Radikale Echtzeit
Radikale Echtzeit Tanz, Musik, Sprache als Moment-Komposition Ein Forschungsprojekt von Ingo Reulecke und Heike Gäßler Über einen Zeitraum von einem Jahr fanden sich Künstler*innen aus den Sparten Tanz, Musik, Video und Sprachkunst zusammen, um gemeinsame Ad-hoc-Werke entstehen zu lassen und diese in anschließenden Gesprächen und Interviews zu erforschen. Die Intention war es, dem Phänomen der Real Time Composition mit seinen verschiedenen Formen und Qualitäten näher zu kommen. Durch die konzentrierten Experimente mit Ingo Reulecke als Tänzer, den diversen Musiker*innen sowie Heike Gäßler als Sprachkünstlerin entstanden Performances von besonderer Intensität. Als Untersuchungsansatz diente das Konzept 'performance-led research', kombiniert mit einem methodischen Vorgehen mittels Leitfadeninterviews mit den Agierenden. Durch die Vielfalt der Antworten ergab sich ein breites Spektrum von Ansichten und Einstellungen der Künstler*innen zu diversen Aspekten von Improvisation und Echtzeitkomposition. Wie wird etwas aus dem Moment heraus erschaffen, welche Bedeutung hat der Moment, wie stellt sich das gegenseitige Geben und Nehmen von Impulsen zwischen den Agierenden dar? Die Dokumentation der Experimente und Improvisationen erfolgte nicht nur schriftlich mittels eines Echtzeitdokumentationsverfahrens, sondern auch auf der filmischen Ebene durch den Filmemacher Carlos Bustamante. Zudem eröffnet sich in den Gesprächen und vertiefenden Reflexionen der Autor*innen ein kultureller und kulturgeschichtlicher Kosmos, der einen umfassenden Einblick in das Thema Improvisation in den verschiedensten Kunstformen vermittelt. Diverse Betrachtungen von Ingo Reulecke und Heike Gäßler zu Bewegungskunst, Körpergefühl und Sprachtanz vervollständigen das Gesamtbild. In einem Appendix finden sich die in englischer Sprache geführten Interviews in ihren Originalversionen, ergänzt durch Übersetzungen der Kernpunkte des deutschsprachigen Hauptteils.
Radikale Echtzeit
Tanz, Musik, Sprache als Moment-Komposition
Ein Forschungsprojekt von Ingo Reulecke und Heike Gäßler
Über einen Zeitraum von einem Jahr fanden sich Künstler*innen aus den Sparten Tanz, Musik, Video und Sprachkunst zusammen, um gemeinsame Ad-hoc-Werke entstehen zu lassen und diese in anschließenden Gesprächen und Interviews zu erforschen. Die Intention war es, dem Phänomen der Real Time Composition mit seinen verschiedenen Formen und Qualitäten näher zu kommen. Durch die konzentrierten Experimente mit Ingo Reulecke als Tänzer, den diversen Musiker*innen sowie Heike Gäßler als Sprachkünstlerin entstanden Performances von besonderer Intensität.
Als Untersuchungsansatz diente das Konzept 'performance-led research', kombiniert mit einem methodischen Vorgehen mittels Leitfadeninterviews mit den Agierenden. Durch die Vielfalt der Antworten ergab sich ein breites Spektrum von Ansichten und Einstellungen der Künstler*innen zu diversen Aspekten von Improvisation und Echtzeitkomposition. Wie wird etwas aus dem Moment heraus erschaffen, welche Bedeutung hat der Moment, wie stellt sich das gegenseitige Geben und Nehmen von Impulsen zwischen den Agierenden dar?
Die Dokumentation der Experimente und Improvisationen erfolgte nicht nur schriftlich mittels eines Echtzeitdokumentationsverfahrens, sondern auch auf der filmischen Ebene durch den Filmemacher Carlos Bustamante. Zudem eröffnet sich in den Gesprächen und vertiefenden Reflexionen der Autor*innen ein kultureller und kulturgeschichtlicher Kosmos, der einen umfassenden Einblick in das Thema Improvisation in den verschiedensten Kunstformen vermittelt. Diverse Betrachtungen von Ingo Reulecke und Heike Gäßler zu Bewegungskunst, Körpergefühl und Sprachtanz vervollständigen das Gesamtbild.
In einem Appendix finden sich die in englischer Sprache geführten Interviews in ihren Originalversionen, ergänzt durch Übersetzungen der Kernpunkte des deutschsprachigen Hauptteils.
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1
RADIKALE ECHTZEIT<br />
Tanz, Musik, Sprache als Moment-Komposition<br />
von Ingo Reulecke und Heike Gäßler<br />
<strong>Echtzeit</strong>kunst ist Momentgestaltung<br />
Sie ist radikal in ihrer Gegenwärtigkeit<br />
Sie unterliegt dem Wandel<br />
2 3
with English Appendix<br />
The appendix in English consists of the introduction, the original versions of four<br />
interviews as well as summaries of the German-spoken conversations and the<br />
conclusion.<br />
mit englischsprachigem Appendix<br />
Der Appendix besteht aus einem Einführungstext, den Originalversionen von<br />
vier Interviews mit Musiker*innen sowie Zusammenfassungen der auf deutsch<br />
geführten Konversationen und einem Fazit.<br />
© 2021 Reulecke, Gäßler, Berlin<br />
Herausgeber: Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin (HZT)<br />
Website HZT: https://www.hzt-berlin.de<br />
Autor*innen: Ingo Reulecke, Heike Gäßler<br />
Übersetzung und Abstracts: Daniel Aldridge<br />
Lektorat: Daniel Aldridge<br />
Layout: Diego Agulló<br />
Foto- und Videomaterial: Carlos Bustamante<br />
TANZ<br />
Ingo Reulecke<br />
Tänzer und Choreograph<br />
TEXT<br />
Heike Gäßler<br />
Theaterwissenschaftlerin, Regisseurin, Autorin<br />
VIDEO<br />
Carlos Bustamante<br />
Videokünstler<br />
GASTMUSIKER_INNEN<br />
Matthias Bauer<br />
Thorsten Bloedhorn<br />
Thomas Gerwin<br />
Klaus Janek<br />
Raymond Kaczynski<br />
Dietmar Kirstein<br />
Markus Pesonen<br />
Claudia Risch<br />
Risnandar<br />
Sri Joko Raharjo<br />
Clayton Thomas<br />
Michael Thieke<br />
Biliana Voutchkova<br />
Peter Zwick
INHALT<br />
I Ausgangslage und praktische Hinführung<br />
DANKSAGUNG<br />
Wir bedanken uns bei allen beteiligten Künstler*innen und Akteur*innen ganz<br />
herzlich für die vielen schönen und besonderen Momente, die wir gemeinsam bei<br />
unseren Experimenten und Interviews erleben und erforschen durften.<br />
Unser Dank geht auch an Nik Haffner, Wanda Golonka, Maxie Schreiner und<br />
Stephanie Schroedter, die uns immer wieder ermuntert und dabei unterstützt<br />
haben, unsere künstlerische Forschung einem breiteren Publikum zugänglich zu<br />
machen, sowie an Daniel Aldridge, Diego Agulló für ihre kreative Unterstützung<br />
bei der Veröffentlichung und an Carlos Bustamante für seine beständige<br />
künstlerische Begleitung und Anregung.<br />
Es ist schön, dass ihr alle einen langen Atem behalten habt!<br />
An dieser Stelle wollen wir auch Sri Joko Raharjos gedenken, der uns einen Blick<br />
in die indonesische Kunst der Improvisation ermöglicht hat. Sri Joko Raharjo ist<br />
nach unseren gemeinsamen Treffen in Berlin nach Indonesien zurückgekehrt und<br />
dort wenige Monate später bei einem Autounfall ums Leben gekommen.<br />
1 Der Ausgangspunkt 12<br />
2 Forschungsmethodik: Performance Research und Interviews 13<br />
3 Real Time Composition/Instant Composition 15<br />
4 Plädoyer für den Augenblick 18<br />
5 Der Körper als vielseitiges Ausdrucksinstrument 19<br />
6 Die Individualität des/der Tänzer*in 22<br />
Tanzberührung 26<br />
Hände 27<br />
7 Beobachtungen zum Tanzausdruck 28<br />
8 Eigene Sichtweise auf den Tanz 29<br />
9 Ursprung – Tanz und Sprache 31<br />
II Improvisationspraxis und Interviews<br />
10 Versuchsanordnung 1 – Sri Joko Raharjo 36<br />
11 Interview mit Sri Joko Raharjo, Heike Gäßler, Carlos Bustamante,<br />
Raymond Kaczynski, Ingo Reulecke, Risnandar. 42<br />
12 Schreiben im Moment 59<br />
13 Tanz ist Glücklichsein in Bewegung – Ingo Reulecke im<br />
Gespräch mit Heike Gäßler 61<br />
Improvisation 64<br />
14 Versuchsanordnung 2 – Peter Zwick 66<br />
15 Sich spüren – Ingo Reulecke im Gespräch mit Heike Gäßler 68<br />
16 Formsprache 70<br />
17 Versuchsanordnung 3 – Ingo Reulecke und Heike Gäßler 71<br />
18 Versuchsanordnung 4 – Klaus Janek 78<br />
19 Interview Klaus Janek 83<br />
Intuition 95<br />
20 Versuchsanordnung 5 – Biliana Voutchkova 96<br />
21 Interview Biliana Voutchkova 101<br />
22 Der Tanz und seine gesellschaftliche Anerkennung 110<br />
23 Tanzvermittlung 111<br />
24 Tanzausbildung und somatische Techniken 112<br />
25 Versuchsanordnung 6 – Dietmar Kirstein 118<br />
26 Interview Dietmar Kirstein 124
27 Sound und Bewegung 131<br />
28 Versuchsanordnung 7 – Michael Thieke 132<br />
29 Gedanken zu der Session mit Michael Thieke 135<br />
30 Interview Michael Thieke 138<br />
Hohlraum 150<br />
31 Versuchsanordnung 8 – Claudia Risch 153<br />
32 Interview Claudia Risch 158<br />
33 Versuchsanordnung 9 – Thomas Gerwin 163<br />
34 Klangdokumentation 168<br />
35 Interview Thomas Gerwin 173<br />
36 Versuchsanordnung 10 – Clayton Thomas 182<br />
37 Interview Clayton Thomas 188<br />
Steißbein und Kopfkrone 198<br />
38 Versuchsanordnung 11 – Thorsten Bloedhorn 201<br />
39 Interview Thorsten Bloedhorn 207<br />
40 Heike Gäßler über den Tanzausdruck von Ingo Reulecke 219<br />
Sehen 221<br />
41 Versuchsanordnung 12 – Matthias Bauer 222<br />
42 Interview Matthias Bauer 229<br />
43 Eindrücke und Empfindungen 240<br />
44 Versuchsanordnung 13 – Markus Pesonen 244<br />
45 Interview Markus Pesonen 250<br />
III Perzeption und Kontextualisierung<br />
Appendix I: The English Texts<br />
1 Point of Departure 299<br />
2 Methods of Research: Performance Research and Interviews 300<br />
3 Interview Sri Joko Raharjo, Risnandar, Raymond Kaczynski 302<br />
4 Interview Biliana Voutchkova 316<br />
5 Interview Clayton Thomas 324<br />
6 Interview Markus Pesonen 332<br />
7 Summary of Interview Klaus Janek 342<br />
8 Summary of Interview Dietmar Kirstein 344<br />
9 Summary of Interview Michael Thieke 346<br />
10 Summary of Interview Claudia Risch 348<br />
11 Summary of Interview Thomas Gerwin 350<br />
12 Summary of Interview Thorsten Bloedhorn 352<br />
13 Summary of Interview Matthias Bauer 354<br />
14 Fields of Possibilities – Heike Gäßler in Conversation with Ingo Reulecke 356<br />
15 Handling Textuality 359<br />
16 Reflections in Conclusion 361<br />
Appendix II: Biografien/Biographies 364<br />
Videolinks 385<br />
Literaturverzeichnis 387<br />
46 Videoarbeit in der <strong>Echtzeit</strong>komposition – Interview Carlos Bustamante 264<br />
47 Möglichkeitsfelder – Ingo Reulecke im Gespräch mit Heike Gäßler 274<br />
Augen 278<br />
48 Sichtweisen im Wandel 279<br />
49 Arbeit an der Veränderung der Hör- und Sehgewohnheiten 280<br />
IV Reflexion<br />
50 Abschließende Betrachtungen 286<br />
51 Umgang mit Textualität 288<br />
52 Rückschau 290
10 11
1<br />
Der Ausgangspunkt<br />
Über einen Zeitraum von einem Jahr fanden sich Künstler*innen unterschiedlicher<br />
Sparten zusammen, um gemeinsame Ad-hoc-Werke entstehen zu lassen<br />
und diese in anschließenden Gesprächen und Interviews zu erforschen. Es<br />
ging uns darum, der Moment-Komposition mit ihren verschiedenen Formen<br />
und Qualitäten näher zu kommen.<br />
Die Moment-Komposition kann als die Kunst angesehen werden, in der<br />
Improvisation spontan Entscheidungen zu treffen, Impulse zuzulassen oder<br />
zu inhibieren und kompositorisch im Zusammenspiel mit Raum, Zeit und<br />
den beteiligten Künstler*innen zu gestalten.<br />
Unser Anliegen war es, über eine längere Arbeitsphase die Ebenen von<br />
Sound, Bewegung und Wort über mehrere Versuchsanordnungen in eine Synthese<br />
zu bringen. Es dauerte einige Versuche lang, bis sich das Format geschärft<br />
hatte und wir bei einer für uns überzeugenden Form blieben. Die konzentrierten<br />
Experimente vor der Kamera mit Carlos Bustamante und den diversen<br />
Musiker*innen, Ingo Reulecke als Tänzer sowie Heike Gäßler als Mitschreibende<br />
hatten jeweils eine besondere performative Intensität. Aus dem Moment<br />
heraus entwickelte sich in der Regel ein hochkonzentrierter Austausch<br />
aller Beteiligten, welcher den Nährstoff für das nachfolgende Gespräch über<br />
das jeweilige Set ergab.<br />
Hierbei war es von Interesse, wie der immer gleiche Tänzerperformer<br />
Ingo Reulecke auf die unterschiedlichen improvisierenden Musiker*innen<br />
mit den verschiedenen Instrumentierungen und ästhetischen Hintergründen<br />
traf und sich hierüber die vielfältigsten Arbeitsergebnisse abzeichneten.<br />
Es war intendiert, über diese Settings dem Phänomen Improvisation sowie<br />
<strong>Echtzeit</strong>komposition näher zu rücken. Gegebenenfalls sollte es hierbei gelingen,<br />
einige der Strategien und Vorgehensweisen besser verstehen zu lernen.<br />
Dabei half das von Heike Gäßler simultan geschriebene Wort sehr deutlich.<br />
In ihrer Auseinandersetzung versuchte sie, über verschiedene Möglichkeiten<br />
dem Live-Aspekt ebenfalls gerecht zu werden, und improvisierte mit dem<br />
Sprachmedium.<br />
Da alle Ergebnisse digital aufgezeichnet wurden, konnten auch weitere<br />
Statements und Interviews im Nachhinein verschriftlicht werden. Die schriftliche<br />
Arbeit an Interpretation, Assoziation, aber auch an dokumentarischen<br />
Texten, eröffnete neue Denkräume und gab unserer Arbeitsgruppe darüber<br />
hinaus Gestaltungsraum für weitere Auseinandersetzungen.<br />
Alle Arbeitsversuche wurden von dem Filmemacher Carlos Bustamante<br />
dokumentiert und editiert. Seine Dokumentationen dienen uns weiterführend<br />
als Arbeitsgrundlage.<br />
2<br />
Forschungsmethodik:<br />
Performance Research und Interviews<br />
In Anlehnung an die Ansätze performative research und doing culture als Zugänge<br />
zur Erforschung von künstlerischer Praxis geht es uns nicht darum, performative<br />
Handlungen zu beschreiben oder auch mittels unserer Interviews<br />
Sachverhalte rein theoretisch zu erörtern. Vielmehr spielen wir mit dem Zusammenfallen<br />
von Aussage und performativer Wirklichkeit, von Inhalt und<br />
Form. Es handelt sich hierbei um ein künstlerisch-kunsttheoretisches Verfahren,<br />
das die Praxis berührt und mit durchdringt. Das bedeutet, dass die Performanz<br />
des Geschehens nicht unter Erstellung vorheriger Hypothesen praktiziert,<br />
beleuchtet und überprüft wird. Statt dessen sind Forschung und Praxis<br />
identisch und finden in Form von performativen Settings statt. Mittels dieser<br />
Praxis können bewusste und unbewusste Wissensausprägungen und Erkenntnisse<br />
aller Beteiligten in den unterschiedlichen Genres die Grundlage der Ge-<br />
12 13
staltung bilden. Immer wieder können die Akteur*innen deutlich in Erscheinung<br />
treten oder auch implizites Wissen generieren. 1<br />
Durch die Kombination der Versuchsanordnungen mit den Interviews<br />
erhoffen wir uns, das künstlerische Geschehen mittels dieser beiden sehr unterschiedlichen<br />
Ansätze umfassend beleuchten zu können. Die jeweiligen Sets<br />
mit den bewusst während der Improvisation mitgeschriebenen Kunstbeobachtungen<br />
und den direkt nach den Performances geführten Interviews sollen<br />
ermöglichen, die Stimmung des künstlerischen Geschehens mit ins Gespräch<br />
hinein zu befördern, um der Authentizität des Erlebten Raum zu geben. Dabei<br />
können bewegend, klanglich, dokumentarisch und interpretierend aufzeichnend,<br />
Gestaltungsprinzipien und kreative Schöpfungen erkennbar werden,<br />
die unbewusst den performativen Prozess mitformen. Wie Diane Conrad formuliert,<br />
kann hier das in den Körper eingeschriebene und intuitive Wissen als<br />
Quelle des künstlerischen Tuns jenseits kognitiv-theoretischer Kunstanschauungen<br />
offenbar werden:<br />
As such, it offers an alternative performative way of knowing – a unique and<br />
powerful way of accessing knowledge, drawing out responses, that are spontaneous,<br />
intuitive, tacit, experiential, embodied or affective, rather than simply<br />
cognitive. 2<br />
Gerade in diesem Zusammenhang erscheint auch der performative turn als<br />
besonders bedeutsam für unser Projekt. So hat, wie Hanne Seitz hervorhebt,<br />
seit diesem Wendepunkt in den Kulturwissenschaften auch das Konzept der<br />
Performativität die Vorstellung von empirischer Forschung als objektiver Wissenschaft<br />
relativiert. Von besonderer Relevanz für Künstler*innen im darstellerischen<br />
Bereich ist hierbei der Ansatz, dass performativ geführte Forschung<br />
(performance led research) ein eigenes Forschungsparadigma befördert, welches<br />
an künstlerischen Verfahren orientiert ist und den Eigensinn kreativer<br />
Praxis bewahrt, zudem können die sich hierbei eröffnenden Wissenshorizon-<br />
1 Hanne Seitz bemerkt in Hinsicht auf performative research: “Dementsprechend richtet sich das empirische<br />
Interesse heutzutage nicht nur auf innere oder äußere Gründe – auf Motivationen, Erklärungen,<br />
auf das Müssen und Sollen –, sondern auch auf das faktische Tun, auf die Alltagspraktiken und das darin<br />
verkörperte implizite Wissen.“ Siehe Hanne Seitz: Performative Research, https://www.kubi-online.<br />
de/artikel/performative-research, letzter Aufruf 8.4.2021.<br />
2 Siehe Diane Conrad: Exploring Risky Youth Experiences, S. 11, https://www.ualberta.ca/~iiqm/<br />
backissues/3_1/pdf/conrad.pdf; letzter Aufruf 4.5.2021<br />
te sich auch durch Nichtsprachlichkeit und diskursive Unübersetzbarkeit auszeichnen.<br />
3 3<br />
Real Time Composition/<br />
Instant Composition im Tanz<br />
Die Instant Composition kann als eine komplexe Kunstform angesehen werden.<br />
Es ist viel schwieriger, im Moment eine Choreografie entstehen zu lassen<br />
als diese über Wochen hin zu proben und festzulegen. Dieser Gestaltungsprozess<br />
erfordert zahlreiche Werkzeuge, die beachtet und eingesetzt werden<br />
wollen. Hierbei geht es um Impulse von innen und außen, um die Komplexität<br />
der beobachtenden Wahrnehmung und um die gleichwertige Beachtung<br />
verschiedener Elemente im Umfeld: den Raum mit seiner Beschaffenheit, das<br />
Licht, die Mitakteur*innen, das Publikum, Geräusche, das eigene Körperbewusstsein,<br />
spontane Veränderungen im Innen und Außen. Man sollte die Atmosphäre,<br />
die Schwingungen im Raum und Emotionen spüren, mögliche Ereignisse<br />
vorhersehen können. Mittels Fokus, peripherem Blick, einem Geben<br />
und Nehmen, dem Wechsel von körperlichen Bezugspunkten, der Inhibition<br />
von Impulsen und dem Shiften sollte man präsent sein und in Verbindung gehen<br />
mit allem, was in und um einen passiert. Dabei sollte man Innenräume<br />
nutzen können und sich zurücknehmen können. Und man sollte ein Verständnis<br />
entwickeln für interessante, stimmige Aktivitäten, Nuancen und Pausen.<br />
Es geht um eine Prozessorientiertheit, in welcher man Entscheidungen treffen,<br />
Spannungsbögen im Blick haben und bestenfalls mit der Intuition und<br />
dem Flow gehen sollte.<br />
In der Instant Composition oder Real Time Composition sind die Tänzer*innen<br />
bemüht, bewusst spontan aus dem Moment heraus zu komponieren,<br />
wie etwa zu sehen bei den seit vielen Jahren aktiven Tanzmacher*innen Julyen<br />
Hamilton oder Mitgliedern aus Katie Ducks Gruppe Magpie in Amsterdam.<br />
Die beiden Tänzer*innen und Choreograf*innen arbeiten stark mit Impro-<br />
3 vgl. Hanne Seitz https://www.kubi-online.de/artikel/performative-research, letzter Aufruf 8.4.2021.<br />
14 15
visation als Kunstform. Auch wenn sie von Zeit zu Zeit eher strukturiertere<br />
Projekte machen, steht Improvisation bei beiden in der Regel als Ansatz im<br />
Vordergrund. In beiden Gruppen zeichnen sich die Performer*innen als charismatisch<br />
und kreativ im Umgang mit einem idiosynkratischen Bewegungsmaterial<br />
aus. Sie agieren mit einer großen Offenheit genreübergreifend und<br />
binden mitunter bedeutend jüngere Mitakteur*innen sehr gleichberechtigt<br />
und auf Augenhöhe mit ein.<br />
Unter den improvisierenden Musiker*innen ist diese Form schon sehr<br />
lange präsent. Der entscheidende Ausgangspunkt für eine Real Time Composition<br />
ist, dass es sich um eine gemeinsame Komposition handelt, die durch<br />
alle beteiligten Performer*innen entsteht. So verweisen beispielsweise Simon<br />
Rose und Raymond MacDonald darauf, dass sich in der Improvisation keine<br />
Unterscheidung zwischen Performer*in und Komponist*in darstellt:<br />
The idea of ‚mutual composers‘ becomes important: improvisation is a challenge<br />
to the split between performer and composer roles, as separated activities,<br />
the fusing of these roles results in ‚mutual composers‘, embodied in the act of<br />
improvisation. 4<br />
Als ein weiterer zentraler Gesichtspunkt der Real Time Composition wird von<br />
4 Siehe Simon Rose und Raymond MacDonald: Improvisation as Real-time Composition. In: Dave<br />
Collins (Ed.): The Act of Musical Composition. Studies in the Creative Process, London/New York<br />
2016, S. 194.<br />
Rose und MacDonald die Prozesshaftigkeit betont – die Musik entwickelt sich.<br />
Zudem finden sich im Hinblick auf den Gestaltungsprozess Bewusstheit und<br />
Unbewusstheit in einem Wechselspiel, so zeigt sich in der Improvisation auch<br />
ein verkörperlichtes Wissen der Musiker*innen. Rose und MacDonald stellen<br />
weiterhin fest, dass in der Real Time Composition der Wunsch des Einzelnen<br />
nach Ausdruck der eigenen Individualität im Spiel und das gemeinsame<br />
Streben nach einem optimalen künstlerischen Endresultat im Prozess in eine<br />
produktive Synthese gebracht werden.<br />
Auch in der Musikszene Berlins gibt es heute eine Vielzahl von hochqualifizierten<br />
Musiker*innen, die nicht nur ihre eigenen Kompositionen spielen,<br />
sondern in improvisatorischen Prozessen überaus aktiv sind.<br />
Die improvisierende Tanzszene ist in Berlin hingegen noch relativ klein<br />
und eine Marginalie hinsichtlich Berlins Ruf als Tanzstadt mit weltweiter Bedeutung.<br />
Aber es beginnen einige Aktivitäten, betreffend der Improvisation in<br />
der Berliner Szene Kontinuität zu zeigen. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit<br />
seien als Beispiele genannt: impro.per.art und Performomat, beide kuratiert<br />
von Jagna Anderson, soundance Festival von Jenny Haack, NOW! Festival<br />
von Sten Rudstrom sowie Common Ground von Ingo Reulecke.<br />
Es zeigen sich zunehmend mehr Annäherungen und Verbindungen zwischen<br />
der Musiker*innen- und der Tänzer*innenszene. Außerhalb Deutschlands<br />
gibt es unter anderem in Belgien, England, Frankreich und Holland<br />
mehr und mehr Bemühungen, diesen Bereich der Real Time Composition<br />
auf Festivals und Foren bekannter zu machen und ihm mehr Aufmerksamkeit<br />
und Wertschätzung zukommen zu lassen.<br />
Als verbindendes Element zwischen Tänzer*innen und Musiker*innen<br />
steht häufig die somatische Praxis. 5 Die Musiker*innen trainieren sich in ihrer<br />
eigenen Technik. Sie sind darüber hinaus auch daran interessiert, eine andere<br />
Präsenz und Wahrnehmung zu erlangen, wie dies durch somatische Arbeit<br />
möglich ist. Sie arbeiten also ähnlich wie die Tänzer*innen an einer Verbindung<br />
von Technik, Körperbewusstsein und Wahrnehmung.<br />
Wenn man beispielsweise den Bereich der Martial Arts betrachtet, findet<br />
man dieses sehr wache Bewusstsein, das aus einer großen Ruhe und Gelassenheit<br />
heraus entsteht. Sich über die bewusste Führung der Atmung mit Körper<br />
und Geist im Raum zu verbinden, schafft als ein Beispiel eine tiefe Basis<br />
für einen fokussierten Eintritt in die Improvisation. Wesentlich scheint in den<br />
5 Siehe Kapitel 24: Tanzausbildung und somatische Techniken.<br />
16 17
meisten Kampfkünsten das Einlassen und Umgehen mit einem Gegenüber,<br />
aus dem heraus mannigfaltige Dialogformen denkbar sind. Durch die wache<br />
Verbindung zum Gegenüber wird man immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen<br />
und kommt in die Präsenz. So führen die Kampfkünste letztlich eher<br />
zu einem Wachsen an sich selbst als zu einem Messen am Gegenüber. Dieses<br />
Bewusstsein ist es, das auch für die Real Time Composition sehr gut einsetzbar<br />
ist und eine Bereicherung der Ausdruckskraft, Wahrnehmung, Präzision<br />
und der Präsenz ermöglicht.<br />
4<br />
Plädoyer für den Augenblick<br />
Was es bedeutet, wirklich im Moment zu sein und wahrzunehmen, was von<br />
Sekunde zu Sekunde passiert, kann man deutlich erleben, wenn man mit der<br />
uns umgebenden Natur und Umwelt in Kontakt tritt und diese sensibel wahrnimmt.<br />
Es geht dabei darum, feinfühlig und schnell auf das zu reagieren, was<br />
um uns herum geschieht. Wer in einer offenen und direkten Verbindung mit<br />
seiner Umwelt steht, kann auf diese Weise mehr in den Moment hinein spüren<br />
und im Jetzt agieren. Wenn man diese Art der unmittelbaren Auseinandersetzung<br />
mit seiner Umwelt erst einmal entdeckt oder wiederentdeckt hat, dann<br />
bieten sich einem zahlreiche Möglichkeiten, um damit zu spielen, die eigene<br />
Spontaneität und Natürlichkeit zu steigern und sich von seinen Gedankenkonstrukten,<br />
Illusionen und starren Haltungen zu befreien und in jedem Augenblick<br />
präsent zu sein.<br />
Gerade auch die Kunst hat viele Zugänge zu Momenterlebnissen und deren<br />
kreativem Potenzial gefunden. Instant Composition, Moment to Moment<br />
Reality, Improvisation, Real Time Composition sind nur einige der künstlerischen<br />
Schlagworte, die damit in Verbindung stehen. Ob es die Jamsession in<br />
der Musik, die Performance Art oder die Tanzimprovisation ist, bei all diesen<br />
Disziplinen kommt man einer Erfahrungskunst sehr nahe, die eine Begegnung<br />
mit sich und der Umwelt ermöglicht. Indem man die unmittelbare Empfindung<br />
des Augenblicks nutzt, kann sich die Kunst im Moment neu erschaffen,<br />
befreit und jenseits von festgelegten Strukturen. Künstler*innen mit ihren<br />
unterschiedlichen Kunstgenres können im Augenblick gestalten und in Verbindung<br />
treten. Je mehr es gelingt, wirklich im Moment zu sein, im Hier und<br />
Jetzt, desto offener ist man für das, was um einen herum, aber auch in einem<br />
selbst von Sekunde zu Sekunde abläuft. Man nimmt wahr, erlebt fein nuancierte<br />
Veränderungen im Innen und Außen und tritt damit in Resonanz. Es ist<br />
ein Sich-Einschwingen auf die Wirklichkeit, ein vollkommenes Akzeptieren<br />
und Annehmen des Augenblicks, das den Wandel der Zeit erspüren lässt, in<br />
den Flow 6 führt und Präsenz schafft. Dies macht unsere eigene Natürlichkeit<br />
und den Strom des Lebens spürbar.<br />
Ein Blütenblatt fällt in einen Fluss und wird von der Strömung mitgerissen,<br />
so lautet eine poetische chinesische Beschreibung zum Moment. Dieses<br />
Mitgerissenwerden mit den Energien und Schwingungen des Augenblicks ist<br />
es, was den Moment für die Kunst so wertvoll macht. Hier geht es weniger um<br />
ein Tun, als um ein Zulassen und Geschehenlassen. Die Fokussierung auf das<br />
Jetzt ermöglicht es, zu spüren, was gerade ist und dies in den künstlerischen<br />
Prozess einfließen zu lassen, damit zu spielen und es zu transformieren. Begegnungen<br />
werden dadurch zu unerwarteten Erfahrungen. Klänge, Bewegungen,<br />
Bilder, Stimmen verbinden sich und lösen sich voneinander. Der Bereich<br />
des Unbewussten und der inneren Stimme wird erfahrbar. Diese Öffnung ermöglicht<br />
eine andere Ebene von Bewusstheit, Natürlichkeit und Verbindung.<br />
Durch die unmittelbare Aufmerksamkeit erlangt die Kunst Zugang zur Dimension<br />
der Gegenwärtigkeit.<br />
5<br />
Der Körper als vielseitiges<br />
Ausdrucksinstrument<br />
Um unseren eigenen Grundlagen, Prägungen und Haltungen näher zu kommen,<br />
die einen entscheidenden Einfluss auf die künstlerische Ausdrucksform<br />
und Gestaltung haben, wählten wir den Einstieg der gegenseitigen Befragung<br />
als Ausgangsbasis für unsere Recherchen zur Tanz- und <strong>Echtzeit</strong>kompositionspraxis:<br />
Heike Gäßler: Was bedeutet dir das Tanzen und wie kamst du zum Tanz?<br />
6 Flow wurde von Mihály Csíkszentmihályi als wesentliche Größe und als ein Prinzip zur Entwicklung<br />
von Freude und Glück untersucht. Vgl. Mihály Csíkszentmihályi: Flow, Stuttgart 2019.<br />
18 19
Ingo Reulecke: Tanz fasse ich als eine absolut ganzheitliche Angelegenheit<br />
auf. Sie beansprucht das gesamte Wesen mit all seinen multiplen Aspekten.<br />
Ich hatte schon von früher Kindheit an eine Vorliebe für Bewegung und<br />
einen übergroßen Bewegungsdrang. Außerdem hatte ich ein sehr starkes Interesse<br />
an Musik und spielte Instrumente. So wuchs bei mir das Interesse, diese<br />
Gebiete zu verbinden, wobei dann der Tanz relativ nahe lag.<br />
HG: Was fasziniert dich an dieser künstlerischen Ausdrucksform?<br />
IR: Ich sehe es als ein Geschenk an, den Körper als ein unglaublich<br />
vielseitiges Ausdrucksinstrument nutzen zu dürfen. Es scheint mir sogar eine<br />
überaus direkte Methode des Ausdrucks zu sein. Außerdem lässt der Tanz eine<br />
Unzahl an Möglichkeiten zu, um über die intensive Auseinandersetzung an<br />
immer neue Facetten heranzukommen, die mir eben noch gänzlich unvertraut<br />
und somit interessant erscheinen. Ich kann mir keine ganzheitlichere Form<br />
vorstellen als den Tanz.<br />
HG: Was bedeutet für dich Körpersprache?<br />
IR: Eine Sprache ist im besten Falle ein vielseitiges und differenziertes<br />
Ausdrucksmedium, das keine Grenzen in den Ausdrucksmöglichkeiten kennt.<br />
Selbstverständlich hängt es von den sprachlichen Voraussetzungen und auch<br />
meiner Kompetenz ab, wie vielseitig und versiert ich mit der Sprache umgehen<br />
kann. Dann kann ein nuancenreiches Spiel mit der Improvisation über<br />
einen Gegenstand beginnen. Hierbei gewinne ich Lust und Freude an dem<br />
unendlichen Prozess des Findens und Erfindens von neuen Ausdrucksvarianten.<br />
Obgleich ich hier von der verbalen Sprache ausgehe, kann ich diese Vorstellung<br />
direkt auf den Tanz übertragen.<br />
HG: Wie erlebst du deinen Körper im Alltag und im Tanz?<br />
IR: Wenn mein Bewusstsein klar ist, ich wach bin und mich im Moment<br />
befinde, ist der Alltag dem Erleben im Tanz sehr ähnlich. Im Grunde ist dann<br />
der Alltag ein Tanz des Augenblicks mit unendlichen Möglichkeiten. Da ich in<br />
der Lage bin, die mannigfaltigen Bewegungen wahrzunehmen und in Relation<br />
zur Umgebung, also dem Raum, wie dem Moment, also der Zeit zu bringen.<br />
Diese Wachheit lässt die Unterschiede des künstlerischen Tanzes und des<br />
Tanzes im Alltag weitestgehend verschwinden und eine größere Präsenz erwachsen.<br />
Dieses Bewusstsein scheint in einer Analogie zum Zen-Buddhismus<br />
zu stehen. In der für mich vornehmlich sitzenden Meditation mit einem Gegenstand<br />
der Konzentration, wie beispielsweise die Atmung, kann die höchste<br />
Form der Wachheit und des Daseins geschehen. Durch genügend Praxis ist<br />
dieser Zustand mindestens zu Anteilen auch in die Konzentration der Improvisation<br />
übertragbar. Möglicherweise kann sich dieser Zustand auch ohne die<br />
Meditationspraxis einstellen, was ich von Kolleg*innen aus beiden Bereichen,<br />
der Musik wie dem Tanz, immer wieder höre. Für mich ist es eine unglaubliche<br />
Unterstützung und befördert mein Dasein im Moment, wie die Fähigkeit,<br />
mich auf das jeweilige Improvisationsgeschehen zu konzentrieren. Dieses immerzu<br />
Dasein, im Moment sein, ist für mich die spannendste Analogie zum<br />
Tanz. Auch wenn es mir etwas übertrieben im Ausdruck scheint, könnte ich es<br />
als den Tanz des Lebens bezeichnen. Wann beginnt dieser und wann hört er<br />
auf?<br />
HG: Warum tanzt der Mensch?<br />
IR: Der Tanz kommt einem archaischen Urbedürfnis des Menschen<br />
nach Rhythmus und Ausdruck über Bewegung nahe, einem Bedürfnis, sich<br />
im Tanz zu verlieren oder gar zu transzendieren. Er hilft auf eine ganz einfache<br />
Art und Weise, aus sich herauszutreten und andere Zustände und Dimensionen<br />
in sich zu erfahren. Diese Dimensionen befinden sich jenseits von rational<br />
erklärbaren Tatsachen, eher entsprechen sie einem Überschreiten der Grenzen<br />
der Körperlichkeit, das den Menschen sich selbst ganzheitlich und wie nie<br />
dagewesen erfahren lässt. Zumeist wird dabei mit einer externen Größe, der<br />
Musik, eine intensive nur schwer zu beschreibende Verbindung eingegangen.<br />
Diese Verbindung ist individuell sehr unterschiedlich gestaltet, wie ein Katalysator,<br />
in dem der Mensch sich vertrauensvoll verlieren kann.<br />
HG: “Die Geschichte eines Landes, eines Menschen schreibt sich in den<br />
Körper ein.” Würdest du diesem Gedanken zustimmen? Wie erlebst du dies?<br />
IR: Diesen Gedanken kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich würde sogar<br />
einen Schritt weitergehen und mit Foucault behaupten, dass sich alles in den<br />
Körper einschreibt und ihn somit unbedingt definiert. 7 Dieser Stempel ist nur<br />
sehr schwer wieder aufzuweichen oder zu relativieren, eben weil er sehr tief<br />
reicht. Ein gutes Beispiel sind hierfür extensive Trainingsmethoden wie jegli-<br />
7 Michel Foucault spricht in Dispositive der Macht über einige Themenkomplexe in seinen Werken, darunter<br />
auch über das Verhältnis zwischen Macht und Körper in seinem Schlüsselwerk Überwachen und<br />
Strafen. Wie er vereinfachend ausführt, muss man “... von einer Einsetzung einer Macht ausgehen, die auf<br />
den Körper selbst ausgeübt wird. Ich suche zu zeigen, wie die Machtverhältnisse in die Tiefe der Körper<br />
materiell eindringen können, ohne von der Vorstellung der Subjekte übernommen zu werden. Wenn die<br />
Macht den Körper angreift, dann nicht deshalb, weil sie zunächst im Bewußtsein der Leute verinnerlicht<br />
worden ist. Es gibt ein Netz von Bio-Macht, von somatischer Macht, die selbst ein Netz ist, [...] innerhalb<br />
dessen wir uns gleichzeitig wiedererkennen und verlieren.” Siehe Michel Foucault: Dispositive der<br />
Macht, S 108-109. Weiterführend hierzu auch: Michel Foucault: Überwachen und Strafen, Frankfurt<br />
am Main 1994.<br />
20 21
cher Hochleistungssport, aber auch der Tanz wie das klassische Ballett sprechen<br />
darüber Bände. Ich verbringe sehr viel Zeit damit, mich immer wieder<br />
aufzuweichen, was meint, mir meine eigenen Konditioniertheiten bewusst zu<br />
machen und mich über die unterschiedlichsten Methoden zu erweitern.<br />
6<br />
Die Individualität des/der Tänzer*in<br />
Meine Tanzerfahrungen in New York waren eine Offenbarung für mich und<br />
meine tänzerische Laufbahn. Mein Tanzverständnis wurde durch die somatische<br />
Praxis vollständig auf den Kopf gestellt. Ich würde heute nicht mehr<br />
tanzen, wenn ich diese Techniken nicht kennengelernt und intensiv praktiziert<br />
hätte.<br />
Ingo Reulecke<br />
Im Tanzbereich haben die somatischen Techniken inzwischen überall Einzug<br />
gehalten. Grundsätzlich wurde das Bewusstsein stark auf die Atmung gelenkt<br />
sowie auf Alignment in verschiedenen Ausprägungen von Feldenkrais,<br />
Alexander-Technik, Susan-Klein-Methode, Atemarbeit, Yoga, Martial Arts<br />
und so weiter. Auch die Contact Improvisation entstand aus den eher sanften<br />
Kampfkunstformen. Vorläufer dieser Praxis im Tanz fanden sich schon in der<br />
Judson-Dance-Bewegung 8 in den USA, dort gab es viele Pionier*innen, die<br />
eine fantastische Vorarbeit geleistet haben. Wobei die somatische Praxis als<br />
eine Art von Körperwissen und als Vorarbeit, Grundlage für diverse Release-<br />
Techniken angesehen werden kann. Dabei geht es jedoch nicht nur um das<br />
Loslassen, sondern auch um die Aktivierung von bestimmten Muskelgruppen<br />
(core supportive muscles). Zudem tragen die Techniken zu einer verbesserten<br />
Lebensführung hinsichtlich einer größeren Leichtigkeit, körperlichen Befreitheit<br />
und Wohlbefinden bei. Bei den diversen Release-Tanzmethoden geht es<br />
um Ausdrucksformen mit einem starkem zeitlichen und räumlichen Charakter.<br />
Die Problematik bei den somatischen Praktiken ist, dass sie dazu führen<br />
können, sich in ihnen zu verlieren. Man kann in andere Dimensionen rutschen<br />
und statt in die tänzerische Praxis in eine Selbsterfahrungswelt eintauchen und<br />
dabei den tänzerischen Fokus verlieren oder zumindest an einer körperlichen<br />
Grenze stehen bleiben. So wird beispielsweise dem Raumgreifenden bei der<br />
Susan-Klein-Methodik kaum Augenmerk geschenkt. Die Genauigkeit in einer<br />
räumlichen und zeitlichen Dimension wird nicht mehr geübt. Auch kann die<br />
Langsamkeit der somatischen Praktiken dynamische Tanzausprägungen verhindern.<br />
Stark körperliche Tanzmaterialien und Kraft erfordernde Aktivitäten<br />
schließen sich durch die Prinzipien der Langsamkeit und des Aufweichens sowie<br />
die Arbeit an der Durchlässigkeit fast aus. Dennoch ist es manchmal notwendig,<br />
sich zunächst diesen Techniken ganz zuzuwenden, um in eine wahrnehmende<br />
Qualität von Weichheit zu gelangen. Ein paralleles Praktizieren<br />
anderer Techniken wäre hier kontraproduktiv.<br />
Dies bedeutet auch, dass die Individualität der oder des Tanzenden wesentlich<br />
wird mit dem Verfolgen eines eigenen Weges, bezogen auf die idiosynkratische<br />
Tanzausprägung und die persönliche körperliche Konstitution<br />
und deren Bedürfnisse. Denn ein individueller Stil entsteht, wie es schon die<br />
Klassiker*innen des Tanzes beschreiben, nur innerhalb eines langen Zeitraumes<br />
von vielleicht zehn Jahren, wenn man kontinuierlich trainiert und diesen<br />
Weg entsprechend verfolgt.<br />
8 Die Judson-Dance-Theater-Bewegung formierte sich 1962 in New York City als ein Kollektiv aus<br />
Tänzer*innen, Musiker*innen und Bildenden Künstler*innen. Die Gruppe zeigte ihre Arbeiten in der<br />
Judson Memorial Kirche in Manhattan. Die Gruppe arbeitete über Workshops mit dem Komponisten<br />
Robert Dunn zusammen, der ein Schüler von John Cage war. Aus dieser Zusammenarbeit entwickelten<br />
die jungen Avantgarde-Künstler*innen ihre Projekte, welche als ein Ausdruck der Ablehnung von<br />
etablierten und festgefahrenen Strukturen angesehen werden kann.<br />
22 23
24 25
TANZBERÜHRUNG<br />
Körper, Geist und Seele treten im Tanz in sich verändernder Form<br />
in Aktion. Es handelt sich um ein genussvolles Verbinden von Körperbewegungen,<br />
-haltungen und Variationen von Momentformen<br />
in spontaner oder festgelegter Abfolge. Einhergehend damit findet<br />
eine Energetisierung des Seins statt, in welcher sich die körperliche<br />
Aktivierung und Durchatmung mit einem inneren Ruhig-Werden<br />
paart. Das fließende Agieren nimmt einen sanften Einfluss auf emotionale,<br />
seelische und geistige Prozesse. Zugleich fördert es eine<br />
körperliche Öffnung, ein Weicher- und Nachgebend-Werden und<br />
das Loslösen von Spannungszuständen. Der innere Herzrhythmus<br />
und Atem sowie äußere Klänge und Musik setzen und steuern die<br />
Akzente der Bewegung und der Ruhe, dem Innehalten. Der Tanzende<br />
tritt in Kommunikation, in Berührung mit sich selbst und<br />
anderen, mit Raum, Zeit und Umgebung. Es ist ein Spiel zwischen<br />
Innen und Außen, Wahrnehmung, Gedankenbewegung, Bewegung,<br />
Form und Formlosigkeit.<br />
HÄNDE<br />
Feingliedrig, hochsensibel und sehr beweglich tragen die Hände zur Ausdruckskraft eines<br />
Menschen bei. In den Händen wie in den Füßen und Ohren ist der gesamte Körper<br />
in Reflexzonen abgebildet. Über sie kann man den Körper beeinflussen. Die Handherzen<br />
in der Mitte der Innenhandflächen gelten im Qigong als wichtige Energiepunkte.<br />
Durch sie kann Qi – in Form von niederfrequenter Infrarotstrahlung 9 – gesendet werden.<br />
Über das Formen von Handmudras lassen sich energetische Prozesse im Körper<br />
steuern, zugleich ermöglichen diese pointierte Ausdrucksformen in der tänzerischen<br />
Gestaltung. Die Hände sind Kommunikationsorgane. Sie können Energie aufnehmen<br />
oder ausleiten und in Kontakt treten. Mittels der Hände mit ihrer haptischen Funktion<br />
begreifen wir unsere Umwelt, erleben sie im Spüren. Öffnende, sich ausdehnende,<br />
spannende, schließende Bewegungen, Greif- und Wellenbewegungen, Spreizen<br />
der einzelnen Finger, Drehungen und Richtungswechsel. Kraftvolles oder weiches<br />
Berühren, Umgreifen, Drücken, Stoßen, Streichen, Loslassen, Ziehen, richtungsweisend<br />
Führen, Zeigen. Im Zusammenspiel beider Hände ergeben sich Sammlung und<br />
Konzentrationsmöglichkeiten. Hände können verbinden und halten. Die Sprache der<br />
Hände ist die Gestik. Sie ist sehr differenziert und kann die Stimme unterstützen und<br />
ersetzen.<br />
9 Siehe Yiyi Zhu: Qigong-Forschungen in China. In: Netzwerkmagazin, https://daoyuan-fan-tenggong.net/wp-content/uploads/2014/11/qg_forschung_china.pdf,<br />
S. 28; letzter Aufruf 8.4.2021.<br />
26 27
7<br />
Beobachtungen zum Tanzausdruck<br />
8<br />
Die eigene Sichtweise auf den Tanz<br />
Was siehst du bei mir und was bei dir selbst? Was sehe ich bei mir und bei dir? Dies<br />
waren weitere Fragen, denen wir in unserer Analyse des Tanzausdruckes nachgingen.<br />
Ingo Reulecke über Heike Gäßler: Bei dir kann ich eine mir sehr fremde<br />
Färbung im Bewegen sehen. Ich vermute, dass es aus deiner Qigong-Praxis<br />
kommt, da ich in dieser Richtung nur selten Ausprägungen antreffe. Dieser<br />
Tanz ist stark durch einen feinen und intensiven Armeinsatz geprägt. Diese<br />
Armfigurationen sind sehr fein ausgeformt und wirken verspielt in ihrer kleinen<br />
Raumausdehnung. Weitestgehend bleibt dieser Tanz platzgebunden und<br />
hat eine sehr fließende, eher langsame zeitliche Qualität. Der Tanz zeugt von<br />
einer großen Wachheit und Präsenz in einer Art von repetitiven Bewegungsmustern.<br />
Ingo Reulecke: Das fällt mir nun aber sehr schwer. Wohl nicht zuletzt, da ich<br />
das Gefühl habe, dass dieser Tanz sehr komplex ist und viele unterschiedliche<br />
Facetten hat. Ich bin jeweils vom Thema oder Zugang zu meinem Tanz ausgehend<br />
an einer bestimmten Textur interessiert. Diese Textur oder Qualität ist<br />
geprägt von meinem Innenraum wie dem Außenraum. Diese beiden Räume<br />
geben mir die Motivation und das jeweilige Potenzial zum Bewegen. So kann<br />
ich also in keinster Weise von einer bestimmten Qualität sprechen, die ich in<br />
der Lage bin zu reproduzieren. Es kann immer nur ein Annähern an etwas<br />
Bekanntes sein, was sich allerdings weiterentwickelt und immer wieder verfremdet.<br />
So kommt es stark auf den Input und die Auseinandersetzung mit<br />
einem jeweiligen Sujet an, wie weit ich mich infolgedessen von etwas Bekanntem<br />
wegbewegen kann. Wobei ich im Tanz gerne Neues erfahre und meine<br />
eigenen Grenzen erweitere. Das funktioniert nicht mehr in einer Leistungsorientiertheit,<br />
sondern eher in einem Vertiefen von Erfahrungen und darüber<br />
einem Eintauchen in spezielle Körperräume und Körperbilder wie andere Inspirationsquellen,<br />
die dann ihre idiosynkratische Ausprägung finden können.<br />
Heike Gäßler: Grenzen scheinen ein wichtiges Thema für dich zu sein.<br />
Warum interessieren dich Grenzen? Was hoffst du hinter der jeweiligen Grenze<br />
für dich zu entdecken?<br />
IR: Grundsätzlich finde ich es für uns Menschen essentiell, immer weiter<br />
zu gehen. Uns Schritt um Schritt zu entwickeln und uns nicht auf etwas<br />
Erreichtem auszuruhen. Nicht zuletzt ist es ein großes Interesse in mir und<br />
ein großes Bedürfnis zu expandieren. In allen Religionen und spirituellen Bereichen<br />
ist dieser Gedanke eine der Hauptmaximen, womit ich mich sehr gut<br />
identifizieren kann. Vor allem gibt es unglaubliche Biografien von Menschen,<br />
die sich in ungeahnte Dimensionen entwickelt haben. Dafür meinerseits das<br />
eigene Potenzial zu entfachen, aber auch die Offenheit, sich an andere greifbare<br />
und ungreifbar scheinende Kräfte anzudocken, ist ein Lebenselixir. Außerdem<br />
kann ich persönlich festhalten, dass für mich in gewisser Weise mein<br />
Potenzial absehbar ist, und ich hier dennoch das starke Bedürfnis habe, meine<br />
Möglichkeiten so stark wie möglich ausschöpfen zu wollen. Eben weil es eine<br />
unstillbare Neugierde und Energie in mir gibt, die das beflügeln.<br />
28 29
HG Wie würdest du deine Grundphilosophie beim Tanz beschreiben?<br />
IR: Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer weiter von einer Grundphilosophie<br />
entferne. Da ich bemüht bin, möglichst vieles zu adaptieren, was<br />
mir entweder neu ist oder mindestens noch nicht so vertraut, versuche ich<br />
eine größere Offenheit auch für mir Fremdes oder gar Befremdliches zu finden<br />
und mich demgegenüber zu öffnen. Ich wünsche mir eine größere Toleranz<br />
und darüber ein stärkeres Zulassen und Hineinlassen von anderen, mir<br />
unter Umständen fremden und befremdlichen Einflüssen. Mich interessiert<br />
die Suche nach einer Spezifität und Authentizität im Tanz.<br />
HG: Wie unterscheidest du Fremdes und Befremdliches?<br />
IR: Ich habe gegenüber dem Fremden eine sehr große Affinität. Vor<br />
allem habe ich immer wieder auf das deutlichste erfahren, dass das scheinbar<br />
Fremde ganz nahe an mir und meinem Interesse dran ist. Eben, dass das<br />
Nicht-Bekannte, was befremdlich war, seine Befremdlichkeit aufgibt und zu<br />
etwas Eigenem, Vertrautem werden kann. So kommt es wohl auch zu der großen<br />
Anziehung gegenüber allen möglichen Formen asiatischer Körper- und<br />
Geistarbeit wie Tai Chi, Aikido, Yoga. Ich finde sie häufig reicher als das, was<br />
ich in unseren westlichen Tanztraditionen erfahren habe. Diese alten tradierten<br />
Körper- und Wissensformen scheinen mir viel intensiver durchdrungen<br />
von Kräften und Mächten, die eine stärkere Tiefendimension haben als Entsprechungen<br />
in unserer Tradition.<br />
HG: Ist offen sein zu wollen nicht auch schon eine Philosophie?<br />
IR: In gewisser Weise ist es bestimmt eine Philosophie. Hierbei ist sicherlich<br />
die Frage, was die Offenheit ausmacht, bis zu welchem Grad die Offenheit<br />
geht und mit welchen Konsequenzen. Ins Straucheln bin ich oft bei<br />
körperlich extrem beweglichen Tänzer*innen gekommen, die allerdings aus<br />
ganz tradierten und hierarchischen Tanzbereichen kamen, somit mental eher<br />
entsprechend verschlossen blieben und tradiert dachten und sich bewegten.<br />
Es ist mit Sicherheit die Frage, wie weit die Offenheit geht, wie ganzheitlich<br />
sich diese Offenheit ausgestaltet.<br />
HG: Wie kannst du es vereinen, dass du authentisch, also bei dir bleibst<br />
und gleichzeitig fremde und sogar befremdliche Einflüsse zulässt?<br />
IR: Ich finde nicht, dass es einen Widerspruch geben muss, bei sich zu<br />
bleiben und dennoch Neues zu adaptieren. Vielleicht sind Kinder hier ein sehr<br />
gutes Beispiel, da sie dies in ihrer gesamten Entwicklung praktizieren. Transformation<br />
scheint für jeden Lebensabschnitt wesentlich zu sein. Da wir uns in<br />
jedem Moment in einer Transformation befinden, ist es nur eine Frage, dies<br />
zu realisieren und zuzulassen. Mit ziemlicher Sicherheit wissen wir auch gar<br />
nicht, was alles in uns an unterschiedlichsten, teils auch befremdlichen Potenzialen<br />
schlummert. Das inbegriffen öffnet viele Möglichkeitsfelder, sodass es<br />
gegebenenfalls eher um das Zulassen und Erlauben von Einflüssen geht. Mit<br />
Sicherheit glaube ich, dass bestimmte Ansätze und Methoden, die über den<br />
Körper funktionieren, prädestiniert sind, um hier Neues zuzulassen.<br />
9<br />
Ursprung – Tanz und Sprache<br />
Heike Gäßler: Kann man mit dem Körper anders sprechen als mit der<br />
Stimme?<br />
Ingo Reulecke: Es ist möglich, Tanz und Stimme sehr stark aufeinander<br />
abzustimmen, sodass es weitestgehend zu einer Ausdrucksform wird. Wenn<br />
das erreicht ist, scheint es mir keine Unterschiede mehr zu geben. Möglicherweise<br />
idealisiere ich hier auch etwas, da es für mich viel mehr als ein Ziel ist,<br />
das ich gern erreichen würde. Der Tanz hat einen anderen Zugang und Umgang<br />
mit dem Raum. Sicherlich kann ich auch die Stimme in unterschiedlichster<br />
Art und Weise im Raum platzieren. Aber die Bewegung scheint mir hier<br />
direkter und greifbarer im Umgang mit dem Raum zu sein.<br />
HG: Wer spricht da eigentlich?<br />
IR: Gerade, wenn ich die Synthese von Tanz und Sprache probiere,<br />
bin ich sehr unsicher zu sagen, wer da spricht. Oft habe ich nicht das Gefühl,<br />
dass ich den Inhalt der Sprache wirklich bestimme. Eher bestimmt es sich aus<br />
der Situation im engen Umgang mit der Bewegung heraus wie von selbst. So<br />
spricht etwas Übergeordnetes, das weder nur aus der Sprache noch aus der Bewegung<br />
kommt. Aber wer das ist, der da spricht, kann ich nicht beantworten.<br />
Vielleicht kommt es einer übergeordneten, unbewussten Größe nahe.<br />
HG: Kann man zu den Wurzeln des Tanzes zurück gehen? Und was erlebt<br />
man da?<br />
IR: Die Frage ist für mich, was die Wurzeln oder der Ursprung des Tanzes<br />
sind. Ich verbrachte eine Zeit lang in Westafrika und kam dort einigen<br />
Ursprüngen recht nahe, die ich als sehr kraftvoll und beinahe überbordend<br />
empfand. Diese Welt war nicht die meine und fühlte sich für mich zu überwältigend<br />
an, sodass ich aus einer Überforderung heraus krank wurde. Diese<br />
30 31
Welt der kraftvollen, direkten perkussiven Trommelmusik war für mich nicht<br />
zugänglich und greifbar. Es scheint mir spannender und realistischer, meine<br />
eigene Entstehungsgeschichte im Tanz zurück zu verfolgen und gegebenenfalls<br />
Fragmente davon wiederzufinden. So komme ich eher meiner eigenen<br />
(Tanz-)Geschichte auf die Spur. Auf diesem Weg kann ich mir vorstellen, eine<br />
Tiefe und Authentizität in meiner idiosynkratischen Ausdrucksweise zu finden.<br />
Wer weiß, wo diese andockt und wie eng sie mit den Wurzeln des Tanzes,<br />
ja sogar der Entstehung des Tanzes zusammenhängt. Ich kann mir vorstellen,<br />
dass in jedem von uns, der sich auf den Weg macht, seinen Tanz zu finden, das<br />
Eigene im Ausdruck diesen Ursprüngen näher tritt.<br />
32 33
34 35
10<br />
VERSUCHSANORDNUNG 1<br />
Sri Joko Raharjo, Risnandar, Raymond Kaczynski<br />
Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Rumah Budaya Indonesia der Botschaft der Republik Indonesien, Berlin-Mitte<br />
16.9.2013<br />
In der Aula des Rumah Budaya Indonesia der Botschaft der Republik Indonesien<br />
begannen unsere Experimente zur <strong>Echtzeit</strong>komposition im Zusammenspiel<br />
von Tanz (Ingo Reulecke), Musik (Sri Joko Raharjo, Risnandar, Raymond<br />
Kaczynski), Text (Heike Gäßler) und Video (Carlos Bustamante). In<br />
einem zweiten Treffen erweiterten wir unsere Versuche noch durch das Genre<br />
des Schattenspiels (Sri Joko Raharjo) und durch performatives Schreiben<br />
und Sprechen (Heike Gäßler). Hier agierten wir vor und hinter der Leinwand<br />
inmitten der Gamelan-Instrumente und führten mehrere Sets durch. In anschließenden<br />
Gesprächen tauschten wir unsere Eindrücke und Erfahrungen<br />
dazu aus.<br />
Die folgenden Texte entstanden als Live-Mitschriften während des Geschehens.<br />
Hierbei entwickelten wir nach und nach die Methodik, Texte einerseits<br />
als Mittel der Dokumentation zu verstehen und andererseits das Schreiben<br />
als kreative und interpretierende Ausdrucksform zu nutzen. Die Texte<br />
entstanden aus einer möglichst leeren Grundhaltung heraus. Die Dokumentation<br />
folgte dabei dem Prinzip, die Verbindung von Tanz und Musik wahrzunehmen,<br />
die entstehenden Bewegungen und Abläufe zu beobachten und zugleich<br />
im Moment deskriptiv einzufangen und niederzuschreiben. Dabei war<br />
es wesentlich, während des Schreibens nicht den Anschluss an die Fortentwicklung<br />
des Geschehens zu verlieren, sondern die Schreibgeschwindigkeit<br />
fließend fortzusetzen und zugleich präsent zu bleiben für die folgenden Gestaltungsformen<br />
der anderen Akteure. Wobei der Fokus der Aufzeichnungen<br />
sich in erster Linie auf die visuellen Elemente des Tanzes bezog.<br />
In der zweiten, der kreativen Textform wurde das ad hoc verwendete<br />
Material des Tänzers und der Musiker nicht mehr nur dokumentarisch niedergeschrieben,<br />
sondern im Moment assoziativ gedeutet und interpretierend<br />
erfasst. Beide Varianten führten dabei unerwartet zu einer poetischen Ausdrucksform,<br />
dem Flow der jeweiligen <strong>Echtzeit</strong>komposition folgend und eingefangene<br />
Bilder beschreibend oder neu eröffnend. Die nachfolgenden Texte<br />
zeigen die ersten Versuche dieses <strong>Echtzeit</strong>schreibens. Sie stellen eine Mischform<br />
beider Varianten dar. In späteren Experimenten wurden die dokumentarische<br />
und die interpretierende Form deutlich voneinander getrennt praktiziert.<br />
Erstes Treffen<br />
Set 1 – Performance mit Schreibexperiment<br />
Sanftes Klangspiel mit drehender Form,<br />
zu Beginn noch ungestaltet.<br />
Die Hände im Rhythmus atmend – fliegend.<br />
Der Körper im handgelenkten Kreis.<br />
Ein Niedergehen des Körpers aufwärts,<br />
vorwärts drehen zwischen den Trommeln<br />
hindurch in flötendem Treiben der<br />
Klänge. Magisches Eindrehen einer Säule<br />
im Fluss. Zart, leicht, schreitend.<br />
Graziles Händeschwingen aufwärts.<br />
Gestreckte Körpermitte nach oben<br />
vorhangeln auf dem hellen Boden<br />
aufwärts rückwärts gleiten – eingeknickt<br />
das Bein seitwärts ausgestreckt ziehen<br />
über, durch die Gamelan Instrumente hindurch.<br />
Die Hand zur Seite sich bewegend<br />
ein tosendes Spiel in den Knien<br />
die geforderte Bewegung gezerrt, unsanft.<br />
Majestätisch der Klang<br />
getrieben, schwer die Stimme, hoch<br />
greifend, der Arm gehalten – gezogen die<br />
Bewegung. Maßloses Stimmen die Bewegung<br />
verlangsamend aufrichtendes Undasein<br />
geschliffen die Form. Magnetisches<br />
Treiben auf dem roten Grund weinend<br />
ziehend, durchdrungen vom Moment, der<br />
Schönheit der Form, gebeugt wie ein Tier<br />
nach oben strebend gekniffen, gespannt<br />
36 37
in der Gebücktheit des Lebens, feingliedrig<br />
anhebend abwärts die Hände geformt<br />
zum Kreis der Blüte unschön der Klang<br />
gezerrt undurchschwächt atmend in Feinheit<br />
ein Gehen von Schritten.<br />
Set 2 – Performance mit Schreibexperiment<br />
Ein Gongen, ach wohin geht der Schritt?<br />
Drehen nach unten, der Kopf zu Boden<br />
geradewegs gestreckt – hin und her die Hand<br />
ein Rudern, vornübergebeugtes spielendes<br />
Kreisen über das Bonang hinweg.<br />
Zurück. Unheiliges Überschreiten von Grenzen<br />
ausgedehnt. Ungestüm, leicht, fliegend<br />
gestrecktes Bein, seitliches Drehen des<br />
Oberkörpers. Das Bein eines Storches<br />
Händeschwingen anhalten gestreckt,<br />
gezwickt. Hab Acht – langsam<br />
auseinander gleiten nach oben dehnen, gekreuztes<br />
Innehalten überziehendes Schwenken<br />
in Auflösung begriffen streckt in den<br />
Himmel im Spiel der gehaltenen Töne.<br />
Jonglierend, ach ein Drehmoment<br />
durchgezogen geknickt.<br />
Handbetontes Bewegen. Nach oben eintauchen<br />
in sich selbst die Objekte umspielend.<br />
geht mit. Die Arme ziehend, die Finger gedreht.<br />
Ein Ton merkwürdig rückwärts ziehend<br />
die Wirbelsäule nach oben vollendet gebeugt,<br />
die Finger entlang geführt über Objekte im<br />
Klang treibend auf dem Teppich niederwärts langsam<br />
aufrichtend, suchend der Blick, suchend die<br />
Hände, suchend das Bein.<br />
Die Wirbelsäule ein Baum wachsend in den<br />
Himmel niedersinkend, aufbückgeknickt<br />
ohne Rücksicht fliegend,<br />
einschreitend, machbar kugelnd. Der<br />
Schwung gehalten – wachsend ins Treiben<br />
des Ausdrucks. Der Beinschwung in hoher<br />
Ebene niederbeugend.<br />
Kostbares Schwingen. Die Faust auf der<br />
Hüfte im Atem der Musik. Stille einer<br />
taumelnden Glocke, herabhängender Körper<br />
über den Rumpf. Ein Tropfen fallend<br />
die Sehnen spielend über die Haut im<br />
handzögernden Fauchen des Körpers. Die<br />
kleinen Bewegungen der Haare nicht findend<br />
in die Größe des Körpers, klein werdend<br />
nicht haltend gelenkt durch die Hand des<br />
Klangs.<br />
Durchlebtes Beinmuster<br />
akrobatisch, konstantes Drehen der<br />
Arme in sich aufnehmend den Ton<br />
der Trommel, ein Ruf. Die Schultern im<br />
Kreis die Wand missachtend. Die Hände<br />
ohne Form. Das Bein verheißungsvoll<br />
nach oben führend. Die Hände wieder im<br />
Schwung, ohne zu fühlen. Nur der Mund<br />
38 39
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 1 – Zweites Treffen – Set I – https://vimeo.com/915488146<br />
Versuchsanordnung 1 – Zweites Treffen – Set II – https://vimeo.com/915494128<br />
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11<br />
INTERVIEW<br />
Sri Joko Raharjo, Risnandar, Raymond Kaczynski, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Rumah Budaya Indonesia der Botschaft der Republik Indonesien, Berlin-Mitte<br />
Zweites Treffen<br />
16.9.2013<br />
Heike Gäßler: Wie habt ihr die Improvisation empfunden?<br />
Ingo Reulecke: Ich mochte dieses vielschichtige Ereignis: den<br />
Sound, die verschiedenen Qualitäten des Klangs, die Art, wie du<br />
diese eigentümlichen Instrumente einsetzt, und dann die Bilder.<br />
Es war sehr inspirierend, vorne zu sein und diesen Schatten zu haben.<br />
Und dann war da Carlos, auch in Bewegung mit der Kamera.<br />
Es gab also diese drei verschiedenen Ebenen: ihr hinter der Leinwand,<br />
dann die Leinwand als zweites Ereignis und Carlos während<br />
des gesamten Anfangs vor der Leinwand, der sich ebenfalls<br />
mit seinem eigenen Instrument bewegte. Und schließlich gab es<br />
die vierte Ebene: Heike, die sprach und schrieb. Sich in dieser Art<br />
von Landschaft zu befinden und meine eigene Adaptation oder<br />
mein eigenes Spiel zu improvisieren in dieser fremdartigen Kommunikation<br />
mit so vielen Elementen, war wie ein Werkzeugkasten<br />
zahlloser Ideen: Wie der Westen auf den Osten trifft oder der Osten<br />
dem Westen begegnet oder… ich weiß nicht mehr, wer wem<br />
begegnet ist. Aber ich habe die Kommunikation sehr genossen,<br />
und ich war sehr gern in diesem Schmelztiegel hier hinter der<br />
Leinwand, so dass wir die Möglichkeit hatten, uns alle zu sechst<br />
an einem kleinen, wirklich winzigen Fleck mit dieser Vielzahl von<br />
Medien zu begegnen und mit diesen Medien zu spielen. Dieses<br />
Schließen und Öffnen des Raumes, das Öffnen der Ideen und das<br />
Zusammentreffen war eine sehr angenehme Performance.<br />
Sri Joko Raharjo: Vielen Dank für dieses Erlebnis heute. Es ist sehr<br />
spannend gewesen, und ich konnte wirklich genießen, was heute<br />
passiert ist. Ich fand auch das letzte Mal gut, aber dieses Mal war<br />
es besser, weil wir uns jetzt kennen und wir wirklich mehr miteinander<br />
verbunden sind. Und außerdem, wenn ich den Klang des<br />
Instruments kenne, weiß ich besser, wie man sich mit dem Rhythmus,<br />
dem Tempo und auch mit Ingo verbindet. Es war, als ob wir<br />
ein Spiel spielten und dabei nicht wussten, was passieren würde.<br />
Jeder hat versucht, ein Gewinner zu sein – aber wir sind alle Gewinner.<br />
Ich habe auch jetzt das Gefühl, dass ihr alle nach und nach<br />
versucht habt, ganz offen mit Ingo ins Spiel zu treten, manchmal<br />
auch mit dem Banjar 1 oder mit Heike. Es ist also interessant, da es<br />
nicht wie eine Improvisation, sondern wie eine Performance war.<br />
Außerdem habe ich Rebab 2 noch nie mit der Leinwand gespielt.<br />
Und ich spiele gerne mit dieser Puppe, zum Beispiel das Spiel, sie<br />
fliegen zu lassen. Wir folgten alle einfach unserem Herzen. Dein<br />
Tanz ist berührend, und auch ich habe deinen Tanz berührt.<br />
Risnandar: Joko spielte Rebab, und ich antwortete mit dem Bogen<br />
und spielte Gendèr 3 . Wir kommunizieren mit diesen Instrumenten.<br />
Ich machte Musik, und du folgtest ihr, und ich folgte dir.<br />
Raymond Kaczynski: Ich fühle mich geehrt, dass ich gebeten wurde,<br />
mitzumachen. Nach den vielen Jahren, in denen ich nichts mit<br />
diesen indonesischen, javanischen, balinesischen Klangwelten zu<br />
tun hatte, tut die Rückkehr dahin sehr gut. Ich habe hier die Dinge<br />
benutzt, die ich vor so vielen Jahren studiert habe. Früher spielte<br />
ich Musik, die aus diesen Traditionen stammt. Meine einzige<br />
Schwierigkeit war jetzt, dass ich das Ramayana gelesen habe – es<br />
ist ein so großes indisches episches Gedicht (und es ist immer<br />
noch nicht alles aus dem Sanskrit ins Englische übersetzt worden).<br />
Aber nach den 600 oder 700 Seiten, die ich gelesen habe, bin ich<br />
heute fasziniert davon gewesen, diese Charaktere zu sehen, und<br />
1 Javanisches Gamelan-Instrument.<br />
2 Javanisches Saiteninstrument (Spießgeige).<br />
3 Gamelan-Instrument in Java und Bali, ein Metallophon mit dünnen gestimmten Klangplatten.<br />
42 43
ich versuchte, die Erfahrung der Lektüre mit dem jetzigen Moment<br />
zu verbinden. Mein Dilemma war also, deine Charaktere zu<br />
sehen, deine Stimme zu hören und dabei zu denken: ‘Okay, ich<br />
sehe Lakshmana und Rama und Rakshasa, und dann ist da Ingo.’<br />
[Alle lachen]. Also wer den Rakshasa nicht kennt, muss wissen, er<br />
ist wirklich extrem böse. Er ist der Bösewicht schlechthin, es gibt<br />
nichts Schlimmeres, oder? Also zu sehen, wie der Super-Dämon<br />
auftaucht, das war klasse. Und ich habe wirklich eine erbauliche<br />
Zeit mit all diesen verschiedenen Ebenen gehabt, die Ingo schon<br />
erwähnt hat, also die Interaktion und der Text, auf den ich zu achten<br />
versuchte. Und ich versuchte, nicht zu laut zu sein, um ein wenig<br />
von dem zu hören, was wir hier gerade machten. Das war so<br />
umwerfend.<br />
SJR: Deine Poesie, Heike. Bitte übersetze sie für uns.<br />
HG: Übersetzen? Nein, es ist zu schwierig, das zu übersetzen, aber<br />
ich kann euch sagen, wie ich die Session empfunden habe. Für mich<br />
war es sehr schön, beide Seiten zu sehen, weil ich an diesem besonderen<br />
Ort saß – ich war die Einzige, die beide Seiten sehen konnte:<br />
das Spiel vor der Leinwand und dahinter, ebenso die Interaktion zwischen<br />
beiden. Mir gefielen wirklich beide Seiten, und daher wusste<br />
ich nicht, auf welche Seite ich gehen sollte. Auch bei meinem Schreiben<br />
wusste ich nicht, ob ich mehr dem Tanz oder besser der Musik<br />
folgen sollte – also habe ich alles durcheinander gemischt. Ich habe<br />
nicht nur versucht zu schreiben, sondern auch unmittelbar zu sprechen.<br />
Manchmal schrieb ich oder ich las, was ich geschrieben hatte,<br />
manchmal folgte ich einfach und sprach über das, was ich sah, und<br />
versuchte dabei, etwas Poetisches zu gestalten und auch den Klang<br />
einzubringen. Was mir sehr gut gefallen hat, war, als du anfingst, deine<br />
Stimme zu benutzen, da begann auch ich zu sprechen. Und ich habe<br />
es genossen, ebenfalls in den Soundbereich zu gehen.<br />
SJR: Ich mochte deine Dichtungen und die Art, wie du sie von leise<br />
bis laut aufgebaut hast. Und es war sehr energievoll, wie du raumbewusst<br />
wurdest und anfingst, dich zu bewegen.<br />
Zweites Treffen<br />
Set I – Performance mit Schreibexperiment<br />
Am Anfang – zusammenkommen. Die Puppen geordnet am Boden. Der Bogen und<br />
ein langsames Näherkommen. Weich die Beine im Karo, fließend.<br />
Die Daumen führend in Richtungen, Fäuste gestaltend, abtauchend. Der Nacken<br />
bedeckt von Händen. Aufgehend. Das Wasser leicht bewegt. Eine Kugel am Boden,<br />
schwingend das Bein nach den Seiten.<br />
Im Kampf schreiend – die Weichheit davor – das Chaos dahinter, wirr, wirrend,<br />
unfertig in der Gestalt.<br />
Drehen eingelenkt, unteres tiefes Bewegen nur aufblitzend in der Form, wenn hoch<br />
genug. Unsichtbar.<br />
Die Bewegungen aufschreiben schnell, das Tauchen darüber, abwärts im Klang<br />
der roten Kammer – durchstoben vom Manko der Fäuste, auseinander gleitend,<br />
eingeengtes Bewegen der Armmuskulatur, verdeutlicht im Rhythmus des<br />
