen Jahren reise ich als Choreograf begeistert mit einem
neuen Stück und erwartungsvollen Tänzer:innen aus den
unterschiedlichsten Städten nach Gießen. Im Gepäck: Neugier,
Vorfreude, Lampenfieber und das gute Gefühl zu wissen,
dass ich mit allen beteiligten Künstler:innen jedes Mal herzlich
willkommen bin. Das mag fraglos nicht nur an den jährlich liebevoll
ausgewählten Souvenirs liegen, sondern vor allem an
der ebenso professionellen wie freundlichen Art des Ballettdirektors
Tarek Assam, der dieses Festival jedes Jahr voller Herzblut
ausrichtet. All meine Tänzer:innen, die mich bisher begleitet
haben, waren am Ende immer genauso begeistert wie ich.
Das heißt, wenn man erst einmal dort angekommen war.
Wie im Frühsommer 2013, in dem ich gemeinsam mit meiner
Solistin vom Grand Opera House Poznan mit der Deutschen
Bahn zum Festival kam. Ungünstigerweise hatte der Zug satte
vier Stunden Verspätung, sodass wir nach panischer Ankunft
hektisch zur Licht- und Bühnenprobe ins laufende Vorbereitungsgeschehen
stolperten. Als letzte in der Kette. Unsere
Choreografie war auch noch das Eröffnungsstück der Gala.
Meine Tänzerin hatte insgesamt 12 Stunden im Zug gesessen,
war ohne Pause mit ihrem Probendurchlauf dran und sollte
nun als Erste auf der Bühne auftreten. Das Stück verschieben?
Ich werde diesen Moment mit Tarek Assam nie vergessen,
wie er sie mit seinem erfahrenen Blick kurz ansieht und
dann in meine Richtung sagt: „Sie ist ein Steher. Sie schafft das
ganz sicher!“ Und genau so kam es auch. Sie tanzte unseren
Beitrag mit Bravour.
Paul Julius
For many years as a choreographer I have been travelling to
Gießen enthusiastically with a new piece and eager dancers
from the most diverse cities. My luggage: curiosity, anticipation,
stage fright and the good feeling to know that I am really
welcome with all the participating dancers every time. This
may very well not be because of the thoroughly selected souvenirs
but mainly because of the professional and friendly
way of ballet director Tarek Assam, who is hosting this festival
every year. All my dancers who accompanied me so far were
always just as thrilled as I was. That is, when you had finally arrived
there.
Like in early summer 2013, when I arrived at the festival with
Deutsche Bahn together with my soloist from the Grand Opera
House Poznan. Unfortunately the train had a whopping four
hours of a delay. So after a panic arrival we stumbled hectically
into an ongoing lighting and stage rehearsal process as
the last chain-link. And our choreography was the gala’s opening
piece as well. My dancer had been sitting on the train for
twelve hours, had to do her rehearsal without a break and was
now supposed to perform on stage as the first act. Move the
piece? I will never forget this moment with Tarek Assam as he
shortly glances at her with his experienced look and says into
my direction: “She’s a stayer. She can do this for sure.” And that’s
exactly how it went. She performed our part with flying colors.
Steffen Fuchs
Durch unsere Kooperation war das Theater Koblenz bisher nahezu
jedes Jahr bei der Gala dabei. Jedes Theater hat einen
ganz eigenen Geruch. Sobald wir das Gießener Haus betreten,
fühlt es sich mittlerweile sehr vertraut und entspannt an. Für
einen Ort, an dem sich alte und neue Freunde treffen, ist das
der perfekte Geruch.
2014 Rachmaninow Suite Nr.2
©rkw
2016 „Verklärte Nacht“
©rkw
Steffen Fuchs
Due to our cooperation, Theater Koblenz took place in the
gala almost every year. Every theatre has its very own smell.
Meanwhile, as soon as we enter the Gießen building it feels
very familiar and relaxed. It’s the perfect smell for a place where
old and new friends meet.
28 29
Susanne Ließegang
„Site specific“ in einem Krankenhaus, einem Ort der Angst und
der Hoffnung, der Geburt und des Todes, der Krankheit und
der Heilung.
2017 „Fitness for Frieda”
©rkw
2019 „Do you contemporary Dance?”
©rkw
“Would you come to me, would you come to me for to ease
my pain”, singt die Schauspielerin und sinkt in die Arme des
Tänzers. Er fängt sie auf, gerade eben noch. Die Situation berührt.
Im Spiegel von Sprache, Bewegung und Gesten spüre
ich meine Einsamkeit und zugleich die Intimität einer großen
Zärtlichkeit. Eine Passantin fragt erschrocken: „Soll ich Hilfe
holen?“. Für einen Moment schlägt das Spiel in Realität um.
Meine Gefühle haben keinen sicheren Ort mehr. In der nächsten
Sekunde geht das Spiel weiter, aber die fragile Grenze
zwischen dem geschützten Spiel und der Realität bleibt spürbar.
Die Choreografie und die Zuschauer:innen befinden sich
auf schwankendem Boden zwischen dort und hier. Erst der
Applaus am Ende stellt die Ordnung wieder her. Es war alles
nur ein Spiel! Ein Spiel des Lebens. Eine Journalistin schreibt:
„Puh, für dieses Mal sind wir entkommen.“
Susanne Ließegang
Kunstbeauftragte des Universitätsklinikum Gießen, UKG
Susanne Ließegang
„Site Specific“ in a hospital, a place of fear and hope, of birth
and death, of sickness and healing.
“Would you come to me, would you come to me for to ease
my pain”, the actress sings and sinks into the arms of the dancer.
He catches her, just barely. The situation is touching. In
the mirror of language, movement and gestures I feel my loneliness
and at the same time the intimacy of great tenderness.
A scared passer-by asks “Should I get help?”. For a moment
the game turns into reality. My emotions don’t have a secure
place anymore. In the next second the game continues, but
the fragile frontier between protected game and reality stays
noticeable. The choreography and the audience are on shaky
ground between there and here. Only the final applause restores
order again. It was all just a game! A game of life. A journalist
writes: “Whew, we escaped this time.”
Susanne Ließegang
Art commissioner for the university clinic, UKG
Susanna Curtis
What does TanzArt mean to me:
Die Chance, die eigene Arbeit in einem spannenden Programm
zu zeigen, von Tarek Assam mit Scharfsinn und
Charme kuratiert.
Fröhliches Wiedersehen, spannendes Kennenlernen, reger
Austausch mit dem Gießener Publikum, TCG-Mitgliedern und
Gästen aus aller Welt im Foyer des taT.
Site-Specific Events, die ungewöhnliche Orte in ein neues
Licht setzen.
Leckeres Frühstück im Gästehaus Wilhelma mit ständigem
Tischwechsel und internationalen Gesprächen.
Das fantastische taT-Technikteam fast am Rande des Zusammenbruchs,
aber am Ende den Weg zum gemeinsamen Erfolg
gefunden zu haben (erfinderische Lösungen: O-Ton einer verzweifelten
Tänzerin, bleibt im Bühnencharakter und schreit:
can you just turn off the f…… music!)
Ein etwas zu hastiger Umbau führt zu einem kurzen, schweißtreibenden
Komplettblackout beim Tanzen, aber am Schluss
Standing Ovations bei der After-Party. Ich erröte.
Die perfekte weibliche Hauptrolle für die nächste eigene Produktion
beim Garderobengeplauder zu entdecken.
Alles in allem -
Eine gelungene Mischung aus etablierten Künstler:innen und
Newcomer:innen, Big Names und noch nicht Entdeckten, großen
Ensembles und Einzelkämpfer:innen, Traditionellem und
Avant-Garde und das alles von Tarek Assam und Team mit Lockerheit,
Großzügigkeit und Bonhomie in Szene gesetzt. Chapeau!
Susanna Curtis
What does TanzArt mean to me:
The opportunity to show one’s own work in an exciting program,
curated with acumen and charm by Tarek Assam.
Happy reunions, fascinating new acquaintances, lively exchange
with the Gießen audience, the TCG members and
guests from all over the world in the taT foyer.
Site-specific events, which show unusual locations in a new
light
Delicious breakfasts in the Guesthouse Wilhelma, changing
from one table to the next, enjoying international conversations.
The fantastic taT technical team, almost on the edge of collapse,
but in the end contributing to the success of the pieces
shown (creative solutions: desperate dancer shouts in character
from stage: can you just turn off the f…… music!)
A somewhat rushed set-change leads to a short, total blackout
while dancing, but in the end received at the after-party
with a standing ovation. I blush.
Finding the perfect dancer to take on the lead female role in
my next production, during a chance encounter in the dressing-room.
All in all –
A successful mix of established artists and newcomers, big
names and not yet discovered talents, large ensembles and
lone warriors, the traditional and the avantgarde – all put together
and presented by Tarek Assam and team with ease, generosity
and bonhomie. Congratulations!
2019 „Station Tanz Körper-Erzählungen“
(v.l.) Paola Fossa und Esra Schreier
©dkl
30 31
TanzArt erobert die Stadt
Teil 1: Theaterbühnen
von Dagmar Klein
Die Rückschau auf die TanzArt ostwest in Gießen zeigt wie bescheiden
die Anfangsjahre waren, wie international und tänzerisch
vielfältig es im Verlauf von 17 Jahren geworden ist. Das
Pressegespräch zum ersten TanzArt-Festival 2003 bedeutete
für Ballettdirektor Tarek Assam noch ganz viel erklären zu müssen.
Das Prinzip des gegenseitigen Austauschs klang doch recht
ungewöhnlich. Hingegen war die Begründung, dass kleinere Bühnen
sich hochsubventionierte Gastspiele nicht leisten können,
sehr einleuchtend. Die Aufgabe, diesen neuen Sachverhalt dem
Gießener (Theater)Publikum zu erklären, teilte ich als Pressefrau
gern. Jahr für Jahr, immer wieder, und mit wachsender Begeisterung.
Irgendwann hatte sich die innovative Idee verbreitet, unter Tanz-
Fans sowieso, bald auch bei Schauspiel- und Opernfans. Auch
eher theaterferne Menschen realisierten, welche Chancen das
Tanzfestival bot. Wer kann sich schon leisten so weit herumzureisen,
um Tanzstücke andernorts anzuschauen, egal ob auf städtischen
Bühnen oder bei den vielen freien Gruppen. Das Ganze
wurde immer internationaler und zunehmend auch spektakulär:
Nicht nur Bühnen aus ganz Deutschland und Europa beteiligten
sich, es kamen auch Gäste aus den USA, Kanada und aus China.
Die Zahl der Besucher und Besucherinnen stieg ebenso wie die
der Beteiligten und Veranstaltungsorte.
Wie im Brennglas sichtbar wurde der wachsende Erfolg bei der
Gala im Großen Haus. Kamen anfangs nur eingeschworene Tanz-
Fans, entwickelte sich die Gala allmählich zum festen Termin an
Pfingsten. Der in den letzten Jahren vollbesetzte Zuschauerraum
belegt eindeutig: die Tanz-Gala ist zum gesellschaftlichen
Event geworden. Ein Event, das für Mitwirkende und langjährige
Fans ein freudiges Wiedersehen bedeutet, und durch seine mitreißende
Vielfalt immer neue Freund:innen für die Sparte Tanz
gewonnen hat.
Die Anfangsjahre 2003-2005
Die Programmflyer der ersten drei Jahre hatten noch ein kleines
Format, die Anzahl an Beteiligten war überschaubar. Das gewählte
Titelblatt und Poster-Motiv blieb allerdings die nächsten 10
Jahre erhalten: Die seitlich gedrehte Rückansicht der leichtfüßig
dahingleitenden TCG-Tänzerin Miranda Glikson. Wichtiger Veranstaltungsort
des Festivals war die Studiobühne TiL (Theater
am Löbershof). Auf der großen Bühne des Stadttheaters gab es
die Gala und ab dem dritten Festivaljahr auch noch das jeweilige
Repertoirestück der Tanzcompagnie Gießen.
Das erste TanzArt ostwest-Festival fand Anfang Juli 2003
statt, also nach Ende der Spielzeit, es dauerte bereits vier Tage.
Die Nachmittage auf der Studiobühne TiL waren den Tanzschu-
TanzArt conquers the City
Part 1: Theatre Stages
by Dagmar Klein
A review on TanzArt ostwest in Gießen shows how modest the
beginning years were, how international and how diverse in
dance it became in the course of 17 years. At press conference
on the first TanzArt-Festival in 2003, ballet director Tarek Assam
still had a lot to explain. The principle of mutual exchange sounded
pretty unusual. But the reason that smaller theatres could
not afford highly subsidized guest performances was plausible. I
gladly shared the task of explaining this new situation to the Gießen
theatre audience. Year after year, again and again, and with
growing enthusiasm.
Eventually this innovative idea had spread among dance fans
anyway, soon with drama and opera fans as well. Even people not
too close to the theatre realized the chances the festival offered.
After all, who can afford to travel far enough to watch dance
pieces elsewhere, be it on municipal stages or with multiple free
groups. The whole thing became more international and also
more spectacular: not only theatres from all over Germany and
Europe participated, but guests from the USA, Canada and from
China arrived as well. The number of visitors rose as well as the
number of participants and locations.
Like in a magnifying glass the growing success could be seen at
the gala in the theatre. While only die-hard dance fans showed
up in the beginning, the gala gradually developed into a fixed date
at Pentecost. A full auditorium during the last years definitely
shows: the dance gala has become a social event. An event that,
for participants and longtime fans, means a happy reunion and
won more and more friends for the dance with its exciting diversity.
The Beginning Years 2003-2005
Program-flyers for the first years still were small in size, the number
of participants was small. Whereas the initially selected title
page and poster motive were kept for the next ten years: a portrait
of TCG dancer Miranda Glikson, slightly twisted, seen from
behind, gliding along light-footedly. A major location was the studio-stage
TiL (Theater im Löbershof). The gala took place on the
big theatre stage and since the festival’s third year also the repertoire
piece by Tanzcompagnie Gießen.
The first TanzArt ostwest-Festival took place in the beginning
of July in 2003, after the season’s end, and it already lasted
four days. Afternoons on the studio stage were reserved for
the region’s dance schools and the students of the Frankfurt
Academy of Dance. Professional ensembles came from Görlitz
(Franz Huyer), Magdeburg (Irene Schneider), Hildesheim (Carlos
Matos), and from Poland. The Dance Theatre Posen (Ewa Wycichowska)
was especially impressive due to their dramatic way of
performing. Magdeburg and Görlitz presented short impressions
32 33
len der Region und den Studierenden der Hochschule für Tanz
in Frankfurt vorbehalten. Die teilnehmenden Profi-Ensembles
kamen aus Görlitz (Franz Huyer), Magdeburg (Irene Schneider),
Hildesheim (Carlos Matos), und aus Polen. Das Tanztheater
Posen (Ewa Wycichowska) war durch seine dramatische Ausdrucksweise
besonders beeindruckend. Magdeburg und Görlitz
zeigten kurze Impressionen aus ihrem neoklassischen Repertoire,
aus Mainz kam mit dem Desperate Figures Dance Theatre
die erste Gruppe der freien Tanzszene. Mit dessen Leiterin Nancy
Seitz-McIntyre (†) hatte Tarek Assam zuvor gemeinsam das
Tanzstück „Seiltänzer“ für die Studiobühne geschaffen, das aber
noch nicht Bestandteil des Festivals war.
Im zweiten Jahr fand die TanzArt erstmals an Pfingsten statt
und dabei blieb es. Da der Termin nun in der Spielzeit des Stadttheaters
lag, konnte die Premiere des neuen TiL-Tanzstücks zum
integrativen Bestandteil des Festivals werden. In diesem Jahr
2004 war der gesellschaftskritische Roman „Herr der Fliegen“
die Inspiration für den Choreografen Assam. Dass es keine
Gala gab, das blieb einmalig. Zu den Gästen des vorherigen Jahres
kamen noch die Landesbühnen Sachsen (Reiner Feistel) aus
Radebeul und das Tanztheater Osnabrück (Gregor Zöllig) dazu.
Die Compagnie Irene K. aus Eupen/Belgien präsentierte sich zum
ersten Mal in Gießen und brachte von da an jedes Jahr eine neue
Überraschung mit. Damit hält Irene Kalbusch den Gießen-Rekord.
Das dritte Festival-Jahr 2005 wies bereits die Grundstrukturen
auf, die kennzeichnend blieben für die kommenden Jahre.
Es gab zum ersten Mal eine vorgezogene Auftaktveranstaltung
am Sonntag vor Pfingsten, an einem Ort außerhalb des Theaters
und finanziert vom Kulturamt. In der nachfolgenden Woche
fand am Donnerstag jeweils die Eröffnungspremiere des neuen
TCG-Stücks für die Studiobühne statt, in diesem Jahr inspiriert
von Leben und Werk des Schriftstellers Oscar Wilde. Und das
TCG-Repertoirestück für die große Bühne, dessen Premiere zumeist
schon im Februar stattgefunden hatte, wurde Teil des Festivals:
2005 war es die gemeinsame Choreografie von Assam und
Stefan Haufe „Bach – Musikalisches Opfer“.
Insgesamt waren es schon so viele Beteiligte, dass die Abende
auf der Studiobühne zweigeteilt wurden, in eine Abend- und
eine Spätabendvorstellung. Auch TCG-Mitglieder präsentierten
sich in den ersten Jahren mit eigenen Choreografien im TiL. Die
Tanz-Gala fand meist am Sonntag statt, allerdings um 11 Uhr vormittags,
was für Besucher:innen wie Tänzer:innen doch gewöhnungsbedürftig
war. Ab 2009 wurde es zur Abendvorstellung,
was auch organisatorisch für alle einfacher war.
Für reichlich Diskussionsstoff sorgte das Kielce Dance Theatre
(Polen), das mit militärisch-aggressivem Habitus provozierte,
denn die Streetdance-Einlagen des französischen Choreografen
Thierry Verger waren auf einer deutschen Stadttheaterbühne
(noch) ungewohnt. Aus der freien Szene kamen zum ersten Mal
die Willi Dorner Compagnie aus Wien und Guido Markowitz mit
seiner MDCompany aus Stuttgart, er blieb treuer Begleiter des
Festivals in verschiedenen Konstellationen. Das TanzArt-Festival
hatte begonnen, vielfältiger zu werden.
from their neo-classic repertoire, and from Mainz came Desperate
Figures Dance Theatre, the first group from the free dance
scene. Together with its leader Nancy Seitz-McIntyre (†) Tarek Assam
had earlier created the TCG-piece “Seiltänzer” (“Tightrope
Dancer”), which was not yet part of the festival.
In the second year, TanzArt for the first time took place at Pentecost.
Since the date was now in the theatre’s schedule, the premiere
of the new TiL dance piece could become integral part of
the festival. In that year 2004 the socio-critical novel „Herr
der Fliegen“ (“Lord of the Flies”) inspired choreographer Tarek
Assam. The fact that there was no gala in 2004 stayed unique.
Last year’s guests were joined by Landesbühnen Sachsen (Reiner
Feistel) from Radebeul and Tanztheater Osnabrück. Compagnie
Irene K. from Eupen, Belgium, showed themselves for the
first time in Gießen and since then have presented a new surprise
every year. That way Irene Kalbusch is keeping Gießen’s record.
