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hinnerk Juni / Juli 2021

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12 SZENE<br />

Erleben ist, dass in der deutschsprachigen<br />

Community Intersektionalität als ein<br />

Arbeitsbegriff langsam ankommt. Häufig<br />

wird er aber ganz anders gefüllt als es damals<br />

und auch immer noch die Idee der dahinterstehenden<br />

Denker_innen des Combahee<br />

River Collective oder Patricia Hill Collins,<br />

Kimberlé Crenshaw und anderen war. Das<br />

passiert dadurch, dass weder queere Theorie<br />

noch Schwarze Theorie noch postkoloniale<br />

Theorie oder sonstige marginalisierte Theorien<br />

regelmäßig unterrichtet werden. So fehlt<br />

der Transfer bestimmter schon lange existierender<br />

Ideen, wie wir mit Essentialismus,<br />

Kategorien und Identitäten umgehen können,<br />

ohne dass es zu einem gegenseitigen<br />

Ausschluss oder Oppression-Olympics wird.<br />

Und Denkgebäude wie Intersektionalität<br />

kommen ja auch aus den Communitys, denn<br />

die Schwarzen Theoretiker_innen von vor<br />

30 Jahren waren nicht von ihrer Community<br />

losgelöst. Und Theorie schwappt dann<br />

wieder zurück in Community. Dadurch, dass<br />

die Basisarbeit fehlt, kommen aber dann<br />

häufig nur noch Fetzen an und die werden<br />

wiederum merkwürdig umgesetzt.<br />

„Schwarzer Feminismus<br />

hat sehr viel dazu<br />

beigetragen, wie wir<br />

Mehrfachdiskriminierung<br />

verstehen und wie<br />

wir inzwischen über<br />

Intersektionalität und<br />

über Identitätspolitik<br />

sprechen können.“<br />

Joke Janssen selbst studierte Mitte<br />

der 2000er Gender und Queer<br />

Studes in Hamburg als es den<br />

Studiengang noch gab.<br />

Wie kommst du als trans* Person im<br />

universitären Raum klar?<br />

Ich navigiere nicht – ich flaniere, kollidiere<br />

und kollabiere. (lacht) Das, was ich als<br />

studierende Person erlebt habe, war<br />

wahrscheinlich sehr privilegiert. In meinem<br />

Studiengang Gender und Queer Studies<br />

war ein großes Bewusstsein für queere und<br />

trans* Menschen da. Ich war damals auch in<br />

Gruppen politisch aktiv und war so auch von<br />

Leuten umgeben, die alle etwas mit Queer<br />

Studies zu tun hatten oder mit anderen<br />

kritischen Studien wie Disability Studies.<br />

Wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt.<br />

Ich befand mich wie auf einer kleinen Insel,<br />

deshalb kann ich nicht für trans* Personen<br />

sprechen, die in ihrem Studiengang losgelöst<br />

von Community sind. Als studierende<br />

Person hatte ich großes Glück, weil ich, was<br />

Verwaltungsangelegenheiten angeht, wenig<br />

Stress hatte. Ich bezeichne mich als trans*,<br />

das würde heute vielleicht unter non-binary<br />

laufen. Meine Kämpfe waren woanders, mir<br />

war es meist relativ Latte, wie mich offizielle<br />

Stellen angesprochen haben, das hat mir<br />

Stress erspart. Mittlerweile promoviere ich<br />

und mache Lehre. Das ist noch mal ein<br />

anderer Schnack. Inzwischen erlebe ich Diskriminierung<br />

noch mal anders dadurch, dass<br />

ich länger uneindeutig trans* und auch länger<br />

be_hindert bin. Ich bin über vierzig. Ich muss<br />

einerseits nicht mehr mit den Institutionen<br />

über meine Identität kämpfen. Die ist für<br />

mich in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit<br />

gefestigt. In dieser Hinsicht fassen mich<br />

Sachen nicht mehr so an, aber ich habe dafür<br />

andererseits ganz stark das Gefühl, dass ich<br />

an systemischen Ausschlüssen scheitere. Ich<br />

merke, dass das Wissen, was ich mitbringe,<br />

was ich erforschen möchte, nirgendwo<br />

wirklich in der Tiefe ankommt. Ich kann mich<br />

zum Beispiel nicht wirklich gut über mein<br />

Dissertationsthema austauschen. Meine<br />

Forschung handelt von Uneindeutigkeit und<br />

Verkörperungen von trans* Menschen.<br />