Fußabsetzens, langsam rückwärts strebend, leises seitliches Hin und Her, abwärts<br />
gleitend, in die Tiefe gezogen hinter der Leinwand.<br />
Hinten stehen die Puppen nah, aufgezogen, das Gewirr des Spiels auf Leinwand<br />
gezeichnet, unterirdisch abschwebend.<br />
Die Hände rechts, links dazwischen. Drehend fortbewegt. Unaufhaltsam, machtlos<br />
das Bein nach unten gesetzt im Schatten. Nicht sichtbar. Schreibgespieltes<br />
Durchdringen. Nicht doch.<br />
Aufgerichtet – weit geflogen.<br />
Umringt von Schatten treibend.<br />
Rund hinter der Leinwand schreibend. Nah bei den Schatten ausgestelltes Bein. Die<br />
Fäuste übereinander gedreht, die Finger im Kreis. Niederweichend.<br />
Rund der Rücken, angedachtes Schwimmen der Form – hoch ab die Knie gedreht.<br />
Der Körper schwelend am Boden.<br />
44 45
HG: Welche Bedeutung hat der Moment für euch? Wie<br />
ist euer Gefühl bezüglich des Moments?<br />
IR: Es ist enorm wichtig, so sehr wie möglich in der Situation zu<br />
sein, sich mit dem Moment zu verbinden und davon so viel wie<br />
möglich bewusst zu erfassen. Das ermöglicht es mir, in Verbindung<br />
zu treten mit den anderen Spieler*innen, der Situation, dem Raum<br />
und dem Publikum, oder was auch immer da ist. Der Moment ist<br />
also eine der wichtigsten Zutaten.<br />
der Tat dazu, dass manche Impulse verworfen werden. Und wir sind<br />
alle erfahren genug, um zu wissen, dass es den Moment gibt und<br />
dass es den nächsten Moment gibt, der diese Entscheidung ist, die<br />
auf der Vergangenheit basiert oder auf dem, was ich von euch höre<br />
oder von euch sehe. Was im Grunde dasselbe ist.<br />
SJR: Der Moment ist sehr wichtig und in der Regel sehr unvorhersehbar.<br />
Aber er ist sehr wichtig, denn wir versuchen manchmal, ihn<br />
zu arrangieren oder abzuschneiden. Manchmal jagen wir nach dem<br />
Moment, manchmal versuchen wir ihn zu erschaffen und wissen dabei<br />
aber nicht, ob es passieren wird oder nicht. Aber jeder Moment<br />
ist Veränderung; und wir können nicht zählen. Von jeder Sekunde<br />
zur nächsten ist es anders. Wenn die Momente geschehen, können<br />
wir das spüren, und danach versuchen wir einen weiteren Moment<br />
zu bilden.<br />
RK: Es macht ein bisschen süchtig, nicht wahr? Es steckt ein gutes<br />
Gefühl in dem Moment, wenn du loslegst, also willst du mehr.<br />
R: Für mich ist es manchmal so, wie heute, dass ich Improvisationen<br />
machen kann und ebenso das traditionelle Trommeln dazu. So<br />
wie vorhin, als Joko kämpfte 4 und ich mit dem Schlagzeug dann auf<br />
traditionelle Weise reagierte. Für mich ist die Bedeutung des Augenblicks,<br />
dass ich das Traditionelle in die experimentellen Spielweisen<br />
einbringen kann – heute kann ich mich also weiterentwickeln.<br />
RK: In der Improvisation ist der Moment der Himmel – alles andere<br />
ist Geschichte. Und du musst die Entscheidung treffen, wie<br />
du vorankommst. Basiert die Entscheidung auf dem, was du gerade<br />
getan hast (was natürlich die Vergangenheit ist), oder versuchst du<br />
einfach, dich zum nächsten Moment voran zu bewegen? Also gibt es<br />
auch die Möglichkeit, dass du dich in einer lustigen Art und Weise<br />
in ein Rückwärts begibst – das, was dabei gespielt wird, ist der historische<br />
Teil der Improvisation, der dann als Motiv oder was auch immer<br />
verwendet wird. Meiner Meinung nach haben wir genau davon<br />
sehr viel gemacht – aber bei einigen Improvisationen kommt es in<br />
CB: Wenn man lernt, wie man Bilder macht, dann lernt man bestimmte<br />
Regeln. Heute bestand für mich die Anstrengung darin,<br />
mich von diesen Regeln zu lösen und stattdessen zu erkennen, ob<br />
das, was ihr da tatet, mich zu etwas bewegte. Ich arbeitete nicht<br />
bewusst daran, aber es gab einen Moment, in dem ich nicht mehr<br />
dachte. Ich war selber wie im Tanz oder in der Bewegung oder auf<br />
der Suche, und manchmal, vor allem, als du die Puppen bewegtest,<br />
da versuchte ich herauszufinden, ob ich sowohl Ingo als auch die<br />
Puppen in irgendeine Beziehung bekommen konnte. Es gab also<br />
4 Sri Joko Raharjo stellte im Schattenspiel eine Kampfszene dar.<br />
46 47
einen bewussten Prozess, aber vieles davon war eher so, als hätte<br />
ich gesagt: ”Lasst uns sehen, was passiert.” Der Moment ist also da,<br />
wenn ich nicht einmal darüber nachdenke, sondern wenn ich denke:<br />
‘Wow, es ist so schön, dass dies jetzt geschieht.’ Meistens hatten<br />
meine Aktionen etwas mit dem zu tun, was ihr getan habt – aber es<br />
gab einen Moment, als ich mich gut fühlte und ich es schaffte, an<br />
diesen Ort zu gehen, wo ich das sehen und eine bestimmte Kombination<br />
herstellen konnte. Aber für mich ist das spannend, weil es<br />
einen anderen Raum eröffnet als sonst. Denn normalerweise ist ein<br />
realer Raum vorhanden. Aber bei dieser Improvisation ist ein seltsamer<br />
Raum erschaffen worden, den ich noch nicht beschreiben<br />
kann, obwohl es mit den Anfängen des Kinos zu tun hat. Es hat mit<br />
diesem sehr starren Quadrat zu tun, auf das sich die Aufmerksamkeit<br />
aller richtet. Heute jedoch hatte ich dieses Privileg: Ich konnte<br />
mich bewegen, ich konnte stets die Perspektive wechseln, ich konnte<br />
sogar mogeln und sehen, was ihr da hinter der Bühne getan habt.<br />
Das war sehr nett. Der Moment ist also sehr kompliziert, da er viele<br />
verschiedene Erscheinungsformen besitzt und durch viele unterschiedliche<br />
Dinge motiviert wird. Aber ich muss gerade über etwas<br />
nachdenken, das ihr alle gesagt habt, und zwar frage ich mich, wie<br />
stark versucht ihr bewusst etwas zu forcieren, um einen Moment zu<br />
schaffen? Denn meine Einstellung war immer, es loszulassen und<br />
zu sehen, was passiert, anstatt einen bestimmten Höhepunkt erreichen<br />
zu wollen. Das konventionelle Kino stimmt das Publikum<br />
darauf ein, eine bestimmte Erwartung oder zu einer bestimmten<br />
Schlussfolgerung zu gelangen und eine gewisse Emotion zu spüren.<br />
Und ich weiß nicht, ob mir das noch gefällt. Das hier hat niemand<br />
wirklich geplant. Wir alle haben unsere Traditionen, wir alle haben<br />
unsere Lehrer, die uns bestimmte Dinge gelehrt haben – aber das<br />
Schöne ist, dass wir uns geöffnet haben für neue Situationen. Also<br />
frage ich mich gerade: Wie stark versucht ihr, etwas zu erzwingen,<br />
und in welcher Weise, wenn ihr das tut?<br />
IR: Ich versuche nicht, das zu erzwingen, ich versuche lieber, es geschehen<br />
zu lassen. Und diese Konzepte, die du beschrieben hast,<br />
könnten dieser Momentsituation ein wenig im Wege stehen, die<br />
sich von Moment zu Moment verändert. Denn durch ein solches<br />
Forcieren prognostizierst du bereits eine Zukunft, und das stört den<br />
Moment. Dies passiert sehr oft in starkem Ausmaß, und für mich<br />
ist das nicht so interessant. Es kommt vor, und natürlich habe auch<br />
ich diese Traditionen in meinem Körper. Es ist aber interessanter,<br />
dies zu überwinden und sich davon zu lösen. Wie auch immer, der<br />
Moment ist da, aber ich brauche ihn nicht zu erzwingen oder zu formen<br />
oder daraus etwas zu bilden. Dieses Konzept ist also nicht so<br />
hilfreich oder interessant für mich. Ich möchte versuchen, dies loszulassen.<br />
CB: Ja, das habe ich gespürt, seit ich dich kenne. Du bist immer auf<br />
der Suche nach etwas, und es ist so vieles da, so dass du ständig damit<br />
kommunizierst und darauf reagierst. Manchmal sind wir wir<br />
selbst und machen die Dinge irgendwie auf eine ähnliche Art und<br />
Weise, aber dann ändert sich die andere Person oder es ändern sich<br />
die Objekte, so dass man anders reagiert. Das ist für mich ein hilfreicher<br />
Gedanke, da es für mich schwierig geworden ist, konventionelle<br />
Filme zu sehen, weil sie alle sehr ausgeklügelt und kalkuliert sind,<br />
um eine bestimmte Reaktion zu erzielen.<br />
RK: Du hast keine andere Wahl mehr, als der vorgegebenen Route<br />
zu folgen. Oder du löst dich davon.<br />
HG: Der Moment gibt dir eine große Freiheit. Ich komme aus dem<br />
Theater – und im Theater sind die Dinge meistens geplant. Als ich<br />
auf die Bühne ging, war ich immer ein bisschen nervös. Aber ich<br />
bin nie nervös in der Improvisation oder wenn ich von Moment zu<br />
Moment arbeite. Dann kann ich wirklich ich selbst sein. Und wenn<br />
ich einen Klang erzeuge und dabei das Gefühl habe, dass dies zu<br />
dramatisch ist oder was auch immer, dann kann ich mich sofort ändern.<br />
Ich spüre es oder höre es, und dann gehe ich da ‚raus, gehe woanders<br />
hin. Ich kann immer von neuem anfangen, im Moment. Und<br />
was ich mag, ist: Wenn ich schreibe, bin ich im Moment des Schreibens,<br />
aber gleichzeitig dokumentiere ich, was ihr tut. Also habe ich<br />
verschiedene Ebenen, mit denen ich arbeiten kann. Wenn ich eure<br />
Bewegungen oder eure Klänge dokumentiere, werde ich nicht so<br />
schnell sein wie ihr. Mein Moment liegt dann zurück hinter eurem<br />
48 49
Moment. Ich folge eurem Moment, aber ich kann ihn nie erreichen,<br />
weil ich nicht schnell genug bin. Aber natürlich bin ich immer noch<br />
in meinem eigenen Moment. Und dann kann ich mich wieder ändern,<br />
ich kann aufhören zu schreiben und zu meinem neuen Moment<br />
übergehen und direkt sprechen.<br />
HG: Welche Bedeutung hat eine Pause für euch? Was<br />
für eine Art von Bedeutung entsteht für euch, wenn<br />
ihr einen Bruch erzeugt oder Unterbrechungen?<br />
RK: Pausen sind genauso wichtig. Das ist auch Aktivität, aber eine<br />
andere Form von Aktivität. Für mich als Schlagzeuger besteht die<br />
Gefahr, dass man immer weitermacht und nie wirklich genießen<br />
kann, dass der Klang auch einen Nachhall kann. Es ist ja sehr leicht,<br />
einfach weiterzumachen und einen Rhythmus oder Sound zu spielen,<br />
daher sind die Pausen für mich genauso wichtig wie die Aktivität.<br />
Ich bin ja dann immer noch aktiv, wenn<br />
nicht in irgendeiner Weise sogar aktiver als<br />
wenn ich meine Hände bewege – was ich<br />
nicht von vielen anderen Schlagzeugern<br />
gehört habe. Die anderen Schlagzeuger<br />
sagen: “Ich spiele, und damit ist die Sache<br />
getan.“ Daher mag ich die Pausen sehr.<br />
CB: Für mich ist das eine seltsame Welt.<br />
Ich denke da an einige der Filme, die ich<br />
gemacht habe. In all den Filmen, die ich<br />
wirklich mag, habe ich immer einige<br />
Überblendungen ins Schwarz eingesetzt.<br />
Plötzlich, was auch immer geschieht, wird<br />
es einen Moment der Schwärze geben, und danach folgt die nächste<br />
Szene, oder die vorangegangene Situation geht weiter. Ich denke,<br />
das wäre so eine Pause (im Sinne der Frage) – so kann das, was auch<br />
immer gerade passiert, tiefer wirken oder ein kurzes Eigenleben haben<br />
für die Betrachtenden oder Zuhörenden. Der Moment ist in<br />
der Schwebe. Und dann zeigst du die nächste Sache. Ich hatte schon<br />
bemerkt, dass ich diese Methode schon oft aufgegeben habe, aber<br />
als ich vor kurzem etwas bearbeitete, was mir nicht gefiel, dachte<br />
ich darüber nach und fing an, die schwarzen Pausenmomente einzusetzen.<br />
Und dann mochte ich es, es ergab Sinn, und ich dachte:<br />
‘Okay, das hat gefehlt’. Auch ein Komponist setzt die Pause in seiner<br />
Komposition ein – daher kam ich auf diese Idee. Da dachte ich, es<br />
gibt auch Momente, in denen man nichts sehen sollte, weil wir noch<br />
etwas hören, das gerade verblasst.<br />
IR: Für mich bezieht sich eine Pause mehr auf ein Standbild oder<br />
eine Skulptur, wo die Zeit irgendwie stillsteht, aber die ganze Aktivität,<br />
der ganze Ausdruck ist in diesem Moment. Also habe ich viel<br />
mit diesen Stillständen gearbeitet. Der österreichische Bildhauer<br />
Erwin Wurm erfand Anfang dieses Jahrhunderts die One Minute<br />
Sculptures 5 . Er nahm eine Haltung ein, sehr absurde Stellungen,<br />
und verharrte darin für eine Minute. Einige der Sachen waren recht<br />
prosaisch, gewöhnliche oder banale Situationen; einige waren viel<br />
bizarrer und seltsamer. Also habe ich ein ganzes Projekt mit diesen<br />
Minutenskulpturen gemacht, und ich fand heraus, wie substanzreich<br />
und wichtig das auch im Tanz oder in anderen Dingen ist, die<br />
einen Bezug zur Bewegung haben. Früher war ich auch so gewesen<br />
wie diese Trommler, von denen du gesprochen hast: ein sehr aktiver<br />
Performer, und ich mochte es, immer weiterzumachen und nie<br />
aufzuhören, weil dieser Zustand des Fließens so aufregend und<br />
ergiebig war. Aber dann habe ich herausgefunden, dass ich all das<br />
im Moment und in dieser Situation haben kann oder dass ich in der<br />
Lage bin, innezuhalten und die Zeit einzufrieren. Und das ist sehr<br />
bereichernd für jeden, für alle Beteiligten, wie zum Beispiel die Performer,<br />
wenn sie den Zustand wirklich am Leben erhalten können<br />
und nicht alles in diesem Moment kollabiert. Es ist ein unglaublicher<br />
Punkt und bereichernd für die ganze Situation.<br />
SJR: Für mich ist die Pause sehr wichtig. Vielleicht ist das der<br />
5 Der österreichische Künstler Erwin Wurm (*1954) nahm im Jahre 1987 am Künstleraustauschprogramm<br />
des DAAD teil. Während dieser formativen Phase ereignete sich ein fundamentaler Wandel seiner<br />
Arbeitsmethoden. Er erforschte die Grenzbereiche zwischen Skulptur, Objekt und Performance.<br />
Siehe Erwin Wurm, One Minute Sculptures, Katalog Kunsthaus Bregenz, Ostfildern-Ruit, 1999. Siehe<br />
auch Erwin Wurm, Ed. Peter Weibel, Neue Galerie Graz, Ostfildern-Ruit, 2003.<br />
50 51
Grund, warum die Javaner glauben, dass auch die Erde in jeder Sekunde<br />
eines Moments eine Pause einlegt. Eine Pause ist sehr stark,<br />
sehr kraftvoll. Wenn wir ohne Pause, ohne Unterbrechung spielen,<br />
ist das manchmal so langweilig. Man wird so müde, zu beobachten<br />
oder zu hören. Aber manchmal können wir die Pause für einen sehr<br />
starken Moment nutzen. Und normalerweise legen die Menschen<br />
von Natur aus eine Pause ein, wenn sie neue Inspiration brauchen<br />
oder um etwas auf andere Art und Weise zu machen als vorher.<br />
Risnandar: Pause ist auch Musik, denn wenn ein Tänzer stark ist,<br />
dann spielen wir Musik bis zu einem Punkt des Anhaltens. Wenn<br />
der Tanz stark ist, dann höre ich auf. Und die Pause gibt auch einem<br />
anderen Musiker den Raum zum Spielen.<br />
RK: Das traditionelle Gamelan von Zentraljava hat so unglaubliche<br />
Brüche. Sie erfolgen an Stellen, an denen kein westlicher Zuhörer<br />
sie erwarten würde. Nach einem Spielen und Spielen und Spielen<br />
ist da plötzlich ... P a u s e ... und dann kommt der große Gong. Es ist,<br />
als ob in dieser ganzen Musik und in der javanischen Philosophie<br />
alles zum Stillstand kommt – nur für das Ende. Ja, für das Ende.<br />
SJR: Und der Gong ist das stärkste Element.<br />
RK: Und das wichtigste Instrument ist das, das die langsamste Bewegung<br />
hat.<br />
HG: Eine Pause ist wie Atmen. Sie gibt und nimmt, und du hast<br />
die Pause, um zu warten, bevor das nächste Ding kommt. Es gibt<br />
mir einen neuen Impuls, wenn ich ein wenig warte. Wenn ich nicht<br />
warte, bleibe ich auf der gleichen Linie, aber wenn ich mir eine Pause<br />
gönne, dann schlage ich vielleicht eine völlig neue Richtung ein.<br />
Und jetzt, als ich sehr sanft und nicht so laut sprach, da gabt ihr mir<br />
die Möglichkeit, dass ich trotzdem noch gehört werden konnte, da<br />
ihr eine Pause gemacht habt für mich.<br />
R: Vielleicht haben wir in einer Pause auch Zeit zum Nachdenken,<br />
zum Sehen und zum Reagieren.<br />
HG: Wie kommuniziert ihr mit dem Raum um euch,<br />
und welche Bedeutung hat er für euch?<br />
SJR: Dieser Raum ist wie mein Zuhause, weil ich hier eine längere<br />
Zeit verbracht habe. Und der Raum ist auch sehr vertraut für mich.<br />
Es ist wie ein Himmel – aber jetzt sind [mit euch] auch der Mond<br />
oder die Sterne aus verschiedenen anderen Welten hier, und wir<br />
können nun etwas zusammen tun, und es gibt Energie, es gibt uns<br />
Licht. Und dieser Raum gibt uns auch mehr Energie, so dass wir die<br />
Ausdrucksmöglichkeiten für unsere Bewegungen entfalten können,<br />
für unsere Musik, unseren Tanz, unsere Schatten und unsere Aufzeichnungen.<br />
RK: Der Raum – ich weiß nicht, welche Bedeutung der Raum für<br />
mich hat. Es ist für mich allerdings ein unglaublicher Raum, denn<br />
als Perkussionist bist du hier an einen Ort gekommen, wo es nicht<br />
nur ein Gamelan, sondern drei verschiedene Gamelans gibt – und<br />
in der Ecke steht eine ganze Angklung-Sammlung 6 . So etwas findest<br />
du einfach fast nirgendwo außerhalb Indonesiens. Und dann<br />
mit euch hier zu sein, euch zu hören, wie ihr diese Musik spielt, und<br />
dann mit euch zu spielen, das geht über diesen Raum hinaus, ist<br />
wirklich wie der interstellare Raum oder wie ein anderer Raum, der<br />
eher dem Raum meines Bewusstseins entspricht oder dem Raum<br />
meiner Emotionen und Empfindungen – es war wirklich großartig.<br />
IR: Der Raum ist eine der wichtigsten Zutaten. Es ist der verbindende<br />
Punkt. Und wie Raymond bereits erwähnt hat, gibt es so viele<br />
Räume: den Weltraum, den inneren Raum, meinen emotionalen<br />
Raum, den Raum, den ich in dem Moment erschaffen kann, den<br />
Raum, den ich bilden und transformieren kann… Es ist der Werkzeugkasten,<br />
den wir haben, wenn wir in der Lage sind, ihn zu öffnen<br />
und uns mit ihm zu verbinden. Wir sind irgendwie bereit, in diese<br />
Kiste zu gehen, in diesen Raum, und wir können viele Türen und<br />
Ebenen öffnen. Es gibt also eine Menge, womit wir umgehen und<br />
spielen können. Eine Plattform.<br />
6 Bambusrohr-Instrumente, Idiophone.<br />
52 53
SJR: Ich habe eine Frage: Was waren die Schwierigkeiten für diesen<br />
Moment in dieser Improvisation?<br />
IR: Ich denke, die gefährlichste Situation ist, den Moment zu verlieren,<br />
wenn du nicht mehr im Moment bist sondern stattdessen vielleicht<br />
nur in deiner Vorstellung oder an irgendeinem anderen Ort.<br />
Und dann ist die Magie oder das Interesse fort – und es ist nicht<br />
mehr authentisch und da. Daher ist es wichtig, dort zu sein, wo man<br />
ist. Und das ist eine Sache der Übung. Der Perkussionist, der die<br />
Pause macht oder innehält oder loslässt, kann also auch gefährlich<br />
sein. Und das ist für jeden Künstler dasselbe. Oder du spielst bewusst<br />
damit und nimmst es als Werkzeug in Betracht. Das könnte<br />
ebenfalls interessant sein, doch dann bist du noch im Moment.<br />
SJR: Für mich ist es nicht leicht vorherzusagen, was passieren wird,<br />
denn es sind sechs Personen hier und damit sechs Denkweisen,<br />
sechs Fähigkeiten und ein sechsfacher Wille. Es ist nicht leicht zu<br />
erspüren, was ihr wollt oder was ich will. Und ab und zu fürchte<br />
ich, dass ich euch nicht folgen kann. Doch manchmal ist die größte<br />
Schwierigkeit für mich, mit meiner eigenen Willenskraft zu kämpfen.<br />
RK: Keiner von uns ist hier als unbeschriebenes Blatt. Wir haben<br />
alle unsere Geschichten, unsere Erfahrungen und die Möglichkeiten<br />
unseres Könnens. All diese Dinge sind lebendig. Und ich für meinen<br />
Teil komme mit meinem Trommlerzeug, mit Pausen und so und all<br />
diesen Sachen. Aber ich bin auch mit dieser Art von Gamelan-Instrument<br />
gekommen, das ich gemacht habe. Und da sah ich, dass es<br />
eine Gefahr gibt, wenn man sagt, man versucht, eine Verbindung<br />
herzustellen, denn ich musste ja gar nicht wirklich versuchen, eine<br />
Verbindung herzustellen. Ich meine, die Verbindung war fast sofort<br />
da. Aber ich machte mir vorher sehr ernsthaft Gedanken über die<br />
Frage, wie traditionell ihr sein würdet. Ich würde es nicht starr nennen,<br />
weil es eine sehr reiche Tradition ist – aber wie weit würde sich<br />
das Spiel formen lassen können, würde es aufhören oder weitergehen<br />
(oder all diese Sachen)? Denn in einigen der Traditionen, die ich<br />
habe, weil ich von meiner Herkunft her so eine Art Jazz-Schlagzeuger<br />
bin, ist die Improvisation eine Angelegenheit mit ihren eigenen<br />
Gesetzen. Sie hat ihre eigenen Gesetze in der Art, wie du es vorhin<br />
erwähnt hast, Carlos, wenn du siehst, wie eine bestimmte Figur im<br />
Film erscheint und du weißt, wenn diese Figur vor oder nach jenem<br />
Ereignis auftaucht, dann wird dieses oder jenes passieren. Es ist also<br />
eine Art Automatismus. Und bei einer bestimmten Art von Musik<br />
ist es genauso, da musst du auch nicht nachdenken. Du begleitest<br />
einen Tanz, du siehst dies und das wie zum Beispiel die Tänzer in<br />
der afrikanischen Musik oder irgendeiner Tradition, und du weißt,<br />
wenn sie noch ein paar Minuten weitertanzen, werden sie tot umfallen;<br />
oder wenn du jetzt nicht die Pause spielst, werden sie kommen<br />
und dich töten, also spielst du besser kakakaka kaka kawum. Diese<br />
Fragen zu Gesetzmäßigkeiten<br />
gingen mir also durch<br />
den Kopf, doch ich würde<br />
es nicht direkt Schwierigkeiten<br />
nennen. Damit sind<br />
wir aber wieder bei der Frage<br />
des Moments. Du hörst<br />
dies und das, und du siehst<br />
diese Interaktion, du hörst<br />
diese aktiven Pausen – und<br />
dann entscheidest du, dann<br />
bist du im nächsten Moment.<br />
Das war gut, es war<br />
ein sehr interessanter Ort mit den Dingen – ich würde nicht sagen,<br />
dass die Dinge das und das getan haben oder uns zu etwas drängten<br />
– aber das waren die Momente, an denen ich dachte: ‘Das ist interessant,<br />
wie sind wir denn zu diesem Punkt gelangt? Wohin führt<br />
uns das hier? Wie stark kann ich hier so eine Art Klang-Skurrilität<br />
einbringen, bevor es das Spiel zerbricht oder nicht?’ Ich habe diese<br />
Dinge gewissermaßen unter die Lupe genommen, und das war ein<br />
interessanter Prozess, ein interessantes Angebot. Und dann hatte ich<br />
wie gesagt eine Schwierigkeit, weil ich diese Geschichte, das Ramayana,<br />
wirklich liebe, also dachte ich so etwas wie ‘Was wird jetzt passieren?’.<br />
Und ich hatte Schwierigkeiten, weil du traditionell Gendér<br />
gespielt hast und dann angefangen hast, Rebab zu spielen. Und ich<br />
54 55
sagte: “Okay, ich weiß, es ist das softe Instrumentenensemble, das<br />
ist toll und okay.“ Also das waren meine Überlegungen oder meine<br />
Schwierigkeiten. Es gab viele Dinge für mich, die ich klären musste.<br />
IR: Wäre es gefährlich, sagen wir, in Indonesien mit einem traditionelleren<br />
Publikum, wenn wir die Geschichte anders erzählen würden?<br />
Das Publikum könnte irritiert sein, denn es weiß ja, was passiert,<br />
weil es so vertraut ist mit der Tradition und den Geschichten.<br />
Und wenn man die Geschichte auf den Kopf stellen oder völlig brechen<br />
würde, wäre so etwas erlaubt? Oder wäre es problematisch und<br />
man würde Schwierigkeiten mit dem Publikum bekommen, weil sie<br />
nicht bereit wären, es aufzunehmen? Ich schätze, die Leute kennen<br />
dich, und wenn sie über dieses Puppenspiel lesen würden, dann erwarten<br />
sie etwas. Aber dann sähen sie einen fremden zeitgenössischen<br />
Tänzer, der nicht aus Indonesien stammt, und der würde zum<br />
Beispiel seltsame Dinge vor der Leinwand oder dahinter machen,<br />
wo auch immer. Und dazu könnte ich mir vorstellen, dass da eine<br />
Kamera wäre und dass die Aufnahmen projiziert werden wie ein<br />
Making-of... Das könnte sehr interessant werden. Glaubst du, wir<br />
könnten uns diesen Sprung in eine andere Kategorie leisten, in einen<br />
anderen künstlerischen Bereich, oder wäre das zu gefährlich?<br />
Ich meine, wir müssten etwas veröffentlichen, um mitzuteilen, was<br />
wir da machen, so dass das Publikum keine falschen Erwartungen<br />
hat.<br />
SJR: Es hängt vom Publikum und davon ab, wo du auftrittst. Es<br />
hängt von den verschiedenen Orten, Kulturen und auch von den<br />
unterschiedlichen Hintergründen des Publikums ab. Aber in der<br />
traditionellen Wayang-Performance 7 kennt der größte Teil des Publikums<br />
das Ramayana, das Mahabharata oder andere javanische<br />
Geschichten, alle kennen die Geschichten. Manchmal passiert es<br />
bei einem sehr traditionellen Publikum, wenn wir etwas improvisieren<br />
oder die Geschichte ein wenig ändern und etwas Neues machen,<br />
dass sie nur verwirrt reagieren und sagen: “Warum macht ihr<br />
7 Wayang ist die Bezeichnung für das Darstellende Spiel in Indonesien, hier ist die Form des Wayang<br />
Kulit gemeint, also das javanische Schattenspiel.<br />
das auf diese Art?“ Und wenn die Zuschauer sich dann miteinander<br />
unterhalten, stellen sie fest: “Es ist nicht sehr gut, nicht so wie es<br />
normalerweise sein sollte.“ Aber ein Publikum in der Stadt ist offener.<br />
Es ist offen für traditionellen Input wie auch für Input abseits<br />
der Tradition oder für einen kombinierten Input, der traditionelle<br />
Dinge mit neuen Dingen vermischt. Das ist heutzutage kein großes<br />
Problem mehr, das Publikum ist offen und sagt: “Oh, das ist neu.“<br />
Manchmal sind sie sehr neugierig und interessiert. Wir müssen<br />
auch neue Dinge für die jungen Leute aufführen. Die traditionellen<br />
Stoffe kennen gar nicht mehr so viele Menschen. Es ist also wie eine<br />
Brücke, wenn wir neue und traditionelle Sachen kombinieren, eine<br />
Brücke für die jungen Menschen, damit sie mehr über ihre Tradition<br />
erfahren aber auch neue Inhalte wertschätzen können. Was die<br />
traditionellen Künstler betrifft, würde es sicher Protest geben, wenn<br />
alte Geschichtenerzähler oder alte Puppenspieler etwas Unübliches<br />
machen – doch die jungen Leute sagen da einfach: “Okay, kein Problem.“<br />
HG: Aber wie ist es mit diesem Aspekt des Heiligen, dem spirituellen Aspekt<br />
der Instrumente und der Figuren, wenn man etwas Neues macht?<br />
SJR: Es hängt davon ab, wie wir mit unserem Respekt vor diesem<br />
Instrument umgehen. Wenn wir das Instrument benutzen, um Unsinn<br />
zu machen, werden viele Leute das ablehnen und sagen: “Nein,<br />
ihr seid verrückt.“ Aber wenn wir damit eine neue Melodie oder einen<br />
neuen Klang erschaffen, ist es kein Problem. Vor einiger Zeit,<br />
vielleicht vor zwanzig Jahren, haben junge Leute versucht, mit Gamelan<br />
etwas Neues zu machen, aber sie haben die Traditionen nicht<br />
wirklich respektiert; zum Beispiel nahmen sie den Gong und warfen<br />
ihn einfach herum und versuchten so, einen neuen Klang zu erzeugen.<br />
Aber sowas ist nicht wirklich wertvoll und bricht das Herz der<br />
Gemeinschaft. Doch heutzutage wissen die jungen Leute, wie man<br />
diese Instrumente respektiert, dass die Schattenspielpuppen heilig<br />
sind und ihre eigene Würde haben. Sie versuchen, etwas Kreatives<br />
zu machen, aber sie sind dabei immer noch respektvoll gegenüber<br />
der Gemeinschaft.<br />
56 57
RK: Ich denke, viele Menschen der westlichen Welt haben sich nie<br />
mit Gamelan befasst, und es gibt auch viele Menschen in Indonesien<br />
selber, besonders in der jüngeren Generation, die nicht mehr sehr<br />
viel wissen über Gamelan, insbesondere über den ganzen kosmologischen<br />
Aspekt von Gamelan wie zum Beispiel die Hierarchie der<br />
Instrumente. Es sind nicht die schnellen Instrumente, die wichtig<br />
sind, sondern der große Gong ist das wichtigste Instrument bei der<br />
ganzen Sache. Und wenn das Bonang die schnelleren Teile spielt,<br />
dann ist das okay, aber wenn man mit dem Gong Blödsinn macht<br />
und den Instrumenten, wenn man die Beine ausstreckt, ist das alles<br />
sehr betrüblich, sehr schlecht.<br />
SJR: Ja. Außerdem ist es sehr schwierig und gefährlich, die Gamelan-Instrumente<br />
herzustellen. Es braucht viel Zeit dafür. Deshalb<br />
würden die Leute weinen, wenn wir den Gong herumwerfen. Wirklich<br />
weinen.<br />
IR: Also das Format, das wir uns überlegt haben, ist folgendes: Wir<br />
machen erst eine Session als eine Art Einführung – was wir getan<br />
haben – und dann führen wir ein kurzes Gespräch darüber. Dieses<br />
Gespräch heute war ein wenig länger als geplant, so dass wir eventuell<br />
unsere Struktur noch einmal überdenken müssen. Und dann<br />
gibt es eine zweite Session zum Abschluss unseres Treffens, wenn<br />
ihr damit einverstanden seid. Das kann auch nur eine kurze Session<br />
sein, um die Sache irgendwie in einen Rahmen bringen.<br />
RK: Lasst uns spielen.<br />
12<br />
Schreiben im Moment<br />
Heike Gäßler<br />
Eine spezielle Form von Schreibimprovisation praktiziere ich während unserer<br />
Performances von je zwanzig Minuten. Ich sitze entspannt und möglichst<br />
entleert und warte auf den Beginn des Sets. Wenn Ingo Reulecke seinen Körper<br />
im Spiel und Spannungsverhältnis zur Musik durch den Raum bewegt, lasse<br />
ich die Eindrücke auf mich einwirken. Ich verfolge aufmerksam das, was sich<br />
mit ihm, durch ihn im Raum verändert, und das, was Schwingungen, Rhythmen,<br />
Dynamiken, Klänge, Bilder und Assoziationen erzeugt. Ich versuche die<br />
Qualität dessen, was ich da wahrnehme, möglichst offen und unzensiert zu<br />
erfassen, eher noch zu erspüren und durch mich hindurchgehen zu lassen und<br />
in Schrift umzuwandeln und wiederzugeben. Ich übertrage die sich wandelnden<br />
Bilder, Töne und das momentan Erlebte in einen aus Silben und Wörtern<br />
bestehenden Wortfluss. Dabei versuche ich achtsam für die kleinsten Änderungen<br />
zu bleiben, die Wahrnehmung auf immer wieder verschiedene Ebenen<br />
hin auszurichten und vor allem schnell zu erfassen. Es macht Spaß, so die<br />
Worte auf Papier zu bannen, ohne innezuhalten und auch nur zu überlegen.<br />
Ich bemühe mich, die ganze Zeit dranzubleiben, die Hand sich frei bewegen<br />
und die Worte beim Schreiben fließen zu lassen, ohne Zensur, ohne Korrektur.<br />
Wenn ich ins Nachdenken oder Suchen nach Begrifflichkeiten gerate, ist<br />
der Moment schon verstrichen und Ingo längst an einen anderen Ort getanzt. 8<br />
Eine andere Form meiner Praxis besteht darin, nicht nur rein dokumentarisch<br />
zu schreiben, sondern interpretatorisch und damit auch stärker einwirkend auf<br />
den künstlerischen Ausdruck des entstehenden Textes. Hier lasse ich durch die<br />
Bilder und Klänge, die ich im Moment erfasse, eigene spontane Assoziationen<br />
entstehen und mit hinein fließen und verbinde sie zu kurzen sprachlichen Einheiten.<br />
Ich taste mich so entlang der Bewegungssprache des Tänzers, indem<br />
8 Als gutes Handwerkszeug, das dabei hilft, diesen Schreibfluss zu ermöglichen, sehe ich die von Pierre Janet<br />
entwickelte Methodik der Écriture automatique an, in der versucht wird, Unbewusstes ins Bewusstsein zu holen.<br />
Die Dadaisten ebenso wie die Surrealisten nutzten diese ursprünglich therapeutische Methode für ihren kreativen<br />
Prozess. Der Unterschied zur Écriture automatique liegt bei mir jedoch darin, dass ich bei meinen Schreibexperimenten<br />
nicht meinem inneren Fluss folge, sondern vielmehr meine Wahrnehmung nach außen ausrichte,<br />
das Erfasste in mich aufnehme und transponiere. Vgl. Isabell Graw: Wie von selbst. Über die Aktualität der “Écriture<br />
automatique”, https://www.textezurkunst.de/48/wie-von-selbst, letzter Aufruf 16.5.2021.<br />
58 59
sich sein beständiges Strömen in der Übertragung in einen Text wie von selbst<br />
in Sequenzen einteilt, die ich wahrnehmen und schreibend festhalten kann.<br />
Wobei ich während des Niederschreibens Lücken oder Wahrnehmungspausen<br />
produziere, bevor ich Neues aufnehme, und ich dann die Worte sich weitertreiben<br />
lasse durch nachfolgende Bewegungsabläufe. Dabei weiß ich, wenn<br />
ich ein Wort zu schreiben beginne, noch nicht, wie es enden wird. Es ist wie<br />
beim Zeichnen eines bewegten Gegenstandes, bei dem man mit einem Strich<br />
beginnt, diesen jedoch durch die Bewegung in immer neue Richtungen lenkt<br />
und damit nicht einen feststehenden Zustand erfasst, sondern die Bewegung<br />
selbst und das Objekt in seiner Veränderung. Um diesen Prozess im Schreiben<br />
vollziehen zu können, bedarf es jedoch einer Möglichkeit, die Worte, die ja als<br />
abstrakte symbolische Einheiten exakt begrenzt und festgelegt sind, dennoch<br />
ins Fließen zu bringen, ohne sie ganz aufzulösen bis hin in ihre kleinsten Einheiten.<br />
Was bei der Übertragung des real stattfindenden Datenflusses dabei<br />
in meinen Texten entsteht, sind vielfach zusammengezogene Worte. Wobei<br />
ein Wort dem anderen folgt, ohne in direkter oder logischer Verbindung zu<br />
ihm zu stehen. Die Worte und Wortfolgen werden aus der Wahrnehmung des<br />
Geschehens im Moment generiert, durch meinen interpretierenden Blick darauf<br />
niedergeschrieben und ineinander verwoben. So wie der Tanz es auf seine<br />
Weise mit seinen Bewegungsabläufen, seiner Dynamik und seinem Verhandeln<br />
mit dem Raum und dem Klang vorlebt.<br />
13<br />
Tanz ist Glücklichsein in Bewegung<br />
Ingo Reulecke im Gespräch mit Heike Gäßler<br />
Ingo Reulecke: Was fasziniert dich am Tanz?<br />
Heike Gäßler: Die Freiheit, die ich in der Bewegung habe, fasziniert<br />
mich sehr – und die Verbindung von Ausdruck, Gefühl und Move. So wie der<br />
starke Bezug zum Unbewussten, der in dieser Sparte vielleicht mit am ausgeprägtesten<br />
ist. Zudem bietet der Tanz die Möglichkeit, anders als andere<br />
Bewegungsformen, den Innenraum und den Außenraum miteinander zu verbinden<br />
und daraus die Bewegungen entstehen zu lassen. Es ist ein Schöpfen<br />
und kreatives Ausleben von Gedanken, Gefühlen, kulturellen und individuellen<br />
Einschreibungen in den Körper. Tanz kann kraftvoll, sportiv sein und ist<br />
doch weich und fließend. Er kann viele Formen annehmen in Kombination<br />
mit Raum, Musik et cetera. Mitunter kann er auch eine deutliche kulturelle<br />
Prägung tragen. Am meisten aber mag ich dabei dieses Sich-Gehenlassen,<br />
Sich-Fallenlassen-Können in die Bewegung, das Abtauchen in einen anderen<br />
Raum. Das ist für mich in jeder Kunstform das Spannende: hinein zu kippen<br />
in einen anderen Wahrnehmungsraum, eine andere Ebene, zu einem Medium,<br />
Gefäß zu werden, alles geschehen zu lassen. So würde Bewegung dabei<br />
weniger physisch untersucht, sondern seelisch erfasst werden können sowie<br />
energetisch. Es ist eine Entscheidung, ein Gedanke, der übersetzt wird nach<br />
außen. Wo aber setzt die Arbeit mit der Bewegung an?<br />
IR: Was bedeutet für dich Körpersprache?<br />
HG: Sprechen ist kommunizieren, ein Geben und Nehmen. Wenn ich<br />
mit dem Körper spreche, so bedeutet das, dass ich auf vielen Ebenen zugleich<br />
sende, bewusst und unbewusst. Der Körper spricht beständig, so wie die Ohren<br />
immer hören. Denn der Körper hat per se einen Ausdruck. Er erzählt etwas<br />
über den Moment, die Erfahrungen, die er gemacht und über die vielen<br />
Lebensjahre, die er durchlebt hat. Wenn ich den Körper gezielt in verschiedenen<br />
Ausdrucksformen im Tanz agieren lasse, so liegen diese permanenten<br />
Körpergespräche immer mit darunter, schwingen mit und prägen auf diese<br />
Weise die individuelle Tanzform jedes Einzelnen.<br />
IR: Kann man mit dem Körper anders sprechen als mit der Stimme?<br />
HG: Ähnlich wie beim Tanz ist es auch der Stimme möglich, in andere<br />
Ebenen und Räume zu gelangen. Doch analog zum Tanz bedarf es einiger<br />
60 61
Übung, um dorthin vorzudringen. Hier interessiert es mich, sowohl mit dem<br />
Körper als auch mit der Stimme einen Ausdruck zu erlangen, der das Sprechen<br />
von selbst ermöglicht, also einer Stimme Raum zu geben, die tief aus<br />
dem Körper nach oben dringt, frei schwingt in tiefe und hohe Frequenzbereiche<br />
hinein, mit einem langen Atem und Vielfalt – und eventuell auch Obertöne<br />
ermöglicht. In diesem Falle bilden Körper und Stimme eine Einheit. Doch<br />
schon davor kann man während des Körperausdrucks als auch anhand der<br />
Stimme – nicht gemeint ist in den Worten, sondern paraverbal – vieles ablesen<br />
und den emotionalen Gehalt und das wahre Erleben der entsprechenden<br />
Person erfassen. Da die Stimme jedoch flüchtig ist, zeigt der Körper vielleicht<br />
deutlicher und mit größerer Klarheit das Wesen eines Menschen.<br />
IR: Wie würdest du deine Grundphilosophie beim Tanz beschreiben?<br />
HG: Tanz ist eine Reise zu sich selbst.<br />
IR: Wie kamst du zum Tanz?<br />
HG: Schon als Kind liebte ich den Tanz. Als ich mich später dem Theater<br />
zuwandte, bot mir diese Ausdrucksform die Möglichkeit, energetische Prozesse<br />
in meinem Körper zu steuern, mich durch das Hineindenken in andere<br />
Personen aber auch in Objekte, Bilder, Tiere zu verwandeln und eine neue<br />
Dimension meines Selbst zu erfahren. Meine Dissertation im Fachbereich der<br />
Theaterwissenschaft schrieb ich über zeitgenössischen Tanz in China, Hongkong<br />
und Taiwan 9 . So kam ich mit zeitgenössischem Tanz in Kontakt und erlebte<br />
diesen als eine höchst spannende Kunstform. In Taiwan konnte ich feststellen,<br />
dass der zeitgenössische Tanz dort häufig mit Tai Chi und Meditation<br />
in Verbindung stand. Tai Chi und später Qigong waren dann über viele Jahre<br />
hinweg die Bewegungstechniken, die ich praktizierte. Im Qigong erlernte ich<br />
Qi-Tänze, die kontinuierlich praktiziert wurden und die einen ausgesprochen<br />
meditativen Charakter hatten. Mit den Jahren lernte ich, dass man durch das<br />
Tanzen ungemein weich werden kann. Die Bewegungen gestalteten sich nach<br />
und nach fließender, die Hände und Arme bewegten sich wie von selbst, der<br />
Ausdruck wurde immer verfeinerter. Es war ein bewegendes Erlebnis. Ich begriff,<br />
was man in traditionellen Kunstformen und mittels der asiatischen Idee<br />
des jahrelangen Verfeinerns von Gesten und Haltungen eine enorme Steigerung<br />
der Ausdruckskraft und der inneren Ruhe erzielen konnte.<br />
Es war eine unerwartete Tiefe, die sich mir da eröffnete, ein neuer Raum. Und<br />
das Erleben war mit jedem Praktizieren neu, obgleich es altbekannt war. Es<br />
wurde immer mehr von einem Tanzen zu einem sich tanzen lassen. Ungefähr<br />
zur selben Zeit, als ich an diesem Punkt angelangt war, veränderte sich auch<br />
meine Qigongpraxis. Ich trat von der Form in die Formlosigkeit über. Mein<br />
Körper begann mich in die Bewegung zu drängen. Er übernahm die Führung<br />
und bewegte sich von selbst, ohne dass ich etwas steuerte. Während meiner<br />
täglichen Praxis brachen neue Formen und Bewegungen aus mir heraus, die<br />
bald schon immer mehr zu idiosynkratischen Tänzen wurden. In Indonesien<br />
lernte ich dann Ritualperformances kennen. Mich interessierte dabei auch<br />
eine schamanische Qualität der Performance in freier Natur und im Spiel mit<br />
den Naturelementen, wie sie in Indonesien ebenso erfahrbar war als auch an<br />
anderen Orten, die ich besucht habe.<br />
IR: Was fasziniert dich an dieser künstlerischen Ausdrucksform?<br />
HG: Tanz hat für mich die Gleichsetzung mit einer Weichheit des Körpers,<br />
einem Schweben. Ich mag es, mich spielerisch zu bewegen, Neues zu<br />
schöpfen und mich darin zu verlieren wie in einem Rausch. Es ist, als wenn ich<br />
in meinem Körper alle Lebensformen durchspielen und aktiv werden lassen<br />
kann. Das fasziniert mich. Mich interessieren die Energiezustände, in die man<br />
durch sie gelangen kann. Immer schon haben mich Zustandsformen, Spannungen<br />
und Kräfte in mir und im Raum fasziniert – auch im Theaterbereich<br />
habe ich meinen Fokus immer auf den energetischen Austausch zwischen den<br />
Figuren gerichtet. Der Text blieb diesen Zuständen untergeordnet.<br />
9 Heike Gäßler: Chinesischer moderner Tanz: eine theaterwissenschaftliche Studie über den modernen<br />
Tanz und seine artverwandten Ausdrucksformen auf dem chinesischen Festland, Hongkong und<br />
Taiwan, Dissertation, Wien, 2002.<br />
62 63
IMPROVISATION<br />
Ich nehme wahr und trete in Verbindung.<br />
Dabei geht es nicht um ein bewusstes<br />
Steuern und Agieren, sondern darum,<br />
sich treiben zu lassen, loszulassen, leer zu<br />
sein, damit man als Medium agieren kann.<br />
Es geht darum, aufzunehmen, was da ist.<br />
Dieses durch den Körper gehen zu lassen<br />
und ihn sich bewegen zu lassen. Damit<br />
erreicht man, sich im Moment präsent zu<br />
erleben und achtsam aufzunehmen, was<br />
da ist. Und es auszudrücken, in Worte,<br />
Sprache, Bewegung zu fassen.<br />
64 65
14<br />
VERSUCHSANORDNUNG 2<br />
Peter Zwick (Trompete)<br />
Ingo Reulecke (Tanz/Bewegung)<br />
Heike Gäßler (Stimme/Text)<br />
Proberaum Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
15.8.2013<br />
In diesen Sets experimentierten wir mit gesprochener Sprache und Verschriftlichung<br />
in Form von Dokumentation mit interpretierenden Elementen.<br />
Drehungen im Raum<br />
freies Schwingen, Schrägachsen<br />
freies kreisendes Schwingen<br />
Streckungen<br />
Hinkebein<br />
Drehendes Schwingen<br />
Leichtigkeit<br />
hoch, stärker<br />
Drehungen und Krümmen nach vorne, aufrecht, nach hinten<br />
Sprungelemente, Kreuzbewegungen<br />
Weiches Fließen, hüpfen, seitliches Abdrehen,<br />
öffnendes Hin- und Her-Gleiten, trippelndes Aufstehen, Krümmungen<br />
Männchen machen<br />
rückwärts, vorwärts drehen<br />
Wirbelsäulenwelle nach vorne, runden, zu Boden gehen,<br />
springen<br />
sich selbst umfassen, vorwärts drängen,<br />
in die Höhe wachsen,<br />
schnörkelnd flüchtiges Erkunden. Nicht verweilen.<br />
Nahtlos impulsierendes Rumzappeln,<br />
ziehendes Schlängeln durch die Ebenen mit oh-Geschmack<br />
Fächeln im Raum<br />
durchdringen von dicker Luft.<br />
Am Boden anschmiegen in Brücken<br />
Verstrebungen lösend,<br />
kristallisierendes Treiben,<br />
Schlangen, biegsam rückwärts, tiefer<br />
und entlanghangeln im Kreis.<br />
Durchlebtes Aufweichen am Fenster mit quietschendem Wegstämmen.<br />
Querstreben im Kreis mit Hand<br />
Tornado feinziselierender Echo-Bewegung.<br />
Kopfnickend.<br />
Zerstümmeln und streckendes Überfließen auf den Boden,<br />
weichschwelliges Kleinwerden, gequengeltes Aus.<br />
Absinken.<br />
Aufwärts fliehen, leicht.<br />
Quirliges Kreisen, in Zeitachsen verfeinerndes Springen.<br />
Wellenförmiges Abtauchen in die Wand, mit Plastik ziehen, konzentriertes,<br />
zerrendes Kreuzschrittspektakel.<br />
Nickend, eintauchend taumelndes Ausdehnen.<br />
Kleinwerden. Enden wollen. Feinwerdendes luftiges Schlangengewirr,<br />
knisterndes Kreisen der Hand mit der Tüte.<br />
Propellerdrehung der Hand mit Hinkebein.<br />
Verloren in Plastik-Kreise eingetaucht in den Klang.<br />
Daraus entweichend.<br />
Töne erzeugend.<br />
66 67
15<br />
Sich spüren<br />
Ingo Reulecke im Gespräch mit Heike Gäßler<br />
Ingo Reulecke: Wie erlebst du den Körper im Alltag und im Tanz?<br />
Heike Gäßler: Im Alltag nehme ich den Körper manchmal bewusst<br />
wahr, meist aber unbewusst. Nur starke wie etwa Schmerz ähnliche Empfindungen<br />
zeigen sich deutlich sowie Begrenzungen. Im Tanz hingegen lasse ich<br />
den Körper bewusst sprechen, nehme seine Ladungen wahr wie Leere und<br />
Fülle, aber auch den Innenraum und seine Einzelpartien. Ich genieße es, ihn zu<br />
dehnen und zu weiten, mich auf einzelne Teile zu fokussieren und mich experimentierend<br />
im Raum zu erfahren mit meinen Möglichkeiten und Grenzen.<br />
IR: Welche Techniken der Körperarbeit oder des Körperausdrucks sind<br />
dir wichtig?<br />
HG: Am meisten faszinieren mich Wege, die den Körper öffnen, weich<br />
und frei machen oder mich in mir unbekannte Prozesse und Dimensionen<br />
führen sowie in Techniken, mit denen der Körper von selbst spricht, wie formloses<br />
Qigong, Trance, Rituale. Im Tanz interessiert mich der freie Ausdruck,<br />
die Improvisation.<br />
IR: Wer spricht da eigentlich?<br />
HG: Eine befreite innere Kraft. Man kann auch zum Medium werden,<br />
das habe ich andeutungsweise im Qigong-Tanz so wahrgenommen, trotzdem<br />
kam es mir nicht wie etwas Äußeres vor, das zu mir kam, nichts, das in mich<br />
eingedrungen ist in diesem Moment, sondern etwas, das schon da war.<br />
IR: Kann man zu den Wurzeln und zur Entstehungsgeschichte des Tanzes<br />
zurückgehen, und was erlebt man da?<br />
HG: Ich könnte mir vorstellen, über die Ritualtänze Unerwartetes zu<br />
erleben und über das Tanzen über lange Zeiträume und viele Stunden hinweg<br />
in andere Seinsebenen zu gelangen.<br />
IR: Wie schreibt sich die Geschichte eines Landes, einer Kultur in den<br />
Körper ein?<br />
HG: Bei meiner Studie über zeitgenössischen Tanz in China, Hongkong<br />
und Taiwan ging ich dieser Fragestellung nach und konnte viele kollektive kulturelle<br />
Besonderheiten entdecken. Zugleich ist der künstlerische Ausdruck<br />
ebenso einem permanenten Wandel unterzogen wie die Gesellschaft selbst.<br />
Der Körper und sein Ausdruck scheinen über eine Art von Erinnerungsspeicher,<br />
also ein Körpergedächtnis zu verfügen, verbunden mit der individuellen<br />
genetischen Struktur, mit emotionalen Einlagerungen, aber auch verbunden<br />
mit persönlichen Gedankenstrukturen und eben den kollektiven Erfahrungen.<br />
IR: Was ist dir beim Tanz wichtig?<br />
HG: Der Tanz ist für mich eine ausschließlich persönliche Ausdrucksform.<br />
Es geht also weniger ums Zeigen, sondern eher darum, sich zu spüren,<br />
sich spielerisch auszudrücken, ein positives Körpergefühl und Energie daraus<br />
zu ziehen. Loslassen macht mir Freude, ebenso wie wahrnehmen zu können,<br />
wie beschwingt Körper und Gefühle werden beim Tanz. Ich liebe es, zu forschen<br />
und mit Bewegungen zu experimentieren – auch mit ganz kleinen Bewegungen.<br />
Ich fokussiere mich gerne auf einzelne Körperteile oder einzelne<br />
Elemente einer Bewegung. Ich teste aus, wie viel Vielfalt ich damit herstellen<br />
kann. Es macht mir Spaß, nachzuforschen, wohin es noch gehen kann und ich<br />
spüre auch immer wieder das Bedürfnis, Bewegungsabfolgen bis ins Detail in<br />
allen Nuancen zu erforschen. Zugleich liebe ich es, Neues zu kreieren und jede<br />
Bewegung im Moment neu zu erfinden, meinen spontanen Impulsen nachzugeben<br />
und beim Zulassen in Flow-Zustände zu geraten, in denen alles aus mir<br />
selbst entsteht.<br />
68 69
16<br />
Formsprache<br />
Heike Gäßler: Mit welchen Techniken und Formsprachen arbeitest du<br />
bevorzugt in deinen Improvisationen? Wie würdest du die Spezifik deiner Bewegungsqualität<br />
beschreiben?<br />
Ingo Reulecke: Ich arbeite mit Dekonstruktion und Fragmentarisierung.<br />
Es geht also darum, den Körper an sich zu fragmentarisieren. Die Fragmentarisierung<br />
kann einhergehen mit dem Spiel mit der Zeit, zum Beispiel durch ein<br />
Beschleunigen oder Entschleunigen der Bewegung. In meinem Tanz zeigt sich<br />
ein unterschiedlicher Einsatz von Bewegungsansätzen und Bewegungsinitiationen.<br />
Ich kombiniere sie, überlagere sie, handle auch sprunghaft damit. Ich arbeite<br />
mit Richtungen und Ebenen im Raum, entweder gepaart mit dem Blick<br />
oder konträr zum Blick. Hier entsteht ein bewusster Umgang mit der Dreidimensionalität<br />
oder auch der Idee von Zweidimensionalität. Hierbei helfen<br />
die Räume und ihre Beschaffenheit, wie die Bodenqualität und die Ausstattung.<br />
Sie machen einen Unterschied. Hinzu kommt ein Spiel mit Impulsen,<br />
der Gleichförmigkeit und diversen Möglichkeiten der Ablenkungen, mit dem<br />
Shiften des eigenen Fokus und der Fokusse der Betrachtenden. Dies kann so<br />
gesetzt werden, dass das Publikum Aktionen nicht mitbekommt, nicht alles<br />
genau sehen und beobachten kann. Man kann daraus auch Kompositionen entstehen<br />
lassen. Je mehr man selbst auf unterschiedlichen Ebenen wahrnehmen und<br />
Impulse steuern kann, desto mehr kann damit experimentiert werden. Eindimensionalität<br />
hingegen führt zur Opferhaltung in der Performance. Mein Ansatz ist es,<br />
spielerisch zu bleiben, performativ, kreativ.<br />
17<br />
VERSUCHSANORDNUNG 3<br />
Ingo Reulecke, Heike Gäßler<br />
1.) Probenraum, Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz,<br />
Berlin-Prenzlauer Berg 10.10.2013<br />
2.) Uckermark, Plotzlow, Ausbau, 13.04.2014<br />
1.) Drei Sets à zwanzig Minuten (10.10.2013):<br />
In dieser Versuchsanordnung trafen wir hinsichtlich der Sprach-/Textgestaltung<br />
und Aufzeichnung erstmalig bewusst die Entscheidung, unterschiedliche<br />
Aspekte genauer zu erforschen, nämlich in Set I frei zu agieren, auch unter Einbezug<br />
der Möglichkeiten des Malens, Singens, Sprechens und Schreibens. Set<br />
II sollte rein dokumentarisch aufgezeichnet werden und Set III die Aspekte<br />
von Interpretation und Symbolsprache in den Vordergrund stellen:<br />
Set I – Bildmaterial<br />
70 71
Set II – Dokumentation<br />
Rückwärts streben – ausstrecken, eine Hand taucht auf, knickt ein, die andere<br />
folgt, die Finger zusammen gezogen, die Beine schräg aufgestellt, aufrichtender<br />
Sitz, das Bein nach hinten gestreckt, überkreuztes Umdrehen, ein Knacksen auf<br />
dem Boden gebietet Halt.<br />
Die rechte Hand sucht drehend im Raum – gelockerter Nacken hängend, die<br />
Schultern nach rückwärts gereckt, niedertauchen, Hohlkreuz nach hinten, Spiralen<br />
des rechten Arms aufnehmendes Vorangehen, die Schultern zu Kurven gekrümmt.<br />
Leichtigkeit am Fenster, kleines verhaltenes Vorwärtswiegen und Anhalten.<br />
Abschlag, um nach oben zu gelangen, hinwehen der Hand, der Bogen ganz nach<br />
hinten gespannt, ruckelndes Niederschweben nach hinten, die Beinstreckung<br />
dreht 90 Grad ein, abgezirkeltes Bein nach vorne. Aufbrausendes Klappen –<br />
schnelles Gedrehe abgefangen.<br />
Weit weg, klein – der Arm auf der Schulter aufgelegt, runter fallen, torkeln in Ecke,<br />
in sich verzahnt, nach vorne gerumpelt, niederschleppen, aufstöhnen, nach oben<br />
kommen des Körpers.<br />
Klopfabstieg, Boden suchend, Einzelgliederdrehungen in die Richtungen hinein,<br />
verlorenes Sehen, schnörkeliges Fingern.<br />
Gestrecktes rückwärts Halbfallen, abgedrehtes Ohr, ein Auseinanderziehen durch<br />
den Raum von Bein und Hand. Das linke Bein den ganzen Körper bewegend,<br />
verharrendes Schauen, leichtes Abfedern, gedrehtes Aufrichten und Abkippen im<br />
Rücken fallend.<br />
Einhalt.<br />
Rechter Arm, rechtes Bein in Kombination getrieben und abgefangen.<br />
Der Oberkörper klappt auf die Beine, eine feine Kreisdrehbewegung vor dem<br />
Körper.<br />
Drehkopf, Schwung nehmen der Füße und eckiges Getriebensein der Arme.<br />
Schwingendes Oberkörperbewegen, der Po ausgestellt nach hinten.<br />
Kreuzungen der Füße im Schulterabstand bewegt. Schritt für Schritt fest.<br />
Hochgezogene Schultern, verspieltes Ganzkörperkreisen.<br />
Eine Hand streicht nach oben, in sich eingekehrt, die Finger nach innen<br />
gekrümmt, wegbewegt, Raummitte erlebend.<br />
Untere Ebene und nach oben geschraubt. Der Blick zu Boden gesenkt.<br />
72 73
Geschwungenes Gummi – Eckanhaftung des Körpers. Die Wand entlang<br />
gestrichen.<br />
Die abgewinkelten Füße betrachtend in aufgerichtetem Liegen. Die Zehen<br />
angetippt.<br />
Einmummeln<br />
Kopfnuss<br />
Klappbewegung weich<br />
Gliederloslösung<br />
Einzelteilrollen des Arms<br />
schleifen<br />
Arm-Hand-Halten<br />
Gespenstisches Aufrichten, Körpervergrößerung durch Spitzengang<br />
wegschleudern der Fliege<br />
wedeln<br />
suchendes Schauen rechts, links, oben<br />
Ecken eingelenktes Spiel<br />
das Becken nach hinten, der Rest nach vorne gezogen<br />
die Lippen aufeinander gepresst<br />
Hände rechts, links, gleichzeitig nach außen gelenkt und zurück.<br />
Das Bein an die Brust geschlagen<br />
Fußzusammenstellung, abfallendes wieder Hochziehen<br />
Kinn Vorwärtsreckung<br />
rumpfbeugender Mensch<br />
in sich verharrendes Bewegen. Stockungen. Klein machen. Weiches ineinander<br />
Verknoten.<br />
Fliegende Arme im Bückling<br />
dreifachdrehendes ineinander Gedränge<br />
Schwungschraube.<br />
Die Füße ausgestellt.<br />
O-beiniges Auseinandertreiben der Knie.<br />
Set III – Interpretation<br />
Suchendes Fingern, Rücklauf, Verschraubtheit, Kurbelgetriebenheit,<br />
bodengeschleiftes Kreisen.<br />
Umkippungen, Streichsolo, Armverwackelung,<br />
sich selbst übertölpelndes Rundlaufen, schlingerndes Abwärtskreisen der<br />
Arme, Hoppelgeziertheit, Torkeldreher<br />
Schraubverengendes Anhalten, rückwärtsfallender Vorwärtsgleiter,<br />
füßereitendes Wandbeschmutzen, Hinfletschen mit Beinstreckung,<br />
Handverdrehung auf Boden<br />
Kreisaufwärtsstehen und kurz vor dem Fall innehaltende Stillemomente.<br />
Nackenstrebende Schüttelungen.<br />
Stangengewächsartiges Hin- und Herwehen<br />
blindgangtorkelndes leises Treiben, Bodenklangstoßen, liegende<br />
Ungereimtheit, in Ecke gerutscht, Mundabgewandheit, unterdimensionierter<br />
drehender Müßiggang, Schwunghände, über den Boden Gezerre,<br />
entlanghängelndes Ziehen durch den Raum.<br />
Mehrfachverdrehendes Fensternähern, beinverliebtes Überkreuzen,<br />
Steuerung der Arme, kurvendes Händebewegen, Armstreckung,<br />
Motorisierung des Augenblicks, überbrückendes Liegen, nach vorne<br />
zwängen des Arms, Fingerabtastung mit Spinnenspreizhand.<br />
Heizklänge, Kratzhand, Zweidimensionalität der Sitzhaltung<br />
unter dem Fenster in die Wand hineingedrückt<br />
auf Fensterbrett niedergelegt<br />
außeninteressantes Abtasten<br />
mit Bein Quietschverdrehung vornübergebeugt.<br />
Verlassen des Geländes eingekerkert in Enge des Raums<br />
rausgewunden<br />
bodenklebend<br />
Beinübereinanderwindungen im Liegen<br />
Klopfhandaufsetzen<br />
Fingergenudel<br />
Fingersitz<br />
Einverwirrendes Auseinanderlenken von Arm und Bein<br />
Auftriebsaugen.<br />
74 75
VIDEODOKUMENTATION<br />
2.) Drei Sets, Uckermark (13.04.2014): Weiterentwicklung der Sprachexperimente<br />
Versuchsanordnung 3 – Set I – https://vimeo.com/915497464<br />
Versuchsanordnung 3 – Set II – https://vimeo.com/915501321<br />
Versuchsanordnung 3 – Set III – https://vimeo.com/915502411<br />
76 77
18<br />
VERSUCHSANORDNUNG 4<br />
Klaus Janek, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Set I – Dokumentation<br />
16.10.2013<br />
Haltung eingefroren, Hand abgewinkelt, Bein rückwärts strebend, Blick an<br />
Decke. Simultanes Armeschwingen, einfrieren, Stoppmomente: Gestrecktes,<br />
gespreiztes, eckiges vorwärts Beugen und bewegen. Weicher werden in<br />
Schlangenbewegungsrollen des Körpers nach hinten gezogen durch einen Arm in<br />
Rückwärtsschraube. Blick nach oben mit Kreuzhand und Krummrücken.<br />
Untere Ebene – Kopf auf Beine aufgelegt und weggedreht. Hochkommendes<br />
Drehen. Die Arme zusammengenommen vor dem Körper und runtergespielt.<br />
Aufstrebendes Abtauchen im Gleichklang des Tons. Kreuzbeuge springend in<br />
Eingefrorenheit. Hände zusammen in untere Ebene gleitend, weich. Ablegen,<br />
rollen, langsam gedehnt, überkreuztes Buckeln. Drehmoment mit offener Hand.<br />
Weiches Aufstreben der Beine zum Baum – hin und her gleitende Hände zum<br />
Schwung. Niederfallend, rollendes Beugentreiben, hochschauend an offene Decke<br />
mit Drehen im Raum.<br />
Streckung, abwinkeln von Armen und Beinen mit gesenktem Blick. Schräglage des<br />
Oberkörpers nach vorne gebeugt. Die Arme verschränkt zum Viereck.<br />
Parallelhände, Winkelkrümmung. Kreis. Rücklauf mit Kreisarmen.<br />
Kopf lässt sich nicht unterkriegen, obwohl Bewegung nach unten.<br />
Bodenbeinzusammenziehung, übereinander schwingen auf unterer Ebene,<br />
gedehntes Spreizen, klappender Körper nach vorne. Aufgestellte Hand,<br />
Kopfumrundung mit Hand. Beinumkreisung durch Arme, hoch. Gebeugtes<br />
Stehen mit Streckarmen, Karobeine oben und unten. Oh. Feine Linienführung<br />
der Arme auf Boden. Gegrätschtes Aufrichten mit Verkrümmungen.<br />
Extremitätenspiel.<br />
Arm zieht nach oben, Bein lenkt in Drehung, Kräuseln des Körpers. Hand hält<br />
Fuß und taucht weiter von Hand auf Unterarm sinkend, eingeigelt, Hand durch<br />
Beintor durchgestreckt. Hochaustestung in Eckform. Nieder- und Hochstreben<br />
des Nackens. Raumdurchdringung vorsichtig, in linkem Bereich bleibend.<br />
Rückwärtsstrebend mit Handformationen. Weiches Tauchen, auftorkeln. Kopf<br />
strebt zu Boden, sucht nach Nichtfindbarem, kreiswärtiges Aufrichten schüttelnd,<br />
Hand hält Hinterkopf. In Kniebückhaltung gezogenes Gehen – recken, nach oben<br />
gestülpt, ein Bein nach oben geschlagen, den Ellbogen aufgestützt, Handanlegen<br />
an Seiten.<br />
Set II – Interpretation<br />
Fingerklippern, schrubbern Schraubverschluss, Fummelzwickel, Beinverdrehung,<br />
Einknickung, Kerkerkreisen, Deckung suchen, Vergrätschung, Suchtauchen,<br />
Suchtriebwind,<br />
Hampelmann, Beinschneiderei, Handfußbad, Knieumwälzungen,<br />
Stechschrittkreis.<br />
Tappernde Ungewissheit,<br />
Weichlauf, Kinnreckschwung,<br />
Gleichgewichtswaage,<br />
Handkreisel, Rückschlagtaumel,<br />
Eineckung, Paradenhände<br />
Schraubverschlüsse<br />
Leichtgangflieger<br />
Schulterraster<br />
Schlangenkreischer<br />
Zischtaumler<br />
Trägerfalltreiben<br />
Kreisschlängeln<br />
auftauen, Einreckumecker<br />
Haltesitzknieer, Streckbeinspreizer<br />
Automechaniker Anzughalten<br />
Beinverkrustetes Abfallen<br />
rückwärtsstrudeln<br />
suchpicken, Handfinger Durchlauf<br />
Rollverkrustung<br />
78 79
Sprungverquietschung<br />
Abtauchumsturz<br />
Handschichtluft, Auspressung<br />
kuppeln, schräghangeln<br />
Seilentlanghangler<br />
eingetrimmter Haltesitz<br />
Weichangler<br />
losbeten, unhaltbares Verweichlichen, Lurchschlängler<br />
Luftmatratzenleerung, Entlüftung<br />
Stimmzwicken, Kopfschraube<br />
Ganzkörperfingern<br />
Haltebogen<br />
Grauzonenwandler<br />
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 4 – Set I – https://vimeo.com/915503792<br />
Versuchsanordnung 4 – Set II – https://vimeo.com/915505809<br />
Versuchsanordnung 4 – Set III – https://vimeo.com/915507733<br />
Set III – gemischt: Sprechen, Dokumentation und Interpretation<br />
wandern, kratzen, Dreheinhaltung, Stimmumwandler eingeknickt<br />
Zackung, Frierstand, Fingerzeig, Beinöffnung<br />
Drehsturz rückwärtstauchen<br />
Wellengang, Zwei Fingertanz<br />
Bodensitz, Überkreuzhangelung<br />
Beinaußenverschreitung<br />
Fingerpeilmessung<br />
Ellbogenverfestigung<br />
Klebestiftwindung<br />
Handgeheimnis<br />
Aufstauumbuchtung<br />
Fausteinknickung<br />
Zuchthand, Schmalspurüberkreuzung<br />
Winkelauffliegen<br />
einmeiseln, rücktrudeln, verzögerndfließen, Einsitzer<br />
Fingerbeinverkleinern<br />
einfrieren.<br />
80 81
19<br />
INTERVIEW<br />
Klaus Janek, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
16.10.2013<br />
Heike Gäßler: Wie hast du die Improvisation erlebt?<br />
Was hat sich bei dir hergestellt?<br />
Klaus Janek: Wir haben ja drei Teile gemacht. Ich empfand diese<br />
alle als relativ stimmig und unterschiedlich. Ich habe das Erlebnis<br />
gehabt, was ich eigentlich immer als gute Qualität in der Instant<br />
Composition oder Improvisation empfinde, dass ich selber und<br />
vielleicht auch Ingo nie nach etwas suchen mussten, sondern, dass<br />
eine Idee die nächste entwickelt hat, die neue Idee bedingt wurde<br />
von der ersten Idee. Von der Dramaturgie her war es auch ein relativ<br />
runder Bogen.<br />
HG: Wie hast du die Zeit während der Sets wahrgenommen?<br />
KJ: Das Zeitempfinden, wenn man in einem kreativen Prozess<br />
steht, ist ein anderes, als wenn man nicht kreativ ist. Das normale<br />
Zeitempfinden ist im alltäglichen Leben, im Alltag bedingt von<br />
Problemstellungen. Das Zeitempfinden in der Improvisation unterliegt<br />
mehr einem dramaturgischen Bogen. Es geht eher darum,<br />
ob der Spannungsbogen erfüllt ist und gehalten wird oder ob die<br />
Spannung am Abschwächen ist. Das ist weniger mit einer Uhr zu<br />
messen als mit einem kompositorischen Gefühl.<br />
HG: Wie war es zum Beispiel im dritten Set für dich?<br />
82 83
KJ: In der dritten Session, auch wenn sie alle drei vom Inhalt sehr<br />
verschieden und trotzdem stimmig waren, hatte ich kein anderes<br />
Gefühl als in den vorherigen Sets. Vielleicht einzig in der zweiten<br />
Session hat sich ein Ende angebahnt, als das Zeitende noch nicht<br />
da war. Ich hatte das Empfinden, dass wir eine Art von Coda gemacht<br />
haben, und da hat sich dann ein entsprechendes Sekundenoder<br />
Minuten-Empfinden eingestellt, da ich auf Carlos’ Zeichen<br />
gewartet hatte, wann es zu Ende sein würde. Und so kam das Gefühl,<br />
dass wir zum Ende gekommen waren, aber das Zeitmaß noch<br />
nicht zu Ende war. Als wir unser Ende gefunden hatten, war noch<br />
eine Minute übrig.<br />
HG: Was verstehst du unter einer Instant Composition<br />
oder Real Time Composition oder wie du das Set<br />
eben nennen würdest?<br />
KJ: Instant Composition unterscheidet sich für mich vom Ausdruck<br />
Improvisation. Auch vom Musikgeschichtlichen her gibt<br />
es verschiedene Schulen der Improvisation. Es gab die London<br />
School 10 , die eine Zeit lang den Versuch gestartet hatte, zu improvisieren,<br />
sich auf die Bühne zu stellen und Sachen zu machen, die<br />
sie vorher noch nie gemacht hat. Für mich war dies eine Instant<br />
Composition. Für mich ist es gar nicht so. Weil bei dem, was ich<br />
mache… – aber vielleicht kann ich da auch von uns sprechen, also<br />
von Ingo und einem Kreis von Leuten, die ein Vokabular entwickelt<br />
haben, das sich über Jahre aufgebaut hat. Ich habe 1994 begonnen,<br />
Kontrabass-Konzerte zu spielen und habe zwei bis drei<br />
Jahre zuvor angefangen, mich mit musikalischem Vokabular auseinanderzusetzen,<br />
was bedeutet, mir eine musikalische Sprache aus<br />
Einzelelementen zusammenzubauen. Und diese Einzelelemente<br />
sind über die Jahre mehr geworden und haben mehr Kommunikationskraft<br />
entwickelt. Es ging darum, nicht mehr von A bis C zu<br />
kommunizieren, sondern von A bis Z, also Material sinnvoll bis<br />
zum Ende auszuformulieren. Das ist das eine Element, das Voka-<br />
10 Als London School wird hier die Improvisationsrichtung von Derek Bailey gesehen, der als Gründervater<br />
moderner europäischer Improvisationsmusik gilt.<br />
bular. Die anderen Elemente sind die Kompositionstools, die sich<br />
parallel zum Vokabular entwickeln, die sehr der Information und<br />
dem Wissen unterliegen, was man<br />
über Komposition generell hat und<br />
man sich über die Jahre angeeignet<br />
hat, was man hört, was man als gut<br />
oder nicht gut empfindet. Meistens<br />
werden die Sachen, die man als gut<br />
empfindet, bei sich selber gehortet.<br />
Und daraus entstehen dann Kompositionstools,<br />
eine Kompositionsstilistik.<br />
Dieses Vokabular wird<br />
auskomponiert. Ich glaube, dass es<br />
in dieser Geschichte einen wesentlichen<br />
Faktor gibt, nämlich die Intuition.<br />
Die Intuition ist weder magisch,<br />
noch mystisch, noch sonst irgendetwas. Sie ist ein Fundus<br />
an Wissen, den man praktisch durch Lesen, Schauen, Hören, also<br />
mit der gesamten Aufnahme von Informationen baut, was dann<br />
ein großes Reservoir an Wissen ist. Wesentlich ist, dass man sich<br />
darüber bewusst wird, warum man sich für dieses Material entschieden<br />
hat. Es kann politisch, sozial sein, es kann relativ viel an<br />
Information hineinkommen. Und in dieser Instant Composition,<br />
die ja in der <strong>Echtzeit</strong> passiert, funktioniert dann im besten Fall die<br />
Intuition, sodass man gar nicht mehr bewusst Entscheidungen<br />
trifft, sondern sie sich aus diesem Reservoir der Intuition speist,<br />
sich dann daraus die künstlerische Kreativität eines jeden Musikers<br />
ergibt.<br />
HG: Welche Bedeutung hat für dich der Moment?<br />
KJ: Aus dem Moment heraus wird die Intuition aktiviert, die am<br />
Arbeiten, Entscheidungen treffen, ergo am Entwickeln, Vorgeben<br />