The third festival year 2005 already showed the basic
structures that kept consistent for the coming years. For the first
time there was a pre-premiere on Sunday before Pentecost in a
location outside the theatre and funded by the cultural office. On
Thursday the following week, the respective opening premiere of
the new TCG-piece on the studio stage took place, this year inspired
by the life and work of Oscar Wilde. And the TCG repertoire
piece for the big stage, which had usually premiered in February,
became a part of the festival. In 2005 that was Assam’s and
Stefan Haufe’s co-choreography “Bach – Musikalisches Opfer”
(“Bach - A Musical Sacrifice”).
Altogether there were so many participants now that the evenings
on the studio stage were cut into an evening and a late
show. TCG members also presented their own choreographies
in TiL. The dance gala mostly ran on Sunday, however at 11 a.m.,
which needed some getting used to by guests and dancers.
2009 it changed into an evening show, which was easier to organize.
The Kielce Dance Theatre (Poland) provided much material
for discussion, provoking with a military habitus. The street dance
elements by French choreographer Thierry Verger were still unfamiliar
on a German municipal theatre stage. From the free scene
Willi Dorner Compagnie from Vienna and Guido Markowitz with
his MD-Company came for the first time. Markowitz stayed a loyal
companion of the festival in several line-ups. The TanzArt festival
had started to become more diverse.
Going ahead and Celebrations
2006-2009
2006 was the year everything started to become a little bigger.
For the first time t-shirts carrying the TanzArt-logo appeared
and the festival cooperated with Gießen’s business community.
Karstadt department store offered its upper parking deck, where
Durchstarten und Feiern
2006-2009
2006 war das Jahr, in dem alles schon etwas größer wurde,
erstmals T-Shirts mit dem TanzArt-Logo präsentierte und in dem
das Festival erstmals mit der Gießener Wirtschaft kooperierte.
Das Karstadt-Kaufhaus stellte seine obere Parkfläche zur Verfügung,
damit dort eine Outdoor-Choreografie umgesetzt werden
konnte (Kim Olson). Das lockte viele Neugierige an und die Site
Specific in Gießen war geboren. Außerdem brachte Olson das
Thema Tanzvideo ein, das im Jahr drauf zum Thema „Lichtspieltänze“
im Heli-Kino ausgeweitet wurde.
Auch das TiL-Tanzstück hatte 2006 erstmals eine experimentelle
Note, was künftig zum prägenden Moment wurde. „Snow
Motion“ war mit Bundesmitteln gefördert und in Kooperation mit
der Brotfabrik Bonn (Guido Markowitz) erarbeitet worden, die
Premiere hatte auch in Bonn stattgefunden. Neben Mitgliedern
aus beiden Ensembles kamen noch zwei Breakdancer und Senior:innen
aus Gießen hinzu. Es war ein Stück über das Älterwerden,
über altersgemäße Bewegungen und wie man ins Miteinander
kommt, was Generationen übergreifend mit Tai Chi zelebriert
wurde.
Die Gästeliste hatte sich beträchtlich erweitert. Bei der Gala
präsentierten sich das Staatstheater am Gärtnerplatz München
(Philipp Taylor) und das Opernhaus Graz (Darrel Toulon), das
Ballett Dortmund unter seinem neuen Leiter Xin Peng Wang zeigte
Witziges rund um Mozart, das Ballett Koblenz unter Anthony
Taylor gab sich puristisch mit einem Balanchine-Stück. Die Studiobühnen-Gästeliste
war eindrucksvoll erweitert um: Melanie
Clarke aus London, das Stahlwerk Lüneburg (Heidrun Stahl) und
die Pretty Ugly Company aus Köln (Amanda Miller).
2007 traf eine Gießener Zeitung ins Schwarze: „Stadttheater
wurde zum Mekka des Zeitgenössischen Tanzes“ lautete der
Titel des Nachberichts. Die Bandbreite des Gezeigten war groß:
von einer Rekonstruktion des Triadischen Balletts von Oskar
Schlemmer, über historische Variationen vom Laban-Center in
London, Flamenco-Atmosphäre und traditionelle Spirituals, bis
zu neoklassischen Pas-de-Deuxs, einem Street-Dance-Duo und
expressiven Ensemble-Stücken.
Angesichts der vielen interessanten Gruppen und Einzelpersonen,
kann man für die folgenden Jahre fast nur noch auf Besonderheiten
hinweisen. Für Kontinuität im Klassischen Ballett sorgte
über all die Jahre die Prager Tanzakademie mit ihrem Bohemia
Balet, das sich aus den jeweiligen Abschlussklassen zusammensetzt.
2008 erhielt die Alpha Group Graz (Darrel Toulon) erstmals
eine komplette TiL-Vorstellung, was künftig immer mal
wieder vorkam, befördert durch den Wunsch der von weither
angereisten Ensembles. Beim Gala-Programm war erstmals das
Ballett Vorpommern (Ralf Dörnen) aus Greifswald/Stralsund
vertreten und das Kielce Dance Theatre sorgte wieder für Aufsehen.
Die polarisierten Geschlechterklischees, Macho-Männer
und Frauen in hochhackigen Lacklederstiefeln zu wummernden
Techno-Sounds, das war so manchem Gala-Besucher doch zu
viel. Aber das Stück, der Gruppenname, sie blieben bis heute im
Gedächtnis.
Beim TanzArt-Festival wurden immer wieder neue Veranstaltungsformate
ausprobiert, die auch wieder wegfielen, wenn die
Resonanz fehlte. Wie ein nachmittägliches Podiumsgespräch als
Reflektion über Tanz.
2009 stand im Zeichen der Eröffnung des neuen Rathauses
am Berliner Platz, dem Stadttheater diagonal gegenüber. Die
an outdoor choreography could be realized by Kim Olson. That
attracted many curios citizens, and the “Site Specific” was born.
Besides, Olson introduced the subject of dance video which the
following year was expanded into the “Lichtspieltänze” (“Light
games dances”) subject in Gießen’s Heli cinema.
The TiL-dance-piece also showed an experimental note for the
first time, which developed into a distinctive aspect. “Snow Motion”
received federal funds and was developed in cooperation
with Brotfabrik Bonn (Guido Markowitz) and had also premiered
in Bonn. Beside members of both ensembles, two break dancers
and Gießen senior citizens joined. It was a piece about growing
older, about moving appropriately to your age and how to get together,
which was celebrated across the generations with Tai Chi.
The guest list had grown considerably. At the gala State Theatre
at Gärtnerplatz Munich (Philipp Taylor) and Graz Opera House
(Darrel Toulon) introduced themselves, Dortmund Ballet with its
new director Xin Pen Wang showed humorous scenes on Mozart,
Ballet Koblenz under the direction of Anthony Taylor acted puristically
with a Balanchine piece. The studio stage guest list was impressively
extended by Melanie Clarke from London, Stahlwerk
Lüneburg (Heidrun Stahl), and the Pretty Ugly Company from
Cologne (Amanda Miller).
In 2007 a Gießen newspaper struck home heading their
report with “City theatre turned into mecca of contemporary
dance”. The spectrum was big; from a reconstruction of the
“Triadic Ballet” by Oskar Schlemmer, to historic variations from
London’s Laban-Centre, flamenco atmosphere and traditional
spirituals up to neo-classic pas-de-deuxs, a street-dance-duo
and expressive ensemble pieces.
Considering the many interesting groups and soloists, I can only
point at highlights for the following five years. Continuity in classical
ballet was provided over all these years by Prague Dance Academy
with its Bohemia Ballet, which consists of the respective
graduation classes.
In 2008 Alpha Group Graz (Darrel Toulon) was granted a
complete TiL-show, which kept happening occasionally in the future,
promoted by the wishes of the ensembles that came from
far away. For the first time, the gala schedule featured Ballett Vorpommern
(Ralf Dörnen) from Greifswald/Stralsund, and the Kielce
Dance Theatre caused quite a stir again. The polarized gender
clichés, macho-men and women in high heeled patent leather
boots with thundering techno-sounds – that was too much for
some gala visitors. But the piece, the group’s name – they’re still
remembered today.
Again and again, new event formats were tried out at TanzArt festival,
which were cancelled if they didn’t cause any response. Like
an afternoon panel discussion reflecting dance.
2009 festival was marked by the celebration of the new
city hall on Berliner Platz, situated diagonally from the city’s
theatre. The specialties included the Site Specific (Anna Baer
Carillo) in the city hall lobby with the John-Cage-continuous-organ-sound
broadcast from the Buchardi church in Halberstadt
34 35
Site Specific (Ana Baer Carillo) im Rathaus-Foyer zum John-Cage-Orgel-Dauerton
aus der Burchardi-Kirche in Halberstadt
gehörte zu den Besonderheiten, ebenso Performances von
TCG-Mitgliedern im gesamten Rathaus samt Tiefgarage und Vorplatz
sowie Tanzparaden in der Stadt.
Es kamen Vertreter:innen des Semperoper Balletts aus Dresden
und des Balletts aus Gera, von den Theatern Augsburg (Stephen
Delattre) und Braunschweig (Eva-Maria Lerchenberg). Die quirlige
Melanie Venino war mit ihrer Compagnie aus Spanien gekommen
und die Gießener Tänzerin Miranda Glikson zeigte mit dem
body Tanztheater Bonn das Stück „Der Unvollendenich“ über Robert
Schumann. Das steptext dance project reiste aus Bremen
an und die Science Friction Productions aus Toronto/Kanada. Es
war eine prall gefüllte Tanzwoche.
Zeitkritisch und International
2010-2013
Das Festival 2010 bot mit „Stop the Press“ (David Finelli)
wieder einen besonderen Aufführungsort, zu dem man sonst keinen
Zugang hat: die Produktionshallen der Gießener Allgemeinen
Zeitung. Das TCG-Stück für die Studiobühne befasste sich mit
„Gustav Nachtigal“ (Assam) und war damit den heutigen Diskussionen
zum Thema Kolonialismus voraus. Auch das Thema des
Repertoirestücks für die große Bühne (Assam) klingt aus heutiger
Sicht prophetisch: „Cassandra“ - bekanntlich glaubte niemand
ihren Vorhersagen, da Menschen lieber im Gewohnten verharren.
Das TanzArt-Netzwerk weitete sich immer weiter nach Osten
aus: Lior Lev kam aus Israel und das Horse Dance Theatre (Chen
Wu-Kang) aus Taiwan.
Das Jahr 2011 erfreute mit einem Crossover von Ausstellung
(Rolf K. Wegst) und Tanz (Leszek Stanek) in Gießens Mitmachmuseum
Mathematikum. Nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind
die „Puppentänze“ von Massimo Gerardi (TiL-Eröffnungspremiere),
deren thematische Basis Delibes „Coppelia“ und die Sandmann-Erzählung
von E.T.A. Hoffmann waren, die um Einsamkeit
und Machtfantasien kreisen. Gerardi schuf ein höchst intensives
Tanzstück, bei dem die angedeutete Vergewaltigung anschließend
zu heftigen Diskussionen unter Besucherinnen führte. Zu
Gast war auch der außergewöhnliche Tänzer Afshin Ghaffarian
mit seiner Choreografie „Le Cri persan“. Das abendfüllende Stück
ging unter die Haut. Es ähnelte einer Reise durch Raum und Zeit,
erzählte von einer Welt der Konflikte, symbolisiert in Erde-Feuer-Wasser-Luft.
Passend dazu ließ Assam die TCG bei der Gala
noch einmal Ausschnitte aus dem Repertoirestück „Clandestino“
von 2009 tanzen, in dem es um Flucht und Vertreibung ging.
as well as performances by TCG members in the entire city hall,
including the underground garage and forecourt. And there were
dance parades in the city.
Guests came from the Semper Opera Ballet Dresden and the
Ballet Gera, from Augsburg Theatre (Stephen Delattre) and
Braunschweig (Eva-Maria Lerchenberg). The lively Melanie Venino
had arrived with her company from Spain, und Miranda
Glikson showed “Der Unvollendenich” (“The Uncompletened”)
about composer Robert Schumann, together with Body Dance
Theatre from Bonn. Steptext Dance Project arrived from Bremen,
as well as Science Friction Productions from Toronto, Canada.
It was a dance week bursting with attractions.
Critical and International
2010-2013
The 2010 festival offered another special performance
location otherwise off limits to the public, “Stop the Press” took
place in the Gießener Allgemeine Zeitung (Gießen General Newspaper)
production halls. The TCG-piece on the studio stage
dealt with “Gustav Nachtigal” (Assam) and thus was ahead of the
present day’s discussions about colonialism. Also, the subject of
the repertoire piece for the big stage (Assam) sounds prophetic
from today’s point of view: “Cassandra” – as we know nobody believed
her prophecies, since people prefer to remain within their
familiar circumstances. The TanzArt network kept broadening
towards the east: Lior Lev came from Israel, and Horse Dance
Theatre (Chen Wu-Kang) came from Taiwan.
2011 delighted with a crossover of exhibition (Rolf K. Wegst)
and dance (Leszek Stanek) in Gießen’s hands-on museum “Mathematikum”.
What will definitively be remembered of this year
are Massimo Gerardi’s “Puppentänze” (“Puppet Dances”, TiL’s
opening premiere). This piece based on Delibe’s “Coppelia” and
E. T. A. Hoffmann’s sandman story, which deal with loneliness
and fantasies of power. Gerardi created a highly intense dance
piece, the indicated rape scene caused vehement discussions
among the female visitors. The exceptional dancer Afshin Ghaffarian
performed his own choreography “Le Cri Persan”; the fulllength
piece got under your skin. It resembled a journey through
space and time, told about a world full of conflicts symbolized
in Earth-Fire-Water-Air. Correspondingly TCG performed parts
of the repertoire piece “Clandestino”, dealing with flight and expulsion.
In 2012 Shenzhen Dance Ensemble arrived in Gießen for
the first time. This developed into a long-term-project funded
vid Williams) die Direktoren der Schule und wurde Basis für eine
China-Tournee der Tanzcompagnie Gießen mit acht Vorstellungen
in Beijing, Shenzhen und Urumqi.
Robert Przybil gab seinen Solo-Einstand in Gießen; er sollte noch
häufiger kommen, genau wie die Breathing Art Company (Simona
de Tullio) aus Bari, die im Laufe der Jahre weitere Kolleg:innen aus
Italien mit sich zog. Henrik Kaalund hatte in diesem Jahr die Site
Specific in der Autowaschstraße kreiert und für die Studiobühne
noch ein Duett mitgebracht. Das einstige TCG-Mitglied Morgane
de Toeuf hatte sich dem Brachland-Ensemble angeschlossen,
das verschiedene Kunstformen in eigenen, gesellschaftskritischen
Stücken verbindet.
2013 war eine Ausbildungsklasse der Shenzhen-Arts-
School vier Wochen vor Festivalbeginn zu Gast in Gießen. Die
Koop wurde gefördert durch das HMWK und die Technische
Hochschule Mittelhessen am Standort Gießen (Axel Schumann).
Die Gruppe erkundete die Stadt und ihre Umgebung, besuchte
natürlich auch Frankfurt, studierte ein Tanzstück zum Grimm-Jubiläumsfest
in Kassel ein (Assam, Markowitz, Huang), und war Teil
der Site Specific in Gießen. Das Stück „Von den Winden“ fand vor
und im frisch renovierten Gebäude der THM-Architekturabteilung
statt. Für den Choreografen Daniel Goldin war es eine große
Herausforderung, war er doch gewöhnt, mit seinem festen, wohlvertrauten
Ensemble zu arbeiten. Das Ergebnis war bezaubernd,
so manche Besucher gingen mehrmals in die Vorstellung.
Frischen Wind in die Gala brachten mit ihren ungewöhnlichen
Tanzkreationen Nanine Linning und ihre dance company vom
Theater Heidelberg und Johannes Wieland vom Staatstheater
Kassel. Post-Neoklassisches boten Ricardo Fernando vom Ballett
Hagen, Pascal Touzeau mit dem ballettMainz und Roberto
Scafati vom Ballett Ulm. Die zwölfköpfige Beijing-Dance-Company/LTDX
aus China überraschte mit zeitgenössischem Tanz, der
sich am deutschen Ausdruckstanz orientierte (Li Han-zhong und
Ma Bo). Außerdem bemerkenswert: einige Ex-TCG-Mitglieder
(Melodie Lasselin, Svende Obrocki, Masami Sakurai, Hiroshi Wakamatsu)
waren zu Irene K. gegangen und zeigten nun ihre neuen
Kreationen in Gießen. Überraschung und Wiedersehensfreude
garantiert!
Gartenschau, neue Studiobühne
und luftige Höhe
2014-2019
2014 fand die hessische Landesgartenschau in Gießen
statt, auf dem Stadtpark-Gelände hinter der Ringallee. Die Verbindungsachse
zur Innenstadt führte über die Gutenbergstraße
und den Brandplatz. Das Stadttheater-Ensemble trat mehrmals
by HMWK which led to mutual exchanges at festivals and several-weeks-long
workshop residences of local choreographers at
Shenzhen Arts School. But first the repertoire piece “Macbeth”
(Assam and David Williams) excited the school directors and
turned into the basis of a China tour by Tanzcompagnie Gießen
playing eight performances in Beijing, Shenzhen and Urumqi.
Robert Przybil made his solo debut in Gießen; he was to come
to Gießen more often. Just like Breathing Art Company (Simona
de Tullio) from Bari, which attracted several colleagues from Italy.
That year, Henrik Kaalund had created the Site Specific in the car
wash and brought a duet for the studio stage as well. Former TCG
member Morgane de Toeuf had joined Brachland-Ensemble,
which combines several art forms in its own socio-critical pieces.
In2013 students from Shenzhen Arts School was a guest in
Gießen. The cooperation was funded by Technische Hochschule
Mittelhessen (THM, Technical University of Middle Hesse) at their
Gießen site (Axel Schumann). The group explored the city and
its surroundings, naturally visited Frankfurt, rehearsed a dance
piece for the Grimm Anniversary Festival in Kassel (Assam, Markowitz,
Huang), and was part of the Site Specific in Gießen. The
“Von den Winden” (“Of the winds”) piece took place in front of
and in the newly renovated architectural department of THM. It
was a great challenge for choreographer Daniel Goldin, since he
was used to working with his permanent, well familiar ensemble.
The result was charming, many visitors went to see the show several
times.
A fresh breeze for the gala came from Nanine Linning and her
dance company of Theater Heidelberg and Johannes Wieland
of Staatstheater Kassel. Post neoclassical material came from
Ricardo Fernando of Ballett Hagen, Pascal Touzeau with “ballett-
Mainz” and Roberto Scafati of Ballett Ulm. The twelve-man strong
troupe of Beijing-Dance-Company / LTDX from China surprised
with contemporary dance which was inspired by Expressionist
dance (German Ausdruckstanz) (Li Han-Zhong and Ma Bo).
Also remarkable: some ex-TCG members - Melodie Lasselin,
Svende Obrocki, Masami Sakurai, Hiroshi Wakamatsu - had joined
Irene K. and now showed their new creations in Gießen. A
surprise and a merry reunion were guaranteed!
Garden Show, New Studio
Stage and Airy Heights
2014-2019
In 2014 the Hesse Garden Show took place in the Gießen
city park area behind Ringallee. The axis to the inner city ran via
Gutenbergstraße and Brandplatz. The city theatre ensemble
performed several times on the stage in the city park. During the
TanzArt-Festival Gießen had been proclaimed a dance city. That
was co-organized by “TSG Blau-Gold”, and the office of school
dance coordination. Only the late night disco in Gießen Congress
Hall was cancelled because of the beautiful weather: people
would rather stay outside in the open.