Wenn ich über meine Arbeit sprechen<br />

möchte, muss ich immer wieder mit einer<br />

Erklärung anfangen, was trans* eigentlich<br />

bedeutet. Das ist auf Dauer<br />

superfrustrierend. Ich habe durch<br />

die universitäre Vereinzelung<br />

kaum Austausch und kaum<br />

Community. Je höher ich<br />

komme, umso weniger trans*<br />

Personen, be_hinderte oder<br />

anders marginalisierte Leute<br />

gibt es. Häufig werden<br />

marginalisierte Theorien zu<br />

einem Arbeitsgegenstand,<br />

zu einer Analysekategorie,<br />

die aber mit den Leben<br />

der Lehrpersonen gar nicht<br />

mehr viel zu tun hat. Ich<br />

merke an mir und mit meinem<br />

Körper, dass die Hochschulen<br />

als Institutionen und in ihrer<br />

Ausschlussfähigkeit stabil sind.<br />

Universitäre Institutionen arbeiten aus<br />

einem bestimmten Menschenbild heraus,<br />

in dessen Wissen sie ja auch gegründet<br />

wurden. Das sind richtig krass weiße hetero<br />

cis klassistische Institutionen, die für nicht<br />

marginalisierte Menschen ausgelegt sind.<br />

Alle anderen Menschen werden subtil<br />

ausgeschlossen. Dieser Umstand hängt<br />

meist nicht an einzelnen Personen. Ich<br />

habe immer wieder von einzelnen Personen<br />

viel Unterstützung erfahren. Das ändert<br />

aber nichts daran, dass die Hochschule<br />

als System an sich Leute wie mich nicht<br />

haben möchte. Das ist spürbar, es ist in die<br />

Institution, die Gebäude, die Regeln und den<br />

Kanon eingeschrieben. Daran habe ich stark<br />

zu knabbern. Das findet sich auch in der<br />

Lehre wieder, die ich mache. Ich unterrichte<br />

in Lehraufträgen immer zu marginalisierten<br />

Themen und das ohne feste Anstellung. Das<br />

ist symptomatisch, weil viele marginalisierte<br />

Personen keine feste Stelle haben, sondern<br />

ebenso nur Semesterverträge haben. In<br />

ihrer prekären Lehre übernehmen sie dann<br />

wiederum auch prekäre, marginalisierte<br />

Lehrinhalte. Ihre Studierenden kommen<br />

häufig an und sagen: „Wow, großartig, ich<br />

habe noch nie sowas gehört. Bitte mehr<br />

davon!“ In der Lehre steckt für mich auch<br />

eine zusätzliche Care-Arbeit drin, um für die<br />

Studierenden da zu sein. Häufig bin ich die<br />

erste offen queere, trans* oder be_hinderte<br />

Person in der Lehre, die sie erleben. Da hängt<br />

ein großes Begehren an meiner Person, weil<br />

ich an der Stelle etwas verkörpere, was viele<br />

Leute bisher noch nicht erlebt hatten. Die<br />

Care-Arbeit bedeutet für mich eine große<br />

emotionale Arbeit, die in Semesterverträgen<br />

nicht aufgehoben ist. Das ist eine strukturelle<br />

Verfasstheit von Universität, dass diejenigen,<br />

die marginalisiert sind oder marginalisierte<br />

Themen anbieten, oft ungesicherte und<br />

prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Marginalisierte<br />

Personen werden auf solchen Stellen<br />

ausgebrannt. Mein Erleben als marginalisierte<br />

Person in der Hochschullandschaft ist nicht<br />

positiv. Leider. Marginalisierten Personen, die<br />

vorhaben, in diese Institutionen reinzugehen,<br />

kann ich nur wünschen, dass sie sich vernetzen<br />

und sich guten Rückhalt holen, damit<br />

sie ein Leben außerhalb der Institutionen<br />

haben. Worauf man sich als marginalisierte<br />

Person auch gefasst machen muss: Man ist<br />

ein krasses Token. Ich bin ein Aushängeschild<br />

für Diversity und damit muss ich umgehen.<br />

Das ist nicht schön, aber damit muss man<br />

auf jeden Fall rechnen, wenn man in solche<br />

Positionen geht.<br />

*Interview: Victoria Forkel<br />

INFO<br />

Von Joke Janssen gemeinsam mit Anna Tautfest<br />

und Studierenden der Experimentellen<br />

Klasse, erscheint im Sommer/Herbst im<br />

Argument-Verlag der Sammelband KANON<br />

zu Machtverhältnissen und Care-Arbeit in<br />

der Kunst.

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