und Generieren von Ideen ist. Der Moment ist selbstverständlich<br />
ganz wichtig, da die Instant Composition aus dem Moment im<br />
Hier und Jetzt passiert, sich zwar aus der Vergangenheit speist und<br />
für mich die präsenteste Tätigkeit ist, die ich mir vorstellen kann.<br />
84 85
Deshalb ist der Moment etwas ganz wichtiges.<br />
HG: Jetzt hast du schon darüber gesprochen, wie du<br />
etwas aufbaust. Ich hatte noch die Frage, welche Gestaltungstechniken<br />
du verwendest, gerade im Zusammenspiel<br />
mit Bewegung. Willst du dies noch präzisieren?<br />
KJ: Ich kann nicht auf einzelne Gestaltungsmittel eingehen, wie:<br />
ich spiele immer das tiefe E, wenn der Tänzer das Beinchen hebt<br />
oder so. Da gibt es keine Entsprechungen dazu. Es ist alles in der<br />
Antwort, die ich vorher gegeben habe, begründet. Die Gestaltungselemente<br />
fundieren sich über Jahre oder gar Jahrzehnte und<br />
bekommen so eine Substanz und können dann im Moment zum<br />
Tragen kommen.<br />
HG: Würdest du dich eher als den Impuls gebenden<br />
oder als den empfangenden Part in Verbindung mit<br />
dem Bewegungsbereich sehen?<br />
KJ: Im Idealfall gibt es keine Dominanz, respektive Hierarchien<br />
in der Instant Composition gemeinsam mit Bewegung. Das ist<br />
auch das Faszinierende im Treffen dieser beiden Medien, dass<br />
diese eins zu eins funktionieren. Wenn ich als Musiker mit einem<br />
Tänzer kommuniziere, habe ich nicht das Gefühl, allein zu agieren,<br />
sondern es ist im besten Fall eine Kommunikation, die eins<br />
zu eins funktioniert, jenseits einer hierarchischen Ebene, wo man<br />
gibt, wo man nimmt.<br />
HG: Spielt deine innere Verfassung eine wichtige<br />
Rolle oder bist du eher im Außen mit deiner Wahrnehmung,<br />
wenn du einen Moment gestaltest?<br />
KJ: Die innere Verfassung darf keine Rolle spielen. Da wir Künstler<br />
sind und etwas präsentieren wollen und dafür einen Prozess<br />
der Objektivierung erfahren haben, dürfen meine eigenen Befindlichkeiten<br />
wie Stress oder Melancholie eigentlich keine Rolle spielen.<br />
Das was in der Instant Composition auf die Bühne kommt,<br />
muss ein objektiviertes Resultat sein.<br />
HG: Welche Bedeutung haben Pausen für dich?<br />
KJ: Pause müsste definiert werden. Wenn Pause eine akustische<br />
Stille bedeutet oder wenn bewegungsmäßig nichts passiert, dann<br />
spielt sie, wie ich finde, eine ganz große Rolle im Auditiven. Seit<br />
Cage die Stille in der Musik für sich sozusagen entdeckt hat, er die<br />
Stille als musikalisches Element etabliert hat, seitdem ist es wahnsinnig<br />
wichtig, aus der Stille heraus zu gestalten. 11 Die Stille ist ein<br />
tragendes Element – wenn man die Stille bricht und einen Ton<br />
in die Stille hinein setzt, muss der Ton stärker sein als die Stille.<br />
Ansonsten ist die Stille auch ausreichend. Man muss sich immer<br />
wieder darauf beziehen, dass die Stille als Element sehr stark und<br />
tragend ist. Beim Tanz ist es genauso, würde ich sagen. Wenn eine<br />
Bewegung stattfindet, muss sie stärker sein als ein skulpturaler<br />
Moment oder Stillstand. Wobei ein Stillstand für mich ein extrem<br />
spannendes Gestaltungselement ist.<br />
HG: Was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
KJ: Die Bewegung ist eine Kommunikation vom Tänzer in Richtung<br />
Sound. Und Sound ist einfach ein Kommunikationsmittel.<br />
HG: Kommunizierst du mit dem Raum? Und welche<br />
Bedeutung hat er für dich?<br />
KJ: Der Raum hat eine ganz starke Bedeutung. Ich meine vom<br />
Klanglichen her, weil er die klangliche Eigenschaft in der Instant<br />
Composition in der auditiven Welt sehr stark beeinflusst. Mit dem<br />
11 1952 entstand 4´33´´. Bei dieser stillen Komposition in drei Sätzen wird kein einziger Ton gespielt.<br />
Cage bezeichnet es als sein wichtigstes Werk. Schon zuvor hat die Stille in seinen Werken eine wichtige<br />
Bedeutung wie beispielsweise in Duet for Two Flutes (1934), in einigen seiner Sonatas and Interludes<br />
(1946-48), in Music of Changes (1951), Two Pastorales (1951) und anderen mehr. Vgl. Larry J. Solomon:<br />
The Sounds of Silence: John Cage and 4´33´´‚ solomonsmusic.net, 1998 (revidiert 2002); letzter Aufruf<br />
10.04.2021.<br />
86 87
Raum zu kommunizieren, passiert eher auf einer Metaebene. Ich<br />
kann ein Beispiel nennen: Als ich das erste Mal in meinem Leben<br />
in den Sophiensälen 12 im großen Saal allein mit Tänzern gearbeitet<br />
habe, hatte ich am Anfang gedacht: Ich muss den Saal ein bisschen<br />
in die Knie zwingen, ich muss mit meinem Kontrabass den Raum<br />
komplett zum Schwingen bringen, um der Situation Herr zu werden.<br />
Und ich habe dann zwei Nachmittage im Schweiße meines<br />
Angesichts darin verbracht. Und es hat nicht funktioniert. Dann<br />
war klar, ich muss mit dem Raum umgehen. Ich muss schauen,<br />
was der Raum für eine Charakteristik hat: Wo kann ich mit dem<br />
Raum gehen? In welcher Frequenz schwingt der Raum? Und in<br />
dem Moment, als ich akzeptiert habe, mit dem Raum zu gehen,<br />
dann hat es funktioniert. Und ich habe mich dann auch sehr wohl<br />
gefühlt, wie auch der Raum mit mir.<br />
HG: Wie war das heute?<br />
KJ: Der Gemeindesaal 13 ist ein alter Bekannter, den wir lieben und<br />
hassen. Er ist akustisch relativ schwierig, da er ein recht großes<br />
Hall-Potenzial hat und relativ indirekt ist. Mit dem Gemeindesaal<br />
muss man schon auf eine eigene Art und Weise umgehen. Das<br />
Einzelevent bleibt nicht ein trockenes Einzelevent. Der punktuelle<br />
Klang wird automatisch etwas Größeres. Mit feinen Sachen muss<br />
man im Gemeindesaal immer etwas aufpassen, vor allem dass es<br />
nicht zu heilig wird.<br />
HG: Welche Schwierigkeiten hattest du heute?<br />
KJ: Die einzige Schwierigkeit, die mir aufgefallen und auch schon<br />
ein alter Bekannter ist, ist die Anlage. Da die Lautsprecher nicht<br />
gut sind, sind die Grenzbereiche ab 3.000 Hertz sehr schlecht,<br />
wenn überhaupt da. Man hat einen sehr tiefen oder tiefenmittenbetonten<br />
Klang. Die ganze obere Brillanz ist nicht da.<br />
12 Veranstaltungsort in Berlin-Mitte.<br />
13 Ein als Probenraum genutzter Saal in Berlin Prenzlauer Berg.<br />
Ingo Reulecke: Kannst du etwas zu dieser besonderen<br />
Größe an der Schnittstelle zwischen Tanz und<br />
Musik sagen? Gibt es einen Unterschied für dich, mit<br />
Tänzer*innen zu arbeiten, gegenüber der Arbeit mit<br />
Musiker*innen? Und wenn ja, was macht den Unterschied<br />
aus, wenn du mit den beiden Gattungen improvisierst?<br />
KJ: Mit Tänzer*innen auf der Bühne zu stehen, auch wenn es verschiedene<br />
Medien sind, hat dieselbe energetische Basis, auf der<br />
man gut kommunizieren kann. Gerade wenn man mit abstrakter<br />
Musik, mit Sound, mit Klängen arbeitet, dann ist auch vieles wieder<br />
erkennbar. Es ist weg abstrahiert. Es gibt oft keinen Groove und<br />
in diesem Sinne auch keine<br />
Harmonie und keine Melodie.<br />
Es geht sehr viel um Klänge.<br />
Was dann praktisch übrig<br />
bleibt, wenn man Rhythmus,<br />
Harmonie und Melodie weg<br />
abstrahiert, ist einfach eine<br />
Energie. Es ist eine Energiebasis,<br />
die man im Klanglichen<br />
und auf der Bewegungsebene<br />
eins zu eins aufbauen kann.<br />
Ein großer Vorteil für mich,<br />
mit Tänzer*innen zu arbeiten,<br />
ist ein rein pragmatischer,<br />
dass ich dann doch über das<br />
Auditive meistens als Musiker<br />
Herr sein kann. Tänzer*innen<br />
produzieren natürlich Klänge,<br />
aber wenn ich von der musikalischen<br />
Seite diese Schnittstelle betrachte, wenn ich nicht spiele<br />
oder mein Instrumentarium leise mache, dann hört man nur die<br />
Bewegungsgeräusche. Und das ist eine Sache, die sehr schön ist.<br />
Da leite ich über zur Instant Composition mit Kolleg*innen. Da<br />
kann es so sein, wenn man sich nicht auf derselben kommunika-<br />
88 89
tiven Ebene trifft, dass ich mir aus meiner kompositorischen Vorstellung<br />
eine Pause vorstellen kann oder es in dem Moment gerne<br />
leise hätte, aber jemand anders eine andere Idee hat und es sehr<br />
laut macht oder sehr viel hineingibt. Das heißt, da bin ich dann<br />
nicht alleine fürs Auditive zuständig. Trotzdem ist die Auseinandersetzung<br />
mit Musikerkolleg*innen eine sehr befriedigende,<br />
wenn man sich mit ihnen auf einer Kompositionsebene befindet.<br />
Das Glück in Berlin ist, dass es viele gute Leute in diesem Bereich<br />
der experimentellen Musik gibt, der Instant Composition, mit denen<br />
man auf einem hohen Level komponieren kann.<br />
HG: Wie ist es dir mit dem Text ergangen, als dieser<br />
hinein gesprochen wurde?<br />
KJ: Den Text habe ich als eine rein klangliche Größe empfunden<br />
und fand das sehr angenehm, weil es eine Irritation gegeben hat,<br />
die auch wieder als Element sehr spannend war. Ich finde Irritation<br />
in einem kompositorischen Kontext sehr spannend. Ich habe<br />
den Text selber nicht Wort für Wort verstanden, habe es aber auch<br />
nicht vermisst. Für mich war es als klangliches Element vollkommen<br />
ausreichend.<br />
IR: Ich möchte noch mal zum Tanz zurückkommen.<br />
Vielleicht kannst du auch noch sagen, was dich beim<br />
Tanz an Qualitäten besonders anspricht oder auch<br />
stört?<br />
KJ: Die Qualität des Tanzes oder der Bewegung kann ich oftmals<br />
gar nicht so gut zuordnen. Ich finde es einfach spannend, wenn bewegungstechnisch<br />
etwas passiert, was mich sehr anzieht, warum<br />
auch immer. Ich glaube, in hochqualitativer Kunst ist es ganz oft<br />
so, dass man vor etwas steht und das nicht genau zuordnen kann.<br />
Und man ist an einer Sache dran, einer Bewegung, und diese Bewegung<br />
haut einen dann um, weil sie so wahnsinnig gut ist. Womit<br />
ich entgegen meiner Stilistik weniger gut umgehen kann, ist die<br />
ganze klassische und neoklassische Schiene. Das ist ein Feld, mit<br />
dem ich mich noch nie beschäftigt habe. Was mich im Tanz wirklich<br />
am meisten interessiert und mir gefällt, ist die Instant Composition.<br />
IR: Aber Instant Composition könnte es auch in der<br />
klassischen Tradition oder der neoklassischen Tradition<br />
geben.<br />
KJ: Mich interessiert in der Musik und im Tanz immer sehr das<br />
Abstrakte, die Kommunikationsebene, die sehr viel Imagination<br />
zulässt. Was den Rezipienten stark fordert, in seiner Imagination<br />
aktiv zu werden oder auch abstrakte Oberflächen für sich zu deuten.<br />
Mir gefällt es gut, wenn ich dem Publikum diesen Prozess auferlegen<br />
kann und wenn ich selber diesem Prozess ausgesetzt bin.<br />
Und zwar einfach aus diesem einen Grund, weil das aktive Hören,<br />
dieses aktive Rezipieren eine Sache ist, die sehr erfüllend ist und<br />
die in der heutigen Zeit nicht so viel passiert. Ich wünsche mir, dass<br />
es mehr Leute gibt, die aktiv Kunst rezipieren, weil das die Fantasie<br />
anregt. Diesen kreativen Prozess kann jeder Einzelne selbst<br />
tätigen und mit einem Wohlgefühl und einer Lebensqualität nach<br />
Hause gehen. Das Figurative ist in der Musik sehr besetzt. Wenn<br />
man zum Beispiel irgendwelche Intervall Strukturen hernimmt,<br />
gibt es viele, die besetzt sind. Oder, wenn man sich zum Beispiel<br />
eine Variation von einem Song anhört, dann läuft im Kopf der Erinnerungsfilm<br />
ab: ‘Das habe ich im Auto damals gehört, oder als<br />
ich die Frau geküsst oder jenen Menschen begraben habe.’ Da geht<br />
es mehr um die Bilder, die man generiert hat, als man diesen Song<br />
gehört hat. Und diese Bilder laufen eins zu eins ab, statt dass man<br />
in einen neuen Rezeptionsprozess kommt. Deswegen ist für mich<br />
der klassische Tanz auch zu besetzt.<br />
Carlos Bustamante: Heute gab es drei verschiedene<br />
Stücke mit drei verschiedenen Charakteristiken,<br />
ohne dass ihr es vorbereitet habt. Wie kommt so etwas?<br />
Habt ihr euch doch abgesprochen und gab es<br />
grobe Ideen oder Strukturen? Wie entscheidet man<br />
die Frage, wie es jetzt geht?<br />
90 91
KJ: Es war nichts abgesprochen. Das ist einfach dieser Fundus an<br />
Vokabular mit verschiedenen Kompositionstechniken, verschiedenen<br />
Ausdrucksweisen, welcher sehr groß ist, und die Menge an<br />
dem, was man ausdrücken will, groß ist, was auf jeden Fall genug<br />
Potenzial ist.<br />
CB: Gibt es da eine Einschränkung? Hat jede Komposition<br />
eine bestimmte begrenzte Auswahl, eine bestimmte<br />
Form, eine Stimmung zu erzeugen? Wie entscheidet<br />
sich so etwas?<br />
KJ: Ich glaube, es gibt einfach einen Anfang. Und der Anfang ist<br />
da. Vielleicht ist da im Bruchteil einer Sekunde schon Material, das<br />
sich gut eignen könnte. Und aus diesem Anfangsmaterial strickt<br />
sich dann im besten Fall die Dramaturgie und das Vokabular, wo<br />
sich Material aneinanderreiht und welche bestimmten Kompositionstechniken<br />
sich eignen, um Material zu verbinden.<br />
CB: Aber es ist nicht so, dass du schon etwas mitgebracht<br />
hast, was du ausprobieren wolltest?<br />
KJ: Es gibt natürlich schon sehr viel. Ich habe mein Kompositionsreservoir,<br />
ich habe mein Setting, also von daher habe ich viel<br />
mitgebracht.<br />
CB: Ja klar, ein Musiker bringt ein paar Werkzeuge.<br />
Du hast dein Werkzeug. Aber am Anfang, als du dich<br />
vorbereitet hast, schien es, als wenn du einige Dinge<br />
eingerichtet hättest, wie das Echo, die Dauer und so<br />
weiter.<br />
KJ: Nein, das habe ich nicht vorher vorbereitet, eher hat sich das<br />
Set über die Zeit so entwickelt. Und es ist ein Teil vom Vokabular<br />
und ein Teil des Kompositionstools. Und ich stelle mir vor, was<br />
man mit Klang machen und mit diesem Set umsetzen kann: also<br />
die Möglichkeit der Software, als auch von den Plugins, von den<br />
Effekten, als auch die manuelle Umsetzung mit dem Fußpedal,<br />
womit ich dann irgendwelche Loops abspielen kann oder kleine<br />
Controller habe, um die Fader aufzumachen und dieses zum Klingen<br />
zu bringen. Was ich mitbringe in solch einer Situation, ist das<br />
Setting, die Software, die Controller, den Kontrabass. Aber ich<br />
habe keine Loops oder Subs vorbereitet, die ich dann abgespielt<br />
habe, sondern alle Loops, die in dieser Situation zu tragen kamen,<br />
habe ich auch direkt eingespielt.<br />
CB: Es schien mir an anderen Stellen anders. Dort<br />
hatte ich den Eindruck, dass du schon vor dem Beginn<br />
einiges vorbereitet hattest, sodass du wusstest,<br />
du könntest es irgendwann nutzen. Du hattest doch<br />
Aufnahmen gemacht, als du aufgebaut hattest.<br />
KJ: Ja, aber die habe ich gelöscht.<br />
CB: Ist es ein wenig wie Skalen üben?<br />
KJ: Ja, es ging darum, die Lautstärke zu testen. Danach lösche ich<br />
das. Ich habe fünf Spuren, und in diesen fünf Spuren habe ich jeweils<br />
eine Loopmaschine, womit ich dann Dinge direkt loopen<br />
kann. Und für mich ist es ganz wichtig, dass die Looper leer sind.<br />
Damit ich im Prozess die Möglichkeit habe, sie direkt einzusetzen.<br />
So müssen die Effekte auf Null sein, der Looper muss leer sein,<br />
damit ich gleich aufnehmen kann, wenn ich eine Idee habe. Das<br />
ist ganz wichtig. Es ist klar, irgendwann wiederholt man sich. Es ist<br />
ein begrenztes Vokabular, definitiv. Zwar ist es ein großes Vokabular<br />
– es ergänzt sich natürlich immer, Sachen fallen heraus, Sachen<br />
kommen dazu. Mit dem gesamten Set, dem Computer, den Controllern,<br />
mit dem Kontrabass und mit dem, was ich aus dem Ganzen<br />
herausholen kann, erfüllt es mich mit meinen musikalischen<br />
Möglichkeiten.<br />
CB: Hast du manchmal Probleme, dass der Computer<br />
spinnt?<br />
92 93
KJ: Das ganze funktioniert auf MIDI, ist 1982 gebaut und hat sich<br />
immer noch nicht verändert.<br />
IR: Gibt es ein adäquates Mittel, um die Dinge aufzunehmen?<br />
Heute waren ja diverse Medieneinheiten im<br />
Boot wie Videokamera, Audioaufnahmegeräte und<br />
so weiter. Ist es für dich befriedigend, was da übrig<br />
bleibt von dem, was gemacht wurde? Oder ist es uninteressant,<br />
weil es eher um das Hier und Jetzt geht?<br />
KJ: Die ganzen 90er Jahre hindurch habe ich mir und auch anderen<br />
verboten, mich aufzunehmen, tontechnisch wie videotechnisch.<br />
Weil ich das Gefühl hatte, es passiert im Hier und Jetzt, und<br />
das war es. Ich wollte eine Zeit lang auch nicht verstärkt werden.<br />
Ich wollte einfach nur die Räume ausprobieren, wie sie mit einem<br />
akustischen Kontrabass funktionieren. Wer da ist, ist da, und wer<br />
nicht, der nicht. Wie die Entwicklung jetzt ist, gibt es die drei Ebenen:<br />
das Hier und Jetzt, was auch vom Publikum so rezipiert wird.<br />
Das andere ist die Dokumentation dessen, was eine absolute Relevanz<br />
hat. Und dann gibt es die Verschiedenheit des Endresultats.<br />
Es gibt eine Endresultatssituation, wo das Publikum in einer<br />
Live-Situation angespielt wird. Und es gibt ein anderes Resultat,<br />
das mit einem Tonträger erstellt wird, wo man auch an einer Instant<br />
Composition arbeitet, die Komposition aber mitunter doch<br />
gefaked sein kann. Weil man es aufnimmt und weil man danach<br />
noch die Möglichkeit hat, Sachen zu verändern. Das ist ein anderes<br />
Medium, diese Tonträgerherstellung ist ein absolut legitimes Thema.<br />
Wobei noch mal an deine Frage anknüpfend: Dokumentation<br />
ist ja nicht nur eine platte Dokumentation. Das, was du mit deiner<br />
Arbeit machst, ist eine ganz klare künstlerische Dokumentation,<br />
die eigentlich ein Hybrid ist. Weil sie auf der einen Seite selber<br />
eine Kunstform darstellt und auf der anderen Seite den Performer<br />
auf eine Art bedient.<br />
INTUITION<br />
Die Intuition scheint in Hinsicht von Improvisation eine unabdingbare Größe<br />
zu sein.<br />
Wie soll ich sonst aus dem Nichts heraus etwas gestalten, zudem mit einem<br />
oder mehreren Menschen zusammen? Es muss also irgendetwas in mir<br />
schlummern, das zum richtigen Moment wie ein Licht aufleuchtet. Dieses Etwas<br />
würde ich erstmal als Inspiration ansehen und schon im nächsten Atemzug<br />
als Intuition. Intuition scheint mir aufs Engste mit der Zeit verschmolzen<br />
zu sein, also ein plötzlicher Vorgang, wie ein Geistesblitz, eine Eingebung, was<br />
in kreativen Prozessen eine unabdingbare Qualität zu sein scheint.<br />
In der <strong>Echtzeit</strong>komposition, also der Gestaltung von Moment zu Moment,<br />
gibt es keine Zeit zum Denken. Selbst die Pausen sind ein aktiver Bestandteil<br />
der Komposition, und dabei gibt es im günstigsten Fall keinen Augenblick, der<br />
nicht mit dem Dasein angefüllt ist, im Moment zu agieren. Denn wenn dieser<br />
Moment verlassen wird, entsteht schon ein Einbruch im Fluss der Aktivität<br />
innerhalb der Intuition. Erfahrungsgemäß ist dieser Verlust dann wieder nur<br />
mit Mühen zurückzuholen, da die Konzentration auf den entsprechenden Gegenstand<br />
abgebrochen ist.<br />
Diesen Fluss aufrechtzuerhalten bedarf es einiger Übung und Konzentration,<br />
die selbstverständlich bei der Aktivität des regelmäßigen Improvisierens<br />
wächst. Darüber wird die Intuition befördert und in ihrer Aktivität und Intensität<br />
gedehnt, sodass sie sich in ihrem Potenzial ausweiten kann. Dieses Anwachsen<br />
an Intensität und Potenzial ist spürbar und lässt sich über den Flow<br />
erfahren. Wenn dieser aktiv ist, können wir an einem fortlaufenden Brunnen<br />
von aufsteigenden Impulsen zugeschaltet bleiben. Dieser Prozess ist durchaus<br />
spürbar, sollte nur nicht während des Spürens reflektiert werden, da er dann<br />
seinen natürlichen Fluss verliert und es zum Beispiel zum Reflektieren darüber<br />
kommt, was uns möglicherweise aus der vorherigen Konzentration abdriften<br />
lässt. Wenn wir jedoch diesen etwaigen Prozess der Ablenkung und darüber<br />
mangelnden Konzentration zensieren durch Fokussierung und bemüht sind,<br />
wieder in den Fluss zurück zu kommen, bleiben wir mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
auch in der Intuition.<br />
Dieses intuitive Sein ist ein sehr beglückender und erfüllender Zustand, der<br />
es Wert ist, immer wieder zurückgeholt zu werden. Ein Geheimnis scheint zu<br />
sein, angeschlossen zu bleiben an dem, was man gegebenenfalls mit Leidenschaft<br />
tut, oder immer wieder dahin zurückzukehren. Man kann jedoch, wenn<br />
einmal ein beglückendes Stadium erreicht ist, nicht darauf vertrauen, dass es<br />
so bleiben würde. Es ist eher ein permanentes Bemühen, wieder in die Intuition<br />
zu kommen oder günstigenfalls daran angeschlossen zu bleiben.<br />
94 95
20<br />
VERSUCHSANORDNUNG 5<br />
Biliana Voutchkova, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Set I – Dokumentation<br />
13.12.2013<br />
Die Dokumentation legt hier das Augenmerk auf den Bewegungsfluss, auf das<br />
Spiel der Augen und auf die Bewegung im Raum.<br />
Hocharme seitwärts gedreht, aufrichten nach oben – Beinhebung seitwärts,<br />
Kopftauchen, hochtaumeln.<br />
Augen folgen dem Händespiel eng an Wand gedreht.<br />
Großes vorwärts Fließen, Brechfließen.<br />
Arm über Kopf, drehen des Halses, Neuorientierung, Hände rechts links strebend.<br />
Bein: Weichfließbewegung, Sprung- und Schrittraumeroberung, Drehkurbel,<br />
Schraube hoch und runter, Spiralenströmen.<br />
Hände führen durch den Raum, Augen neutral.<br />
Bodenankommen, ablegen, querdrehen. Eng.<br />
Aufrichten, suchen mit Händen auf Boden und Blickhochspirale, abwärts<br />
rutschen.<br />
Hände ausgedreht zu den Seiten, weichtaumeln in den Raum hinein.<br />
Blick unberührt, vorhangeln mundverstärkt.<br />
Rückenklappe<br />
Beid-Arm-Schwingung<br />
Kranich, vorwärts<br />
Beinübereinanderverkräuselung.<br />
Berührarme an Schultern, eng verbunden mit Musik. Drehströmen durch<br />
Raummitte mit Brechelementen.<br />
Ausrutschsprung, Kopf nach oben, Himmelarme, eckiges Verbleiben auf Boden<br />
Mund und Augen gesteuertes Suchdrehen<br />
Wagenbeine, Halshände abwärtsgleiten in Bodenlagen.<br />
Suchhangelüberkreuzte Beine, Bein vorgestreckt in Luft mit Varianten.<br />
Sprungbrüche, Schwenktaumeln.<br />
Raumeroberung durch Arm- und Beinführung,<br />
Hüpfdrehung auseinander gegrätscht. Hand.<br />
Boxdrehraumspringer, Kopf nach hinten geklappt,<br />
Umkehrverrückung<br />
Arme: enganliegendes Bewegen.<br />
Ausreißersprung – Wandverständigen<br />
Spreizhand, Ruckelabmessung, Einkehrverschraubung, Rückwärtsgang<br />
Abstoßen<br />
Wandbeglückung, niedersinkender Kopf<br />
Abtastkörper<br />
Suchaugen, Wandbeengung.<br />
Rückstottergleiten, Brückenverschrägung seitlich<br />
Mundversuchung<br />
Hängelrückgang zur Mitte, Niedertauchfrosch, Zirkelhand<br />
Suchneutralität.<br />
Kopf aufschlagen auf Boden, aufrichtverschweben, Handbodenschlagdrehung<br />
Gummiklappern, Haltlosigkeit, Muskelverlusthangeln<br />
Fallverhängnis.<br />
Fliegenwischer, Handumdrehen<br />
Traumakurven<br />
Aufrichtraumverquirler<br />
Händeklemme<br />
Zeigeschweigen.<br />
Set II – Interpretation<br />
Steifschritthangeln<br />
Kopf-Armfingerlenker, Wurstelknacker<br />
stulpquirlen<br />
eckverhangeln<br />
anziehklappern, stockverschlucktturbeln, stöhnverengen, fuchtelquietschen<br />
eckwedeln<br />
Nachttierverwirrung<br />
professorensudeln, pustefliegwedeln, stöhnhängeln, niederklumpen<br />
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Überstülpverkreuzung, Engstrauchelstange<br />
tauchquirlen.<br />
Halsstreichler, Einfangcodetipper<br />
Schnelldrehbeinkurver, Abstreifanbeter<br />
Kerkerverquastung<br />
Sperrtöter<br />
Galgenverstrickung<br />
Hangelmaschine, Steifkumpler<br />
gummihanddrehen<br />
Besserzeighalsschläger, Armsatzversteuerung, Durchtauchermöglicher<br />
halshangeln<br />
Stöhnkombinat<br />
Himmelrecker<br />
ausweichstrecken, schwerdrehrotationsdurchtauchen, umkehrschraubenhecheln<br />
Männchenverkleinerung, Kniestämmer, Bücklingshecheln, Stöhnrüster<br />
blindsuchen, streichelluftversammeln, klebetaumeln.<br />
Rückdrängbrücken<br />
Aufstützverstärker, fortdrängkippen<br />
Schnorchellosgelöstheit<br />
Dräng-eng-Widerstand, Beinlos-Läufer.<br />
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 5 – Set I – https://vimeo.com/915509755<br />
Versuchsanordnung 5 – Set II – https://vimeo.com/915513084<br />
Fußhimmelständer<br />
Querstangeneintracht.<br />
umkehrstehen<br />
knethangeln, Puddingverklemmung, Beinquetsche<br />
rollverschlusshangeln<br />
sucherblickbeugen, zuglenken, froschhändeln,<br />
Fingerstreckverlangsamungsabtaucher<br />
Mumienverträumer<br />
Nasenbodenstreckung<br />
Endverlängerung<br />
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21<br />
INTERVIEW<br />
Biliana Voutchkova, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
13.12.2013<br />
Heike Gäßler: Wie hast du die Improvisation empfunden?<br />
Was war dabei wichtig für dich, und was brachte<br />
diese Improvisation für dich zum Vorschein?<br />
Biliana Voutchkova: Bei Improvisationen ist es mir generell wichtig,<br />
dem Schwung zu folgen und in der Bewegungsenergie des Augenblicks<br />
zu bleiben, dieses lineare Bewusstsein dafür zu haben,<br />
was gerade in diesem Moment geschieht, und einfach mit dem<br />
Moment zu gehen. Was geschaffen wurde, sollte eigentlich den<br />
Menschen überlassen werden, die die Performance wahrnehmen,<br />
da jeder seine eigene persönliche Wahrnehmung hat. Ich werde<br />
über die zweite Improvisation sprechen, weil sie für mich interessanter<br />
war. Was wir geschaffen haben, hatte irgendwann sehr narrative<br />
Momente. Aber was mir gefiel, war, dass es irgendwie immer<br />
noch abstrakt blieb. Das Narrative war in diesem Sinne nicht<br />
wirklich direkt, da wir gleichzeitig den abstrakten Aspekt hatten,<br />
und das hat mir sehr gut gefallen. Irgendwie haben wir diese Zone<br />
der Freiheit nie verlassen, selbst wenn wir in die erzählerischen<br />
Momente direkterer Kommunikation gegangen sind, entweder<br />
physisch oder mit der Stimme. Und ich mochte auch, wie die Dinge<br />
am Ende einfach verblassten und alles fast lustig wurde, bis zu<br />
einem Punkt des Lachens in bestimmter Weise.<br />
HG: Wie hast du die Zeit während der Session empfunden<br />
oder erfahren?<br />
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BV: Ich bin mir dabei der Zeit nicht so sehr bewusst, sondern ich<br />
folge dann eher dem linearen Schwung der Bewegungsenergie. In<br />
jedem Augenblick musst du die Aufmerksamkeit dafür bewahren,<br />
dem Moment zu folgen. Denn es ist sehr einfach, etwas zu verpassen<br />
im Bruchteil einer Sekunde, wenn deine Aufmerksamkeit<br />
nicht komplett da ist.<br />
HG: Wie verstehst du Instant- oder <strong>Echtzeit</strong>-Komposition?<br />
Was ist dir dabei wichtig?<br />
BV: Das Wort Komposition impliziert<br />
bereits eine gewisse Entwicklung<br />
und einen gewissen Faden, dem man<br />
durchgehend folgen kann. Für mich<br />
bedeutet <strong>Echtzeit</strong>-Komposition, dass<br />
du in der Lage bist, etwas zu schaffen,<br />
indem du diesem Faden folgst,<br />
indem du dem Fluss folgst, während<br />
du es formst entsprechend dem, was<br />
du damit tun möchtest. Es ist keine<br />
Mischung aus zufälligen Ereignissen,<br />
tatsächlich können nur bestimmte Dinge passieren. Wenn du in<br />
diesem Schwung bist, hast du nicht viele Möglichkeiten zur Auswahl,<br />
es gibt nur die eine Sache, die du tun kannst, um wirklich<br />
dem Faden zu folgen und etwas daraus zu machen. Da zeigt sich<br />
dann die Komposition.<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Moment für dich?<br />
Was ist der Moment?<br />
BV: Der Moment ist eigentlich sehr schwer zu beschreiben. Denn<br />
der Moment, in dem man über den Moment spricht, ist schon Vergangenheit.<br />
Und wenn du zur gleichen Zeit über etwas sprichst,<br />
das kommen wird, dann liegt das noch in der Zukunft. Ich denke,<br />
es ist nicht mehr als eine reine Bewusstheit. Es ist eine Wahrnehmung<br />
für mich. Ich kann es nicht erklären, es ist ein besonderer<br />
Sinn – dafür, was diese winzige Sekunde mit dir macht. Eigentlich<br />
passiert das nicht die ganze Zeit, manchmal verliere ich diesen<br />
Sinn. Ich erkenne das und versuche, das Bewusstsein dafür zu bewahren,<br />
und sobald ich es habe, dann ist alles ganz einfach.<br />
HG: Wie arbeitest du mit dem Moment? Welche Techniken<br />
hast du zum Beispiel eingesetzt, als du jetzt mit<br />
Ingo zusammen gearbeitet hast?<br />
BV: Ich versuche, auf der Ebene der Sinneswahrnehmung zu reagieren.<br />
Wie gesagt, es ist ein Sinn für mich. Sobald du dich in<br />
diesem Raum befindest, wo du dem Schwung folgst und improvisierst,<br />
befindest du dich in einem bestimmten Zustand, der nicht<br />
dein durchschnittlicher Zustand ist wie im alltäglichen Leben. Es<br />
erhöht irgendwie die Sensibilität, das Bewusstsein, den Fokus. Alles<br />
ist verstärkt, und dann versuchst du, auf deinen Partner zu reagieren,<br />
mit dem du im Moment improvisierst.<br />
HG: Hast du den Eindruck, dass du bei einer Improvisation<br />
mehr gibst oder mehr empfängst, oder hält<br />
sich beides die Waage?<br />
BV: Nein, es wechselt zwischen Geben und Empfangen. Tatsächlich<br />
ist das ein Teil dieser Sensitivität, dass du erkennen kannst,<br />
wenn du etwas beginnst, und dass du erkennen kannst, wenn jemand<br />
anderes etwas beginnt. Und dann kannst du entscheiden,<br />
dem zu folgen oder nicht. Es ist also ein ständiges Geben und<br />
Nehmen.<br />
HG: Wie war es in der zweiten Performance?<br />
BV: Ja, das war wie so eine Situation des Gebens und Nehmens.<br />
Denn ich achte eigentlich sehr darauf, dass ich nicht zu stark bin,<br />
dass ich nicht zu viel gebe. Durch die Arbeit mit Tänzern wurde<br />
mir klar, dass der Sound und die Musik sehr einflussreich sein können.<br />
Also versuche ich sicherzugehen, dass ich meinem Partner<br />
Freiheit gebe, und tatsächlich ist Ingo dabei sowieso brillant. Ich<br />
musste mir keine allzu großen Sorgen machen, wir blieben einfach<br />
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immer bewusst und ansprechbar. Ich fand das in der letzten Improvisation<br />
wirklich gut.<br />
HG: Wenn du den Moment erschaffst, bist du dann<br />
mehr in dir bei deinen Gefühlen, oder ist es wichtiger<br />
zu sehen, was um dich herum passiert?<br />
BV: Ich funktioniere generell im Hinblick auf meine Intuition und<br />
Sinne, das schließt aber nicht aus, was um mich herum passiert.<br />
Es ist also alles darin enthalten. Aber die Art und Weise, wie ich<br />
darauf reagiere, und die Art und Weise, wie ich davon weiß, das ist<br />
intuitiv.<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Moment der Stille für<br />
dich?<br />
BV: Er kann sehr stark sein, und es ist auch eines dieser Dinge,<br />
die man entweder initiieren kann oder die von sich aus geschehen.<br />
Die Stille kann einfach eintreten, und ich glaube, sie ist sogar stärker,<br />
wenn sie eintritt und die Performer es wahrnehmen.<br />
HG: Was macht die Bewegung mit deinen Klängen?<br />
BV: In diesem speziellen Kontext, wenn ich mit Tanz arbeite und<br />
wenn die Bewegung ein Aspekt der Improvisation ist, macht sie<br />
ziemlich viel. Ich versuche oft, mich auf meine Gestik zu konzentrieren<br />
und nicht auf meinen Klang. Ich richte meinen natürlichen<br />
Fokus auf etwas, das weniger vertraut ist, und das erzeugt oft<br />
einen anderen Klang. Im Grunde verschiebe ich also meinen<br />
Fokus. Ich denke nie daran, eine Bewegung ins Leben zu rufen,<br />
weil Bewegung immer unweigerlich involviert ist. Und durch die<br />
Verschiebung des Fokus verändert sich die Klangproduktion.<br />
HG: Wie kommunizierst du mit dem Raum?<br />
BV: Auf die gleiche Weise. Es gibt eine gewisse Sensibilität, wenn<br />
du improvisierst und in diesem Zustand bist, in dem alles verstärkt<br />
ist – du hast dann auch die Sensibilität für den Raum, für die<br />
Menschen darin, für die Geräusche, die von außen kommen und<br />
für die von uns produzierten Klänge. Alles wirkt sich auf dich in<br />
irgendeiner Weise aus, und du antwortest auch darauf. In diesem<br />
speziellen Raum hier, weil er ziemlich hell, groß und sehr lebendig<br />
ist im Hinblick auf den Klang, da fühlt es sich tatsächlich wie ein<br />
riesiger großer Raum an. Auch wenn der Raum gar nicht so enorm<br />
groß ist, fühlt es sich so an, als sei er es. Denn die Klänge sind viel<br />
unterwegs zwischen den Wänden, und du kriegst ihn irgendwie<br />
gar nicht zu fassen. Da ist immer irgendetwas, das du nicht ganz<br />
erreichen kannst.<br />
HG: Bringt dich diese <strong>Echtzeit</strong>komposition auf eine<br />
andere Wirklichkeitsebene?<br />
BV: Ich weiß nicht, ob es notwendigerweise eine andere Ebene<br />
im Sinne einer höheren oder tieferen Ebene ist, aber es bringt<br />
mich in eine andere Wirklichkeit oder in einen anderen Zustand,<br />
so würde ich das bezeichnen. Wie schon gesagt, mein normaler<br />
Zustand ist diese Art und Weise,<br />
und dann wechsle ich zu jener Art<br />
und Weise. Es ist eine sehr subtile<br />
Verschiebung, es hat einen echten<br />
Anfang. Deshalb nehmen wir uns<br />
einen kleinen Moment Zeit, bevor<br />
wir zu improvisieren anfangen – so<br />
wie die meisten Menschen, die improvisieren<br />
– , um diesen Wandel<br />
zu machen. Ich weiß nicht genau,<br />
was passiert, aber es geht um eine<br />
Verschiebung von all den Punkten,<br />
die ich bereits erwähnt habe: Sensitivität, Bewusstheit, Fokus und<br />
Zustand. Du verstärkst sie irgendwie, und du brauchst diesen kleinen<br />
Moment, bevor du anfängst. Manchmal geht das tatsächlich<br />
gar nicht so schnell, und das ist auch eine Antwort auf das, was<br />
entweder im Raum passiert, mit dem Partner im Moment oder<br />
mit jemandem im Raum, einem Zuschauer oder was auch immer.<br />
104 105
Aber mittlerweile ist es deutlich bemerkbar für mich, wenn sich<br />
der Zustand ändert, das kommt mit der Erfahrung, und du hast<br />
dieses Gefühl ‘Okay, jetzt bin ich da.’ Und so arbeite ich gerne.<br />
HG: Wie hast du die zwei Improvisationen empfunden?<br />
Gab es da Unterschiede?<br />
BV: Ja, sie waren für mich sehr unterschiedlich. Die erste hatte<br />
viel mehr damit zu tun, dass ich selber etwas ins Leben rief. Oder<br />
zumindest hatte ich diesen Eindruck. Wenn man den Aspekt der<br />
Bewusstheit betrachtet, gibt es da viele Ebenen, und wir waren<br />
da eher auf einem niedrigen Niveau bei der ersten Improvisation.<br />
Während der zweiten Improvisation sind wir ein wenig weiter auf<br />
eine höhere Bewusstseinsebene gelangt, wo wir nicht mehr Dinge<br />
initiieren mussten, weil wir schon wussten, dass sie da waren. Wir<br />
folgten mehr dem Flow und verschmolzen damit.<br />
Ingo Reulecke: Ich frage mich, was der Unterschied<br />
ist zwischen dem Improvisieren mit Musiker*innen<br />
und dem Improvisieren mit Tänzer*innen. Kannst du<br />
das beschreiben?<br />
BV: Es ist ganz anders. Der erste Unterschied ist, dass viele Musiker<br />
wirklich nicht die Körperlichkeit in dem Moment berücksichtigen,<br />
in dem sie improvisieren, vor allem die Improvisierenden.<br />
Das ist nicht unbedingt schlecht, denn du willst ja weit ausholen<br />
mit deinen Ohren, und das erfordert manchmal, dass man den<br />
Körper vergisst. Du bist komplett beim Hören. Wenn ich mit<br />
Musikern improvisiere, mache ich das oft, auch wenn ich meine<br />
Körperlichkeit nicht ganz vergesse, da ich mir dessen inzwischen<br />
irgendwie bewusst geworden bin. Aber ich achte nicht unbedingt<br />
so viel darauf, und so gehen die Dinge in eine ganz andere Richtung.<br />
Sie gehen viel mehr in den Sound. Wenn ich mit Tänzern<br />
improvisiere, bemerke ich nicht nur die Körperlichkeit, den Raum<br />
und die Menschen darin viel mehr, sondern ich benutze das auch<br />
und bringe meine Gestik in Bezug dazu, um Klänge zu erzeugen.<br />
Ich versuche tatsächlich, diesen physischen Aspekt zu nutzen, um<br />
mit meinem Sound woanders hinzukommen. Und es ist manchmal<br />
ziemlich schwierig, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich<br />
nicht hundertprozentig auf die Klänge konzentrieren kann. Was<br />
kein Minus oder Plus ist, es ist einfach eine Tatsache. Ich habe<br />
wahrscheinlich etwa 70 Prozent für den Klang zur Verfügung, die<br />
anderen 30 Prozent reichen aus für den Rest.<br />
IR: Glaubst du, es wäre eine gute Praxis für Musiker*innen,<br />
ihre Körperlichkeit zu berücksichtigen?<br />
Sich der eigentümlichen Art und Weise der Bewegung<br />
bewusst zu werden und dies in das Spiel der Improvisation<br />
14 zu bringen?<br />
BV: Ich denke, das ist ein interessanter Weg. Ich zum Beispiel nutze<br />
einfach die Gestik, die ich normalerweise habe, zum Spielen. Jedes<br />
Individuum hat spezifische Gesten, die fast immer gleich oder<br />
annähernd gleich sind. Und wenn du anfängst, sie zu erkennen,<br />
auf sie zu reagieren und in Beziehung zu ihnen zu treten, dann ist<br />
das bereits eine höhere Ebene des Körperbewusstseins. Es ist wie<br />
Atmen – wenn du auf dein Atmen achtest, verändert sich bereits<br />
etwas. Und dann gibt es natürlich noch viel mehr, das man weiterentwickeln<br />
kann.<br />
IR: Siehst du einen Mangel bei der Ausbildung von<br />
Musikern in dem Sinne, dass sie nicht so sehr körperlich<br />
ausgebildet sind? Sie lernen es, sehr gut zu spielen,<br />
vergessen aber den Körper.<br />
BV: Ja, aber ich denke, es mangelt an vielen anderen Aspekten der<br />
Bildung. Dazu gehört die Entwicklung der Improvisationsfähigkeit<br />
im Allgemeinen, oder dass man generell seinen Blick von der<br />
14 Anmerkung des Übersetzers: In dem Gespräch, das in der englischen Sprache geführt wurde, spricht<br />
Ingo Reulecke vom Improvisation Game. Beim deutschen Wort Spiel ist der Aspekt eines Gesellschaftsspiels<br />
im Sinne von game nicht primär ausschlaggebend für die Bedeutung, dafür tritt aber die Komponente<br />
des Spielens der Instrumente (und hier der Körper) hinzu. So zeigt sich auch im komplementären<br />
Zusammenspiel der unterschiedlichen Bedeutungen eine komplexe Vielfalt des Improvisationsbegriffs<br />
zwischen Verspieltheit, Ludologie und Wettstreit.<br />
106 107
Musik löst und versucht, die Dinge von einem anderen Blickwinkel<br />
aus zu betrachten, dass man sich darüber informiert, was es<br />
sonst noch gibt. Ich denke, der Mangel, dass die Studenten nicht in<br />
diesen Richtungen ausgebildet werden, hat mit der geschäftlichen<br />
Seite der Musik zu tun: Um ein erfolgreicher Musiker zu werden,<br />
ist ein sehr hohes Maß an technischen Fähigkeiten erforderlich,<br />
und das Studium ist zeitlich begrenzt in den meisten höheren Institutionen<br />
wie Konservatorien, Universitäten. Also konzentrieren<br />
sich die Institute darauf, diese notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln.<br />
Das ist schade, weil ich denke, dass es viele andere Dinge<br />
gibt, die es wert sind, gelernt zu werden, die die individuelle<br />
Entwicklung enorm verbessern können. Aber aus irgendeinem<br />
Grund funktioniert dieses System nicht auf diese Art.<br />
IR: Man könnte sich vorstellen, dass es sinnvoll oder<br />
notwendig wäre, solche Fähigkeiten den hohen Qualifikationen<br />
noch hinzuzufügen, so dass man Literatur<br />
spielen könnte und dergleichen, um ein zeitgenössischer<br />
Musiker, Künstler oder Performer zu werden.<br />
Aber dafür bräuchte man vielleicht einen anderen<br />
Lehrplan.<br />
BV: Ich denke, das würde zunächst bedeuten, dass der einzelne<br />
Mensch unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche darüber hat,<br />
was er erreichen will. Wenn man in einem Orchester spielen will,<br />
dann braucht man nichts anderes. Unterm Strich studiert man<br />
doch das, was man will. Aber es gibt noch eine andere Frage: Weiß<br />
man, dass es andere Optionen gibt? Denn wenn man auf einer<br />
Hochschule ist, weiß man oft nicht wirklich, dass man auch viele<br />
andere Wege einschlagen kann. Und so sollte es irgendwo im System<br />
Möglichkeiten geben, Informationen darüber zu bekommen,<br />
wofür du dich später entscheiden kannst. Und dann wäre es gut,<br />
wenn du schon wüsstest, dass deine Wahl nicht der übliche Weg<br />
ist, wie zum Beispiel als Geiger, sondern dass du die Möglichkeit<br />
hast, zu entscheiden, was du studieren möchtest. Es gibt bereits<br />
Hochschuleinrichtungen, die Programme für bestimmte andere<br />
Richtungen anbieten – dazu gehören Neue Musik und Improvisation.<br />
Doch das ist noch nicht so häufig der Fall. Und ich denke,<br />
dass viele Studenten, die ihre Hochschulausbildung abschließen<br />
und sich für die Laufbahn als Musiker entscheiden, eigentlich<br />
nicht viele Informationen darüber haben.<br />
IR: Denken wir auch mal an die andere Seite – die Bewegungskünstler,<br />
die Tänzer. Was siehst du bei deren<br />
Ausbildung? Mangelt es da in der Hinsicht, dass sie<br />
nicht in Bezug treten können zur Musik, zu zeitgenössischer<br />
Improvisation und derartigem? Wie nimmst<br />
du dies wahr, nachdem du seit ein paar Jahren Improvisationen<br />
mit Bewegungskünstlern hier in Berlin<br />
machst? Kannst du von Schwierigkeiten oder einem<br />
Mangel an Wissen sprechen, gibt es so etwas?<br />
BV: Ich weiß es nicht. Es ist schwer zu sagen. Ich denke, wenn<br />
ich einen Musiker, der ein begrenztes oder gar kein körperliches<br />
Bewusstsein und keine Improvisationsfähigkeiten hat, mit einem<br />
Tänzer vergleiche, der wiederum in Bezug auf Klang und Musik<br />
nur ein begrenztes Bewusstsein hat, dann finde ich den Tänzer<br />
immer noch etwas weiter entwickelt, weil der Klang und die Musik<br />
ohnehin ein Teil seiner Arbeit sind. Auch wenn das gar nicht<br />
angesprochen wird, ist es trotzdem da, es existiert. Aber im Musikbereich<br />
gibt es überhaupt kein Zusatzwissen dieser Art. Es gibt<br />
kein Bewusstsein für Körperlichkeit, auch hält scheinbar niemand<br />
es für notwendig, etwas darüber zu erfahren. Ich würde sagen,<br />
den Musikern mangelt es bei diesem Punkt mehr als den Tänzern.<br />
Das ist natürlich anders in den Bereichen, die etwas performativer<br />
sind, da hier die Menschen ja bereits daran interessiert sind,<br />
Kunstformen zu verbinden oder miteinander zu arbeiten. Es gibt<br />
Möglichkeiten, das herauszufinden. Für viele Musiker sind diese<br />
aber nicht zugänglich, obwohl ich denke, dass alle davon profitieren<br />
könnten.<br />
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22<br />
Tanz und seine gesellschaftliche Anerkennung<br />
23<br />
Tanzvermittlung<br />
Heike Gäßler: Was ist es, das dich immer weitermachen lässt?<br />
Ingo Reulecke: Ich denke, für mich wirklich meine Erfüllung und Liebe<br />
in diesem Bereich gefunden zu haben. Jedes Mal, wenn ich mich ein wenig<br />
entfernte, war in kürzester Zeit die Sehnsucht nach dem Bereich des Tanzes so<br />
stark, dass ich jeweils ganz schnell wieder zurückfand.<br />
HG: Was verletzt dich?<br />
IR: Immer wieder fällt es mir schwer, zu akzeptieren, dass Tanz wahrlich<br />
nur eine Marginalie im Kultur- und Kunstbereich darstellt; eine, die bestenfalls<br />
in ihren populäreren Ausprägungen ein wenig bekannt ist. Sowie wir<br />
uns allerdings davon weg bewegen, bleibt beinahe nichts mehr übrig, da es<br />
offenbar keinen verbreiteten Wissenskanon gibt. In unseren schulischen Ausbildungen<br />
spielen Bewegung – Tanz will ich hier gar nicht erst erwähnen – ,<br />
aber auch Musik und Kunst grundsätzlich nur eine untergeordnete Rolle. Da<br />
sie wesentliche Aspekte in der Entwicklung von Menschen darstellen, sehe ich<br />
an dieser Stelle eklatante Defizite.<br />
HG: Wie kann man Kindern Tanz beibringen?<br />
IR: Ich glaube, sie haben ihn schon in die Wiege gelegt bekommen. Unsere<br />
Aufgabe besteht darin, sie zu motivieren, diese Fähigkeit nicht wieder abzulegen.<br />
HG: Was will man damit bewirken?<br />
IR: Vieles und auch wiederum gar nichts. Denn im Grunde sollte es um<br />
eine Lebensfreude und einen Lebensausdruck gehen, also darum, ein Gefühl<br />
von Grenzenlosigkeit und Freiheit über den eigenen Umgang mit dem Körper<br />
und Geist zu finden. Für mich stellt es einen Ausdruck höchsten Glücks dar,<br />
wenn ich in meinem Körper wie in einem Tempel zu Hause sein darf und ihn<br />
mit Leben und Energie anfüllen kann. Beides schafft der Tanz.<br />
Heike Gäßler: Wie tanzen und bewegen sich Kinder? Was bringt ihnen der<br />
Tanz? Wie können wir Kinder damit fördern?<br />
Ingo Reulecke: Je nach Alter der Kinder geschieht dies auf sehr unterschiedliche<br />
Weise. Auf jeden Fall gibt es ein frühes Alter, in dem sich Kinder<br />
sehr unbedarft und frei bewegen oder tanzen können. Wohl denken sie noch<br />
längst nicht an Tanz und stehen sich so nicht mit irgendwelchen Überbauten<br />
im Weg. Es ist ein unbedarftes Bewegen jenseits von Kategorien und Wertmaßstäben.<br />
Diesen Zugang verlieren Kinder dann leider aufgrund ihrer weiteren<br />
Entwicklung. Wir können sie nur ermutigen, an dieser früh erfahrenen<br />
Glücksquelle des unbedarften Tanzes weiterhin dran zu bleiben. Ihn in gewisser<br />
Weise wiederzufinden und sich somit ein Stück weit von unseren Konditionierungen<br />
freizumachen. Da Bewegung bekanntlich in jeder Hinsicht die<br />
beste Medizin ist, scheint es selbstverständlich, dass eine so mannigfaltig stimulierende<br />
Bewegungsform, wie sie der Tanz darstellt, für jedes Alter prädestiniert<br />
ist.<br />
HG: Wie kann man über Tanz sprechen oder schreiben?<br />
IR: Auf alle Fälle bin ich über die inflationäre Schreiblawine im Bereich<br />
des Tanzes sehr froh. Es war ein wesentlicher Schritt, dass sie einsetzte und<br />
dabei half, den Tanz zu kontextualisieren. Somit können wir uns nun auch auf<br />
dieser Ebene dem Tanz annähern und wahrlich über die unterschiedlichsten<br />
Themenfelder lesen und Wissen aneignen. Selbstverständlich wird über diesen<br />
Weg ein vorwiegend theoretisches Wissen geschaffen, welches nur bedingt<br />
der Verkörperung hilft. Hierfür ist der Schritt der Praxis unabdingbar und die<br />
naheliegendste Möglichkeit, etwas zu verkörpern.<br />
HG: Wie lernt man Tanz?<br />
IR: Ich denke, tanzen lernt man über das Machen. Die Frage ist dann sicherlich,<br />
welche Tanzform es sein soll und wie man sich dieser annähern kann.<br />
Aber wenn beispielsweise Kinder ihrem Bewegungsdrang einfach folgen würden<br />
und sich nicht von der Trägheit in unserer Gesellschaft demotivieren lassen<br />
würden, zudem in ihrem Drang stärker ermutigt würden, kann ich mir gut<br />
vorstellen, dass sie relativ schnell ihre Art des Tanzens finden könnten. Diese<br />
wäre dann gegebenenfalls relativ weit von kodifizierten Formen unterschie-<br />
110 111
den und hätte wohl auch keinen Anspruch auf technische Prämissen. Welche<br />
dann wiederum trainiert werden müssten.<br />
HG: Kannst du davon ausgehen, dass der Tanz eine grundlegende Bereicherung<br />
im Leben von Menschen darstellt? Wenn ja, wie würde deine pädagogische<br />
Hinführung aussehen?<br />
IR: Eine Vision wäre, dass die Menschen, die sich ihrem Körper über<br />
Tanz und Bewegung mehr zuwenden, ein anderes positiveres Lebens- und<br />
Körpergefühl entwickeln. Das birgt mit Sicherheit Gesundheitsaspekte in<br />
sich, aber auch eine insgesamt aktivere und energetischere Konstitution.<br />
Der Körper lässt sich als ein Instrument begreifen, welches im Einklang mit<br />
Geist und Seele funktioniert, und wenn ein Teil nicht gleich behandelt wird,<br />
leiden die anderen Anteile darunter. In dieser Hinsicht muss die gegenseitige<br />
Abhängigkeit im Dreischritt zwischen Körper, Geist und Seele betrachtet<br />
werden. Darüber hinaus entwickeln sich in einem regelmäßigen Tanztraining<br />
mannigfaltige Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ich als eine Bereicherung im<br />
Wachstum eines jeden Menschen ansehen würde. Um einige davon aufzuzählen:<br />
Beweglichkeit, Kondition, Feinmotorik, Balance, Koordinationsfähigkeit,<br />
Raumbewusstsein und so weiter. Ich meine, es sind Anfänge getan, und in einem<br />
Teil der Bevölkerung wächst ein Bewusstsein dafür, aber dies scheint mir<br />
bei weitem nicht genügend. Denn so gibt es sehr viele Menschen, die nie wirklich<br />
einen Zugang gefunden haben und über die unterschiedlichsten Umstände<br />
außen vor bleiben. Wie können diese Menschen wieder hineingenommen<br />
werden?<br />
24<br />
Tanzausbildung und somatische Techniken<br />
Ingo Reuleckes Gedanke geht auch dahin, dass man die allgemeine Ausbildung<br />
verändern und bereits in frühen Jahren Kinder an die Thematik heranführen<br />
sollte. Gerade für Kinder könnten ganz andere pädagogische Konzepte<br />
entstehen, die auf die Vermittlung von Tanz hin ausgerichtet wären. Die heutigen<br />
Kinder und Jugendlichen, die in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt<br />
sind und kaum mehr ganzkörperlich agieren, sondern viel sitzen und<br />
auf Handaktivitäten fokussiert und reduziert sind, könnte man ganz spielerisch<br />
und kindgerecht an die unterschiedlichen Tanzformen heranführen.<br />
Im Gegensatz zu diesen äußerlich formal-motorischen Standardisierungen<br />
findet bei den somatischen Techniken eine Art von Innenschau statt, die<br />
von zentraler Bedeutung ist. Sie ermöglicht das Öffnen von inneren Räumen,<br />
erlebt und entwickelt das innere Selbst und stellt eine Verbindung zu einem<br />
tieferen Wesenskern her. Zudem wird eine andere Kraft generiert, wie zum<br />
Beispiel beim Überhängen in der Susan-Klein-Methode. 15<br />
Die von der Klein-Methode oder Alexander-Technik und anderen somatischen<br />
Praktiken durchzogenen zeitgenössischen Tanztechniken beginnen<br />
häufig auf dem Boden. Somit kann eine konstruktive Ruheposition ermöglicht<br />
und damit eine größere Auflagefläche für den Körper geschaffen<br />
werden. Diese Methoden helfen dabei, die Beckenmuskulatur zu lösen, den<br />
Rücken zu entspannen und diesen sich ausdehnen zu lassen, verbunden mit<br />
der Atmung. Dadurch wird die Rückseite des Körpers präsent. Außerdem bewirkt<br />
die bewusste Arbeit mit Kopf, Hals und Torso, den Nackenbereich zu lösen.<br />
Sichtbar wird dieses Arbeiten dann im Ausdruck der Tanzenden. Denn als<br />
Zuschauer*in kann man wahrnehmen, wie sehr ein/e Performer*in im eigenen<br />
Körper ist, ob man voll Kraft und ungestüm ein körperliches Können zur<br />
Schau stellt oder einen ganzheitlichen Anspruch an sich hat, der zugleich auch<br />
in ein anderes Raum- und Zeiterleben führt und das eigene Selbst mehr zum<br />
Ausdruck kommen lässt. Hierbei helfen die Verlangsamung, das Parzellieren<br />
des Körpers wie das beständige, bewusste Wechseln in der Fokussierung der<br />
verschiedenen Körperzentren. Die Ganzheitlichkeit kann durch diese multizentrale<br />
Einheit erfahrbar gemacht werden. Darüber hinaus findet hierbei eine<br />
tiefe Auseinandersetzung mit sich, den eigenen Kräften, der inneren Ruhe und<br />
Kontemplation auf einer tiefen Ebene statt. Dieses Innere wird in der Präsentation<br />
nach außen getragen und den Rezipient*innen vermittelt. So bleibt die<br />
Bewegung keine hohle Geste, sondern ist zugleich durchdrungen von der Persönlichkeit<br />
des/der Tanzenden.<br />
Wenn man die somatischen Techniken, die im zeitgenössischen Tanzbereich<br />
Eingang gefunden haben, genauer untersucht, erinnern sie in vielen<br />
Punkten an Praktiken aus anderen Bereichen wie Zen und Meditation, grenzen<br />
sich aber von den spirituellen Praktiken ab und wurden in ihrer formali-<br />
15 Überhängen bedeutet hierbei, dass das Becken gekippt wird, sodass der Oberkörper nach unten und<br />
die Arme in Richtung Boden hängen.<br />
112 113
sierten Form deshalb von Künstlern wie Cunningham und Cage bevorzugt.<br />
Dennoch haben somatische Praktiken bedeutende Vorläufer, wie etwa<br />
die seit 5.000 Jahren bestehende Yoga-Tradition, die mit ihrer Forschung jedoch<br />
wesentlich umfassender und tiefgreifender ist. Die Gründer*innen der<br />
somatischen Techniken haben jeweils in einem kleinen, eng begrenzten Rahmen<br />
etwas scheinbar neu gefasst, ohne zu überprüfen oder deutlich zu machen,<br />
wo es eigentlich herkommt. Diese neuen somatischen Methoden bleiben<br />
Reuleckes Meinung nach oft bei einer zu eindimensionalen Technik stehen.<br />
Beispielsweise wird die Wirbelsäulenaktivität in der Susan-Klein-Methode<br />
nur auf die Bewegung nach vorne hin ausgerichtet. Die Dimension des Rückbeugens<br />
bleibt ausgespart, obwohl gerade diese das Beweglichkeitspotenzial<br />
der Wirbelsäule stark erhöht. Ein weiteres Problem im Einsatz dieser Techniken<br />
beim Tanz sieht Ingo Reulecke darin, dass sich ihre Überführung in den<br />
Bereich des Tanzes schwierig gestalten könnte und bei den Praktizierenden,<br />
die durch diese Techniken eine gewisse Limitierung erfahren, zur Überforderung<br />
führen kann. Dahingegen beschäftigten sich beispielsweise der New<br />
Yorker Choreograf Stephen Petronio und seine Tanzkompanie nicht nur mit<br />
der Klein-Methode, sondern öffneten sich auch für Praktiken wie Yoga, Shiatsu<br />
oder Martial Arts und verharrten nicht in einer Bewegungsform. Somit<br />
gelang ihre Synthese aus zeitgenössischem Tanz und Somatik deutlich besser.<br />
Die Dogmatisierung in den somatischen Techniken führt mittlerweile auch zu<br />
einer Formalisierung der Tanzbewegungen, so wie es zuvor schon den Techniken<br />
des Modern Dance ergangen war.<br />
In New York praktizierte Ingo Reulecke verschiedene Techniken wie<br />
Klein-, Alexander-, Release-Techniken, Yoga, Zen und Aikido. Es war zu Anfang<br />
schwer, diese in den tänzerischen Ausdruck zu integrieren. Gerade weil<br />
auch der idiosynkratische Ausdruck gefragt war und weniger Vorgaben von<br />
außen im Mittelpunkt standen. Die somatischen Techniken haben jedoch<br />
die Flexibilität hinsichtlich der Präsenz, Performativität und der Körperlichkeit<br />
insgesamt erhöht. Dennoch dauert eine Integration lange, und das Trainieren<br />
verschiedener Techniken kann aufgrund ihrer großen Unterschiede<br />
bereichernd sein oder auch zur Konfusion führen. Wenn man beispielsweise<br />
einmal seinen Fokus auf die Alexander- oder Klein-Technik richtet, dann<br />
provoziert dies jeweils andere Bewegungsformen und eine unterschiedliche<br />
Zeit-Raum-Dimension. In der Praxis der Instant Compositions gibt es hier<br />
viele Möglichkeiten, um zu spielen. Ein gutes Beispiel für die Überführung<br />
der Praktiken in den Tanz und in die Dreidimensionalität des Raumes ist die<br />
Arbeit des Tänzers und Choreografen Jeremy Nelson 16 , der mit seiner akribischen<br />
Praxis der Klein-Methode eine gelungene Übersetzung gefunden hat,<br />
trotz der starken Begrenzung des Repertoires. Auch Gill Clarke 17 ließ eine größere<br />
Offenheit und Weite zu, indem sie mehrere Methoden adaptierte und für<br />
sich nutzte.<br />
Mit der Zeit wachsen das mentale Verständnis, das Körperverständnis<br />
und die Flexibilität. Gus Solomons 18 , der sowohl für Merce Cunningham<br />
als auch für Martha Graham und in der Judson Dance Theater Company<br />
getanzt hatte, ist ein gutes Beispiel hierfür. Er musste eine enorme Flexibilität<br />
besitzen, um den Spagat zwischen den äußerst verschiedenen Tanzstilen<br />
leisten zu können. In der jetzigen Tanzgeneration gibt es zunehmend mehr<br />
Praktizierende, die an diesem Punkt weiter forschen und herausfinden wollen,<br />
was das für eine Größe ist, die sie hier generieren. Diese besondere Präsenz<br />
oder Wachheit entspricht in etwa der Energie, wie sie im Zen oder in anderen<br />
Meditationstechniken, über das Sitzen, das bewusste Atmen und sich sammeln<br />
zustande kommt. Auch wenn man vermutlich nicht die tiefen Muskelgruppen<br />
zu entspannen vermag oder eine große Beinfreiheit erreicht, wie sie bei der<br />
Arbeit an der Verbindung von Torso und Extremitäten erlangt werden kann<br />
und womit das Becken als Motor der Bewegung ausgespart wird, so wird<br />
dennoch eine andere Form von Bewusstheit und Verbindung mit sich selbst<br />
ermöglicht an der Schnittstelle von Atem, Energie und Selbstkultivierung.<br />
Dieses Herunterdimmen der Konzentration auf minimale Prozesse schafft<br />
einen besonderen Zugang, eine Tiefendimension der Selbstwahrnehmung.<br />
Mit dieser Konzentrationsfähigkeit kann man viel erreichen.<br />
16 Jeremy David Nelson ist Tänzer, Choreograf und Lehrer. Siehe hierzu: Jeremy Nelson, http://www.<br />
jeremynelsondance.org, letzter Aufruf am 11.5.2021.<br />
17 Gill Clarke (1954-2011) war eine der führenden zeitgenössischen Tänzerinnen ihrer Generation.<br />
Besonders setzte sie sich für den Independent-Bereich des Tanzes ein. Siehe hierzu: Rosemary Lee und<br />
Siobhan Davies: Gill Clarke, https://www.independentdance.co.uk/people/gill-clarke, letzter Aufruf<br />
11.5.2021.<br />
18 Gus Solomons Jr. (* 27. April 1940) ist ein US-amerikanischer Tänzer, Choreograf, Tanzkritiker und<br />
Schauspieler. Er ist eine der führenden Figuren im Bereich des postmodernen und experimentellen Tanzes.<br />
1972 gründete er die Solomons Company/Dance, deren Repertoire aus detailreichen und analytischen<br />
Kompositionen bestand, die als „geschmolzene Architekturen“ konzipiert waren. 1996 gründete<br />
er zusammen mit Carmen deLavallade und Dudley Williams das Performance-Ensemble PARADIGM.<br />
Siehe hierzu: PARADIGM: Biographies, https://www.paradigmdancenyc.org/company, letzter Aufruf<br />
11.5.2021.<br />
114 115
Steve Paxton 19 praktizierte, inspiriert durch Cunningham und Cage,<br />
ausgiebig Tai Chi, Aikido und Zen, was sich in seinem Ausdruck und seiner<br />
Körperlichkeit deutlich bemerkbar machte. Er war ein Verfechter davon – anstatt<br />
ein mehrstündiges Tanztraining zu praktizieren – , mehr in diese Wachheit<br />
und Bewusstheit zu investieren, um einen ähnlichen körperlichen Nutzen<br />
und darüber hinaus noch ein anderes Lebensgefühl sowie eine tiefere Ruhe<br />
und Ausgeglichenheit zu erlangen.<br />
Der Umgang mit der somatischen Praxis hat noch einen weiteren Vorteil.<br />
Mit diesen Techniken zur Förderung von Flexibilität und dem damit einhergehend<br />
verbesserten Körperverständnis reduziert man auch seine Verletzungsgefahr<br />
und die Schmerzen, die der Tänzer*innen-Beruf mit sich bringen<br />
kann. Man kann größere Risiken eingehen, hin zu einer starken Körperlichkeit,<br />
ohne sich schnell zu verschleißen, wie es bei jungen Tänzer*innen häufig<br />
vorkommt. Gerade auch die Dauer der Tanzkarriere und das generelle körperliche<br />
Wohlbefinden verbessern sich. Und die Techniken bieten neben der<br />
besseren Präsenz und der Selbstverständlichkeit für das eigene Sein eine gute<br />
Prävention.<br />
Im Bereich der somatischen Techniken verfügt Body Mind Centering 20 noch<br />
über eine weitere Dimension: Hier geht man nicht nur auf den Bereich der<br />
Knochen oder des Nervensystems ein, sondern auch auf die inneren Organe<br />
und Drüsen, und lässt damit das Möglichkeitsfeld, in welches man eintauchen<br />
kann, anwachsen. Immer wieder wird in Tänzer*innen-Kreisen thematisiert,<br />
dass sich Tanztechniken in den Körper einschreiben. Aber es schreibt sich<br />
letztendlich alles in den Körper ein, auch Techniken wie beispielsweise die<br />
von Alexander oder Klein. Damit lässt sich, wenn man eine Offenheit für diese<br />
Methoden bewahrt, sehr gut arbeiten. Als hybride Vorgehensweise kann man<br />
beispielsweise zwischen Vorgaben, strukturierten Improvisationen und somatischen<br />
Ansätzen, gepaart mit Tanztechniken, hin und her springen.<br />
Ingo Reulecke lehrt im Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin<br />
sowie in anderen Zusammenhängen angewandte Anatomie in der Improvisation<br />
und verbindet einen Release-Ansatz mit Tanztechniken. Er vermittelt<br />
Methoden der Real Time Composition, welche auf somatische Praktiken<br />
zurückgehen. Er stellt die Judson Dance Theater-Bewegung vor wie auch die<br />
Kompositionstools von Trisha Brown 21 mit ihren Structured Pieces und Accumulations,<br />
ebenso werden Steve Paxtons Arbeiten in den Fokus gerückt. Mit<br />
den historischen Produktionen zeigt Reulecke auf, wo und wie die somatische<br />
Praxis im Tanz Eingang findet.<br />
19 Steve Paxton ist experimenteller Tänzer und Choreograf. In den Siebziger und Achtziger Jahren entwickelte<br />
er die Tanzformen Contact Improvisation und Material for the Spine. Siehe hierzu: Foundation<br />
for Contemporary Arts: Steve Paxton, https://www.foundationforcontemporaryarts.org/recipients/<br />
steve-paxton, letzter Aufruf 11.5.2021.<br />
20 Body-Mind-Centering ist ein integrierter und verkörperlichter Ansatz zu Bewegung, Körper und<br />
Bewusstsein. Entwickelt von Bonnie Bainbridge Cohen, ist es eine Erfahrungsstudie, die auf der Verkörperung<br />
und Anwendung anatomischer, physiologischer, psychophysischer und entwicklungsbezogener<br />
Prinzipien basiert, unter Verwendung von Bewegung, Berührung, Stimme und Geist. Ihre Einzigartigkeit<br />
liegt in der Spezifität, mit der jedes der Körpersysteme persönlich verkörpert und integriert werden<br />
kann, in der grundlegenden Arbeit mit Entwicklungsmustern und in der Verwendung einer körperbasierten<br />
Sprache zur Beschreibung von Bewegung und Körper-Geist-Beziehungen. Siehe hierzu auch:<br />
Body-Mind-Centering, https://www.bodymindcentering.com/, letzter Aufruf 4.5.2021.<br />
21 Trisha Brown (1936-2017) war eine Choreografin und Tänzerin. Ihre Structured pieces gehören zu<br />
einer Werkphase von ca. 1973-1976, in der sie in der Regel eine Hauptidee für eine choreografische<br />
Arbeit verwendete. Die Accumulations gehören ebenfalls in diese Werkphase. Sie spielte hier mit dem<br />
vielfältig variierbaren Akkumulationsverfahren. So wird zum Beispiel eine Bewegung wiederholt und<br />
eine weitere angehängt, dann werden beide Bewegungen wiederholt, und abermals wird eine neue Bewegung<br />
angehängt. Bis möglicherweise eine lange Bewegungsphrase entstanden ist. Dieses Verfahren<br />
wurde auch häufig in Vorstellungen improvisiert. Siehe hierzu auch: Trisha Brown Dance Company,<br />
https://trishabrowncompany.org/trisha-brown/biography, letzter Aufruf 4.5.2021.<br />
116 117
25<br />
VERSUCHSANORDNUNG 6<br />
Dietmar Kirstein, Ingo Reulecke, Heike Gäßler,<br />
Carlos Bustamante, Peter Zwick<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Set I – Dokumentation<br />
10.2.2014<br />
Halten des Atems – eckiges langsames Vor und Rück. Die Arme steif.<br />
Angelehnt an Rundbühne. Intervention Klang. Stille vorherrschend.<br />
Töne treiben zum Schritte gehen. Untersuchung des Bodens mit Händen,<br />
Ellbogen, Unterarm. Abmessungen. Mittlere Ebene.<br />
Vom Klang heimgesucht: Schraube einzeln. Das Bein rückwärts ausgestellt,<br />
während der Körper sich verwringt – rechts, links.<br />
Neben Klavier. Sich selbst suchend. Kniestand loslassen. Zum<br />
Ebenenwechsel tief und kleine Zwischenschnecke. Verharren kurz.<br />
Niederfallen längs gestreckt. Armabmessung in den Himmel hinein und<br />
Stuhlbefühlung – geleitet.<br />
Klangresistentes Weiterbewegen hinters Klavier. Wanddrehung. Raumenge<br />
verbunden mit Klangpartner, ihn umkreisend. Abstützen. Beflügelung durch<br />
Hand. Vorgleiten, Eckbeugen heizkörperverliebt.<br />
Suchender Blick nach oben, den Raum öffnend in den Himmel hinein.<br />
Stille auskostend durch Wandkratzen. Beine auseinandertreiben.<br />
Rückwärts fließen mit Schleifrauschen. Feines Querdrehen. Langsam<br />
verharrendes fließendes Gleiten, rückwärts ziehen, beugen an Wand.<br />
Klang treibt zur Bewegungslosigkeit. Tief geknicktes seitwärts Hangeln.<br />