2012 kam erstmals das Shenzhen Dance Ensemble nach
Gießen, woraus sich ein vom HMWK gefördertes Langzeitprojekt
entwickelte, das zum wechselseitigen Austausch bei Festivals
und mehrwöchigen Workshop-Aufenthalten von hiesigen Choreograf:innen
in der Shenzhen Arts School führten. Zunächst
aber begeisterte das Repertoirestück „Macbeth“ (Assam und Da-
36 37
auf der LGS-Bühne im Stadtpark auf. Während des TanzArt-Festivals
war Gießen zur Tanzstadt ausgerufen worden, bei der die
Sportvereinigung TSG Blau-Gold und die Schulkoordinationsstelle
Tanz kräftig mitorganisierten. Nur die spätabendliche Disco
in der Kongresshalle, die fiel wegen des sommerlich schönen
Wetters aus. Die Menschen blieben lieber draußen im Freien.
Eine weitere Besonderheit war das Rilke-Dance-Project, bei
dem Schauspieler:innen und Tänzer:innen Rilke-Gedichte in
Szene setzten. Die Idee kam vom (Laien-) Theater Alte Feuerwache
(TAF) in Bad Nauheim, wurde in Koop mit Tänzer:innen
und Schauspieler:innen vom Stadttheater Gießen kreiert. Allein
während des TanzArt-Festivals gab es an drei Orten diese Rilke-Aufführungen,
auch im Kino Traumstern in Lich. Ein weiteres
Highlight der jüngeren Tanzgeschichte war die Rekonstruktion
von S.O.A.P.-Stücken, vom Choreografen Rui Horta persönlich
mit der Tanzcompagnie als Repertoirestück erarbeitet. Fast zur
Nebensache wurde bei all den Besonderheiten dieses Jahres
(die hier nur in Auswahl vorgestellt sind) die Präsentation einer
Broschüre zum 12. Geburtstag der Tanzcompagnie Gießen. Und
der Programmflyer zeigte erstmals ein anderes Motiv.
2015 bleibt im Gedächtnis mit einer Site Specific im Stadtverordneten-Sitzungssaal,
umgesetzt vom Schweizer Choreografen
Felix Duméril, der im Jahr zuvor mit seiner Partnerin Misato
Inoue als ‚T42‘ seinen witzig-klugen Einstand im TiL gegeben
hatte. Das im Titel angedeutete „Idea(l) of order“ wurde im Rathaus-Tanzstück
natürlich permanent unterlaufen. Humorvoll
war auch die Eröffnungspremiere auf der neuen Studiobühne
taT (kleines theater am großen Theater). Dafür ließ der Tänzer,
Choreograf und TCG-Trainingsleiter Paolo Fossa „den Goldfisch
sterben“ und webte darum einen kuriosen Tanzkrimi.
Zum ungeplanten Schwerpunkt dieses Festivals wurde das Älterwerden.
Zwei Tanzstücke dazu kamen aus Bonn: die Tanzkompanie
Bo Komplex befasste sich mit dem Thema Vertrauen
zwischen Partner:innen in verschiedenen Altersgruppen und aus
der Brotfabrik kamen zwei Tänzer im gesetzten Alter, die den Kulturbereich
hingebungsvoll verulkten bis hin zu einem Pianospiel
in Alzheimer-Version.
2016 wechselten die Besucher:innen zwischen besonderen
Orten: Tanz am Bahnhof und in der Zentralen Notaufnahme
des Uniklinikums. Für die TiL-Eröffnungspremiere hatte Assam
erstmals die niederländische Videokünstlerin Lieve Vanderschaeve
dazu gebeten. Sie schuf wandgroße, bewegte Bilder für
„Gravitas“, in und mit denen die Tänzer:innen agierten. Das war
für Besucher:innen ein geradezu körperliches Erleben.
Viele der wohlbekannten Tanzensembles waren wieder dabei,
aus Italien und Shenzhen, aus der Schweiz und von zahlreichen
deutschen Bühnen. Erstmals kam Susanna Curtis aus der freien
Szene Nürnbergs, die in den kommenden Jahren jeweils Neues
brachte. Ein Wiedersehen gab es mit den Ex-TCG-Mitgliedern
Lea Hladcka und Sven Gettkant, die sich zum Duo Svea Dance
zusammengeschlossen hatten.
2017 erkundete Marcos Marco das Schlaflabor des Uniklinikums
in einem zum Abriss stehenden Gebäudeteil, nachdem
er drei Jahre zuvor ein leerstehendes Fitness-Studio zum Leben
erweckt hatte. Massimo Gerardi gelang es erneut, mit seinem
Tanzstück für die Studiobühne Aufmerksamkeit zu erregen.
„Seid, was Ihr wollt“ - nach dem von Klaus Kinski gesprochenen
„Lasterhaften Balladen“ des Francois Villon - war geradezu kongenial.
Die TCG-Mitglieder legten sich darstellerisch extrem ins
Zeug. Assams Machtspiel um den blutrünstigen „Titus Andronicus“
auf der großen Bühne stand dem an Intensität nicht nach;
Caitlin-Rae Crook als geschändete Lavinia bleibt unvergessen.
Bemerkenswert war auch das abendfüllende „Minorities“, ein
Ruf nach Freiheit, den Choreograf Yang Zhen als Auftragsarbeit
Another specialty was the Rilke-Dance-Project with actors and
dancers enacting Rilke poems. The idea came from (non-professional)
Theater Alte Feuerwache (TAF) in Bad Nauheim and
was created in cooperation with dancers of Stadttheater Gießen.
During the TanzArt-Festival alone there were three Rilke performances,
as well as in the “Traumstern” cinema in Lich. Another
highlight of recent dance history was the reconstruction of
S.O.A.P. - pieces, personally developed by choreographer Rui
Horta with the dance company as a repertoire piece. With all the
specialties of that year – which are mentioned here only selectively
– the presentation of a brochure on the 12th birthday of
Tanzcompagnie Gießen almost became a minor matter. And for
the first time, the program-flyer showed a new motive.
2015 stays in memory with a Site Specific in the city assembly
hall, realized by Swiss choreographer Felix Duméril, who one
year before had made his funny and wise debut with “T42” in TiL.
The “Idea(l) of order” suggested in the title was of course thwarted
continually in the performance at city hall. Also humorous
was the opening premiere on the new studio stage “taT” (small
theatre at the big Theatre). For that, dancer, choreographer and
TCG head trainer Paolo Fossa “let the goldfish die” and weaved a
curios dance whodunit around that.
Unintentionally, ageing became the focus of that festival. Two
dance pieces on that subject came from Bonn: dance company
Bo Komplex dealt with the subject of trust between partners
from different age groups. And from Brotfabrik came two older
dancers who devotedly ridiculed the cultural sector, which culminated
in an alzheimerized piano performance.
In 2016 the visitors switched between special locations:
dance in the railway station and in the central emergency ward
of the university clinic. For the TiL opening premiere Assam had
for the first time invited Dutch video artist Lieve Vanderschaeve.
She created wall size moving pictures for “Gravitas”, which the
dancers interacted with. An almost physical experience for the
visitors.
Many of the well-known dance ensembles had come again, from
Italy and Shenzhen, Switzerland and from numerous German
stages. For the first time, Susanna Curtis from Nürnberg’s free
scene took part, which in the following years always brought new
material with her. There was a reunion of former TCG members
Lea Hladcka and Sven Gettkant, who had joined up to form the
Svea Dance duo.
In 2017 Marcos Marco explored the university clinic’s sleep
laboratory in a building section to be demolished, after he had
revitalized a vacant fitness studio three years before. Again Massimo
Gerardi succeeded in stirring interest with his dance piece
for the studio stage: “Seid was ihr wollt” (“Be what you like”) was
inspired by François Villon’s “Lasterhafte Balladen” (“The Vicious
Ballads”) narrated by Klaus Kinski and proved to be downright
congenial. The TCG members gave an outstanding performance.
Assam’s power play about the bloodthirsty “Titus Andronicus” on
the big stage was in no way inferior to that, Caitlin-Rae Crook as
defiled Lavinia remains unforgotten.
Also remarkable was the full length “Minorities”, a call for freedom
choreographer Yang Zhen had realized in Munich as a commissioned
project with dancers from different Chinese population
groups. The “Alte Kupferschmiede” (“Old Copper Forge”) was
discovered as a location, it provided the rustic setting for a diverse
framework program with exhibitions, readings, and performances.
in München mit Tänzerinnen aus verschiedenen chinesischen
Bevölkerungsgruppen erarbeitet hatte. Die Alte Kupferschmiede
wurde als Veranstaltungsort entdeckt, sie bot den urigen Rahmen
für ein vielfältiges Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Lesungen
und Performances.
2018 fand das online-Magazin Tanznetz die passende
Überschrift: Gala wieder ein rauschendes Tanzfest. Obwohl
eigentlich das gesamte Festival berauschend war. Alle am Netzwerk
beteiligten Theater hatten Tänzer:innen geschickt, viele der
Direktor:innen/Choreograf:innen reisten persönlich an. Fast alle
haben das Repertoirestück „Cross!“ erlebt, in dem Tarek Assam
seine Tanzcompagnie mit der Akrobatengruppe Yate aus Shenzhen
in ein tänzerisches Miteinander brachte, mit eigens komponierter
Musik von 48nord aus München.
Pascal Touzeau hatte sich mittlerweile in Bordeaux niedergelassen,
Tanz Trier wurde interimsweise von Susanne Linke geleitet,
Sergej Vanaev schickte aus Bremerhaven wieder eine
Tanzimpression, aus Breslau meldete sich Jacek Przybyłowicz,
aus Greifswald nach wie vor Ralf Dörnen, Guido Markowitz leitete
jetzt den Tanz am Theater Pforzheim und Ricardo Fernando
war mittlerweile in Augsburg. So wird die Kontinuität gewahrt, bei
Ortswechseln von Choreograf:innen kommen neue Bühnen hinzu,
manche Bühnen bleiben auch mit einer neuen Leitung dem
TanzArt-Netzwerk treu.
2019 bot einen geradezu symbolischen Höhepunkt: Den
Hubschrauber-Hangar des Luftrettungszentrums der Johanniter.
Hatte die erste Specific Site quasi versteckt im Keller des TIG
stattgefunden, so hatte sie nun luftige Höhen erreicht. Die taT-Eröffnungspremiere
brachte die Neuinterpretation (Ivan Strelkin)
des Tanzklassikers „Carmen“ aus der Traditionsschmiede der
Folkwang-Hochschule. Auch Assam hatte sich für die große Bühne
einem (Film-)Klassiker zugewendet: „Metropolis-Futur Drei“.
Ein taT-Abend hatte den Schwerpunkt Tribal Dances in zeitgenössischer
Anverwandlung. Ungewöhnlich war „Mana Orite“ von
Isabelle Nelson, die in den Niederlanden lebt, aus Neuseeland
stammt und sich mit dortigen Stammestänzen befasst hat. Junge
Sieger von Tanzwettbewerben in Italien stellten sich vor und
Susanna Curtis stellte die zentrale Frage: „Do You Contemporary
Dance?“. Staunenswert, was ihre Studie alles zutage gefördert
hatte, die Antworten sind so vielfältig wie die Menschen, die tanzen.
Abstand und Aussicht
2020 regierte bekanntermaßen das Corona-Virus, das körpernahe
Begegnung massiv einschränkte. Erst recht in der Festival-Variante,
die auf Treffen und Begegnungen, auf Reden und
Umarmen angelegt ist. Die tänzerische Überwindung von Distanz
wurde zur neuen Hauptaufgabe des Tanzes, doch digitales Streamen
ersetzt nicht das reale Erlebnis. Hoffen wir im aktuellen Jahr
2021 auf zahlreiche Folgefestivals und freuen uns auf rauschende
Tanzfeste in den nächsten Jahren.
In 2018 the online magazine “tanznetz” found the appropriate
headline: “Gala-A Fabulous Party Again”. Although the
whole festival was actually fabulous. All theatres participating in
the network had sent dancers, many of the directors/choreographers
arrived personally. Almost everybody experienced the
repertoire piece “Cross!” in which Tarek Assam moved his company
into a fusion with the Shenzhen acrobatic group “Yate”, with
music specially composed by “48nord” from Munich.
In the meantime, Pascal Touzeau had settled in Bordeaux, Tanz
Trier was temporarily directed by Susanne Linke, Sergej Vanaev
again sent a dance impression from Bremerhaven, Jacek
Przybyłowicz, came from Warsaw, from Greifswald Ralf Dörnen
kept in contact, Guido Markowitz now directd the Ballet at Theater
Pforzheim, and Ricardo Fernando had meanwhile arrived in
Augsburg. This maintains continuity, new stages are added when
choreographers move, some stages stay faithful to the TanzArt
network even under new directors.
2019 offered a virtually symbolical highlight: The helicopter
hangar of the Johanniter air rescue centre. Whereas the first
Site Specific had happened hidden in the basement of TIG, it had
now reached airy heights. The taT opening premiere presented
the new interpretation (Ivan Strelkin) of dance-classic “Carmen”
coming from the traditional Folkwang university. Assam, too, had
selected a (film) classic for the big stage: “Metropolis-Futur Drei”
(„Metropolis- Future Three“).
A taT evening was focused on Tribal Dances in a contemporary
view. “Mana Orite” by Isabelle Nelson, who lives in The Netherlands,
comes from New Zealand and has dealt with the local tribal
dances, proved to be exceptional. Young winners of dance contests
in Italy introduced themselves, and Susanna Curtis asked
“Do You Contemporary Dance?” The results of her studies were
amazing – the answers are as diverse as the people who dance.
Distance and Outlook
In 2020 obviously the Corona virus ruled, which massively
restricted close physical contact. All the more so for festivals
which are designed to enable meetings and encounters, conversations
and embraces. Overcoming social distancing by dance
became the new main task of dance, but digital streaming can’t
make up for the real experience. In 2021, let us hope for many
future festivals and look forward to fabulous TanzArt-Festivals in
the coming years.
38 39
TanzArt erobert die Stadt
Teil 2: Site Specifics und
Rahmenprogramm
Von Dagmar Klein
Ballettdirektor Tarek Assam hat von Beginn an sein Netzwerk weiter
ausgebaut, nicht nur innerhalb der Tanzszene, sondern auch
in der Stadt Gießen und Umgebung. Bereits zum ersten Festival
2003 bewegte er die örtlichen Tanzschulen zum Mitmachen,
ebenso die Tanzhochschulen aus Frankfurt und Köln, die ihre
Bühnenbeiträge in Gießen während des Festivals präsentierten.
In einer von der Universität geprägten Stadt wie Gießen suchte
er auch dort Partner:innen. Der erste, wiederum naheliegende
Kontakt war die Sportwissenschaft (Dr. Antje Klinge). Bewegungsabläufe
des Körpers wurden dort mit neuen Technologien erforscht.
Das ließ sich während des Universitätsjubiläums 2007 im
Wissenschaftszelt auf dem Kirchenplatz in einer Umsetzung mit
TCG-Tänzer:innen bestaunen. Und eine Absolventin der Angewandten
Theaterwissenschaft erarbeitete mit der TCG eine Rekonstruktion
von Oskar Schlemmers Triadischem Ballett. Auch
die Soziologen waren zu gewinnen (Dr. Georgia Rakelmann), sie
organisierten 2009 ein großes Tanz-Mitmach-Fest, das über die
ganze Stadt verteilt stattfand. Anlass war die Eröffnung des neuen
Rathauses.
Am Institut für Germanistik (Prof. Cora Dietl) gab es ein Kooperationsprojekt
mit einer spanischen Universität, das zu den europaweiten
Ursprüngen des Tanzes forschte und eine Ausstellung
präsentierte. Beiträge von der Angewandten Theaterwissenschaft
gelangten verstärkt zum Festival, nachdem der Studiengang
Choreografie und Performance eingerichtet war (Prof. Gerald
Siegmund, 2009). Zuletzt zeigten Studierende, gefördert
von der Hessischen Theaterakademie, selbst erarbeitete Stücke
in der Rathaus-Tiefgarage („Overlab/p“).
Site Specific Projekte
Ein wesentlicher Beitrag kam über all die Jahre vom städtischen
Kulturamt, das ab dem dritten TanzArt-Festival 2005 neben der
organisatorischen Hilfe auch finanzielle Unterstützung gewährte.
Seitdem können Gastchoreograf:innen eingeladen werden,
einen Ort außerhalb der Theaterräume zu bespielen. Diese Site
Specifics genannten Projekte wurden zum integrativen Bestandteil
der TanzArt ostwest in Gießen und trugen wesentlich dazu
bei, dass die Idee von Tanz als Weltsprache in immer weitere
Kreise hineingetragen wurde. Tänzerische Erkundungen ermöglichten
neue Blicke auf Vertrautes und brachten Menschen an
Orte, die sie bis dahin nicht kannten und die sie normalerweise
wohl nie betreten hätten.
Die Anfänge muten - von heute aus betrachtet - noch recht normal
an: das langgezogene Souterrain im TIG (2005), die Vorbühne
im Heli-Kino (2007) und die Lagerhalle auf dem Schlachthofgelände
(2008), benachbart zum langjährigen Probenraum der
Tanzcompagnie Gießen. Der erste spektakuläre Ort war 2006
TanzArt conquers the City
Part 2: Sit e Specifics and
Extra Program
by Dagmar Klein
Ballet director Tarek Assam expanded his network from the beginning,
not only within the dance scene but also in the city of
Gießen and its surroundings. For the first festival in 2003 he already
got the local dance schools to participate, just like the
dance academies of Frankfurt and Cologne, which showed their
stage contributions in Gießen during the festival.
In a city oriented towards the university, he looked for partners
there, too. The first obvious contact was with Sports Science (Dr.
Antje Klinge). They researched sequences of movements with
new technologies. You could admire that during the university
anniversary in 2007 on Kirchenplatz in an adaptation with TCG
dancers. And a graduate of Applied Theatre Studies developed
a reconstruction of Oskar Schlemmer’s “Triadic Ballet”. The sociologists
joined, too (Dr. Georgia Rakelmann). They organized a
big dance festival with audience participation in 2009 that took
place at locations all over the city. The occasion was the opening
of the new city hall.
The department of German Studies (Prof. Cora Dietl) launched
a cooperation project with a Spanish university that researched
the origins of dance in all of Europe and presented an exhibition
about it. More contributions from ATW made it to the festival
after a degree program had been established for choreography
and performance (Prof. Gerald Siegmund, 2009). At last students
showed self-developed pieces in the underground parking
space of the city hall (“Overlab/p”).
Site Specific Projects
Essential help through all these years came from the city’s office
of cultural affairs which also granted financial support from the
third festival. Since then guest choreographers can be invited
to perform at a location outside the theatre. The projects, called
Site Specific, became an integral part of the TanzArt ostwest
festival in Gießen and essentially contributed to the fact, that the
idea of dance as a world language was introduced to larger circles.
Dance discoveries made it possible to cast a new look at familiar
things and brought people to places they didn’t know until
then and which they would never have entered normally.
The beginnings - looking back from today - appear quite normal:
the drawn out TIG basement (2005), the stage of the Heli cinema
40 41
das obere Parkdeck des Karstadt-Parkhauses, das Projekt hieß
„Parking Spaces“. Doch ausgerechnet im Jahr des ersten Draußen-Stücks
mit „Car-Go“ von Kim Olson (Ohio/New York) spielte
das Wetter nicht mit, es war verflixt kühl. Auf reine Outdoor-Spielorte
wurde künftig verzichtet.
