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Land der Berge, Land der Femizide?

Der Ex-Partner einer

Wiener Trafikantin übergießt

sie mit Benzin und zündet sie

an. Sie stirbt. Der Mann einer Salzburgerin

schießt auf sie, weil sie sich von ihm

trennen will. Sie stirbt. Der sogenannte

„Bierwirt“ schießt auf seine Ex-Partnerin.

Sie stirbt. Die Femizide in unserem Land

scheinen nicht zu enden. Wir stehen

2021 bei elf Frauenmorden (Stand: Ende

Mai), das macht uns übrigens zu traurigen

Spitzenreitern im EU-Vergleich.

Bitte einmal wirken lassen: In keinem

anderen Land der Europäischen Union

werden so viele Frauen von Männern

ermordet.

Während die Politik lange genug weggeschaut

hat, legen wir den Finger in die

Wunde. Traditionell geleugnete Gewalt

im ländlichen Raum, Ehrenvorstellungen

in der arabischen Community oder die

Täter-Opfer-Umkehr unter ukrainischen

Männern sind einige der Aspekte, die

von unseren vier RedakteurInnen auf

den Tisch gelegt werden. Das zeigt:

Gewalt an Frauen ist Allgegenwärtig. Sie

hat keine Herkunft, aber ein Geschlecht.

DU BIST VON PSYCHISCHER ODER

PHYSISCHER GEWALT BETROFFEN?

HIER FINDEST DU HILFE:

Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800/222 555

24-Stunden Frauennotruf: 01/71 71 9

Netzwerk Frauenberatung: 01/5953760

Opfer-Notruf: 0800 112 112

Die G‘sunde Watschn

Von Miriam Mayrhofer

Früher haben’s sich da nicht so angestellt, heute sind’s

alle so zimperlich.“ „Ohne ihn lebst auf der Straße.“

„Jetzt sei ned so undankbar, was leistest du schon?“

„Was die Leute von dir denken werden.“

Willkommen im Landleben, wo jede*r jede*n kennt und

Freund oder Familie nennt. Das ist schön, wenn man Zusammenhalt

und Gemeinschaft erlebt. Viel weniger schön ist es,

wenn man Probleme hat, finanzielle Schwierigkeiten, ein Alkoholproblem

oder eben einen rabiaten Mann.

Rabiat ist die Verharmlosung für wild, aggressiv, gewalttätig.

Dann steht Frau am Land nämlich plötzlich allein da und

obwohl es viele wissen und zum Dorfklatsch machen, hilft man

ihr nicht. Warum nicht? Na, weil man sich doch nicht in die

privaten Angelegenheiten anderer Leute einmischt. Das gehört

© Susanne Einzenberger

© Susanne Einzenberger

sich nicht. Aber gehört es sich, dass ein Mann seiner Frau eine

g’sunde Watschn gibt? Gehört es sich, dass man sie unter

Druck setzt bei ihm zu bleiben, obwohl er sie schlecht behandelt,

niedermacht, „wertlos“ macht? Die Rolle der Frau am Land

ist konservativ geprägt und verlangt neben Ehefrauen- und

Mamadasein oft auch, dass sie sich nicht zu viel beschwert und

traditionsbewusst ist.

Gewalt an Frauen ist auch am Land ein strukturelles

Problem und eine traurige Tradition. Frau schämt sich, Hilfe

bei öffentlichen Stellen zu suchen, wo sie doch jede*n kennt

und jede*r sie. Es wird verharmlost, dass viele Männer gern

einen „über den Durst trinken“, sich betrinken, und dann halt

„Er liebt mich.

Er wird sich ändern.“

Von Esra Gönulcan

Er liebt mich. Er wird sich ändern.“ Mit diesem Satz

kehrte sogar meine 20 Jahre junge Freundin Gewalt

unter den Teppich.

Das ist in meiner kurdisch-türkischen Community keine

Seltenheit. Diese leeren Argumente werden tatsächlich

gebracht, um Gewalt gegenüber Frauen zu normalisieren. Dir

wird vorgeschrieben, dass du einfach den Mund halten musst,

wenn es um Gewalt in der Familie geht. Manche definieren das

als Respekt und Anstand, wenn du gegenüber Frauengewalt

nicht aufschreist.

Stempelt mich als respektlos und anstandslos ab, aber ich

halte bei diesem Thema ganz bestimmt nicht meinen Mund.

Denn ich sehe den Ursprung von diesem Problem genau in

diesen kulturellen Gewohnheiten. Ich habe einen gesunden

Menschenverstand und Gerechtigkeitssinn. Gewalt darf nicht

heruntergespielt werden. Wir dürfen Frauen nicht den Mund

zubinden und Frauenschlägern den Rücken stärken. Kein

Mensch darf einem anderen Mensch Schaden oder Leid zufügen.

Diese Grundwerte müssen endlich alle begreifen.

Liebe Männer! Wenn ihr dieses menschliche Grundwissen

in eurer familiären Erziehung nicht erworben habt, dann erzieht

euch doch selber. Stellt in Frage, warum manche unter euch

den Drang haben, ihre Männlichkeit und Stärke mit Gewalt

zu beweisen. Seit wann gilt man als unmännlich, wenn man

Frauen respektvoll gegenübersteht?

Esra Gönülcan ist 20 Jahre alt, Wienerin und

hat kurdisch-türkischen Background. Sie hat die

Rechtfertigungen à la „Schweige, wenn er dich schlägt.

Das zeug von Anstand“ innerhalb ihrer Community

satt.

ein „bisserl rabiat“ mit ihrer Frau umgehen. Klar sieht man das

beim Dorffest, hört man es, wenn beim Nachbarn herumgeschrien

wird. Aber man ist froh, dass man es selbst nicht fühlt,

nicht fühlen muss. Keinen Schlag und kein verletzendes Wort,

weil auch das Gewalt ist. Was die Leute am Land zu Gewalt an

Frauen denken? „Jo, mei, was soll ma duan?“

Miram Mayrhofer ist 24 Jahre alt und ist in einem

kleinen Dorf in Oberösterreich aufgewachsen. Dort

wird Gewalt an Frauen schon seit Generationen mit

einem „Stell dich doch nicht so an“ abgewunken und

verharmlost.

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