Abtauchen in untere Ebene schrittweise. Käferhaltung langsam aus Tiefsee<br />
kommend. Verschränkte Arme. Stillstand beim Klavierakkord. Stille<br />
nach Ton ausnutzend, um Konzentration auf Körper zu stärken. Kleines<br />
Verdröseln von Schultern, Händen und Armen. Schulterspiel hochgezogen.<br />
Mundausdruck: neugierig fest. Halbtauchen des Oberkörpers. Rechter Arm<br />
wedelt locker.<br />
Nacken reckt sich rechts, links. Einsinkendes Aufrichten. Flügelnah auf<br />
Linie gezogener Gang rückwärts. Verharren. Strömendes Verzahnen von<br />
Eckbewegungen im Oberkörperbereich. Ablegen des Kopfes, Schräglage<br />
auf Bühnenrand anlehnen. Entlanghangeln des Kopfes, Armunterstützung.<br />
Klopfarm mit Klavierherzbegleitung. Fugen testend in Vorbeugehaltung.<br />
Totalversenkung. Selbsteinzwängung – herauslösen der Hände.<br />
Vorwärtszuckeln klebend am Boden, nicht loskönnen, festgeklemmt.<br />
Aufrichtschwierigkeit, Kopf tiertauchendes Vorwärtsruckeln. Unter den<br />
Klang sich bewegen, Eckanschmiegen unter dem Flügel, Anschmiegversuche,<br />
sich rauslösen zur Wand. Vorwärts gebeugt, Kopf zur Erde gerichtet, schwer.<br />
Heizungssitzen, rückziehen.<br />
Set II – Interpretation<br />
Heizlüfterwärmen am Klang<br />
Niederstreckungsfließen<br />
Flügelschlag gen Himmel.<br />
Abwinktaucher niederbeugstauben<br />
Leisetretcowboy<br />
Flügelumspülen<br />
versteckgaukeln<br />
Labyrinthtummeln<br />
Wandfleckanbeten<br />
Klaviercopyrasten<br />
murmelschweben.<br />
Niederliegversucher<br />
Knick Eck<br />
Verkrustungsposieren,<br />
Beugebummeln<br />
Heizreinigungsschieben<br />
Kleinarmverhuscher, Trageschultertuscheln<br />
118 119
einverrenkbeinstülpen<br />
Schnelldrehpausenwinkler, ruckkratzhandaufrichten<br />
Gummizug<br />
Steigewandhangeln, kehrvorwärtsdrängen, Kopfverarztzwängeln<br />
Klanggefängnisprüfer<br />
Tauchkopfeinziehen, Huschmumeln<br />
Spinnweben entwirren, niedersinken, Leck kuscheln<br />
zitterflügeln, absinksterbflutschen, Mundruckbrise<br />
Rückenschlängeln, schlagverrückeln, rutschbahnen<br />
Klapppappwedel<br />
Gorillafassen<br />
Lichtanbetungsbein mit Himmelkopfglotzer<br />
Streckhuschreden, Mitteilhandzwängen<br />
Reinverklemmungsrumpeln<br />
aufrichtfletschen<br />
nervöseckzappeln<br />
Flügelreichstand<br />
niederbeugen, spinnwirrtreiben, freispielausbrechen<br />
niederklopsen<br />
Musikverstärker, Tonquaster<br />
schluckknippeln, leichtluftströmen<br />
fliegentreibfusseln<br />
schraublockerzappeln, maschinenbaudrehen.<br />
Knickrückensuchen, Achselkrummeln<br />
leichtfußperlen<br />
Stillemomentsucher<br />
klangloskurbeln, stauklangstrecken<br />
Wassertauchweichheit<br />
feinstoffbefühlen, Beidhandziehziseln<br />
Eckausdehner, Sprungumkehrverrücker<br />
einziehschneckeln, schnellspulquirlen, wandnahbürsten<br />
abwedelklingen<br />
Schleichvorsichtigkeit fließend.<br />
Rückblick auf Set I – Herausforderndes Zusammenspiel<br />
Mit gehaltenem Atem steht er da, die Schultern nach oben gezogen. Ingo<br />
Reulecke setzt langsam ein, tastet sich zart in einer Art Stillemodus voran,<br />
lang stehende Figuren zeichnend. Die Gesten und Schritte sind ruhig<br />
und verhalten. Aus der Ruhe gerissen von kurzen schweren Akkorden,<br />
nutzt er das danach eintretende tiefe Schweigen, als zentralen Augenblick<br />
des Gestaltens, dringt mit seinen Körperzeichnungen in sakrale Stille<br />
vor. Er vermittelt ein kontrastierendes Schweben und Traumtauchen.<br />
Gehaltene Formen lösen sich auf im fein gesetzten Übergang mit<br />
Kleinstveränderungen von Haltung und Anordnung. Seine Luftzeichnungen<br />
sind fein verbunden mit den Bewegungsströmen der Staubpartikel im<br />
Raum. Der Tanz verdichtet sich zu einem engen Umspielen des Flügels als<br />
akustischen Partner und gestaltet wiederkehrende Variationen ausgedehnter<br />
Kopfüberhängepositionen.<br />
Die Musikeinsätze kontrastierend oder sie umspielend wählt Ingo Reulecke<br />
seine Wege entlang des Flügels. Er lässt sich vorwärts treiben zur Heizung,<br />
nutzt diese als Spielgebilde und abstrakte Form ebenso wie Instrument und<br />
Musiker, die er in seine kommunikativen Bewegungsgesten und in seine<br />
Erforschung des Raumes mit einbezieht, umschmeichelt und umspielt.<br />
Umecklebendigkeit<br />
drehhändeln<br />
Unsicherheitsfuchteln<br />
Stilleauskostgehen<br />
Kleinspielwandeln.<br />
120 121
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 6 – Set I – https://vimeo.com/917173599<br />
Versuchsanordnung 6 – Set II – https://vimeo.com/915516553<br />
122 123
26<br />
INTERVIEW<br />
Dietmar Kirstein, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
10.2.2014<br />
Heike Gäßler: Wie hast du die Improvisation erlebt?<br />
Was hat sich für dich hergestellt?<br />
Dietmar Kirstein: In dem ersten<br />
Set habe ich mich sehr einsam<br />
und sehr mit mir beschäftigt gefühlt.<br />
Diesen lang ausklingenden<br />
Moment habe ich sehr genossen<br />
und bis zu einem Schmerzgefühl<br />
durchgehört. Die Enden habe<br />
ich ebenfalls ausgehört, speziell<br />
in Verbindung zu dem Raum,<br />
dem Gemeindesaal.<br />
HG: Und die zweite Session?<br />
DK: Das war eine andere Konstellation.<br />
Wobei ich hier mit dem Material umgegangen bin – was<br />
ich mir vorgenommen hatte – mit Konstellationen, die ich neu<br />
herstellte. Da habe ich mich nicht um die langen Aushaltzeiten gekümmert,<br />
sondern bin in die einzelnen Pattern hineingegangen<br />
und habe die kleinen Aggregate geschichtet, rhythmische Änderungen<br />
vorgenommen, aber auch tonlich einiges verändert.<br />
HG: Wie hast du die Zeit während der beiden Sets<br />
wahrgenommen?<br />
DK: Mit der ersten Konstellation, die für mich selbst neu war, denn<br />
das hatte ich so noch nicht gespielt, auch nicht im Zusammenhang<br />
mit Ingo, da waren die Pausen schon voller Überlegungen: ‘Ist das,<br />
was du jetzt hier machst, richtig? Zählst du lange genug aus? Lässt<br />
du wirklich genug Raum?’ Also ein Ding, was eher im Kopf abläuft<br />
als mit der Tastatur.<br />
HG: Wie war das im Vergleich zur zweiten Session?<br />
DK: Wenn man mehr mit dem Material beschäftigt ist und mehr<br />
auf den Tänzer schaut, wenn also eher die dramaturgischen Prozesse<br />
ablaufen, ist die Zeit für mich natürlich geraffter. Im ersten<br />
Teil sollten diese Prozesse allerdings ausgeschaltet bleiben.<br />
HG: Was verstehst du unter Instant Composition<br />
oder Real Time Composition?<br />
DK: Dass Neues im Moment geschaffen wird.<br />
HG: Und war das so für dich?<br />
HG: Welche?<br />
DK: Also mal davon abgesehen, dass ich dieses besondere Setting<br />
mit den vorgegebenen Patterns hatte, diese Kombination und den<br />
zeitbezogenen Zusammenhang, der mir hier frei zur Verfügung<br />
stand, hat dies für mich schon eine neue Komponente gebracht.<br />
DK: Einmal das Ringen mit der Zeit und dann diese Auswahl der<br />
Patterns, die schließlich der Verstand produziert.<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Moment?<br />
DK: Für mich ist es eher ein Gesamtblock, mit dem ich agiere.<br />
Diese zwanzig Minuten sind für mich der Moment, und nicht die<br />
einzelnen Teile.<br />
124 125
HG: Wie schaffst du es, innerhalb der zwanzig Minuten<br />
Blocks zu kreieren?<br />
DK: Es laufen da Prozesse ab, die mit dem Material zusammenhängen,<br />
das ich benutze. Vieles ist rhythmisch mathematisch, was<br />
da abläuft. Wenn man einen Viervierteltakt hat, hat man ein, zwei,<br />
drei und vier Viertel, aber man hat natürlich auch acht Achtel oder<br />
die Sechzehntel und Zweiunddreißigstel. Da sind viele Kombinationen<br />
möglich. Ich denke eher kombinatorisch.<br />
HG: Gibt es dabei Höhepunkte für dich, oder versuchst<br />
du in dem gleichen Fließen zu bleiben, oder<br />
gibt es eine Struktur, die du dir selber aufbaust?<br />
DK: Das kommt darauf an. In dem ersten Teil, den wir uns vorgenommen<br />
haben, bei dem ich einen Zusammenhang von Non-Dramaturgie<br />
haben wollte, habe ich mich ganz bewusst so strukturiert,<br />
dass ich aus der Affäre bin. In unserem zweiten Set war es anders.<br />
Da habe ich mehr in einem dramaturgischen Zusammenhang gedacht:<br />
Aufbau, Durchführung. Spannung und Entspannung. Ich<br />
bin, so wie ich Musik auffasse, kein Freund davon, dramaturgische<br />
Verhältnisse, die mich sehr an europäische Kunstmusik denken<br />
lassen, immer zuzulassen. Ich gehöre ganz gerne zu den Leuten,<br />
die dies durchbrechen oder negieren.<br />
HG: Und wie geht das?<br />
DK: Indem man es einfach unterlässt. Für mich ist es so, dass ich<br />
mir Aufgaben stellen muss, um nicht in diese Zusammenhänge zu<br />
kommen. Ich muss auch einschränken: was wir hier gemacht haben,<br />
ist immer zusammen mit Ingo. Da gibt es Zusammenhänge,<br />
die wirken, und solche, die nicht wirken.<br />
HG: Gibt es bei diesen Zusammenhängen spezifische<br />
Gestaltungstechniken, die du näher beschreiben<br />
könntest?<br />
DK: Wir kennen uns auch schon so lange und so gut, dass man<br />
bestimmte Sachen auch negieren oder ausschalten muss, um sich<br />
wieder neu aufzustellen oder neue Konstellationen zu finden. Das<br />
ist mir auch immer wichtig. Also, dass der Geist beweglich bleibt.<br />
HG: Hast du beim ersten und dann später beim zweiten<br />
Set die Impulse eher gegeben oder empfangen?<br />
Oder war es eher ein Wechselspiel?<br />
DK: Das wechselt sich ab.<br />
HG: Und war das in beiden Sets ganz ähnlich mit dem<br />
Wechselspiel?<br />
DK: Nein, das kann man nicht sagen. Dafür war der erste Part<br />
schon sehr isoliert. So würde ich das beschreiben. Ingo wusste<br />
nicht, was auf ihn zukommt. Das hatte schon ein Alleinstellungsmerkmal.<br />
Für mich war das neu, diesen Text zu spielen. Es war<br />
schon die Konstellation gegeben, dass wir zwei ganz unabhängige<br />
Sachen zusammenführen.<br />
HG: Spielt deine innere Verfassung eine wichtige<br />
Rolle oder bist du eher im Außen mit deiner Wahrnehmung<br />
und der Gestaltung des Moments?<br />
DK: Sicherlich spielt die Verfassung immer eine Rolle. Aber wenn<br />
ich so einen Zusammenhang habe und mit Ingo etwas machen<br />
darf, dann sind irgendwelche Probleme einfach weg. Das ist wie<br />
auf einer Bergtour in einem schwierigen Zusammenhang. Wenn<br />
mir dann ein Bein weh tut, nehme ich das einfach nicht wahr.<br />
HG: Welche Bedeutung haben Pausen für dich?<br />
DK: Pausen sind eine absolut wichtige Angelegenheit, da sie die<br />
Struktur einfach mehr vorgeben und eine Offenheit für mich wie<br />
auch einen Zusammenhang mit dem Tanz ermöglichen. Sie sind<br />
extrem wichtig für die Menschen, die zuhören und zusehen. Mit<br />
der Zuballer-Methode habe ich ein Problem, da diese langweilig ist.<br />
126 127
HG: Was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
DK: Im besten Fall müssen sie eins werden. Es gibt immer nur<br />
diese wenigen Möglichkeiten: entweder nehme ich die Sache an<br />
oder nehme sie nicht an, oder ich verhalte mich absolut neutral.<br />
Alle drei Möglichkeiten sind wichtig und machen etwas.<br />
HG: Kommunizierst du mit dem Raum? Welche Bedeutung<br />
hat der Raum für dich?<br />
DK: Raum ist natürlich unglaublich wichtig für die ganze Beschaffenheit<br />
– einmal für die Beschaffenheit des Instruments und dann<br />
für die Beschaffenheit meiner Seite, also dem, was ich Ingo zu geben<br />
oder nehmen vermag.<br />
HG: Und wie war das heute für dich mit diesem Raum?<br />
DK: Ich kenne den Raum, und ich fühle mich hier sehr wohl.<br />
Wenn hier beispielsweise zwanzig Leute wären, wären die Soundverhältnisse<br />
für mich noch klarer. Hier ist mir im Moment fast zu<br />
viel Nachhall. Wenn der Raum ein bisschen trockener wäre, wäre<br />
es vielleicht noch angenehmer. Aber man stellt sich natürlich immer<br />
sofort darauf ein und spielt auch damit und sollte auch seinen<br />
Spass dabei haben, auch mit solch einem langen Nachhall.<br />
HG: Kannst du beschreiben, wie du jetzt damit gespielt<br />
hast? Kannst du das ein wenig differenzieren?<br />
DK: Das Wichtigste ist die lange Aushaltzeit, dass man wirklich<br />
in einen Klang hineingeht und hört, was mit ihm passiert, wie er<br />
sich verändert, wie er sachter wird, wie er bröckeliger wird, wie er<br />
vielleicht verendet.<br />
HG: Welche Schwierigkeiten hattest du bei der Improvisation?<br />
DK: Beim ersten Setting hatte ich Schwierigkeiten, dieses System,<br />
das ich mir auferlegt habe, auch wirklich durchzuführen, mit diesen<br />
Pausen und mit diesen sehr eisigen, einzelnen Patterns, die<br />
es da gab. Ich will gar nicht mal sagen, diese zu verbinden. Das<br />
war auch gar nicht meine Idee, sondern sie einfach zu setzen, das<br />
war die Schwierigkeit. Im zweiten Set kommt es einem als Musiker<br />
auch wesentlich entgegen, wenn man freier mit dem Material<br />
umgehen kann. Ich sage mal, manchmal stört es mich, Musiker zu<br />
sein und diese ganzen Vorprägungen zu bemerken, die ich habe.<br />
HG: Führt dich die Real Time Composition in eine<br />
andere Ebene, in ein anderes Erleben der Wirklichkeit?<br />
Und wenn ja, in welche?<br />
DK: So ein Setting ist immer eine andere Wirklichkeit, eine Ausnahmesituation,<br />
wie eine Seefahrt bei Windstärke 10 oder so.<br />
HG: Ist das eine Tortur?<br />
HG: Was siehst du?<br />
DK: Nein, das muss noch keine Tortur sein. Es ist eine Ausnahmesituation.<br />
Und so versuche ich mich da auch hinein zu begeben in<br />
die Ausnahmesituation, die neue Maßnahmen erfordert und mich<br />
woanders hinbringt. Also der Körper schaltet sich da ein bisschen<br />
aus. Es ist erstmal Hören und Sehen.<br />
DK: Ich muss mich natürlich erstmal auf Ingo einstellen und hören,<br />
was da abläuft. Da kommen ganz viele Dinge aus der Vergangenheit,<br />
der Erfahrung und dem eigenen Musikerdasein zusammen.<br />
HG: Und wie fühlst du dich hinterher?<br />
DK: Also meistens ziemlich gut, wenn ich nicht meine, ich hätte<br />
vollständigen Murks gemacht, was man nie ausschließen kann.<br />
HG: Gibt es etwas, was du noch erzählen möchtest zu<br />
den beiden Sets?<br />
128 129
DK: Da ist nur zu sagen, wenn man mit dem richtigen Tänzer zusammenarbeitet,<br />
ist es eine tolle Ausnahmesituation. Es ist eine<br />
Angelegenheit, die ich sogar noch über die Arbeit mit einem anderen<br />
Instrumentalisten stellen würde.<br />
27<br />
Sound und Bewegung<br />
Heike Gäßler: Wie ist die Verbindung von Sound und Bewegung? Was können<br />
die Performer*innen, also die Musiker*innen wie Tänzer*innen tun, um<br />
wirklich in Verbindung zu sein?<br />
Ingo Reulecke: Nach meiner eigenen Improvisationserfahrung mit Musiker*innen<br />
erlebe ich zumeist, dass eine größere Dominanz von den Musiker*innen<br />
ausgeht. So setzen sie in der Regel den Start einer Improvisation und<br />
dominieren dann häufig auch schon mit dem Beginn die Tänzer*innen. Das<br />
setzt selbstverständlich einen wesentlichen Ton, der nicht zu unterschätzen<br />
ist und den weiteren Verlauf bestimmt. Hieran würde ich gerne arbeiten und<br />
darüber langfristig eine Veränderung bewirken! Hier müsste beispielsweise<br />
auch der Sound der Tänzer*innen mitbedacht werden, die Fußgeräusche, die<br />
Atmung, stimmliche Angebote, sodass die Tänzer*innen auch auf dieser Ebene<br />
den Sound bewusst wahrnehmen und mitgestalten können. Man sollte die<br />
anderen, egal ob Musiker*innen oder Tänzer*innen, jeweils im Prozess mitdenken.<br />
Ich denke, hier setzt das Vernehmen und Erspüren des Gegenübers<br />
an. Wirklich zuzuhören, ist eine wesentliche Größe dabei und kann dann in<br />
der Umsetzung dazu führen, unterschiedliche Strategien zu entwickeln. Wie<br />
direkt oder indirekt reagiere ich? Kann ich mit der Hemmung des direkten<br />
Impulses umgehen, respektive wann ist ein direkter Impuls notwendig? Auf<br />
welche Sounds reagiere ich, und wann reagiere ich nicht? Ich sollte mir in jedem<br />
Moment bewusst darüber sein, ob primär die Musiker*innen die Impulse<br />
und Akzente setzen oder es zur Gleichberechtigung kommt? Was triggert die<br />
Musiker*innen in Relation zu den Tänzer*innen, worauf reagieren sie? Können<br />
sie ebenfalls mit der Inhibition umgehen? Wie ist die Relation von Sound<br />
und Bewegung in der Arbeit, und ist der Raum dabei für alle Beteiligten vorhanden?<br />
Wenn ja, in welcher Ausprägung?<br />
130 131
28<br />
VERSUCHSANORDNUNG 7<br />
Michael Thieke, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Bewegungsraum EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
17.2.2014<br />
Set I – Dokumentation<br />
Schlucken<br />
Die Hände gefaltet auf Stuhl sitzend. Fuß dreht einwärts, auswärts<br />
Mund gepresst<br />
Ellbogen lehnen sich gemütlich auf Oberschenkel zu gleichmäßigem<br />
Knattertippenklang<br />
Hände gefaltet, Rücken nieder- und hochgereckt, schräger werden nach hinten<br />
seitlich drehend, die Arme hoch nach oben geführt<br />
Beine tasten sanft nach vorne – hoch, runter<br />
Stille.<br />
Verharren.<br />
Hand öffnet, entlässt die andere – zieht weg<br />
Knie zieht nach oben in den Raum hinein, setzt ab<br />
Oberkörper gebeugt. Blick sucht den Boden<br />
Armabstützendes Aufstehen. Hand lenkt in den Raum hinein. Setzt ab.<br />
Andere Schulter nach unten ziehend, niederkniend<br />
Hand tastet Stuhl ab. Wegbewegen und zurück, niederhängend seitlich<br />
Feine Drehung des Oberkörpers. Blick zur Decke mit rückwärts rücken<br />
Schweres Ziehen der Bewegung langsam, langsam<br />
Verharren mit Stille.<br />
In sich gesunkenes Zusammenzwicken, Hände gedreht<br />
rundrücken gen Boden.<br />
Vorwärts gleiten langsam. Oberkörper auf Knie<br />
Hochgezogene Verkreuzung der Beine. Abdrehen, im Kreis, ein Bein nach hinten<br />
gezogen<br />
Einknickschritt mit schlaffem Oberkörper<br />
Hochgezogenes Bein, Kopf taumelt, Hand geht auf Suche in den Raum hinein<br />
Rücken nach hinten gebogen – mit offenen Armen, Schultern ungleich hoch,<br />
niederbeugen wie Schildkrötenrücken.<br />
Mund und Augen gespannt<br />
Hände zu lockeren Fäusten – zugdrehen langsam<br />
Stangentauchen, hochschweben<br />
Strömfließen mit Körperschwere – bis zur Schwerelosigkeit<br />
Drehschraube zwischen Stuhl, Einknicksitz, Schrägenauskostung<br />
Fühlhand<br />
Überkreuzte Arme, Verwringungen<br />
Ellbogenknicken, Kurbeln mit Hand, haltloses Absenken, Stillstand.<br />
Weichfließendes Hochstrecken, Gorillaarme, Einigelung bodenwärts<br />
anschmiegen an Stuhl, aufsetzen der Hand<br />
niederdrücken der Finger am Stuhl – Fluchtstreckung<br />
Handumfassen weich<br />
Standeingezogenheit, rückwärts tippeln, absetzen, eingesunken in Stille.<br />
Set II – Interpretation<br />
austesten, klapperbewegen<br />
motorenfingern, beinspreizen, eckhochstottern<br />
roboterstrudeln, opakreiseln, hangelkrümmen<br />
nachttiertaumeln<br />
Ebbe-Flut-wedeln<br />
Farbauftrag<br />
Umtanzschwimmen<br />
Beinzieher rechts<br />
Senkkopfhöheneinzug<br />
stehfrieren<br />
lehnen<br />
Wandablöser, Umschlingungsdrehen<br />
seitwärts kurbeln<br />
Aufzugsbein, Zwangsjackenhalten<br />
Umkehrhandsonnen<br />
Stuhlverstecken, Handumstuhlung<br />
Weichfließpropeller<br />
132 133
Kriegerdehnen<br />
Schwereschwebhangeln<br />
Hochzügeln, Kunstdrehgehen<br />
Ziehmönchtauchen<br />
Bodenfleuchen<br />
Umeckungseinfassen<br />
Beugestuhlsitzen<br />
Weichkreiskarusell<br />
Meditationsannähern an Boden<br />
Hängebrückenhaltung<br />
Stuhltauchen<br />
Windschwebweichen<br />
Himmeleinsinkdrehen<br />
schwerelosgehen<br />
zähfließen<br />
Streckvergrößerung<br />
opastocken<br />
Krummrückenverschrägung<br />
Absitzschrauben nach unten<br />
Überarmköpfeln<br />
einkehren, Rückkehrdrehen<br />
Einfriersäuseln<br />
29<br />
Gedanken nach der Session mit Michael Thieke<br />
Ich empfand unsere Improvisation oder <strong>Echtzeit</strong>komposition als sehr aufregend<br />
und voll, obgleich sie so reduziert blieb. Wohl weil der Grad der Konzentration<br />
sehr hoch war und es so eine große Intensität erzeugte. Vielleicht liegt<br />
es daran, dass der von uns allen Vieren erzeugte Raum sehr dicht und aufgeladen<br />
war. Obgleich wir für mein Dafürhalten wenig auf die Aufladung drückten<br />
oder sie provozierten, ergab sie sich und schaffte eine große Spannung.<br />
Diese Konzentration gab kaum Raum für andere Dinge wie Ablenkungen.<br />
Sie scheint irgendwie auf ein Ziel hinzulenken. Wenn mir auch gar nicht klar<br />
ist, was dieses Ziel genau ist, so gibt es einfach einen klaren Fahrplan, der uns<br />
bestimmt und wach oder fokussiert hält. Wohl auch durch die relativ strenge<br />
Rahmung scheint das von uns gesteckte Setting sich einzulösen und so gut wie<br />
jedes Mal ein äußerst interessantes Ergebnis zu provozieren.<br />
Heute mit Michael Thieke hatte ich irgendwann am Anfang des ersten<br />
Sets die Idee, dass ein Stuhl als einziges Bühnenelement eine super Idee ist<br />
und als Rahmung vielleicht für alle weiteren Improvisationen genutzt werden<br />
könnte. Nicht zuletzt, weil es darüber einen klaren reglementierten Ausgangspunkt<br />
gibt, der dann beliebig erweitert und variiert werden kann. Aber wenn<br />
ich zum Beispiel an einen Bassisten wie Matthias Bauer denke, scheint das Setting<br />
auch nicht mehr wirklich sinnvoll. Da solch ein Musiker eben viel bewegt<br />
und Turbulenz erzeugt, ist es scheinbar angebracht, uns auf die Situation flexibel<br />
einzulassen.<br />
Ingo Reulecke, Berlin, 17.2.2014<br />
134 135
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 7 – Set I – https://vimeo.com/915519223<br />
Versuchsanordnung 7 – Set II – https://vimeo.com/915521866<br />
136 137
30<br />
INTERVIEW<br />
Michael Thieke, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Bewegungsraum EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
17.02.2014<br />
Heike Gäßler: Wie hast du die Improvisationen erlebt?<br />
Was war dir dabei wichtig, was hat sich für dich<br />
hergestellt?<br />
Michael Thieke: Ich weiß nicht. Mein Ziel<br />
ist es, möglichst nichts zu erleben, was ich<br />
nacherzählen kann, sondern einen freien<br />
Fluss zu erleben, ohne Gedanken zu erzeugen.<br />
Es ist schwierig zu beschreiben,<br />
was ich erlebt habe. Gefährlich wird es erst<br />
dann, wenn ich zu denken anfange und<br />
wenn es nicht den natürlichen Fluss der<br />
Dinge ergibt. Aber das Ziel ist es, mit den<br />
Dingen, die ich benutze, einen natürlichen<br />
Fluss zu erzeugen.<br />
HG: Und jetzt im Nachhinein? Ich meine, das war<br />
währenddessen, als du an nichts gedacht hast. Aber<br />
könntest du jetzt so ein Bild oder einen Geschmack<br />
oder irgendetwas beschreiben, das entstanden ist?<br />
MT: Nicht auf einer abstrakten Ebene. Ich würde dann für mich<br />
nachher eher analysieren, wie die Dinge strukturell oder nach einer<br />
fast schon profan technischen Idee passieren, welche Dinge<br />
parallel oder nicht parallel passiert sind, welches Material ich benutzt<br />
habe, oder welches Material Ingo benutzt hat, aber kein abstraktes<br />
Wort oder eine Farbe.<br />
HG: Vielleicht solltest du es dann eben auf diese Weise<br />
reflektieren.<br />
MT: Na ja, wie soll man sagen, es hatte so etwas Kreisförmiges<br />
für mich, also etwas, was von einem bestimmten Ausgangspunkt<br />
losging, sich wegbewegt hat, später dann aber wieder dahin zurückgekehrt<br />
ist, bei beiden Improvisationen auf eine verschiedene<br />
Weise. Mir war es zum Beispiel wichtig, am Beginn der zweiten<br />
Improvisation mit etwas komplett anderem zu beginnen, als eine<br />
Möglichkeit für mich, um woanders hinzugehen. Hast du irgendwelche<br />
Beobachtungen dazu, Ingo?<br />
Ingo Reulecke: Ich kann deine Beobachtungen teilen, dass es jeweils<br />
einen Bogen gab und dass zumindest Anfang und Ende erst<br />
mal von dem Setting her ähnlich waren. Aber für mich waren auch<br />
die zwei Teile sehr, sehr verschieden. Dadurch dass du dich entschieden<br />
hast, einen anderen Vorschlag zu geben, hat mich der<br />
zweite Teil ganz anders getriggert von meinen Möglichkeiten in<br />
diesem vielleicht recht engen Rahmen, den wir abgesteckt haben.<br />
HG: Und wie hat dich dies anders getriggert?<br />
IR: Ich habe das durch den Anfang viel rhythmischer erlebt, also<br />
rhythmisch gebunden irgendwie und als etwas Kugelförmiges. Im<br />
ersten Teil war es eher etwas Gezogenes. Ich hatte Assoziationen<br />
von Schilf, von Rohr. Das ist ja auch nicht so ganz weit hergeholt<br />
bei dem Instrument. Und das hatte häufig so etwas Fließendes,<br />
Zusammenquetschendes, Gezogenes, was mich dann auch in bestimmte<br />
Formen oder in eine Art von skulpturaler Landschaftssituation<br />
geführt hat. Und beim zweiten Mal war es eher bestimmt<br />
durch etwas Runderes, Kugelförmiges, was aber auch etwas Bouncendes<br />
hatte, in einer sehr gebundenen Form, nicht extrem ausgeprägt,<br />
was ich als sehr unterschiedlich empfand. Wenn auch diese<br />
Ausprägung in den beiden Versuchen relativ ähnlich blieb, weil<br />
ich mich um dich bewegt habe, du statisch warst, dich minimal<br />
bewegt hast, dadurch blieb eine Grundkonstante erhalten.<br />
138 139
MT: Vielleicht können wir dies beim ersten Stück besser sehen –<br />
vor dem Hintergrund, dass ich mich nicht bewegen konnte, weil ich<br />
ja Klarinette spiele.<br />
IR: Ja, das Bein...<br />
MT: ... das war so eine Brücke. Da war für mich der zweite Durchgang<br />
weniger auf dich bezogen. Beim ersten Mal war es relativ klar.<br />
Die Sparsamkeit, mit der du begonnen hast, hat mir auch den Raum<br />
gelassen, so sparsam zu bleiben. Und ich bin dem so ein bisschen<br />
gefolgt. Beim zweiten Set bin ich eher meinem eigenen Fluss gefolgt<br />
und habe mehr nach dem musikalischen Fluss für mich entschieden,<br />
weiterzugehen – und aus dem Zuhören. Das gegenseitige Beeinflussen<br />
war beim ersten Set mehr.<br />
HG: Wie hast du die Zeit während den Sets wahrgenommen?<br />
MT: Auch nicht [lacht]. Es ist in dieser Art von Musik eher der Idealzustand<br />
für mich, wenn ich nicht weiß, wieviel Zeit vergangen ist.<br />
Deswegen nur die siebzehn Minuten.<br />
Carlos Bustamante: Wenn es langsam ist, scheint die<br />
Zeit schneller fortgeschritten zu sein, ja? Manche Improvisationen<br />
waren viel hektischer, scheinbar schneller,<br />
und waren dabei dennoch fast auf die Sekunde<br />
genau beendet. Heute war es wie in Zeitlupe, und vielleicht<br />
war das Zeitgefühl ein ganz anderes, länger.<br />
MT: Bei mir ist das Zeitgefühl eher davon abhängig, ob es gerade<br />
besonders natürlich fließt oder nicht. Denn wenn es natürlich fließt,<br />
dann kann auch eine Stunde vergehen. Eigentlich gibt es keinen<br />
Grund, sich mit der Zeit zu beschäftigen. Eher wenn Übergänge<br />
oder andere Dinge kommen, wenn möglicherweise die Spannung<br />
nachlässt oder man denkt, jetzt kommt vielleicht ein Formstück,<br />
oder zum Ende hin, dann wird es für mich wieder Zeit für so ein<br />
Thema.<br />
CB: Ihr seid beide irgendwie zusammengekommen zu diesem<br />
Ende. Du bist schon trennend gewesen, Ingo hat es nachgemacht.<br />
Aber mir kam es auch beide Male sehr natürlich vor.<br />
MT: Wenn ich mit der Stoppuhr gewusst hätte, wie spät es ist,<br />
wäre die Zeit eher ein Thema geworden, weil das Stück zu dem<br />
Zeitpunkt zu Ende gewesen wäre, und dann muss man noch etwas<br />
drei Minuten lang erfüllen.<br />
CB: Forcieren.<br />
MT: Wenn es forciert ist, kommt die Zeit auf einmal in den Fokus.<br />
Die Zeit wird dann geplant.<br />
HG: Was verstehst du unter einer Instant Composition<br />
oder Real Time Composition, oder du wie das hier<br />
auch immer nennen willst?<br />
MT: Ein Stück Musik oder Bewegung, das im Moment entsteht,<br />
aber auf der Vorarbeit der Beteiligten basiert. Deshalb mag ich<br />
zum Beispiel auch den Begriff Improvisation. Weil Improvisation<br />
ja zumindest im allgemeinen Gebrauch mehr etwas damit zu tun<br />
hat, auf eine unvorbereitete Situation zu reagieren und dann zu<br />
improvisieren. Das beschreibt für mich jedoch nicht die Situation,<br />
das Material, das sich jeder erarbeitet hat, auf den Moment bezogen<br />
zu benutzen. Und von daher ist es ein Zwischending zwischen<br />
etwas, das im Moment passiert, und auch Vielem, was man in der<br />
Vergangenheit gemacht und sich erarbeitet hat.<br />
HG: Welche Bedeutung hat für dich der Moment?<br />
MT: Er hat für mich etwas mit der Präsenz zu tun und mit der<br />
Konzentration, die es dann ermöglicht, im Moment etwas zu erfinden.<br />
Also das ist etwas von der Bedeutung des Momentes.<br />
HG: Und wie kreierst du im Moment?<br />
140 141
MT: Ich versuche einen Anfangspunkt zu finden, der für mich in<br />
einer Weise klar definiert ist vom Material oder von der Stimmung<br />
her. Und dann versuche ich, im Moment in einen Fluss zu geraten,<br />
indem ich nicht mehr über die Dinge nachdenke. Weil das Nachdenken<br />
und das Erarbeiten geschieht dann in anderen Momenten<br />
– allein irgendwo. Dies würde ich als <strong>Echtzeit</strong>komposition<br />
bezeichnen, in der das Erarbeitete im Hintergrund steht. In dem<br />
Moment denke ich nicht darüber nach und entscheide einfach aus<br />
dem Gefühl heraus, was es gerade braucht oder nicht braucht. Im<br />
Idealfall wird nicht allein improvisiert, sondern mit anderen. Dies<br />
macht für mich oft das Gelingen der ganzen Sache aus, ob man<br />
diesen gemeinsamen Fluss oder das gemeinsame Gefühl für Form<br />
findet, oder ob man das ähnlich erlebt, was passiert, also dass es<br />
eben passiert und dass man zurückkehrt. Man bekommt das Gefühl,<br />
es ist jetzt für beide ein Punkt, an dem das Stück vorbei ist<br />
oder einfach die Form elementar. Es gab einen Moment, wo wir<br />
beide gestoppt haben. Das war für mich zumindest so ein Moment<br />
für uns. Das Material war eigentlich am Ende, und hättest<br />
du, Ingo, nicht auch gestoppt, dann hätte ich es vielleicht noch<br />
weiter durchgezogen, einfach um nicht diesen Bruch zu kreieren,<br />
aber ich war eigentlich bereit dafür, den Bruch zu machen. Und<br />
so etwas macht sich dann beim Zusammenspielen fest, ob dieser<br />
Fluss sich erzeugt oder eben nicht.<br />
HG: Damit hast du jetzt die nächste Frage schon halb<br />
beantwortet, ich stelle sie dir trotzdem. Welche Gestaltungstechniken<br />
verwendest du im Zusammenspiel<br />
mit Ingo Reulecke?<br />
MT: Nichts anderes, was ich nicht auch sonst im Konzert machen<br />
würde. Aber ich glaube, dass die Wahl der Mittel und der Form<br />
trotzdem davon beeinflusst ist, was ich nebenbei mache oder<br />
nicht. Es ist nicht so, dass ich ein spezielles Material habe, was ich<br />
nur dafür verwenden würde. Ich versuche, mit der gleichen Leere<br />
zu arbeiten wie in einem improvisierten Konzert, vergleichbar mit<br />
der weißen Leinwand eines Malers. Wenn man bei Los beginnt, ist<br />
sie halt noch weißer.<br />
HG: Übernimmst du eher den gebenden, also den<br />
impulsgebenden oder den empfangenden Part? Oder<br />
wie gestaltet sich hier das Wechselspiel zwischen euch<br />
beiden? Wie hast du das bei den beiden Improvisationen<br />
empfunden?<br />
MT: Ich hatte nicht den Eindruck, dass es einen impulsgebenden<br />
Part in dem Sinne gab. Es war sehr parallel in gewisser Weise, ohne<br />
dass es irgendwelche direkte Interaktionen gab. Also vielleicht nur<br />
in so einem Moment, wo wir beide zusammen gestoppt haben,<br />
aber ohne dass für mich jemand der aktivere oder passivere Part<br />
war.<br />
IR: Ja, das ging mir ähnlich. Ich empfand es auch sehr wie aus einem<br />
Guss, wo fast so eine Abhängigkeit in der Unabhängigkeit<br />
passierte, also dass sich das Miteinander organisch ergeben hat.<br />
Und solche Momente der Verzögerung, oder als sich eine Pausenstille<br />
anbahnte, das waren gerade die Momente, die auf einmal<br />
eine größere Reibung bekamen, weil die Versuchung für mich da<br />
war, auch zu verlangsamen oder innezuhalten. Oder wenn du so<br />
etwas für den Moment abgeschlossen hast oder eine Zäsur gemacht<br />
hast, dann hatte ich auf einmal ein noch besseres Entscheidungsspektrum,<br />
um weiterzugehen oder dies mit einer Zäsur kurz<br />
zu belassen.<br />
MT: Ich mag das, wenn solche Räume entstehen, wenn man beim<br />
Improvisieren den Versuch mit einfließen lässt, mit vielen Pausen<br />
zu arbeiten. Carlos, bei dem zweiten Set gab es den Part mit einem<br />
[außen vorbeifahrenden] Auto, und das klang wunderbar.<br />
HG: Wie entscheidest du dich, im Moment zu kommunizieren?<br />
Worauf achtest du? Gibt es Prinzipien,<br />
die dich lenken?<br />
MT: Prinzipien nicht, aber wenn überhaupt, dann doch eher<br />
eine Entdeckungsphase, um auszuprobieren, ob ich mich von<br />
etwas leiten oder nicht leiten lasse. Und manchmal mache ich<br />
142 143
ewusst Dinge oder versuche sie bewusst zu ignorieren, aber nur,<br />
um für mich selbst zu experimentieren, ohne zu einem Schluss<br />
oder einem Prinzip gekommen zu sein, was ich da eigentlich<br />
will oder nicht. Also ist es sicherlich nicht ein zu offensichtliches<br />
Reagieren aufeinander, vielleicht eher etwas Größeres, so etwas<br />
wie Formabläufe, aber nicht im kleinteiligen Bereich. Dafür ist ein<br />
viel zu langer Bogen für mein musikalisches Material gespannt,<br />
als dass ich kleinteilig reagieren könnte. Und wenn, dann sind es<br />
eher die Formabläufe. Oder manchmal sind es Dinge wie zum<br />
Beispiel: Ich hab’ im ersten Stück einen Klang produziert und<br />
habe gemerkt – wie ein Zufall – , du<br />
hast deinen Fuß abgehoben und<br />
wieder aufgesetzt in diesem Moment.<br />
Und ich hab’ diesen Klang<br />
einfach mal wiederholt, um jedes<br />
Mal, wenn dein Fuß wieder aufgesetzt<br />
war, dem zu folgen und<br />
dabei zu testen, ob dies ein Prinzip<br />
ist, was funktioniert, um mich<br />
selber aus so einer Art Gewohnheit<br />
herauszubringen. Ich folge oft dem<br />
Atemfluss, und diese beschriebene<br />
Aktion ermöglicht mir eben nicht<br />
den Atemfluss. Und das ist so ein<br />
Moment, in dem ich mich darauf<br />
eingelassen, das dann aber auch wieder fallen gelassen habe, als es<br />
für mich den Reiz verloren hat. Aber das war der einzige Moment,<br />
in dem ich konkret über irgendwas improvisierte.<br />
HG: Spielt deine innere Verfassung eine wichtige<br />
Rolle oder bist du eher im Außen mit deiner Wahrnehmung,<br />
wenn du diese Momente gestaltest?<br />
MT: Ja, eher im Außen, eher bei dem, was passiert im Moment. Im<br />
Innern versuche ich eine Art Leere zu erzeugen.<br />
HG: Welche Bedeutung haben Pausen für dich?<br />
MT: Eine große, da ich als Klarinettist sowieso gezwungen bin,<br />
Pausen fürs Atmen zu lassen. Aber im Zusammenhang mit dem<br />
Material, das ich verwende, sind Pausen für mich wichtig, in denen<br />
nachklingen kann, was passiert ist, oder um in dem Raum hier<br />
mein Spiel fürs Detail wahrzunehmen, Details von Bewegung und<br />
auch den Raum selber, den man mit Stille besser erfahren kann.<br />
Die Außengeräusche treten erst dann wieder ins Bewusstsein,<br />
wenn akustisch sonst nichts passiert.<br />
HG: Was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
MT: Eigentlich nichts, weil ich mich da tatsächlich von meinem<br />
Ohr leiten lasse.<br />
HG: Kommunizierst du mit dem Raum? Welche Bedeutung<br />
hat der Raum für dich?<br />
MT: Ja, unabhängig davon, dass ich beim Tanz mit Bewegung zusammenarbeite,<br />
ist der Raum viel mehr präsent. Der Raum ist in jeder<br />
Situation des Improvisierens ein Faktum, auf das ich reagieren<br />
kann und muss. Bestimmte Klänge funktionieren beispielsweise<br />
in bestimmten Räumen nicht, und gewisse Dinge spielen sich wie<br />
von selbst. Andererseits muss man gegen etwas ankämpfen, was<br />
im Raum ist. Und dementsprechend im Rahmen dessen, was ich<br />
sowieso als Material benutze, reagiere ich natürlich auf den Raum.<br />
HG: Welche Schwierigkeiten hattest du bei diesen<br />
beiden Sets?<br />
MT: Beim Material überhaupt keine. Da hat sich mir nie ein Fragezeichen<br />
gestellt, dass etwas nicht funktioniert, dass ich das Gefühl<br />
gehabt hätte, der Fluss wäre unterbrochen und da müsse irgendwas<br />
passieren, sonst würde ich anfangen, mich zu langweilen. Das<br />
war überhaupt nicht so. Die einzige Schwierigkeit, die ich hatte,<br />
war etwas ganz profan Technisches, nämlich dass irgendwann das<br />
144 145
Blatt voll Wasser war. Entweder hätte ich die Klarinette wegnehmen<br />
müssen – aber wenn man vorher als Statue sitzt, muss man<br />
dann mal in Bewegung sein und das wäre eine gigantische Bewegung<br />
– , oder die andere Chance wäre eben gewesen, zu versuchen,<br />
die Klarinette anders wieder freizukriegen. Aber das ist dann musikalisch<br />
nicht so unbedingt gut. Also das war so ein Moment, in<br />
dem ich gerne die Klänge weiter durchgehalten hätte, aber es ging<br />
einfach nicht. Aber das sind ohnehin die Sachen, die beim Improvisieren<br />
passieren und mit denen ich so umgehe, dass ich etwas<br />
daraus mache. Deshalb würde ich es nicht als Schwierigkeit beschreiben.<br />
Das einzige war, dass das, was ich machen wollte, nicht<br />
unbedingt realisierbar war.<br />
HG: Führt dich die Real Time Composition in eine<br />
andere Ebene, in ein anderes Erleben von Wirklichkeit?<br />
Und wenn ja, inwiefern?<br />
MT: Also vielleicht in ein intensiveres oder detaillierteres Erleben,<br />
weil meine gesamte Konzentration darauf gerichtet ist und<br />
ich deswegen mehr das Detail wahrnehmen kann. Aber das hängt<br />
für mich nicht unbedingt nur damit zusammen, ob es komponiert<br />
oder improvisiert ist. Es ist die Konzentration des Moments, die<br />
ich viel eher spüre in so einer Performance-Situation, als wenn<br />
man proben würde. Oder zum Beispiel eine Kamera oder drei<br />
Leute im Raum als Publikum, das kreiert schon eine ganz andere<br />
Konzentration, die eher etwas mit der Situation zu tun hat, aber<br />
nicht unbedingt damit, dass es jetzt eine Real Time Composition<br />
ist.<br />
HG: Und wie fühlt sich das für dich an?<br />
MT: Eigentlich kann ich es nur mit den Worten von vorhin beschreiben:<br />
Leere ermöglicht es, aufmerksam die Details wahrzunehmen.<br />
Das ist vielleicht kein Gefühl... [lacht]<br />
HG: Wie fühlt sich denn Leere im Körper an [lacht]?<br />
MT: [Schulterzucken, Lachen]<br />
HG: Wo spürst du sie, wo macht sie sich breit?<br />
MT: Vielleicht ist es gar nicht so sehr, im Körper zu sein in dem<br />
Moment oder ihn nicht wahrzunehmen, weil ich eher die Umgebung<br />
wahrnehme.<br />
HG: Du gehst praktisch ‘raus aus dir?<br />
MT: Ja, auf eine gewisse Weise. Ich will das jetzt auch nicht überhöhen.<br />
Das Gefühl der Leere ist kein großes Abgehobensein. Es<br />
ist einfach nur die Konzentration, dass nichts anderes passiert als<br />
das, was gerade passiert.<br />
CB: In der Ausbildung zum Kameramann gab es bestimmte<br />
Regeln, bestimmte Dos and Don’ts, und ich<br />
habe bestimmt zehn Jahre gebraucht, um diese loszuwerden.<br />
Hast du so etwas auch in deiner Ausbildung<br />
oder in der Art und Weise, wie du in die Musik hineingebracht<br />
worden bist? Wie befreit man sich von<br />
bestimmten Strukturen, von bestimmten Dos and<br />
Don’ts?<br />
MT: Gewisse Dinge hängen bei mir auch direkt mit der Ausbildung<br />
zusammen und sind vielleicht ein bisschen stilistischer Natur, also<br />
das Aussortieren des musikalischen Materials, das ich nicht will,<br />
aber auch ein Konzentrieren darauf, nicht Dinge zu machen, nur<br />
weil sie sich motorisch gerade gut anfühlen. Was etwas ist, das bei<br />
Musik relativ schnell passiert. Und je höher der technische Standard<br />
der Musiker ist, desto schwieriger ist es, so etwas auszuschalten.<br />
Und es ist nicht selten, dass so etwas mit der Ausbildung zu<br />
tun hat, dass man so darauf fixiert, darauf konzentriert ist, solche<br />
Dinge zu meistern und Virtuosität zu entwickeln, Sachen auszuschalten,<br />
wo sie nicht notwendig sind, die man nur macht, weil<br />
sie sich gerade natürlich anfühlen. Also was so ein bisschen dem<br />
widerspricht, was ich zu Beginn gesagt habe, dass ich versuche,<br />
146 147
einen natürlichen Fluss zuzulassen. Aber im Laufe der Jahre beim<br />
Improvisieren, wenn man nachher kritisch beäugt, was man mag<br />
und was man nicht mag, gerade in der Anfangszeit, wo ich mich<br />
auf Positionen konzentriert habe, ist mir oft aufgefallen, dass bei<br />
Dingen, die mir während des Spielens vom Gefühl her gefallen haben,<br />
ich nachher dachte, ich mag sie irgendwie doch nicht. Wohingegen<br />
manche Sachen erstaunlich waren, die ich in dem Moment<br />
eher für dumm gehalten habe, die dann aber genau das Interessante<br />
haben, wonach ich suche. Und ich meine, daraus sind natürlich<br />
solche Dos and Don’ts zu entwickeln, Strategien für sich selber,<br />
was man macht in diesen Situationen, um alte Gewohnheiten abzulegen.<br />
CB: Es ist also kein Thema mehr bei dir?<br />
MT: Irgendwie ist es natürlich immer ein Thema, weil jedes Zusammenspielen<br />
mit anderen Leuten einen anderen Input gibt,<br />
sodass man vielleicht darauf mit einer alten Gewohnheit reagiert<br />
oder einfach etwas ausprobiert, was nicht funktioniert.<br />
richtig gut, und das war’s aber nicht. Man hat manchmal das Gefühl<br />
nicht oder kann manchmal nicht selber einschätzen, was jetzt<br />
der gute Punkt war.<br />
MT: Ich finde, auch in dem Zusammenhang, wenn man sich nachher<br />
etwas anhört oder anguckt, ist es nicht gesagt, dass das Eine<br />
wahr oder nicht wahr ist. Als Zuhörer kann ich ja ein Konzert mögen,<br />
weil es vielleicht gerade in dem Moment, wenn man in dem<br />
Raum ist, und mit der ganzen sozialen Komponente funktioniert.<br />
Und danach, wenn man es vielleicht auf Bild oder Ton sieht, ist<br />
der Zauber des Moments verflogen. Ich frage mich immer, welcher<br />
Eindruck denn jetzt der richtige ist. Also unabhängig davon,<br />
wenn sie gerade spielen, hab ich vielleicht noch andere Sachen,<br />
auf die ich mich konzentriere, bin aber einfach als Zuschauer irgendwo.<br />
Es kann mir passieren, dass ich dieselbe Sache mag oder<br />
nicht mag. Das hat sehr viel mit dem subjektiven Erleben zu tun<br />
und gar nicht so viel mit dem objektiven Zuhören.<br />
CB: Mir ist aufgefallen, du wolltest beim zweiten<br />
Stück ganz bewusst einen anderen Anfang. Und ich<br />
dachte: ‘Ja, das ist so ein Regelwerk, so eine Methode,<br />
um sich nicht zu wiederholen und nicht wieder den<br />
gleichen Weg zu gehen.’ Ist das so?<br />
MT: Ja, eigentlich schon. Der erste Klang oder die erste Bewegung<br />
setzt ja ein bisschen die erste Stimmung dafür, wie es dann weitergeht.<br />
Und das ist schon eine bewusste Sache, einfach woanders<br />
anzufangen, weil ich sonst Gefahr laufe, mich nach kurzer Zeit mit<br />
meinem Material zu langweilen. Und eigentlich bräuchte das Material,<br />
dass man länger dabei bleibt. Aber wenn man dasselbe mehr<br />
oder weniger vorher schon gemacht hat… – ja, das ist vielleicht<br />
schon so eine kleine Regel.<br />
HG: Was du eben sagtest, fand ich sehr spannend. Ich kenne das<br />
aus der Theaterarbeit, wenn man etwas macht und denkt, es war<br />
148 149
HOHLRAUM<br />
Hohler Raum<br />
Was ist ein hohler Raum?<br />
Ist er in mir oder um mich herum?<br />
Bin ich hohl oder gefüllt?<br />
Wenn die Organe ausblieben, wäre ich es. So aber bin ich randvoll.<br />
Wenn ich an etwas Volles denke, sehe ich nicht den Hohlraum.<br />
Aber bei der Vorstellung, dass ein Großteil des Körpers aus<br />
Flüssigkeit besteht, muss irgendwo auch ein Hohlraum vorhanden<br />
sein.<br />
Nun ist meine Frage: Wenn ich an einen Ballon denke, sehe ich<br />
eine Hülle und den Raum, der von der Hülle umspannt ist, den<br />
Hohlraum?<br />
Okay, das gibt es wahrlich so nicht im menschlichen Körper.<br />
Allerdings gehe ich davon aus, dass in jeder Zelle ein Hohlraum<br />
vorhanden ist.<br />
Nur, wie können wir das realisieren und uns darauf besinnen?<br />
Wie viele Hohlräume dieser Hohlräume kann ich simultan<br />
wahrnehmen?<br />
Ich denke an eine Art von Hohlraumkonzert, oder als würden<br />
Hohlräume über die Distanz miteinander kommunizieren können.<br />
Dieser Austausch spricht von Räumen, die sich begegnen. Da<br />
sie hohl sind, haben sie alle nur denkbaren Möglichkeiten für ein<br />
Anfüllen mit idiosynkratischen Ideen.<br />
150 151
31<br />
VERSUCHSANORDNUNG 8<br />
Claudia Risch, Ingo Reulecke,<br />
Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Bewegungsraum EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
26.2.2014<br />
Set 1 – Dokumentation<br />
Der Kopf ist gebeugt wie ein Hahn. Der Kopf reckt vor und zurück.<br />
Vorwärts und drehendes beinüberkreuztes Gehen. Die Hände, der Oberkörper<br />
schlingernd. Das Bein nach oben gezogen, runter nach vorne gezogen, um sich<br />
nach vorne abzusenken in Hocke. Dort verharrend. Lösen nach oben und die<br />
Hände vor Körper zu Schalen mit geöffneten Knien. Die Arme und Schultern<br />
hochgezogen angehalten. In schnellem Fließen hin- und herhangeln. Abgelegt<br />
auf Boden, ein Bein geflattert, dann Beidbeinflattern. Den Boden berühren. Sich<br />
hochziehen in Beugehaltung, rückwärts streben mit Rücken zur Krümmung.<br />
Niedertauchende Drehungen, nach vorne gesprungen und gestreckt, ein Bein<br />
nach oben abgesetzt. Liegend sich am Holz reiben. Klopfen mit Kopf. Den<br />
Kasten anschauen. Mit Beinen abstemmen, vorwärts kriechen in Hundeposition,<br />
sich überschlagen, ablegen, drehen. Gemütliches Liegen. Eine Hand sucht den<br />
Himmel ab. Umdrehung. Auf Boden aufrichten. Hand- und Beinspiel in die<br />
Luft hinein. Abstützendes Niedersinken in liegende Haltung. Schlängelndes<br />
seitwärts Aufrichten. Am Kasten, gebeugt eine Hand, ein Arm gestreckt, das<br />
Bein angehoben, über den Kasten gezogen, vorwärts schlittern. Rundrücken und<br />
aufrichten, ein Bein mit Hand überkreuzt. Rückelndes Spielen mit Beinen und<br />
Händen. Niedergesunken mit Musikpause.<br />
Wegwischen rechts und links. Kopfüber Schultern gestreift rechts, links.<br />
Mattenannäherung entgegenstemmen. Niederrutschen, verrutschen auf Boden.<br />
Mit Bein nach oben an Matte niedersinken bei Wegblasklang. Verschraubungen<br />
schneller werdend. Windungen an Kasten, umspielend, rutschend, aufstützend.<br />
In Rolle sich verdrehen, selbst umfassen, Verwirrungen. Vorwärts mit<br />
hochgezogenen Beinen, im Beugestand wie ein Käfer. An Ecke anlehnen, mit<br />
152 153
Kopf an Ecke entlang streichen an Wand. Rucksackhaltung tief. Tasten mit Hand,<br />
Händen, Verschraubungen, vorwärts stolpern, niedertauchen, drehschieben,<br />
die Hände und Arme schwebend, aufrichten. Flügeldrehungen der Arme beim<br />
rückwärts Gleiten, Eckarmmesserschneiden, Vorrückstottern, Kastenschmeicheln.<br />
Oben aufliegen. Zu groß für Kasten, niederpurzeln, an Matten zu Fall kommen,<br />
zucken und ruckeln, drehen in Varianten ab unterer Ebene sich hochziehen und<br />
schlingernd nach unten ablegen. Beide Fäuste in Himmel gereckt locker einigeln<br />
mit überkreuzten Beinen am Boden. Schrägachse mit schwebenden Beinen, im<br />
Stehen hoch nieder wiegen mit Händen, in Hockstand verharren, sich hochziehen,<br />
die Schultern nach oben gezogen.<br />
Der Mund gepresst zum runden Kreis.<br />
Sich verdrehen, Arm um sich rumziehen und stülpen, ineinander verknoten, Kinn<br />
auf Bein aufgesetzt wie in Zwangsjacke. Bein verknotet sich weiter in den Körper<br />
hinein, hält sich selbst umschlungen. Den Blick nach oben verträumt hin- und<br />
herwackeln mit Kopf, sich auseinanderziehen zur Rückenposition ohne Boden<br />
mit Beinen, Arm und Kopf zu berühren. Ablegen. Starre.<br />
Den Mund bewegen und die Augen.<br />
Mäjestätischstehen, Magnetismusumkehrglubschen<br />
Streckducken, Wiegesitzen, Schneckenhangeln<br />
Losgelöstwringen, Schwebeanschmiegen mit<br />
Beinweichstand, aufrutschsitzen, zerrbewegen<br />
Nichtverstehschauen, Suchschneckeln<br />
Abhangkopf, Tieftauchhalter, Verwirrkopfhangler<br />
Peacemeditation, Stoppdaumenzeiger<br />
Wagenstandrecken<br />
Gummifließen, Kopfwiegeschraube<br />
Schaumstrudeln, Kickfußhand<br />
Armumfasser, Zieharmmodulation<br />
Stretchinghändeln, Motorradaufdrehen<br />
Mundkuppeln, Hochschraubstrecker<br />
Überhangkörper, rücktaumeln, Hin- und Herziehstehen<br />
Fahrhocke<br />
Ablegfuchteln, suchliegen, Rückzugshangeln<br />
weich<br />
Seitstreckzwängung, Puppenstadium<br />
Fischtauchen, Eckschlängeln, Gummizwangsliegen<br />
Kleberattern, tattern, Vergreisungssuchen<br />
Bequematmen.<br />
Set 2 – Interpretation<br />
Lächeln, die Füße angestarrt, Fußbestauner<br />
Fliegenzücker, Selbstmordsehnsucht, Zugfallen<br />
Hangelmaschine, Affenklammerung, zwischenquetschen, nichtsgewesengaukeln<br />
niederrutschverdrehen<br />
Einschränkungshände<br />
fuchtelnanecken Männerhaltung<br />
Steckungsmattentaucher, Rückenflutscher<br />
Händerechen, Gummizug, weichtauchen<br />
Rutschachsengenießen, Wegdrücker<br />
Einschränkstehen, Zeitverstreichgehen<br />
Unsicherheitszittern langsam<br />
Quirlenzuckler, Traumtandeln, Kopflosgelöstheit<br />
Sichtschwimmen, Handwedeln in Kreisen<br />
Weichschlängelwedeln<br />
Kopftrödeln Glubschaugen, Sicherheitsstand<br />
154 155
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 8 – Set I – https://vimeo.com/915524883<br />
Versuchsanordnung 8 – Set II – https://vimeo.com/928430420<br />
156 157
32<br />
INTERVIEW<br />
Claudia Risch, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Bewegungsraum EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
26.2.2014<br />
Heike Gäßler: Wie hast du die Improvisation erlebt?<br />
Claudia Risch: Es hat sich etwas ganz Intensives hergestellt. Wichtig<br />
waren mir gegenseitige Impulse. Ich kann etwas als Impuls nehmen<br />
oder es sein lassen. Und umgekehrt: was ich als Impuls gebe,<br />
das kann ganz frei genommen oder nicht genommen werden. Das<br />
ist mir wichtig. Und ich fand es vor allem sehr lebendig. Es gab so<br />
ein ständiges Hin und Her, wie auf einer Waage, auf der es immer<br />
auf und ab ging, in einer gewissen Balance, aber überhaupt nicht<br />
statisch.<br />
HG: Und wenn du jetzt die beiden Sets vergleichst?<br />
CR: Da komme ich auf die Dichte. Ich empfand die Impulse in<br />
dem ersten Set dichter aufeinander und im zweiten eher ungleichmäßig<br />
verteilt. Ich habe das Zweite auch mit mehr Ruhe und mehr<br />
Luft erlebt. Beim Ersten habe ich mehr Luft gegeben, und es wurde<br />
sehr physisch. Und es ist auch kein Zufall mit einer Tänzerin<br />
oder einem Tänzer zusammen, dass ich das Spiel als sehr physisch<br />
erlebe. Wobei ich Blasinstrumente sowieso sehr physisch empfinde,<br />
weil das Spiel viel mit dem Atem zu tun hat, also unmittelbar<br />
mit dem Körper. Das Körperliche war bei der Flöte sehr stark, ich<br />
gehe dann sehr in die Sounds hinein.<br />
HG: Kommunizierst du mit dem Raum?<br />
CR: Der Raum gibt direkt den Widerhall für Sound. Der Raum<br />
hat zu Beginn die Bedeutung, dass ich mir überlege, wo ich überhaupt<br />
bin. Wo stehe ich? Wie nehme ich mich selbst als Körper im<br />
Raum wahr? Man kommt nicht darum herum, dass man als Musiker<br />
selbst auch mit dem Körper da ist, gerade wenn auch Tanz<br />
dabei ist. Jemand, der sonst zuhört und zuschaut, hat dann die Augen<br />
eher offen, wenn jemand tanzt.<br />
HG: Wie erging es dir hier in diesem Raum?<br />
CR: So ein bisschen belustigt. Das ist so sehr eine Turnhalle, und<br />
man will das arrangiert haben und betont. Auch das Licht ist so<br />
nüchtern, nicht so angenehm. Aber dann ist eben alles mal nüchtern.<br />
HG: Was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
CR: Sie animiert mich sehr, bestimmte Techniken anzuwenden,<br />
die ich sowieso gerne mache und zu vervollkommnen suche, und<br />
ich versuche solche Sounds aufzubrechen, von einem geraden<br />
glatten zu einem vielschichtigen Sound.<br />
HG: Welche Gestaltungstechniken verwendest du im<br />
Zusammenspiel mit der Bewegung?<br />
CR: Ich lasse mich inspirieren, das heißt, dass ich etwas von den<br />
Bewegungen aufnehme. Für mich kann zum Beispiel eine ruhige<br />
Bewegung auch eine Spannung haben. Oder ich kann diesen<br />
Spannungsanteil von der Bewegung nehmen und diese Spannung<br />
im Klang darstellen und es interessant finden, wenn die Tänzerin<br />
oder der Tänzer es aufnimmt und verstärkt oder gerade in der ruhigen<br />
Bewegung bleibt. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten:<br />
Ich nehme Aspekte auf und kann die Spannung oder die Ruhe<br />
in einer Bewegung darstellen. Ein anderes Gestaltungselement<br />
ist es, Pausen zu lassen. Ich kann auch für meine Augen Pausen<br />
lassen. Ich muss nicht die ganze Zeit hinschauen, sondern ich<br />
schaue manchmal auch bewusst nicht hin, weil es auf zwei Linien<br />
ankommt: die tänzerische und die musikalische Linie. Und beide<br />
158 159
müssen für sich bestehen können. Die Pausen haben die Bedeutung<br />
des Sammelns, mal wieder nur auf den Tanz zu schauen. Umgekehrt<br />
kann ein Tänzer auch mal den Musiker allein lassen und<br />
still stehen. Das geht auch. Also das Sammeln und einen neuen<br />
Ausgangspunkt finden, Fragezeichen setzen.<br />
HG: Könntest du bei den beiden Sets Spannungsbögen<br />
beschreiben?<br />
CR: Ich sehe Möglichkeiten, dass es eine Spannung gibt und diese<br />
wieder nachlässt. Aber ich würde dies weder musikalisch noch<br />
tänzerisch als einen Bogen sehen, sondern als ein Spannungslevel.<br />
Ich finde es bei zeitgenössischen Formen des Tanzes interessant,<br />
dass auch alltägliche Bewegungen eine irre Spannung haben können<br />
und dass bei mir auch ganz leise Töne eine Spannung haben<br />
können. In der ersten Improvisation fand ich, dass Spannung eher<br />
durch Dichte zustande kam, in der zweiten wurde sie durch eine<br />
Abfolge von Akzenten gehalten.<br />
Heike Gäßler: Welche Bedeutung hat für dich der<br />
Moment? Wie kreierst du im Moment?<br />
CR: Der Moment ist so etwas wie ein Kern, ein Nukleus, aus dem<br />
alles entstehen kann. Da kann ich etwas herausnehmen, und es<br />
kann sich konzentrieren und explodieren. Ich kann Farben daraus<br />
nehmen. Das einzige Prinzip, was mich lenkt, ist, dass ich nicht<br />
etwas wiederholen will, dass ich mir das Recht herausnehme, etwas<br />
auszusuchen, dass ich meine ganz subjektive Sicht habe und<br />
diese subjektive Sicht mich dazu animiert, meine Verarbeitung im<br />
Ton zu übernehmen. Das hat sehr viel mit Intuition zu tun, das<br />
heißt mit bestimmten Erfahrungen, die sich dahinter verbergen.<br />
Es hat ein bisschen etwas mit diesem Kern zu tun. Ich nehme Verschiedenes<br />
wahr und suche mir dann etwas aus, was ich ausbreite,<br />
ausarbeite.<br />
HG: Spielt deine innere Verfassung eine Rolle oder<br />
bist du eher im Außen mit deiner Wahrnehmung und<br />
der Gestaltung des Moments?<br />
CR: Da wechsle ich ab. Ich schaue manchmal bewusst hin und<br />
manchmal bewusst weg. Ich guck’ bewusster hin, wenn ich den<br />
Impuls weiter wachsen lassen oder mir einen Impuls geben will.<br />
Und ich schaue weg, wenn ich das Gefühl habe, ich möchte mich<br />
jetzt selbst konzentrieren, entweder um einen neuen Impuls geben<br />
oder eine eigene Linie wachsen lassen zu können. Ich kann<br />
in dem Moment, wenn ich spiele, die innere Verfassung weitestgehend<br />
zurückstellen. Dann bin ich sozusagen im Hier und Jetzt,<br />
und es spielt für meine Hör- und Seherfahrung eine Rolle, dass ich<br />
hier bin.<br />
HG: Und hast du das Gefühl, dass du auch mal jemanden<br />
verlierst, wenn du zu lange bei deinem eigenen<br />
Wachsen bleibst?<br />
CR: Das sehe ich nicht in meiner Verantwortung. Der andere kann<br />
damit machen, was er will. Er kann bewusst davon weggehen und<br />
das wunderbar finden, dass da auch eine Lücke entsteht. Oder er<br />
kann nahe herangehen. Ingo hat es körperlich gemacht, sodass wir<br />
ganz dicht zusammen waren. Dann kommt bei mir selbst der Impuls,<br />
dann will ich aber auch wieder weggehen. Diese Spannungen,<br />
die machen das auch erst gut. Die Suche nach einer Parallelität<br />
würde ich langweiliger finden.<br />
HG: Was verstehst du unter einer Real Time Composition?<br />
CR: Eine Real Time Composition ist für mich etwas, wo ich beim<br />
Spielen das Bewusstsein habe, etwas Bestimmtes zu setzen: dass<br />
ich bestimmte Akzente oder Sachen tue oder auch nicht tue, im<br />
Gegensatz zum nur Fließen lassen. Da ist also eine gewisse Gleichberechtigung<br />
von Kopf und Intuition. Wobei sich die Intuition<br />
aus viel Erfahrung ergibt und aus dem Nachdenken und der Erforschung<br />
der Musik, dass ich etwas hervorholen und einsetzen<br />
kann. Und wenn ich das Real Time Composition nenne, geschieht<br />
das gleichzeitig – eben dass ich diese Intuition gleichzeitig steuern<br />
kann.<br />
160 161
HG: Führt dich die Real Time Composition in ein anderes<br />
Erleben, in eine andere Wirklichkeit hinein?<br />
CR: Die Auseinandersetzung mit Komposition tut das. Die Real<br />
Time Composition ist für mich der Umgang mit der Improvisation,<br />
oder besser die Anordnung des Materials. Das Hören und Sehen<br />
funktioniert stark, weil ich Geräusche in der Stadt anders wahrnehme.<br />
Ich vergleiche das mal mit der bildenden Kunst: Wenn ein bestimmtes<br />
Objekt, zum Beispiel die<br />
Kloschüssel, nicht nur im Museum<br />
gesehen wird, dann nimmt man die<br />
Kloschüssel anders wahr. So ist es<br />
mit den Klängen auch. Klänge, die<br />
ich selbst produziere und in einen<br />
anderen Zusammenhang stelle, nehme<br />
ich anders wahr. Zum Beispiel<br />
das Quietschen in der U-Bahn empfinde<br />
ich anders, wenn ich mich auf<br />
das Geräuschhafte in der Musik konzentriere.<br />
Beziehungsweise kann es<br />
umgekehrt so sein, dass die Wahrnehmung<br />
der Geräusche in meiner Umwelt dazu führt, dass ich eine<br />
bestimmte durchaus geräuschhafte Musik mache. Es bedingt sich<br />
ständig gegenseitig und hat mit der Wahrnehmung zu tun.<br />
HG: Wenn du an die erste Improvisation denkst, wie<br />
würdest du da noch konkreter zusammenfassen, wie es<br />
für deinen Körper war? Wie hast du diese Ebene wahrgenommen?<br />
Was ist da passiert?<br />
CR: Eine Verdichtung, würde ich sagen. Eine sehr intensive Wahrnehmung<br />
und ein sehr intensiver Ausdruck von dem, was ich erfahre,<br />
was mir widerfährt und dem, was ich dann wiedergebe in meiner<br />
Sprache. Das hält an und macht eine andere Wahrnehmung und Sensibilität<br />
aus.<br />
33<br />
VERSUCHSANORDNUNG 9<br />
Thomas Gerwin, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante,<br />
Peter Zwick<br />
Büro Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Set I – Dokumentation<br />
7.3.2014<br />
Die Hände gespreizt und zwischen den Knien<br />
gedrückt. Der Blick geht nach draußen zum<br />
Himmel. Langsames ruckhaftes nach hinten Lehnen des Rückens klein.<br />
Faust auf Oberschenkel – einatmend<br />
rechter Arm hoch – Daumen bewegt<br />
Arm dreht mit abgewinkeltem Ellbogen<br />
berührt Oberkörper nah am Hals<br />
lehnt tiefer – Ellbogendrehen, Bein<br />
schwenkt vor, – zurück auf Stuhl sitzend<br />
Mund, Zunge, Mundbewegung<br />
Armestreichen – über anderen Arm bis in den<br />
Raum hinein. Abgewinkelter Arm.<br />
Bein zieht nach oben, außen schrägsitzend<br />
niederbeugend mit Pendelarm.<br />
Hand hilft Bein beim Strecken<br />
Kurvenhände, Fensterleidseinsdrehen<br />
Oberkörper gebeugt. Beine übereinander<br />
geschlagen, Hände überflüssig<br />
Platz suchend, Mund skeptisch<br />
Beim Überkreuzen vorn, Beine und Arme<br />
langziehend, abgewinkelt.<br />
Verharren in Tiefsitzen, Stirnfalten<br />
suchender Blick, abrutschen zum Boden hin<br />
Kopf auf Tisch aufgestützt<br />
mit Kinn tiefer gleiten<br />
162 163
Hinterkopf auf Stuhl – drehend<br />
hin und her.<br />
Kopf taucht tiefer, unter<br />
Stuhl schauend, Hände auf<br />
Bauch fassend – dann streckend<br />
wieder zu Bauch zurück.<br />
Gebeugter Rücken, Finger auf Knie<br />
aufgestützt, sich umschließend mit Ellbogen<br />
Beine. Drehend abstützen des Körpers<br />
auf Arme, hochziehen zwischen Stühlen<br />
gehend mit hoch und niedersinkendem Oberkörper.<br />
Beine gestreckt – Vierfüßlergehen auf<br />
anderen Stuhl nahe dem Fenster<br />
Schräglage mit Kippstuhl wackelnd<br />
sich abfedernd zum Tisch hin.<br />
Drehendes Niederbeugen gespannt<br />
Stuhlkipptanz<br />
Schlenkern der Arme, Beckenverdrehung<br />
mit hochgezogenen Schultern.<br />
Sich verknotendes Bein – nach oben in<br />
Himmel gereckt.<br />
In rechte Ecke gehend, dort anlehnendes<br />
Gezappel vorstreben, niedersinken<br />
Kopfstand mit Beinen am Boden<br />
zurückverstecken – unter Stuhl schauen<br />
neugierig vorwärtsdrängen ruckelnd<br />
wie Nachttier Oberkörper windend<br />
durch Stuhlbeine hindurch<br />
zappelndes Weiterhangeln.<br />
Strecken, stehen, steif<br />
zuckeln nach vorne<br />
Umschraubungen gehackt<br />
Beidarmflattern mit hochgezogenen Schultern.<br />
Zuckeln, Kratzhandbeine<br />
Mund geschlossen, Robotertaumeln<br />
Handschrauben, Sitzverwirren<br />
Weichverdrehungen auf verschiedenen<br />
Ebenen. Flatterflügelhände<br />
Stuhlannähern rumpeln und Beinverdrehung<br />
angeeckt.<br />
Hochzug zum Kreuzbein nach oben winkeln<br />
über Stuhl lehnen mit Kopf<br />
Wandberührung, Kippen an andere Wand.<br />
Stab fassen, ziehen mit beiden Händen<br />
im Sitzen. Einstrampelversuche<br />
Ellbogenstrecken, sich abstützen und<br />
Schräglage an Stuhl, niedergleiten<br />
in Rückenfastlage – wieder hochziehen<br />
Hals langgestreckt, Sitztattern<br />
Hände übereinander – Stangensitzen sehr<br />
gestreckt, weich angelehnt verlangsamt<br />
eingesunken, die Ellbogen zu Rechteck<br />
vor Oberkörper verharrend.<br />
Set II – Interpretation<br />
Kleinwackeln<br />
Wackelkopfsitzer Rückenkratzstuhlsitzen<br />
Schulterhopsen<br />
Verdrehzappeln Achsellüfter<br />
Hochstrotzen Mundruckzucken<br />
Beinanzieher Kussmundhangeln<br />
Auseinanderstrebarme<br />
Eintauch stoppen<br />
Rückzugshand aufgestellt<br />
Waagensitzen<br />
Überkreuzstehgehen<br />
Testhand drehen<br />
Niedersinkrückzugsstuhl<br />
Rückenkreisen Riechlautsuchen<br />
tischverliebt<br />
Halsstarregang<br />
Feinstütz Stuhlkreisgehen<br />
Hackstillmove<br />
164 165
166 167<br />
Taumelkopfdreh<br />
Sucheinbeugstarre<br />
Pendelverzerrung<br />
Stillstandshamster<br />
Waagenbeckenlüften<br />
Krummarmanwinkler<br />
Mundkräusler<br />
Drehhopshalskratzen<br />
Fenstersäuseln<br />
Schreibtändeln<br />
Kleinzuckzwängen<br />
Sprungabklemmen<br />
Liegesitzdrehhochsteigen<br />
Kreisstuhlen<br />
Abwackelrumpsen<br />
Gleitstützhangeln<br />
Tischunterwandern<br />
Aufstuhlhopsen<br />
Beinvernesteln<br />
Zufallshangeln<br />
Blindtaststraucheln<br />
Abwendrückzugssitzen<br />
Rückenausnutzlehnen<br />
Einfrierstuhlsitzen<br />
Eckklappern<br />
Züngeln<br />
Wandsinksitzen schräg<br />
Polstertasten<br />
feintauchen<br />
Losgelöstheitsdrehen<br />
Schraubigeln<br />
Nasenkreisschreiben<br />
Kopfrückenstreben<br />
Hinterkopfkurbeln<br />
Ellbogentanzen<br />
Fliegenwegschiebhangeln<br />
Beinverdrehstülpen<br />
Mundsuchklemmen<br />
Wackelpudding<br />
Wedelsitzen<br />
Abstützunmöglichkeitsmove<br />
Polstertastfalter<br />
Drehstock<br />
hamstern<br />
Wandklopfer<br />
abstützrumpeln<br />
versatztandeln<br />
einlaufzappeln<br />
umdrehungswedeln<br />
einsinkrumpeln sanft<br />
weichschmiegfingern<br />
rückrutschsitzen Armschwenksitz<br />
Kopflockersäuseln<br />
Ratterzockeln<br />
starrdrehlümmeln<br />
Liebhandtauchen<br />
Poeroberung<br />
Wedelfliegwischen<br />
Durchstartfuchteln<br />
Händebeinnesteln<br />
Hosenumfassen<br />
Atemlösen.