Irene K. hatte im gleichen Jahr mit ihrer Performance Glück, es
blieb zumindest trocken. Ihre Tänzerinnen begrüßten vor der
Gala im Stadttheater als Schneewittchen und tanzten im unteren
Foyer des Stadttheaters rund um die Einrichtungsobjekte.
Nach der Gala gab es draußen auf dem Vorplatz eine Performance
rund um ein einsames Bett, begleitet von einem Musiker
am Alphorn. Die Blicke der Vorübergehenden und -fahrenden
waren ihnen sicher. Und die Fotos von damals dokumentieren
die Veränderung des Stadtbilds: der diagonal gegenüberliegende
Platz war noch Baustelle für das zukünftige Rathaus.
Drei Jahre später war das neue Rathaus am Berliner Platz fertiggestellt.
Klar, dass die Festivalleitung diesen Ort nutzen wollte.
Assam reaktivierte seine Kontakte zu seinem vorherigen Wirkungsort
Halberstadt und konnte erreichen, dass der langanhaltende
Ton des John-Cage-Orgelprojekts ‚As slow as possible‘
(=ASLSP) aus der Burchardi-Kirche in Halberstadt ins Gießener
Rathaus übertragen wurde. Und passend zum amerikanischen
Komponisten gewann er die US-Amerikanerin Ana Baer Carillo
(Mexiko/Texas) für die Choreografie im Rathaus-Foyer und für
Workshops.
Nicht genug mit diesem Site-Specific-Auftakt, in den folgenden
Tagen erfolgten noch weitere Performances von TCG-Mitgliedern
im Rathaus, die im Foyer, auf offenen Zwischendecks, in der
Tiefgarage und auf dem Vorplatz tanzten. So gründlich ist wohl
kein Rathaus bei seiner Eröffnung tänzerisch erkundet worden.
In den folgenden Jahren ging es Schlag auf Schlag, die Site Specifics
wurden immer eindrucksvoller. Die Gießener Allgemeine
stellte ihre Produktionsräume für ein Tanzstück von David Finelli
(Frankreich/Spanien) zur Verfügung, das Mathematikum wurde
von Leszek Stanek (Polen) erobert und die THM öffnete ihr frisch
renoviertes Hugo-von-Ritgen-Haus, das Daniel Goldin (Münster)
für sein atemlos machendes Tanzstück „Von den Winden“ nutzte.
Die halbe Tanzcompagnie wurde bei dieser Choreografie von
Tanzschüler:innen der Shenzhen Arts School verstärkt, die fünf
Wochen lang zu Gast in Gießen waren.
In der neuen, noch ungenutzten Autowaschanlage an den Hessenhallen
inszenierte Henrik Kaalund (Dänemark) ein „Dirty Cleaning“,
dessen Witz von Marcos Marco (Spanien) im darauffolgenden Jahr
im leerstehenden Fitness-Studio in der Einkaufsmall Neustädter
Tor mit „A ciegas / Blindlings“ noch getoppt wurde. Zu seiner Choreografie
gehörte ein eigens gedrehter Videofilm, in dem ein vergnüglicher
tänzerischer Exkurs entlang des Flüsschens Wieseck
und durch die Stadt bis ins Fitness-Studio zu sehen war.
(2007), and the storage building on the area of the slaughterhouse
area (2008), nearby to the TCG rehearsal room of many years.
The first spectacular location was in 2006 the upper deck of the
Karstadt parking garage. The project was called “Parking Spaces”.
But precisely in the year of the first outdoor piece with “Car-Go”
by Kim Olson (Ohio, New York) the weather did not cooperate, it
was pretty cool. Outdoor locations were dropped then.
In the same year Irene K. was lucky with her performance, at least
it stayed dry. Her dancers welcomed the audience in front of
the Stadttheater dressed as Snow Whites and danced around
the furniture inside the theatre’s lower foyer. After the gala there
was a performance around a lonely bed in the forecourt, accompanied
by an alphorn player. They certainly caught the looks of
passersby and passing drivers. And the photos then taken document
the change in the cityscape: The area diagonally across was
still the construction site of the future city hall.
Three years later the new city hall was completed. And of course
the festival management wanted to use that location. Assam
reactivated his contacts with his former place of work in Halberstadt
and managed that the continuous organ sound from the
John Cage project “ASLSP” was broadcasted from the Buchardi
church in Halberstadt. And, matching the American Composer,
he convinced US choreographer Ana Baer Carillo (Mexico, Texas)
to do the choreography in the city hall foyer and some workshops.
Not enough with this Site Specific beginning there were three
more performances by TCG members through the following days
in the city hall, in the foyer, on open intermediary decks, in the underground
garage and in the forecourt. Probably no city hall has
ever been explored so thoroughly by dancers before.
It went blow by blow the following years, the Site Specifics became
more and more impressive. The Gießener Allgemeine newspaper
made their production halls available for a dance piece
by David Finelli (France/Spain), Leszek Stanek (Poland) conquered
the Mathematikum, and THM unlocked their freshly renovated
Hugo-von-Ritgen building, which Daniel Goldin (Münster)
used for his breathtaking dance piece “Von den Winden” (“Of
the winds”). Half of TCG was reinforced by Shenzhen Art School
dance trainees, who were guests in Gießen for five weeks.
In the new, still unused carwash at the Hessenhallen, Henrik Kaalund
(Denmark) directed a “Dirty Cleaning”. The joke of that was
even exceeded the following year by Marcos Marco who did „A
ciegas / Blindlings” in the mall at Neustädter Tor. His choreography
contained a specially filmed video movie, showing an enjoyable
dance excursion along the Wieseck creek and through
the city up to the gym.
Zu den wohl einprägsamsten Stücken gehörte „The Idea(l) of Order“
von Felix Duméril (Schweiz), der 2015 den Stadtverordneten-Sitzungssaal
bespielte. Das war im besten Sinne frech und
respektlos inszeniert, und stieß auf große Begeisterung beim Publikum.
Ob aber alle Stadtverordneten sich das Stück ansahen,
ist fraglich; einige fremdelten mit dieser Idee. Im darauffolgenden
Jahr erkundete Duméril das historische Bahnhofsgebäude
Gießens, von der Empfangshalle über verschiedene Bahnsteige,
selbst die Gepäckaufbewahrung war für eine Überraschung gut.
Im gleichen Jahr war das Uniklinikum Gießen (UKG) erstmals dabei,
es sollten weitere Veranstaltungen folgen. Die Notaufnahme-Performance
2016, erarbeitet von TCG-Mitgliedern, veranlasste
die Besucher:innen sich an einem sonst eher gemiedenen
Ort zu versammeln und einen angstfreien Blick auf das dortige
Geschehen zu werfen. 2016 wurde die weitgehend leerstehende,
da auf ihren Abriss wartende, alte Orthopädie des Klinikums
zur Site Specific. Wegen der engen Gänge und Räume war es für
Gastchoreograf Marcos Marco und das Orga-Team auch eine
logistische Herausforderung das Publikum gut gelaunt durchzuschleusen.
Dieses Problem stellte sich 2018 im gläsernen Treppenhausanbau
der Chirurgie nicht. Tiago Manquinho (Portugal/Deutschland)
ließ die Tanzenden unten agieren, oft auf dem Boden liegend,
und das Publikum konnte sich rundum am Treppenaufgang
bis nach oben positionieren und durch die blauen Kunstsegel
von Nikolaus Koliusis hinunterschauen. Das war ein selten schönes
Erlebnis, optisch noch verstärkt durch den Ausblick über die
Stadt bei untergehender Sonne, akustisch unterstützt durch die
live ertönende Pianomusik, die den hohen Raum wunderbar erklingen
ließ. Für die Menschen, die dort täglich arbeiten, war es
sicher noch überraschender als für Ortsneulinge. Die UKG-Performance
2019 ging unter die Haut: Tänzer und Choreograf Paolo
Fossa (Italien/Deutschland) hatte mit Schauspielerin Esra
Schreier vom Stadttheater eine Art Dialog von Tanz und gesprochenem
Text geschaffen, den sie von der Eingangshalle bis zum
rückwärtigen Aufenthaltsraum performten. Das Nachdenken
über Krankheit und Tod erfuhr hier eine neue Dimension, brachte
Zuschauer:innen den Tränen nahe.
“The Idea(l) of Order” by Felix Duméril (Switzerland), which played
the city hall conference room, probably belongs to the most
significant pieces. That was directed boldly and disrespectfully in
the best sense of the word and aroused enormous enthusiasm
by the audience. It is questionable whether all the city councilors
watched the piece; some felt suspicious about this idea. In the
following year Duméril explored Gießen’s historic train station
building. Starting with the entrance hall and passing several platforms,
even the baggage room was used for a surprise.
In the same year, the University Clinic Gießen was with it for the
first time, further events were to follow. The performance in the
emergency department in 2016, developed by TCG members,
invited the spectators to come together in a place they usually
would avoid and take a fearless look at the things happening
there.
In 2016 the mostly abandoned old orthopedic clinic, awaiting its
demolition, became a Site Specific. Because of the narrow hallways
and rooms it was a logistical challenge for choreographer
Marcos Marco and the organizers to get the audience through in
a good mood.
This problem did not exist in 2018 in the glass stairway of the
surgical clinic. Tiago Manquinho (Portugal/Germany) had the
dancers perform at the bottom, often lying on the floor, and the
audience took position anywhere from the bottom to the top
and see everything through Nikolaus Koliusis’ blue sails. An experience
of rare beauty even reinforced by the view over the city at
sundown, supported acoustically by the sounds of live piano music
making the high space sound quite wonderfully. It surely was
even more surprising for the people working there every day than
to people new to the location. The UKG performance in 2019
went under your skin: Dancer and choreographer Paolo Fossa
(Italy/Germany) and Esra Schreier, actress of the Stadttheater,
had created some sort of dialog between dance and spoken text,
which they performed from the entry hall to the rear common
room. Reflecting sickness and death reached a new dimension
here, it brought spectators close to tears.
The Site Specific of 2019 was special too, choreographically realized
by Lucyna Zwolinska (Poland). The Johanniter rescue head
office could be convinced to make the helicopter hangar available
for a dance piece. Since the landing pad for the aircraft is
situated directly before that, lots of safety regulations had to be
followed. Indeed, the rescue team was called on a mission the
night of the premiere, so that the circulating rotor blades made
for a spectacular backdrop for the dance. In the beginning the visitors
were not sure, if it was a real or an arranged mission. That
was one topic of conversation afterwards, while enjoying a spectacular
view on Gießen.
42 43
Auch die Site Specific des Jahres 2019 war besonders, choreografisch
umgesetzt von Lucyna Zwolinska (Polen). Die Johanniter-Zentralstelle
konnte dafür gewonnen werden, den Hubschrauber-Hangar
für ein Tanzstück zur Verfügung zu stellen. Da
der Landeplatz für den Hubschrauber direkt davor liegt, mussten
viele Sicherheitsvorschriften beachtet werden. Und tatsächlich
wurde das Sanitätsteam am Premierenabend zu einem Einsatz
gerufen, so dass die angeworfenen Hubschrauberrotoren zu einem
spektakulären Hintergrund für den Tanz wurden. Die Besucher:innen
waren sich anfangs nicht sicher, ob es nun ein echter
oder ein verabredeter Einsatz war. Das lieferte im Anschluss so
einigen Gesprächsstoff zum spektakulären Ausblick auf Gießen.
Ausstellungen mit
Performances
Die Idee, Ausstellungen ins Begleitprogramm zu nehmen, war
früh geboren. Schließlich gehören zum Theater immer auch Fotograf:innen,
die einen hohen künstlerischen Anspruch haben,
so auch in Gießen. Die erste Ausstellung fand schon im zweiten
Jahr (2004) im Alten Schloss statt, das ist einer von drei Standorten
des Oberhessischen Museums Gießen (Ltg. Dr. Friedhelm
Häring). Inmitten der städtischen Kunstsammlungen stellten Meret
E. Engelke und Rolf K. Wegst Fotografien aus, beide vor allem
aus Tanzstücken von Roberto Galván, dem Vorgänger von Tarek
Assam. Und im Sonderausstellungsraum im Alten Schloss gab es
erstmals eine Tanz-Performance: Susan McDonald, Assistentin
von Tarek Assam, tanzte im langen Rock eine Choreografie von
TCG-Mitglied Miranda Glikson.
2005 präsentierte Engelke wieder eine Foto-Ausstellung, jetzt
mit den ersten Aufnahmen vom TanzArt-Festival. Und Glikson
tanzte ihre eigene Choreografie „Ophelia Pi“. Es dauerte noch
drei Jahre (2008) ehe sie auch als künstlerische Fotografin an die
Öffentlichkeit trat, jetzt begleitete ihre Kollegin Antonia Heß die
Eröffnung mit einer Tanzimprovisation ganz nah am Publikum.
Ort war nämlich die Galerie Remmele, deren Räume in einem
Hinterhofgebäude im Seltersweg lagen. Auf diesem Wege kam
auch das traditionelle Kunst-Ausstellungs-Publikum mit Tanz in
Berührung.
Die zweite Ausstellung dieses Jahres führte in die Räume der
Volkshochschule an der Fröbelstraße. Kursleiterin Maria Miladinovic
hatte mit Teilnehmer:innen ihres Malkurses bei Tanzproben
Bewegungsskizzen gemacht. Bei der Vernissage geleitete
das Tanzduo Maike Hild und Kai Guzowski das Publikum von
draußen über lange Flure bis in den Ausstellungsraum. Miladinovic
präsentierte sich 2013 noch einmal, jetzt mit Malerei in einer
Arztpraxis im Martinshof, die regelmäßig Kunstausstellungen bot.
Auch hier waren Performances von TCG-Mitgliedern zu erleben,
was längst zur schönen Tradition geworden war.
2009 war das Eröffnungsjahr des Rathaus-Neubaus, das nicht
nur mit dem bereits vorgestellten John-Cage-Orgelprojekt tänzerisch
gefeiert wurde. Die oberen Flure im großen Foyer konnten
Miranda Glikson und Frank Sygusch erstmalig für eine Ausstellung
nutzen. Und Merit Engelke bediente den quasi dokumentari-
Exhibitions with
Performances
The idea to include exhibitions into the extra program was born
early. After all, photographers with high artistic demands always
belong to the theatre and that also applies to Gießen. The first
exhibition took place already in the second year (2004) in Altes
Schloss (Old Castle), which is one of three locations of Oberhessisches
Museum (Upper Hesse Museum, headed by Dr. Friedhelm
Häring). In the midst of the municipal art collections, Merit
E. Engelke and Rolf K. Wegst showed photographs, both mainly
of dance pieces by Roberto Galván, Tarek Assams’ predecessor.
And there was a dance performance for the first time in the special
exhibition room of Altes Schloss: Susan McDonald, assistant
to Tarek Assam, in a long skirt danced a choreography of TCG
member Miranda Glikson.
In 2005 Engelke again presented a photo show, now with her first
shots of the TanzArt-festival. And Glikson danced her own choreography
“Ophelia P.” It took another three years (2008) before
she went public as an artistic photographer. Now her colleague
Antonia Heß accompanied the opening with a dance improvisation
really close to the audience. The location was the Remmele
gallery, which had its rooms in a backyard building on Seltersweg.
This let the traditional art exhibition audience come in contact
with dance.
The second exhibition of that year was in the rooms of the community
college on Fröbelstrasse. Course instructor Maria Miladinovic
had their students do movement sketches during dance
rehearsals. At the vernissage, dance duo Maike Hild and Kai Guzowski
led the visitors from outside through long hallways into
the exhibition room. Miladinovic presented herself another time
in 2003, now showing paintings in a medical practice in the Martinshof
who regularly offered art exhibitions. Here too you could
experience performances by TCG members, which had become
a beautiful tradition.
2009 was the year of the opening of the newly built city hall, which
was not only celebrated in dance with the already mentioned
John Cage organ project. For the first time Miranda Glikson and
Frank Sygusch could use the upper hallways in the big foyer for an
exhibition. And Merit Engelke provided the quasi documentary
part of the exhibition in the Stadttheater’s top foyer. She showed
black and white impressions of the past six years of TanzArt ostwest
in Gießen.
Her colleague Rolf K. Wegst intensified his dance photography
and exhibition activities. He showed his compilations called
“TanzArtik” at the Kümmerei (Center of City Care) in 2010 and
at the Mathematikum (Mathematics Museum) in 2011. At times
he shared his job with photographer Dietmar Janeck, who had
schen Ausstellungsteil im obersten Foyer des Stadttheaters. Sie
zeigte Schwarzweiß-Impressionen aus den vergangenen sechs
Jahren der TanzArt ostwest in Gießen.
Ihr Kollege Rolf K. Wegst intensivierte seine Tanzfotografie und
Ausstellungstätigkeit, er zeigte 2010 in der Kümmerei und 2011
im Mathematikum seine „TanzArtik“ genannten Werkgruppen.
Zeitweise teilte er den Job des Theaterfotografen mit Dietmar
Janeck, der bereits als Tänzer der Gruppe S.O.A.P. am Frankfurter
Mousonturm mit dem Fotografieren begonnen hatte. Als es gelang
im Jahr der Landesgartenschau in Gießen (2014) den Choreografen
Rui Horta (Portugal) für eine Re-Inszenierung einiger
S.O.A.P.-Stücke nach Gießen zu holen, fungierte Janeck als sein
Assistent und zeigte während der TanzArt eine Auswahl Fotografien
aus seiner Zeit als S.O.A.P.-Tänzer. Diese Ausstellung fand in
den Fluren des Amtsgerichts in der Gutenbergstraße statt, da es
an der zentralen Verbindungsachse zwischen dem LGS-Gelände
und der Innenstadt lag.
2013 präsentierte Wegst Fotos aus dem Erfolgsstück „Siddharta“
(Assam/Hecktor) und nutzte dafür zum ersten Mal einen Raum
in der Umgebung Gießens, die Gaststätte ‚Statt Gießen‘ des Kino
Traumstern in Lich. 2015 folgte seine große Fotoschau mit Kollegen
Frank Sygusch im noch neuen Ausstellungsraum des städtischen
Kulturamts, dem KiZ (Kultur im Zentrum). Groß war die
Räumlichkeit und groß waren die Maße der Fotografien. Es waren
zwei unterschiedliche Blickweisen auf Tanzästhetik zu erleben.
2018 wurde das KiZ zum Ort für eine faszinierende Jazz-Improvisation
zwischen dem Tänzer Kelvin Kilonzo, der in Gießen aufgewachsen
ist, und dem Trompeter Pablo Giw; beide leben in Köln.
Über die TanzArt rückten auch kleine, eher versteckt gelegene
Veranstaltungsräume in den Fokus der Öffentlichkeit. Das war
zum einen die Galerie Kornboden dreifünf in der Krofdorfer Straße
35, hinter der Hofbäckerei Lambertz gelegen. Dort hatte 2014
Sygusch Fotoarbeiten präsentiert, 2015 folgte Manuel Wahlen
mit Malerei; das einstige TCG-Mitglied hatte im Jahr zuvor seine
Tänzerlaufbahn beendet, um Bühnenmaler zu werden. Seine
einstige Kollegin Mamiko Sakurai zeigte eine raumgreifende Performance,
bei der sie mit Händen und Füßen in roter Farbe malte.
Der nächste Sonderraum war ab 2017 die Alte Kupferschmiede
im Tiefenweg, wo nicht nur Ausstellungen (Wegst, Anja Petry),
sondern auch diverse Lesungen und Performances das Festival
in den Nachmittagsstunden begleiteten. 2019 war auch das Alte
Schloss (Ltg. Dr. Katharina Weick-Joch) wieder Veranstaltungsort.
Mechtild Hobl-Friedrich hatte gemeinsam mit der TCG-Tänzerin
Maria Adriana Dornio eine Tanz-Lesung kreiert, die im
Schloss-Innenhof mit seinen zeitgenössischen Skulpturen und
historischen Artefakten stattfand.
started photography while being a dancer with the S.O.A.P. group
at the Frankfurt Mousonturm theatre. When Assam succeeded
in booking choreographer Rui Horta (Portugal) for Gießen in the
year of the Hesse State Garden Show (LGS, 2014) for a re-production
of some S.O.A.P. pieces, Janeck worked as his assistant and
during TanzArt he showed selected photographs from his time as
a S.O.A.P. dancer. This exhibition took place in the hallways of the
lower regional court on Gutenberg Strasse, since it was situated
at the central axis between the LGS area and the inner city.
In 2013 Wegst presented photos of the hit piece “Siddharta” (Assam/Hecktor)
and for the first time used a location in the environment
of Gießen, the “Statt Gießen” (a pun: “instead of” Gießen)
restaurant of the Traumstern cinema in Lich. In 2015 followed a
big photo show with his colleague Frank Sygusch at the then new
municipal exhibition room, the KiZ (“Kultur im Zentrum”, “Culture
in the Center”). The room was big and the photographs were too.
You could experience two different perspectives on dance aesthetics.
In 2018 the KiZ became a location for a fascinating Jazz
Improvisation between dancer Kelvin Kilonzo, who had grown up
in Gießen, and trumpet player Pablo Giw, both living in Cologne.
TanzArt brought smaller, rather hidden locations into the public
eye. There was the Kornboden dreifünf gallery (Granary three-five)
on Krofdorfer Strasse, situated behind Hofbäckerei (court
bakery) Lambertz. In 2014 Sygusch had shown photographies
there, in 2015 Manuel Wahlen followed with paintings; the former
TCG member had finished his dance career the year before to
become a scene painter. His former colleague Mamiko Sakurai
showed an expansive performance about body painting in red.
The next special room as of 2017 was the Alte Kupferschmiede
(Old Copper Forge) on Tiefenweg, where not only exhibitions
(Wegst, Anja Petry) accompanied the festival in the afternoon
hours, but also various readings and performances. In 2019 the
Alte Schloss (The Old Castle, headed by Dr. Katharina Weick-
Joch) became a location again. Mechtild Hobl-Friedrich and
TCG dancer Maria Adriana Dornio had created a dance reading,
that was performed in the inner courtyard with its contemporary
sculptures and historic artefacts.
44 45
Blanche
TIG (+ MuK)
José Maria Alves
© rkw
05
Parking Space
Karstadt Parkhaus
Kim Olson
© dkl
06
46 47
Lichtspieltänze
Heli-Kino
© syg
07
Mirko Hecktor
Horrormovie, Teil von „Lichtspieltänze“
Im Jahr 2006 – ich studierte Angewandte Theaterwissenschaft
an der JLU in Gießen – realisierte ich zusammen mit
meinem damaligen Kommilitonen Stefan Hölscher die Multimedia-Tanzinstallation
CUBOX3:3 und somit auch meine erste
Kooperation mit der Tanzcompagnie Gießen. Tarek Assam
ließ bei dem Stück ohne Zögern drei Tänzer:innen – Miranda
Glikson, Melodie Lasselin und Hiroshi Wakamatsu – mitwirken.
Ein Jahr später lud mich Tarek ein, mit ihm zusammen und
der Compagnie das Tanzstück “Fabelhafte Marlene” zu choreografieren.
Daraus entstand eine langjährige Choreografen-Freundschaft
mit insgesamt sieben gemeinsam choreografierten
Tanzstücken für das Stadttheater Gießen.
Es muss 2007 gewesen sein, als ich ein – im Nachhinein betrachtet
– ziemlich seltsames Theaterstück für das TanzArt
ostwest-Festival produzierte, in dem das Atmen, Fiktion, Subjekt-/
Objekt-Verhältnisse und Sexualität thematisiert wurden.
Das Stück “Horrormovie” wurde im Rahmen des Festivals
in einem Kino auf der Frankfurter Straße performt und zeigte
zuerst eine vierminütige, schwarzweiße Film Noir Studie - als
Verfremdungseffekt entgegen gewohnter und gesellschaftlich
tradierter Kino-Sichtweisen - auf dem vertikal gewellten
Stoff des roten Vorhangs der riesigen Kinoleinwand. In Sonja
Junkers und meiner Filmstudie dekliniert die Schauspielerin
Jeanne Tremsal einige Minuten lang zentrale Themen aus
dem Film Noir Thriller Genre, wie Flucht, Panik, Schreien, Fallen
und Bedrängung. Daraufhin öffnet sich der Vorhang des
Kinos. Auf die Leinwand wird in Helvetica, weiß auf schwarz
der Titel “Horrormovie” projiziert. Eine Tänzerin läuft mit
schwarzen High Heels, hautfarbenen Strümpfen mit Naht
Mirko Hecktor
Horrormovie, Part of “Lichtspieltänze”
In 2006 – I was studying Applied Theatre Studies at Justus-Liebig-University
in Gießen – together with my then fellow
student Stefan Hölscher I realized the multimedia-dance-installation
“CUBOX3:3” and with that my first cooperation with
Tanzcompagnie Gießen. Tarek Assam without hesitation let
three dancers – Miranda Glikson, Melodie Lasselin and Hiroshi
Wakamatsu – participate in that piece. A year later, Tarek invited
me to choreograph the dance piece “Fabelhafte Marlene”
together with him and the company. This developed into a
long-standing friendship of choreographers with a total of seven
dance pieces the two of us choreographed for the Stadttheater
Gießen.
It must have been 2007 when I produced a – looking back -
pretty strange theatre play for the TanzArt ostwest-Festival
which dealt with breathing, fiction, subject/object-relations
and sexuality. “Horrormovie” was performed during the festival
in a cinema on Frankfurter Straße. At first it showed a
four-minute black and white film-noir-study – as an alienating
effect countering familiar and socially accepted ways of
viewing film in cinemas, on the wavy cloth of the red curtain
before the giant screen. In Sonja Junkers’ and my film study
und einem waldgrünen, knielangen 1960er-Trenchcoat in die
Mitte der Bühne vor die Leinwand. Dort atmet sie einige Male
tief ein und aus, hält die Luft an und startet ein Diktaphon in
ihrer Hand. Die nächsten Minuten schaut der Zuschauer der
Tänzerin zu, wie ihr Körper aufgrund des entstehenden Luftmangels
zuckende Bewegungen ausführt, in sich verkrampft
und zu Boden geht. Währenddessen hört der Rezipient auf
der Diktaphon-Aufnahme leise eine fiktive Erzählung, in der
zwei Menschen an verschiedenen Orten die Atmung von Sexszenen
imitieren. Die Tänzerin strauchelt und fängt reflexartig
wieder schwer das Atmen an. Sie geht außer Atem von der
Bühne ab. Black. Zu dem Track “My Body Is A Cage” von Arcade
Fire, der zuerst von den Lautsprechern eines Laptops auf der
Bühne abgespielt wird, sieht der Zuschauer auf dem kleinen
Rechnerbildschirm den Abspann mit den Worten “Fin, Ende,
End”. Während einer kurzen Pause im Song setzt dieser sehr
laut über das Soundsystem des Kinos wieder ein und im selben
Moment erscheint der Abspann “Fin, Ende, End” monströs
groß, weiß auf schwarz auf der Kinoleinwand.
Der Zuschauerapplaus für das Stück war bescheiden. Als ich
mich mit Tarek danach austauschte, meinte er trocken: „Was
hast du erwartet? Du hast den Leuten einen Horrorfilm gezeigt.
Das Stück war verstörend!”.
Out of the Box denken, Experimente und andere Perspektiven
zulassen, Kontakte knüpfen und die Grenzen des Stadttheaterbetriebs
auch immer wieder neu ausloten, das ist seit
jeher – denke ich – der libertäre Antrieb von Tarek Assam um
TanzArt ostwest weiterzuentwickeln.
09
John Cage Orgel-Projekt
Gießen
Rathaus, Ana Baer Carillo
© rkw
the actress Jeanne Tremsal declines for some minutes central
topics of the film noir thriller genre like flight, panic screaming,
falling and harassment. With that, the cinema curtain opens.
The title “Horrormovie” is projected in white Helvetica script
on black. A dancer in black high heels and seamed skin-colored
stockings and a forest-green, knee-length 1960 trench
coat walks to center stage in front of the screen. There she
breathes in and out deeply sometimes, stops breathing and
starts a dictaphone she’s holding in her hand. During the next
minutes the viewers watch the dancer as her body, because
of the resulting lack of air, twitches, cramps up and goes down.
During this, the recipient hears a soft fictitious story in which
two people at different places imitate the breathing during
sex scenes. The dancer tumbles and reflexively starts breathing
deeply again. She exits out of breath. Black. To the sound
of Arcade Fire’s “My Body Is A Cage”, which is at first played
off a laptop on the stage, the viewer watches the final credits
“Fin, Ende, End” on the small computer screen. During a short
break in the song it comes on again very loudly on the cinema’s
sound system, and in the same moment the final credit
“Fin, Ende, End” appears monstrously big in white on black on
the cinema screen.
The audience’s applause was modest. When I exchanged
views with Tarek afterwards, he dryly remarked “What did you
expect? You showed the people a horror movie. That piece
was disturbing!”.
Thinking out of the box, admitting experiments and different
perspectives, making contacts and exploring the borders of
a professional theatre anew again – I think – is Tarek Assam’s
libertarian motivation to further develop TanzArt ostwest.
Stop the Gießener
press!10
Allg. Ztg.10
David Finelli
© rkw10
48 49
Henrik Kaalund
Dirty Cleaning
Gerne denke ich zurück an die Arbeit mit den Tänzer:innen
und anderen Mitarbeiter:innen des Stadttheater Gießen, während
der Gestaltung von „Dirty Cleaning“ in der Auto-Waschstraße
in 2012. Tarek Assam hatte mir absolute Freiheit gegeben
in der Gestaltung und das ging mit der zuvorkommenden
Art der Tänzer:innen und Mitarbeiter:innen des Stadttheater
Gießen leicht vonstatten. Ich denke wir haben eine durchaus
unterhaltsame Produktion mit einem gewissen Tiefgang geschaffen.
Hat mir echt Spaß gemacht, vielen Dank an alle Beteiligten
an dieser Stelle!
Dirty Cleaning
Autowaschanlage FAWA
© rkw
Chaos Algorhythm
Mathematikum
Leszek Stanek
© rkw
11
Henrik Kaalund
Dirty Cleaning
I like to remember working with the dancers and other staff
members of Stadttheater Gießen during the production of
“Dirty Cleaning” in the car wash in 2012. Tarek Assam had given
me absolute creative freedom, and that worked out well with
the dancers and other staff members of Stadttheater Gießen.
I think we created quite an entertaining piece that even had a
little depth. It was real fun, thanks to all the collaborators from
here!
12
Daniel Goldin
Von den Winden
Das Site Specific-Projekt „Von den Winden“ für das Festival
2013 war eine Erfahrung, die Begegnung, Zusammenhalt und
Verbindung in sich vereinte.
Es war die erste Choreografie, die ich nach 16 Jahren künstlerischer
Kreationen mit meiner eigenen Compagnie, dem Tanztheater
Münster, neu entwickelt habe. Es war ein Zusammentreffen
mit einer mir fremden Gruppe von Künstler:innen. Die
große Herausforderung war die Übertragung meiner choreografischen
Sprache, meiner eigenen Bewegungsqualität.
Die Tanzcompagnie Gießen hatte die Shenzhen Arts School
zu Gast. So wurde das Treffen zur Begegnung mit zwei Tanzensembles,
zwei Welten, zwei Universen. Sie hatten unterschiedliche
Wege, Tanz zu verstehen und auszudrücken. Die
Herausforderung war die Integration, eine Einheit zu schaffen.
Zwei unterschiedliche Innenräume der Technischen Hochschule
wurden bespielt. Von einer Baracke, wo der erste Teil
stattfand, bis zur Aula für den zweiten Teil sollte man einen
offenen Innenhof und das große Treppenhaus überwinden.
Die Herausforderung war die Verknüpfung, eine energetische
Spur zu legen.
All dies hat mich wieder mit einem essenziellen Aspekt der
Kunst des Choreografierens konfrontiert: dem Zusammenwirken
verschiedener Herausforderungen.
14A Ciegas/ Blindlings
Neustädter Tor
Marcos Marco
© dkl
Von den Winden
THM
© rkw
13
Daniel Goldin
Von den Winden
The Site Specific-project „Von den Winden” (“Of the winds”)
for the 2013 festival was an experience that united encounter,
solidarity and connection.
It was the first choreography that I newly developed after sixteen
years of artistic creations with my own company, Tanztheater
Münster. It was an encounter with a group of artists
unfamiliar to me. The big challenge was the translation of my
own choreographic language, my own quality of movement.
Tanzcompagnie Gießen had Shenzhen Arts School with them.
That way the meeting turned into an encounter of two dance
ensembles, two worlds, two universes. They had different
ways of understanding and expressing dance. The challenge
was to create the integration, a unity.
Performances took place in two different inner spaces of the
Technische Hochschule. You were supposed to cross an open
yard between a barrack, where the first part took place, and
the big stairway. The challenge was the connection, laying an
energetic trail.
All of this confronted me again with an essential aspect of doing
choreography: the combination of different challenges.
50 51
The Idea(l) of Order
Rathaus
© rkw
Félix Duméril
15
The Idea(l) of Order (2015),
World Wi(l)de Walking (2016)
Ein Zufall brachte uns wieder in Kontakt mit Gießen. Ich war
in der Vergangenheit schon mal dagewesen. Jahre zuvor hatte
ich vorgetanzt und kam später, als ich Tänzer in Frankfurt
war, um mir Stücke anzusehen. Leider hab ich die Verbindung
dann ein bisschen verloren.
Tänzer:innen, mit denen wir gearbeitet hatten, waren jetzt in
Tareks Compagnie. Dann entdeckten wir das Festival, zu dem
wir leicht eine Verbindung fanden. Denn unsere Compagnie,
T42Dance, steht irgendwo am Kreuzweg zwischen Kulturen
aus Ost und West. Diese Reise begann also damit, dass unsere
Compagnie erstmals mit drei kurzen Stücken in Gießen
auftrat. Es war ein sehr warmer Frühsommer. Das erschien irgendwie
absurd, da es einen sehr kalten Frühling gegeben hatte.
Dieses Jahr löste den Wunsch aus, nach Süden zu gehen,
um die Sonne zu finden. Stattdessen fuhren wir nach Norden
und traten beim Festival in Gießen auf. Wir hatten dieses unglaubliche
Wetter nicht erwartet, das die pulsierende Atmosphäre
von Kulturaustausch umso mehr förderte.
Wir haben uns wirklich sehr über den herzlichen Empfang
durch Tarek und das Festivalteam gefreut, die Toleranz und
die Offenheit für ein großes Spektrum tänzerischen Ausdrucks
und Stils. So sollte ein Festival sein: ein Ort wirklichen
Feierns und der Begegnung zwischen Menschen.
Es war sehr schön, in den folgenden Jahren in verschiedenen
Rollen wieder eingeladen zu werden, die Entwicklungen zu beobachten
und ein kleiner Teil von ihnen und des Festivals zu
werden.
Das für das Gießener Rathaus geschaffene Site Specific-Stück
war ein ganz besonderes und unvergessliches Erlebnis. Tarek
brachte eine heterogene Gruppe von Künstler:innen auf und
hinter der Bühne zusammen und bat mich, in einer bedrohlich
kurzen Zeit ein Stück zu schaffen, das in Beziehung zum
Spielort stand. Aber irgendwie funktionierten alle Dinge im
Zusammenhang mit dem Stück, als wären sie seit langer Zeit
Félix Duméril
The Idea(l) of Order (2015),
World Wi(l)de Walking (2016)
A coincidence brought us back in contact with Gießen. I had
been here in the past. I had auditioned ages ago as a dancer,
then later came to watch shows when I was a dancer in Frankfurt.
Then unfortunately I lost track a little.
Dancers we had worked with were now dancers in Tarek’s company.
We then discovered the festival, to which we could connect
easily, since our company, T42dance, is situated somewhere
at the crossroads between cultures of the East and the
West. So this journey started with our company doing a first
performance in Gießen with three short pieces. It was a very
warm early summer. That seemed somehow absurd, since it
had been a very cold spring. It was that year which triggered
the desire to go south to find the sun. Instead, we went north
and performed at the festival in Gießen. It was unexpected to
experience this amazing weather that even more supported
the vibrant atmosphere of cultural exchange. We really enjoyed
Tarek’s and the festival team’s welcome, the tolerance and
openness to a large spectrum of dance expression and styles.
That’s how a festival should be: a place of real encounters and
celebration between people.
It was very nice to be invited back in the following years playing
different roles, to see and become a small part of the developments
of the company and the festival.
The Site Specific piece created for the Gießen city hall was a
very special and memorable experience. Tarek brought a heterogenic
group of persons (stage and backstage artists) together
and asked me to create a piece connected to the location
in a quite challenging period of time. Somehow all things
for the project worked out as smoothly as if they had been well
planned a long time ago. I rarely felt work being so natural and
so much fun before. And we were so pleased about the posi-
sorgfältig geplant worden. Ich hatte selten zuvor ein so angenehmes
und natürliches Gefühl bei der Arbeit. Und wir freuten
uns so sehr über die die positiven Rückmeldungen. Wir konnten
beim Festival dann auch unser Stück spielen, was ideal ist
für Künstler:innen, die gern verschiedene Aspekte ihrer Arbeit
innerhalb eines kompakten Festivals zeigen möchten.
Danach gab es noch eine weitere Site Specific-Performance
im Gießener Bahnhof. Und Gießen und seine Bewohner:innen,
die Compagnie und das Theater fühlten sich da schon vertraut
an.
Also ja, es gibt eine emotionale Verbindung für uns mit Gießen,
und so schafft Kunst Verbindungen. Bei dieser Gelegenheit
möchten wir uns nochmal bei Tarek und seinem ganzen
Team dafür bedanken, dass er mit so begrenzten Mitteln ein
so unglaubliches Event geschaffen hat. Und dafür, dass er es
für uns als freie Compagnie möglich machte, in Verbindung zu
seiner Compagnie zu kommen, der Welt der etablierten Tanzcompagnien
und internationalen Künstler:innen – in diesem
Schmelztiegel kultureller Erfahrungen in Gießen. Wir hoffen
auf viele weitere Jahre wunderbarer Festivalmomente. Und
wer weiß, ob wir uns in dieser kleinen Tanzwelt nicht einmal
wiedersehen? Es wäre mir eine Freude.
World Wi(l)de Walking
Bahnhof Gießen
© rkw
16
17InPatients Suite
UKG Schlaflabor
17© rkw
Marcos Marco
tive feedback. We then could also perform our piece at the
festival, which is ideal for artists who’d like to present various
aspects of their work within one compact festival.
After that came another Site Specific project at the Gießen
train station. And Gießen and its people, the company and the
theatre already felt familiar then.