34<br />
Klangdokumentation<br />
Um die dokumentarischen und interpretierenden Aufzeichnungen um die<br />
Komponente des Klangs zu erweitern, wurde in diesem Set zusätzlich mit<br />
Tonaufzeichnungen durch Peter Zwick experimentiert.<br />
I Sound – Dokumentation von Peter Zwick<br />
Silencio Ruhe piano<br />
wartend<br />
Heizungston tippend<br />
rhythmisch drängend<br />
raschelnd knautschend rutschend tönend auslaufend<br />
schwebend<br />
spiralisierend<br />
Wind<br />
interagierend, säuselnd immer wieder<br />
Tonteppich Pause wartend<br />
tock tock blom blom<br />
reiben<br />
Metall auf Tisch hochvibrierend<br />
antreibend staccato, unterschiedlich hölzerne Töne fein<br />
Regen<br />
Anfang: tippend<br />
Rhythmus abwechselnd tippend langsamer<br />
metallisch interaktiv Metall, Holz<br />
dominanter schlagend<br />
durcheinander wechselnd<br />
schnell<br />
langsam<br />
Schlagzeug Rhythmus tatata<br />
vorantreibend<br />
experimentell<br />
Klang immer treibender, lauter, langsamer<br />
rauschen<br />
bewegend tippelnd, schlagend fallend, uneinheitlich rührend<br />
schnell – langsam – schnell Übergang<br />
seitig zupfend, lavierend ziehend<br />
quäckend rummsend kratzend<br />
Ton oh hoch runter hoch ton oh schleif schleif<br />
sphärisch<br />
Kamm ähnlich<br />
zupfend glucksend tippelnd<br />
Lautmalerei<br />
tippend klingend tönend<br />
rauschen<br />
reibend<br />
Polyverschiedenes<br />
klingend dahin<br />
klar heroisch Aussage treffend<br />
runde Bewegungen<br />
stoppend<br />
weiterführend<br />
II Sound – Interpretation von Peter Zwick<br />
Stein auf Stein<br />
Wind wohin – ins Meer<br />
Raum weit, quatschquietsch<br />
Tür auf zu, weg damit<br />
Kokosnuss aufschlagend, Eck und Kante<br />
Wind am Haus entlang<br />
Alpenwind frischt auf<br />
Götterdämmerung<br />
klappernd zugrangierend windspielbewegt<br />
glastänzelnd hochsphärisch abgehoben, weg<br />
Hirsereibe, Steinhauer und Reiber<br />
am Abgrund hinüberfallend, hinab, weggefallen<br />
sich findend letzte Reste<br />
Suppe löffelnd<br />
Chaosleben<br />
168 169
Mundhöhleschokodrops, Backenzahn<br />
Spielmurmelbahn<br />
Kugel fällt<br />
schleicht weg<br />
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 9 – Set I – https://vimeo.com/917115591<br />
Versuchsanordnung 9 – Set II – https://vimeo.com/917122044<br />
Eistanz, der Wind über Eisfläche<br />
Kavallerie, Marsch, Krieg, fallen Bomben, kaputtschlagen<br />
durcheinander Menschenmenge<br />
Eis<br />
vorne, hinten schlagen<br />
oberhimmlisch, 1001 Fragen<br />
Ameisenhügel<br />
organisiert<br />
überleben<br />
hinauf letzte Töne in der Sphäre<br />
Feuerwehr in der Ferne<br />
Toskana, Venedig am Meer<br />
leuchten<br />
Lichtreflexe auf Meereswogen<br />
Angstvorsicht<br />
Affentrommellachen<br />
Alexanderplatzbewegung, Menge anonym<br />
alle vorbei<br />
Kerker gefangen, Flucht über Mauer<br />
Durchbruch – weglaufen weit weg<br />
keiner<br />
Erschöpfung<br />
durch Wand Geisterwiederauferstehung<br />
Phönixformung<br />
Energie alles in einem<br />
ineinander zusammen wollen<br />
Steinbeißer<br />
170 171
35<br />
INTERVIEW<br />
Thomas Gerwin, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Büro Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
7.3.2014<br />
Heike Gäßler: Was verstehst du unter einer Real Time<br />
Composition?<br />
Thomas Gerwin: Eine Real Time Composition ist eine spontan<br />
entstehende Komposition im Unterschied zur Improvisation, die<br />
sich nur verhält, reagiert oder spontan agiert, aber nicht Zusammenhänge<br />
herstellt oder Strukturen schafft. Also spontan zu komponieren<br />
– das mache ich schon eher. Und da habe ich schon im<br />
Blick, was ich später tun könnte, oder was ich gerade mache und<br />
später vielleicht noch einmal einsetzen oder variieren kann. Zum<br />
Beispiel beobachte ich, wie sich Ingo an einer bestimmten Stelle<br />
bewegt, oder was für Material es ist, das man später wiederverwenden<br />
kann. Und wenn er ähnliche Sachen macht wie ich, kann<br />
ich ihn vielleicht dazu bringen, erneut ähnlich zu agieren.<br />
Ingo Reulecke: Heißt das, dass du <strong>Echtzeit</strong>komposition<br />
nutzt, um Material zu generieren, also musikalisches<br />
Material festzuhalten?<br />
TG: Ja, es ist eine Recherche, auch wenn ich natürlich die meisten<br />
Klänge kenne. Oder ich mache das schon, aber in der Kombination<br />
vielleicht nicht. Und das ist eine Sache, bei der ich mich<br />
auf dich einlasse und gucke; das ist ganz spontan, wo ich anpacke<br />
und wo das anfängt. Andererseits ist es eine Struktur. Ich merke<br />
mir die Klänge, und ich weiß, es sind zwanzig Minuten angesetzt.<br />
Dann versuche ich am Schluss, einen kleinen Bogen zu schlagen,<br />
oder ich probiere, mindestens das Anfangsmaterial noch mal kurz<br />
zu tangieren, um noch eine kleine Coda zu bauen.<br />
172 173
IR: Und ist das für dich anders, mit einem Tänzer<br />
oder mit Tänzern zu arbeiten als mit Musikern?<br />
TG: Ja, absolut. Ich arbeite schon ganz lange mit Tänzern, wirklich<br />
sehr lange. Und eine Qualität für mich ist, dass es in der Musik<br />
so einen bestimmten Gestus gibt, zum Beispiel eine aufstrebende<br />
oder eine irgendwie abwehrende Bewegung, was aber ein Tänzer<br />
völlig körperlich macht. Das ist dann wirklich im Raum. Das ist<br />
nichts, was ich nur höre, mir vorstelle oder auf der Partitur vorstelle,<br />
sondern der Tänzer macht es wirklich, es ist wirklich der<br />
Gestus. Und das gefällt mir gut. Ich versuche, darauf einzugehen,<br />
und dies ist dann auch mein Gestus – sowohl körperlich als auch<br />
andererseits musikalisch gedacht.<br />
Ingo Reulecke: Und wie geht der Musiker damit um?<br />
Wird der Gestus dann irgendwie dechiffriert?<br />
TG: Ja genau, beziehungsweise gibt es dann eine Melodielehre<br />
und barocke Affektenlehre. Und das Tolle beim Tänzer ist, dass er<br />
es wirklich direkt macht.<br />
HG: Kannst du genauer beschreiben, was die Bewegung<br />
mit deiner Musik macht?<br />
TG: Der Gestus ist die eine Sache, die andere ist praktisch. Ich<br />
sehe unsere Arbeit als etwas Einheitliches. Wenn ich mit Musikern<br />
spiele, arbeiten wir beispielsweise am gleichen Klang. Wie<br />
zum Beispiel bei Stockhausen, der hat eine Mikrophonie: Einer<br />
kratzt am großen Tamtam rum, einer mikrophoniert, einer hat<br />
das Mischpult und bearbeitet es da, und alle arbeiten am gleichen<br />
Klang, an dem Gesamtwerk. Und wenn ich mich wirklich einlasse,<br />
dann entsteht ebenfalls ein Gesamtwerk, aber das kommt sehr auf<br />
die Qualität der Leute an. Also da arbeiten wir beide daran. Da<br />
ist eine Bewegung, die sich von da nach dort bewegt, hoch und<br />
runter geht, die fließt oder abgehackt ist. Oder ich versuche, eine<br />
Art Kontrapunkt zu setzen, zum Beispiel wenn Ingo Reulecke mal<br />
etwas total Flüssiges macht und ich da kleine Akzente ‘reinsetze.<br />
Wenn ich merke, dass immer wieder etwas kommt mit dem Arm,<br />
dann spiele ich damit und setze wieder eins drauf: zack, zackzack.<br />
Ich beeinflusse ihn natürlich auch damit, wenn dann plötzlich abrupte<br />
Brüche drin sind. Wenn es gut gelingt, dann ist es so, dass<br />
wir beide an der gleichen, also vielleicht körperkinetischen Musik<br />
arbeiten.<br />
HG: Wie hast du dies bei den beiden Sets wahrgenommen,<br />
warst du eher der Impulse gebende oder<br />
der empfangende Part?<br />
TG: Beides, würde ich sagen. Es war interessant für mich. Es ist<br />
auch eine gute Idee, beide Sets hintereinander zu machen. Weil<br />
beim ersten Mal war das eigentlich ganz leicht: wir haben so ein<br />
bisschen gespielt. Und beim zweiten Mal ist es total intensiv geworden.<br />
Ich fand, dass so eine Art Kraftaustausch stattfand.<br />
HG: Kannst du dies noch genauer beschreiben – diesen<br />
Unterschied zwischen Set I und II? Was ist ganz<br />
leicht?<br />
TG: Vielleicht bin ich nicht so tief ‘reingegangen. Es war ja auch<br />
angekündigt: „Und jetzt finden wir uns zusammen.“ Aber wir<br />
müssen uns eigentlich nicht zusammenfinden, wir kennen uns ja<br />
schon. Doch ich habe nicht versucht, von mir aus ein Werk zu machen,<br />
sondern zu Anfang hab’ ich es eher für euch gemacht. Da<br />
war mir das Publikum bewusst. Und beim zweiten Mal eigentlich<br />
nicht. Da war es mir völlig gleichgültig, ob jemand dabei sitzt oder<br />
nicht.<br />
HG: Entstehen bei dir andere Ebenen, wenn du improvisiert?<br />
TG: Ja. Das ist auch der Grund, warum ich sowas mache. Da sind<br />
solche Momente wie: Du machst was, und das stimmt. Das ist toll.<br />
Das ist das totale Einssein mit sich selber. Du machst irgendwas<br />
und denkst: ’Okay!’ Darunter gibt es aber auch kein Vertun, oder<br />
174 175
dass man sagt, das hätte man lieber so oder so, sondern das gibt<br />
dann so einen Fluss. Und da kann man eigentlich nicht viel falsch<br />
machen, sondern man lotet selber aus, wie lange man jetzt dabei<br />
bleibt oder wie sich das entwickelt. Und das ist für mich selber<br />
spannend. Ich guck’ dann selber zu, was passiert – wie bei konkreter<br />
Musik.<br />
IR: Aber wäre es in dem Setting auch vorstellbar bei<br />
einem Duett, dass du oder ich etwas hervorlocken<br />
im Partner, dass es eine Irritation gibt, etwas, das<br />
du nicht unbedingt willst, sondern wo etwas anders<br />
läuft, als du es dir vorgestellt hast? Wie würdest du<br />
damit umgehen? Das haben wir ja kaum gemacht. Es<br />
war ja schon in einem größeren Einvernehmen, eher<br />
so, dass eins das andere ergab. Aber wenn jetzt etwas<br />
richtig kontrastiert, wo man ins Straucheln geraten<br />
müsste, kennst du so etwas auch? Wie gehst du damit<br />
um?<br />
TG: Das kommt auf das Setting an. In dem Moment bin ich ja<br />
nicht als Privatperson da, sondern als Komponist. Und in dem<br />
Sinne bin ich praktisch Teil eines Theaterstücks. Und das Theaterstück<br />
kann natürlich auch so ausgehen, dass wir uns anschreien<br />
oder dass einer ‘rausgeht und die Türen knallt. Und dann gehört<br />
das aber zum Theaterstück. Interessant eigentlich.<br />
HG: Und wie sieht es mit deiner eigenen Verfassung<br />
aus, nimmst du die mit ‘rein, arbeitest du auch im Innen<br />
oder bist du mehr im Außen?<br />
TG: Als Musiker lernt man zu fokussieren. Das lernt man im Studium.<br />
Und das ist toll. Das hilft dann auch. Meine Freundin hat<br />
mich verlassen, mein Vater ist gestorben, es ist egal, ich bin hier<br />
und spiele jetzt für euch drei Leute so gut wie ich noch nie gespielt<br />
habe. Und das ist toll. Das ist auch wirklich immer der Moment,<br />
und da entspanne ich mich total. Weil ich natürlich immer 50.000<br />
Sachen habe. Und bei einem Festival ist das auch immer klasse,<br />
tausend Sachen zu checken, aber in dem Moment, wenn der Auftritt<br />
ist, geht mich das alles nichts an.<br />
HG: Was passiert da mit dir?<br />
TG: Das ist eine totale Entspannung. Wobei es schon auch Kraft<br />
kostet. Ich habe eben auch gemerkt, dass ich mich verausgabt habe<br />
und dass ich nicht sofort hätte reden können. Ich habe immer noch<br />
nicht ganz den Tanz losgelassen, bin etwas kurzatmig geworden,<br />
es hat mich schon gepackt.<br />
HG: Also wirkt es im Körper noch nach?<br />
TG: Ja! Vielleicht auch im Körper.<br />
IR: Kannst du beschreiben, was nachwirkt, beziehungsweise<br />
wo und wie? Was passiert da? Okay, Erschöpfung,<br />
Verausgabung, aber da ist doch bestimmt<br />
noch etwas anderes, was da passiert und dich entsprechend<br />
beeinträchtigt und verändert.<br />
TG: Ja, das verändert sich. Es gibt eine Phase, in der man sich<br />
mehr verändert, und eine, in der man sich weniger verändert. So<br />
wie ein gutes Buch, was man liest, einen verändert, oder ein tolles<br />
Musikstück, was man hört oder was man macht. Aber dadurch,<br />
dass ich es selber gemacht habe, ist es mehr ein Teil von mir selbst.<br />
HG: Und wie ist die Veränderung genau?<br />
TG: Es ist ein schönes Gefühl. Es kommt die Erschöpfung hinzu<br />
und das Ausgequetschtsein von den Ideen, die man hineingebracht<br />
hat. Ein ruhiges Gefühl. Es wäre bei so einem Setting aber<br />
auch denkbar, dass niemand etwas versteht. Das wäre dann nicht<br />
so schön, aber auch interessant. Das müssten wir beide mal ausprobieren,<br />
richtig zu streiten. Ich glaube, es ist schon im Körper,<br />
aber ich denke als Musiker eher mit meinem Kopf und meinem<br />
Herzen, insofern weiß ich nicht genau, wo es steckt und wie es ist.<br />
176 177
HG: Und was macht es mit dem Herzen?<br />
TG: Das Herz ist sowieso wichtig, da die Persönlichkeit im Herzen<br />
und nicht im Hirn sitzt. Ja, das war schön! Wir spielen ja sowieso<br />
zusammen. Aber lass uns mal wieder duettieren oder duellieren.<br />
IR: Ja, das wollte ich wissen: Hat es für dich etwas von<br />
duellieren, messen oder geht es um ein gemeinsames<br />
Einvernehmen, bei dem man sich gegenseitig kontrastiert,<br />
oder gibt es auch die Komponente von<br />
einem duellartigen Vorgehen?<br />
TG: Eigentlich nicht. Es ist eher so, als würde ich mit meinem<br />
Freund Tischtennis spielen. Mal gewinnt er, mal gewinne ich. Es<br />
macht natürlich auch manchmal Spaß, ein bisschen Virtuosität zu<br />
zeigen. Aber das ist kein Duell, sondern eher ein showing off, wenn<br />
es herausgekitzelt wird, wenn ich wirklich 100% geben kann.<br />
IR: Mir ist schon aus der Improvisation mit anderen Tänzer*innen<br />
bekannt, dass man sich aus der Reserve lockt und Kunststückchen<br />
macht und versucht, schneller, höher, weiter zu gehen und<br />
darüber in eine Art Wettbewerb kommt. Das ist mir aber auch mit<br />
Musiker*innen hier und da begegnet, dass sie dann anfangen, Skalen<br />
zu spielen im Sinne von schneller, höher und weiter.<br />
TG: Das ist bei uns aber anders. Ich meine, das geht gar nicht, da<br />
wir unterschiedliche Genres vertreten. Das gibt es manchmal, wobei<br />
es immer schlecht für die Musik ist. Ich kann mich erinnern,<br />
ich habe mal ein Konzert erlebt, da waren John McLaughlin, Al<br />
Di Meola und Larry Coryell zusammen am Spielen. Zuerst spielte<br />
McLaughlin wunderbar alleine, dann kam Al Di Meola dazu, und<br />
es ging nur noch in Windeseile zur Sache und wurde völlig langweilig.<br />
Dann haben sie die Musik vergessen. Ich versuche, so etwas<br />
zu vermeiden. Ich bin recht lange im Geschäft, und wenn solche<br />
Sachen passieren, kann es sein, dass ich vollkommen blocke oder<br />
kurz etwas zeige und dann blocke. Die Kunst muss vollkommen<br />
aus dem Herzen kommen, und nicht aus den Fingern oder hö-<br />
her, weiter oder so. Aber das ist bei uns beiden nicht gegeben. Ich<br />
wüsste gar nicht, warum man das machen sollte.<br />
HG: Arbeitest du auch mit dem Raum?<br />
TG: Ich bin jetzt nicht herumgelaufen, was ich normalerweise sehr<br />
oft mache. Ich habe noch ein Lautsprecherorchester, wo ich dann<br />
live die Klänge durch den Raum schicke. Dann mache ich auch<br />
viel mit Elektronik.<br />
HG: Wie war es jetzt hier mit diesem Raum für dich?<br />
TG: Der ist nicht so richtig toll. Hier hallt es ein bisschen, und es<br />
ist ein zu tiefes A, und der Tisch klingt auch nicht so richtig gut.<br />
Aber ich habe mit diesen found objects ein Konzept verfolgt, dass<br />
ich gar keine Instrumente mitnehme und mit dem spiele, was da<br />
ist. Da kann man vollkommen Pech haben mit dem Boden oder<br />
mit Vorhängen. Das hatte ich auch schon. Manchmal ist es klasse,<br />
weil die Leute tolle Sachen haben. Deswegen ist es dann praktisch<br />
die Aufgabe, mit dem Tisch hier klar zu kommen.<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Moment für dich?<br />
TG: Das ist hohe Philosophie, da muss man mal bei Wittgenstein 22<br />
nachblättern. Ja, der Moment, den mache ich mir nicht immer bewusst.<br />
Aber ich bin immer in einem Moment, und es ist die Frage,<br />
wie ich ihn gestalte. Insofern kann ich, wenn ich performe, den<br />
Moment suchen und ihn auskosten, ausformen. Das ist ein schöner<br />
Moment, weil ich mich dem vollkommen widmen kann. Es<br />
gibt tausend Momente, mit denen man gar nichts zu tun hat.<br />
IR: Das ist aber eher selten in dieser Situation von<br />
einer Begegnung. Gerade wenn andere Performer<br />
22 In seiner mittleren Periode befasst sich Wittgenstein wiederholt mit dem Thema der Zeit, inspiriert<br />
von Augustinus’ Werk im II. Buch seiner Confessiones. vgl. Rudolf F. Kaspar und Alfred Schmidt: Wittgenstein<br />
über Zeit, https://www.jstor.org/stable/20483489?seq=, letzter Aufruf: 27.04.2021.<br />
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zuschauen, da fällt es dir leichter, diesen Moment zu<br />
finden. Wenn du partizipierst oder für dich übst, wie<br />
ist es da mit dem Moment?<br />
TG: Wenn ich mir das gönne, ist es eine bewusste Sache. Oft kann<br />
ich es mir nicht gönnen. Es ist die Frage, ob ich es mir gönne oder<br />
mir den Moment nicht nehme.<br />
IR: Wie nimmst du dir den Moment? Wie geht das?<br />
TG: Das ist eine bewusste Entscheidung. Das mit dem Publikum<br />
ist nicht der Hauptpunkt für mich. Ich habe schon für drei Leute<br />
und für 7.000 gespielt. Es mag sein, dass die Zuschauer lachen<br />
oder sonst irgendwie Anteil nehmen. Aber für die Kunst ist es<br />
nicht wichtig.<br />
Beispiel für ein neues Stück, um den Kopf freizubekommen. Aber<br />
ich kann es nicht bestimmen. Das Aufpfropfen, das geht gar nicht.<br />
Selbst wenn man es versuchen wollte, es wäre zum Scheitern verurteilt.<br />
Das sollte man nicht machen.<br />
HG: Gab es Schwierigkeiten bei den beiden Sets?<br />
TG: Ich hatte etwas Angst, dass mir die Sachen herunterfallen.<br />
Deshalb war ich nicht ganz so wild wie ich manchmal bin, zum<br />
Beispiel mit dem Jazzbesen. Ich wollte nicht, dass etwas herunterfällt.<br />
Wobei wir auch schon so etwas hatten, dass etwas herunterfiel<br />
und einer dann damit spielte.<br />
HG: Du hast gesagt, du nimmst dir den Moment. Ist<br />
das eher ein Eintauchen oder ein Aufsetzen?<br />
TG: Nein, das ist schon ein Nehmen. Also, die Zeit nehme ich<br />
mir, um dort wirklich einzutauchen und mir die Freiheit zu lassen,<br />
dass ich es jetzt wirklich genieße, dann muss ich an nichts anderes<br />
denken.<br />
HG: Welche Bedeutung haben Pausen für dich in der<br />
Musik?<br />
TG: Das ist eines der interessanten akustischen Ereignisse, die Stille<br />
oder die Pause. Das gehört zum Gestus dazu oder zur Struktur.<br />
Es kann ein Stück geben, was nur aus Pausen besteht oder überhaupt<br />
keine Pausen hat. Ich würde es nicht glorifizieren wollen.<br />
Wir haben keine Stille. Es gibt sehr tolle Stillen, wenn man nicht<br />
damit rechnet. Wenn man zum Beispiel mit einem Auto irgendwo<br />
steht und warten muss und plötzlich fragt man sich: “Wo bin ich<br />
denn hier?” Solche Momente kann man nicht herstellen. Wenn<br />
wir spielen, kann man dies nur bis zu einem bestimmten Punkt<br />
herstellen. Es muss irgendwo passieren. Da gibt es Methoden zum<br />
180 181
36<br />
VERSUCHSANORDNUNG 10<br />
Clayton Thomas, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Set I – Dokumentation<br />
Neunte Etage, EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
19.3.2014<br />
Handspielerei, die Arme ausgestreckt drehen<br />
Verkreisungen der Hände<br />
Handabwedeln, nach unten schrauben<br />
Schwimmgebärden, Extremitätenfokus, Verdrehungen und Hochrunter<br />
Armspieler, Achtendreher<br />
Kopfnachuntenfallhaltung<br />
Schiebearme rechts links, Beinkreuzung im Drehzirkel nach oben.<br />
Hopsen am Fenster<br />
niederkurbeln mit gelüfteten Armen<br />
Kopf auf Boden hoch und runterruckeln.<br />
Gleichförmiges Armverschrauben, Vierfüßlerschritt tief<br />
umgekehrt mit Bodenbrücke auf Stuhl hangeln,<br />
Beine losgelöst, Arme dem Boden zugewandt.<br />
Hochgezogen auf Stuhl stehend.<br />
Der Oberkörper eingesunken<br />
vorhangeln in der Luft – Bodenbrücken niederrutschen<br />
Fingerfäuste, Arme gespannt.<br />
Kraftvoll schwerfällig nach oben gezogen und Knie – es umfasst,<br />
schwer das Bein in Streckung gezogen – und unten<br />
den Kopf schleppend gestemmt,<br />
niedersinkendes einander Verweben in Kreisform<br />
Bein hoch- und runtergestoßen.<br />
Balancierendes Kniebein aufheben<br />
Körperverwringungen – dabei losfatzen<br />
Rundgesteuertes Drehen, Schwingarme, Verschiebarm<br />
Versatzstückdrehen auf Boden, Fragmentspielen<br />
ruckelndes auf Boden wälzen<br />
abstützen und hangeln auf Fensterbrett, Balancestützung<br />
Fensterrahmenfassen mit Beugekopfhaltung<br />
Hände tiefer führen, sich selbst einzwängen in Fenstereinpassung<br />
wegschweben mit Spinnenhänden<br />
Zehenspitzenbalancetanz mit Schiebarmen und Schultern hochgezogen<br />
Wandspiel<br />
niederrückeln, entlang schleifen<br />
mit gesamtem gummiartigen Körper seitwärts fläzen<br />
Wegstolpern, Eckenfuseln, Spreizbeinbewegungen.<br />
Vorsichtsschraubenartiges Abtauchen, Vierfußdrehkreisen<br />
eingesunkener Oberkörper, Handflattern in alle Richtungen<br />
Kopf eingeknickt auf Oberkörper, dabei Verschiebungen in den Raum hinein.<br />
Eckwedeln<br />
Tonloses Bodenkriechen<br />
vorsichtig gezügeltes Schleifen in den Raum hinein auf allen Vieren<br />
jede Bewegung auskostend langsam<br />
den Hals wie zum Köpfen gelegt über Stange.<br />
Set II – Interpretation<br />
Spannung – gegenüberstehen<br />
Schwirrkreisen<br />
Rückzugsbrücken<br />
Einkehrbeuge<br />
Stuhlstille<br />
Saughangeln<br />
Klatschschieber<br />
Tauchtreter<br />
Kopffusseln an Stuhl<br />
Schrägdrehachsenzwängen<br />
Einbeugstummeln<br />
Schiebekettenhände<br />
Zuckschwirlen<br />
Streiffußschreiten rückwärts<br />
Versteckkehren<br />
Fragmentkörperflattern<br />
Zuckelgleichformkreise<br />
182 183
Verdrehzierung<br />
Expanderfuchteln weich<br />
Schlängelkreiser<br />
Wedelrobotern<br />
Verwringungsfüseln<br />
Handverklemmung<br />
Schräglagenstehen<br />
Fußstülpenstreckung<br />
Abwinkschwenken<br />
Entstörungswedeln<br />
Knackdrehhandspreizen<br />
Feinzugsniedersinken<br />
Kurbelbeuge<br />
Hopsunterbrechung<br />
Teilrahmenziehen<br />
Beinschiebegehen<br />
Verstuhlung<br />
Stockverweichlicher<br />
Handdrehzucken<br />
Sprunglästigkeit<br />
Einsinkturbeln<br />
Bodenangsthampeln<br />
Handhelferbeine<br />
Kniekusssitzen<br />
Schlängelfrierfragmente<br />
Einweichschrauben<br />
Wischdreher, Luftscheibenwischer<br />
Beugweichtasten<br />
Fensterstandssinken<br />
Schrägdrehachse<br />
Zirkelhalbkreisen<br />
Rückenbrettstuhlen<br />
Sinkfiedern<br />
Handgreifhalten<br />
Handdrehbluten<br />
Armauswringstrecken<br />
Armgebeversucher<br />
Blütenfingerkreuzweg<br />
Abschraubhand<br />
Ellbogenverecker<br />
Paketsitzen<br />
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VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 10 – Set I – https://vimeo.com/917132003<br />
Versuchsanordnung 10 – Set II – https://vimeo.com/917045142<br />
186 187
37<br />
INTERVIEW<br />
Clayton Thomas, Heike Gäßler, Carlos Bustamante, Ingo Reulecke<br />
Neunte Etage, EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
19.3.2014<br />
Heike Gäßler: Wie hast du die beiden Improvisationen<br />
empfunden?<br />
Clayton Thomas: Es war eine sehr seltsame Situation, um zu improvisieren.<br />
Ich denke, Situationen wie diese schaffen etwas Gekünsteltes,<br />
bei dem man Anspannung nur schwer lösen kann,<br />
wenn man gebeten wird, etwas zu präsentieren. Also war es ziemlich<br />
schwierig, einen authentischen Punkt echter Improvisation<br />
zu finden.<br />
HG: Und was war für dich wichtig bei diesen Sets?<br />
CT: Dass ich Ingo wieder getroffen habe, das war wichtig. Aber<br />
wie definierst du wichtig? Hatte ich eine Erleuchtung, geschah<br />
etwas, das Neu war, oder war es aufschlussreich oder hat es sich<br />
geöffnet? Weißt du, es ist eine sehr breit gefasste Vorstellung. Ich<br />
hatte eine sehr gute Zeit, als ich mit Ingo spielte, aber wichtig ist<br />
ein schweres Wort – dafür, dass wir in einem Schulraum sind. Was<br />
wirklich schön war, war zu sehen, wie dieses Material, das wir entwickelten<br />
oder zu dem wir wegen der visuellen Situation gelangten,<br />
sich natürlich entwickelte. Das ist so die Art, wie ich versuche,<br />
Dinge zu spielen, im Material zu sein und es dann in eine natürliche<br />
Bewegung zu bringen. Ich sah, wie und wann Ingos natürliche<br />
Bewegung sich ebenfalls veränderte, weil er in seinem eigenen materiellen<br />
Objekt ist. Und ich sah, wie die verschiedenen Teile aus<br />
einem bestimmten Grund zusammentrafen und wie sie ganz natürlich<br />
aus ihrer Eigenart heraus miteinander verschmolzen – wie<br />
sie sich trennten oder zusammenkamen aufgrund der natürlichen<br />
Neigung des Materials. Es ist also interessant und ich schätze es<br />
sehr, wenn ich mir anschaue, wo ich am Ende schließlich gelandet<br />
bin, nachdem wir doch am selben Punkt anfingen, denn jeder von<br />
uns folgte seiner eigenen Linie. Das war wertvoll und hat mir sehr<br />
gut gefallen.<br />
HG: Du hast gesagt, es gefiel dir, dass du Ingo getroffen<br />
hast. An welchen Stellen bist du ihm in diesen Sessions<br />
tatsächlich begegnet?<br />
CT Ich glaube, beim ersten Stück war es, als ich bereit war, aufzuhören<br />
und einfach zu warten, bis es fertig war, da hatte ich das<br />
Gefühl, dass ich ihn irgendwie getroffen hatte. Das war übrigens<br />
wichtig für mich (statt gesagt zu bekommen, dass ich zwanzig Minuten<br />
spielen solle), den natürlichen Abschluss des Themas zu<br />
akzeptieren und zu sehen, wie Ingo darauf reagiert hat, und das<br />
gefällt mir sehr. Eigentlich hatte ich in dem Moment ein starkes<br />
Gefühl des Zusammenseins mit Ingo. Die zweite Session war eher<br />
so, dass wir die Situation irgendwie akzeptierten.<br />
HG: Wie hast du die Zeit empfunden während der<br />
Sessions, diese Zeit von zwanzig Minuten – als du gespielt<br />
hast?<br />
CT: Das ist wieder ein Teil der Gekünsteltheit der Situation. Man<br />
weiß, dass man aufgefordert ist, etwas zu tun, das willkürlich ist.<br />
Es hat nichts zu tun mit der Beziehung, die man in der Performance<br />
mit der anderen Person aufbaut, und dem natürlichen<br />
Fluss von Material oder Ideen und Inspiration, die geschehen,<br />
weil man zusammenarbeitet. Es ist wie eine Eingrenzung und eine<br />
Verpflichtung. Ich fühle mich nicht sehr gut bei dieser Art von<br />
Situation.<br />
HG: War es eine Belastung für dich? Oder war es wie<br />
relative Zeit, und hat diese sich verändert?<br />
188 189
CT: Es bedeutete, dass ich einschränken musste, wo ich hinging,<br />
und dass ich die ganze Zeit über Grenzen nachdenken musste.<br />
Natürlich war es meine Wahl, dass ich mich in diese Situation begeben<br />
habe – du weißt, ich habe ja gesagt, denn ich wollte diesen<br />
Menschen treffen, das war es, was ich tun wollte. Dennoch hatte<br />
ich den Eindruck, dass die Situation ein seltsames und unnatürliches<br />
Umfeld generiert hat, um so etwas zu tun. Also empfand ich<br />
die Zeit als eine Behinderung und eine sonderbare Verpflichtung<br />
ohne Relevanz für die Arbeit, für die Aktivität. Doch aus diesem<br />
Grund hat es auch etwas entstehen lassen. Das ist also interessant.<br />
Das meine ich nicht negativ. Tatsächlich denke ich überhaupt<br />
nicht negativ darüber. Ich bin einfach gerade heraus.<br />
HG: Was ist für dich eine Momentkomposition?<br />
CT: Bewusste Entscheidungen treffen. Bewusst sein.<br />
HG: Was ist für dich die Bedeutung eines Moments?<br />
CT: Präsenz. Gegenwärtig sein.<br />
HG: Wie erschaffst du in dem Moment?<br />
CT: Indem ich gegenwärtig bin. Es ist wahr, das ist wirklich das<br />
Ding, dass du deine Schöpfung in dem Moment siehst, in dem sie<br />
entsteht.<br />
HG: Kannst du mir sagen, welche Methoden du anwendest,<br />
wenn du im Kontakt mit der Bewegung von<br />
Ingo bist?<br />
CT: Also in technischer Hinsicht? Ich habe einen Kontrabass, ich<br />
habe einen Bogen, und ich lege Objekte in und auf den Kontrabass,<br />
damit er sich wie ein anderes Instrument verhält. Und ich<br />
erkunde, wie sich die Aktionen innerhalb dieser Umgebungen des<br />
Basses verhalten, ich höre ihnen zu und sehe dann, wohin sie sich<br />
begeben aufgrund der Art und Weise, wie der Raum existiert. Das<br />
ist der eine Teil davon. Und weil ich diese Materialien sehr genau<br />
kenne, kann ich meine Entscheidungen darüber treffen, welche<br />
Art von Umgebung sie schaffen. Und daher kann ich mich innerhalb<br />
des Moments bewegen, basierend darauf, wie ich Ingos Beziehung<br />
zu dem, was sie sind, oder seine Trennung von der Beziehung<br />
wahrnehme. Also, ich schlage Dinge und ich streichle Dinge,<br />
und ich lausche den Obertönen, ich höre die Harmonie und höre<br />
den Lärm. Und ich versuche, zu konstruieren, und gegenwärtig zu<br />
sein hinsichtlich der Konstruktion dieser Dinge.<br />
HG: Hast du das Gefühl, dass du eher derjenige bist,<br />
der Impulse gibt, oder mehr der, der sie empfängt?<br />
CT: Es scheint in meiner Natur zu liegen, dass ich sehr viele Impulse<br />
gebe bei den meisten meiner musikalischen Situationen.<br />
Aber ich bin mir nicht sicher, ob es wie ein Verhältnis von Klang<br />
versus Visuellem ist. Ich meine, der Impuls des Klangs und der visuelle<br />
Impuls leben auf sehr unterschiedlichen Ebenen. Ich würde<br />
nicht sagen, dass ich Ingo den Impuls gegeben habe. Ich neige einfach<br />
dazu, dass ich meine Ideen klar zum Ausdruck bringe. Und<br />
ich denke, unsere Impulse existieren an verschiedenen Orten, weil<br />
auch Ingo unglaublich klar und deutlich ist.<br />
HG: Wie entscheidest du in dem Moment, um mit der<br />
Bewegung zu kommunizieren? Gibt es da Prinzipien,<br />
von denen du dich leiten lässt?<br />
CT: Ich fühle mich sehr wohl dabei, von der Bewegung unabhängig<br />
zu sein. Ich neige dazu, es wirklich zu vermeiden, narrativ zu<br />
sein, weil das wie eine aktive Sache ist. Raum und Klang betrachte<br />
ich als dreidimensionale Gegenstände. Wir sind Teil eines dreidimensionalen<br />
Objekts, das aus Klang und Bewegung besteht, und<br />
diese Dinge können sehr unabhängig oder sehr verbunden sein.<br />
Und manchmal könnte man den Klang, weil wir erzählerische<br />
Wesen sind, als ein Narrativ empfinden. Und so ist es interessant,<br />
das zu betrachten, wenn es passiert. Aber ich versuche nicht, etwas<br />
offensichtlich geschehen zu lassen für Ingo. Aber wenn ich<br />
190 191
spiele, genieße ich es, dass das Spiel im Tanzkontext etwas für ihn<br />
entstehen lässt, gegen das oder wofür<br />
er kämpfen kann. Es gibt eine<br />
Art Entscheidung für mich in dem<br />
Moment, wenn man eindeutig<br />
weiß, was man macht (wie ‘Okay,<br />
ich spiele den Takt, und du tanzt,<br />
und was wirst du nun tun?’). Dies<br />
wird dann ein sehr offensichtlicher<br />
Punkt, wo ich hingehen kann. Man<br />
arbeitet im Kontrapunkt. Ich kann<br />
Ingos Kontrapunkt sehen, und ich<br />
kann mein Statement sehen und<br />
versuchen, es zu abstrahieren. Man<br />
muss sich nicht verpflichtet fühlen, damit zu arbeiten. Es kommuniziert<br />
auf all diesen verschiedenen Ebenen. Zum Beispiel habe<br />
ich viel darüber nachgedacht, Geräusche zu machen, die sicherstellen,<br />
dass meine Arme so aussehen wie Ingos Arme. Ich arbeitete<br />
manchmal sehr hart, um sicherzustellen, dass meine Venen hervortraten<br />
und mein Arm heraussprang. Denn das hatte ich bei ihm<br />
gesehen, und ich dachte: ‘Okay, das ist er.’ Das ist eine Motivation.<br />
Die Dinge, die uns in Verbindung bringen, sind nicht unbedingt<br />
offensichtlich. Viele Musiker würden den Takt so spielen, dass sie<br />
den Punkt signalisieren, an dem sie gerade sind, um zu versuchen,<br />
eine Verbindung herzustellen, wenn diese gerade nicht besteht.<br />
Und ich mache irgendwie das Gegenteil. Ich setze den Takt als<br />
Mittel ein, um Ingo fernzuhalten.<br />
HG: Dein innerer Zustand, wie Gefühle, sind sie<br />
wichtig, oder ist dir die Außenwelt wichtiger?<br />
CT: Alles trägt dazu bei. Man hat seine körperlichen Gewohnheiten<br />
auf dem Instrument. Zum Beispiel bin ich sehr müde. Ich<br />
habe in dieser Woche viel Musik gespielt und bin überwältigt<br />
von verschiedenen Formen musikalischer Erfahrungen. Und ich<br />
bin erschöpft. Aber ich fühle mich im Moment wirklich gut am<br />
Kontrabass. Und es fühlt sich sehr entspannt an, und es hatte sei-<br />
ne eigene Energie. Das ist also der körperliche Aspekt. Du hast<br />
ja mit der Frage auch angesprochen, wie ich mich in körperlicher<br />
Hinsicht fühle, und mit dem Kontrabass fühle ich mich sehr wohl,<br />
er kämpft nicht gegen mich an. Auch bin ich so müde, dass ich<br />
nicht aggressiv bin, und ich habe keinen Raum, dem ich emotionale<br />
Energie geben könnte, außer nur genau dort zu sein, wo ich<br />
bin, was irgendwie ziemlich stabil ist, würde ich sagen. Es ist eine<br />
angenehme Erschöpfung. Ich denke also, dass alles betroffen ist.<br />
Ich kann die physischen oder emotionalen Dinge nicht trennen,<br />
aber es ist schön, wenn dein körperliches Selbst funktional ist,<br />
denn dann kann die Musik in deinen emotionalen Raum gelangen.<br />
Wenn du körperlich zu kämpfen hast, ist es sehr schwer, deine<br />
Emotionen tatsächlich dort sein zu lassen, wo du bist. Denn das<br />
schafft einen anderen emotionalen Raum.<br />
HG: Was ist mit Pausen? Sind sie wichtig für dich?<br />
CT: So etwas wie eine Pause gibt es nicht. Die Frage ist hier<br />
doch, was ist Musik und was ist nicht Musik, wenn man im aktiven<br />
Spielen ist. Es gibt also keine Pause während des Spielens. Es<br />
sei denn, man stoppt. Wie „Stop, stop!“ Wie „Eigentlich ist es das<br />
jetzt, okay?“. Beim aktiven Spielen ist auch die Pause Musik. Also<br />
denke ich nicht in diesem Sinne über die Pause nach. Es kommt<br />
darauf an. Manchmal braucht die Musik eine Pause. Aber es ist<br />
immer noch die Musik. Für unsere beiden Sessions war es so, dass<br />
ich zum Beispiel ein Solo spielte und Ingos Bewegung aber Raum<br />
brauchte, um nicht vom Klang dominiert zu werden, also schien es<br />
eine wichtige Rolle zu spielen, ihm diesen Raum zu geben. Außerdem<br />
kann ich im Klangbereich dominieren, und ich kann ebenso<br />
emotional dominieren, da die Musik dazu neigt, eine emotionale<br />
Umgebung zu erzeugen. Ob es dir gefällt oder nicht. Die Stille ist<br />
also eine Art Signal: Ich mache es nicht, um dich zu dominieren.<br />
Vielleicht ist es also ein Teil der Kommunikation. Ich weiß nicht,<br />
ob ich still war oder nicht. Ein wenig. Es hätte mehr sein können.<br />
HG: Was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
192 193
CT: Sie macht ihn konkret.<br />
HG: Auf welche Weise?<br />
CT: Die Bewegung erschafft Klang aus sich selbst heraus, sie erschafft<br />
alle Arten von Bildern und Assoziationen und emotionalem<br />
Kontakt der Menschen, die zuhören. Auch in der Beziehung<br />
zwischen dem Tänzer und dem Musiker ist Bewegung. Aber das<br />
war eine ganz impulsive Antwort, ohne nachzudenken. Ich könnte<br />
morgen das totale Gegenteil behaupten. So passiert das manchmal,<br />
wisst ihr. Die Bewegung erzeugt eine sehr deutlich wahrnehmbare<br />
menschliche Stimme in der Musik. Plötzlich merkst<br />
du, der Kontext der Emotion ist klar festgelegt. Es ist, als ob sich<br />
jemand in einer Weise bewegt, die man wirklich verstehen kann,<br />
weil man auch einen Körper hat. Und so entsteht eine konkrete<br />
Beziehung zu dem, was die Musik für mich bedeutet. Auch wenn<br />
es vermutlich nicht die Absicht des Bewegungskünstlers ist, ist es<br />
irgendwie das, was passiert. Der Gegenstand wird viel konkreter,<br />
wenn Bewegung und Klang zusammenwirken. Was vermutlich etwas<br />
ist, wogegen Ingo regelmäßig ankämpfen muss.<br />
HG: Kommunizierst du auch mit dem Raum, und<br />
welche Bedeutung hat dieser Raum für dich?<br />
CT: Ich versuche, den Raum zu vermeiden. Es zu vermeiden, über<br />
den Raum nachzudenken. Ich hörte nur einfach auf den Raum,<br />
und ich wollte ihn nicht anschauen. Es ist ein schrecklicher Raum,<br />
in visueller Hinsicht, aber das ist schon in Ordnung. Es ist interessant.<br />
Also neigte ich dazu, in der Tat getrennt zu sein vom Raum als<br />
physische Einheit und nur darüber nachzudenken, wie es klingt,<br />
und über Ingo in diesem Klang. Nicht auf diesem Stuhl da. Mehr<br />
als physisches Objekt.<br />
HG: Hattest du während der Sets Schwierigkeiten?<br />
CT: Nichts Spezielles. Aber es ist immer eine Herausforderung,<br />
eine Musik zu finden, die für die Musik selbst spricht, wenn der<br />
Kontext so spezifisch ist. Wenn es zum Beispiel Ingo und ich an<br />
einem privaten Ort gewesen wären, wenn keine Aufnahmen und<br />
kein Video gemacht worden wären, oder wenn ich die Fragen nicht<br />
zu ergründen hätte, die mir gestellt worden sind, dann wäre es eine<br />
ganz andere Situation gewesen.<br />
HG: Könntest du eine Schwierigkeit nennen, die du<br />
jetzt hattest?<br />
CT: Zu wissen, dass du Fragen dazu stellen würdest. Weil das einen<br />
Kontext in die Situation bringt. Irgendwie war es wirklich schwierig,<br />
mitten am Tag in einen Raum zu kommen, und dass mir dann<br />
gesagt wurde: „Okay, seid inspiriert!“ Und ich denke, es sind einige<br />
Dinge passiert, bei denen ich mich sehr gut gefühlt habe. Es war<br />
schwierig, glaube ich, aber wir haben irgendwie etwas Schönes gemacht.<br />
Aber es ist solch eine gekünstelte Situation. Es ist nicht so<br />
wie Dreharbeiten für einen Tag, bei denen man sich kennenlernt<br />
und dann zwanzig Minuten herausnimmt aus der Erfahrung des<br />
ganzen Tages, über die du dann sagen kannst: ‘Dieser Ausschnitt<br />
hier war das wirklich Wertvolle und eine lohnenswerte Präsentation.’<br />
So war es wirklich nicht. Statt dessen war es so: „Okay, komm<br />
und pack’ deine Sachen aus. Tut etwas. Jetzt hört auf! Wer macht<br />
eine Pause? Warum machen wir eine Pause? Weil wir beschlossen<br />
haben, dass wir eine Pause machen? Kann mir jemand sagen, dass<br />
wir eine Pause machen? Jetzt werden wir interviewt? Und jetzt gehen<br />
wir zurück und machen die Session noch einmal? Warum?<br />
Weil wir 20 Minuten machen sollen und nur 15 Minuten gemacht<br />
haben? Also könnt ihr das jetzt bitte machen! Und bitte macht es<br />
besser als beim ersten Mal!“ [Alle lachen]. Ich ziehe gerade vom<br />
Leder. Wie auch immer.<br />
HG: Führt dich diese <strong>Echtzeit</strong>komposition auf eine<br />
andere Ebene der Wirklichkeit?<br />
194 195
CT: Ich hatte neulich das Gefühl, als ich abends mit Britta 23 spielte,<br />
dass ich erkannte, beim Spielen bin ich tatsächlich ein ganz anderer<br />
Mensch als derjenige, der nicht spielt. Also, ja. Man schafft<br />
es nicht immer dorthin, aber manchmal kann man auf eine andere<br />
Ebene gelangen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich heute dort angekommen<br />
bin. Es gibt keine Garantie beim Improvisieren, dass<br />
man zu diesem Wesen mit einer erhöhten Wahrnehmung wird –<br />
aber es passiert.<br />
IR: Wie ist der Klang dieses Raumes?<br />
CT: Dröhnend. Dazu gibt es eine Menge von niedrigen Frequenzen,<br />
und der Schall bewegt sich in dem Raum auf irgendeine Art<br />
und Weise. Er ist wirklich klar. Es gibt viel Resonanz bei bestimmten<br />
Frequenzen. Es gab also bestimmte Dinge, die los waren, zum<br />
Beispiel konnte man das Schlagen der Saite nicht hören, sondern<br />
nur den sehr tiefen Klang, den die Saite erzeugte. Das war wirklich<br />
schön – schöne Klangartefakte, mit denen ich mich da befassen<br />
konnte.<br />
treibst du das Spiel in derselben Richtung immer weiter. Oder du<br />
ignorierst es einfach und tust das, was du einfach tun möchtest.<br />
Aber das ist immer ganz unterschiedlich, denn man durchläuft<br />
verschiedene Phasen. Es ist, als ob du deinem Körper zuhörst,<br />
wenn du etwas tust oder entscheidest, was du tun wirst.<br />
CB: Hat dich die Uhr in irgendeiner Weise beeinflusst?<br />
CT: Es war schön, als ich beim ersten Stück zum Schluss kam und<br />
dann einfach die Zeit hören konnte. Denn das war es, worüber ich<br />
nachgedacht hatte. Also gefiel mir das. Ich hoffe, es ist auf der Aufnahme.<br />
CB: Ich denke, es ist drauf.<br />
IR: Und passt du dich sofort an diese Klangeffekte<br />
an? Wie funktioniert das?<br />
CT: Man hört einfach zu. Du hörst hin und holst das Meiste aus<br />
den Dingen heraus, die um dich herum entstanden sind. Denn all<br />
diese Dinge sind spontan. Es ist nicht so, dass man wüsste, dass der<br />
nächste Ton ein Aisis 24 sein wird. Stattdessen ist es eher so, dass<br />
man denkt: ‘Durch diese Vorbereitung ist jener Klang entstanden,<br />
und wenn ich ihn bewege, wird dann das passieren.’ Du hörst<br />
zu, wie der Bass darauf reagiert, was du mit ihm tust – und dann<br />
23 Britta Pudelko ist Tänzerin und Choreografin und unterrichtet in der Tanzfabrik Berlin, des Weiteren<br />
ist sie auch Mitglied des Performance-Trios Grapeshade.<br />
24 Anmerkung des Übersetzers: Im Original sagt Clayton Thomas “a-double-sharp“. Dies bezieht sich<br />
auf den Aspekt der Modulation von Tönen im Kontext der enharmonischen Verwechslung. In manchen<br />
Fällen ist es nötig, eine Note doppelt zu erhöhen oder zu erniedrigen. Werden Noten doppelt alteriert,<br />
bekommen sie einen entsprechenden Namen. Aus dem Stammton a wird mit dem Doppelkreuzvorzeichen<br />
ein Aisis. Siehe hierzu auch: Doppelversetzungszeichen, http://www.lehrklaenge.de/PHP/<br />
Grundlagen/Doppelversetzungszeichen.php, letzter Aufruf 14.5.2021.<br />
196 197
STEIßBEIN UND KOPFKRONE<br />
Einige Ideen zu unterschiedlichen körperlichen Bewegungsansätzen<br />
und zur Einteilung in Sequenzen: Welche körperlichen Ansätze<br />
für Bewegung sind mir wichtig, und wie setze ich sie ein?<br />
Eine Reihe von Bewegungsansätzen möchte ich als Bewegungsinitiation<br />
thematisieren. Vor allem die Bewegungsanalyse<br />
von Rudolf von Laban 25 , wie auch die Bartenieff Fundamentals von<br />
Irmgard Bartenieff 26 und dann auf dieser Basis später die Susan-<br />
Klein-Methode 27 haben mich sehr nah zu meiner Wirbelsäule<br />
geführt, genauer gesagt zu deren Enden.<br />
Das Steißbein (coccyx) am unteren Ende sowie der oberste<br />
Punkt des Kopfes, die Kopfkrone, wurden für mich sehr früh<br />
schon wesentliche Initiationspunkte für den Tanz. Wobei ich mich<br />
im Kopfbereich nicht für den obersten Wirbel, den Atlas, als meinen<br />
primären Wahrnehmungspunkt entschied, sondern für den<br />
Punkt darüber, den obersten Punkt des Kopfes, wo noch bei den<br />
Babys die Fontanelle lokalisiert war. Da die Wirbelsäule im Schädel<br />
zwischen den Ohren, dem Hinterhaupt und der Nasenwurzel<br />
verankert ist und eben nicht bis zum Scheitel vordringt, muss eine<br />
Entscheidung gefällt werden, von wo die Bewegung gedacht wird.<br />
25 Rudolf von Laban (1879-1958) gilt als ein Tanzinnovator, der wesentliche Impulse auslöste: So<br />
wurden von ihm die Kinetografie, also Tanzschrift, aber auch die Bewegungsanalyse und Bewegungslehre<br />
sowie die Antriebslehre entwickelt und in zahlreichen Publikationen veröffentlicht. Weiterhin zeichnet<br />
er sich für sein choreografisches Werk vor allem großer Bewegungschöre aus. Siehe hierzu auch: Europäischer<br />
Verband für Laban/Bartenieff Bewegungsstudien, https://www.laban-eurolab.org, letzter<br />
Aufruf 4.5.2021.<br />
26 Irmgard Bartenieff (1900-1981) war als Tänzerin eine enge Wegbegleiterin von Laban und schuf in<br />
ihrer weiteren Entwicklung bedeutsame eigene Arbeiten wie die Bartenieff Fundamentals. Die Bartenieff<br />
Fundamentals basieren auf ihrer Erfahrung als Tänzerin und Physiotherapeutin und zeigen einen<br />
sehr deutlich angewandten Weg der Bewegungsanalyse in eine stringente Bewegungspraxis, welche aus<br />
einem klaren Übungskompendium besteht. Siehe hierzu auch: Europäischer Verband für Laban/Bartenieff<br />
Bewegungsstudien, https://www.laban-eurolab.org, letzter Aufruf 4.5.2021.<br />
27 Der Zweck dieser von Susan T. Klein entwickelten Methode ist Bildung, nicht auf der oberflächlichen<br />
Ebene der Nachahmung der Form, sondern auf einer tiefgreifenden Ebene des Verständnisses der<br />
vollen Nutzung des Körpers als integrales Ganzes, um die volle Funktion jedes einzelnen einzigartigen<br />
Bewegungspotenzials zu maximieren. Klein Technique wird seit mehr als dreißig Jahren in zahlreichen<br />
Ländern unterrichtet. Unter den Hunderten von Schüler*innen dieser Methode befinden sich bedeutende<br />
Mitglieder der Tanzszene wie Trisha Brown, Stephen Petronio, Bebe Miller, Jeremy Nelson, Sasha<br />
Waltz und andere. Siehe hierzu auch: Klein Technique, http://www.kleintechnique.com, letzter Aufruf<br />
4.5.2021.<br />
Hier wählte ich die imaginäre Verlängerung der Wirbelsäule, um<br />
mehr Klarheit in der Lokalisierung zu finden. Nicht zuletzt kann<br />
ich den obersten Punkt des Kopfes bequem berühren und somit<br />
wachrufen. Immerhin gibt es hier einige nicht zu unterschätzende<br />
Zentimeter Zwischenraum, der mir als Spielraum nicht unerheblich<br />
scheint und sozusagen bespielbar wird.<br />
Die beiden Endpunkte, also Steißbein und Kopfkrone, sehe<br />
ich als ein Duo an, die zusammen agieren und funktionieren.<br />
Nicht zu vergessen ist, dass die beiden Punkte über die komplexe<br />
Wirbelsäule miteinander verbunden sind und diese über die<br />
Bewegung der Enden mitbewegt wird. Da die Wirbelsäule ein<br />
komplexes Organ darstellt und für die Bewegung des Torsos in<br />
jeder Dimension wesentlich ist, kommt den Enden eine herausragende<br />
Bedeutung zu. Sie erlauben der Wirbelsäule, über diese<br />
Rahmung eingebunden zu sein und von dieser Einbindung klare<br />
Bewegungen auszulösen, welche immer einen Effekt auf den gesamten<br />
Bewegungsapparat haben. Diese Bewegungen können in<br />
jedem Augenblick von jeder Stelle der Wirbelsäule aus modifiziert<br />
werden. Wobei es hier auf die Verbundenheit und Durchlässigkeit<br />
des Körpers ankommt, inwiefern eine Bewegung isoliert<br />
bleiben kann oder direkte Auswirkungen auf andere Körperpartien<br />
hat. Es kann über den bewussten Einsatz und Ansatz von<br />
Körperteilen, also über Initiationspunkte, eine Verbesserung der<br />
Bewegungsqualität beginnen, die immer mit dem Bewusstsein<br />
für zeitliche und räumliche Parameter einhergehen muss, weil<br />
Bewegung nicht losgelöst von Zeit und Raum geschieht. Nicht<br />
zufällig wird im Bewegungsbereich diesen wesentlichen Initiationspunkten<br />
eine große Bedeutung beigemessen. Wenn wir im<br />
somatischen Feld einige tausend Jahre zurückblicken und zum<br />
Beispiel die tradierte Yogalehre Indiens betrachten, spielen die<br />
benannten Punkte als Energiepunkte (muladhara ist das Wurzelchakra<br />
und sahasrara das Kopfchakra) im Ensemble von mindestens<br />
sieben Hauptchakras eine übergeordnete Rolle. Was machen<br />
wir mit dem einmal entfachten Bewusstsein für diese Punkte,<br />
was macht dieses Bewusstsein mit der Bewegung? Spürbar ist<br />
definitiv der Aspekt der Energetisierung, nicht zuletzt durch das<br />
Bewegen der Enden der Wirbelsäule, worüber dann die gesamte<br />
Wirbelsäule energetisiert wird. Mit der Konzentration auf einen<br />
oder eben die zwei Punkte schaffe ich für mich eine Fokussie-<br />
198 199
ung. Ich sammle mit dieser Aktion mein Bewusstsein auf einen<br />
eingeengten Körperbereich. Mit diesem kann ich dann sehr akzentuiert<br />
in Raum und Zeit zeichnen und im selben Moment<br />
Spuren hinterlassen, die dann im Folgenden schon wieder verschwunden<br />
sind. Wenn auch diese Spuren im Raum nicht weiter<br />
sichtbar bleiben, so hinterlassen sie doch in meinem Körpergedächtnis<br />
Erinnerungen, die sich mit den vorherigen verbinden<br />
und somit das neue Zeichnen der Spuren in mir determinieren.<br />
Sie sind in dieser Hinsicht mitverantwortlich für ein bewusstes<br />
Erfinden und Gestalten einer entstehenden und zugleich wieder<br />
vergehenden Komposition. Je bewusster und präsenter dieser<br />
Vorgang vonstatten geht, desto markanter ist das Ergebnis und<br />
entsprechend deutlich seine Lesbarkeit. In dieser Hinsicht kann<br />
das Erschließen und Erspüren der Körperansätze zu mehr Klarheit<br />
und Transparenz in der Bewegung beitragen und eine beabsichtigte<br />
choreografische Momentaufnahme beflügeln helfen.<br />
Ingo Reulecke<br />
38<br />
VERSUCHSANORDNUNG 11<br />
Thorsten Bloedhorn, Ingo Reulecke,<br />
Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Massageraum EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
31.3.2014<br />
Set I – Dokumentation<br />
Tiefe Beugung zu Beginn<br />
Allmählichkeit<br />
schwebende weiche Schwingungen fein<br />
mit Tönen tauchen<br />
Geschwindigkeit angezogen fein<br />
hoch- und niedersinken<br />
neben den Matten ablegen in Ecke<br />
ein stiller Blick in die Ecke der Decke geworfen<br />
an Gerüst gehangelt<br />
zögerliches Ziehen der Beine<br />
Eckentauchen. Die Wand wird abgetastet<br />
Brückendrehungen in der Ecke forschend<br />
sich in sie hineindrückend<br />
die Matten entlang wälzend, sich wegschiebend<br />
unruhiges Rutschen und Verschiebungen wie<br />
aufgehangen in der Ecke stehend<br />
gegen Fenster fliegend – der Kopf eingezwängt unter<br />
dem Gitter des Gestells.<br />
Verlangsamend – mit den Geräuschen in Einklang<br />
Wiederholendes Winden des Ellbogens.<br />
Nicht wissen, wohin mit dem Körper und<br />
welche Teile wohin gehören.<br />
Suchen<br />
Rutschendes Drehen langsam verschreckt<br />
fast durchfließend, gebeugt als wolle<br />
er sich verstecken, nähert sich Ingo der Liege an.<br />
Zärtlich sie berührend mit Mund und Ellbogen<br />
200 201
Kopf und Schultern sich an sie fesselnd.<br />
Brückenelastisches Niedersinken und zurück.<br />
Wegtauchend wieder im Such- und Sich-Selbst-<br />
Überraschungsmodus<br />
sich den Klängen nähernd, schrittweises Ruckeln<br />
des Körpers entlang der Wand, bis er ganz zu Boden sich gelegt hat.<br />
Verdrehung hart in Kopfschraubmodus<br />
Vereinzelung der Glieder – der Kopf nicht mehr zu<br />
sehen – wie weggetaucht.<br />
Rollen des Körpers seitlich über den Boden bis zu<br />
den Matten, um in der letzten Ecke wieder<br />
hervorzutauchen am Skelett vorbei sich auf<br />
dem Boden hangeln, atmend im Bauch<br />
sich hebendes und dehnendes Zwerchfell<br />
sich aufrichtend zum Sitz, die Hand umfasst den Körper, die<br />
Hand des Skeletts streift an Ingos Wange und seiner<br />
Schulter entlang, die Skelettfinger fahren über den<br />
Rücken. Nun beide Hände.<br />
Schlingern. Während er sich<br />
um eine Stange dreht, dem toten Körper<br />
entwindet, doch ganz in Bezug zu ihm<br />
bleibt, gebeugt wie das Skelett geht der<br />
Körper langsam weiter in die Streckung ins<br />
Einsinken – zurück in eine gehemmte<br />
Weichheit, schwebendes Ziehen zum Klang<br />
betäubt von der Stille, diese auskostend<br />
wie einen luftleeren Raum.<br />
Die Verlangsamung ist wie das Bewegen in einem<br />
Vakuum – in einer anderen Welt.<br />
Skelettschraubende Hände, das Bild des<br />
Körpers auf die Knochenbewegung reduziert<br />
ebenso der Klang<br />
ein Schlucken, ein Mund Kräuseln<br />
akzentuiert das sanfte Schrauben im Raum<br />
wie der Blick zum Himmel gerichtet wartend<br />
erscheint.<br />
Der Wechsel in eine neue Ausdrucksform<br />
im Wiederholungsmodus von rechts nach links.<br />
Auf dem Boden direkt an der Wand, wie eine Schale<br />
unter dem Notenständer hindurch, hangelt sich<br />
ein Arm nach vorne, will greifen nach dem Metallkreis,<br />
doch verstrickt sich in eigene Windungen und<br />
Herauslösungen aus dem Gestell.<br />
Schneckenumkreisungen um sich selbst kündigen<br />
das Ende entlang der Liege an und das Versenken<br />
des Blicks in die Wand.<br />
Set II – Interpretation<br />
Ein erstaunter Blick streift das<br />
Fenster.<br />
Die Bewegungen scheinen dem<br />
Körper fern zu sein.<br />
Der Blick ist ein in sich gelenkter,<br />
Arme und Beine agieren<br />
wie von selbst, nicht zugehörig zum<br />
Torso.<br />
Die Form wirkt wie einzelnes<br />
Fragmentieren<br />
mit haltenden Positionen,<br />
gleitet über, getrieben vom Klang<br />
in ziehendes schnelleres<br />
Raumerobern.<br />
Gestoppt und weitergezogen<br />
angeschlagen der Körper, sinkt und<br />
flüchtet nach vorne in den<br />
Raum hinein.<br />
Beineverknotungen – zu schnell lösen<br />
sie sich wieder. Der Körper strebt weiter<br />
in die Ecke hinein, sich dort krümmend<br />
Einbeinstand. Die Welt verkehrt herum<br />
betrachtend, die Schuhe als Objekte<br />
des Stoppens und Bewegens genommen<br />
202 203
eim Klappern der Musik fuchtelt der Tanz.<br />
Im Liegen zuckt der Kopf im Kreis wie aufgezogen.<br />
Ellbogen und Arm ist mit Bein verklebt.<br />
Ein Flamingobein wird abgelöst von schnellen<br />
Raum- und Wasserdurchflutungen.<br />
In Nähe der Liege müht sich ein Mensch<br />
wie eine Maschine ab,<br />
taumelt kopflos, so scheint es ohne Ziel,<br />
hangelt suchend sich weiter, steht in Verknotung<br />
still mitten im Raum.<br />
Ähnlich eines Drahts beugt und windet sich<br />
die Gebärde, füllt den Raum, wird<br />
leichter, weicher.<br />
Ein müheloses Schauen entlang der Körperachse, die auf dem Boden liegt.<br />
Fingerzittern den Klängen nachempfunden.<br />
“Oh” formt der Mund, während der Körper<br />
schnelllebige Figuren zaubert,<br />
hochgeworfene Luft produzierend.<br />
Zum Draht zurückgekehrt die Gebärde,<br />
aufgezogen wie eine Saite.<br />
In einer Körperbeugung gefangen, lässt Ingo den Blick zwischen den<br />
Beinen hindurch wandern.<br />
An die Schulter geklemmt ist der Kopf.<br />
Wackelndes Skelett ohne Geist.<br />
Fliegende Hände, Seelenentweichung<br />
im Stillstandsraum gefangen in einer<br />
fremden Welt, eingeknickt die Arme,<br />
Lenkerhaltung. Das Alter bricht hervor in<br />
all seiner Langsamkeit.<br />
Verharrt.<br />
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 11 – Set I – https://vimeo.com/917051551<br />
Versuchsanordnung 11 – Set II – https://vimeo.com/917091468<br />
204 205
39<br />
INTERVIEW<br />
Thorsten Bloedhorn, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Massageraum EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
31.3.2014<br />
Heike Gäßler: Die erste Frage besteht aus drei Teilen:<br />
Wie hast du die Improvisation erlebt? Was war dir dabei<br />
wichtig? Und was hat sich für dich hergestellt?<br />
Thorsten Bloedhorn: Sehr große Fragen, die man kaum kurz beantworten<br />
kann. Zur ersten Frage, wie ich die Improvisation erlebt<br />
habe, würde ich als Stichwort Intensität nennen. Das zweite<br />
Set war nicht so intensiv, etwas zerhackter durch die Vorgabe, es<br />
dynamisch zu gestalten, und hat nicht so häufig zu einer Engführung<br />
von Ingos Tanz und mir an der Gitarre geführt. Das heißt<br />
aber nicht, dass das schlecht war. Sagen wir, der erste Teil war gut<br />
und der zweite Teil war besser. Also es fiel nicht total auseinander,<br />
aber ich habe es vom Spielen her gemerkt.<br />
HG: Was war dir dabei wichtig?<br />
TB: Das ist ja eine sehr kognitive Frage, und das ist bei der Improvisation<br />
kein Parameter. In aller Regel schaue ich, was ich tue: Jetzt<br />
kommt man in einen Fluss, wo man handwerklich das umsetzt,<br />
was man spielerisch kann, wo ich weiß, wenn ich diese Saite drücke,<br />
kommt das heraus. Aber das ist eher in einem körperlichen<br />
Gedächtnis drin. Das heißt, es stellt sich dann eher eine Kommunikation<br />
her, die im idealen Fall eine Struktur, einen Spannungsbogen<br />
findet. Was mir dabei wichtig ist, ist, dass es sozusagen gelingt.<br />
206 207
HG: Wie hast du die Zeit während der Sets wahrgenommen?<br />
TB: Ich weiß nicht, es gibt gar keine durchgehende Zeitwahrnehmung.<br />
Es fängt an. Es ist zeitlos. Und irgendwann kam die Hand<br />
von Carlos 28 , womit er mich aus dem Fluss gerissen hat, sodass ich<br />
eine Weile brauchte, bis ich wieder drin war. Bis dann die zweite<br />
Hand kam, die Ingo auch gesehen hat. Dann war die Zeit um.<br />
Aber die Improvisation kommt nicht zu Ende, wenn die Zeit aus<br />
ist, sondern Zeit ist eher ausgeschaltet. Diese Dimension fehlt.<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Moment für dich?<br />
TB: Ganz spontan kommt einem in den Sinn: eine große Bedeutung.<br />
Aber beim zweiten Nachdenken würde ich sagen: Der ist gar<br />
nicht so wichtig. Weil wirklich der Prozess des Spielens, also die<br />
Abfolge von Momenten, das Entscheidende ist. Es gibt natürlich<br />
den idealen Moment, wo irgendetwas zusammen geht. Aber das<br />
ist dann auch ein längerer Zeitraum, wo irgendetwas zusammen<br />
geht. Deshalb finde ich den Prozess der Aneinanderreihung so<br />
wichtig.<br />
HG: Und wie kreierst du damit?<br />
TB: Hier und heute oder überhaupt?<br />
HG: Ja, hier und heute.<br />
TB: Das ist, also um ein Bild zu kreieren, als wäre man in irgendeinem<br />
beliebigen Raum ausgesetzt, also in dem Fall jetzt mit Ingo.<br />
Man könnte auch vom Flugzeug abgesprungen sein und irgendwo<br />
landen. Man geht einfach los. Man guckt rechts und links, geht in<br />
irgendeiner Richtung los und marschiert zusammen.<br />
28 Gemeint ist ein Handzeichen des Videokünstlers nach 20 Minuten, um das Ende der vereinbarten<br />
Zeit deutlich zu machen.<br />
HG: Was verstehst du unter einer Real Time Composition?<br />
TB: Ich finde das einen schwierigen Begriff, weil eigentlich würde<br />
ich es der Improvisation zuordnen, nicht der Komposition. Ich<br />
glaube, der Begriff soll bezeichnen, dass man es sozusagen ernst<br />
meint oder ernst genommen werden will, also immer ankämpft<br />
gegen Leute, die tatsächlich komponieren, oder gegen Neue Musik,<br />
also eine Strömung, die eher aus der Klassik kommt und nicht<br />
aus dem Jazz. Der Begriff soll dazu erstmal abgrenzen. Wenn man<br />
dann von Improvisation spricht, dann bekommt es etwas leicht<br />
Fluffiges und Verlorenes. Das ist es aber auch nicht. Ich glaube es<br />
ist eher etwas Drittes, für das ich aber keinen Begriff habe. Insofern<br />
ist es für mich eine Hilfskonstruktion, zu sagen, dass in dem<br />
Moment, in dem man spielt, etwas entsteht, was keine Beliebigkeit<br />
hat.<br />
HG: Und welche Gestaltungstechniken verwendest<br />
du im Zusammenspiel mit der Bewegung?<br />
TB: Man gestaltet das Eigene aus dem Pool oder der Palette, was<br />
man an Möglichkeiten hat. Darauf greift man zurück, und manchmal<br />
ist es eine bewusste Entscheidung, manchmal passiert es einfach,<br />
weil es im Fluss ist. Es kann natürlich auch mal Momente<br />
geben, wo man etwas Neues entdeckt, aber darauf ist es nicht angelegt.<br />
Insofern ist die Gestaltung die, dass ich eher versuche, da<br />
zu sein. Also, da zu sein meint in dem Sinne, Augen und Ohren,<br />
aber auch Körper- und Raumgefühl offen zu haben. Und dass ich<br />
aufschnappe: Was passiert? Was geht hier ab? Und wie ist die Atmosphäre?<br />
Wohin verdichtet sich das? Also: Ingo agiert, reduziert<br />
auf seinen Körper in dem Moment durch den Raum, weil es ja<br />
eine dreidimensionale Geschichte hat, in der ich statisch dabei<br />
bin. Ich habe meine Fühler ausgestreckt, und so fließt alles zusammen,<br />
ohne dass da ein Filter ist, mit dem ich bewusst etwas gestalte.<br />
Es ist eher ein assoziatives Spiel. Damit meine ich auch, es<br />
geht nicht darum, irgendetwas zu transportieren, es stellt sich eine<br />
Bedeutung her, die nicht eine funktionale ist.<br />
208 209
HG: Kommunizierst du mit dem Raum, und welche<br />
Bedeutung hat der Raum?<br />
TB: Ich kommuniziere nicht mit dem Raum. Kommunikation ist<br />
für mich etwas, wo ich ein Gegenüber habe, wo etwas aktiv zurückkommt<br />
und jemand aktiv mit eingreift. Der Raum ist aber<br />
gleichwohl sehr wichtig. Wir hatten das ja, als wir hier herein kamen<br />
und ich gesagt habe: „Der Raum ist aber sehr trocken, der<br />
macht etwas damit, wie die Töne tragen.“ Insofern ist der Raum<br />
immer Teil der Real Time Composition, oder welchen Begriff<br />
man auch immer wählt. Er ist ein essentieller Bestandteil, auch<br />
wenn jetzt Zuschauer da wären; zahlendes Publikum macht einen<br />
großen Unterschied. Alles, was diese Rahmenbedingungen sind,<br />
das sind wichtige Parameter im Spiel, genauso wie das, was an Tönen<br />
und Geräuschen oder Bewegungen mit drin ist, im Sinne von<br />
Gegebenheiten, auf die ich mich einlasse.<br />
hat, die ich aufgegriffen und bei denen ich Impulse aufgeschnappt<br />
habe. Und es gab durchaus Momente, in denen ich Impulse gegeben<br />
habe. Ich finde, dass es gar nicht entscheidend ist, ob man<br />
Impulse gibt oder aufnimmt, stattdessen sollte man wirklich Augen<br />
und Ohren für das haben, was drumherum passiert. Und man<br />
sollte nur spielen, wenn man etwas zu sagen hat, anstatt einfach<br />
nur zu spielen, weil man spielen soll.<br />
HG: Spielt deine innere Verfassung eine wichtige<br />
Rolle, oder bist du nur im Außen mit deiner Wahrnehmung<br />
bei der Gestaltung des Moments?<br />
TB: Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Ich sage es mal so: Man<br />
kann nicht ausschalten, wie man sich körperlich und psychisch<br />
fühlt. Das ist völlig klar. Aber ich finde schon, wenn man Musik<br />
und Tanz ernsthaft betreibt und alles, was ansonsten in diesem<br />
Rahmen noch eine Rolle spielt, gehört es zu einer gewissen Professionalität,<br />
dass man gewisse Dinge außen vor lassen kann. Dennoch<br />
wird das nie vollständig gelingen. Es wäre eine Illusion, das<br />
tun zu können. Aber ich finde schon, dass die Spielsituation eine<br />
ist, auf die man sich bewusst einlassen muss. Das ist beim Tanz<br />
offensichtlicher, wenn sich jemand erst mal körperlich warm und<br />
innerlich bereit macht. Das bekommt man bei Musikern häufig<br />
nicht so mit. Die tun ganz verschiedene Dinge, das fängt schon an,<br />
wenn man ‘reinkommt und hört und die Sachen auspackt und so<br />
hinstellt, wie sie sein sollen.<br />
HG: Und wie war heute für dich das Ankommen und<br />
das Hineingehen in die Situation?<br />
HG: Bist du eher der gebende, also der Impuls gebende<br />
oder empfangende Part? Wie gestaltet sich das<br />
Wechselspiel?<br />
TB: Ich könnte hier keine Priorität setzen. Mein Ideal wäre, dass<br />
alles möglich ist, also mal das Eine, mal das Andere, aber dass es<br />
eher eine gemeinsame Sache ist. Es gab hier heute ganz klar Sachen,<br />
die ich gesehen und gefühlt habe, die Ingo Reulecke gemacht<br />
TB: Ganz am Anfang war vielleicht erstmal sehr viel zu gucken.<br />
Ihr macht das ja hier schon eine Weile, und ich komme heute neu<br />
dazu, wohingegen ihr schon eure Abläufe und Rituale entwickelt<br />
habt. Also musste ich noch eher ein bisschen in das Wie und Was<br />
hineinfinden. In dem Moment aber, wenn es losgeht (abgesehen<br />
von der tickenden Uhr), dann geht’s los, dann bin ich da, und die<br />
anderen Dinge spielen dann keine Rolle mehr. Es ist eher im Vorfeld<br />
das Einschwingen darauf, was sein soll und was nicht sein soll.<br />
210 211
HG: Welche Bedeutung haben Pausen für dich?<br />
TB: Die Pause macht für mich keinen Unterschied zu etwas zu<br />
spielen. Das ist genauso ein Moment, als wenn ich etwas mache. Es<br />
gibt etwas, was ich in fast allen Räumen aufgehängt habe, aus einem<br />
Buch von Scott McCloud 29 , darüber, wie man Comics zeichnet.<br />
Da gibt es einen Strip, wo er erklärt, wie man die Pause macht.<br />
Er nimmt hierfür den Pianisten Count Basie als Beispiel. Der sitzt<br />
auf seinem Klavierhocker mit seiner Band, und von hinter ihm<br />
kommen sämtliche Noten seiner Band angeflogen. Dann gibt es<br />
immer noch die Noten, bis er mal Ping macht. Und im dritten Bild<br />
kommt dann der brandende Applaus. Das ist eher so die Bedeutung<br />
der Pause.<br />
HG: Was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
TB: Na, zum Glück nichts, hätte ich fast gesagt. Nein, die macht<br />
insofern nichts, als dass der Sound noch genauso klingt, wie ich<br />
ihn in dem Moment gerne haben möchte. Das ist aber nicht die<br />
Frage, das ist mir völlig klar. Also im Idealfall, wenn es zusammen<br />
geht, bringt dies eine Verdichtung. Das ist entweder so etwas wie<br />
eine Triggermasse, wie auf einem Stück Papier, wo die Schrift zum<br />
Tragen kommt. Und umgekehrt auch, dass sich der Tanz gewissermaßen<br />
als Schrift in die Musik als Triggermasse einschreibt. Insofern<br />
macht dieser gegenseitige Prozess eine Menge aus.<br />
HG: Gab es Schwierigkeiten? Und wenn ja, welche,<br />
die du jetzt während der Sets empfunden hast?<br />
TB: Also Schwierigkeiten sind eher solche Geschichten, dass jemand<br />
seine Arbeit abgibt oder die Uhr tickt. Oder wenn der Strom<br />
ausfallen würde, das wären Schwierigkeiten. Es gibt natürlich Stellen,<br />
das bekommt man mit, bei denen dieser gemeinsame Prozess<br />
nicht so in Gang ist. Das ist eine schwierige Situation. Aber das<br />
sind in diesem Sinne keine Schwierigkeiten. Da hat man einfach<br />
verschiedene Möglichkeiten, um darauf zu reagieren. Da spielt na-<br />
29 Scott McCloud (geb. 1960) ist ein US-amerikanischer Comic-Zeichner und Theoretiker. Siehe hierzu<br />
auch: Scott McCloud | Journal, http://www.scottmccloud.com, letzter Aufruf 4.5.2021<br />
türlich einerseits eine gewisse Erfahrung eine Rolle, was es überhaupt<br />
für Möglichkeiten gibt und was dann passieren könnte. Sicher<br />
ist das ja auch nie. Und andererseits spielt es eine Rolle, dass<br />
da jemand ist, der auch weiß, was er tut, sodass dann nach zwei<br />
Minuten, die nicht die super Intensität hatten, es einfach wieder in<br />
den Fluss kommt. Das ist etwas anderes als Schwierigkeiten, sag<br />
ich mal.<br />
HG: Gab es solche Momente?<br />
TB: Ja, die gab es. Aber ich kenne es auch nicht, dass es die nicht<br />
gibt. Jeder, der tanzt oder Musik macht und behauptet, die gäbe<br />
es nicht, hätte gelogen. Aber das ist ja eher das Reizvolle. Es ist<br />
ja nicht nur gut oder nur schlecht, sondern es hat eine Dynamik,<br />
und am Ende steht dann der Bogen, der entstanden ist. Und wie<br />
man diese Momente weiterentwickelt, ist gerade das Interessante.<br />
Sonst wäre es langweilig. Wenn es zu hundert Prozent perfekt<br />
wäre, wäre es langweilig. Wahrscheinlich kommt auch noch eine<br />
Frage zu gut und schlecht, oder?<br />
HG: Nein, so weit wollten wir nicht gehen.<br />
TB: Nein, aber es ist natürlich so, wenn ich mit fünf mir gut bekannten<br />
Musikern in ein Konzert mit improvisierter Musik gehe<br />
und wir hinterher darüber reden, dann stellt sich schon eine sehr<br />
große Einigkeit darüber her, was gut und was schlecht war oder<br />
welche Stücke oder welche Leute da gespielt haben. Also es gibt<br />
offenbar objektivierbare Kriterien, die man erst miteinander herstellen<br />
kann. Das heißt, es gibt etwas Gelungenes oder nicht Gelungenes.<br />
Es ist aber eine andere Frage, ob es mir gefallen hat. Es<br />
gibt auch gelungene Sachen, die ich total doof finde – oder Sachen,<br />
die ich total klasse finde, die aber nicht gelungen sind. So<br />
etwas ist hier heute nicht passiert.<br />
HG: Haben dich diese Sets auf eine andere Ebene von<br />
Wirklichkeit geführt? Und wenn ja, inwiefern?<br />
TB: Spontan würde ich nein sagen, aber ich denke noch ein wenig<br />
darüber nach, worauf die Frage abzielt. Ich glaube, es wird sehr<br />
212 213
weit führen. Ich vermute, dass dieser Begriff von Wirklichkeit, der<br />
da drin steckt, nicht meiner ist. Wir sind ja hier mindestens mit<br />
fünf verschiedenen Wirklichkeiten unterwegs, da wir fünf Leute<br />
sind. Eine andere Ebene von Wirklichkeit, ich weiß, ehrlich gesagt,<br />
gar nicht, was das sein soll.<br />
HG: Ich meine ein anderes Erleben von Wirklichkeit.<br />
TB: Nein. Wenn man spielt und dann die erste Session beendet<br />
und sich das gut anfühlt, ist da natürlich etwas passiert. Aber ich<br />
würde dies nie als eine andere Art von Wirklichkeit bezeichnen.<br />
Vielleicht kommt da der Moment ins Spiel, vielleicht ist es eher ein<br />
glücklicher Moment.<br />
Carlos Bustamante: Was mir schon seit Wochen<br />
durch den Kopf geht, ist, wie man zu dieser Art von<br />
Musik kommt. Wie ist zum Beispiel dein Werdegang<br />
als Musiker?<br />
TB: Ich hätte dir gerne schon früher etwas gesagt, wenn dich das<br />
so lange bewegt, um dich nicht so lange im Ungewissen zu lassen.<br />
Na ja, wie man überhaupt dazu kommt, was man gut findet, egal<br />
ob Musik oder Kunst, oder was man gerne isst, ist natürlich eine<br />
komplizierte Frage. Es ist so, dass für mich ein sehr guter Freund<br />
eine große Rolle gespielt hat, der immer mal wieder Sachen angeschleppt<br />
hat – was schon lange her ist – und auf den Plattenteller<br />
geschmissen hat. Oder ich habe Sachen in Konzerten gehört<br />
und kennengelernt. Warum bin ich ein zweites, drittes oder viertes<br />
Mal da hingegangen und bin nicht einfach weggeblieben? Also<br />
muss ich ja irgendetwas gut daran gefunden haben, das ich dann<br />
noch mal weiterentwickelt habe. Und andere Sachen, die ich nicht<br />
gut gefunden habe, habe ich nicht weitergemacht. Und von wegen<br />
Werdegang: Ich habe in dieser Richtung keine Ausbildung.<br />
Es ist etwas, was ich über mein normales berufliches Leben hinaus<br />
tue. Es gab eine Freundin, die auch tanzt und eher aus der<br />
Butoh 30 -Richtung kommt. Wir haben entschieden, einmal etwas<br />
zusammen zu probieren, und das auf die Bühne gebracht. Dann<br />
habe ich gedacht, einen Schritt weitergehen zu wollen. Ich habe<br />
nach Konzerten Leute angesprochen und mich mit denen für<br />
Sessions verabredet. So ergaben sich Kontakte, und so ist etwas<br />
ins Rollen gekommen. Ich finde ja, und das merke ich in vielen<br />
Sachen, abstrakte Kunst interessanter als irgendeine Art von gegenständlichen,<br />
figürlichen Dingen. Für mich ist dies nicht ein<br />
kunstvoller Transport von irgendeiner Botschaft. Es geht nicht<br />
darum, dass ich etwas in der Birne habe und auf eine bestimmte<br />
kunstvolle Art und Weise jemandem etwas beibringen will. Sondern<br />
das, was da passiert, ist auch das, bei dem sich im besten Fall<br />
eine Bedeutung herstellt. Und das Publikum ist auch wichtig. Ich<br />
glaube, da will jeder etwas anderes hören. Da habe ich nicht den<br />
Anspruch, dass die Zuhörer Musik hören, die ich spielen werde.<br />
Da ist es so: wir gehen zum Beispiel auf ein Blues-Konzert, und<br />
es ist relativ erwartbar, was da passiert. Weil man das kennt und<br />
bestimmte Schemata und Harmoniefolgen, Rhythmiken und so<br />
weiter vorgegeben sind. Das ist in dem Bereich von Improvisation<br />
anders. Natürlich gibt es da auch Stilistiken, die könnte man jetzt<br />
einordnen und machen und tun, und sagen: „Die finde ich besser,<br />
jene schlechter.“ Aber grundsätzlich versucht man, Dinge auszuloten<br />
aus dem, was da ist, mit dem, was ein Instrument gewöhnlich<br />
kann. Diese Dinge bastelt man dann mit anderen Musikern, Tänzern<br />
zu einem abstrakten Gebilde zusammen, wo man auch noch<br />
Farben und Formen hat und eine Komposition erstellt. Aber nicht<br />
möglicherweise den König abbildet, der nicht unbedingt in seiner<br />
tollen Herrschaft dargestellt werden soll, wie es noch vor einigen<br />
hundert Jahren der Fall war, um mal ein ganz grobes Beispiel zu<br />
geben. Das ist etwas, was mich an dieser Art der Musik grundsätzlich<br />
interessiert, eben dass es diese Möglichkeiten gibt.<br />
30 Butoh ist ein japanisches Tanztheater ohne feste Form, das nach dem Zweiten Weltkrieg von Tatsumi<br />
Hijikata und Kazuo Ōno ins Leben gebracht wurde. Siehe hierzu auch: Art Documentation - Butoh,<br />
http://www.butoh.de, letzter Aufruf 4.5.2021.<br />
214 215
CB: Ich denke an eine privilegierte Zeit, in der solche Dinge viel<br />
mehr passierten und man sich darüber auch austauschen konnte,<br />
so wie ich es bei Cage und anderen gesehen habe. Es war für<br />
mich spannend, dies zu entdecken. Das gab es sonst nirgendwo,<br />
zumindest nicht dort, wo ich herkomme. Irgendwo war aber eine<br />
Empathie und ein Interesse da.<br />
TB: Ich weiß jetzt nicht, wie der Film über John Cage heißt, in dem<br />
er portraitiert wird. Er wird in dem Film als großer Pilzkenner dargestellt,<br />
weil er einen großen merkwürdigen Wettbewerb in Amerika<br />
gewonnen hatte, und er stellt dann sein Staubsauger-Konzert<br />
vor. Wobei dann die Zuschauer in schallendes Gelächter ausbrechen.<br />
Das ist spannend, fünfzig Jahre danach zu sehen, wie das zu<br />
der Zeit gewesen ist.<br />
Ingo Reulecke: Differenzierst du in deiner Spielpraxis<br />
die Unterschiede in dem Zusammenspiel mit Tänzer*innen<br />
und Musiker*innen?<br />
TB: Das funktioniert sehr unterschiedlich – auf jeden Fall.<br />
IR: Wie würdest du es beschreiben?<br />
TB: Als ich damit angefangen habe, fand ich es schwierig, da das<br />
Auge im Zusammenspiel mit Musiker*innen ganz untergeordnet<br />
ist. Es ist erstmal alles nur auf das Ohr fokussiert. Es funktioniert<br />
auch, wenn man weiß, da sitzt einer, man hört ihn, aber man guckt<br />
ihn nicht an. Das heißt, es sind erstmal noch weitere Dimensionen<br />
wichtig. Das Gucken auch. Aber der Raum spielt noch einmal eine<br />
andere Rolle als der akustische Raum, eben als Bewegungsraum.<br />
Man hat mehr Dimensionen, die man im Blick behalten muss. Das<br />
ist das eine, was es komplizierter macht und wobei man eine gewisse<br />
Übung braucht, um die Dinge miteinander zu verzahnen.<br />