So yes, there is an emotional connection for us with Gießen,
and that is how art creates connections. On this occasion
we want to thank Tarek and his whole team again, for having
created such an amazing event with such limited resources.
And that he has made it possible for us as freelance company
to get in touch with his own company, the world of the
established dance companies and with international artists,
in this melting pot of cultural experience in Gießen. We hope
for many more years of beautiful festival moments. And who
knows, perhaps we might meet again in this little dance world?
It would be a pleasure.
52 53
Tiago Manquinho
Close_Insight
Als ich die Location das erste Mal besichtigt habe, war ich natürlich
sehr begeistert, an diesem Ort eine Performance kreieren
zu dürfen. Die lange weiße Treppe, das riesige Fenster, die
wunderschöne Installation von Nikolaus Koliusis, und Daniel
Heide spielte John Cage. Die meditative Atmosphäre wurde
von einem sehr schönen Ficus Benjamini abgerundet. Leider
kein Bonsai.
Kein Problem, wurde uns gesagt, er könne für die Performance
entfernt werden. Dieser riesige, schöne Baum würde kein Problem
darstellen. Das Publikum würde auf den Treppenstufen
höher als der Ficus stehen und einen wunderbaren Blick auf
die Tänzer:innen haben, die auf dem Boden tanzen würden.
Aber das wäre natürlich zu einfach gewesen … unser „Benjamini“
sollte bleiben. So wurde er Teil der Performance und beeinflusste
damit die Choreographie ebenso wie die Rolle des
Publikums. Jetzt musste dieses nämlich auch aktiv werden,
um alles sehen zu können.
Das großartige an diesem Site Specific-Format ist, dass es
nicht nur die Zuschauenden, sondern auch die Choreograf:innen
vor unerwartete Situationen stellt, wodurch dann neue
und aufregende Dinge entstehen können.
18
Tiago Manquinho
Close_Insight
When I visited the location for the first time, I was obviously
very excited to create a piece there. The long white staircase,
the huge windows, the beautiful installation by Nikolaus
Koliusis, Cage music played by Daniel Heide. The meditative
atmosphere was rounded off by a beautiful Ficus Benjamini.
Unfortunately not a bonsai.
No problem, we were told, it can be removed for the exhibition.
This huge beautiful tree would be no problem. The audience
standing on the stairs, which are higher than the Ficus, would
have a clear view of the dancers performing on the ground.
But of course that would have been too easy... our Benjamini
had to stay. So it became part of the performance and influenced
the choreographic structures as well as the role of the
audience. Now they also had to be active in order to see.
The great thing about this site-specific format is that it puts
not only the audience but also the choreographers in unexpected
situations. And it is then that new and exciting things
happen.
©cl
19
19IN|DE|FL|AIR
Lucyna Zwolinska
IN|DE|FL|AIR
Johanniter-Luftrettung
© rkw
Es war mir eine große Freude, die Choreographie IN|DE|FL|AIR
für die Tanzcompagnie Gießen an so einem besonderen Ort
wie dem Hangar des Luftrettungszentrums zu machen. Ich
war sehr dankbar und aufgeregt, als Tarek mich dazu eingeladen
hat, ein Teil des Festivals zu sein. Ein Tanzstück an solch
einem besonderen Ort in der Stadt zu planen und zu kreieren,
erfordert gute Organisation und Teamwork.
Gerade wenn man die ortsbedingten Einschränkungen bedenkt:
der Boden der Location, limitierte Möglichkeiten der
Lichttechnik, die Sicherheitsregeln, einkommende Notrufe
und der Zeitdruck durch eingeschränkte Probezeiten. Diese
Umstände haben dazu geführt, dass alle umso enger und besser
zusammenarbeiteten.
Lucyna Zwolinska
IN|DE|FL|AIR
The IN|DE|FL|AIR choreography for Tanzcompagnie Gießen in
such a unique location as the air rescue center was a real pleasure
for me. I was very grateful and excited when Tarek invited
me to be a part of it. Planning and creating a dance piece in
this particular location in the city required very good organization
and teamwork.
You have to take into account the special circumstances: the
dance floor of the place, limited lighting technology, the safety
rules, incoming emergency calls and time pressure for the rehearsals
in the air rescue center. All of these conditions resulted
in everyone working tighter and better together.
Die Tänzer:innen, die die Ideen sehr schnell umgesetzt haben,
die Musik von Gabriele Basilico, die vor Ort mit Originalgeräuschen
aufgenommen wurde, die Arbeit des gesamten Festivalteams,
die Freundlichkeit von Johannes und das Vertrauen
von Tarek machen diese Erfahrung so unvergesslich und besonders
für mich.
Dancers who implement all information very quickly, music by
Gabriele Basilico, recorded on site with the original sounds of
the place, great office work from the whole festival team, the
kindness of Johannes and the trust that Tarek placed in all of
us made this experience unforgettable and very special for me.
2019 „IN|DE|FL|AIR“
©rkw
Close_Insight
UKG, Chirurgie
© cl
54 55
Caitlin-Rae Crook
Ich war von 2012 bis 2020 bei der Tanzcompagnie Gießen und
habe in dieser Zeit in jedem Jahr am TanzArt-Festival teilgenommen.
Es war aus vielen Gründen immer einer meiner Lieblingsabschnitte
der Spielzeit, obwohl es einer der ermüdendsten
und stressigsten sein konnte. Einer der stressigsten Teile
war die Einigung innerhalb der Compagnie über die Farbe des
TanzArt T-Shirts im jeweiligen Jahr!
Die TCG hatte Premieren, Site-Specific-Vorstellungen, letzte
Aufführungen im Großen Haus, die Gala, und es gab die Auftritte
vieler anderer Künstler:innen anzusehen und viele Leute
kennenzulernen. Und das war nur das, was in Gießen passierte!
Die Emotionen bei all diesen Premieren oder letzten Aufführungen
haben mich immer sehr bewegt.
Es war immer ein Erfolgserlebnis, wenn alles geschafft war.
Als Compagnie haben wir gewöhnlich getrennt gearbeitet, die
einen auf der kleinen Bühne, die anderen bei der Site Specific.
Es war also immer aufregend zu sehen, was die jeweils andere
Hälfte der Compagnie vorhatte, und einander zu unterstützen
und dann für die letzten Vorstellungen im großen Haus und
die Gala zusammenzukommen.
Der andere Teil des Festivals, den ich mochte, war anderen bei
ihren Auftritten zuzusehen und die Künstler:innen und Choreograf:innen
kennenzulernen, die kamen, um Teil des Festivals
zu sein. Mit den Jahren gab es viele Gesichter, die wieder
auftauchten, die ich vielleicht auf einer anderen Gala oder in
einem vorangegangenen Jahr beim Festival getroffen hatte.
Daher war es auch eine schöne Zeit, um sich kurz wiederzusehen
und vielleicht gemeinsam ein Bier zu genießen. Alle machten
einen freundlichen und offenen Eindruck, was es natürlich
zu einer höchst erfreulichen Erfahrung machte.
Ich denke für mich, weil ich es liebe auf der Bühne zu stehen,
war die Woche angefüllt mit Unterhaltung für Zuschauer:innen
in unterschiedlichsten Situationen. Mir persönlich hat
diese Zeit in der Saison immer gefallen. Ich hatte da ein Gefühl
von Stolz und Erfüllung.
Caitlin-Rae Crook
I was with Tanzcompagnie Gießen from 2012 to 2020 and
have been part of the TanzArt-Festival every year since then.
It was always one of my favorite parts of the season for many
reasons, even though it could be one of the most tiring and
stressful. One of the most stressful parts was the agreement
within the company on the color for the TanzArt T-Shirt for
that year!
For TCG specifically, we had premieres, site specific performances,
last performances of the Big House production,
the Gala, as well as watching many other artists perform and
meeting lots of people. And this is just what was happening in
Gießen! So, for me the emotions of all these build ups from
premieres or the last time performing a certain piece, always
took me on quite a journey.
It was a sense of achievement once everything was over. As a
company we have usually been working separately, either on
the small stage or Site Specific. So, it was always exciting to get
to see what each half of the company has been up to and to
support each other and then come together again for the last
Big House performances and Gala.
The other part of the festival I enjoyed was watching other
artists perform and meeting the artists and choreographers
who came to be a part of the festival. As the years went on,
there were many reoccurring faces that I may have met at another
Gala or met a previous year at the festival, so it was also
a nice time to briefly see one another again and maybe even
enjoy a beer together. Everyone always seemed to be very
friendly and open, which of course made it a more enjoyable
experience.
I think for me, because I loved to perform, it was a week just full
of entertaining audiences in many different situations. I personally
enjoyed this time of the season. For me it was sense of
pride and satisfaction.
2017 „Titus Andronicus”
©rkw
56 57
2015 Performance in Galerie Kornboden
©dkl
Maria Adriana Dornio
Maria Adriana Dornio
Mamiko Sakurai
Wir hatten nach der großen Premiere im Februar gerade kurz
ausgeatmet, da fingen schon die Vorbereitungen für TanzArt
an. Die Tage wurden länger, der Sommer näherte sich und man
probte für die letzte Premiere der laufenden Spielzeit. Neben
den Produktionen im taT (oder damals im TiL), die experimentell
und herausfordernd waren, durfte ich auch bei Site Specific-Projekten
mitwirken. Aus diesen Projekten, die nicht auf
der normalen Theaterbühne stattfanden, würde ich gerne ein
paar kleine „hinter den Kulissen-Geschichten“ erzählen.
Bei der Produktion „A Ciegas“ haben wir in dem leerstehenden
Fitnessstudio in der Galerie Neustädter Tor getanzt. Die Produktion
wurde fertig geprobt und einen Tag vor der Premiere
wollte ich nochmal einen Blick auf die ,,Bühne‘‘ werfen, ob alles
in Ordnung war. Da stellte ich fest, dass sich dort mehrere
Pfützen gebildet hatten. Ich rannte zum Management, denn
am Boden lagen bereits die Kabel für die Beleuchtung. An dem
Tag wurde an den Lüftungen gearbeitet und dabei floss Wasser
heraus. Zum Glück gab es keine Schäden. Für die Produktion
haben wir auch ein Video gedreht. Da erinnere ich mich an
eine Passantin, die unbedingt mit ins Bild wollte, oder die neugierigen
Augen im Seltersweg. Ich fand es immer so schön und
war so dankbar, dass uns die Bürger:innen meist unterstützt
haben, obwohl schon sehr ungewöhnlich war, was wir taten.
Die Produktion „The Idea(l) of Order“ hat uns auch eine tolle
Gelegenheit gegeben, im Stadtverordneten-Sitzungssaal im
Rathaus zu tanzen. Der Saal hat automatische Jalousien, die
auf Sonnenlicht reagieren. Das konnte man leider nicht ausschalten
und wir konnten nur hoffen, dass der Saal nicht ungewollt
dunkel wurde. In einer Vorstellung fuhren die Jalousien
dann doch ungewollt nach unten, aber zufällig mit gutem Timing,
so dass sich eine schöne Atmosphäre ergab. Auch den
Umgang mit spontanen Situationen hat man bei TanzArt gelernt.
TanzArt war für mich eine Zeit der neuen Begegnungen, des
Wiedersehens und der Abschiede. Zahlreiche Gäste aus verschiedenen
Ländern kamen zusammen und durch Site Specific-Projekte
lernte man Menschen aus Gießen in unterschiedlichen
Bereichen kennen. Die Tanzwelt ist klein, so hat man
sich immer wieder gesehen, und für manche Tänzer:innen von
der Compagnie war die Premiere während des Festivals die
letzte ihrer Gießener Karriere. So habe auch ich im Jahr 2018
die letzte Premiere „Waves“ mit der Tanzcompagnie Gießen
gehabt, aber die tollen Erfahrungen und schönen Erinnerungen
werden mich für immer begleiten. Ich hoffe sehr, dass die
jetzige schwierige Situation bald vorbei ist und das Festival
wieder stattfinden kann. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum
und alles Gute für die Zukunft!
Mamiko Sakurai
We had just let out our breath after the big premiere in February
when the preparations for TanzArt began. The days were
getting longer, summer approached and we rehearsed for the
last premiere of the running season. Besides the productions
in the taT (then TiL), which were experimental and challenging,
I got to participate in the Site Specific projects, too. I would like
to tell a few “behind the scenes stories”.
With the “A Ciegas” production we danced in the vacant gym
in the Galerie Neustädter Tor. Rehearsals for the production
were completed and one day before the premiere I wanted to
take a look at the “stage” to check if everything was in order
there. I noticed then, that several puddles had formed. I ran to
the management office, because there were already lighting
cables on the floor. That day there was work being done on the
air condition and that’s when the water ran out. Luckily there
was no damage. We also shot a video for this production. I remember
a passer-by who absolutely wanted to be in the picture,
or the curious eyes on Seltersweg. I always loved it and
was grateful that the citizens mostly supported us, although
what we did was really very unusual.
The production of “The Idea(l) of Order” gave us a great chance
to dance in the city hall assembly room. The room has automatic
shutters, which react to sunlight. Unfortunately you
couldn’t switch that feature off and we could only hope that
the room wouldn’t go dark unintentionally. During one performance
the shutters did go down, but with a good timing, that
created a nice atmosphere. You learned how to deal with unexpected
situations with TanzArt, too.
TanzArt for me was a time of new encounters, reunions and
good-byes. Numerous guests from different countries came
together and you met people from Gießen in various enviroments
through Site Specific projects. The dance world is so
small that you meet again and again, and for some dancers of
the company the premiere during the festival was the last one
of their Gießen careers. That way I also had my last premiere in
2018 of “Waves” with TCG, but the great experience and beautiful
memories will accompany me forever. I very much hope
that the present difficult situation will be over soon and the
festival can happen again. Congratulations on the anniversary
and all the best for the future!
Das TanzArt ostwest-Festival war eins der intensivsten, anspruchsvollsten
und schönsten Erlebnisse, denen ich in meiner
jungen Tanzkarriere beiwohnen durfte. 2017 war ich zum
ersten Mal aktiver Teil des Festivals in Gießen und seitdem
trage ich all diese unglaublichen Gefühle mit mir, die ich mit
talentierten Künstler:innen aus aller Welt teilen konnte.
Als gastgebende Compagnie arbeiteten wir immer sehr hart,
damit sich alle unsere Gäste willkommen und wohl fühlten, und
am Ende fühlten wir uns immer etwas mehr „ganz“ als vorher.
Ich betrachte das Festival gerne als Lesezeichen, das auf einer
Seite fixiert ist und jeden daran erinnert, dass Theater nicht
nur Geschäft bedeutet und Kostüme, sondern ein sicherer
Ort, ein Ausgangspunkt um Dinge anders zu betrachten, ein
Ort an dem Künstler:innen und Publikum beständig zusammenwachsen
können und eine Welt schaffen, die sich für die
Seele richtig anfühlt.
TanzArt hat für mich immer einen besonderen Geschmack: Es
fühlt sich an wie der erste Sommersonnenschein nach dem
kalten deutschen Winter. Man weiß, dass man nicht genug
Schlaf oder Ruhe bekommen kann, aber man ist bereit dazu,
denn der Lohn sind lange farbenrohe Tage voller Erfüllung
und Chancen für neue echte Freundschaften. Es ist schade,
dass das Festival dieses Jahr nicht im üblichen Umfang stattfinden
wird, aber ich bin sicher, dass alle Beteiligten diese
„Standby-Pause“ nutzen werden, um das nächste noch toller
zu machen! Heute gilt die wirkliche Sorge allen „heimatlosen“
Künstler:innen, die in jeder Stunde darum kämpfen, im Elend
dieser Pandemie nicht unterzugehen. Und all ihnen wünsche
ich, dass sie bald wieder auf den Füßen stehen werden oder, in
diesem speziellen Fall, auf den Zehenspitzen.
2019 „Jagen”
©rkw
TanzArt ostwest-Festival was one of the most intense, challenging
and beautiful experiences I had the chance to attend
in my short and “humble” dancing carrier. In 2017 I was for the
first time an active part of the festival in Gießen, and since
then, I carry with me all the incredible emotions I could share
with talented artists coming from all over the world.
As the hosting company we always worked very hard to make
all our guests feel welcome and comfortable, and at the end,
we always felt a little more whole than before.
I like to think about the Festival as a bookmark, fixed on a page
that reminds everyone that theatre is not only business and
costumes, but a safe place, a starting point to look at things
differently, a place where artists and audience can constantly
grow together and create a world that feels right for the soul.
TanzArt has always a special taste for me: It feels like the first
summer sunshine after the cold German winter. Like when
you know, that you will not get enough sleep or rest but you’re
ready for it because the reward is long colorful days filled with
satisfaction and chances of new genuine friendships.
It’s sad to know that the festival will not take place on the usual
scale this year, but I’m sure that everybody involved in it will
use this “stand-by” time to make the next one even greater!
Today, the real sorrow belongs to all the “homeless” artists
fighting every hour to not drown in the misery of this pandemic...
and I wish all of them will be back on their feet soon, or in
this special case, on their toes.
58 59
2018 Alte Kupferschmiede
Fotograf Rolf K. Wegst und
Tänzerin Caitlin-Rae Crook
©dkl
Rolf K. Wegst
Theater- und Festival-Fotograf
Du bist seit Beginn der 1990er Jahre als journalistischer
Fotograf in Mittelhessen unterwegs.
Was waren deine Aufgaben?
Ich habe für das Marburger Stadtmagazin Express gearbeitet,
das seit 1985 auch eine Gießen-Ausgabe hatte. Neben dem
Fotografieren bei aktuellen Anlässen habe ich kreative Titelblätter
entworfen, die sehr beliebt waren und sogar im Kunstunterricht
verwendet wurden. Die Frankfurter Rundschau kam
dazu, für die ich über Jahre durch ganz Mittelhessen fuhr. Und
das unter den damaligen Bedingungen. Da haben wir noch
mit analogem SW- Film fotografiert, diesen im eigenen Labor
selbst entwickelt und Handabzüge gemacht. Die Fotoabzüge
haben wir selbst oder Kurierdienste dann in die Redaktionen
gebracht. Das war ganz schön eng getaktet.
Wie kamst du zum Stadttheater?
Rolf K. Wegst
Theatre and Festival Photographer
You’ve been working as a press photographer
in Central Hesse since the 1990’s.
What were your jobs?
I worked for Marburg’s city magazine Express, which since
1985 also had a Gießen edition. Besides taking pictures at everyday
occasions I designed creative title pages which were
very popular and even used in school art classes. The Frankfurter
Rundschau joined, I drove through all of Central Hesse
for them for years. That was under these years’ conditions. We
used analog black and white film, developed it in an analog lab
ourselves and created manual copies. We brought the copies
to the editors ourselves or used couriers. That was a pretty
tight schedule.
Tatsächlich durch Zufall. Ich traf in der Fußgängerzone einen
alten Bekannten, den ich am Theater in Wilhelmshaven kennengelernt
habe. Thomas Hauck war damals Künstlerischer
Leiter des TiL, unter Intendant Guy Montavon. Thomas erinnerte
sich, dass ich fotografiere und erzählte mir, dass das
Stadttheater gerade einen Fotografen suche. Ich legte also bei
Guy Montavon eine Arbeitsmappe vor und erhielt den Job, für
die Spielzeiten 1996-1998 war ich dabei. Dann war zunächst
Pause. 2003 kam das Stadttheater, jetzt unter der Leitung von
Cathérine Miville, auf mich zu. Seitdem bin ich dabei.
Wann hast du Tanz als besonderes Fotografie-
Thema wahrgenommen?