Dann ist es so, dass die Rollenverteilung unklar ist. Wenn ich im<br />
Trio spiele, kann es sein, dass alle den gleichen Prozess durchlaufen.<br />
Es kann aber auch sein, dass man zu dritt aufeinander bezogen<br />
ist, jeder aber ganz eigenständig spielt. Oder es gibt die Zwei-ge-<br />
gen-Eins-Situation, bei der dann zwei den Grund legen und einer<br />
etwas hineinspielt. Da sind verschiedene Konstellationen, diese<br />
sind in Duos und Quartetten anders gelagert. Diese kennt man irgendwann<br />
und hat sie im Repertoire, um sich darauf zu beziehen.<br />
Wenn jetzt plötzlich jemand da ist, der tanzt, dann ist es erstmal<br />
völlig unklar. Dann muss man neben der Koordination der Ebenen<br />
von Hören, Sehen und Raum dies wirklich als Einheit begreifen,<br />
was mehr ist als ein Nebeneinander oder nur ein direktes Bezogensein.<br />
Es geht darum, auch zu schauen, dass man dem Tanz<br />
nicht nur hinterher spielt, den Soundtrack liefert oder umgekehrt<br />
nette Musik läuft und jemand sich austoben kann und sich dazu<br />
bewegt, vielmehr dass beides eigenständig bleibt und dennoch<br />
verzahnt wird. Das ist eine relativ komplizierte Geschichte. Es ist<br />
ähnlich, wenn man zu experimentellen Videos spielt. Dies ist nicht<br />
auf Tanz beschränkt. Also, immer wenn etwas hinein kommt, was<br />
nicht Musik ist, dann entstehen diese Fragen. Das muss man sich<br />
erarbeiten. Ist es umgekehrt auch so?<br />
IR: Ja, es ist eine andere Interaktion, als wenn Musik irgendwie<br />
dudelt oder wenn es still ist. Dann bin ich oder sind die Tänzer*innen<br />
bewusster bei den Sounds, die generiert werden, wie Schleifgeräusche,<br />
Atem und so weiter. Das verschwindet ein Stück weit,<br />
wenn jemand anders mit Musik unterwegs ist. Es ist für mich<br />
wirklich näher an einem Gespräch, Austausch oder an einer<br />
Interaktion, da zwei oder mehr Menschen etwas verhandeln und<br />
wach sind. Wenn die Ebenen zusammenkommen, dann gibt es<br />
etwas wie eine Frage und eine Antwort. Das benötigt einfach<br />
andere Zugänge bei mir. Da fand ich interessant, dass du gesagt<br />
hast, dass es eben auch andere Ebenen provoziert über das Maß<br />
an Konzentration, an Einlassen und Aufmerksamkeit. Über das<br />
Einlassen schafft das bei mir, dass ein Schalter umgelegt wird,<br />
der einer anderen Sinneswahrnehmung gleicht. Wobei dann<br />
etwas passiert, das mir normalerweise, wenn ich wach bin, nicht<br />
geschieht. Das wird provoziert durch Musiker*innen, mehr noch<br />
als durch Tänzer*innen, da mir die Sprache der Musik nicht so<br />
vertraut ist. Ich muss dann nicht so genau hinschauen, da ich<br />
eher kinästhetisch spüren kann. Das ist mit der Musik anders als<br />
216 217
eim Tanz. Dies ist auch kinästhetisch, aber es werden wohl noch<br />
andere Ebenen getriggert, die dann eine besondere Wahrnehmung<br />
schaffen. Der Raum wird anders konstruiert durch das Gemisch,<br />
das geschaffen wird. Das ist ziemlich interessant. Es macht<br />
sicherlich auch viel aus, wie der/die Musiker*in physisch agiert<br />
und was für ein Instrument gespielt und damit Sound generiert<br />
wird.<br />
TB: Das mit der anderen Sinneswahrnehmung, was du jetzt zweimal<br />
beschrieben hast, das wäre auch eine mögliche Antwort auf<br />
die Frage in Hinsicht der Ebene der Wirklichkeit gewesen. Das ist<br />
auf jeden Fall so, allein schon, weil man plötzlich bewusst wird<br />
und nicht nur einfach nebenbei zuhört. Und es funktioniert irgendwie<br />
als Sinnesapparat. So etwas passiert auf jeden Fall. Das<br />
hätte auch als Antwort gepasst. Die Wirklichkeit hätte ich trotzdem<br />
gestrichen.<br />
40<br />
Heike Gäßler über den Tanzausdruck von Ingo Reulecke<br />
„Du tanzt fließend, nahezu flüchtig. Die Leichtigkeit der Bewegung ist ganz<br />
besonders bei dir. Manchmal wirkt es schwerelos schwebend, unglaublich<br />
biegsam und flexibel, spielerisch. In den Technikeinheiten zeigst du Kombinationen,<br />
die überraschend sind. Du gehst eine ungewöhnliche Verbindung<br />
verschiedener Stile und Methoden ein (Hatha-Yoga, Einflüsse diverser somatischer<br />
Praktiken, diverse Tanzrichtungen).<br />
In Performances erlebe ich dich stark auf den Raum und auf Situationen<br />
bezogen, die du aber eher aus den Augenwinkeln oder durch dein Gespür<br />
wahrzunehmen scheinst. Du findest schnell und zielsicher markante Stellen,<br />
Konstellationen im Raum, und begibst dich genau dorthin, um zu agieren.<br />
Oder es ist andersherum: Durch deinen starken und intensiven Fokus auf etwas<br />
wird ein Ort erst interessant und stärker wahrnehmungswürdig. Deine<br />
große Präsenz ist dennoch eine nach innen gerichtete, die sich nicht aufdrängt,<br />
nicht gesehen werden will, sondern einfach da ist, aus sich heraus entsteht.<br />
Du wirkst manchmal versunken, mit einer anderen Welt beschäftigt, der man<br />
zuschauen kann, wenn man es will. Und diese große Versunkenheit ist es, die<br />
den Blick magisch anzieht. Es ist, als ob du mit einem Geheimnis beschäftigt<br />
wärst, an dem man auch gerne teilhaben will. Du wirkst so selbstgenügsam<br />
und erfüllt mit deiner Aktion.<br />
Dann wieder gibt es die Abstraktion der Bewegung, die eher formal ausgerichtet<br />
ist. Sie wirkt harmonisch, emotionslos, gleichmäßig fließend, sanft,<br />
weich, bewusst begonnen, mehr aber gezogen als geführt, ein passives Bewegtwerden.<br />
Dies nimmt der Bewegung ihre persönliche Note und führt sie<br />
in die Abstraktion. Die Bewegungen sind nicht vorhersehbar, entstehen neu<br />
aus der Umgebung, wobei du Impulse von innen und außen aufnimmst, dich<br />
durch sie lenken lässt und daraus eine dem Moment, Raum, Objekt, der Situation<br />
angepasste Form entsteht und Gestalt annimmt – mit großer körperlicher<br />
Freiheit verbunden. Die Bewegungen haben einen präzisen Charakter – in ihrer<br />
Ungewöhnlichkeit – und sind trotz Virtuosität unaufdringlich, klein, wie<br />
zufällig entstanden, nicht bewusst gesetzt, nicht ausgestellt. Es ist eher so, als<br />
würdest du in die Bewegung und in die Virtuosität der Bewegung zufällig hin-<br />
218 219
eingeraten: Ich bewege mich: oh hoppla, da ist ein Spagat. Und ach, es geht ja auch<br />
rückwärts weiter…<br />
In deinem Tanz findet ein feiner Wechsel von Rhythmen, Tempi und<br />
Ebenen (Boden, Sitzen Stehen, Bewegungen durch den Raum) statt. Seltener<br />
wahrgenommen habe ich ein starkes Interesse am tänzerischen Gegenüber<br />
– auch hier scheinen Zufallsbegegnungen vorrangig zu sein, sie haben einen<br />
flüchtigen Charakter. Es wirkt wie eine Gleichwertigkeit aller Elemente im<br />
Raum, inklusive eben der Menschen. Doch nimmst du Impulse auf, reagierst<br />
auch auf diese, bleibst aber stark bei dir selbst und deinem eigenen Raum.”<br />
Heike Gäßler<br />
SEHEN<br />
Was sehe ich, wenn ich sehe? Kann ich sehen, ohne<br />
zu sehen? Gibt es etwas zu sehen? Auffällig, wie<br />
häufig nicht gesehen wird, respektive wie Mensch<br />
Unterschiedliches sieht. Etwas zieht den Blick<br />
auf sich, es wird fokussiert. Mindestens für einen<br />
Augenblick ist die Aufmerksamkeit konzentriert<br />
und entschieden. Was macht nun das Sehen<br />
aus? Sicherlich ist das, was gesehen wird, mit<br />
ausschlaggebend dafür, wie gesehen wird. Allerdings<br />
dürfte sich kaum jemand dafür interessieren, wie<br />
gesehen wird. Wesentlich ist eben das, was gesehen<br />
wird. Warum nicht den Modus ändern?<br />
220 221
41<br />
VERSUCHSANORDNUNG 12<br />
Matthias Bauer, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Set I – Dokumentation<br />
Terrasse der Wohnung von Matthias Bauer, Berlin<br />
23.4.2014<br />
Dreharme, das Bein hochgezogen im Kreis<br />
niedergebeugt der Kopf – weiche Fließarme<br />
ein Bein tritt in der Luft – mehrfach<br />
schwingen mit einem Arm und Bein<br />
der Kopf überhängend,<br />
vor, hoch nach oben<br />
und Rückwärtsgang<br />
weiches Fließen, die Schultern angehoben<br />
Überkreisarme über dem Kopf<br />
Seitenverdrehungen, Vogelschwingen doch der<br />
Zug geht nach unten gen Boden<br />
die Faust trifft auf Bank<br />
stehkreisen mit Überschlagbein<br />
auf Boden überschlagbeingrätschen<br />
der Kopf gerollt, Arme zusammen im Kreis<br />
gelenkt<br />
Hände in die Lüfte gezogen<br />
sinken und Dreh mit Überbeinkreuzung<br />
bis losgelöst.<br />
Zappeltauchen weich mit Hochziehschultern<br />
Eck-Raumzug nach unten<br />
Ruckelstillstandsdynamik durch den<br />
Raum getanzt, das Bein in die Luft<br />
gestaucht – vielfach wiederholendes<br />
Element bis in die Liege geturtelt.<br />
Drehrandlängen ohne Arm<br />
mit Weitarmstehen.<br />
Niederpinseln entlang des Bodens<br />
Armumfassung beide Arme wie Lehne<br />
nach vor und rück geführt.<br />
Den Kopf in der Brücke nach oben<br />
gestülpt.<br />
Schulter starr, Handmaschinendrehen<br />
Eckstreckarm, während die Beine im Tiefstand<br />
weit gegrätscht.<br />
Stuhlumtastung mit Streckarmen<br />
Überschraubarme vor dem Körper, während<br />
dieser zuckend und zappelnd den Raum ausnutzend<br />
und breitbeinig sich verflüchtigt<br />
von Station zu Station.<br />
Kreisarme mit rückgezogenem Rücken<br />
Schlaufen schieben weich,<br />
rückwärts gleitendes Liegemännchen.<br />
Um die Liege herumschieben in Schräglage<br />
über ihr in Spieltauchfang der Kopf<br />
überhängend, die Beine auseinandergetrieben<br />
in sich verrenkend der Kopf<br />
zur einen Seite. Stresszucken, Einengungen<br />
sich lösen, um nach vorne zu schwingen<br />
kreisend leichtfüßig weiches Stottern<br />
im Beidbeinstand die Arme gezittert durch<br />
die Knöchelbewegung, der Oberkörper in Querlage<br />
der Mund offen, getrieben.<br />
Beinsteckarme maschinenartig verdreht.<br />
Hüpfbein leicht ein wenig vom Boden abgehoben<br />
so viel als nötig nur, aber weich<br />
und schlängelnd dabei durch den ganzen Raum<br />
abtauchen mit rechts, links Ruckungen.<br />
Kurbeldrehen der Arme<br />
rückwärts gebeugt der Rücken, der Kopf<br />
drehend noch weiter nach hinten und<br />
vor, bis er die Wand berührt<br />
wie eine Brücke – dem Auto nachgespürt<br />
und ein wenig mitgezogen der Gang<br />
um weichkreisend mit geschlossenem Mund<br />
die Luft mitzunehmen in die letzte Ecke<br />
dort die Liege umspielend sich<br />
222 223
Diagonalen hängend ablegen, langsam nieder rollen<br />
seitwärts tauchen mit Kopf<br />
unter den Stuhl.<br />
Schiebende Brücke mit offenen Beinen<br />
die Knie zur Raute ausgestellt<br />
Dreharme mit Torsodrehung und<br />
Kopftauchen in Tiefe, Schwingung<br />
horizontal.<br />
Der Mund zu, geöffnet die Augen.<br />
Am Boden wirkt die Dynamik des<br />
Kreisens getrieben, Rundumschiebungen<br />
die Luft über den Kopf nach unten<br />
sie verdrehend und kreishangelnd verteilend.<br />
Ein Bein dabei leicht gehoben.<br />
Das Wiegen der Luft mit den Armen.<br />
Streichelnde Hände, wedelnd<br />
bis der Stillstand kurz in eine Beugehaltung<br />
führt – wie ein Frosch tauchend – verlangsamend<br />
hochstrebend, Überkreuztkreissitzen hochgereckt.<br />
Schieben sanft nach rechts mit beiden<br />
Armen, weich, umsichtig, Schrägendurchsuchen<br />
des Himmels.<br />
Über den Stein fließen, Diagonalen<br />
hängen, an Bank weitergezogen zurück<br />
zum Drehstand eng am Bass endend.<br />
Set II – Interpretation<br />
Querwinden<br />
Astanschmiegung schlängelnd<br />
Tauchzuckeln<br />
Weichtänzeln<br />
Beinzugdreieck<br />
Veitstanzraumauskostung<br />
Getriebene Leichtigkeitskreise<br />
Spiralendrehwurm<br />
Tölpelsprung ab und hoch<br />
Ballerinaluftschwingen<br />
Feinsprungfischumkreisen<br />
Naturwedelschwingung<br />
Ziehstrecken<br />
Liegehangeln, kopfrutschschieben<br />
Spagattollen<br />
Tierschieben rückwärts<br />
Kuschelschmiegen<br />
Kniegänger<br />
Beinaufzug<br />
Handverdrehmudra<br />
Schwebelangsamkeit<br />
Schmeichelluftschlängeln<br />
Zuckfließperlen<br />
Strömungskurven<br />
Sprung-Elemente-Hampeln<br />
Luftigschrammeln<br />
Ablegmodulation<br />
Stockstreckwiegen<br />
Kopfstrebeziehen<br />
Schlenderzugantrieb<br />
Geschwindigkeitstuckeln<br />
Antreibfließen<br />
Lufthaltegehen<br />
Schwingarmfliegen<br />
Niedersenkblick<br />
Rechtslinksauslotung<br />
Yinyangvermengung<br />
224 225
Mundöffnungstaumel<br />
Zeitlupenfischen<br />
Luftlosschwemmen<br />
Durchsichtigkeitshangeln<br />
Verschwindeweichen<br />
Sanftflugschwingen<br />
Kippsprunglösen<br />
Federflug<br />
Zuckelbeugung<br />
Armumfassrutschen<br />
Sprungstopptandeln rechts links<br />
Schnellfußhüpfen<br />
Bodenberückung<br />
Liegesturzwinden<br />
Einigelungstunnel<br />
Bankangler<br />
Flutsch-Ecken-Verstecken<br />
Abhebschwingen<br />
Rücksitzverschrauben<br />
Gängelentfernung<br />
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 12 – Set I – https://vimeo.com/917096352<br />
Versuchsanordnung 12 – Set II – https://vimeo.com/917101336<br />
226 227
42<br />
INTERVIEW<br />
Matthias Bauer, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Terrasse der Wohnung von Matthias Bauer, Berlin<br />
23.4. 2014<br />
Heike Gäßler: Wie waren die Sets für dich?<br />
Matthias Bauer: Die waren schön. Die erste Session war ganz überraschend,<br />
da war so viel da, hin und her, sehr leicht, aber vielleicht<br />
im Nachhinein sogar ein bisschen wild, ein bisschen schnell, ein<br />
Thema nach dem anderen. Das zweite Set hatte größere Bögen,<br />
längere Flächen, bestimmte Dinge, die sich da länger entwickelt<br />
haben. Insofern war es vielleicht reifer und geordneter, auch vom<br />
Raum. Also diese Situation im Raum war schon sehr schön. Ich<br />
habe das noch nie gemacht. Ich wohne seit acht Jahren da. Es war<br />
für mich eine schöne Erfahrung, zu erleben, dass so eine grüne Architektur<br />
doch auch inspirierend ist. Es gibt diese spezielle Atmosphäre<br />
durch die Dachkonstruktion, und das Licht war eigentlich<br />
auch schön.<br />
HG: Welche Bedeutung hat denn grundsätzlich der<br />
Raum für dich?<br />
MB: Oh, er hat die absolut fundamentalste Bedeutung. Vor allem<br />
der Raum ist für mich sehr wichtig. Das ist vielleicht für jeden Musiker<br />
anders, aber ich arbeite ja auch als Performer, und ich will auf<br />
den Raum wirken. All mein Trachten geht danach, den Raum zu<br />
beeinflussen mit der Musik, aber auch ihm zugewendet sein. Ich<br />
muss den Raum fühlen, selbst als Musiker. Nicht das, was aus den<br />
Instrumenten kommt, sondern das, was im Raum ist, bestimmt<br />
bei mir dann auch sehr viel, wie ich spiele. Die Akustik – ich muss<br />
andere Wege gehen, wenn Hall da ist. Das klang hier für mich<br />
228 229
erstaunlich gut, da das Dach da ist – im Draußen. Ich hab kein<br />
Open-Air-Instrument, richtig im Freien verliert sich das, anders<br />
als bei einem Saxophon, aber hier mit dem bisschen Holz und den<br />
Wänden war das schön, da hat es diesen Raum gehabt. Und der<br />
Raum hat funktioniert. Ingo hat ihn auch schon in der Länge und<br />
Breite durchmessen.<br />
HG: Und wie hast du mit ihm gearbeitet?<br />
MB: Mit dem Raum habe ich gerade funktioniert, so wie Ingo mit<br />
dem Raum arbeitet, welche Bahnen er sich so vornimmt. Einmal<br />
habe ich ihn weggedrängt, da wollte ich auch da hin, aber ansonsten<br />
habe ich ihm den Raum gelassen. Ich versuche eine Grenze, eine<br />
Abgrenzung zu machen. Und er ist vor mir, also das ist der Raum,<br />
er zirkelt immer so um den Tänzer, und ich versuche gedanklich zu<br />
fassen, dass es nicht immer der ganze Raum ist. Sondern es kann<br />
sein, dass es plötzlich mal der ganze Raum ist und sich das öffnet,<br />
es kann auch sein, dass es plötzlich ein ganz kleiner Kreis wird, sich<br />
um etwas ganz Kleines konzentriert, und das Außen hat dann gar<br />
keine Bedeutung, oder die Ausrichtung. Ich stand mal an der Wand,<br />
und es war für mich ein ganz anderes Spiel, als ich mich dann wieder<br />
herübergedreht hatte. Ich hab’ lieber mit dem Rücken zum Garten,<br />
zum Licht gespielt, vielleicht aus akustischen Gründen zum Klang.<br />
Ich fühlte mich damit besser, ich wich dann mehr zurück und hatte<br />
auch die Situation besser im Blick. Aber ich habe ganz viele Tanzstücke<br />
gemacht und hatte immer für mich eine Choreografie im Raum.<br />
Also an einer Stelle stehe ich ganz weit vorne, ganz weit hinten, dann<br />
bewege ich mich. Es ist so, dass verschiedene Raumsituationen auch<br />
die Improvisationen einfärben oder mich bestimmen.<br />
HG: Und hat das irgendeinen Einfluss auf deine Töne<br />
gehabt?<br />
MB: Na ja klar, wenn ich zum Beispiel dicht am Publikum dran sitze,<br />
spiele ich natürlich doch was anderes, als wenn ich ganz weit entfernt<br />
bin.<br />
HG: Kannst du das genau beschreiben?<br />
MB: Jetzt ganz banal gesagt: Der laute Ton nimmt sich viel Raum,<br />
das heißt, der laute Ton baut sich seinen lauten Raum auf. Und in<br />
dem Moment, in dem ich leiser werde, scheint auch der Raum,<br />
um den es geht, leise zu werden, klein zu werden. Und für mich<br />
ist alles wichtig. Für mich ist es wichtig, zu lenken, wie ich vom<br />
Einen zum Anderen komme. Das hat viel damit zu tun, wie ich es<br />
sage: ‘Okay, beschleunige oder entschleunige ich, braucht es Löcher,<br />
oder braucht es jetzt Bewegung von unten, oder braucht es<br />
hier einzelne Striche von oben?’ Das hat damit zu tun, was Ingo<br />
Reulecke und ich im Raum gerade kreieren und was vorher gewesen<br />
ist. Ich schaue mir das Spiel an, und dann sage ich: ‘Okay,<br />
fünf Minuten immer im Kreis herum – jetzt müssen wir mal so…’<br />
Und dann gibt es Momente, in denen ich mich oder alles lenke,<br />
sodass ich sage: ‘So jetzt pass’ mal auf: immer hin und her!’ Natürlich<br />
müssen auch ein paar Löcher da rein, also bewusst. Und dann<br />
gibt es für mich Momente, in denen ich mich wie im Schock lenke,<br />
wie wenn man abbiegt von der Straße und sich plötzlich auf der<br />
anderen Straße in einer anderen Welt wiederfindet. Und die geht<br />
man dann weiter. Ich bin manchmal ein bisschen wie bei einem<br />
großen Spiel, wie bei einer planlosen Reise: ‘So jetzt! Diese Straße<br />
gefällt mir, da scheint die Sonne schön! Und dann biegst du da<br />
ab. Wie? Da hinten sind Menschen? Lieber dahin als rechts zum<br />
Fluss.’ Und so ist es hier eigentlich auch. Man könnte auch links<br />
abbiegen, oder dahin, oder dahin. Es ist egal, wohin man geht.<br />
HG: Jetzt hattest du schon so viel angeschnitten, jetzt<br />
weiß ich gar nicht, wie ich weitermache. Ah ja, genau:<br />
Wie hast du es empfunden bei den beiden Sets: Bist<br />
du eher der Impuls gebende oder der nehmende Part.<br />
Oder ist das sehr ausgeglichen?<br />
MB: Also mein Idealfall, und das ist mit Ingo ziemlich dicht dran,<br />
ist das Geben und Nehmen. Das ist schön, etwas ‘reinzugeben, und<br />
es ist genauso schön, dass man was wieder zurückkommen lässt.<br />
Die Balance ist das Schöne. Das fühlt sich unheimlich dynamisch<br />
und sehr leicht zu spielen an. Wenn einer dich zu-powert, macht<br />
das keinen Spaß, und umgekehrt, wenn du denkst ‘Wo ist die an-<br />
230 231
dere Person, ich spüre sie gar nicht’, dann ist das auch schwierig.<br />
Und mit Ingo Reulecke ging das eigentlich immer vom ersten Moment,<br />
das geht sofort. Man braucht gar nicht darüber zu sprechen.<br />
Also jetzt gerade reden wir viel mehr, als ich je mit Ingo über solche<br />
Sachen gesprochen habe. Es ging von Anfang an total leicht.<br />
Etwas ist ähnlich, auch wenn ich Ingo nicht ähnlich bin. Er ist vom<br />
Körper fit, wie ich vielleicht auf dem Instrument, und dann kann<br />
man auf einer virtuosen Welle da wellenreitend an Land.<br />
HG: Kannst du sagen, wie du die Zeit wahrgenommen<br />
hast?<br />
MB: Ja, das ist schwierig. Also ich war froh, dass Carlos immer<br />
das Zeichen hatte mit den Armen. Denn da kannst du dich so täuschen.<br />
Mir kam die Zeit kürzer vor, als sie wirklich war. Aber 20<br />
Minuten sind schwer einzuschätzen.<br />
Carlos Bustamante: Das heißt, du hast das Zeichen<br />
am Ende gar nicht gesehen?<br />
MB: Doch, ich habe beides gesehen.<br />
Ingo Reulecke: Ich dachte, dass es 22 Minuten sind. Und ich dachte:<br />
‘Warum sollen wir so ein langsames Ende haben?’ Lustigerweise<br />
habe ich mich gegen Ende hin in beiden Sets hingesetzt. Und<br />
das war, wie gesagt, jetzt eben wieder so. Und dann war ich nicht<br />
sicher, ob du das Zeichen gesehen hast. Ich habe das sozusagen auf<br />
der Bank enden lassen wollen. Aber dann dachte ich: ‘Okay, jetzt<br />
gehe ich ‘raus’.<br />
MB: Ich fand das schön, das Raustanzen.<br />
IR: Ja.<br />
MB: Im Vergleich zum ersten Set. Ja, Zeit ist trügerisch. Also man<br />
wird besser im Lauf der Jahre, aber man kann sich auch unglaublich<br />
irren. Aber es war zweimal eine schöne Länge.<br />
HG: Und was macht die Bewegung mit deinem Sound?<br />
MB: Na ja, ich selbst mache ja gar keinen Sound, ich mache auch<br />
Bewegungen. Der Kontrabass macht das für mich. Und diese große<br />
Bewegung, das ist dann eigentlich genauso ähnlich wie das,<br />
was der Tänzer macht. Ich habe viele Konzerte mit Tanz gemacht<br />
mit diesen relativ großen Bewegungen am Kontrabass. Und Ingo<br />
macht das ja sehr respektvoll, aber ich hatte da Tänzer, die kamen<br />
noch wesentlich dichter. Auch das geht irgendwie, weil das ähnlich<br />
ist, was wir da so machen. Ich tanze eigentlich auch, will ich<br />
damit sagen, tanze da die ganze Zeit an meinem Instrument ‘rum.<br />
Ich bekomme aber viel, im Gegensatz zum Tänzer, dem vielleicht<br />
der Knöchel weh tut, weil er auf Stein tanzt, bekomme ich diese<br />
tollen Klänge von meinem alten Kontrabass. Und die inspirieren<br />
und stützen und tragen mich. Das ist ein Vorteil. Der Sänger hat<br />
auch das Problem, der Sänger hat nur seine Stimme; der Tänzer ist<br />
ganz auf sich zurückgeworfen, aber als Instrumentalist hast du ein<br />
tolles Feedback – sofort eigentlich. Du hast einen Ton. Also kommen<br />
wir auf deine Frage zurück: Das ist für mich eins. Es gibt für<br />
mich Momente, da ist der Tänzer vor mir, und ich spiele, da kann<br />
ich gar nicht sagen, ob er tanzt oder ob er spielt. Beide machen wir<br />
so was Ähnliches, und das ist ein schöner Zustand für mich.<br />
HG: Hast du, wenn du eine Real Time Composition machst,<br />
eine bestimmte Technik, die du gerne anwendest?<br />
MB: Ja, die Technik heißt: Nichts denken. Ich werde auch nicht<br />
sagen Real Time Composition, weil Improvisation ein wunderschönes<br />
Wort ist. Man muss es bloß wieder in seiner ganzen Bedeutung<br />
schätzen lernen. Und das Wort Komposition beschreibt<br />
dann doch einen Prozess. Ich vergleiche das manchmal. So eine<br />
Improvisation ist wie eine Reise, wie ich vorhin schon gesagt habe.<br />
Und Komposition ist doch wie eine architektonische Konstruktion.<br />
Du konstruierst etwas. Du baust etwas. Du wendest das erste<br />
Stück. Veränderst. Der erste Ton verändert sich durch den letzten.<br />
Es ist wie ein Hausbau. Das ist eine Architektur. Insofern finde ich,<br />
Real Time Composition kann man machen, aber Improvisation<br />
beinhaltet das sowieso.<br />
232 233
HG: Du bist also gereist!?<br />
MB: Für mich ist das eine Reise, genau. Diese Trance, dieses typische<br />
Absichtslose, also zu versuchen, absichtslos zu sein.<br />
HG: Hast du den Eindruck, dass du auf eine bestimmte<br />
andere Ebene kommst oder dich in einer anderen<br />
Ebene bewegst?<br />
MB: Ja, klar.<br />
HG: Kannst du das beschreiben?<br />
MB: Ja, kann ich dir beschreiben. Das ist eine kleine Form von<br />
Ekstase. In dem Sinne, dass Ekstase außer sich sein heißt, aus sich<br />
heraustreten. Und dieses Außer-sich-Sein ist dann völlig aus dem<br />
Häuschen sozusagen, an manchen Stellen zumindest. Und das ist<br />
ein toller Zustand. Und darum macht Musik machen süchtig – auf<br />
jeden Fall.<br />
HG: Wie sieht es mit deiner inneren Verfassung aus?<br />
Arbeitest du mit der auch?<br />
MB: Mit meiner inneren Verfassung?<br />
HG: Ja.<br />
MB: Ah, ob ich mit der arbeite?<br />
HG: Bist du mehr im Außen oder mehr im Innen?<br />
Oder wechselt sich das ab?<br />
MB: Oh, wenn ich improvisiere, wie jetzt in so einer Session, bin<br />
ich sehr weit draußen, sehr weit. Da fühle ich mich selbst gar nicht<br />
so. Dieses viele Material, was ich mit meinem Instrument mache,<br />
ist eine Art Auslagerung von mir. Deswegen die verschiedenen<br />
Spielweisen, die ich mir erarbeitet habe. Das ist ein Material, wel-<br />
ches ich dann in dem Moment entnehme. Das ist also etwas Äußerliches.<br />
Und Ingo taucht auf, und der Raum taucht auf, und das<br />
sind alles so Dinge. Also ich kann über Stimmungsschwankungen<br />
hinwegkommen beim Spielen. Das sollte da nicht ‘reinspielen.<br />
Möchte ich nicht unbedingt, dass das da ‘reinspielt.<br />
HG: Hm.<br />
MB: Das ist eine abstraktere Welt, irgendwie. Da weiß ich nicht,<br />
ob du jetzt müde bist oder so, also müde sein ist nicht gut, aber<br />
du kannst sehr unterschiedlicher Stimmung sein. Aber bei dir als<br />
Künstler darf das nicht zum Vorschein kommen, das kann nicht<br />
sein. Das geht dann im Lauf der Jahre, dass man das nicht so spürt.<br />
Ich kenne Musiker, die können das nicht so gut abstellen. Ja, da<br />
spürst du so ihren mood, den sie gerade haben. Das ist eine Katastrophe.<br />
Das ist überhaupt nicht gut. Das geht nicht, weil es ist ja<br />
eine Teamarbeit. Und das muss man lernen, dass man das nicht so<br />
heranlässt.<br />
HG: Welche Bedeutung hat für dich der Moment?<br />
MB: Das war jetzt alles, was wir gemacht haben. Alles ist über den<br />
Moment passiert. Das ist im Moment sein. Das ist etwas ganz Philosophisches.<br />
Und das möchte ich auch im Leben: im Moment,<br />
einfach im Moment sein. Das ist eigentlich das Wort zum Glück:<br />
im Moment sein. Und dann ist alles total schön und aufregend.<br />
Und es sind unsere Konzepte und unsere Erinnerungen, die uns<br />
unglücklich machen. Wenn wir im Moment, immer im Moment<br />
sein könnten, wäre das, glaube ich... Im Moment zu sein, das heißt<br />
auch, in den Instinkten zu sein, und Improvisation hat viel mit Instinkten<br />
zu tun. Da kann man auch nicht so berechnend vorgehen.<br />
Man kommt da bloß ‘ran, wenn man vertraut, dass die Instinkte,<br />
die man da jetzt im Bezug darauf hat, wie man das gestaltet, dass<br />
die richtig sind. Und dass das auch für’s Publikum nachvollziehbar<br />
ist, was man und wie man sich da entscheidet im Moment.<br />
HG: Welche Bedeutung hat die Pause für dich?<br />
234 235
MB: Ja, die Pause ist mein großes Ziel. Davon mache ich zu wenig,<br />
das weiß ich schon. Pause ist herrlich. Es gab vorhin ein paar kurze<br />
Pausen. Eine Pause war herrlich, das hast du vielleicht gesehen, da<br />
hat in dem Moment ein Mädchen einen Kinderwagen geschoben.<br />
Und das sind herrliche Pausen. Ja, oder in anderen Pausen wurden<br />
plötzlich die Vögel ganz laut, zwitscherten ganz laut. So wie<br />
ein Zoom, haben sie plötzlich ganz laut gezwitschert. Aber kaum<br />
habe ich aufgehört, schienen sie mir plötzlich auch leiser zu werden,<br />
als hätten sie versucht, über unseren Krach dahin weiter zu<br />
zwitschern. Und Pause ist etwas Wunderbares. Vielleicht mach’<br />
ich mit achtzig mal Pause.<br />
IR: Ich wollte fragen, Matthias, wie es funktioniert,<br />
wenn du dynamisierst? Du hast von Geben und<br />
Nehmen gesprochen. Aber gehst du stark auf dieses<br />
Optische ein, was du geliefert kriegst, wenn du mit<br />
einem Tänzer arbeitest? Ist es so, dass du dann die<br />
Dynamiken anziehst oder wieder abschwächst? Wie<br />
funktioniert das intuitiv? Also wahrscheinlich durch<br />
diese Bewegung, weil wir beide bewegen. Aber ich<br />
frage mich, wie du das liest und aufnimmst und wie<br />
du deine Bewegung umsetzt.<br />
MB: Jeden Moment, wenn du dich im Tanz befindest, hast du ein<br />
bestimmtes energetisches Level, in unterschiedlichen Richtungen<br />
und Ausprägungen, aber auch von unterschiedlicher Intensität.<br />
Und das ist das, was ich lese, was mich anspricht. Weil ich sehr<br />
stark ein energetisches Bewusstsein habe und dann auch viel darüber<br />
steuere. Ich denke: ‘Ja, jetzt mach mal los! Jetzt müssen wir<br />
ein bisschen so, und ah, jetzt ist vielleicht das gut. Und dann aber<br />
haben wir das auch schon lange gemacht, und wohin könnten wir<br />
jetzt gehen, um das abzuwechseln?’ Und das hat viel zu tun mit<br />
dieser Energie oder, um ein traditionelles Wort zu verwenden, mit<br />
der Dramaturgie. Ich hab’ es energetisch gesagt, aber ich meine<br />
dasselbe dramaturgisch. Ich sage: “Jetzt haben wir da viel ‘rumgerührt,<br />
dann die Länge ausgemessen, was jetzt? Dann die Bank.<br />
Und dann werde ich leiser. Es geht vielleicht um was Kleineres.<br />
Oder ich mache was, um dich zu beruhigen. Wir sind ja viertausend<br />
Jahre mit Pferden unterwegs gewesen. Wir sind so lang in<br />
den Trab ‘rein.” Und so versuche ich dann auch ein bisschen zu beeinflussen,<br />
dass der andere jetzt ‘runterkommt. Manchmal schaffe<br />
ich es nicht oder tendenziell schon. Oder dann merke ich, der<br />
hat jetzt Lust, hier auf dieser Schiene weiterzumachen. Der hat<br />
da eine Energie, darum bin ich dabei. Oder ich hatte vorhin im<br />
zweiten Set dieses Abpatschen angeboten, also diese Angstphase.<br />
Da hättest du auch sagen können: „Jetzt spielt er ein Klischee, das<br />
tanze ich nicht.“ Das hast du nicht gemacht. Du hast dazu getanzt,<br />
und dann hat sich eigentlich eine sehr intensive Strecke ergeben.<br />
Ich gucke gerne zu. Es gibt ganz schön viele Musiker, die mit Tänzern<br />
arbeiten, die haben die Augen zu. Das ist nichts für mich, das<br />
verstehe ich nicht. Vielleicht ist es auch so klar, und man könnte<br />
es schon auch so spüren. Aber warum bin ich da, wenn ich dann<br />
nicht gucken will? Ich wollte immer gucken, dreh’ mich immer,<br />
damit ich das richtig sehe, und brauche das auch. Ich muss den<br />
Tänzer sehen. Es gibt auch viel Direktes, kleine Bewegungen oder<br />
so. Dasselbe habe ich alles am Instrument. Es sind, so wie beim<br />
Tänzer, vor allem die Arme. Gut, die Beine – ich bleib’ lieber stehen,<br />
aber mit den Armen ist es ähnlich. Dann finde ich die Glissandi.<br />
Was mir mehr oder weniger Spaß macht. Ich sehe die Akzente<br />
und nehme sie oft richtig ab von dem, was ich sehe. Weil es<br />
mir Spaß macht, sie abzunehmen.<br />
IR: Kennst du das, dass du dadurch auf musikalische<br />
Ideen stößt, dass du von den Bewegungen der Tänzer<br />
getriggert bist, diese aufnimmst und spontan übersetzt?<br />
Und dass du dich dann selbst damit überrascht,<br />
was da aus dem Instrument ‘rauskommt, weil du es<br />
gegebenenfalls anders bewegst als vertraut – oder<br />
übersetzt du das sofort in deine Sprache?<br />
MB: Nein, es gibt so etwas. Sagen wir es mal so: Das Timing mit<br />
Tänzern ist ganz anders als mit Musikern, weil der Körper in gewisser<br />
Weise langsamer ist. Ein Instrument ist etwas Abstraktes,<br />
das kann von einer Sekunde auf die nächste mit den Tönen in ei-<br />
236 237
ner ganz anderen Welt sein. Das geht mit dem Körper nicht. Der<br />
Körper braucht immer eine Ausschwing-Phase und braucht die<br />
Zeit, um irgendwo neu anzukommen. Und diese Momente, die<br />
sind für mich das Schöne, wenn ich mit Tänzern arbeite. Weil ich<br />
denke: ‘Wow, das Material habe ich schon tausendmal gespielt,<br />
aber jetzt muss ich das noch weiter spielen, ich kann jetzt hier<br />
nicht einfach aufhören.’ Und dann gibt es Momente, in denen ich<br />
erfinderisch werden muss. Nicht weil das jetzt länger dauert, als<br />
ich es sonst jemals spielen würde. Das ist dann interessant, weil ich<br />
dann darüber arbeite. Und da kommen dann neue Erfahrungen<br />
dazu, irgendetwas kommt immer dazu. Insofern ja. Früher war ich<br />
ganz inspiriert vom Tanz. In den 80er Jahren habe ich ganz viel<br />
Tanz gesehen, ganz viel Butoh-Tanz und Pina Bausch, und alles im<br />
Original mit tollen Interpreten. Und das hat mich damals sehr inspiriert,<br />
das fand ich toller als Theater oder Musik und war für mich<br />
eine wichtige Inspiration. Und dann habe ich bestimmt hundert<br />
Performances gemacht mit Tanz. Das hat mich bestimmt auch irgendwo<br />
im Spielen geprägt. Es ist für mich eine herrliche Welt,<br />
denn ich bin dann nicht alleine. Ich bin im Duo, was für mich eine<br />
Art Idealzustand ist für Improvisation, bin aber akustisch alleine,<br />
habe da freie Hand. Und das ist für mich toll. Denn außerdem<br />
möchte ich den Raum bewegen, und der Tänzer macht das noch<br />
viel, viel tiefer mit seinem Körper. Und das mag ich unheimlich<br />
gerne.<br />
MB: Na ja, ich glaube, ich funktioniere da sehr über Bewegung und<br />
spiele selbst gestisch, auch Musik gestisch. Für mich ist die Ebene<br />
das Aufnehmen der Bewegung und nicht, dabei Töne zu hören,<br />
nein. Es ist eher so, dass ich Lust habe, mich anders zu bewegen als<br />
sonst. Insofern gehe ich sehr stark auf die Bewegung ein.<br />
IR: Diese Bewegung von Tänzer*innen, ist die für<br />
dich auch so etwas Kinästhetisches, dass du auf<br />
einmal Sounds zu hören beginnst in diesem Duo<br />
oder auf einer Bewegungsebene, oder transformiert<br />
sich das irgendwie (jetzt vielleicht von einem<br />
Atemgeräusch abgesehen)? Ich habe gehört, dass auch<br />
Musiker*innen oder andere Künstler*innen in diesen<br />
Bewegungen auf einmal Farben sehen oder Sounds<br />
hören oder sonst was. Gibt es solche Phänomene?<br />
238 239
43<br />
Eindrücke und Empfindungen<br />
Ingo Reulecke im Gespräch mit Heike Gäßler<br />
Heike Gäßler: Was empfindest du, wenn du dich bewegst? Denke beispielsweise<br />
an eine dieser Improvisationen zurück, als du dich alleine bewegt<br />
hast mit einem Musiker oder einer Musikerin, und greife dir mal einfach eine<br />
Situation heraus, mit der sich für dich so eine Empfindung ganz konkret beschreiben<br />
lässt.<br />
Ingo Reulecke: Na, dann würde ich mal jetzt zu der letzten gehen mit<br />
Markus Pesonen, da ich mit ihm danach vor kurzem noch einmal eine Performance<br />
im Duett hatte, bei der diese Erfahrung wieder auflebte, die wir schon<br />
in unserer vorherigen Duettsituation im Gemeindesaal hatten. Also ich kann<br />
sagen, dass es für mich sehr bedeutsam ist, was für eine Musik produziert wird.<br />
Und je mehr ich mich in dieser Musik herausgefordert fühle, desto mehr bin<br />
ich gefordert und desto mehr Motivation habe ich dann für diesen Dialog.<br />
Markus Pesonen ist jemand, der das sehr fördert und fordert mit seiner Art,<br />
zu spielen, mit seiner sehr lebendigen und wachen Interpretation. Und mit<br />
seinem großen Spektrum an verschiedenen musikalischen Möglichkeiten fördert,<br />
ja befördert er in mir sehr viele unterschiedliche Facetten. Und in dieser<br />
Improvisation gab es auch eine besondere räumliche Konstante, die wir uns<br />
ausgesucht hatten, nachdem Carlos sie vorgeschlagen hatte, also dieses Quadrat,<br />
welches da zufällig am Boden aufgeklebt war und das wir uns zunutze<br />
gemacht hatten. Dabei saß Markus eben außen an einer bestimmten Stelle des<br />
Quadrats, und ich befand mich innerhalb des Quadrats, und die Kamera war in<br />
einer bestimmten Anordnung dazu. Dies hat ein sehr starkes Setting ergeben,<br />
was für mich viele Assoziationsmöglichkeiten geöffnet hat. Also was mich an<br />
das Quadrat 1+21 31 von Beckett denken ließ oder an so Sachen, wo ich dann<br />
schon automatisch in einen ganz bestimmten Raum trete, der in einer besonderen<br />
Art und Weise aufgeladen ist, was ich spannend finde. Und das wird<br />
auch natürlich nochmals ganz stark beflügelt durch diese sehr physische und<br />
31 Quadrat 1+2 gehört zu vier von Samuel Beckett geschriebenen Fernsehstücken. Im Quadrat legen<br />
Schauspieler einen genau festgelegten Weg zu einem Schlaginstrument fest. Siehe hierzu auch: UbuWeb<br />
Film & Video: Samuel Beckett - Quadrat 1+2 (1982), https://www.ubu.com/film/beckett_quad.html,<br />
sehr ausdrucksvolle und gekonnte Art des Musizierens von dem jungen Musiker.<br />
Da ist dann ganz viel los. Tja, und eigentlich ist das so, dass ich permanent<br />
am Inhibieren, also am Unterdrücken bin, um das jetzt nicht alles ‘rauszulassen<br />
und loszulassen, was da so hochkommt. Also ist es meine Hauptaufgabe,<br />
diese Impulse und Möglichkeitsfelder einzugrenzen, einzuschränken. Deshalb<br />
ist diese Analogie zum Quadrat in dem abgesteckten Raum auch sehr schön,<br />
weil sie genau das beschreibt, was ich eigentlich die ganze Zeit vorrangig mache,<br />
nämlich mich in ein bestimmtes kompositorisches Feld zu begeben, aus<br />
dem heraus ich dann schöpfe, im Dialog befindlich, an das ich aber sehr eingeschränkt<br />
und mit einer bestimmten Art von Hemmung des Einzelelements<br />
herangehe, um das Spektrum nicht zu groß und weitläufig werden zu lassen.<br />
Und das ist eine ganz tolle Rahmung für mich, die mich sehr im Zaum hält und<br />
mir Spaß macht, dem nachzugehen und innerhalb dieser Rahmung mein Feld<br />
abzustecken, sozusagen innerhalb des Dialogs.<br />
HG: Und was empfindest du?<br />
IR: Spaß, Freude. Und es ist schon eine vergnügliche, amüsante Situation,<br />
dieses nonverbale Spiel, ein Gespräch. Ja, es ist tatsächlich so, als würde ich<br />
in einen speziellen Raum treten, der Möglichkeiten offeriert.<br />
HG: Und wenn du jetzt wiederum an verschiedene Improvisationen<br />
zurückdenkst, die wir gemacht haben, wie würdest du dies beschreiben: Wie<br />
erlebst du den Moment, bevor du beginnst, und wie gestaltest du deinen Anfang?<br />
IR: Na im Grunde ist das so ein kurzer Augenblick, des Innehaltens und<br />
Einstimmens auf den Raum und diesen Moment und irgendwie auch auf die<br />
Person oder die Personen, die da mit im Raum sind, aber speziell auf diesen<br />
Spielpartner oder diese Spielpartnerin. Also eigentlich ist es in der Hauptsache<br />
so ein kurzes Entleeren, ja leer machen. Und dadurch, dass ich seit langer<br />
Zeit eine bestimmte Praxis habe, kann ich sehr schnell in so einen neutralisierten<br />
Zustand kommen, aus dem heraus ich dann agieren kann – also wie so ein<br />
leeres Blatt im Grunde, was dann beschrieben wird.<br />
HG: Das wäre genau meine nächste Frage gewesen: Kommst du mit<br />
Ideen, die dir einfach so durch den Kopf gegangen sind, oder hast du ein leeres<br />
Blatt, wenn du beginnst?<br />
IR: Je mehr ich das praktiziere, desto häufiger ist eigentlich diese Lust<br />
für mich da, mich leer zu machen, bevor es beginnt, und mich einzulassen auf<br />
letzter Aufruf 4.5.2021.<br />
240 241
das, was da ist an Musik, an Raum, an Situation, und dies wirklich dann fast<br />
wie neu zu erfahren.<br />
HG: Und wie arrangierst du dich mit dem Raum?<br />
IR: Ja eigentlich ähnlich, im Grunde auch so, mich gar nicht mehr viel<br />
darum zu kümmern, sondern da hinein zu treten und dann innerhalb des Prozesses<br />
dieser Entwicklungszeit (bei uns waren es ja immer zwanzig Minuten)<br />
den Raum dann für mich neu zu entdecken und zu ergründen, statt dass ich<br />
mir den im Vorfeld einverleibe und mich bemühe, da Zugang zu finden. Also<br />
ich versuche wirklich, ganz neutral zu sein, mich gar nicht weiter darum zu<br />
kümmern und mich nur aufzuwärmen (was nur notwendig ist als Prophylaxe,<br />
um mich nicht zu verletzen). Und dann offen zu sein für all das, also für eine<br />
für die Improvisation wesentliche Situation. Zum Beispiel erst dann den Boden<br />
mit seiner Beschaffenheit zu erfahren. Dies nicht vorher groß anzutesten<br />
und auszuprobieren, sondern dann im Moment damit umzugehen und zu sehen,<br />
was das für Geräuschverhaltensmöglichkeiten von mir bietet im Umgang<br />
mit Boden, Wand, Mobiliar oder sonst irgendwas.<br />
oder einfach versuchst du zu agieren?<br />
IR: Mich interessiert schon ein gewisser Grad an Komplexität, also innerhalb<br />
eines Möglichkeitsfeldes oder einer Rahmung eine gewisse Vielschichtigkeit<br />
und Mehrdimensionalität in Hinsicht von Bewegung zu finden. Es gefällt mir,<br />
wenn ich multizentral arbeiten kann und sozusagen den Körper fast orchestrieren,<br />
ihn also in verschiedene Bestandteile zerlegen kann, und wenn ich die<br />
unterschiedlichen Aktionen simultan im Raum durchführen kann, aber auch<br />
in der Lage bin, schnell zwischen Zuständen oder Ideen zu wechseln. Also<br />
dass es für mich und innerhalb der Situation eine Herausforderung gibt, ist<br />
mir wichtig, interessiert mich als Anreiz.<br />
HG: Von welchen Zuständen sprichst du?<br />
IR: Bestimmte Bewegungsausprägungen können in unterschiedliche<br />
Zustände führen. So etwas Bekanntes wie Schütteln führt in einen Zustand, der<br />
das ganze Nervensystem ein bisschen durcheinanderbringt und die Atmung,<br />
aber auch die Sinne nebulöser sein lässt, wodurch Genauigkeit oder Klarheit<br />
erschwert werden und eigentlich Fehler oder sozusagen Unfälle passieren im<br />
Machen. Es ist interessant, sich mit Schwierigkeiten zu konfrontieren. Und<br />
diese Art von Zustand führt dann in eine bestimmte Bewegungssituation oder<br />
in eine Bewegungsmöglichkeit. Und ich kann diese Zustände schnell wechseln,<br />
aber ich kann auch in unterschiedlichen Körperpartien unterschiedliche<br />
Ausprägungen haben, die verschieden nach außen dringen und eine Art von<br />
Zerrissenheit oder Ambivalenz im Körper deutlich werden lassen.<br />
HG: Wie viele Ebenen bedienst du in deinem Bewegungsspiel? Wie komplex<br />
242 243
44<br />
VERSUCHSANORDNUNG 13<br />
Markus Pesonen, Ingo Reulecke, Heike Gäßler, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Set I – Dokumentation<br />
5.5.2014<br />
Die Zunge spielt, die Hand folgt, der Oberkörper beugt nach vorne<br />
ein unsicheres Blinzeln mit geschlossenem Mund und linker Schulter<br />
die Schräglage gesucht.<br />
Wie ein Ei im Boden gefaltet blickt Ingo unter dem gestreckten Arm<br />
hindurch<br />
sinkt rückwärts gen Boden, um gestreckte Seitenlage auszutesten<br />
eine weiche Schraube zweifach<br />
lässt seine Richtung ändern.<br />
Er lotet den Raum aus – bewegt sich an den Raumseiten, um in einer Diagonale<br />
sitzend<br />
die Beine übereinander zu schlagen, den Körper abgedreht.<br />
Stehend dreht er sich in Kreisen aus mit Armen und Beinen<br />
Seitenschrägen genießend.<br />
Bei gebeugten Beinen ziehen die Arme kraftvoll.<br />
Ein Niedertauchen<br />
Bodenlagenrückenkreisen<br />
der Kopf zieht vor und nach oben.<br />
Verharrend im Sitz auf dem Boden watschelt er in die Ecke<br />
reckt Arme wie Flügel<br />
zieht nach oben<br />
gebeugt nach vorne berührt eine Hand sacht den Boden.<br />
In der Grätsche messen die Arme ab – den Boden.<br />
Schon an der vorderen Kante und vorbeigezogen<br />
sitzt er in der rechten Ecke, den Blick wie in die Tiefe<br />
schnelles Verdrehen mit Sprung und Ebenenwechsel<br />
die Finger wie aufgestellt<br />
die Schultern hochgezogen beugt er sich tief nach hinten<br />
rast zur Seite entlang den Kanten<br />
Armekneifen<br />
Tauchdrehungen<br />
beide Ellbogen um den Kopf nach hinten gezogen<br />
zartes Verharren in Schräglage<br />
auf Knien rückwärtsziehen bis der Körper zur Seite fällt<br />
aufstrebt<br />
die Arme gestreckt, ebenso die Beine<br />
Mund offen, Blick den Boden suchend.<br />
Spiel mit Imbalance in der Ecke, taumeln im Stehen<br />
der Kopf rollt vor und zurück horizontal<br />
der Mund presst nach vorne, die Schultern kreisen zurück, während er<br />
ein Bein wie unbewegt zur Seite zieht<br />
langsam in Zeitlupe niedersinkt<br />
einen Armknoten um den anderen streckt, eingeklemmt in sich selbst.<br />
Gestreckt der Körper ein Bein schwenkend<br />
niedersinkend langsam in der Stille<br />
vorsichtig tasten die Hände<br />
liegen weich in der Luft<br />
sinken nach unten<br />
ein Stock fällt zu Boden<br />
hinteres Eckverdrehen mit angezogenen Schultern<br />
die Arme spielen in Kreisen<br />
wischen und schwenken zwischen den Beinen hindurch.<br />
Ein Flattern nach vorne<br />
Sprunglaufspiele<br />
abtauchen, verwirrter Blick und losgezogen durch den Raum<br />
über die Linie hinausgesprungen<br />
auf Boden nieder und weiter den Raum durchforstet<br />
kreist und fällt er, kugelt mit Kopf<br />
die Beine suchen neue Positionen in Raum, Luft, Boden<br />
untere Ebene, mittlere.<br />
Eckenellbogen spielen<br />
schnell, langsam die Arme über den Kopf gezogen<br />
sich in sich zusammenfaltend<br />
entlang der Achse gleitend<br />
niedersinken im Rückwärtsmodus<br />
die Ecke umspielend<br />
sich an der Schulter greifend<br />
der Blick nach oben zum Himmel mit Diagonalgang durch den Raum<br />
244 245
Armkreise in Ecke zeigen das Ende an.<br />
Den Rücken zur Ecke gedreht, sinkt auch der Kopf tief nach.<br />
Dann hochholen und zurück zur Ausgangslage.<br />
Set II – Interpretation<br />
Weichverdrehungen<br />
gedehntes Luftschreiten<br />
Rückwedelhüpfen<br />
Schrittstotternecke<br />
Dynamisierungswellen<br />
Schraubrücken<br />
Seitenstrecksenkung<br />
Extremitätenvereckungen<br />
Bodensuchaugen<br />
Eckausnutzungsbeuge<br />
Schwanzgangmodus<br />
Schrittgeraden<br />
Weichdrehverschweben<br />
Nasentreibrolle<br />
Rückschau nach innen<br />
Kreiselflug<br />
Schreibmaschinenkreisen<br />
O-Mundbeuge<br />
Stehschnellverwischer<br />
Abfallliegen<br />
Beinöffnungsüberziehen<br />
Vorzugsarme<br />
Strömungsgliederspiel<br />
Verweichlichungssenken<br />
Beidarmaufziehen leicht<br />
Babyhaltearme<br />
Zeitlupenweichzeichnen<br />
Bodenauflösung<br />
Beinverkeilung<br />
Fluglaufen<br />
Falldrehsucht<br />
Handschwebe<br />
Auffangbeckenbeugung<br />
Liniensuchfinger<br />
Ellbogenempfindungsdrehen<br />
Handgelenksschiebung<br />
Brustkorbstützen<br />
Faustschrauben<br />
Entrückkopf<br />
Halslangzugsecke<br />
Zeichenspielen<br />
Fußlüften<br />
Eckweichglauben<br />
Handkniesenksitzen<br />
246 247
VIDEODOKUMENTATION<br />
Versuchsanordnung 13 – Set I – https://vimeo.com/917106302<br />
Versuchsanordnung 13 – Set II – https://vimeo.com/917110702<br />
248 249
45<br />
INTERVIEW<br />
Markus Pesonen, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Gemeindesaal Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
5.5.2014<br />
Heike Gäßler: Was hast du empfunden im Hinblick<br />
auf die beiden Sets, und was war dir wichtig?<br />
Markus Pesonen: Zunächst einmal ist es eine Weile her, dass wir<br />
Performances gemacht haben, und Duos haben wir noch nie gemacht.<br />
Es war also etwas ganz Besonderes mit dem Fokus von<br />
zwei Personen, einer quadratischen Fläche und Menschen, die<br />
das dokumentierten. Man konnte wirklich in eine schöne Situation<br />
einsteigen. Nachdem wir eine Zeitlang nicht zusammen gearbeitet<br />
hatten, konnten wir sehen, wo wir jetzt stehen. Ich liebe es,<br />
Menschen auf jegliche andere Art zu begegnen, als zu sprechen.<br />
Ich wollte vorher nicht allzuviel mit euch reden. Ich wollte zuerst<br />
die Begegnung in diesem performativen Medium. Denn manchmal<br />
sagt das mehr aus, als sich darüber auszutauschen, was man<br />
inzwischen gemacht hat und so weiter. Allein die Tatsache, mit<br />
anderen Mitteln als dem Reden zu kommunizieren, ist für mich<br />
wirklich unglaublich – und es ist wie eine der verlorenen Künste<br />
des Menschen. Das ist wirklich wichtig. Und dann speziell über<br />
diese beiden Sets: Während unserer Performance gefiel es mir,<br />
zu sehen, wie sich die Form mit sehr klaren Stücken und unterschiedlichen<br />
Teilen entfaltete. Zum Beispiel hatte die erste Session<br />
etwa drei Sätze. Und mir gefiel das, weil es nicht etwas war, was<br />
ich gerne tue. Ich glaube auch nicht, dass es etwas ist, das Ingo<br />
geplant hat. Es entfaltet sich einfach so – so wie du, während du<br />
es beobachtest, zu erkennen beginnst: ‘Ah okay, das ist irgendwie<br />
eindeutig.’ Und was ich daran am meisten mag, war, dass wir uns<br />
gemeinsam entschieden, dass der erste Satz vorbei war und wir<br />
uns nun zum zweiten Satz bewegen würden. Man hat das Gefühl,<br />
beide Teilnehmer verstehen die Form oder können sie lesen und<br />
spüren, so dass beide wissen: ‘Jetzt sind wir fertig, und wir können<br />
gemeinsam eine klare Entscheidung treffen.’ Das hat mir sehr gut<br />
gefallen.<br />
HG: Worum ging es in eurer Kommunikation im ersten<br />
Set und im zweiten Set?<br />
MP: Im ersten Set, am Anfang, wollte ich mich nur darauf einstimmen,<br />
was Ingo macht. Ich war ziemlich minimal und sorgte nur für<br />
die notwendige Atmosphäre für ihn, so dass er beginnen konnte,<br />
etwas zu erschaffen. Bei der zweiten Session fühlte ich mich, als<br />
wollte ich sagen: „Jetzt gebe ich dir etwas, und du musst dich damit<br />
auseinandersetzen!“ Also es war nicht ständig so, aber an den<br />
Ausgangspunkten. Ich mag Extreme, und ich beginne den zweiten<br />
Teil gerne an einem ganz anderen Ort als beim ersten Mal. Das<br />
sind die kleinen Entscheidungen, die wir treffen. Und dann ist da<br />
noch der intuitive Teil, wenn du einfach dem folgst, wie du dich<br />
fühlst. Aber manchmal denke ich, ich will die Situation mehr in<br />
Frage stellen. Was ich an guten Improvisationen mag, ist, dass ich<br />
weiß, ich kann alles tun und es wird okay sein, wenn ich gegen<br />
ihn pushen oder etwas wirklich Provokatives machen kann. Und es<br />
wird eine gute Sache sein, und es wird ihn nicht abschrecken oder<br />
es wird nicht zu viel sein. Höflichkeit ist schön beim Gespräch in<br />
der alltäglichen Welt, aber beim Performen ist sie überhaupt nicht<br />
notwendig.<br />
HG: Siehst du dich eher als denjenigen, der die Impulse<br />
gibt, oder als den, der sie empfängt, oder ist es<br />
eine Mischung?<br />
MP: Es ist eine Mischung. Vielleicht habe ich eher die Tendenz<br />
dazu, dass ich die Impulse gebe. Aber es ist so schwer zu sagen. Du<br />
gibst einen Impuls, aber warum hast du es getan – vielleicht doch,<br />
weil du auf etwas reagiert hast? Und man kann auch auf etwas re-<br />
250 251
agieren, das eigentlich gar nicht da ist. Es ist nicht immer so, dass<br />
der Impuls dann besteht, wenn man etwas tut. Der Impuls kann<br />
auch ganz stark sein, etwas nicht zu tun, und dann erfordert es die<br />
Menge an noch übrig gebliebenem Raum, dass du einfach irgendetwas<br />
machen musst. Es ist eine verzwickte Frage.<br />
HG: Was war dein Gefühl hinsichtlich der Zeit? Wie<br />
war die Erfahrung der Zeit?<br />
MP: Die Minuten, die wie die Zeit vergehen? Ich habe eine ziemlich<br />
genaue innere Uhr in meinem Herzen, also weiß ich einfach,<br />
an welchem Moment wir in diesen zwanzig Minuten gerade sind.<br />
Aber ich denke nicht wirklich darüber nach. Jemand hat mir einmal<br />
gesagt: “Denke nicht an das Ende, lass das Ende zu dir kommen.”<br />
Das ist sehr beruhigend. Ich muss nicht versuchen, zum Ende zu<br />
gelangen. Ich bin da, wo ich bin, und das Ende wird einfach zu mir<br />
kommen. Also denke ich nicht wirklich an die Zeit. Im ersten Set<br />
war ich ein wenig überrascht, wie viel wir in zwanzig Minuten einbauen<br />
konnten. Es fühlte sich an, als würde meine innere Uhr eine<br />
Minute vorgehen, und erst als er 32 schließlich seine Hand hob, erkannte<br />
ich, dass wir das Zeitlimit erreicht hatten.<br />
HG: Was hältst du von <strong>Echtzeit</strong>komposition?<br />
MP: Man hat keine Möglichkeit, sie zu bearbeiten. Aber es ist eine<br />
Komposition wie jedes andere Werk. Wenn ich zum Beispiel für<br />
Orchester komponiere, ist das auch immer noch eine Art <strong>Echtzeit</strong>,<br />
und ich versuche, das so schnell wie möglich aus meinem Bewusstsein<br />
aufs Papier zu übertragen. Doch da ist der Unterschied,<br />
dass ich es danach verfeinern, bearbeiten und verändern kann.<br />
<strong>Echtzeit</strong>komposition scheint ein Wort zu sein, das die Tanzwelt<br />
mehr benutzt als die Musikwelt.<br />
HG: Wie würdest du es bezeichnen?<br />
32 Wie auch bei den anderen Instant Compositions gab Carlos Bustamante das Handzeichen zum<br />
Ende des Sets.<br />
MP: Improvisation. Ich mag diesen Fokus der <strong>Echtzeit</strong>komposition.<br />
Er gibt die Konnotation, dass du ein Bewusstsein der Form<br />
hast. Manchmal sieht man eine Improvisation, die in gewisser Weise<br />
fast formlos ist. Was auch Form ist. Aber einige Improvisierende<br />
sind sich der kompositorischen Aspekte der jeweiligen einzelnen<br />
Gestaltungselemente bewusster, und sie möchten vielleicht die<br />
Themen, die sie geschaffen haben, variieren, etwas zurückbringen,<br />
was sie vorher gespielt haben. Sie haben diese intellektuelle Ebene<br />
der Planung oder beziehen sich auf das, was sie getan haben. Andere<br />
Leute sind eher wie ausgeflippt animalisch und legen einfach<br />
los, und dann passiert etwas.<br />
HG: Und du? Was hast du getan?<br />
MP: Beides natürlich. Manchmal mag man es, sich selbst zu überraschen,<br />
man versucht, das Gegenteil von dem zu tun, was man<br />
normalerweise tun würde. Zum Beispiel hatten wir eben dieses<br />
laute Element und dann jenes sanfte Element, und dann spielten wir<br />
ein bisschen mit der Dynamik – das hat diese klare Komposition<br />
geschaffen. Sobald du damit beginnst, musst du das Puzzle irgendwie<br />
beenden. Manchmal fängt man Dinge an, und man weiß nur:<br />
‘Oh nein, ich habe etwas geschaffen, auf das ich mich jetzt beziehe,<br />
also muss ich das auf eine bestimmte Art und Weise beenden.’<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Moment für dich?<br />
MP: Nun, es gibt nichts anderes als den Moment. Er ist alles.<br />
HG: Und wie erschaffst du im Moment?<br />
MP: Im besten Fall folge ich nur dem, was kommt, auf eine bestimmte<br />
Art. Das fühlt sich so an, als ob du zwei Sekunden in die<br />
Zukunft siehst und dann das verwirklichst, was du erblickt hast.<br />
Aber manchmal ist es ein fließender Strom, in dem du bist, und<br />
im nächsten Moment bist du heraus aus ihm. Und wenn du nicht<br />
mehr in dem Fluss bist, brauchst du eventuell einige Fertigkeiten,<br />
oder du hast möglicherweise eine Routine. Du hast deine Trick-<br />
252 253
kiste und das Handwerk des Performens, was irgendwie zum Einsatz<br />
kommt. Und dann muss man vielleicht ein bisschen überlegen,<br />
was man macht. Aber im besten Fall muss man das nicht.<br />
HG: Und was hast du in deiner Trickkiste, wenn du<br />
mit Bewegungskünstlern arbeitest? Oder was ist die<br />
Methode, die du gerne einsetzt?<br />
MP: Entweder ich schaue sehr genau hin, fokussiere mich auf das<br />
Detail der Bewegung, oder ich blicke fast gar nicht darauf, fast nur<br />
aus dem Augenwinkel. Es ist nicht die ganze Zeit über eine bewusste<br />
Methode, aber es ist mir aufgefallen, dass es manchmal schön<br />
sein kann, damit zu arbeiten, so als ob du einen Bildausschnitt heranzoomst.<br />
Wenn ich nach Inspirationen suchen will, schaue ich<br />
aufs Detail und bringe mich in Einklang mit den kleinsten Dingen.<br />
Ab und zu bekommt man eine allgemeine Vorstellung, die ist eher<br />
so, als fühle man die Energie. Oder man nimmt sie irgendwie mit<br />
den anderen Sinnen wahr und vielleicht aus dem Augenwinkel.<br />
Wenn verschiedene Abläufe wirklich simultan passieren, klappt<br />
es manchmal besser, wenn du nicht direkt hinsiehst. Man erlaubt<br />
sich die Möglichkeit, mit einer gewissen Art von intuitiver Wahrnehmung<br />
zu arbeiten, anstatt zu sehen zu versuchen, was hier ist.<br />
Es gibt also zwei Arten, den Tänzer zu betrachten oder zu spüren,<br />
die sehr unterschiedlich sind. Das kann hilfreich sein, wenn du das<br />
Gefühl hast, dass du eine Änderung deiner Wahrnehmungsweise<br />
brauchst.<br />
HG: Sind deine inneren Emotionen wichtig, oder<br />
gehst du aus dir heraus, wenn du etwas erschaffst?<br />
MP: Sie sind sehr wichtig. So wie jetzt, wenn ich aus einem sehr<br />
chaotischen Leben hierher komme und ich fühle, es ist ein Refugium,<br />
dass ich eine Weile Musik spielen kann. Und dann muss<br />
ich nicht über die Probleme nachdenken. Natürlich wirkt es sich<br />
immer aus, und ich will auch, dass es sich auswirkt. Ich lasse den Tag<br />
Einfluss nehmen. Aber dann, wenn ich als Künstler kreativ werde<br />
und etwas erschaffe, neigen diese emotionalen Zustände dazu,<br />
dass sie verschwinden. Oder sie haben mich nicht auf diese Art im<br />
Griff. Es ist das gleiche Phänomen, das die Menschen mit Meditation<br />
erreichen, wenn sie mit ihren emotionalen Angelegenheiten<br />
nicht so beschäftigt sind. Viele Dinge werden durch dich hindurch<br />
gehen – aber es hält dich nicht davon ab, zu spielen. Du lässt deine<br />
Gitarre nicht fallen, auch wenn du trotzdem diese Gefühle immer<br />
noch haben könntest.<br />
HG: Welche Bedeutung hat die Pause für dich?<br />
MP: Das sind die guten Sachen. Es ist der intensivste Teil. Der Teil,<br />
wenn die Menschen am gegenwärtigsten sind. Ich mag die Pausen.<br />
Ich spiele gerne mit ihnen und schaue dann, wie weit ich damit<br />
gehen kann. Wenn du eine Pause mit einer sehr guten Spannung<br />
hast, ist es interessant zu sehen, wie weit das tragen kann oder was<br />
in dieser Pause passiert. Die Pausen definieren auf eine bestimmte<br />
Art und Weise das restliche Material. Sie verleihen der Sache<br />
Gewicht, die gerade zuvor passiert ist. Und sie sind manchmal ein<br />
bisschen beängstigend für die Leute. Was mir ebenfalls sehr gut<br />
gefällt. Ich komme aus Finnland. Wir sind es gewohnt, zu schweigen<br />
und unbequeme Pausen zu machen. Aber das ist nicht jeder<br />
auf der Welt. Also lächle ich immer, wenn ich merke, dass etwas<br />
unbequem ist. Natürlich nicht dauernd, aber es ist ein Teil meiner<br />
Kultur, solche Pausen zu haben.<br />
HG: Kommunizierst du mit dem Raum, und welche<br />
Bedeutung hat er für dich?<br />
MP: Nun, offensichtlich auf vielen Ebenen. Für mich als Musiker<br />
ist die Akustik sehr wichtig. Ich gehe in den Raum und klatsche<br />
in die Hände und höre den Sound und sage: „Das ist okay, das<br />
ist es, und damit werden wir arbeiten“. Das ist die rein akustische<br />
Ebene des Raums. Dann, wenn du etwas über die Geschichte oder<br />
den Zweck des Gebäudes weißt, hat das eine Wirkung. Was ist es,<br />
das hier normalerweise passiert? Denken wir darüber nach. All die<br />
kleinen Details in diesem Zimmer. Außerdem habe ich an einem<br />
Stück gearbeitet, bei dem ich einige Kratzer an der Wand gemacht<br />
254 255
habe. Es ist, als ob man den Raum kennenlernen würde. Er hat<br />
eine große Bedeutung. Gerade für einen Improvisierenden ist<br />
es eine neue Herausforderung, wenn man in einen neuen Raum<br />
geht. Diesen Raum und diese Zeit muss man irgendwie bewältigen.<br />
Du kannst dich zum Beispiel mit dem Raum anfreunden, in<br />
dem du dich befindest, oder du erforschst ihn. Klingt irgendwie<br />
naheliegend...<br />
HG: Wie arbeitest du mit diesem Raum?<br />
MP: Bei diesem Raum war die Entscheidung zu der quadratischen<br />
Fläche ganz ausschlaggebend. Akustisch ist der Raum etwas ganz<br />
Besonderes, da der Klang einen langen Hall und verschiedene<br />
Harmonien hat, die sich entwickeln. Du kannst sie in den stillen<br />
Momenten noch hören, so dass es interessant ist, damit zu spielen.<br />
In gewisser Weise haben wir diesen Raum geschaffen. Wir hatten<br />
all diese Wände, die es nicht wirklich gab, und wir hatten das Quadrat<br />
– das ist das von uns erschaffene Universum im Inneren dieser<br />
Kirche. In gewisser Weise habe ich alles ausgeblendet, was außerhalb<br />
des Quadrates ist. Mir gefällt die Entscheidung, dass wir<br />
uns auf diesen Bereich konzentriert haben.<br />
HG: Hattest du irgendwelche Schwierigkeiten?<br />
MP: Eine Saite riss. Also musste ich herausbekommen, wie man<br />
mit einer Saite weniger spielt.<br />
HG: Bringt dich diese Improvisation oder <strong>Echtzeit</strong>komposition<br />
auf eine andere Ebene, eine andere<br />
Wahrnehmung der Wirklichkeit zum Beispiel?<br />
MP: Es ist die beste Übung, die ein darstellender Künstler haben<br />
kann. Man muss sich nur mit sich selbst auseinandersetzen. Früher<br />
oder später muss man mit sich klarkommen, sich selbst kennenlernen.<br />
Und es ist gut. Es ist sehr konfrontativ und nackt und wertvoll<br />
zu beobachten, wie man in dieser sozialen Situation des Spielens<br />
reagiert. Als ich in mittleren Jahren anfing, mich für Meditation zu<br />
interessieren, wurde mir klar, dass ich mit diesen Bereichen schon<br />
einmal in Berührung gekommen war: Aufgrund der Performance-<br />
Kunst war ich bereits an diese Art von Bewusstsein gewöhnt. Und<br />
ich denke, es ist ein Segen für einen Künstler, dass seine Arbeit<br />
gleichzeitig auch – einen besseren Ausdruck habe ich nicht dafür –<br />
ein spirituelles Werk sein kann. Oder eine Arbeit, bei der ich mich<br />
selbst konfrontieren muss. Es ist wirklich ein Glücksfall für mich,<br />
wenn ich solche Sachen machen kann.<br />
Ingo Reulecke: Vielleicht könnten wir für einen kurzen<br />
Moment zum Tanz und zu den Tänzer*innen zurückkehren.<br />
Könntest du sagen, was dich daran interessiert,<br />
mit Tänzer*innen zu arbeiten, welche Art von<br />
Performer*innen für dich interessant sind und wonach<br />
du in diesem Bereich suchst?<br />
MP: Ich bin sehr an unserer Vergangenheit interessiert. Bevor es die<br />
Kultur gab, vor der Zivilisation, vor einer Idee der Kunst, gab es bereits<br />
Menschen, die tanzten und Musik machten. Es geschah bloß<br />
nicht als Performance, denke ich. Diese Verbindung ist so alt und so<br />
wichtig, sehr natürlich. Diese Tatsache, dass sich der Körper bewegen<br />
will zu Klängen... Es gab eine Studie, bei der man herausfand,<br />
dass du eine bewusste Anstrengung aufbringen musst, dich nicht zu<br />
bewegen, wenn du Musik hörst. Das ist also etwas, das solch eine<br />
schöne Verbindung ist. Es geht also weit zurück, die Klänge, die uns<br />
zur Bewegung bringen. Außerdem liebe ich es, wie meine Musik<br />
völlig anders klingt, wenn ein anderes Medium wie der Tanz mit der<br />
Musik zusammengebracht wird – und wie wiederum meine Musik<br />
die Bewegung anders aussehen lässt. Würde ich meine Musik in einem<br />
Konzert spielen mit so etwas ähnlichem wie einer Momentkomposition,<br />
dann wäre es trotzdem ganz anders, einfach wegen des<br />
fehlenden Tanzes. Und ich finde, das ist das Tolle an den verschiedenen<br />
Kunstformen – ich kann hier etwas mit Musik machen, das ich<br />
zusammen mit Tanz bewerkstelligen kann, das auf eine andere Ebene<br />
wechselt. Mit Musik allein könnte ich das nicht erreichen. Und<br />
es ist interessant, in einer anderen Kunstform zu sein, die sich ebenfalls<br />
mit der Zeit beschäftigt. Das Phänomen, wie die Zeit vergeht,<br />
256 257
ist eines der faszinierendsten Dinge, die wir haben. Wir haben nur<br />
unsere Aufmerksamkeit und unsere Zeit, die vergeht. Und mit dem<br />
Tanz erfährt das noch mehr Aufmerksamkeit. Denn bei der Musik<br />
ist es manchmal so, du wanderst in dein Bewusstsein und die Musik<br />
ist da, um die Atmosphäre für dich in deinem Bewusstsein zu schaffen.<br />
Aber der Tanz gibt mir die Chance, noch gegenwärtiger zu sein.<br />
Und der Tanz bringt natürlich den räumlichen Aspekt zu allem: du<br />
arbeitest mit Raum und Zeit und nicht nur mit der Zeit. Was toll ist.<br />
Was ich an Tänzern mag, ist diese Herausforderung, dass mich jemand<br />
einfach quasi mit einem Tritt in den Hintern aus meiner Komfortzone<br />
befördern kann und ich dabei noch etwas lernen kann.<br />
Dabei gefällt mir besonders, dass sie nicht nur als Begleitung zur<br />
Musik tanzen müssen, sondern dass sie die Führung übernehmen<br />
können. Das ist eine Qualität, die mich fasziniert. Es ist ein Detail,<br />
aber für mich ist es sehr wichtig, dass es die Impulse und das Zuhören<br />
im gleichen Ausmaß gibt, also dass es eine ausreichend starke Gegenkraft<br />
gibt und es sich wie ein schönes Spiel anfühlt. Jeder gute<br />
Improvisierende ist auf der Suche nach dieser Art von Qualität, bereit<br />
zu sein, in jedem Moment über die Klippe zu springen. Nicht in<br />
die Routinen zu fallen, wie wir es als Performer manchmal machen,<br />
wenn wir in unserer Komfortzone bleiben, woran aber auch nichts<br />
auszusetzen ist. Jemand hat mal gesagt, eine Improvisation besteht<br />
tatsächlich nur aus fünf Prozent echter Improvisation. Und es sind<br />
diese fünf Prozent, die wirklich zählen – wenn die Leute mutig genug<br />
sind, diese fünf Prozent im Rahmen der improvisierten Formsprache<br />
einzusetzen, die sie entwickelt haben.<br />
Carlos Bustamante: Die Musik ist auch ein Teil des Räumlichen, besonders<br />
hier in diesem Raum – ich spüre den Raum wirklich.<br />
MP: Dem stimme ich voll und ganz zu. Ich hätte vielleicht präzisieren<br />
sollen, dass man mit den Sinnen den Raum ja nicht nur akustisch<br />
wahrnimmt. Natürlich gibt es ebenso das visuelle Medium, es<br />
lässt dich den Raum mehr hören, als du es sonst tun würdest. Man<br />
richtet dadurch auf eine bestimmte Art und Weise den Fokus mehr<br />
auf den Raum.<br />
CB: In der Art, wie Ingo tanzt, hat er Raum erschaffen, obwohl alles<br />
nur innerhalb des Quadrates stattfand (was mir wie ein Diamant<br />
erschien). Manchmal, wenn er an den Rand kam, darüber hinaus<br />
oder nicht, veränderte das plötzlich meine ganze Wahrnehmung<br />
des Raumes, in dem wir uns befinden. Und oft war er im Dialog mit<br />
den Klängen, die du erzeugt hattest. Dieser Raum hat also seinen<br />
akustischen Wert, aber Ingo gab auch dieser Grenze, die es nicht<br />
wirklich gab, eine Gestalt. Er erschuf sie, machte sie greifbar.<br />
MP: Ja, es ist so wichtig, etwas zu schaffen, das man durchbrechen<br />
kann, so wie dieses Quadrat.<br />
CB: Wir hatten die Kamera hier an diesem Quadrat oder Rechteck,<br />
und aus irgendeinem Grund musste ich hinübergehen, wo Heike<br />
saß, und ich sagte zu ihr: ”Schau mal, Heike, ein Diamant.” So wurde<br />
es ein anderer Raum im Vergleich zu dem, was ich zuvor gesehen<br />
hatte, als ich hereinkam. Da hatte ich die Fläche nicht als Diamant<br />
gesehen.<br />
MP: Manchmal ist es nur die Perspektive der Objekte. In Los Angeles<br />
sah ich eine Retrospektive von James Turrell 33 . Es war eines der<br />
unglaublichsten Raumkunstwerke, die ich je gesehen habe. Es war<br />
wie ein schwarzer Raum mit einem weißen Teil in der Ecke, und<br />
wenn man den Raum betrat, wurde er zu einem dreidimensionalen<br />
Quadrat, das sich die ganze Zeit bewegte. Und die Wahrnehmung<br />
war ständig an ihren Grenzen. Zum Beispiel war manchmal<br />
der dunkle Raum nur mit minimalem Licht erfüllt, und man konnte<br />
nicht sicher sein, ob man etwas Reales sah oder etwas, das es nur in<br />
der Vorstellung gab. Die Schwelle der Wahrnehmung lag so extrem<br />
niedrig wegen des minimalen Lichts. Turrell arbeitet natürlich mit<br />
Licht und Formen. Und das größte Element der Ausstellung war<br />
ein großer Raum, in dem es nur eine große Leinwand aus Licht gab.<br />
Man blickt darauf und kann den Blick nicht fokussieren, es könnte<br />
also ganz nah sein oder unendlich weit weg. Und das bringt mich<br />
33 James Turrell ist ein Land-Art-Künstler, der vor allem für seine Installationen zu Raum und Licht<br />
bekannt ist. Siehe hierzu: James Turrell, https://jamesturrell.com, letzter Aufruf 11.5.2021<br />
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in diese Art von existentiellem Raum, wo ich einfach die Wahrnehmung<br />
des Raumes verliere. Dazu gibt es diese langsamen Überblendungen<br />
mit Farben von blau bis rot. Und wenn das Rot kommt, ist<br />
es super emotional. Es ist nur eine Farbe, aber sie ist so stark für uns,<br />
wenn sie von allem anderen isoliert ist und man die Entfernung nicht<br />
sehen kann. Es gibt kein Referenzobjekt. In gewisser Weise ist es<br />
nichts als reine Farbe. Also war ich überaus inspiriert von seiner Arbeit,<br />
da sie dich unwillkürlich dazu bringt, dich mit deinen Grenzen<br />
der Wahrnehmung auseinanderzusetzen. Und darin liegt die Magie.<br />
So wie dieses Quadrat ein Diamant ist, wenn man es aus einem anderen<br />
Blickwinkel betrachtet... Es verändert deine Wahrnehmung.<br />
All diese Werke, bei denen der Künstler ein großartiges Kunstwerk<br />
erschafft, in dem das Publikum dann seine eigenen Erkenntnisse gewinnen<br />
kann – das ist das Größte. Es ist so, als müsste der Künstler<br />
manchmal aus dem Weg gehen, damit die Kunst passiert. Turrell<br />
kaufte einen ganzen Krater in Arizona, wo er seit etwa zehn oder<br />
fünfzehn Jahren arbeitet, und alles ist mit der Beobachtung astraler<br />
Phänomene verbunden. Es ist ziemlich unglaublich in dem Sinne,<br />
dass auch etwas für den Blick auf die Sterne geschaffen wurde. Wir<br />
haben all diese alten Wunderwerke wie Pyramiden, um die Bewegungen<br />
der Sterne zu verfolgen, und wir haben die Teleskope. Aber<br />
heutzutage erschaffen wir nicht mehr diese Art von Architektur, die<br />
das Wunderbare der Natur zelebriert. Zumindest nicht so konkret.<br />
Eines von Turrells Werken ist nur die Einrahmung des Himmels<br />
durch einen Raum, in dem es kein Dach gibt. Du siehst nur einen<br />
Rahmen um den Himmel. Das ist so unglaublich und einfach.<br />
CB: Wie die grundlegenden Dinge, die in der normalen Welt verschwinden.<br />
MP: Was uns auch zu der Vorstellung bringt, dass alles schon da ist<br />
und man nur noch heranzoomen muss, um seine Sinne zu informieren.<br />
Um uns ist so viel Magie vorhanden, wenn uns jemand dorthin<br />
führt, wenn wir still genug sind, um wirklich zu erkennen, was vor<br />
sich geht.<br />
CB: Ja, das ist wunderschön.<br />
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46<br />
INTERVIEW<br />
Videoarbeit in der <strong>Echtzeit</strong>komposition<br />
Carlos Bustamante, Heike Gäßler, Ingo Reulecke<br />
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz, Berlin-Wedding<br />
2.6.2014<br />
Heike Gäßler: Wie kann man als Videokünstler mit<br />
dem Moment arbeiten?<br />
Carlos Bustamante: Es hängt davon ab, was man von der Situation<br />
erwartet. In der Arbeit, die wir zusammen gemacht haben, habe ich<br />
mich am Anfang bewegt und habe mich als Teil des Bewegungsorganismus<br />
gefühlt. Dann irgendwann war es mir wichtig, starre Bilder<br />
zu finden. Wenn ich in Bewegung bin, gibt es die ständige Suche.<br />
Während die starren Bilder für mich bedeuten, Möglichkeiten<br />
des Raums zu entdecken und diese dann festzulegen. Da wir immer<br />
zwei Sets gemacht haben, hatte ich Zeit, zu korrigieren, einen<br />
anderen Winkel oder die passende Höhe zu finden. Aber während<br />
des Prozesses ist mein Einsatz reduziert. Meistens ist es mehr ein<br />
Beamtenblick: Der Tänzer bewegt sich zu weit an den Rand, dann<br />
schwenke ich ein wenig mit. Manchmal hatte ich eine Art Sicherheitsnetz<br />
geschaffen. Beim Video mit Michael Thieke bin ich zum<br />
Beispiel viel weiter von der Szenerie weggegangen und habe mit<br />
dem Computer die Bewegungen gemacht. Ich dachte, das müssen<br />
bestimmte Entfernungen sein, damit man das Ganze wie ein Zuschauer<br />
sieht. Das war spannend. Es hängt immer davon ab, mit<br />
wem man arbeitet. Im Gegensatz zu einer geplanten Reihe von<br />
Aufnahmen mit einer festen Kamera, in der man bestimmte Positionen<br />
einnehmen muss, weiß in der <strong>Echtzeit</strong>komposition keiner,<br />
was kommt. Auch als Kameramann weiß ich dies nicht, sodass ich<br />
gezwungen bin, Neues zu suchen. Auch wenn die Sachen in einer<br />
geplanten Reihe nicht so interessant sind, bekommt in dem Zu-<br />
sammenhang mit dem Schnitt dann alles eine neue Kraft. Hingegen<br />
ist es bei unserer Arbeit mit <strong>Echtzeit</strong>komposition ein bisschen<br />
mehr so, dass du in den Raum kommst und schnell eine Zeichnung<br />
entwerfen musst. Und das war es. Wir haben kein Licht. Wir<br />
haben wenige Möglichkeiten. Und das finde ich in Ordnung. Als<br />
Profi-Kameramann musste man vieles vorher planen und die Geräte<br />
bestellen. Das fand ich irgendwann langweilig. Es gibt dort<br />
eine bestimmte Art von Konvention, in der man immer wieder<br />
ansetzt, und dann sehen die Bilder sehr ähnlich aus.<br />
HG: Würdest du sagen, dass du im Moment komponierst?<br />
CB: Man ist ständig beim Komponieren. Aber das hat den Nachteil,<br />
dass man die Arbeit von den anderen nur in geringem Maße<br />
wahrnehmen kann. In der Improvisation mit Klaus Janek habe ich<br />
mich bemüht, beide, also Ingo und Klaus, in ein Bild zu bringen,<br />
und durch meine Bewegungen ist es sehr oft gelungen, wobei ich<br />
manchmal einen von beiden im Mittelpunkt haben musste. Aber<br />
das ist eher Real Time Composition als das andere. Das andere ist<br />
eher ein Risiko. Dort hast du ein Bild gewählt, und entweder sieht<br />
es okay aus, oder du hast einen großen Fehler gemacht.<br />
HG: Deine Videoarbeit hat ja auch etwas Dokumentarisches.<br />
Hast du dennoch den Eindruck, wenn du in<br />
einer Improvisation drin bist und dich bewegst, dass<br />
du auch Impulse gibst? Dass du auch wie ein Partner<br />
wahrgenommen wirst und mit den anderen agierst<br />
und spielst?<br />
CB: Ja, besonders mit Ingo. Er guckt so schnell, manchmal merke<br />
ich es. Das schönste Erlebnis war in einer Galerie, wo er meinen Namen<br />
gesungen hat. Irgendwann habe ich kapiert, dass er dahin wollte,<br />
wo ich gerade stand. Bis mir einfiel, dass er ein Mikrofon dort<br />
versteckt hatte und ich ihn daran hinderte, dahin zu gehen. Als ich<br />
meinen Namen erkannte, dauerte es ein oder zwei Minuten, dann<br />
ging ich weg. Es ist klar, dass es schon eine Zusammenarbeit gibt.<br />