Ich hatte schon während meiner ersten Zeit am Stadttheater
Tanz fotografiert, damals hieß der Leiter der Tanzsparte Roberto
Galvan. Von diesen Bildern haben meine Kollegin Merit
Engelke und ich 2004 in einer Ausstellung im Alten Schloss
Beispiele gezeigt.
Ab 2003 war ich zunächst für die Studiobühne zuständig, dort
war „Oscar“ 2005 das erste Tanzstück, das ich fotografierte.
Tanz blieb in der Hand meiner Kollegin. Dann wechselten meine
Aufträge ans große Haus und damit kamen auch die ersten
großen Tanzproduktionen dazu, das waren 2009 „Feiningers
Fugen“ und „Clandestino – Grenztagebücher“.
Ab wann gehörte das TanzArt ostwest-Festival
zu deinen Terminen?
Ich war 2005 im MuK und habe dort fotografiert, das war aber
eher zufällig (Red.: „Blanche“ von José Alves, Premiere war im
TIG). Bei den TanzArt-Eröffnungen 2009 und 2010 war ich dabei,
die fotografische Gesamtbegleitung mache ich seit 2011.
What brought you to the Stadttheater?
As a matter of fact it was a coincidence. I met an old acquaintance
in the pedestrian area, whom I had met at the Wilhelmshaven
theatre. Thomas Hauck at the time was artistic director
of TiL under director Guy Montavon. Thomas told me that
the theatre was looking for a photographer. So I submitted a
workbook and got the job, I was on board for the 1996-1998
season. Then was a break. In 2003 the city theatre, then under
the direction of Cathérine Miville, approached me. And since
then I’m with it.
When did you recognize dance as a
special photographic topic?
I had photographed dance during my first tour at the theatre.
The dance director was Roberto Galvan then. My colleague
Merit Engelke und I showed a selection of these photos in an
exhibition in 2004 in the museum. As of 2003 I was at first responsible
for the studio stage, “Oscar” was the first play I photographed
there. Dance stayed in my colleague’s hands. Then
my assignments moved to the big stage. With that the first
great dance productions were added, which were “Feiningers
Fugen” and “Clandestino”.
Since when did TanzArt ostwest become
part of your assignments?
In 2005, I was at the MuK taking pictures there, but that was
rather accidentally (Editor’s note: “Blanche” by José Alvez,
which premiered in the TIG). I was working the TanzArt openings
2009 and 2010, I’m doing the complete photographic
dance coverage since 2011.
Seit 2010 zeigst Du Fotografien von neuen Produktionen
der Tanzcompagnie in Ausstellungen.
Gab es dabei eine Entwicklung?
2010, das war noch in kleinem Rahmen, in der Kümmerei. 2011
war dann schon größer. Ort war das Mathematikum, in dem
in diesem Jahr auch das Site Specific stattfand. Man könnte
sagen, dass meine Fotoabzüge mit jeder Ausstellung größer
geworden sind. 2013 habe ich im Statt Gießen, das ist die
Gaststätte am Kino Traumstern Lich, die Fotos von der beeindruckenden
„Siddharta“-Produktion gezeigt. 2015 konnte ich,
zusammen mit dem Kollegen Frank Sygusch, den städtischen
Ausstellungsraum KiZ nutzen. Meine Fotos hierfür waren teilweise
120x80 cm groß. Damals dachte ich, das war’s erstmal
mit Ausstellungen, aber dann hat mich die Produktion „Titus
Andronicus“ (2017) so begeistert, vor allem durch die besondere
Licht-Atmosphäre, dass die Aufnahmen in Schwarzweiß
geradezu überwältigend waren. Noch dazu in dem kargen
Raum der alten Kupferschmiede.
Was treibt dich dazu an? Das ist ja mit viel Arbeit
und Kosten verbunden.
Es ist eine Art Zwischenfazit für mich. Was war bis jetzt, wie
ist es gelaufen. Mittlerweile habe ich an die 140.000 Theaterbilder
gemacht, da ist ein Innehalten mal ganz gut. Zudem ist
man als Theaterfotograf Dienstleister, für Ausstellungen kann
ich selbstbestimmt auswählen. Das ist sehr reizvoll. Daraus
sind dann drei Begleitbücher entstanden.
As of 2010 you’re presenting photos of the
TCG new productions in exhibitions.
Was there a development?
That was on a small scale in 2010, in the Kümmerei. It then
became bigger in 2011. The location was the Mathematikum,
where this year’s Site Specific was happening. You could say
that my photo prints became bigger with every exhibition. In
2013 I showed my pictures of the impressive “Siddharta”-production
at the “Statt Gießen”, that is the restaurant next to
the Traumstern cinema in Lich. In 2015, together with my colleague
Frank Sygusch, I could use the municipal exhibition
room in the KiZ. Some of my photos for that were as big as 120
by 80 centimeters. At the time, I thought that was all with exhibitions.
But then I was so enthusiastic about the production of
“Titus Andronicus” (2017) – especially because of the special
light atmosphere - the black and white pictures were actually
overwhelming. Above all in the frugal location of the Alte Kupferschmiede.
What’s your motivation? This means a lot
of work and expenses.
It’s some kind of interim conclusion for me. What happened
until now, how did it go. In the meantime I shot about 140.000
theatre photos, so holding my breath for a minute feels quite
good. In addition to that, as a Theatre photographer you are a
service provider, for my exhibitions I can select independently.
That is very attractive. Three accompanying books came
out of that.
60 61
Was ist der besondere Reiz bei der Tanzfotografie?
Das habe ich im Katalogbuch so beschrieben: „Fotografie ist
Stillstand. Tanz ist Bewegung. Dynamik, Bewegung, Rhythmus
– Tanz, gebunden an Raum und Zeit, trifft auf ein Medium, das
in der Abbildung den Moment einfriert und als Bruchstück aus
dem Strom der Zeit herauslöst.“ Obwohl ich einen Moment
festhalte, kann ein Foto eine hohe Dynamik transportieren. In
den Ausstellungen höre ich dann von Menschen, wie sehr die
Fotos ihre Fantasie und Erinnerungen anregen.
Was hast du im Rückblick auf die vergangenen 17
Jahre TanzArt besonders in Erinnerung behalten?
Schwer zu sagen. Ich habe ein Faible für die Performances, für
das, was Irene K. aus Eupen mitbringt, oder das Brachland-Ensemble,
oder diese jazzige Performance im KiZ mit einem
Trompeter und einem Tänzer. Mittlerweile gefällt mir auch das
eine oder andere neoklassische Ballett.
Hast du Wünsche in Bezug auf die
nächsten Festivals?
Ich fände ein Festivalbüro als Anlaufstelle sehr schön. Oder
ein Café, in dem man sich immer treffen kann. Für die Gastkompanien
würde ich mir mehr Zeit wünschen. Das ist doch
sehr stressig, wenn die mittags ankommen und vor Mitternacht
schon wieder heimfahren müssen.
What is the special charm in dance photography?
In the catalogue I wrote this: “Photography is standstill. Dance
is movement. Dynamic, movement, rhythm – dance connected
to space and time meets a medium that freezes the moment
in a picture and detaches it from the current of time.”
Although I conserve a moment, a photo can transport a strong
dynamic. At the exhibitions the people then tell me how much
the pictures stimulate their imagination and their memories.
Looking back on the past 17 years, what
do you remember particularly?
Hard to say. I have a thing for the performances, for what Irene
K. brings from Eupen, or the Brachland Ensemble or this jazzy
KiZ performance with a trumpet player and a dancer. Meanwhile
I even like one or the other neoclassical ballet.
What do you wish for the next festivals?
I would very much like a festival office as a meeting point. Or
a café where you can always meet. For the guest companies I
would wish for more time. It’s very stressful when they arrive at
noon and have to return home before midnight.
2017 Snack im Theaterfoyer
©cl
Das Gespräch führte Dagmar Klein.
The Interview was conducted by Dagmar Klein.
2014 Aufbau im TiL
©rkw
2014 TiL Warten auf Einlass
©rkw
Im Hintergrund
Von Juliane Sersch
Den Beginn der Festivalvorbereitung kann man sich vorstellen
wie das Betreten eines großen leeren Raumes. Man weiß bereits,
dass dieser in einigen Monaten komplett, vermutlich bis
zur Decke, gefüllt sein wird. Zum größten Teil mit Dingen, die
man kennt und deren Größe man einschätzen kann – zumindest
ungefähr – doch auch mit Sachen, an die man im Vorfeld
nicht gedacht hat. Am Anfang sieht man nur den leeren Raum.
Also legt man Strukturen im Sinne von Bereichen und Regalen
an und beginnt mit dem Einräumen: der Kontaktaufnahme
zum TanzArt-Netzwerk, Beteiligten und Förderern, der Programmgestaltung,
der Kostenkalkulation, Akquise von Mitarbeiter:innen
und einiges mehr. Nach und nach füllt sich der
Raum, doch an manchen Tagen kommt so viel Neues dazu,
dass es fast unmöglich scheint, die Struktur beizubehalten
und den Überblick zu bewahren. Jetzt gilt es, sich auch immer
mal wieder genügend Zeit zu nehmen, um alles zu ordnen und
wer zudem gut Tetris spielen kann, bleibt Herr beziehungsweise
Herrin über das Chaos.
Der Inhalt des Raumes nimmt so immer mehr Form an, wird
konkreter und aktueller. Anreisen und Unterbringungen werden
gebucht, Technik, Proben und Fahrten organisiert und
und und…
Nicht alles davon kann und muss jedoch alleine bewerkstelligt
werden. Ist ein Regal zu hoch oder ein Gegenstand zu schwer,
kann man stets auf das gesamte Team zählen. Sei es die Leitung
der TCG oder die vielen freiwilligen Mitarbeiter:innen,
man hilft und unterstützt sich, um gemeinsam – bleiben wir
bei der Metapher – den Raum koordiniert, produktiv und vor
allem kreativ einzurichten.
Backstage
By Juliane Sersch
2018 Pause vor Kupferschmiede
©rkw
You can imagine the beginning of the festival’s organization
like entering a big empty room. By then you already know, that
it’s going to be completely full, presumably up to the ceiling.
Mostly with things you know and the size of which you can
estimate – at least roughly –, but also with things you haven’t
thought of before. But at first you only see the empty room.
So you create structures like areas and shelves and start putting
things away: contacting the TanzArt network, participants
and sponsors, planning the program, calculating the costs, acquisition
of volunteers and a few more things. Little by little the
room is filling up. But on some days so many new things turn
up that is seems almost impossible to maintain a structure
and keep an overview. Now you need to take sufficient time to
put everything in order. And who is good at playing Tetris stays
on top of the chaos.
The room’s content takes on more and more shape, becomes
more concrete and up to date. Arrivals and accommodations
are being booked, technical equipment, rehearsals and transportation
being organized and so forth…
You don’t have to achieve all of this on your own. If a shelf is
too high or an object too heavy you can always count on the
whole team. Be it the direction of TCG or the many volunteers,
you help and support each other to furnish the room – let’s
stay with the metaphor – in a coordinated, productive and
above all in a creative way.
62 63
Fragen an die bisherigen
Mitarbeiter
SR: Sven Rausch, TanzArt-Mitarbeiter 2019
MR: Matthias Rongisch, TanzArt-Mitarbeiter 2017
JB: Johannes Bergmann, Tanzdramaturg/TanzArt-Mitarbeiter
Welche besonderen Ereignisse oder Begegnungen
sind euch in Erinnerung geblieben?
MR: Besonders in Erinnerung habe ich, dass das ganze Festival
von einem positiven Vibe umgeben war. Ein Sinnbild dafür
war z.B., wenn in den frühen Stunden des Tages die Tänzer:innen
zum Training kamen und man sichtbar die positive Atmosphäre
die Tür hereinkommen sehen konnte. Aber natürlich
auch die unzähligen Momente in der Zusammenarbeit mit
den Praktikant:innen, dem Team der TCG, den Abteilungen im
Haus und mit Tarek, die ich auch weiter in sehr guter Erinnerung
behalten werde.
JB: Die Begegnungen mit den Gästen aus China und die
schönen Gastspielfahrten der TCG, die ja Bestandteil des
Festivals sind. Und natürlich auch das extrem offene und interessierte
Publikum sowie die Atmosphäre vor und während
der Gala im Großen Haus.
Welches Gefühl hattet ihr, als das
Festival stattfand?
SR: Ein sich in den Vordergrund drängendes Gefühl der vielen
Beteiligten war Erleichterung. Ich erinnere mich, wie nach
sechs Monaten Planung einige der gastierenden Künstler:innen
im Foyer der Studiobühne standen und sich ausgelassen
unterhielten. Hier war mir klar, dass einer der wichtigsten Aspekte
des Festivals gelungen war.
JB: Ich war mittendrin und habe mich riesig gefreut, wenn
alles lief. Ich stand wie unter Strom, voller Energie, trotz sehr
kurzer Nächte. Aber die Freundlichkeit und Herzlichkeit der internationalen
Tänzer:innen und Compagnien hat jeden Stress
bei den Vorbereitungen ausgeglichen. Wenn man mal eine
Gastperformance sehen konnte, war das wie eine Erholung.
Aber für mich ist am wichtigsten, dass „hinter den Kulissen“
alles reibungslos abläuft.
MR: Ich erinnere mich gut an den Moment, als die Gala begonnen
hatte: Als das Publikum schließlich saß und es losging,
machte ich mich noch auf den Weg zurück ins Büro. Auf dem
Weg in Richtung Schulstraße schien mir dann die Sonne über
die Schulter und in dem Moment wurde mir klar, dass die ganze
Arbeit gelungen ist und ich meinen Teil zum Gelingen des
Festivals beigetragen konnte.
Wurde es auch mal stressig?
SR: Hektik und Stress waren definitiv Teil der Arbeit. Ich erinnere
mich an ein Missverständnis, dass zu einem Ticketchaos
am Abend der Gala führte. Bereits während des Einlasses
waren wir noch damit beschäftigt, die reservierten Karten für
Sponsor:innen und künstlerische Gäste zu sortieren. Die verfügbaren
Plätze wurden wahllos im Großen Haus verteilt und
ein Zusammensitzen war unmöglich. Bis zum Beginn der Vorstellung
waren wir damit beschäftigt die Neuplatzierung zu organisieren
und parallel die Karten rauszugeben.
Questions to the previous
staff members
SR: Sven Rausch, TanzArt Staff 2019
MR: Matthias Rongisch, TanzArt Staff 2017
JB: Johannes Bergmann, Dance Dramaturg/TanzArt Staff
Which special events do you remember?
MR: I remember in particular that the whole festival was
humming with a positive vibe. A symbol for that was when in
the early hours of the morning the dancers arrived for training
and you could actually see the positive atmosphere come in
through the door, but certainly all the other moments in cooperation
with the interns, the TCG team, the departments in
the house and with Tarek, which I will keep in good memory,
too.
JB: The encounters with the guests from China and the beautiful
guest performance trips with the TCG which are part of
the festival. And of course, the extremely open and interested
audience as well as the atmosphere before and at the gala in
the main auditorium.
How did you feel as the festival was running?
SR: A very dominant feeling for many participants was relief.
I remember when after six months of planning some of the
guest artists were standing in the foyer of the studio stage having
a cheerful conversation. It was clear to me then that the
festival had succeeded in one of its most important aspects.
JB: I was right in the middle of it all and felt extremely glad
when everything was running smoothly. I felt like I was a live
wire, full of energy, despite the very short nights. But the
friendliness and sincerity of the international dancers and
companies compensated for any stress during the preparations.
It was like a holiday if you could watch a guest performance.
But the most important thing for me is, that everything
is running smoothly behind the scenes.
MR: I remember well the moment when the gala had begun:
when the audience finally was seated und things took off, I got
on my way back to the office. As I was heading towards Schulstrasse
the sun was shining over my shoulder and in this moment
it became clear to me that everything had worked out
and I had helped in making the festival a success.
Did things get stressful sometimes?
SR: A hectic pace and stress were definitively part of our
work. I remember a misunderstanding leading to a ticket chaos
on the evening of the gala. Admission had started while we
JB: Wenn man morgens um 4:30 die A5 zum Flughafen fuhr,
um Festivalgäste abzuholen, war man immer froh gestimmt,
wenn man auf der Rückfahrt um 6:30 den gegenüberliegenden
Berufsverkehrs-Stau nicht hatte. Obwohl man sich die
Zeit mit super netten und spannenden Gesprächen mit den
Gästen hätte erträglicher machen können (lächelt).
Was habt ihr während eurer Arbeit in
der Festivalorganisation gelernt?
MR: Kühlen Kopf bewahren, wenn’s auch mal trubelig wird!
JB: Wie viel Zeit die Planung benötigt und wie man die unterschiedlichsten
Partner:innen des Festivals anspricht (von der
ehrenamtlichen Schülerpraktikantin bis hin zur Oberbürgermeisterin).
Gibt es aus eurer Sicht Verbesserungsvorschläge
bei der Festivalorganisation?
SR: Ich denke das Beste, was dem Festival passieren könnte,
wäre eine Organisationsleitung, die dem Festival über mehrere
Ausgaben hinweg erhalten bleiben kann. Dafür müssten diverse
Rahmenbedingungen angepasst werden.
JB: Ja, z.B. die Schaffung einer regulären, hauptamtlichen
Stelle im Festivalmanagement. Tätigkeiten wie Fundraising,
Korrespondenzen, Kontaktmanagement und die Administration
des Vereins könnten über das ganze Jahr auf mehrere
Schultern verteilt werden, um effektiver zu arbeiten und einen
besseren Vorlauf zu haben. Auch Tanzvermittlung würde ich in
das TanzArt-Programm integrieren wollen.
2017 Feiern vor dem Stadttheater
©cl
were still busy sorting out reserved tickets for sponsors and
artistic guests. The available seats were distributed indiscriminately
in the main auditorium and sitting together was impossible.
Till the beginning of the show we were busy organizing
the new seating and handing out tickets at the same time.
JB: If you went to the airport at four in the morning to pick
up festival guests, you were always glad not to catch the rush
hour traffic jam on the opposite side on the way back. Although
we could have passed the time much more pleasantly
with our nice guests and exciting conversations (smiles).
What did you learn during your time
organizing the festival?
MR: To keep my head cool, even when things get bubbly!
JB: How much time planning takes and how to contact all
the most different festival partners (from school volunteer to
lord mayor) individually.
Do you have suggestions for improvements
with the festival organization?
SR: I think the best thing that could happen to the festival
would be an organization team that could stay on for several
years in a row. Some external conditions would have to be
adapted for that.
JB: Yes, for instance one regular fulltime position in festival
management. Tasks like fund raising, correspondence, contact
management and the association´s administration could
64 65
Tanz bewegt
Von Ute und Dr. Jürgen Gerhard
2014 Pause im TiL
©rkw
Was würdet ihr zukünftigen Festivalmitarbeiter:innen
für Tipps geben wollen?
SR: Eine gelungene und offene Kommunikation erleichtert
allen Beteiligten die Arbeit immens. An dieser Stelle möchte
ich mich nochmal bei den Mitarbeitenden des Künstlerischen
Betriebsbüros, der Verwaltung, den technischen Abteilungen
und der Theaterkasse bedanken.
MR: Sprich aus was du brauchst, um deine Arbeit gut zu machen.
Mit Tarek hat das Festival einen sehr erfahrenen Manager
an seiner Spitze, der jungen Kulturarbeiter:innen die Chance
bietet einzigartige Erfahrungen zu machen. Nutze diese
Gelegenheit!