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HG: Gibst du Impulse?<br />
CB: Nicht so sehr. Ich bin nicht immer so zentral dabei, dass man<br />
sehen kann, was mir in dem Augenblick als essentiell erscheint.<br />
Ich bin meist in dieser Suche nach dem Nächsten und am Herausfinden,<br />
wie lange man ein Bild halten kann. Die Impulse aufzunehmen,<br />
ist für mich viel spannender. Ich entdecke die Musik<br />
oder die Bewegung durch den Raum oder die Beziehung der beiden.<br />
Wahrscheinlich gebe ich in dieser Suche einen Impuls, aber<br />
nicht so bewusst. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich irgendwohin<br />
platziert habe, sodass Ingo sich als Reaktion so oder<br />
so hätte verhalten müssen. Aber wenn ich erkennen kann, was er<br />
macht, interessiert mich das ebenfalls. Eine Methode in der Videoarbeit<br />
mit Regisseuren war, wenn man ein Bild gemacht hatte<br />
und der Regisseur den Eindruck hatte, dass es ein schlechtes Bild<br />
ergeben könnte, dann bat ich ihn, durch die Kamera zu schauen,<br />
und er bemerkte: „Ahh“. Denn es handelt sich manchmal nur um<br />
ein paar Zentimeter Unterschied, was mit dem einen oder mit dem<br />
anderen passiert. Viele Tänzer und auch wir hier haben noch nie<br />
darüber gesprochen. Aber sobald du die Kamera hast, ist alles tot.<br />
Dann ist das Problem, wie man diese Vorstellung mit einfachen<br />
Mitteln ins Leben bringen kann. Ich finde, es ist immer spannend,<br />
da jeder den Raum anders erlebt als durch dieses begrenzte mathematische<br />
Einauge.<br />
HG: Wie erlebst du den Moment während eines Sets?<br />
HG: Wie ist es dann?<br />
CB: Es hängt davon ab, ob ich da sitze und andere kontrolliere.<br />
CB: Manchmal frustrierend. Ich bin auch als Mensch da und sehe<br />
es lieber live. Dann ist alles viel dreidimensionaler und aufregender.<br />
Stattdessen muss ich auf diese Reduktion schauen, damit es<br />
etwas einigermaßen Sinnvolles ergibt. Aber wenn wir die Kamera<br />
festgelegt haben, dann ist es zu spät. Einmal hatte ich bei BIT 1 unterbrochen.<br />
Das war nicht gut, aber ich hatte den Anfang für die<br />
Kamera schlecht gemacht – und im Film arbeitet man so. Zumindest<br />
habe ich früher so gearbeitet. Wenn irgendetwas von dem Bild<br />
nicht stimmte, habe ich so schnell wie möglich „Stopp“ gesagt und<br />
die Kamera verändert. Das hat dann meistens besser ausgesehen.<br />
Was zählt, ist nicht so sehr die Wirkung, eher das, was zur Wirkung<br />
führt durch die Komposition, oder das, was man manchmal ausspart<br />
oder nicht sichtbar machen will. Was in einer Live-Situation<br />
etwas anderes ist, da in der Live-Situation die Enge nicht mehr<br />
vorhanden ist. Das ist das, was die Kamera immer macht. Da ich<br />
sehr viele Stummfilme gesehen hatte, war mein Eindruck: Erst als<br />
die Montage anfing, wurde der Zuschauerblick gelenkt, und man<br />
sagte: „Guck mal dahin! Guck mal dorthin!“ Ja, es ist ein richtiges<br />
Gefängnis. Und ich glaube, für mich ist Grapeshade 2 die Befreiung<br />
davon. Da die Schnitte so unerwartet sind und von niemandem<br />
von uns geplant, ist es für mich erfrischend. Es funktioniert nicht<br />
immer, aber meistens ist es toll.<br />
HG: Und wie ist es im anderen Fall, wenn du aktiv<br />
bist? Wie erlebst du da den Moment?<br />
CB: Es hängt davon ab. Zum Beispiel ist es mit diesem Herrn 3 immer<br />
sehr spannend. Ich lerne zu entdecken, was er mir zeigt.<br />
HG: Worauf achtest du bei deinen Aufnahmen während<br />
der Improvisation?<br />
CB: Hauptsächlich auf das, was man sieht. Und wie man die Kamera<br />
so weit wie möglich unsichtbar oder so unauffällig wie möglich<br />
belassen kann. Auch wenn die Kamera in Bewegung ist, gelingt es<br />
mit bestimmten Geräten nicht, dass man als Zuschauer aufmerksam<br />
wird auf das, was wichtig ist, zum Beispiel die Tänzer oder die<br />
1 Performance-Trio um Britta Pudelko, Thomas Gerwin und Ingo Reulecke.<br />
2 Performancegruppe mit Klaus Janek, Catharina Meves, Ingo Reulecke und Biliana Voutchkova.<br />
3 Carlos Bustamante blickt zu Ingo Reulecke.<br />
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Musiker. Zum Beispiel bin ich fasziniert davon, wie Thomas Gerwin<br />
seine Geräusche macht. Sehr oft versuche ich, dies mit meiner<br />
Arbeit zu verbinden und als Bild in Großaufnahme einzufangen,<br />
weil man das als Zuschauer nicht so genau sehen kann. Es ist sehr<br />
wichtig, dass man etwas zeigt oder sichtbar macht, was nicht unbedingt<br />
sichtbar, aber wesentlich ist für das, was gerade abläuft.<br />
HG: Welche Bedeutung hat der Raum für dich?<br />
CB: Der Raum ist das A und O. Der ist das Wesentliche, was<br />
eingefangen werden muss mit seiner bestimmten Kraft und der<br />
bestimmten Präsenz, die er hat. Ein gutes Beispiel in der Erzieherschule<br />
4 war, den Raum anders wahrzunehmen, als wir ihn als<br />
Mensch wahrnehmen. Das heißt, die Sachen waren da, aber wenn<br />
die Kamera dasteht, bekommt alles eine andere Präsenz. Ich will<br />
nicht sagen, dass das Bild gut geworden ist, aber ich fand es witzig.<br />
HG: Und worauf achtest du ganz genau dabei? Du<br />
hast ja einen großen Erfahrungsschatz. Aber kurz zusammengefasst,<br />
wie arbeitest du mit dem Raum?<br />
CB: Man hat Vorbilder. Oder du denkst an bestimmte Dinge, die<br />
du mal gesehen hast. Aber es ist primär der Raum und die Art, wie<br />
er reduziert werden könnte, da es sich immer um einen Ausschnitt<br />
handelt. Wie bekommt er eine Wirkung, die vielleicht zu der Situation<br />
passt, obwohl er manchmal nicht so gut ist? Aber das weiß<br />
man erst, wenn man fertig ist.<br />
HG: Bist du ganz visuell orientiert, oder achtest du<br />
auch auf Energien oder anderes?<br />
CB: Es ist eher sehr mathematisch, und an zweiter Stelle sehe ich,<br />
ob die Agierenden gut ‘rüberkommen im Raum. Der Raum existiert<br />
erst, wenn sie es das erste Mal gemacht haben. Dann trifft<br />
4 Einige Sets wurden in verschiedenen Räumlichkeiten der EuroAkademie in Berlin-Tegel durchgeführt.<br />
man eine Entscheidung. Zum Beispiel habe ich in dem Raum der<br />
Erzieherschule, wo es das Skelett gibt, die Höhe der Kamera verändert,<br />
weil mich der erste Versuch nicht so beeindruckte. Aber<br />
beim erneuten Schauen hat mir der erste Versuch doch sehr gut<br />
gefallen.<br />
HG: Du sprachst von Vorbildern. Wer sind denn deine<br />
Vorbilder, wer hat dich inspiriert?<br />
CB: Das ist schwer zu sagen. Es gibt so viele. Cézanne, aber auch<br />
Vermeer, das sind große Vorbilder für mich. Cézanne am stärksten<br />
durch das genaue Hinschauen. Er hatte eine Kamera benutzt. Als<br />
ich es das erste Mal bemerkte, hat mich das sehr beeindruckt. Man<br />
kann durch scharf und unscharf stellen den Raum anders gestalten,<br />
als wenn man als Mensch live dasteht. Dann Holger Meins 5 , weil<br />
ich ihm assistierte und bemerkte, dass er jedes Objekt in den Händen<br />
bewegt hat, auf dem Tisch, mit den Winkeln und den Schatten.<br />
Da gab es dann plötzlich diese Welt, dass du neu gewichten<br />
und neue Blickrichtungen schaffen konntest. Aber im Rückblick<br />
zu allen Filmen, die ich jemals gesehen habe, ist es Godard. Häufig<br />
kennst du schon 90 Prozent der Bilder. Aber bei Godard kein<br />
Einziges. Godard scheint für mich der einzige, von dem ich jedes<br />
Bild noch nie gesehen habe. Wie hat er das geschafft? Er hat so<br />
viel gesehen, und er suchte diese Zwischenräume. Das überrascht<br />
mich immer noch.<br />
HG: Bedeutet das Schneiden schon das Verändern<br />
des Moments?<br />
CB: Ja, auf alle Fälle. Das ist dann der Unterschied zur Arbeit eines<br />
Schauspielers, Tänzers oder Musikers. Vor allem wenn ich mit<br />
der Kamera umhergehe, ist das der entscheidende Moment. Aber<br />
das Filmmaterial ist tot, es hat kein Leben. Sobald du anfängst, dir<br />
5 Holger Meins war Terrorist der Rote-Armee-Fraktion und zuvor Filmemacher. 1974 starb er in Haft an<br />
den Folgen eines Hungerstreiks. Siehe hierzu auch: Carlos Bustamante: Öfters denke ich an Holger…,<br />
https://www.ruedigersuenner.de/bustamante.html, letzter Aufruf 5.5.2021.<br />
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Dinge zu überlegen und Bilder zusammenzubringen, entwickelst<br />
du einen neuen Gesichtspunkt. Für mich sind die Grapeshade-Videos<br />
das Optimale 6 , was mir vorschwebte. Denn da sind die Aspekte<br />
dessen, was im Raum war, nicht<br />
verfälscht und gleichzeitig nicht dramatisiert,<br />
sodass es eine andere Art von<br />
Dokumentation ergibt. Mit einer statischen<br />
Kamera hätte man das eigentlich<br />
sehen können. Aber durch die sich bewegenden<br />
Kameraleute, die eigentlich<br />
mittanzen, ist es für mich ein sehr wichtiger<br />
Höhepunkt. In dem Schnitt gibt es<br />
ein neues Merkmal, ein wenig wie der<br />
göttliche Blick. Als Zuschauer bist du<br />
überall. Auch sie erleben, was ich gerade<br />
beschrieb, ohne dass irgendetwas eine Bedeutung erhält. Wenn<br />
man an die vielen Symphonie- oder Tanzfilme denkt, dann geht es<br />
immer um Dramatik oder Spannungsbau. Und hier in den Sets tut<br />
ihr es zwar, aber ihr unterbrecht es auch immer wieder. Für mich<br />
als Kameramann war es wichtig, das nicht zu verfälschen. Ich denke,<br />
zum Teil ist es geglückt. Wobei es bei der Gartenperformance 7<br />
ein Chaos blieb, das ich nicht zusammenschneiden konnte, auch<br />
weil wir von Innen nach Außen gingen. Aber das ist alles eine Erfahrung.<br />
HG: Könntest du beim Schnitt improvisieren, und<br />
was würde dabei herauskommen?<br />
CB: Ja, das ist Grapeshade! Der Schnitt eines normalen 40-minütigen<br />
Films dauert allein Monate, aber bei Grapeshade habe ich<br />
in zwei Stunden alles geschnitten. Es hat nur eine Formel, ohne<br />
zu fein arbeiten zu müssen, und dadurch bleibt die Grobheit, die<br />
etwas sehr Lebendiges hat. Dadurch ist es eine Improvisation.<br />
6 Carlos Bustamante hat viele <strong>Echtzeit</strong>kompositionen der Gruppe Grapeshade mittels Videoaufnahmen<br />
begleitet.<br />
7 Die Improvisationen mit Matthias Bauer fanden in einem Terrassenbereich und Garten statt.<br />
HG: An die Musiker*innen wurde häufiger die Frage<br />
über die Bedeutung der Pause gestellt. Gibt es die Bedeutung<br />
der Pause auch für dich in der Dokumentation?<br />
CB: Eher beim Filmschnitt, weil man da häufiger Pausen einbaut<br />
oder einkalkuliert. Das ist wie ein Trick, um den nächsten Schritt<br />
oder das nächste Ereignis einzuleiten. Aber beim Drehen ergibt<br />
sich das mehr anhand der Ereignisse. Manchmal wartet man, dass<br />
etwas passiert. Und wenn du Glück hast, passiert es, und dann<br />
kannst du mitgehen. Und wenn du Pech hast, entdeckst du etwas<br />
anderes, dann ist es auch spannend. Aber so eine Pause gibt es<br />
eher nicht, eben nur das Warten auf etwas.<br />
HG: In der Pause war es bei der Bewegung und Musik<br />
so, dass etwas stärker werden konnte. Es gab so etwas<br />
wie einen Nachhall oder ein Echo. Ist es beim Schnitt<br />
auch so, dass du dies durch den Schnitt erreichen<br />
kannst?<br />
CB: Ja, aber das ist eine andere Form, in einem Spielfilm hast du<br />
das. Aber manchmal in unseren Improvisationen, da sind Dinge,<br />
die ihr nicht merkt. Dann blende ich auf und ab. Oder manchmal<br />
will ich es nicht zu ablenkend von dem haben, was davor war. Das<br />
sind dann kurze Entscheidungen, die ich im Moment treffe, zum<br />
Beispiel wie lange das Bild bleibt. Aber das sind eher Tricks, womit<br />
sich der gelangweilte Videotechniker amüsiert.<br />
HG: Nun versteht man ja unter Videoarbeit eher etwas<br />
Visuelles, wie sieht es da aus mit Klang und Bewegung?<br />
Wie spielen sie zusammen, und wo liegt dein<br />
Fokus?<br />
CB: Ich bin mehr visuell orientiert. Die Klänge nehme ich erst im<br />
Nachhinein wahr. Eher interessieren mich die Suche nach der Bewegung<br />
oder der Komposition, bestimmte Farbabstufungen und<br />
nicht unbedingt die Beziehung zum Ton.<br />
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HG: Welche Gestaltungstechniken verwendest du bei<br />
der Dokumentation einer Improvisation?<br />
CB: Es ist eigentlich sehr reduziert durch die Geräte, die wir benutzen.<br />
Das ist eine rein ökonomische Frage. Wenn du beginnst,<br />
mit dem Zoom zu arbeiten, dann kannst du nicht mal 40 Minuten<br />
drehen, weil die Akkus dadurch ganz schnell leer werden. Wenn<br />
alles offen ist, gefällt es mir meistens, da man beginnt, die Schärfe<br />
zu verlagern oder zu zoomen. Man ärgert sich, wenn es nicht<br />
möglich ist. Aber dafür habe ich manchmal die Kamera ein wenig<br />
gekippt, um den Körper ganz drauf zu bekommen. Den größten<br />
Anteil an Improvisationen gab es bei John Cassavetes 8 . Hier haben<br />
häufig die Schauspieler improvisiert, aber auch die Kameraleute.<br />
Meistens hatte er zwei bis drei Kameras, und daraus hat er dann<br />
etwas Neues geschnitten. Da haben sie sehr viel Technik eingesetzt,<br />
die ich selber nicht zur Verfügung habe. Es macht alles viel<br />
komplizierter, wenn man das Authentische schützen will. Sehr oft<br />
gibt es sehr toll geschnittene Stücke, aber die Menschen, die Performer,<br />
kommen kaum noch zur Geltung.<br />
HG: Gibt es Prinzipien, die dich lenken?<br />
CB: Es ist immer von der Situation abhängig. Für mich ist immer<br />
noch Grapeshade etwas, wovon ich sagen kann: Das war es!<br />
HG: Könntest du von den Improvisationen sprechen,<br />
die wir aufgezeichnet hatten, mit Ingo und den Musiker*innen?<br />
Gibt es hier etwas, was du konkreter benennen<br />
könntest?<br />
CB: Irgendwann gab es die Entscheidung schon beim ersten Video<br />
mit Dietmar Kirstein und dem Klavier, nur zu zeigen, was wirklich<br />
da ist. Das ist sehr wichtig. Das haben wir bis jetzt durchgehalten,<br />
8 John Cassavetes war Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler. Er gilt als Pionier des<br />
amerikanischen Independentfilms. Sein erster Film Shadows entstand in Gruppenarbeit und Improvisationen<br />
mit Laiendarstellern. Siehe hierzu auch: Georg Seeßlen: Liebesströme, Todesbilder. Die Filme<br />
von John Cassavetes, http://www.filmzentrale.com/essays/cassavetesgs.htm, letzter Aufruf 11.5.2021.<br />
sodass jedes Bild seine Grenze behält. Manchmal klappt es gut.<br />
Und manchmal entstehen Bilder wie im Haus bei Doro Ronneburg<br />
9 , wo Ingo am Ende aus dem Bild geht. Und das bringt eine<br />
neue Spannung, da ich annahm, er würde bleiben, wo er sein sollte.<br />
Was er nicht gemacht hat. Das ist dann schön. Da passieren dann<br />
Dinge, die wohl nur für die Personen, die live dabei sind, nachvollziehbar<br />
werden. Insgesamt geht es mir um eine Klarheit, die nicht<br />
langweilig ist und nicht ablenkt vom Tanz. Gut fand ich auch, als<br />
wir dort filmten, wo das Skelett stand 10 . Hier ist das Bild missglückt,<br />
weil ich die Umstände falsch berücksichtigt habe. Aber die<br />
Einfachheit der Bilder wie bei Michael Thieke und Thomas Gerwin<br />
war gelungen. Doch wenn man so schnell arbeitet, weiß man<br />
nie, wie es wird. Das ist immer eine schöne Überraschung. Mir gefällt<br />
diese Art von Arbeit viel mehr als das, was ich vorher gemacht<br />
habe, als wir monatelang planten. Und wenn wir dann irgendwo<br />
hinkamen, war dennoch alles komplett anders. Dann musste man<br />
improvisieren, und meistens war es viel besser und lebendiger als<br />
das, was wir vorher mit dem Storyboarding gemacht hatten. Ich<br />
weiß nicht, ob ich das jetzt machen könnte. Früher musste ich mit<br />
Storyboards arbeiten. Und die Mehrzahl der Leute arbeitet immer<br />
noch so. Das ist so eine Art von Sicherheit. Bei mir war es immer<br />
so: So wie wir uns das ausgedacht haben, wird der Film nicht werden<br />
– und darauf baut man auf. Es war wie ein Netz, durch das<br />
man nicht fallen kann. So wie bei dir, Ingo, mit deinem ständigen<br />
Üben, sodass du weißt, wie weit du gehen kannst. Was dann darüber<br />
hinausgeht, ist das Geschenk. Aber wahrscheinlich musste<br />
es wegen der hohen Kosten, die jeder Drehtag verschlang, genau<br />
geplant werden, und war damit entsprechend eingeschränkt.<br />
9 Dorothea Ronneburg arbeitet als Kostüm- und Bühnenbildnerin. Einer ihrer Schwerpunkte liegt bei<br />
ortsspezifischen Interventionen in öffentlichen Räumen. Siehe hierzu: Interview Dorothea Ronneburg |<br />
Bühnenbild Szenischer Raum, http://www.tu-buehnenbild.de/alumni-interview-dorothea-ronneburg,<br />
letzter Aufruf 11.5.2021.<br />
10 Carlos Bustamante spricht von einem Skelett, das im Schulungsraum in der EuroAkademie, Berlin<br />
für Masseure und Physiotherapeuten, steht, in welchem zwei Improvisationen mit Thorsten Bloedhorn<br />
und Ingo Reulecke stattfanden.<br />
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47<br />
MÖGLICHKEITSFELDER<br />
Ingo Reulecke im Gespräch mit Heike Gäßler<br />
2.6.2014<br />
Heike Gäßler: Wie gestaltest du deine Kompositionen – Real Time<br />
Compositions? Arbeitest du unbewusst oder bewusst mit Bewegungsversatzstücken<br />
oder Mustern? Oder versucht du diese dann, wenn du es merkst, zu<br />
brechen, zu umgehen?<br />
Ingo Reulecke: Ja, unterschiedlich. So wie das die Kolleg*innen weitgehend<br />
fast alle erwähnt haben, gibt es ein bestimmtes Spektrum und Möglichkeitsfeld,<br />
das ich mir über die Zeit erarbeitet habe und was ich in alle möglichen<br />
Richtungen zu erweitern versuche. Und dann gehe ich damit relativ spontan<br />
um, je nachdem, was die Situation, der Raum, die Raumkonstante mit diesem<br />
Musiker oder dieser Musikerin provoziert, wie die Relation ist. Also, was ist<br />
das für eine Art des Spiels oder der Instrumentierung, die diese Person hat?<br />
Diese fordert bestimmte Dinge bei mir heraus und wahrscheinlich auch ein<br />
bestimmtes Vokabular. Dies versuche ich spontan zu verstehen, verstehen zu<br />
lernen in der kurzen Zeit, und dann versuche ich damit zu operieren. Es kann<br />
ganz mannigfaltig sein, wie sich das entwickelt oder entäußert. Das kommt auf<br />
die Stimmung an, auf meine Konstitution und auf das, was für mein Empfinden<br />
die Situation verlangt. Das kann sich in alle möglichen Situationen hinein<br />
entwickeln.<br />
HG: Würdest du sagen, dass du eine Bewegung im Moment, wenn du<br />
sie erschaffst, als neu erlebst?<br />
IR: Ja unbedingt. Auch wenn mir die Bewegung vertraut oder sehr bekannt<br />
ist, ist sie für mich doch immer wieder neu erlebt und hat so etwas von<br />
neu machen. Ja, ich kann sagen, dass eine Bewegung, die ich so und so oft gemacht<br />
habe, nie identisch ist. Sie ist immer wieder anders, und ich kann das<br />
wirklich wahrnehmen und sie anders in Relation bringen zur nächsten Bewegung<br />
und sowohl in der Zeit als auch in der räumlichen Situation variieren.<br />
Damit entsteht etwas Neues, und das ist endlos. Das ist sehr reizvoll. Auch<br />
wenn es ähnlich oder für Außenstehende als Sprache wahrscheinlich sehr eng<br />
und klar umrissen erscheint, ist das, glaube ich, letztendlich ein Trugschluss.<br />
Die Vielfalt durch das Neue im Augenblick ist etwas, was tatsächlich endlos<br />
ist.<br />
HG: Welche Spielpartner inspirieren dich besonders: Musik, Publikum,<br />
Raum?<br />
IR: Ja, mindestens alle Genannten. Also auf jeden Fall diese.<br />
HG: Und in welcher Weise?<br />
IR: Na ja, Musiker*innen sind ganz direkte Partner*innen, mit denen<br />
ich in Interaktion bin. Und sehr physisch spürbar ist diese Resonanz im Raum.<br />
In dieser Aktion, wie sie dann auch immer spielen, da ist wirklich ein Bewegungspartner.<br />
Aber je nach Ausgangslage ist es bei Bühnensituationen schwer.<br />
Wenn mir die Scheinwerfer mehr oder weniger in die Augen strahlen, hab’ ich<br />
nicht so einen direkten Kontakt zu den Zuschauer*innen. Ich kann sie zwar<br />
spüren, aber nicht direkt interagieren. Dies ist, wenn ich in einem kleineren<br />
Raum mit weniger Zuschauer*innen bin, von der Sichtmöglichkeit her viel direkter<br />
und spannender. Es interessiert mich viel mehr, weil ich den Eindruck<br />
habe, tatsächlich mit unterschiedlichen Intensitäten zu interagieren. Ich kann<br />
das direkt machen, was ich nicht so spannend finde, und eben in allen möglichen<br />
Abstufungen, je nachdem, wie ich in Interaktion trete zum Publikum.<br />
Und es gibt auch inspirierende und weniger inspirierende Räume, also Räume,<br />
wo ich mich eher zuhause fühle oder ad hoc da bin und mich verorten<br />
kann und inspiriert bin. Und dann gibt’s Orte, die das nicht so einfach herstellen<br />
lassen, wo ich richtig arbeiten und mich ganz schön ins Zeug legen muss.<br />
Das sind eher Bühnenräume oder Black-Box-Räume, wo ich Mühe habe und<br />
erst einmal uninspirierter bin, wo ich mich anders vorbereiten und auf diese<br />
Art von Partner einstellen muss.<br />
HG: Weißt du das vorher, oder merkst du das erst währenddessen?<br />
IR: Nein, es ist schon so, dass ich mir darüber sehr bewusst bin und ich<br />
mich auch entsprechend häufiger bei diesen Bühnenräumen unterschiedlich<br />
vorbereite. Wenn ich weiß, dass ich damit konfrontiert bin, mache ich mir das<br />
ganz bewusst, und ich überlege mir tatsächlich Strategien, womit ich wie arbeiten<br />
will. An anderen Orten, die eher site specific 11 daher kommen, mache ich<br />
das ganz bewusst nicht. Da sind unterschiedliche Herangehensweisen durchaus<br />
notwendig.<br />
11 site specific bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine ortsspezifische künstlerische Arbeit<br />
insbesondere theaterferne Orte thematisiert und bemüht ist, hierbei auf die Eigenarten der Räume<br />
dezidiert einzugehen.<br />
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HG: Weißt du bei den Räumen ohne Bühne vorher, ob dich diese inspirieren<br />
oder nicht?<br />
IR: Das ist einfacher für mich, da es in der Regel kleinere Räume sind.<br />
Oder selbst wenn diese größer sind, dann werden sie meistens in einer herkömmlichen<br />
Art und Weise genutzt, was für mich eine ganz einfache Brücke<br />
herstellt zum Alltäglichen. Und das kann ich viel leichter verfremden als einen<br />
Kunstraum, ein Theater oder einen neutralen, abstrakten Raum, wo ich erst<br />
mal nichts habe. Sehr selten bringe ich oder irgendjemand sonst irgendwas<br />
mit, was wir in der Regel jedoch nicht tun. Und dann muss ich mich darauf<br />
anders einstellen und den Raum nochmal anders sehen, entdecken und kennenlernen,<br />
sonst entgeht mir da etwas.<br />
HG: Was macht die Musik mit deiner Bewegung? Du hattest es zwar<br />
schon angesprochen, aber ich würde dies gerne noch etwas präziser erfassen<br />
wollen.<br />
IR: Das ist sehr unterschiedlich. Es hängt ganz von der Musik ab und<br />
von meiner Stimmung, respektive dem Modus, wie ich eingestimmt bin oder<br />
wie ich mich öffnen und leer machen kann für diese Folie, die dann kommt.<br />
Dies hängt auch von der Akustik ab, da jeder Raum anders klingt. Hier in diesem<br />
Raum zum Beispiel ist es schwierig, weil die Vorhänge viel wegnehmen<br />
von dem Sound, was ein wesentlicher Aspekt ist. All dies kann aber nicht kaschieren,<br />
wie jemand tatsächlich spielt. Ich meine, wenn jemand gut spielt<br />
und entsprechend geübt ist und dies auch meinen musikalischen Geschmack<br />
trifft, dann passiert sehr schnell diese Magie. Es kann sehr inspirierend sein,<br />
und das ist vielleicht ähnlich zu dem, was ich vorher beschrieben habe, zu<br />
meiner eigenen Suche oder Beschäftigung im Umgang mit meinem Körper,<br />
dass ich so etwas auch bei den Musiker*innen suche. Es muss nicht unbedingt<br />
diese übervolle Virtuosität sein, die Virtuosität kann ja auch in der Reduktion<br />
liegen oder in einem Minimalismus. Sicherlich sollte ein gewisses Spektrum<br />
vorhanden sein, auch eine große Verbindung von den Musiker*innen zu<br />
ihrem Instrument ist sehr wichtig. Es ist wichtig, dass sie ihr Instrument sehr<br />
gut kennen und sehr viel mit diesem Instrument experimentiert haben, sodass<br />
sie über die herkömmlichen, tradierten Formen und in der westlichen Musik<br />
gängigen Muster hinausragen können. Es ist mir sehr bedeutsam, dass dann im<br />
Grunde Experimente und Möglichkeitsfelder ins Spiel kommen dürfen, was<br />
mich vielleicht musikalisch begeistern kann und letztendlich eine Komplexität<br />
jenseits von U-Musik oder Dreivierteltakt entstehen lässt. Es gibt ganz viele<br />
Möglichkeiten, die als Versatzstücke anklingen können, mit denen gespielt und<br />
ad hoc komponiert werden kann. Und wenn die Zuschauer*innen irgendetwas<br />
für einen Moment wiedererkennen können, was dann variiert wird und in<br />
andere Dimension geführt werden kann, finde ich es sehr spannend. Es gibt<br />
endlose Spielvarianten. Je nachdem wie viel an Material bekannt ist, wie viel<br />
gehört und praktiziert wurde, vergrößert dies das mögliche Spektrum. All das<br />
reizt mich sehr. Ich habe schnell Schwierigkeiten, wenn ich spüre, dass das<br />
Spektrum der Künstler*innen, mit denen ich arbeite, zu klein ist, so dass es in<br />
der Synthese einfach nicht mehr hergibt.<br />
HG: Trägt dich die Improvisation in einen anderen Erfahrungs- und Erlebnisraum?<br />
IR: Ja, unbedingt, das kann ich absolut unterstreichen. Es ist schon eine<br />
besondere Größe, die sich da relativ schnell einstellt durch diese Konzentration,<br />
durch dieses Dasein und die Wachheit, die sich dann herstellt. Dies ist<br />
wahrscheinlich ähnlich wie der Umgang mit kontemplativen Erfahrungen,<br />
die ebenfalls über die Praxis wachsen. Ich kann auch wahrnehmen, dass diese<br />
Möglichkeiten sich tatsächlich entwickeln lassen.<br />
276 277
AUGEN<br />
Die Augen tragen unser Inneres nach außen und nehmen die<br />
äußere Welt über den Blick in uns auf. Der Blick ermöglicht<br />
ein schnelles Erfassen. Wahrnehmend, rezeptiv, abgebend,<br />
sendend agieren die Augen im Wechsel. Unterbrochen wird<br />
der Kontakt nach außen durch den Lidschlag, welcher Ruhe<br />
ermöglicht. Zittern, zwinkern, strahlen, starren, durchbohren,<br />
ein erstaunter, liebender, ein tränender Blick. Die Augen stehen<br />
in Verbindung zu unseren Emotionen und Nerven. Sie lenken<br />
den Kontakt, die Blickrichtung durch Steuerung der Pupillen.<br />
Die Augenbrauen, die Nasenwurzel stehen in Verbindung mit<br />
den Augen und ermöglichen die Verstärkung des Ausdrucks.<br />
Im Tanz kann das Augenspiel dazu beitragen, Direktheit und<br />
Indirektheit der Darstellung zu akzentuieren – und die Körperbewegung<br />
durch eine begleitende Blicklenkung zu fokussieren<br />
oder durch eine Blickgegensteuerung zu brechen. Der Blick<br />
ermöglicht Aufmerksamkeitslenkung. Er kann den Raum, in<br />
dem der Tänzer agiert, öffnen oder verengen und das Publikum<br />
zu einer begrenzten oder sich ausdehnenden weiten Wahrnehmung<br />
anregen. Er gestaltet Nähe, Kontakt, Verbindung, Ausschließen,<br />
Abschotten, Neutralität, Geheimnis. Die Augäpfel<br />
gehen nach oben, unten, rechts, links, vorne, in die Mitte, und<br />
nach hinten. Die Zielrichtung kann durch die Verbindung zur<br />
Halsbewegung noch vergrößert und erweitert werden.<br />
48<br />
Sichtweisen im Wandel<br />
Aus der Eigenwahrnehmung ist es für mich, als würde ich das Rad immer<br />
wieder neu erfinden, aber vielleicht könnte mein Tun ähnlich wirken, von<br />
Außen betrachtet. Kürzlich habe ich innerhalb weniger Tage vier Performances<br />
hintereinander sehr verschieden wahrgenommen. Ich habe neue Facetten,<br />
Bereiche, Akzente, Sichtweisen auf die Performativität erlebt, eben weil alles<br />
permanent im Wandel ist. Es ist eine oberflächliche Betrachtung, wenn man<br />
meint, alles schon gesehen zu haben, weil es faktisch nicht so ist.<br />
Ingo Reulecke<br />
278 279
49<br />
Die Arbeit an der Veränderung der<br />
Hör- und Sehgewohnheiten<br />
Die Improvisation, das Wahrnehmen und Erleben des augenblicklich Vorhandenen<br />
und die kreative Gestaltung des Moments sind durchdrungen von einer<br />
großen Vielfalt an Möglichkeiten. Diese erfordern das beständige Auswählen<br />
einzelner Elemente, Versatzstücke und Richtungen. Dabei geht es auch um<br />
einen stetigen Schaffens- und Entscheidungsprozess, auftauchende Ideen und<br />
Impulse vorbeiziehen zu lassen oder anzunehmen. Das darin liegende Potenzial<br />
scheint grenzenlos zu sein.<br />
Die Voraussetzung für ein subtiles und durchgängig präsentes Schaffen<br />
kann durch ein beständiges Üben und Erforschen dieses Prozesses ermöglicht<br />
werden. Damit kommt es zu einer zunehmenden Verfeinerung des Spiels,<br />
wie man es beispielsweise auch aus dem japanischen Nō-Theater 12 kennt. In<br />
dieser seit Jahrhunderten bestehenden Kulturtradition können insbesondere<br />
ältere Schauspieler*innen durch ihr jahrzehntelanges Training einer Rolle<br />
Kraft und Tiefe verleihen, wie es Anfänger*innen schwerlich möglich wäre.<br />
Mit den Jahren kann man die Spuren des Schaffens tiefer einschleifen, den<br />
Charakter der Figur subtiler ausloten, auf Feinheiten eingehen. Man gewinnt<br />
an Präzision und Klarheit. Man lernt sein Repertoire genauestens kennen, hat<br />
die einzelnen Elemente und die Klaviatur des Spiels bis ins Detail erforscht, ist<br />
einzelnen Wegen und Möglichkeiten nachgegangen und hat so nach und nach<br />
im Tun einen eigenen Ansatz und Stil immer weiter ausgeprägt und entfaltet.<br />
Ähnliches passiert auch im Feld der <strong>Echtzeit</strong>komposition und der Improvisation.<br />
So haben beispielsweise Musiker wie Michael Thieke eine sehr lange<br />
12 Nō-Theater ist eine traditionelle japanische Form des Theaters, das eine sehr stilisierte Gebärdensprache<br />
sowie spezifische Schritte und Grundfiguren des Tanzes aufweist. Der Fokus ist dabei weniger<br />
auf realistische Schauspielkunst und Improvisation gerichtet, von größerer Bedeutung sind stattdessen<br />
der Tanz und jede noch so kleine Bewegung zur aufgeführten Musik. Die Darsteller besuchen regelmäßig<br />
eine spezielle Tanzschule. In den Bewegungen des Nō-Theaters werden bestimmte Tätigkeiten durch<br />
eine feine Gestik angedeutet, so wird beispielsweise durch die Geste „shiori“, bei der die Schauspieler<br />
ihre Hände vor das Gesicht halten und sie langsam anheben, Weinen angedeutet. Siehe: JapanweltBlog:<br />
Kunstformen und Unterhaltung in Japan in Form des Noh Theater, https://www.japanwelt.de/blog/<br />
noh-theater-japan, letzter Aufruf 15.05.2021.<br />
Spiel- und auch <strong>Echtzeit</strong>kompositionspraxis. Sie haben das eigene Instrument<br />
und dessen mannigfaltige Möglichkeiten sehr genau studiert und austariert.<br />
Mit der Zeit hat sich hierdurch eine spezielle Sprache ausgeprägt. In diesem<br />
differenzierten Spiel ist eine eigene Spur und Handschrift von einer ganz bestimmten<br />
Qualität entstanden, die für die Mitakteur*innen und für das Publikum<br />
in gewisser Weise wiedererkennbar und vertraut ist, auch wenn die<br />
einzelnen Sets stark differieren können. Ähnliches lässt sich auch vom Stil der<br />
Beweger*innen sagen, obgleich es einen Unterschied zwischen dem Blick von<br />
Innen und Außen gibt. Dabei mag es vor allem beim Zuschauen vielleicht nur<br />
als einzelnes Ereignis interessant sein oder aber als ein Prozess erlebbar werden,<br />
dem man immer wieder Neues abgewinnen kann.<br />
Hinsichtlich des Publikums bleibt hier zu fragen, inwieweit es überhaupt<br />
gelingen kann, die Kunst der Improvisation auf breiterer Ebene zu verankern.<br />
Wird diese Kunstform elitär bleiben und nur durch einen kleinen Kreis von<br />
Zuschauer*innen Zugang finden? Oder lässt sich ein anderes Bestreben entwickeln?<br />
Und wie wäre es möglich, andere zu erreichen, wenn sich die Vielschichtigkeit<br />
des Geschehens nicht sofort für jede/n herstellt?<br />
Denn hier geht es um Hör- und Sehgewohnheiten. Man kann die Improvisation<br />
vergleichen mit einem Ort der Sammlung, der Präsenz und der Ruhe.<br />
Es ist ein spiritueller Ort. Und dies bewirkt auf die Dauer etwas in den Menschen,<br />
die sich auf diesen Prozess einlassen. Der Umgang mit dieser Kunstform<br />
ist verwandt mit kontemplativer Praxis. Durch eine regelmäßige Auseinandersetzung<br />
damit entsteht eine Veränderung zum Beispiel hinsichtlich<br />
der Wahrnehmung, so wie eben auch die Meditationspraktiken Menschen bei<br />
beständigem Üben verändern können. Und diese Veränderung wird über Expert*innen<br />
beflügelt, die dabei helfen, diese Kunstform zu kontextuieren. Um<br />
jedoch ein breiteres Publikum damit zu erreichen, wäre es notwendig, Ansätze<br />
und Strategien zu entwickeln, die diesen Zugang und die Annäherung daran<br />
ermöglichen.<br />
Dies ist vergleichbar mit der chinesischen Oper. Das Operngeschehen<br />
in der chinesischen Tradition lässt sich nur dann verstehen und in seiner ganzen<br />
Vielschichtigkeit begreifen, wenn die Kodierungen dafür bekannt sind.<br />
Diese haben sich über Jahrtausende hinweg zwischen den Operndarsteller*innen<br />
und ihrem Publikum ausgeprägt. So kann beispielsweise die Art und Weise,<br />
wie der lange Ärmel eines Kostüms aufgerollt wird, auf einen bestimmten<br />
emotionalen Zustand der Figur hinweisen, oder ein Purzelbaum kann den<br />
Sprung in eine andere Zeit bedeuten. Die hier geschaffenen Stilmittel wur-<br />
280 281
den in der westlichen Tradition jedoch nicht weiter behandelt, und so konnte<br />
ein sich fortsetzendes Hören, Aufnehmen und Erfahren dieses Musikstils seitens<br />
des Publikums nicht erfolgen. Es fällt den Zuschauer*innen daher eher<br />
schwer, sich auf die traditionellen Hörgewohnheiten anderer Kulturen einzulassen,<br />
beziehungsweise auf deren mögliche Weiterentwicklungen.<br />
282 283
284 285
50<br />
Abschließende Betrachtungen<br />
Es gab deutlich unterschiedliche Sichtweisen auf das von uns gewählte Improvisationsformat.<br />
Zumeist wurde die Konzeption sehr positiv von den Mitwirkenden<br />
aufgenommen und reflektiert. Dabei nahmen die Künstler*innen<br />
Bezug zu den äußeren Umständen und zur Gestaltung des Formats an sich.<br />
Insbesondere die Dauer von 20 Minuten Länge der zwei Sets wurde dabei sehr<br />
unterschiedlich thematisiert.<br />
Diese Dauer war von uns aus diversen Erfahrungen im Vorfeld heraus<br />
ausgewählt worden. Sie erwies sich als eine sinnvolle Länge, da sie genügend<br />
Zeit ließ, etwas zu explorieren, und der Prozess dabei nicht zu erschöpfend<br />
wurde. Zudem sind Einheiten von 20 Minuten in der Regel relativ gut einschätzbar<br />
und wahrnehmbar, auch ohne Uhr oder Ansage von außen. Auch<br />
die Wiederholung des Spiels in Form von zwei Sets wurde thematisiert und<br />
weitestgehend als eine sinnvolle Idee festgehalten. Eine sehr starke Rolle spielten<br />
für die Musiker*innen die unterschiedlichsten Räume, in denen die Sets<br />
stattfanden. Da wir uns für eine große Bandbreite sehr untypischer Orte entschieden<br />
hatten (unter anderem ein Büro, eine Gartenveranda oder gar eine<br />
Turnhalle), wurden diese von einigen der Musiker*innen, je nach Raum, entsprechend<br />
kritisch reflektiert. Hierbei zeigte sich sehr deutlich, wie stark und<br />
dezidiert Tänzer*innen und Musiker*innen mit dem Raum arbeiten. Dieser<br />
Umstand bezieht sich nicht nur auf die akustischen Phänomene, die ebenfalls<br />
sehr unterschiedlich waren, vielmehr noch wurden unsere Anordnungen im<br />
Raum, das Mobiliar selbst oder diverse Spezifitäten der Räumlichkeiten thematisiert.<br />
Für weitestgehend alle Musiker*innen entwickelte sich in den Sets eine<br />
enorme Intensität und eben darüber auch eine starke Begegnung mit dem zeitgenössischen<br />
Tanz durch das jeweilige idiosynkratische Bewegungsmaterial,<br />
analog zum entsprechenden Raum und seiner Raumaufteilung, mit Ingo Reulecke<br />
als Tanzvertreter.<br />
Immer wieder wurde dargestellt, dass die Arbeit mit dem Tanz für die<br />
Musiker*innen eine faszinierende Herausforderung bietet, die sich deutlich<br />
von dem Zusammenspiel mit anderen Musiker*innen unterscheidet, bei der<br />
es aber durchaus Parallelen zu entdecken gibt. Dies setzt allerdings eine gewis-<br />
se Erfahrung und wohl auch Gewöhnung im Umgang mit dem anderen Genre<br />
voraus, bevor es zu einem gehaltvollen Austausch kommen kann. Es bliebe<br />
zu hinterfragen, warum diese Art von Begegnung zwischen Vertreter*innen<br />
des zeitgenössischen Tanzes und der zeitgenössischen Musik selbst in einer<br />
künstlerisch überaus lebendigen Stadt wie Berlin nur selten stattfindet. Es mag<br />
allerdings auch durch den Umstand bedingt sein, dass kompositorische Arbeit<br />
gefördert wird, die improvisatorische hingegen nicht. Die Improvisation ist,<br />
wie bereits erwähnt, in vielen Tanzkreisen ein Mittel zum Zweck, um Material<br />
zu generieren, und nicht wie eine Praxis in Entsprechung zur Musik, bei<br />
der sich Musiker*innen ganz selbstverständlich regelmäßig zu Sessions treffen<br />
und darüber als Improvisierende wachsen.<br />
Eine große Rolle spielte auch das zwischen den beiden Sets geführte<br />
Gespräch eher informeller Natur. Dieses galt als ein kurzes offenes Format für<br />
den in der Improvisation geführten Verlauf, als Austausch über beispielsweise<br />
gewisse Charakteristiken, Höhepunkte oder Schwierigkeiten. Es stellte sich<br />
dann auch als eine solide Basis für das nächste Set dar. In der Regel gelang für<br />
alle Beteiligten das zweite Set besser als das erste – wohl weil wir uns eingespielt<br />
hatten und in der Lage waren, intuitiv sofort die Register aus dem ersten<br />
Set zu ziehen, welches dann eher wie eine Einstimmung auf das Eigentliche<br />
der Moment-Komposition schien. Auffällig war dabei häufig ein sehr bewusster<br />
Umgang mit dem benutzten Bewegungs- und Klangmaterial, welches des<br />
öfteren um neue Facetten erweitert wurde.<br />
In den nach den Sets geführten anschließenden Interviews wurde deutlich,<br />
wie wesentlich auch der verbale Austausch über diese improvisatorische<br />
Arbeit ist. Eben weil es eine große Palette an spannenden Themen gab, die<br />
reflektiert wurden. Das breite Spektrum der Themenkomplexe umfasste die<br />
Wahrnehmung füreinander, die jeweilige Räumlichkeit, die zeitlichen Komponenten,<br />
Aspekte der Performativität, aber auch Unterschiede der beiden<br />
Gattungen Musik und Tanz. Es zeigten sich zum Beispiel unterschiedliche<br />
Auffassungen zum Moment, bei einigen auf die gesamte Länge des Sets bezogen,<br />
bei anderen auf den kurzen Augenblick zwischen Vergangenheit und<br />
Zukunft. Ebenso unterschiedlich waren die Ansichten bezüglich der Pause,<br />
die manchmal als Stille außerhalb der Musik und manchmal als Bestandteil<br />
der Musik verstanden wurde. Es bleibt zu wünschen, dass weitere Formate<br />
in dieser Hinsicht entstehen, um die Überschneidungen wie Unterschiedlichkeiten<br />
dieser beiden Gattungen genauer untersuchen zu können.<br />
286 287
51<br />
Umgang mit Textualität<br />
Ein weiterer wesentlicher Aspekt unserer Experimente im Rahmen der Buchgestaltung<br />
ist der Umgang mit Sprache und Text. Hier fand im Laufe der Beschäftigung<br />
mit dem Thema eine für uns selbst zuvor nicht geplante Entwicklung und<br />
Formerweiterung statt.<br />
Dieser Weg führte uns von der Verschriftlichung unserer Ansätze und Ideen<br />
zu Improvisationen mit anschließenden Interviews und Rezensionen der Sets. Dabei<br />
war es uns wichtig, in allen mit einbezogenen Medien einen engen Bezug zur<br />
Thematik der <strong>Echtzeit</strong> herzustellen und Formen zu finden und zu entwickeln, die<br />
auch in der Verschriftlichung selbst eng mit dem Gedanken von Prozesshaftigkeit<br />
verbunden waren. So wurden nicht einfach Interviews mit <strong>Echtzeit</strong>musiker*innen<br />
und dem Bewegungskünstler geführt, sondern diese erfolgten jeweils aus der unmittelbar<br />
zuvor erlebten Situation heraus, in welcher die Präsenz der Klänge und<br />
Bewegungen im Raum und in den Körpern noch nachhallte, wodurch das eben<br />
durchlebte künstlerische Moment in seiner ganzen Komplexität und emotionalen<br />
Aufladung zugegen bleiben und Eingang in unser Gespräch finden konnte.<br />
Noch näher kamen wir dieser Idee in der Umsetzung mittels einer Direktdokumentation<br />
der Improvisation im Augenblick des Geschehens. Die gemeinsamen<br />
Kompositionen von Beweger und Musiker*innen und ihr künstlerischer<br />
Dialog sollten direkt während ihres Entstehens verschriftlicht werden, um die einzelnen<br />
Momente und Phasen in ihrer Vielschichtigkeit wiedergeben zu können.<br />
Diese unterteilten wir in die Formen der Dokumentation und der Interpretation.<br />
War das Schreiben zunächst zur Aufzeichnung des künstlerischen Augenblicks intendiert,<br />
entwickelte sich hier ein Instrumentarium, das eine eigenständige künstlerische<br />
Note oder gar Kunstform hervorbrachte. Eine umfassende dokumentarische<br />
Übertragung der von der Autorin wahrgenommenen Bewegung in Schrift<br />
war aufgrund der unterschiedlichen Tempi der tänzerischen Bewegungen in ihrer<br />
gesamten Vielschichtigkeit, der zeitlich verzögernden Aufzeichnung sowie der begrenzt<br />
möglichen Schreibgeschwindigkeit nicht realisierbar. So konnte es nur darum<br />
gehen, im Augenblick eine konkrete Form auszuwählen und beim Notieren<br />
Akzente zu setzen. Dies machte es erforderlich, eine kompositorische Technik der<br />
Verschriftlichung zu entwickeln, die nicht jedem Impuls nachfolgte, sondern nur<br />
Ausschnitte des Geschehens in Sprache übertrug. Hinzu kam, dass im Moment<br />
des Schreibens die Beobachtung und Wahrnehmung der Bewegungsabfolgen jeweils<br />
unterbrochen werden mussten, da ein durchgängig simultaner Prozess von<br />
Bewegung und Verschriftlichung nicht gelingen konnte. Damit wurden keine kontinuierlichen<br />
Bildsequenzen transponiert, sondern nur Einzelbilder aufgenommen,<br />
die Impulsen gleich, entweder fokussiert und übertragen oder inhibiert wurden.<br />
So entstand im Prozess der Aufzeichnung von Bewegungsimprovisationen<br />
ein Wechselspiel von Input und Output.<br />
Und so wie es auch bei wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden<br />
konnte, dass die Beobachtenden das beobachtete Experiment mit beeinflussen, so<br />
geschah dies auch in sehr konkreter Weise in unseren Versuchsanordnungen. Die<br />
durch Beobachtung ursprünglich nur zu dokumentarischen Zwecken aufgezeichneten<br />
Betrachtungen wirkten sich wiederum ganz unmittelbar auf die agierenden<br />
Performance-Künstler*innen aus. Sie führten letztlich zu einem neu entstehenden<br />
Kunstgeflecht, welches einerseits eine Untersuchung des Geschehens und<br />
andererseits eine damit verbundene Anwendung von Text und Sprache in Gang<br />
setzte. Zunehmend verstärkte sich dieses Interesse der sprachlichen Improvisation<br />
und fand Ausdruck in mehreren Versuchsanordnungen, in denen das Schreiben<br />
und Produzieren von Textualitäten und Sprachklangformationen in <strong>Echtzeit</strong> in<br />
Verbindung mit Bewegung, Sound und Videokunst erfolgte.<br />
In einem weiteren Schritt ersetzte die Sprachgestaltung im Moment den<br />
Part der Musik und fand Einsatz mit ihren oralen Gestaltungsmöglichkeiten jenseits<br />
der Tradition von Theatertexten. Hier ging es um das Produzieren von Klang<br />
und Geräusch in der Interaktion mit Bewegung – mit einem eher reduzierten<br />
Einbezug oder auch ganz losgelöst von der Bedeutung des Gesprochenen. Teils<br />
entstanden dabei sprech- und gedankenflüchtige Äußerungen, die wie ein experimenteller<br />
Wort- und Silbensalat in das performative Geschehen mit einflossen,<br />
oder auch metrisch und gebetsmühlenartig eingeworfene Wortschöpfungen. In<br />
diesen poetischen Textexperimenten zeigte sich, dass auch in der Sprache eine<br />
Momentkomposition entstehen kann, welche die Musik und den Tanz begleitet<br />
und ad hoc durch die Neologismen einen sprachkünstlerisch adäquaten Ausdruck<br />
für die Improvisation findet.<br />
Diese Experimente und die daraus entstehenden Möglichkeiten für die improvisatorische<br />
Arbeit stellen für uns einen bedeutenden Gegenstand für weitere<br />
Betrachtungen dar. Sie sind von hoher Relevanz, um uns dem Aspekt der Sprache<br />
innerhalb unserer Sets mehr anzunähern und diesen umfassender zu erforschen.<br />
288 289
52<br />
Rückschau<br />
Berlin, 9.3.2021<br />
Jahre nach dem Schreiben am Buchprojekt mit Heike Gäßler blicke ich sehr<br />
gerne auf diese vielschichtige und intensive Arbeit zurück.<br />
Nicht zuletzt hat sie mir einen Einstieg verschafft, um neue Formate und<br />
Ideen in Richtung <strong>Echtzeit</strong>komposition zu verwirklichen. Ich konnte mehr<br />
Leichtigkeit und ein größeres Selbstverständnis im Umgang und Austausch<br />
mit zeitgenössischen Musiker*innen finden, da die Auseinandersetzung mit<br />
den vierzehn Protagonist*innen der zeitgenössischen Musik ein reges Nachdenken<br />
über improvisierte Musik in Relation zum improvisierten Tanz provozierte.<br />
Dies wirkt heute für mich wie eine Initialzündung oder das Lostreten<br />
eines Impulses in eine für mich neue Dimension der Auseinandersetzung in<br />
meiner Arbeit.<br />
Seither haben sich viele Projekte mit Musiker*innen und auch Performer*innen<br />
herausgebildet, welche sich ausnahmslos auf die <strong>Echtzeit</strong>komposition<br />
konzentriert haben. Abendfüllende und ortsspezifische Ad-hoc-Projekte<br />
konnten entstehen. Hierbei war vor allem auch die gemeinsame Interaktion<br />
bedeutsam und führte im günstigsten Fall zu einer spannenden Zusammenarbeit,<br />
deren Spezifität dann jeweils auf der Feinabstimmung zwischen den beteiligten<br />
Performer*innen basierte. In diesen Ad-hoc-Aktionen konnten dann<br />
nahezu alle möglichen Ansätze der Instant Composition Verwendung finden,<br />
wodurch ein sehr großes Spektrum an verschiedensten künstlerischen Ergebnissen<br />
sichtbar wurde. Vor allem ein anderer Ansatz im Denken und Schreiben<br />
über Improvisation wurde im höchsten Maße provoziert.<br />
Zuvor hatte ich viel mehr Zeit in die Entwicklung choreografischer Projekte<br />
investiert, wobei ich heute nicht mehr glaube, dass diese Projekte in ihrer<br />
finalen Ausprägung tatsächlich gehaltvoller waren. Es ist vielmehr eine Frage<br />
der Erfahrung und Durchdringung von dem, was bedeutsam ist, aber auch der<br />
Intensität und dem Fokus, wie substanziell ein Projekt werden kann.<br />
So wurden von mir mannigfaltige Orte bespielt, wovon viele mit einer<br />
entsprechend konkreten Herangehensweise adaptiert werden mussten, damit<br />
ich mir diese Orte auf die idiosynkratische Art einverleiben konnte, was wiederum<br />
einen starken Einfluss auf die Performances selbst hatte. Wobei ich in all<br />
den Projekten auch immer bewusst mit dem Mittel der Improvisation umging.<br />
Durch die gewonnene Souveränität und Flexibilität in diesem Bereich konnten<br />
einige der Projekte in kürzester Zeit verwirklicht werden, was phasenweise<br />
zu einem recht großen künstlerischen Output führte, aber auch den Umgang<br />
mit dem jeweiligen idiosynkratischen Bewegungsmaterial beflügelte. Andere<br />
Projekte wiederum benötigten einen längeren Vorlauf sowie eine ausgedehnte<br />
Recherchephase, was das Spektrum der Arbeitsweisen und Arbeitsansätze<br />
deutlich vergrößerte, aber auch die Lust steigerte, diese herausfordernde und<br />
divergente Arbeitsweise unbedingt weiter verfolgen zu wollen. Denn bei der<br />
Vielzahl von sehr unterschiedlichen Projekten musste man jeweils aufs Neue<br />
auf den Punkt kommen und für die entsprechende Situation aus dem Moment<br />
heraus eine adäquate Lösung finden.<br />
Ein von mir von 2017 bis zum Beginn der Corona-Krise kuratiertes Projekt,<br />
das definitiv auf der Basis des Buchprojektes beruht, ist die monatlich<br />
stattfindende Improvisationsreihe ´Common Ground` in der Berliner Tanzfabrik.<br />
Für dieses Format wurden Strategien des Buchprojektes übertragen und<br />
weiterentwickelt. Das Format sieht in der Regel drei improvisierende Sets vor,<br />
bestehend aus Musiker*innen und Tänzer*innen unterschiedlicher Anzahl<br />
und mit einer ungefähren Spieldauer von jeweils 20 Minuten pro Set. Diese<br />
Teams waren selbst für ihre Raumnutzung verantwortlich und sollten diese<br />
vor dem Performance-Beginn festlegen und bestimmen, wie sie die Zuschauer*innen<br />
platzieren wollten. Dies wurde dann in einer kurzen Vorbesprechung<br />
mit allen Beteiligten diskutiert. Jeweils im Anschluss daran gab es eine von mir<br />
geführte Gesprächsrunde über die stattgefundenen Improvisationen, wobei<br />
etwaige Strategien, aber auch Schwierigkeiten im Umgang mit der Improvisation<br />
thematisiert wurden. Hier war jeweils auch das Publikum mit einbezogen.<br />
Als aufschlussreich zeigte sich vor allem die unterschiedliche Rezeption<br />
von Musiker*innen und Tanzmacher*innen.<br />
Diese Reihe wurde von vielen Improvisationsanhänger*innen als sehr<br />
bedeutsam und im Grunde einzigartig angesehen. In der Tat kenne ich kein<br />
vergleichbares Projekt, das die interdisziplinäre <strong>Echtzeit</strong>komposition in solch<br />
einer Regelmäßigkeit in den Vordergrund stellt.<br />
SINCE ist eine andere von mir kuratierte Reihe, die über mehr als zwei<br />
Jahre in der Somatischen Akademie Berlin monatlich stattfand. Für diese Reihe,<br />
die ebenfalls nach Abschluss der Experimente für das Buchprojekt begann,<br />
versuchte ich Künstler*innen unterschiedlicher Disziplinen zu finden, die ein<br />
ca. 30 bis 45 Minuten langes Projekt mit geringer technischer Ausstattung<br />
vorstellen wollten. Die Somatische Akademie zieht Zuschauer*innen<br />
290 291
an, die ein übergeordnetes Interesse an der künstlerisch-somatischen<br />
Auseinandersetzung haben. Der Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit<br />
sollte auf einer deutlich somatischen Ausrichtung des Projektes beruhen und<br />
wurde jeweils im Gespräch unter Einbeziehung der Zuschauer*innen mit mir<br />
reflektiert. Die rund 20 performativen Abende zeigten ein großes Spektrum<br />
unterschiedlichster künstlerischer wie somatischer Ansätze und kamen<br />
meiner anderen großen Leidenschaft der somatischen Herangehensweisen in<br />
künstlerischen Prozessen sehr nahe.<br />
Vor allem aber führte das Buchprojekt bei mir zu dem Bedürfnis nach<br />
regelmäßigen Sets mit Musiker*innen unterschiedlichster Richtung. Dies sollte<br />
eine meiner Hauptarbeitsweisen im Tagesablauf werden. Nicht zuletzt, weil<br />
mir der Wert dieser reichen Praxis über die intensive Phase der Sets für das<br />
Buchprojekt vollends deutlich wurde und daraus tiefer gehende Arbeitsrelationen<br />
erwuchsen. So war es nur eine Frage der Disziplin, mir diesen bedeutsamen<br />
Arbeitsansatz zu eigen zu machen.<br />
Hieraus resultierten dann, wie in der improvisierenden Musikszene üblich,<br />
wie von selbst, regelmäßige Improvisationsauftritte mit den unterschiedlichsten<br />
Musiker*innen und Besetzungen. Ich hatte wesentlich mehr Auftrittsmöglichkeiten<br />
als jemals zuvor in meiner Karriere, selbstverständlich jenseits<br />
von Theater- oder Tanzorten. Auch intensivierte sich hierdurch meine Auseinandersetzung<br />
mit neuer improvisierter Musik und ihren Protagonist*innen.<br />
Es erwuchsen Gruppierungen, die regelmäßig miteinander arbeiteten und zumeist<br />
Ad-hoc-Projekte für entsprechende Formate entstehen ließen, die auf<br />
einschlägigen Festivals gezeigt werden konnten.<br />
Diese Vorliebe für die <strong>Echtzeit</strong>komposition hat sich bei mir selbst nach<br />
vielen Jahren nicht gelegt. Im Gegenteil scheint sie sich sogar noch zu intensivieren,<br />
und es kommen zudem Erweiterungen meiner eigenen künstlerischen<br />
Explorationen hinzu. Als ein Beispiel kann ich den zunehmend stärker werdenden<br />
Einsatz der stimmlichen Performance auf eine sehr eigene Art und<br />
Weise benennen. Zu meiner tänzerischen Arbeit kommt die eigene Stimme ins<br />
Spiel, mit der ich mich selbst begleite und in den Dialog mit den Musiker*innen<br />
trete, was das Spektrum der Komplexität erweitert. Dieses geschieht teils<br />
über die musikalische Komponente der Stimme, teils auch durch die narrative<br />
Ebene, wenn Sprachreminiszenzen Verwendung finden.<br />
Insofern bleibt die künstlerische Auseinandersetzung mit der Improvisation<br />
und auch ihre zunehmend theoretische Durchdringung eine spannende<br />
Reise mit einem offenem Ausgang.<br />
292 293
In this appendix, a summary of the key points of the overall<br />
text (introduction and conclusion) and the Germanspoken<br />
conversations are presented in translation, as well<br />
as the original English versions of four interviews.<br />
294 295
RADICAL REAL TIME<br />
Dance, Music, Language as Moment-Composition<br />
by Ingo Reulecke and Heike Gäßler<br />
Real-time art is moment figuration<br />
It is radical in its presence<br />
It is subject to the change<br />
296 297
1<br />
Point of Departure<br />
DANCE<br />
Ingo Reulecke<br />
Dancer and choreographer<br />
TEXT<br />
Heike Gäßler<br />
Theatre scholar, director, writer<br />
VIDEO<br />
Carlos Bustamante<br />
Video artist<br />
GUESTS MUSICIANS<br />
Matthias Bauer<br />
Thorsten Bloedhorn<br />
Thomas Gerwin<br />
Klaus Janek<br />
Raymond Kaczynski<br />
Dietmar Kirstein<br />
Markus Pesonen<br />
Claudia Risch<br />
Risnandar<br />
Sri Joko Raharjo<br />
Clayton Thomas<br />
Michael Thieke<br />
Biliana Voutchkova<br />
Peter Zwick<br />
Over a period of one year, artists from various disciplines came together to<br />
create joint ad hoc works and to explore them in subsequent conversations<br />
and interviews. Our interest in knowledge was finding approaches to the moment<br />
composition with all its different forms and qualities. The moment composition<br />
can be regarded as the art of making decisions in an improvisation<br />
spontaneously, allowing or inhibiting impulses as well as shaping the instant<br />
in the interplay with time, space and the involved artists. 1<br />
It was our aim to bring the levels of sound, movement and word into synthesis,<br />
for which several experimental arrangements took place in a longer working process.<br />
After a few attempts, the format for the experiment was contoured, and we<br />
remained at a convincing layout. The concentrated sessions in front of the camera<br />
with Carlos Bustamante and the various musicians, dancer Ingo Reulecke<br />
and writer Heike Gäßler all showed a special performative intensity. Emerging<br />
through the focus on the instant, a highly concentrated exchange of all participants<br />
developed which produced the basis for the subsequent conversation<br />
about the respective set. In these performances, it was especially interesting to<br />
witness how the dancer-performer Ingo Reulecke (as a constant factor in the<br />
experiment) engaged a variety of improvising musicians with their different instrumentation<br />
and aesthetic backgrounds and how a multitude of work results<br />
became apparent.<br />
It was intended to use these settings to approach the phenomenon of improvisation<br />
as well as the real-time composition. Possibly, a better understanding of<br />
1 It is one of the most basic characteristics of a real-time composition that it is a mutual composition<br />
which is created by all performers involved. For instance, Simon Rose and Raymond MacDonald point<br />
to the fact that, in improvisation, there can be no distinction between performer and composer. Furthermore,<br />
the process of creation becomes influenced by conscious decisions as well as unconscious actions,<br />
since an embodied knowledge of the artists can present itself in the improvisation. As Rose and Mac-<br />
Donald also state, there is a productive synthesis between the individual artist’s desire to express himself<br />
through his art of playing and the mutual striving for the optimal final artistic result. cf. Simon Rose und<br />
Raymond MacDonald: Improvisation as Real-time Composition. In: Dave Collins (Ed.): The Act of<br />
Musical Composition. Studies in the Creative Process, London/New York 2016, pages 187ff.<br />
298 299
some of the strategies and practices could be achieved. The word written simultaneously<br />
by Heike Gäßler helped very clearly. In her dealings with movement<br />
and sound, she endeavoured to do justice to the aspect of the live performance<br />
through a variety of possibilities and improvised with the medium<br />
of language. Since all results were recorded digitally, they could be textualised<br />
afterwards. The written work of interpretation and association as well as of<br />
documentation in text disclosed new thought spaces and also gave our working<br />
group scope for further discussions. All work attempts were documented<br />
and edited by filmmaker Carlos Bustamante, and his documentaries served as<br />
a basis for our work.<br />
2<br />
Methods of Research:<br />
Performance Research and Interviews<br />
Based on the approaches of performative research and doing culture as access<br />
points to the study of artistic practice, it is not intended to describe performative<br />
actions or to simply discuss facts on a theoretical level by means of our interviews.<br />
Instead, our focus lies on playing with the interrelation of statement<br />
and performative reality, of content and form. It is a method which is both<br />
artistic and art-theoretical and which touches and permeates the practice. The<br />
performance of the event is not practiced, examined or verified on the basis<br />
of any previous hypotheses. Instead, research and practice are identical and<br />
take place as performative settings. Through this practice, conscious and unconscious<br />
insights and knowledge of all participants from the different genres<br />
can form the basis for designing the process. Frequently, the participants can<br />
become present in a distinct manner or generate implicit knowledge as well. 2<br />
By combining experiment and interview, we intend to examine the artistic experience<br />
with these two very different approaches in order to achieve the most<br />
2 cf. Hanne Seitz: https://www.kubi-online.de/artikel/performative-research, last access on April 8th<br />
2021.<br />
comprehensive results. Our respective sets, with the artistic observations deliberately<br />
written during the improvisation and the interviews conducted directly<br />
after the performances, should make it possible to transport the mood<br />
of the performance event into the conversation to convey the authenticity of<br />
the experience. By movement and sound as well as by documentation and<br />
interpretation in writing, the principles of designing through and within the<br />
moment should become recognizable, as well as the artistic creations which<br />
unconsciously shape the performative process. As Diane Conrad points out,<br />
the embodied and intuitive knowledge can be revealed here as a source of artistic<br />
action beyond cognitive-theoretical art views:<br />
As such, it offers an alternative performative way of knowing – a unique and<br />
powerful way of accessing knowledge, drawing out responses, that are spontaneous,<br />
intuitive, tacit, experiential, embodied or affective, rather than simply<br />
cognitive. 3<br />
In this context, the performative turn also appears to be particularly significant<br />
in regard to our project. Since this cultural turn, as Hanne Seitz has analysed,<br />
the concept of performativity brought a perspective to empirical research<br />
which is different from the objective viewpoints of science. It is especially relevant<br />
for artists in the field of acting, playing music or dancing that a so-called<br />
performance led research transports its own research paradigm which is oriented<br />
towards artistic processes and preserves the idiosyncrasies of creative practice,<br />
and the knowledge horizons opening up can also display non-linguistic<br />
characteristics as well as discursive intranslatability. 4<br />
3 See Diane Conrad: Exploring Risky Youth Experiences, S. 11, https://www.ualberta.ca/~iiqm/<br />
backissues/3_1/pdf/conrad.pdf; last access on May 4th 2021.<br />
4 cf. Hanne Seitz: https://www.kubi-online.de/artikel/performative-research, last access on April 8th<br />
2021.<br />
300 301
3<br />
Interview<br />
Sri Joko Raharjo, Risnandar, Raymond Kaczynski, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Rumah Budaya Indonesia of Embassy of the Republic of Indonesia, Berlin-Mitte<br />
2013-09-16<br />
Heike Gäßler: How did you feel about the improvisation?<br />
Ingo Reulecke: I liked this multilayered event – the sound, the<br />
different sound qualities, your adaptation of these weird instruments,<br />
then the images, I mean like being in front and having this<br />
shadow was quite a lot of inspiration. So there were these three<br />
layers – you behind the screen, then the screen as a second event<br />
and then Carlos, mostly in front of the screen during the whole<br />
beginning, also in movement with this instrument. Plus at least<br />
the fourth layer: Heike with her talking and writing. Being in this<br />
kind of landscape and making up my own adaptation or game in<br />
this weird communication with so many ingredients was like a big<br />
toolbox with lots of ideas: How West meets East or East meets<br />
West, or… I don´t know anymore who met whom. But I enjoyed<br />
the communication and being within this melting pot here behind<br />
the screen so that we had the opportunity to meet all six, in a really<br />
tiny spot with these different media with which we were playing.<br />
This closing and opening of the space, opening the ideas and coming<br />
together was quite an agreeable performance.<br />
Sri Joko Raharjo: Thank you for today. It is very exciting, and I can<br />
really enjoy what happened today. I also liked last time, but now<br />
it was better because now we know each other and we are really<br />
more connected to each other. It’s also when I know the sound of<br />
the instrument that I know better how to connect with rhythm,<br />
tempo and with Ingo as well. It was as if we were playing a game,<br />
not knowing what would happen. We tried to be a winner, but we<br />
are all winners. It’s also my feeling just now that, one by one, you<br />
tried to act out openly with Ingo and sometimes even with the<br />
Banjar 5 , or sometimes with Heike. So it is interesting. It’s not like<br />
improvisation, but it’s like a performance. Also, I never played Rebab<br />
6 with the screen before. And I like to play with this puppet,<br />
for example, letting it fly. We just followed our heart. Your dance is<br />
touching, and also I touched your dance.<br />
Risnandar: Joko played Rebab, and I responded with the bow and<br />
played Gendèr 7 . With these instruments, we are sometimes communicating.<br />
I made music and you followed, and I followed you.<br />
Raymond Kaczynski: I feel honored that I’ve been asked to join.<br />
It’s so good after years of not being involved in any of these Indonesian,<br />
Javanese, Balinese sounds to get back to them. I used<br />
the things that I studied so many years ago. I used to play music<br />
from these traditions. My only difficulty now was that I have read<br />
the Ramayana – it’s such a big Indian epic poem and it’s still not<br />
all translated from Sanskrit into English. But with the 600 or 700<br />
pages that I did read, I was now fascinated to see those characters,<br />
and I was trying to connect both experiences. My dilemma was<br />
seeing your characters and hearing your voice and then thinking:<br />
‘Okay I see Lakshmana and Rama and Rakshasa, and then there is<br />
Ingo.’ For anyone who does not know the Rakshasa, he is really extremely<br />
evil; he is like Mister Evil, there is nothing worse, right? So<br />
to see Mister Evil come up, that was cool. I really had a wonderful<br />
time with all these different levels which Ingo has also mentioned:<br />
the interaction and the text, which I was trying to keep an ear open<br />
to. And I tried not to be too loud in order to hear a little bit of what<br />
we were doing here. This was so cool.<br />
SJR: Heike, your poetry, please translate it for us.<br />
5 Javanese Gamelan instrument.<br />
6 Javanese stringed instrument (spike violin).<br />
7 Gamelan instrument in Bali and Java, a metallophone with thin tuned metal bars.<br />
302 303
HG: Translate? No it is too difficult to translate, but I can tell you<br />
how I feel about the session. For me it was very nice to see both<br />
sides, because I was sitting at this special place. I was the only one<br />
seeing both sides, in front of and behind the screen, and the interaction<br />
between both. I enjoyed really both sides, therefore I<br />
did not know which side I should go to. With my writing, I also<br />
did not know whether I should follow the dance more or rather<br />
the music. So I mixed it all up. I tried not only to write but also<br />
to speak immediately. Sometimes I wrote or I read what I wrote,<br />
sometimes I just followed and talked about what I saw, and I tried<br />
to create some poetry about it and to bring in the sound. What I<br />
enjoyed very much was when you started using the voice and I<br />
also came up. I enjoyed coming into the sound area as well.<br />
SJR: I also liked your poetry and how you built up from quiet to<br />
loud. And it was very energetic when you became spacious and<br />
you started moving.<br />
HG: What meaning has the moment for you? What do<br />
you feel about the moment?<br />
IR: It is very important to be in the situation really as much as<br />
possible and to hook up with the moment and to get as much as<br />
possible into my awareness. That enables me to connect with the<br />
other players and with the situation, the space and the audience<br />
and whatever is there, so it is one of the most important ingredients.<br />
RK: The moment in improvisation is heaven, everything else is<br />
history. And you have to make a decision on how you move forward.<br />
Is it based on what you just did which of course is the past,<br />
or do you just try to move forward to the next moment? So there<br />
is also a possibility to go into a funny kind of backwards development<br />
– what is played is the historical part of improvisation which<br />
then gets used as the motive or whatever. And my opinion is that<br />
we were doing a lot of this, but then some improvisations tend<br />
to throw some impulses out. And we are all experienced enough<br />
to know that there is the moment and there is the next moment<br />
which is that decision which is based on the past or what I hear<br />
from you or see from you. Which is basically the same thing.<br />
SJR: The moment is very important, usually very unpredictable.<br />
But it is very important, because sometimes we try to arrange or<br />
to cut it, sometimes we are chasing the moment, sometimes we try<br />
to create it but we don’t know if it will happen or not. But every<br />
moment is change; and we can’t count. Every second by second<br />
is different. When the moments happen, we can feel it, and after<br />
that, we try to make another moment.<br />
RK: It’s a bit addictive, isn’t it? There is a good feeling in the moment<br />
when you go, so you want more.<br />
R: For me sometimes, like today, I can do improvisations, but I<br />
also can do traditional drumming, like when Joko was fighting 8<br />
and I was responding with the drums in a traditional way. For me,<br />
the importance of the moment is that I can do traditional music as<br />
part of experimental music – today I can evolve.<br />
Carlos Bustamante: When you learn how to take pictures, you<br />
learn certain rules. And for me, the struggle has been to get away<br />
from that and see if what you guys were doing moved me to something.<br />
I was not working on that consciously, but there was a moment<br />
when I wasn’t thinking anymore. I was more like dancing or<br />
moving or searching. Sometimes, especially when you were moving<br />
the puppets, I was looking to see if I could get both Ingo and<br />
the puppets in some kind of relationship. So there is a conscious<br />
process, but a lot of it is more like saying: “Let’s see what happens.”<br />
So the moment is when I am not even thinking about it but when<br />
I think: ‘Wow it’s so beautiful that this is happening now.’ Most of<br />
the time, it had something to do with what you guys were doing,<br />
but there was a moment when I felt good, and I managed to go to<br />
that place where I could see that and make a certain combination.<br />
8 Sri Joko was performing a fight scene in his shadow play.<br />
304 305
This is exciting because it opens up a different space than normally.<br />
Because normally, there is a real space. But this here creates a<br />
weird space that I cannot describe yet, although it has to do with<br />
the beginning of cinema. It has to do with this very rigid square<br />
where everybody’s attention goes. But today I had this privilege<br />
that I could move, I could change perspective all the time. I could<br />
even cheat and see what you guys were doing backstage. That was<br />
nice. So the moment is very complicated, because it has many different<br />
appearances and many different things that motivate it. But<br />
now I am thinking about something else that all of you said, and I<br />
wonder: How much do you try to force something in order to create<br />
something? Because my philosophy has always been to let it go<br />
and see what happens, rather than wanting to reach a certain climax.<br />
The conventional cinema is preparing the audience to reach<br />
a certain expectation or a certain conclusion and to feel a certain<br />
emotion. And I don’t know if I like that anymore. This here, nobody<br />
really planned it. We all have our traditions, we all have our<br />
teachers that taught us certain things, but the nice thing is to open<br />
up to new situations. So I was wondering about that: How much<br />
do you try to force something and in what way when you do it.<br />
IR: I don’t try to force it, I rather try to let it happen. And these<br />
concepts which you have been describing might stand a little bit<br />
in the way of this moment situation. Because then, you are predicting<br />
the future and that is disturbing the moment. This occurs very<br />
often strongly, and for me, it’s not so interesting. It happens, and I<br />
also have these traditions in my body. But it’s more interesting to<br />
overcome this and to let it go. Anyway it’s there, but I don’t need to<br />
force it nor to form it, to build it into something. So this concept is<br />
not so helpful for me, not so interesting, I want to try to let this go.<br />
CB: Yes, that is what I have sensed since I have known you. You are<br />
always looking for something – and there is so much there that you<br />
are always communicating and responding to it. Sometimes we are<br />
ourselves and we have somehow similar ways of doing things, but<br />
then the other person or the objects change, and so you respond in<br />
a different way. This is helpful for me because it has become hard<br />
for me to go and see conventional films, because they are all very<br />
planned and calculated to reach a certain response.<br />
RK: You have no choice anymore except to follow the route. Or<br />
you let go.<br />
HG: The moment gives you a lot of freedom. I started in theatre –<br />
and in theatre, mostly things are planned. So when I went on stage<br />
I was always a bit nervous. But I am never nervous in improvisation<br />
and when I am working from moment to moment, then I<br />
really can be myself. And when I produce some sound and I might<br />
feel that this is too dramatic or whatever, then I can immediately<br />
change. I feel it or hear it, and then I go out of it, I go somewhere<br />
else. I can always start anew, in the moment. And what I like is that<br />
when I am writing, I am in the moment in writing but at the same<br />
time documenting what you are doing. So I have different levels I<br />
can work with. When I document your movement or your sound,<br />
I will not be as fast as you are. I am behind you with the moment. I<br />
am following your moment, but I can never reach it, because I am<br />
not fast enough – but of course I am still in my own moment. And<br />
then I can change again, I can stop writing and go forward to my<br />
new moment and talk directly.<br />
HG: What meaning does a break have for you? What<br />
kind of meaning does it give to you to make a break or<br />
breaks?<br />
RK: Breaks, that’s just as important. That’s activity, but a different<br />
form of activity. For me as a drummer, the danger is that you<br />
tend to go on and on and never really enjoy the fact that the sound<br />
might ring afterwards. It’s very easy to just go on and keep playing<br />
some beat or some sound, so the breaks for me are as important as<br />
the activity. I am still active, if not more active in some ways than I<br />
am when I’m moving my hands – which is not something I heard<br />
from many other drummers. The other drummers say: “I play and<br />
that’s it.” So I really like the breaks.<br />
306 307
CB: That’s a strange world to me. And when I think about some of<br />