JB: Durchhalten und nachfragen. Lernbereit und neugierig
bleiben, auf das Team vertrauen.
Gebt gerne noch ein persönliches Statement
zum TanzArt ostwest-Festival!
MR: Es war und wird eine besondere und außergewöhnliche
Zeit in meiner Biografie bleiben. Danke an Tarek und alle Beteiligten
des TanzArt ostwest-Festival 2017!
JB:
Einmalig!
Das Gespräch führte Juliane Sersch.
be distributed among several people throughout the whole
year, to work more effectively and have better forward planning.
I would also like to integrate dance mediation to the public
into the festival program.
What’s your advice for future staff members?
SR: Achieving a successful and open communication makes
work immensely easier for everybody involved. At this point I’d
like to thank the people at artistic operations, administration,
the technical departments and the box office.
MR: Say what you need to do your work well. With Tarek the
festival has a very experienced manager at the helm who offers
young cultural workers the chance to have a unique experience.
Use this opportunity!
JB: Keep up the work and ask questions. Stay ready to learn
and stay curious, trust the team.
Would you like to make a personal statement
about the TanzArt-Festival?
MR: It was and will be a special and extraordinary time in my
biography. Thanks to Tarek and all staff members of TanzArt
ostwest 2017!
JB:
It’s unique!
The Interview was conducted by Juliane Sersch.
Tarek Assam ist den Besucher:innen des Stadttheater Gießen
als Ballettdirektor und Chefchoreograf der Tanzcompagnie Gießen
bestens bekannt. Er organisierte 2003 das erste TanzArt
ostwest-Festival in Gießen. Heute, im Jahr 2021, feiert TanzArt
ostwest den 18.Geburtstag und ist damit volljährig, wozu wir allen
Beteiligten, insbesondere den Tänzer:innen, den Trainingsleiter:innen,
den Tanzdramaturg:innen und selbstverständlich
Herrn Assam herzlich gratulieren und für die Zukunft alles GUTE
wünschen.
Aus der Sicht als einst tanzskeptische Zuschauer möchten wir
beschreiben, wie sich unsere Vorurteile in Begeisterung umwandelten.
Vor vielen Jahren besuchten wir eine Vorstellung der TCG im
Stadttheater, nicht wegen des Tanzes, sondern wegen der angekündigten
Musik, die wir als „Musikfetischisten“ sehr lieben.
Tänzer:innen waren in unserem Geiste, wir bitten alle um Verzeihung,
zunächst nur theatralisches Beiwerk, doch das änderte
sich im Laufe dieser und weiterer Vorstellungen gründlich. Wir
sahen scheinbar mühelos dahingleitende Körper. Die Anmut
der Bewegungen und die Leichtigkeit, mit der die Tänzer und
Tänzerinnen agierten, erinnerten an klassisches Ballett, war aber
für uns um vieles ein- und ausdrucksvoller. Die physikalischen
Gesetze der Gravitation schienen aufgehoben. Mit fließenden,
dynamischen und spannungsgeladenen Bewegungen formten
die Tänzer:innen ästhetische Bilder, die je nach Situation
an Schwimmen, Tauchen oder Fliegen erinnerten. Bewegung
und Mimik in Kombination mit der Musik, zeigten eindrücklich
menschliche Gefühle wie Liebe, Mitleid und Hilfsbereitschaft,
ebenso Trauer, Abschied, Gewalt, Verzweiflung, Macht.
Viele Fragen ergossen sich über uns: Wie wird eine Choreografie
erarbeitet, wie oft und wie lange muss geprobt werden,
wer sind die Tänzer:innen der multinationalen Compagnie und
vieles mehr. Es folgten viele weitere Tanzabende mit den verschiedensten
Themen. Hauseigene Vorstellungen, die oft mit
Gast-Choreograf:innen erarbeitet waren, ließen uns die Vielfältigkeit
des Tanzes erkennen. Ein Höhepunkt war für uns die
Produktion „Cross!“, die in der Spielzeit 2017/18 am Stadttheater
uraufgeführt wurde. In der Choreografie von Tarek Assam hinterfragten
Akrobaten der „Yate Group“ aus Shenzhen mit der Tanzcompagnie
Gießen interkulturelle Begegnungen.
Wir wurden für den modernen Tanz sensibilisiert, auch das
TanzArt ostwest-Festival rückte in unser Interesse. Jährlich an
Pfingsten gastierten in Gießen internationale Gruppen, etwa aus
Graz, Görlitz, Warschau, Amsterdam, Italien, China und andere.
Bei den Stücken an eher tanzfremden Orten wie dem Universitätsklinikum,
dem Sitzungssaal des Rathauses, dem Hubschrauber-Deck
der Johanniter und anderen Locations, können interessierte
Besucher:innen den Tänzer:innen ganz nah zuschauen
und es ergeben sich Gelegenheiten ins Gespräch zu kommen.
Begegnungen und Ideenaustausch sind ein Antrieb dieses Festivals.
Es ist auch der evolutionäre Motor, der uns anfängliche
Tanzskeptiker zu Liebhabern des modernen Tanzes machte.
Wir wünschen dem Festival auch in Zukunft viele Tanzbegeisterte
und neue Interessent:innen!
Dance Moves
By Ute und Dr. Jürgen Gerhard
Tarek Assam is well known to the visitors of Stadttheater Gießen
as the ballet director and chief choreographer of the Tanzcompagnie.
In 2003 he organized the first TanzArt ostwest-Festival
in Gießen. Today in 2021 TanzArt ostwest celebrates its 18th
birthday and so has come of age. On which we congratulate all
participants, especially the dancers, the training directors, the
dance dramaturgs and quite naturally Mr. Assam himself. We
wish everybody all the best for their future.
From the point of view of former dance-skeptical viewers we
would like to describe how our prejudice turned into enthusiasm.
Many years ago we went to a TCG performance in the Stadttheater.
Not because of the dance, but because of the advertised
music, which we as music fetishists love very much. Dancers to
our mind were only accessories, we beg your pardon, but that
changed profoundly during this and successive performances.
We saw bodies gliding along apparently without effort. The charming
movements and the ease with which the dancers acted reminded
us of classical ballet, but for us it was a lot more impressive.
The physical laws of gravitation seemed suspended. With
flowing dynamical and excited movements the dancers shaped
aesthetic images which, depending on the situation, reminded
us of swimming, diving or flying. Movements and facial expressions
in combination with the music impressively showed human
emotions like love, compassion and helpfulness as well as grief,
farewell, violence, desperation, power.
Many questions besieged us: How do you develop a choreography,
how often and how long do you need to rehearse, who
are the dancers of the multinational company, and many more.
Many dance evenings with the most diverse topics followed.
House performances which were often developed with co-choreographers
made us see the diversity of dance. The production
of “Cross!” which premiered in the 2017/18 season at the Stadttheater
was a highlight for us. In Tarek Assam’s choreography
acrobats of the “Yate Group” from Shenzhen together with TCG
questioned intercultural encounters.
We were made aware of modern dance and the TanzArt ostwest-Festival
found our attention. Every year at Pentecost international
groups from Graz, Görlitz, Warsaw, Amsterdam, Italy,
China and others were guests in Gießen. With the performances
at rather unusual dance locations like the university clinic, the
city hall assembly hall, the heli deck of the air rescue center and
other locations, interested visitors can watch the dancers quite
closely and there will be chances for a conversation.
Encounters and the exchange of ideas are a driving force of this
festival. It’s also the evolutionary drive that turned us dance
skeptics into modern dance enthusiasts.
We wish the festival many excited dance lovers and prospective
visitors in the future!
66 67
Der König tanzt
Nach 2. Samuel 6 - für Tarek
Von Ulrich Becke
Die Hitze. Noch ist das leise Zirpen der Zikaden zu hören. Aus
der Ferne jetzt langsam übertönt vom Klang der Widderhörner:
sehr gemessen. Der große Tag. Die Priesterprozession
kommt näher in zeremoniellen Gewändern, schweißtreibender
festlicher Aufwand in der Mittagsstunde. In ihrer Mitte
schwankt gemessen die Lade des Bundes. Das heiligste Kultobjekt,
das nach alter Überlieferung die ehrwürdigen Tafeln
der 10 Gebote enthält. Keiner würde wagen, die Truhe zu öffnen,
um das zu überprüfen. Legenden sind im Schwange von
Männern, die die Lade versehentlich berührt haben, etwa um
die Lade in einer Prozession vor dem Umstürzen zu bewahren
und die von plötzlichem Tod betroffen wurden.
Schritt für Schritt: der Priesterzug im feierlich-langsamen
Schreiten. Sehr gemessen im langsamen Rhythmus der Widderhornmusik.
An beiden Seiten des Weges Gesichter: bärtige
Männer mit leuchtenden Augen, sich Tränen der Freude abwischend.
Jubelnde Frauen mit helltönenden Stimmen. Das
Geschrei der hüpfenden Kinder.
Die Lade kommt näher im feierlichen Schritttakt der Priester.
Mit einem Male die Störung, die Unterbrechung: Aus einer Seitenstraße
kommt ein Zug mit Schilfflöten und kleinen Handpauken,
wilde und fröhliche Rhythmen sind zu hören, ganz
anders als im gemessenen Schreitzug der Priester zu den
Signalen der Widderhörner. Und da: David, der König mitten
unter ihnen mit wilden Sprüngen und leidenschaftlichen Bewegungen.
„Tanzt!“, ruft er laut, „tanzt alle! Die Lade ist wieder
da, lasst uns tanzen vor Freude!“ Die Mienen der Priester jetzt
umdüstert über die Störung, im Zug stockend für einen Moment.
Und dann bricht sich der Bann: Alles tanzt, wie der König, hinter
dem König her, in Bewegungen von Glück und Ekstase der
Frömmigkeit, wie im Rausch. Schrill und wild, der Klang von
Flöten und Pauken befeuert Tanz und Zug. Die Priester mühen
sich, Schritt zu fassen mit dem Jubel der Menge, Unwillen im
Gesicht, der dann langsam nachsichtigem Lächeln weicht.
„Tanzt!“, Davids Ruf übertönt die Jubelschreie aus der Menge,
„tanzt alle!“
Zunächst ein Eklat. Tanz wie man ihn nicht gewohnt ist in Prozession
und Tempel, wo strenge Regel die freie Bewegung einengt.
Tanz: Ausdruck von Freude und Leidenschaft, wo der
Mensch heraustritt aus dem Maß der Gewohnheit. Spontaneität,
die den starren Rahmen der Tradition sprengt und Gefühlen
freie Bahn gibt. Davids offene Choreographie schenkt ihm
die Sympathie der frohen Menge und schafft allen einen unvergesslichen
Tag. In der Bibel wird überraschenderweise viel
und oft getanzt. Wo Menschen sich freuen und die Sprache
oft nicht ausreicht das auszudrücken. Tanz lädt andere ein
mitzutun. Im Tanz geht und bewegt sich der Mensch aus sich
heraus für einen emphatischen Augenblick.
Ich danke der Tanzcompagnie Gießen unter ihrem Chefchoreographen
Tarek Assam für unvergessliche Momente auch
und gerade in der Kirche. Es ist mir immer eine hohe Freude
gewesen Euch zu erleben, mehr noch: mit Euch zu arbeiten,
wo Tanz, Musik und Text zusammentreten und Menschen bereichern.
Auf viele weitere gemeinsame Jahre!
The King is Dancing
After 2 Samuel 6 – for Tarek
By Ulrich Becke
The heat. The silent chirping of the cicadas is still to be heard.
From a distance now slowly shaded by the sound of the ram
horns: very measured. The big day. The priestly procession
comes closer in ceremonial garments, sweat-driven festive
effort at noon. Measured in its midst, the ark of the covenant
oscillates. The most sacred object of worship, which, according
to ancient tradition, contains the venerable tables of the
10 Commandments. No one would dare open the trunk to
check that out. Legends are in the sway of men who accidentally
touched the ark, for example, to keep the ark in a procession
from being overthrown and who were affected by sudden
death.
Step by step: the priestly procession in solemn and slow progress.
Very measured in the slow rhythm of ram horn music. On
both sides of the path faces: bearded men with bright eyes,
wiping away tears of joy. Cheering women with bright voices.
The screaming of the bouncing children.
The ark comes closer in the solemn step act of the priests.
At once the disturbance, the interruption: from a side street
comes a train with reed flutes and small hand timpani, wild
and cheerful rhythms can be heard, quite differently from the
measured cry of the priests to the signals of the ram horns.
And there: David the King in the midst of them with wild jumps
and passionate movements. ” Dance!”, he shouts loudly,
“Dance all! The ark is back, let’s dance with joy!” The miens of
the priests now gloomy over the disturbance, in the train stopping
for a moment.
And then the spell breaks: everything dances, like the King,
after the King, in movements of happiness and ecstasy of piety,
as in the intoxication. Shrill and wild, the sound of flutes
and timpani fuels dance and train. The priests are struggling to
keep up with the jubilation of the crowd, unwillingness on their
faces, which then slowly gives way to a lenient smile.
“Dance!” David’s cry shouts from the crowd, “Dance all!”
First, an éclat. Dance as one is not used to in procession and
temple, where strict rules restrict free movement. Dance: Expression
of joy and passion, where the person steps out of the
measure of habit. Spontaneity that breaks the rigid framework
of tradition and gives free rein to feelings. David‘s open choreography
gives him the sympathy of the happy crowd and
creates an unforgettable day for everyone. In the Bible, surprisingly,
there is a lot of dancing. Where people are happy and
language is often not enough to express that. Dance invites
others to join in. In dance, the person walks and moves out of
himself for an emphatic moment.
I thank the Tanzcompagnie Gießen under its chief choreographer
Tarek Assam for unforgettable moments also and especially
in the Church. It has always been a great pleasure to experience
you, and even more to work with you, where dance,
music and text meet and enrich people. To many more years
together!
Danksagung / Acknowledgements
Das Redaktionsteam dankt dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) für die Aufnahme in das Corona-Stipendienprogramm
zur Finanzierung dieses Projekts. Wir danken dem Stadttheater Gießen und dem TanzArt-Verein für die vielfältige Unterstützung,
namentlich Tarek Assam und Johannes Bergmann. Und wir danken allen Beteiligten, die sich die Zeit genommen haben, um Beiträge zu schreiben
und/oder Fotos herauszusuchen.
The editorial team says thanks to the Hesse Ministry of Science and Art for the granting of Corona-Internship program to realize this project. We
thank the Stadttheater Gießen and the TanzArt-Association for numerous supports, namely Tarek Assam and Johannes Bergmann. And thanks
to all persons involved, who found the time to write an article or look for a photo.
Großfotos / Large Format Photos
Titelseite/ Front Cover: 2015 „Spieluhr“ (TCG) von Pascal Touzeau ©rkw
S.7 Anfänge: 2004 „Tom Trauberts Blues“ (Tanztheater Osnabrück) von Gregor Zöllig ©mee
S.16 Netzwerk: 2019 „Black Cheese“ von+mit Alice Gaspari ©rkw
S.32 Chronik 1: 2003 „Seiltänzer“ (TCG) von Assam & Nancy Seitz-McIntyre ©mee
S.40 Chronik 2: 2005 „X-Mal Kleid“ von Irene K. im MuK ©mee
S.46 Site Specific: 2011 „Chaos algorythm” (TCG mit Gästen) von Leszek Stanek ©rkw
S.56 Tanzcompagnie Gießen: 2008 „Welt der Engel“ (TCG) von Assam & Hecktor ©mee
Rückseite/ Reverse Cover: 2011 „Le Cri persan“ von+mit Afshin Ghaffarian ©rkw
Fotostreifen Chronik 1 / Photo Strip Chronical 1
S.34 oben: 2004 „Carmina Burana“ Ballett Görlitz Franz Huyer ©mee / 2006 Stadttheater-Foyer Performance Cie. Irene K. ©dkl / 2005 „Oscar”
TCG Tarek Assam ©rkw
S.36 oben: 2005 „Drab Zeen“ Kielce Dance Theatre Thierry Verger ©mee / 2007 „Bolero” Bohemia Balet Prag Petr Zuska ©mee / 2008 „Rossini
Cards” Dortmund Ballett Mauro Bigonzetti ©mee / 2014 „Karaoke Rebellion” von+mit Robert Przybyl / 2009 John-Cage-Orgel-Projekt im Rathaus
Ana Baer Carillo ©rkw
S.36/37 unten: 2010 „Heaven” David Finelli & Melanie Venino ©rkw / 2011 „Puppentänze“ TCG Massimo Gerardi ©mee / 2012 „Phoenix dancing
over oriental land” Shenzhen Dance Ensemble ©rkw / 2013 „Siddharta“ TCG Assam & Hecktor ©rkw / 2015 „Tanz-Konzert-Therapie” von+mit
Karel Vanek & Guido Preuß ©rkw
S.39 unten: 2017 „Kifwebe.01” von+mit Miguel Mavatiko ©cl / 2018 „Lostbox” von+mit Dansmakers Amsterdam ©rkw / 2019 „Melancoli” Barbara
Gatto ©rkw / 2019 „Metropolis“ TCG Assam ©rkw
Fotostreifen Chronik 2 / Photo Strip Chronical 2
S.42 oben: 2007 „Plastik“ TCG Juliane Scherf ©mee / 2006 Performance am Stadttheater Cie. Irene K. ©dkl / dto. / 2009 Rathaus-Performance
Magdalena Stoyanova ©rkw
S.43 unten: 2013 Shenzhen Arts School zu Besuch ©dkl / 2017 „InPatients Suite“ TCG mit Gästen Marcos Marco ©dkl / 2005 Museum-Altes
Schloss Performance Sue McDonald ©dkl
S.44 oben: 2005 Merit Esther Engelke im Museum-Altes Schloss ©dkl / 2009 Miranda Glikson u. Frank Sygusch im Rathaus ©dkl / 2014 Dietmar
Janeck im Amtsgericht ©dkl / 2018 KiZ Performance Giw & Kilonzo ©rkw / 2015 Manuel Wahlen in Galerie Kornboden ©dkl
Fotograf:innen / Photographers TanzArt ostwest
Wir danken dem Stadttheater Gießen und dem TanzArt Verein für die Foto-Abdruckerlaubnis.
In einigen Fällen geht der Dank direkt an die Fotograf:innen, die aus ihrem Fundus schöpften.
Our thanks to the Stadttheater Gießen and the TanzArt Association for the printing permission of photographies.
In some cases our thank addresses the photographers themselves, who scooped from their funds.
Merit Esther Engelke (mee, 2004-2011),
Rolf K. Wegst (rkw, 2005, 2009-2019),
Frank Sygusch (syg, Lichtspieltänze 2006),
Clarissa Lapolla (cl, 2017+2018),
Dagmar Klein (dkl, Rahmenprogramm 2004-2019)
Impressum / Imprint
Redaktion, Organisation, Texte, Recherche / Editing, Organization, Texts, Investigation - Juliane Sersch
Redaktion, Texte, Zusammenstellung Fotos, Recherche / Editing, Texts, Compilation photos, Investigation - Dagmar Klein
Grafische Gestaltung / Graphic design - Marie Claire Kazandjian
Übersetzungen / Translation - Heiner Schultz
Druck / Print: lojo Druckhaus, Heuchelheim
Auflage / Number of Copies: 2500
Gießen, Mai 2021
Online Version auf issuu.com
68 69
70 www.tanzart-ostwest.de