the films I have made, I realise that in all the films I really like, I always<br />
put in some black. So suddenly, whatever is happening, there<br />
will be a moment of black, and then the next thing will happen<br />
or the thing would continue. I imagine that would be a break – to<br />
just let whatever happens sink in or have an afterlife in whoever<br />
is watching it or listening to it. The moment is floating. And then<br />
you show the next thing. I did notice before that I abandoned this<br />
method many times, but recently I edited something which I did<br />
not like and I thought about it and started putting in blacks and<br />
then I liked it. It made sense and I thought: ’Okay, that was missing.’<br />
Also a composer, even in his music, is putting in breaks. And<br />
then I thought that there were also moments when you should not<br />
see anything, because we are listening to something that is fading.<br />
IR: For me, a break more refers to a still or to a sculpture where<br />
time is frozen somehow, but the whole activity, the whole expression<br />
is in this moment. So I worked a lot with these stills. At the<br />
beginning of this century, the Austrian sculptor Erwin Wurm 9 invented<br />
the One Minute Sculptures. He went into a position, very<br />
absurd stuff, and stayed in it for a minute. And some of the stuff<br />
was very pedestrian-like, or like ordinary or mundane situations,<br />
but some were really more bizarre and strange. So I did a whole<br />
project with these minute sculptures, and I figured out how rich<br />
and important this is also in dance or movement-related stuff. Before<br />
I had also been like those drummers you mentioned, a very<br />
active performer. And I enjoyed to go on and on and never stop,<br />
because I found it so exciting and rich, this kind of flow state. But<br />
then I figured out that I can have all of that in the moment and<br />
in this situation or that I am able to hold and to freeze time. And<br />
that’s very enriching for everybody, for all its members, like for<br />
the performers, if they can really keep it alive and not collapse in<br />
9 The Austrian artist Erwin Wurm (*1954) took part in the artists-in-Berlin Program of the DAAD in<br />
1987. During this formative phase, a fundamental change of his working methods occurred. He began<br />
to explore the boundaries between sculpture, object and performance. See Erwin Wurm, One Minute<br />
Sculptures, Katalog Kunsthaus Bregenz, Ostfildern-Ruit, 1999. Also see Erwin Wurm, Ed. Peter Weibel,<br />
Neue Galerie Graz, Ostfildern-Ruit, 2003.<br />
this moment. It’s an incredible point and enriching for the whole<br />
situation.<br />
SJR: For me, the break is very important. Maybe that’s why Javanese<br />
people believe the earth also takes a break one second in<br />
one moment. A break is very strong, very powerful. When we perform<br />
without pause, without break, it’s so boring sometimes. We<br />
are so tired of watching or hearing. But sometimes we can use the<br />
break for a very strong moment. And normally, human nature uses<br />
a break for new inspiration or uses a break for making something<br />
different than before.<br />
R: The break is also music, because when a dancer is strong we<br />
play music to stop. When the dance is strong I stop. And a break<br />
also gives another musician space for playing.<br />
RK: The traditional Gamelan of Central Java has such incredible<br />
breaks. They come at places where no Western listener would expect<br />
it at all. After playing and playing and playing there suddenly<br />
is ... p a u s e ... and then comes the big gong. It’s like in this whole<br />
music and Javanese philosophy that everything stops just for the<br />
end. Yes, for the end.<br />
SJR: And the strongest is the gong.<br />
RK: And the most important instrument is the one that moves the<br />
slowest.<br />
HG: A break is like breathing. It’s giving and taking and having a<br />
break to wait before the next thing is coming. It gives me a new<br />
impulse when I wait a little bit. When I don’t wait, I will stay on the<br />
same line, but when I give myself a break, then I might have a totally<br />
new direction. And here, when I was talking very softly and not<br />
so loud, you gave me the chance that I could still be understood,<br />
because you gave me a break.<br />
308 309
R: Maybe we also find time in a break for thinking, seeing and<br />
responding.<br />
HG: How do you communicate with the room, with<br />
the space? And what kind of meaning does it have for<br />
you?<br />
SJR: This space is like my home, because I stayed in here for a<br />
while. And also it’s very familiar for me, or like in the sky – but now<br />
[, with you,] the moon or the stars have come in here from different<br />
planets, and we now can do something together and it gives<br />
energy, it’s giving light for us. And also this room is giving us more<br />
energy to create some expression for our movements, our music,<br />
our dancing, our shadows and our records.<br />
RK: Space – I don’t know what the meaning is for me. But for<br />
me, this is an incredible space, because as a percussionist you are<br />
coming to a place where there is not only one Gamelan but three<br />
different Gamelans, and there in the corner is a whole Angklung<br />
collection 10 . You just don’t find such a thing hardly anywhere outside<br />
of Indonesia. And then, being with you guys, hearing you play<br />
this music and then playing with you, that goes beyond the space,<br />
is really like interstellar space, or some other space which is somehow<br />
my mindspace or my emotional or feeling space – it really was<br />
great.<br />
IR: Space is one of the most important ingredients. It’s the connecting<br />
point. And like Raymond already mentioned, there are<br />
so many spaces: the outer space, the inner space, my emotional<br />
space, the space that I can create in the moment, the space I can<br />
make up and transform… That’s the toolbox which we have when<br />
we are able to open it and to connect into this box. We are somehow<br />
willing to go into this box, into this space, and we can open<br />
many doors and layers. So, we have a lot to deal and to play with.<br />
A platform.<br />
10 Bamboo tube instruments (idiophones).<br />
SJR: I have one question: What were the difficulties<br />
for this moment for this improvisation?<br />
IR: I guess the most dangerous situation is to lose the moment, to<br />
lose being in the moment and instead to be only in your head maybe<br />
or somewhere else. And then the magic or the interest is gone,<br />
and it’s not authentic and there. So it is important to be where you<br />
are. And that is a practice. So the percussionist who is doing the<br />
break or pause and letting go is dangerous. And that is the same<br />
for every artist. Or you play consciously with it and you take it in<br />
consideration as a tool. That could be also interesting but then you<br />
are still in the moment.<br />
SJR: For me, it is not easy to predict what will happen, because<br />
there are six persons in here and six thinkings, six skills, six wills.<br />
It’s not easy to feel: What do you want, what do I want? Sometimes<br />
I am afraid I can’t follow you. But sometimes, the biggest<br />
difficulty for me is to fight with my own will power.<br />
RK: We don’t come here as an empty dish. We all come with our<br />
histories, experiences and technical facilities. All those things are<br />
alive. And I come with my kind of drummer things, with pauses<br />
like this and all that stuff. But also I have come here with this kind<br />
of Gamelan instrument I made. And I saw that there is a danger<br />
in saying “I am trying to make a connection”, because I did not<br />
really need to try and make a connection. I mean, the connection<br />
was almost instantly there. But there was a very serious consideration<br />
I had: Just how traditional would you guys be? I wouldn’t<br />
call it rigid, because it’s a very rich tradition – but how far it could<br />
bend, would it stop or go? Because in some of the traditions that I<br />
have, which is being a kind of Jazz drummer from profession, improvisation<br />
is idiomatic. It’s idiomatic in the ways you mentioned<br />
earlier, Carlos, when you see a certain figure come out onto the<br />
screen and you know if that figure comes before or after that, this<br />
or that thing happens. It is a kind of Automatismus. You don’t need<br />
to think about it in the same way in a certain kind of music. You<br />
accompany a dance, you see this and that like the dancers in the<br />
310 311
African music or some tradition, and you know if they go on a<br />
couple of more minutes they’re gonna fall down dead, or if you<br />
don’t play the break, they’re gonna come and kill you, so you’d<br />
better play kakakaka kaka kawum. So these idiomatic questions<br />
were going through my mind but they were not necessarily difficulties<br />
– and this goes back to the question of the moment. You<br />
hear this and that and you see this interaction, you hear in these<br />
active pauses, and then you decide, you are in the next moment.<br />
So that was good, it was a very interesting place with the things – I<br />
would not say they were doing this or pushing us – but those were<br />
the places where I was thinking ‘That’s interesting, how did we get<br />
to that one? Where is that going? How much can I push into some<br />
sort of sonic weirdness here before it breaks or not?’ I was kind<br />
of checking these things out, and that was an interesting process,<br />
an interesting proposition. And then my difficulty was again that<br />
I really love the story, the Ramayana. So I was going like: ‘What<br />
is going to happen now?’ And I had difficulties because you were<br />
playing traditional Gendèr and then you started playing Rebab.<br />
And I said: “Okay, you know it is the soft ensemble, that’s great<br />
and okay.” So this was my consideration, or these were my difficulties.<br />
I had a lot to sort out for me.<br />
IR: Would it be dangerous, let’s say, in Indonesia with a more traditional<br />
audience, if we broke the storytelling? The audience might<br />
be irritated, since they already know what is supposed to happen,<br />
because they know the tradition and the stories so well. And if you<br />
turn it upside down or you break it completely, is something like<br />
that allowed or would it be problematic and you would you get<br />
in trouble with the audience, so that they are not willing to take<br />
it in? I guess people know you, and if they read about this puppet<br />
theatre, then they expect something. But then they would see a<br />
strange contemporary dancer who is not Indonesian, for example,<br />
doing weird stuff in front of the screen or wherever behind. And I<br />
could imagine that there is a camera and its projection like a Making-of…<br />
I would find that very interesting. Do you think we could<br />
afford this jump into another category, into another artistic field,<br />
or is it too dangerous? I think we would probably need to pub-<br />
lish something to tell what we are doing so that people don’t get a<br />
wrong expectation.<br />
SJR: It depends on the audience and on where you perform. It<br />
depends on the different places, cultures and also on the different<br />
background of the audience. But in traditional Wayang performance<br />
11 , the audience mostly knows about the stories of the<br />
Ramayana, the Mahabharata or Javanese stories. They all know.<br />
Sometimes, with a very traditional audience, if we make some<br />
improvisation or change the story a little bit, making something<br />
new, they just [react confused and] say: “Why are you doing it like<br />
that?” And when they talk to each other in the audience, they say:<br />
„It’s not very good, not as usual.” But an audience in the city is<br />
more open. It’s open for input from tradition as well as for input<br />
out of tradition, or for combined input mixing traditional things<br />
with new things. It’s not really a big problem now, they are open<br />
and say: „Oh that’s new.” Sometimes, they are also curious and<br />
interested. We also need the new things to be published for the<br />
young people, because now, not really many people know tradi-<br />
11 Wayang is a traditional form of puppet theatre play in Indonesia. In the context of the discussion, the<br />
form of Wayang Kulit is addressed, i.e. the Javanese puppet shadow play.<br />
312 313
tion. It’s like a bridge when we combine a new thing and a traditional<br />
thing. A bridge to the young people, giving more knowledge<br />
about their tradition and giving them new appreciation for new<br />
things as well. As for traditional artists, they will protest if old storytellers<br />
or old puppetry players are making something different<br />
– but young people, they just say: “Okay, no problem.”<br />
HG But how is it with this holy aspect, the spiritual aspect of the<br />
instruments and the figures, when you are doing a new thing?<br />
IR: So, the format we made is that we have a session as a kind of<br />
introduction, which we did, and then we have a short talk. This<br />
talk was a little bit elongated, so we might re-work our structure.<br />
And then, there is a second session for finishing up our meeting, if<br />
you are okay with that. That could be just a short session to frame<br />
it somehow.<br />
RK: Let’s play.<br />
SJR: It depends on how we deal with our respect for this instrument.<br />
If we use this to fool around, many people will reject it and<br />
say: „No, you are crazy.“ But if we are making a new melody or<br />
a new sound from this, it’s no problem. Some time ago, maybe<br />
twenty years ago, young people tried to make something new with<br />
Gamelan, but they did not really respect the tradition; for example,<br />
they took the gong and just threw it and tried to make a new<br />
sound. But this is not really valuable and breaks the heart of the<br />
community. But now the young people know how to respect these<br />
instruments. They know that the puppets are holy and have their<br />
grace. They try to make something creative, but still with respect<br />
for the community.<br />
RK: I think many Westerners never studied Gamelan, or many<br />
people in Indonesia itself, in the younger generations, know very<br />
little about Gamelan any more, especially about the whole cosmological<br />
aspect of Gamelan, for instance the hierarchy of the instruments.<br />
It’s not the fast ones which are important, but the big gong<br />
is the most important instrument in the whole thing. And when<br />
the Bonang plays the faster parts, it’s okay but messing with the<br />
gong, messing with the instruments when stretching your feet out,<br />
this is all cafard, bad.<br />
SJR: Yes. Also, building the Gamelan instruments is very difficult<br />
and dangerous. Lots of time is needed to make them. That’s why, if<br />
we throw the gong, they will cry. Really cry.<br />
314 315
4<br />
Interview<br />
Biliana Voutchkova, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Communal Hall Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
2013-12-13<br />
Heike Gäßler: How did you feel about the improvisation?<br />
What was important for you and what emerged<br />
for you in this improvisation?<br />
Biliana Voutchkova: What is generally important for me in improvisation<br />
is to follow the momentum, to stay with the very present<br />
momentum, to have this linear awareness about what is happening<br />
right at this moment and then just to go with it. What was created<br />
should actually be left to the people who are perceiving, since<br />
everybody has their own personal perception. I am going to talk<br />
about the second improvisation, because it was more interesting<br />
for me. What we created became very narrative at some point. But<br />
what I liked is that it still stayed abstract somehow. The narration<br />
was not really direct in that sense, because we had the abstract aspect<br />
at the same time, and I liked that a lot. Somehow, we never<br />
left this zone of freedom even when we went into those narrative<br />
moments of more direct communication, either physically or with<br />
the voice. And I also liked how things just faded out in the end and<br />
everything became almost funny, coming to a point of laughing in<br />
some way.<br />
HG: How did you feel about the time during the session?<br />
How did you experience time?<br />
BV: I’m not so much aware of the time, going more for following<br />
the linearity of the momentum. At every moment, you have to keep<br />
the awareness to follow the moment, because it is very easy to miss<br />
something in a split second, if you are not completely aware.<br />
HG: How do you understand instant or real-time<br />
composition? What is important for you?<br />
BV: The word composition already implies a certain development<br />
and a certain thread that one can follow throughout. Real-time<br />
composition for me is to be able to create something by following<br />
this thread, by following the flow, while you shape it according<br />
to what you want to do with it. It’s not a mixture of random<br />
events, actually only specific things can happen. There is not<br />
much of a choice when you get to this momentum, there is only<br />
that one thing you can do in order to really follow the thread and<br />
make something out of it. That’s where the composition is coming<br />
through.<br />
HG: What meaning has the moment for you? What is<br />
the moment?<br />
BV: The moment is actually very hard to describe. Because when<br />
you talk about the moment, it is already in the past. And at the<br />
same time, when you talk about something which will be coming<br />
then it’s still in the future. I think it is just pure awareness. It’s a<br />
sense for me. I cannot explain it, it’s a particular sense – what this<br />
tiny split of a second is doing to you. Actually it’s not happening<br />
all the time, sometimes I lose it. I realise it and I try to keep the<br />
awareness of it, and once I get it, everything is quite easy.<br />
316 317
HG: How do you work with the moment? For example,<br />
what kind of technique did you use to work together<br />
with Ingo?<br />
BV: I try to respond on a sensorial level. As I said, it’s a sense for<br />
me. Once you are in this space of following the momentum and<br />
improvising, you are in a certain state which is not your average<br />
state as in your everyday life. It’s somehow increasing the sensitivity,<br />
the awareness, the focus. Everything is increased and then you<br />
try to respond to your partner with whom you are improvising in<br />
the present moment.<br />
HG: Do you have the impression that you are more<br />
giving or more receiving in an improvisation or is it<br />
just the same?<br />
BV: No, it’s changing between giving and receiving. This is actually<br />
a part of the sensitivity that you can recognise when you are<br />
initiating something, and you can recognise when somebody else<br />
is initiating something. And then you can decide to follow or not.<br />
So it’s a constant give and take.<br />
HG: How was it in the second performance?<br />
BV: Yes, it was like this give and take situation. Because I am actually<br />
quite careful about being not too strong, about not giving<br />
too much. By working with dancers, I realised that sound and the<br />
music can be quite influential. So I try to make sure that I give<br />
freedom to my partner. Actually, Ingo is brilliant in this anyway.<br />
I didn’t have to worry too much, we just kept being aware and responsive.<br />
I felt this was really good in the last improvisation.<br />
HG: When you create the moment, are you more<br />
aware of your inner feeling or is it more important to<br />
watch what happens outside?<br />
BV: I function mostly in relation to my intuition and senses, but<br />
that doesn’t exclude what is happening outside. So, it’s all included,<br />
but the way I respond to it and the way I know about it is intuitive.<br />
HG: What kind of meaning has the silent moment for<br />
you?<br />
BV: It can be very strong and it’s also one of these things that can<br />
be initiated or happen by themselves. It can just arrive, and I think<br />
it’s even stronger when it arrives and it’s noticed by the performers.<br />
HG: What is the movement doing with your sound?<br />
BV: In this particular context, when I work with dance and when<br />
movement is involved in improvisation, it’s doing quite a lot. I often<br />
try to focus on my gesture rather than on my sound. I shift my<br />
natural focus to something that is less familiar, and that often produces<br />
a different sound. So, I basically shift my focus. I don’t ever<br />
think about initiating movement, because movement is always involved<br />
inevitably. And by shifting the focus the sound production<br />
is changed.<br />
HG: How do you communicate with the space?<br />
BV: The same way. There is a certain sensitivity when you improvise<br />
and you are in this state where everything is magnified – you<br />
also have the sensitivity about the space, about the people being<br />
in it, about the sounds coming from outside, about sounds produced<br />
by us. Everything is affecting you in some way, and you also<br />
respond to it. In this particular room, because it’s quite bright,<br />
big and quite alive in terms of sound, it actually feels like a huge<br />
big space. Even if the space is not so humongous, it feels like it is.<br />
Because the sound travels a lot, and somehow you can’t grasp it.<br />
There is always something you can’t quite reach.<br />
HG: Does this real-time composition bring you to another<br />
level of reality?<br />
318 319
BV: I don’t know whether it’s necessarily another level in terms of<br />
being higher or lower, but it brings me into a different reality, or<br />
into a different state, that’s how I call it. So as I said before, my normal<br />
state is this way, and then I shift to that way. It’s a very subtle<br />
shift, it has a real start. That’s why we take a little moment before<br />
we start improvising – as do most people that improvise – to make<br />
the shift. I don’t really know exactly what happens, but it involves<br />
a shift in all the points that I already mentioned before, in sensitivity,<br />
awareness, focus, state. You somehow magnify those, and<br />
you need this little moment before you start. And sometimes it<br />
actually doesn’t happen so fast, and that is also a response to what<br />
is happening either in the room, with your partner in the moment,<br />
or with somebody in the room, an audience member or whatever.<br />
But by now, it’s quite noticeable for me when the shift happens. It<br />
comes from experience, and you have this feeling: ‘Okay, now I’m<br />
there.’ And that is how I like to work.<br />
HG: How did you feel about the two improvisations?<br />
Are there differences?<br />
BV: Yes, they were very different for me. The first one was much<br />
more related to initiating a thing myself. Or at least I felt that way.<br />
If you take consciousness, it has many layers, we were more on our<br />
lower layer for the first improvisation. During the second one, we<br />
went a little bit further into a higher level of consciousness where<br />
we didn’t have to initiate things because we were aware that they<br />
were already there. We followed more and merged with the flow.<br />
Ingo Reulecke: I wonder what the difference is between<br />
improvising with a musician or a dancer. Can<br />
you specify?<br />
BV: It’s very different. The first difference is that many musicians<br />
are really not taking into consideration the physicality in the moment<br />
when they improvise, especially improvisers. That’s not necessarily<br />
bad because you want to reach very far with your ears and<br />
that sometimes requires that you forget about the body. You are all<br />
listening. When I improvise with musicians I often do that, even<br />
if I don’t completely forget about my physicality because by now I<br />
somehow became aware of it. But I don’t necessarily pay attention<br />
so much, and so things go into a completely different direction.<br />
They go into sounds much more. When I improvise with dancers,<br />
not only do I notice the physicality, the room, and the people in it<br />
much more, but I also use it and relate to my gestures in order to<br />
produce sound. I actually try to use this physical aspect in order<br />
to get somewhere else with my sound. And it’s sometimes quite<br />
difficult, because I feel I can’t really focus a hundred percent on<br />
the sound. Which is not a minus or plus, it’s just a fact. I’d have<br />
probably about 70% available for the sound in order to be aware<br />
of the rest.<br />
IR: Do you think it’s a good practice for musicians to<br />
bring their physicality into consideration? To become<br />
aware of the idiosyncratic way of moving and to bring<br />
this into the improvisation game?<br />
BV: I think this is an interesting path. For example, I for myself<br />
just use the gestures I normally have for playing. There are specific<br />
gestures which are almost all the time the same or close to being<br />
the same for each individual. And when you start to realise them,<br />
responding and relating to them, then it’s already a higher level<br />
of physical awareness. It’s like breathing – when you notice your<br />
breath then it’s already changing something. And then there is of<br />
course much more that you can develop further.<br />
IR: Do you see a lack in education of musicians in<br />
the sense that they aren’t so much physically trained?<br />
They learn to play very well, but forget about the body.<br />
BV: Yes, but I think there is a lack of many other aspects of education.<br />
This includes the development of these general improvisation<br />
skills, or in general taking your eyes from the music and trying to<br />
see from a different viewpoint, getting informed about what else<br />
is there. I think the lack of educating the students in this direction<br />
320 321
is because of the business side. Becoming a successful musician<br />
requires a very high level of technical abilities, and studying time is<br />
limited in most higher institutions like conservatories, universities<br />
et cetera. They are trying to focus on giving these necessary skills.<br />
It’s a pity because I think there are many other things worth learning<br />
that can improve the individual development tremendously.<br />
But somehow, that’s not how this system works.<br />
IR: One could imagine that it would make sense or<br />
might be necessary to add these capabilities on top<br />
of the high qualification so that they could play literature<br />
and so on in order to become a more contemporary<br />
musician, artist, performer? But that would perhaps<br />
need a different curriculum.<br />
BV: I think this would mean first that the individual person has different<br />
necessities and different wishes about what he or she wants<br />
to achieve. If you want to get an orchestra job, then there is no<br />
need for anything else. The bottom line is that the person is studying<br />
what she or he wants. But there is another question: Does that<br />
person know that there are other options? Because often, when<br />
you are at high school, you don’t really know that you can go any<br />
other way. And so, there should be possibilities somewhere in the<br />
system to have information about your choices later on. And then<br />
it would be good if you already knew that your choice is not the<br />
way which is the standard, for example as a violinist, but that you<br />
have the possibilities to choose what to study. There are already<br />
higher education institutions that offer programs for specific career<br />
directions – new music and improvisation are among those.<br />
But it’s just not happening very often. And many students that<br />
graduate from High School and decide to go into music actually<br />
don’t have much information about it.<br />
ceive this after a couple years of improvisation with<br />
these movers here in Berlin? Can you speak about difficulties<br />
or lack of knowledge, is something like that<br />
existing?<br />
BV: I don’t know. It’s hard to tell. I think if I compare a musician,<br />
who has limited or no physical awareness and no improvisation<br />
skills, to a dancer, who has limited awareness in terms of sound<br />
and music, then I still find the dancer more advanced because<br />
sound and music is part of his/her work anyway. Even if it is not<br />
addressed as much, it is still there, it exists. But in the music field,<br />
it doesn’t exist at all. There is not any awareness or any necessity<br />
to know anything about physicality. I would say that musicians are<br />
still more lacking in this regard than dancers. I mean, that is of<br />
course different in the more performative fields where people are<br />
already interested in combining arts or working with each other.<br />
There are ways to find out. It’s not accessible for a lot of musicians,<br />
even though I think all could benefit from it.<br />
IR: Let’s think about the other side – the movers, the<br />
dancers. What do you see in their education? Do they<br />
lack something in terms of relating to music, contemporary<br />
improvisation and so on? How do you per-<br />
322 323
5<br />
Interview<br />
Clayton Thomas, Heike Gäßler,<br />
Carlos Bustamante, Ingo Reulecke<br />
Ninth Floor EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
2014-03-19<br />
Heike Gäßler: How do you feel about the two improvisations?<br />
Clayton Thomas: It was a very strange situation in which to improvise.<br />
I think situations like this create contrivances that are difficult<br />
to relax into when you are asked to present something. So it<br />
was quite difficult to find a genuine point of real improvising.<br />
HG: And what was important for you in these sessions?<br />
CT: Meeting Ingo again, that was important. But how do you define<br />
important? Did I have an epiphany, did something happen that was<br />
new, or was it revealing or did it open up? You know it’s a very broad<br />
idea. I had a very good time playing with Ingo, but important is a<br />
heavy word – for a schoolroom. What was really nice was seeing,<br />
looking at how material that you are developing, or that you get to<br />
because of the visual situation, naturally develops. Which is how I<br />
try to play things, to be in the material and then have it move organically.<br />
I was seeing where Ingo’s natural movement would transform<br />
also for him because he is in his own material object. And I was seeing<br />
when those parts came together for a reason and when they naturally<br />
merged out of their own behavior, separated or came together<br />
because of the natural inclination of the material. And so, looking at<br />
where I would end up when we started at the same point because<br />
each of us was following his own line is interesting, and I appreciated<br />
that. That was valuable. I really enjoyed that.<br />
HG: You said you liked to meet Ingo. Where did you<br />
really meet him in these sessions?<br />
CT: I think when I was prepared to stop and just wait for it to finish<br />
I felt like I met him in the first piece, somehow. That for me was<br />
actually important – not to be told to play for twenty minutes, but<br />
to accept the natural conclusion of the theme and to see how he<br />
responded to that, and I like that a lot. Actually I felt very much together<br />
with him in that moment. And so the second set was more<br />
in the way that we sort of accepted the situation.<br />
HG: How do you feel about the time while being in<br />
the sessions, the time of twenty minutes – when you<br />
were playing?<br />
CT: Again it’s part of the contrivances of the situation. You know<br />
that you are asked to do something that’s arbitrary and has nothing<br />
to do with the relationship you build in the performance with<br />
the person you are working with, the natural flow of material or<br />
ideas and inspiration that are happening because you are working<br />
together. It is like a limitation and an obligation. I don’t feel very<br />
good about that kind of a situation.<br />
HG: Was it a burden for you? Or was it like relative<br />
time and did it change?<br />
CT: It meant that you had to limit where you went and to think<br />
about limitations the whole time. Of course, I was in this situation<br />
by choice – you know I said yes because I had wanted to meet this<br />
guy. It was what I had wanted to do. Still, I felt like the situation<br />
created an odd and unnatural environment in which to do that.<br />
So, I felt about time as a hindrance and an odd obligation that was<br />
irrelevant to the work, to the activity. But because of that, it made<br />
something happen. So that’s interesting. Not to be negative. I´m<br />
not actually negative about it. I’m straight.<br />
HG: What is an instant composition for you?<br />
324 325
CT: Making decisions in awareness. Being conscious.<br />
HG: What is the meaning of a moment for you?<br />
CT: Presence, being present.<br />
HG: How do you create in the moment?<br />
CT: By being present. [Everybody laughs]. That’s true, that’s really<br />
the thing. To see your creation in the moment it happens.<br />
HG: Could you tell me what kind of technique you use<br />
when you are in contact with the movement of Ingo?<br />
CT: Like in technical terms? I have a double bass, I have a bow and<br />
I put objects in and onto the bass, to make it behave like a different<br />
instrument. And I explore the behavior of action within those<br />
environments of the bass and listen to them and then see where<br />
they go, based on how the room exists. That’s one part of it. And<br />
because I know these materials quite intimately, I can make my<br />
decisions in regard to what kind of environment they create. And<br />
therefore I can move within the moment, based on how I perceive<br />
Ingo’s relationship to what they are or his separation from this relationship.<br />
So, I hit things and I stroke things. And I listen to overtones<br />
and to harmony and to noise. And I try to construct and be<br />
present about the construction of those things.<br />
HG: Do you feel that you are more the one who gives<br />
impulses or the one who receives them?<br />
CT: It seems to be within my character to give a lot of impulse in<br />
most of my musical situations. But I’m not sure whether it is like<br />
sound versus visual. The impulse of sound and the visual impulse<br />
live on very different planes. I would not say I gave the impulse to<br />
Ingo. I just tend to be clear about my ideas. And I think our impulses<br />
exist in different places because Ingo is incredibly clear as well.<br />
HG: How do you decide in the moment to communicate<br />
with the movement? Are there any principles<br />
that lead you?<br />
CT: I feel very comfortable with independence from movement. I<br />
tend to avoid being narrative, because that’s like an active thing. I<br />
think of space and sound as three-dimensional things. We’re part<br />
of a three-dimensional object which has sound and movement,<br />
and those things can be very independent or very connected. And<br />
sometimes the sound, because we are narrative beings, could be<br />
sensed as having a narrative. And so it’s interesting to look at that<br />
when it happens. I don’t try to distinctly make something happen<br />
for Ingo. But when I’m playing, I enjoy that playing in a dance context<br />
creates something for him to fight against. There is a kind of decision<br />
for me when, in the moment you know what you are doing<br />
(like „Okay, I am playing time and you are dancing, and so, what<br />
are you gonna do?“) and it’s very clear, then that becomes a very<br />
obvious point where you can go. You are working in counterpoint.<br />
And I can see your counterpoint, and I can see my statement and<br />
try to abstract it. And you don’t have to feel obligated to work with<br />
it. It’s communicating on all these different planes. For example, I<br />
thought a lot about making sounds that make sure that my arms<br />
look like Ingo’s arms. I worked very hard sometimes to make sure<br />
my veins were popping out and my arm was popping out. Because<br />
that’s what I was seeing with him, and I thought: ‘Okay, that’s him’.<br />
That’s a motivation. The things that make you connect aren’t necessarily<br />
obvious. A lot of musicians would play time to signal ‘This<br />
is where I am’ – trying to make a connection when they are actually<br />
not. And I’m doing the opposite, somehow. Using time as a way<br />
to keep him away.<br />
HG: Your inner condition, like emotions, are they important<br />
or do you care more about the outside?<br />
CT: Everything contributes. You have your physical habits on the<br />
instrument. For example, I’m actually very tired. I played a lot of<br />
music this week, and I was overwhelmed by different types of mu-<br />
326 327
sical experiences. And I’m exhausted. But I feel really good on the<br />
bass right now. And it feels really relaxed and it has its own energy.<br />
So that’s physical. Because you asked if my condition is good physically<br />
and I feel very comfortable with the bass, it’s not fighting<br />
against me. And I feel so tired that I’m not being aggressive, and I<br />
don’t have any room to give emotional energy to it other than just<br />
to be exactly where I’m at, which is sort of quite stable, I would<br />
say. It’s a nice exhaustion. So I think everything is affected. I can’t<br />
separate the physical or emotional things, but it‘s nice when your<br />
physical self is functional, because then the music can get into<br />
your emotional space. If you struggle physically it’s very hard to<br />
let your emotions actually be where you are. Because that creates<br />
a different emotional space.<br />
HG: What about breaks or pauses? Are they important<br />
for you?<br />
CT: There is no such a thing as a pause. The question is what is<br />
music and what isn’t music when you are in the active playing.<br />
So in the playing, there is no pause. Unless you stop. Like ‘Stop,<br />
stop!’ Like ’Actually that’s it, okay’. In the active playing, the pause<br />
is the music. So I don’t think about a pause in that way. It depends.<br />
Sometimes the music needs a pause. But it’s still the music. In our<br />
two sessions, when I was playing a solo and the movement needed<br />
space to not be dominated by the sound it seemed to be an important<br />
part to give over this space. Also, I can dominate sonically<br />
and I can dominate emotionally since music tends to create these<br />
emotional environments. If you like it or not. So the silence is a<br />
kind of indication: I’m not doing it to dominate you. It’s a part of<br />
the communication maybe. I don’t know if I was silent or not. A<br />
little bit. Could have been more.<br />
HG: What is the movement doing with your sound?<br />
HG: In which way?<br />
CT: It makes it concrete.<br />
CT: It creates sound by itself, creates all kinds of images and associations<br />
and emotional contact of people listening. There is a movement<br />
in the relationship between the dancer and the musician as<br />
well. But this is an answer off the top of my head, I could say the<br />
total opposite thing tomorrow. [Everybody chuckles]. That’s how<br />
it happens, you know. It creates a very distinct human voice in music.<br />
Suddenly, the context of the emotion is quite set. It’s like someone<br />
is moving in a way that you can really understand because you<br />
have a body as well. And that way it creates a concrete relationship<br />
with what the music meant to me. Even though it’s probably not<br />
the intention of the mover but that’s somehow what happens. It<br />
becomes a more concrete object when you have movement and<br />
sound together. Which is probably something Ingo fights against<br />
regularly.<br />
HG: Do you also communicate with the space and<br />
what kind of meaning has that space for you?<br />
CT: I try to avoid the space, to avoid thinking about the space. I<br />
just listened to the space, and I didn’t want to look at it. It’s an awful<br />
space, visually, but that’s fine. That’s interesting. I tended to be<br />
actually separated from the space as a physical entity, just thinking<br />
about how it sounds and Ingo in that sound. Not on that chair.<br />
More as a physical object.<br />
HG: Did you have any difficulties during the sessions?<br />
CT: Nothing specifically. But it’s always challenging to find the<br />
music speaking for the music itself when the context is so specific.<br />
For instance, if it had been Ingo and I in a private place, not doing<br />
a recording, not doing a video, not contemplating the questions<br />
being asked, then it would have been a very different situation.<br />
HG: Could you name one difficulty which you had<br />
now?<br />
CT: Knowing that you were going to ask questions about it. Be-<br />
328 329
cause it puts a context into the situation. Somehow, coming into a<br />
room in the middle of the day and being told “Okay, be inspired!”<br />
is really difficult. But some things happened that I felt very good<br />
about. It was difficult but we did something nice. But again, it’s<br />
such a contrived situation. It’s not like you are filming for a day,<br />
getting to know each other and then taking twenty minutes out<br />
of a day‘s experience and saying that this was really valuable and<br />
a worthwhile presentation. It really wasn’t like that at all. Instead,<br />
it was like: „Okay, come and take your things out. Now do something.<br />
Now stop! Who is having a break? Why are we having a<br />
break? Because we have decided that we are going to have a break?<br />
Can somebody tell me we’re having a break? We’re being interviewed<br />
now? So now, we go back and do it again? Why? Because<br />
we’re meant to do 20 minutes, and we have only done 15 minutes?<br />
So, can you please do that now! And please make it better than the<br />
first time!“ [Everybody laughs]. I’m ripping. Anyway.<br />
HG: Does this real-time composition lead you to another<br />
level of reality?<br />
CT: The other night, when I was playing with Britta 12 , I recognised<br />
that you are actually a very different human being when you play,<br />
compared to the one who isn’t playing. So, yes. You can’t always<br />
get there but sometimes you can. I´m not sure if I got there today.<br />
When you improvise, it’s not given that you become that being with<br />
a heightened perception – but it does happen.<br />
IR: And are you adapting to this stuff immediately?<br />
How is it working?<br />
CT: You’re just listening. You listen and make the most out of the<br />
things you ended up with. Because all these things are all like on<br />
the fly and they are not like knowing that the next note will be an<br />
a-double-sharp. It’s totally like: ‘Okay this preparation has created<br />
that thing. If I move it, that would happen.’ You’re listening to how<br />
the bass responds to what you are doing to it – and keep pushing it<br />
that way. Or you just ignore it and do the thing you just want to do.<br />
But it depends, because you go through different phases. It’s like listening<br />
to your body when you‘re doing something or deciding what<br />
you’re gonna do.<br />
Carlos Bustamante: Did the clock affect you in any way?<br />
CT: It was nice in the first piece when I stopped and I could just<br />
listen to the time. Because that was what I was thinking about. So I<br />
liked it. I hope it’s on the recording.<br />
CB: I think it is.<br />
Ingo Reulecke: How is the sound of this room?<br />
CT: Boomy, and it’s got a lot of subs. And there are a lot of low frequencies<br />
and a sort of movement in it. It’s really clear. There is a lot<br />
of resonance with certain frequencies. So there were certain things<br />
going on, for instance, you couldn’t hear the beating of the string but<br />
only the very deep sound it produced. It was really nice – nice sonic<br />
artefacts to deal with.<br />
12 Britta Pudelko is a dancer and choreographer who also teaches at the Tanzfabrik Berlin, she<br />
is also a member of the performance trio Grapeshade, together with Ingo Reulecke and Thomas<br />
Gerwin.<br />
330 331
6<br />
Interview<br />
Markus Pesonen, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Communal Hall Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
2014-05-05<br />
Heike Gäßler: How did you feel about the two sets<br />
and what was important for you?<br />
Markus Pesonen: First of all, it has been a while since we have<br />
done performances, and we never did duos. So it was really special<br />
with the focus of two people, one square and people documenting.<br />
It was a nice situation to step into. After not working together<br />
for a while, we could see where we are now. I love meeting people<br />
through any other means than talking. I did not want to talk to you<br />
too much. I wanted to meet in this performative medium at first.<br />
Because sometimes, that tells more than going on about what we’ve<br />
been doing and so on. Just the fact of communicating through any<br />
other means than talking is really incredible for me – and it’s like<br />
one of the lost arts of humans. It’s really important. And then specifically<br />
about these two sets: As we performed, I loved to see how<br />
the form unfolded with very clear pieces and distinct parts. For<br />
example, the first thing had about three movements. And I like<br />
it because it was not something I like to do. I also don’t think it’s<br />
something that Ingo planned. It just unfolds, like you observe it<br />
and you start to realise: ‘Ah okay, this is kind of clear.’ And what I<br />
love the most about this is that we decided together that the first<br />
movement was over and we moved to the second area. It’s like a<br />
feeling you have that you both understand the form or that you<br />
can read it and feel it in a way like ‘Now we are done, we can make<br />
a clear decision together’. This I enjoyed very much.<br />
HG: What was the communication about in the first<br />
and in the second set?<br />
MP: In the first one, at the start, I just wanted to tune into what<br />
Ingo was doing. I was quite minimal, just providing the necessary<br />
atmosphere for him to start to create. In the second part I felt like<br />
signalling: „Now I am going to give you something and you have<br />
to deal with it!“ Not all the time but at the starting points. I like<br />
extremes, and I like to start from a totally different place the next<br />
time. These are the small decisions we make. And then there is the<br />
intuitive part where you just follow what you feel like. But sometimes<br />
you just think: ‘I want to challenge the situation more’. What<br />
I like about good improvisations is that I know I can do anything<br />
and it will be okay, that I can push against him or do something<br />
really provocative. And it will be a good thing, and it won’t scare<br />
him off or it won’t be too much. Politeness is nice in talking in the<br />
everyday world, but in performing it is not necessary at all.<br />
HG: Do you see yourself more as the person giving<br />
impulses or the one receiving them, or is it a mixture?<br />
MP: It’s a mix. Maybe, I have the tendency to give impulses more.<br />
But it’s so hard to say. You give an impulse but why did you do it –<br />
possibly because you reacted to something. And you can also react<br />
to something which actually is not being there. It’s not always that<br />
the impulse is when you do something. It can also be very strongly<br />
not doing, and then the amount of space left requires it that you<br />
just have to do something. It’s a tricky question.<br />
HG: How did you feel about the time? How did you<br />
experience time?<br />
MP: The minutes passing like time? I have quite an accurate inner<br />
clock in my heart, so I just know where we are in those twenty<br />
minutes. But I don’t really think about it. Somebody once told me<br />
‘Don’t think about the end, let the end come to you’. This is very<br />
comforting. I don’t have to try to get to the end. I am where I am,<br />
and the end is just coming to me. So, I don’t really think about<br />
time. In the first part, I was a little surprised how much we could<br />
fit into twenty minutes. It felt like my inner clock was one minute<br />
332 333
short, and only when he finally raised his hand I realised we had<br />
reached the time limit.<br />
HG: What do you think about real-time composition?<br />
MP: There is no chance to edit it. But it’s a composition like anything<br />
else. When I compose for the orchestra, for example, it’s still<br />
kind of real-time. I try to get the stuff out of my head as fast as I<br />
can. But then the difference is that I can polish it afterwards and<br />
edit and change. Real-time composition seems to be a word that<br />
the dance world uses more than the music world.<br />
HG: How would you call it?<br />
MP: Improvisation. I like the real-time composition focus. It gives<br />
a connotation that you are aware of the form. Sometimes you can<br />
see an improvisation that’s almost formless in a way. Which is<br />
form too. But some improvisers are more aware of the compositional<br />
aspects of things, and they might want to vary the themes<br />
they have created, bring something back which they played before.<br />
They have this intellectual level of planning or referring to what<br />
they did. Other people are more like crazy animals and they just<br />
go [wild], and then something happens.<br />
HG: And you? What did you do?<br />
MP: Both, of course. Sometimes, you like to surprise yourself, and<br />
you try to think of doing something which is the opposite of what<br />
you would normally do. For instance, we had this loud thing and<br />
then the soft thing, and then we played a little bit with dynamics –<br />
that created this clear composition. Once you start it, you have to<br />
finish the puzzle. Sometimes you start things, and you just know<br />
‘Oh no, I created something that I’m referring to, so now I’ll have<br />
to finish it in a way’.<br />
HG: What kind of meaning has the moment for you?<br />
MP: Well, there is nothing else than the moment. That is everything.<br />
HG: And how do you create in the moment?<br />
MP: At best, I just follow what comes in a way. It feels like you see<br />
two seconds into the future and then you fulfill what you see. But<br />
sometimes it’s a flow stream in which you are in, and in the other<br />
moment, you are out of it. And when you are out of it, you maybe<br />
need some tools or you might have some routine. You have your<br />
bag of tricks and the handcraft of performing which comes into<br />
place somehow. Then you might have to think a bit. But at best,<br />
you don’t have to.<br />
HG: And what is your bag of tricks when you are<br />
working with movers? Or what is the technique you<br />
like to use?<br />
MP: To either look very carefully, to focus on the detail of the<br />
movement or to not look at all, almost just with the corner of the<br />
eye. It’s not conscious all the time but this can sometimes be nice<br />
to work with, it’s like zooming in. If you want to look for inspiration,<br />
you look into the detail and tune into the smallest thing.<br />
Sometimes you get a general idea, more like feeling the energy or<br />
you see it with the other senses or maybe you see it from the corner<br />
of the eye. When things happen simultaneously, sometimes it<br />
works better not to look directly. You give yourself the chance for<br />
your intuitive perception to work, other than trying to see what is<br />
here. So these are two ways of looking at or feeling the dancer that<br />
are quite different. This can help when you feel that you need a<br />
change of perception.<br />
HG: Are your inner emotions important or are you<br />
going to the outside when you create?<br />
MP: They are very important. Like now, when I come here from<br />
a very chaotic life and I feel it’s a refuge that I can play music for a<br />
while. And then I don’t need to think about the troubles. Of course,<br />
334 335
it always affects and I want it to affect. I let the day affect. But then,<br />
when you step into the area of creating art, those emotional things<br />
tend to disappear or they don’t have a grip on you in the same way.<br />
It’s the same phenomenon that people achieve with meditation –<br />
when you are not so caught up with your emotional state. Lots of<br />
things will go through you – but it does not stop you from playing.<br />
You don’t drop your guitar even though you still might feel those<br />
feelings.<br />
HG: What kind of meaning has the break for you?<br />
MP: That’s the good stuff. It’s the most intense part. That’s the part<br />
when the people are most present. I like the breaks. I like to play<br />
with them and see how far you can take it. When you have a break<br />
with a very good tension it’s interesting to see how far it can carry<br />
or what happens inside that break. The breaks somehow define<br />
the other stuff. They give weight to what has just happened before.<br />
And they are a bit scary sometimes for people. Which I really<br />
enjoy as well. I’m coming from Finland. We are used to silence<br />
and uncomfortable breaks. But not everybody in the world is. So<br />
I’m always smiling like ‘Oh this is uncomfortable’. Not always, of<br />
course, but it’s a part of my culture to have those breaks.<br />
HG Do you communicate with the space, and what<br />
kind of meaning does it have for you?<br />
MP: Well, obviously many levels. For me as a musician, the acoustics<br />
are very important. You walk into the room and you clap your<br />
hands and listen to the sound and say: „That’s okay, that’s what<br />
it is, and that’s what we are going to work with.“ That’s the bare<br />
acoustics. Then, if you know anything about the history or the use<br />
of the building, that has an effect. What is it that usually happens<br />
there? Think about that. All the little details in this room. Also I<br />
have been working on a piece where I did some scratches on the<br />
wall. It’s like you get to know the space. It has a big meaning. Especially<br />
for an improviser, it is a new challenge when you go to a<br />
new space. You have to somehow master this space and time. One<br />
thing is to become friends with the space you are in or to explore<br />
it. It sounds kind of obvious...<br />
HG: How do you work with this space?<br />
MP: With this space, the square decision was crucial. Acoustically,<br />
it is quite special. Because the sound has a long reverb and different<br />
harmonies that come out, you can hear them in the silences,<br />
so they are interesting to play with. In a way, we created this space.<br />
We had all these walls which didn’t really exist, and we had the<br />
square and that’s our created universe inside that church. In a way,<br />
I blocked out everything outside of the square. I like the decision<br />
that we concentrated on this area.<br />
HG: Did you have any difficulties?<br />
MP: The string broke. So I had to figure out how to play with one<br />
string less.<br />
HG: Does this improvisation or real-time composition<br />
bring you to a different level, another feeling of<br />
reality for example?<br />
MP: It’s the best kind of practice that a performing artist can have.<br />
You just have to deal with yourself. Sooner or later you have to<br />
come to terms, getting to know yourself. And it’s good. It’s very<br />
confrontational and naked and valuable to observe how you react<br />
in this social situation of performing. When I started to be interested<br />
in meditation, later on in life, I realised that I had been<br />
touching these areas before. Because of the performance art, I was<br />
used to this type of awareness. And I think it’s a blessing for an artist<br />
that your work can also at the same time be – for lack of a better<br />
word – a spiritual work. Or a work which requires you to confront<br />
yourself. I feel really lucky to get to do this kind of things.<br />
Ingo Reulecke: Maybe we could get back for a short<br />
moment to the dance and the dancers. Could you name<br />
336 337
what interests you in dealing with dance, what kind of<br />
performers are interesting for you, and what are you<br />
looking for in this direction?<br />
MP: I’m very interested in our past. Before there was culture, before<br />
the civilisation, before the idea of art, there were still people<br />
who danced and made music. It was just not performed, I guess.<br />
This connection is so ancient and so important, very natural. The<br />
fact that the body just wants to move to sound... There was a study<br />
which found out that when you hear music, you actually make a<br />
conscious effort not to move. So this is something that is such a<br />
nice connection. It goes way back so much, the sound that makes<br />
us move. And I love how bringing another medium like dance together<br />
with music makes my music sound different, and my music<br />
makes the movement look different. If I played my music in a concert<br />
and then maybe something similar for a moment here, it would<br />
be completely different just because of the dancing. And that’s the<br />
great thing about the different art forms. I can do something with<br />
music here that I can achieve together with dance which goes to<br />
another level – I couldn’t achieve it with music alone. And it is<br />
interesting to be in another art form which also deals with time.<br />
The passing of time is one of the most fascinating things we have.<br />
We only have our attention and our time passing. With the dance<br />
it gets even more attention. Because sometimes with music, you<br />
go into your mind and the music is there to create the atmosphere<br />
for you in your mind. But the dance gives me a chance to be even<br />
more present. And of course, the dance brings the spatial aspect to<br />
everything. You are getting to work with space and time and not<br />
just with time. Which is great. What I like in dancers is the challenge<br />
that somebody can just kick my ass and I get to learn something.<br />
Not only can they dance to the music, but they can take the<br />
lead. This is the quality that fascinates me. It’s a detail, but it’s quite<br />
important for me that there is an equal amount of impulses and<br />
listening. That there is a strong enough counterforce. And that it<br />
feels like a nice game. Any good improviser is looking for this kind<br />
of quality of being ready to jump over the cliff at any moment. Not<br />
to drop into the routines which we sometimes do as performers,<br />
staying in our comfort zone, and there is nothing wrong with that.<br />
Somebody said that in an improvisation there is truly only five<br />
percent of improvisation, and those five percent really count. If<br />
people are brave enough to do these five percent of real improvisation<br />
inside that improvised language they developed.<br />
Carlos Bustamante: The music is also part of the space, especially<br />
in this room – I really feel the space.<br />
MP: I totally agree with this. I guess I should have specified that<br />
the senses are not just hearing the space. Of course, there is a visual<br />
medium, it makes you listen to the space more than you would<br />
otherwise. Somehow, it gives more focus to the space in a way.<br />
CB: In the way Ingo dances, he has created space, even though it<br />
only took place within the square (which for me was a diamond),<br />
but sometimes how he would get to the edge, across the edge or<br />
not – this suddenly changed my whole perception of the space we<br />
are in. And a lot of times he was in dialogue with the sounds that<br />
you were making. So that space has an acoustic value. Also Ingo<br />
was giving [shape] to that edge which he created and which yet<br />
didn’t exist, but he made it palpable.<br />
MP: Yeah, it’s so crucial to create something to break like this<br />
square.<br />
CB: A diamond! We had the camera here at this square or rectangle,<br />
and for some reason I had to go over where Heike was sitting<br />
and I said to her Heike, look, a diamond. So it became a different<br />
space, compared to what I had seen when I came in. I hadn’t seen<br />
it as a diamond then.<br />
MP: Sometimes it’s only the perspective of things. I saw this retrospective<br />
of James Turrell 13 in L.A. It was one of the most incred-<br />
13 James Turrell is a Land Art artist who is especially known for his installations dealing with light and<br />
space. See: James Turrell, https://jamesturrell.com, last access on May 11th 2021.<br />
338 339
ible spatial art works I have ever seen. Like a black room and in<br />
the corner some part white, and when you walked into the room<br />
it became a three-dimensional square which moved all the time.<br />
And all the time, your perception was at its limits, for example,<br />
sometimes the dark room was only filled with minimal light and<br />
you were not sure if you saw something for real or if your brain<br />
created it. The threshold of perception was so very low because of<br />
the minimal light. Turrell works with light and shapes, of course.<br />
The big piece was a large room where there was just a large canvas<br />
of light. And you look into it and you cannot focus and it could be<br />
this close or infinitely far away, and that brings you in this existential<br />
space where you just lose the perception of the space. Then<br />
there is this low fading with colors from blue to red. And when<br />
red comes, it‘s super emotional. It’s just a color, but it is so strong<br />
for us when it’s isolated from anything else and you cannot see the<br />
distance. There is no object to refer to. It’s just pure color in a way.<br />
So I was super inspired by his work because it’s engaging you to<br />
deal with your limits of perception. And this is where the magic is.<br />
Just as looking at this square here from a different angle makes it<br />
a diamond… It changes your perception. I think, all these things<br />
where the artist is making a great art piece where the audience can<br />
then observe their own things – it’s the greatest. It’s like the artist<br />
has to get out of the way sometimes for the art to happen. Turrell<br />
bought a whole crater in Arizona, where he has been working for<br />
about ten or fifteen years, and it’s all connected to observing astral<br />
things. It’s quite incredible in the sense of also creating something<br />
for looking at the stars. We have all these old things like pyramids<br />
to track the movements of the stars, and we have the telescopes,<br />
but we don’t really create any more of this kind of architectural celebrations<br />
of nature somehow. Or not so concrete as that, at least.<br />
One of his pieces is just framing the sky in a room where there is<br />
no roof. You just have the sky framed. It’s so incredible and simple.<br />
your senses). There is so much magic available if somebody leads<br />
you in that way, to be quiet enough to actually see what’s going on.<br />
CB: Yeah, that’s beautiful.<br />
CB: Like the basic things that disappear in the normal world.<br />
MP: Which also brings us to the notion that everything is already<br />
there and then you only have to zoom in to observe (to inform<br />
340 341
7<br />
Summary of Interview<br />
Klaus Janek, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Communal Hall Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
2013-10-16<br />
Reflecting on the three sets, Klaus Janek found them all harmonious, with each<br />
set being different from the others. For both the musician and the dancer, one<br />
idea evoked the next idea which in turn was caused by the first one (demonstrating<br />
a mutual interaction of past and future through the present moment).<br />
The perception of time is different during the instant composition, depending<br />
on dramaturgy and an arc of tension. In the second piece, Klaus Janek and Ingo<br />
Reulecke actually came to an end one minute too early.<br />
For Janek, an instant composition is quite different from an improvisation,<br />
since he and Ingo Reulecke and a circle of other artists have been developing<br />
a musical vocabulary for two decades which consists of a language of<br />
singular elements. Thus, for Janek, communication in the moment composition<br />
no longer ranges from A to C, but from A to Z (in terms of sensibly laying<br />
out the material up to the end). Another important factor is intuition which is<br />
actually not magical or mystical but a pool of knowledge acquired by means of<br />
reading, observing, listening and any other input channels. An essential aspect<br />
of this reservoir is the conscious reflection why the material was chosen. In the<br />
best case of an instant composition, there are no conscious decisions and the<br />
creative process is fueled by this reservoir.<br />
In contemplation of the moment, Klaus Janek considers it to be the vital<br />
aspect of the instant composition since it takes place in the here and now. In<br />
the interaction between musician and dancer, there is no dominance or no<br />
hierarchy. The moment composition is a one-to-one communication beyond<br />
hierarchical levels of giving or taking.<br />
Another aspect of consideration for Janek is the significance of the silence<br />
as a musical element, as which it was established by John Cage. The spatial<br />
aspects are also important for the performance, since many spaces have<br />
unusual characteristics in regard to reverberation or frequencies with which<br />
the musician must interact as well. For the place of this special performance,<br />
the Communal Hall, there is always the danger that the more delicate sounds<br />
could become too holy.<br />
When he compares working with dancers and working with other musicians,<br />
Klaus Janek notes that the energetic basis for communication is basically<br />
the same. Abstract music is basically about sound, not about groove, harmony<br />
or melody. What is left is a basis of energy from which both the musician and<br />
the dancer can build up.<br />
But Janek acknowledges the fact that, as far as the musical aspect is concerned,<br />
it is advantageous for him that he can remain in charge of the auditory<br />
realm. In response to the question which qualities of dance he finds appealing<br />
or irritating, Janek voices the thrills which he experiences when movement is<br />
involved in the creation of art. He explains however that he cannot relate well<br />
to classical or neoclassical dance, due to his own contrary style. Thus, he is<br />
mainly concerned with dance in the area of instant composition.<br />
Also, Janek is more interested in the abstract levels of music and dance<br />
which allow for the imagination of the recipient. The active and conscious perception<br />
of art stimulates the imagination of the recipient. It is a creative process<br />
for each individual which adds to his or her quality of life.<br />
Finally, he elaborates on the various tools and facilities he has at hand<br />
with his instruments for sound processing, involving loop machines, controllers<br />
and a MIDI computer built in 1982 (a system which never needed any<br />
modifications). In terms of the documentation of the whole performance,<br />
Janek places his emphasis on the final result and mentions that in this special<br />
case, the process of documentation has become a hybrid form between being<br />
art itself and being of service to the other performers.<br />
342 343
8<br />
Summary of Interview<br />
Dietmar Kirstein, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Communal Hall Immanuelkirchstraße, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
2014-02-10<br />
As a start of the conversation, Dietmar Kirstein reflects the differences between<br />
the sets. In the first set, he felt alone and self-absorbed. He describes that he<br />
listened to the very long ending moment of the piece with a joyful feeling of<br />
almost painful intensity. Also, he was more consciously concentrating on the<br />
factor of time. In terms of climax and structure, Kirstein kept himself totally<br />
out of any dramaturgy during the first set. For the second set, he worked on<br />
his material in new constellations, not caring about long waiting times, but<br />
entering the single patterns, creating layers of the small aggregations, changing<br />
rhythm and sound. Furthermore, the second part had a dramaturgy for Kirstein<br />
with processes involving both sound and dancer – which seemed to<br />
make time pass quicker in his perception. Also, he concentrated on the aspects<br />
of build-up, execution, tension and release during the second session.<br />
As Kirstein sees it, an instant composition is simply that [which the<br />
words mean]. Something new is created right away in the moment. Although<br />
for him in this case, the moment consists of the whole twenty minute set. For<br />
this moment composition, Kirstein created blocks, often by using the mathematics<br />
of rhythm with various combinations of times. In terms of giving and<br />
taking, Kirstein regards his part as variable, although it was his impression in<br />
the first set that both participants were more isolated. What was to be created<br />
in the instant composition was much more unknown in the first set.<br />
As to the question of breaks and pauses, Kirstein considers them to be<br />
extremely important, since they define the structure, providing an openness<br />
for him in playing as well as a connection with the dance.<br />
The aspect of space is another important theme for Kirstein, in regard to<br />
the qualities of the instruments as well as his own part – that which the musician<br />
can give to the dancer and vice versa.<br />
As Kirstein has often observed, the space of the sets has its own sound<br />
qualities in terms of reverberation, but he always enjoys playing in this room.<br />
For this moment composition, the long time of holding a constant sound<br />
seemed the most important aspect of playing with the spatial aspect – delving<br />
into a sound and into its changes before it softens and withers away.<br />
In answer to the question whether a real-time composition leads him<br />
to a different perception of reality, Kirstein states that this kind of setting is always<br />
a different reality, an extreme situation which requires new measures by<br />
the musician and transports him somewhere else.<br />
And working together with a dancer is always an exceptional situation<br />
for Kirstein, maybe even more important than working with other instrumentalists.<br />
344 345
9<br />
Summary of Interview<br />
Michael Thieke, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Movement Room EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
2014-02-17<br />
Michael Thieke reflects on the moment composition that both sets had a circular<br />
structure, starting from a certain point, moving away and then returning.<br />
Furthermore, Thieke wanted to begin the second piece with something completely<br />
different which allowed him to go in new directions. In conversation<br />
with dancer Ingo Reulecke, both agree that the two sets had similar arcs, although<br />
in Reuleckes perception, the second piece was more spherical – the<br />
dancer had to move around the musician who remained in his fixed position,<br />
which provided a basic constant. And Michael Thieke adds that, in the second<br />
piece, he was following more his own flow. During the first set, the mutual influence<br />
was more distinct.<br />
Thieke also registers that he is more in awareness whether the flow is<br />
natural or not. He is not consciously measuring time during the improvisation.<br />
One piece was played out almost in slow motion, and still the end came three<br />
minutes early. For Thieke, the time factor only becomes relevant in moments<br />
of transition or when tension lessens or when a formed structural element is<br />
introduced.<br />
As Thieke understands it, an instant composition is a piece of music<br />
or movement that is emerging at the moment, but based on the preliminary<br />
work of the participants. It is a situation of using material which everyone has<br />
worked out in relation to the moment. Thus, the instant composition is an intermediate<br />
phenomenon between something that is happening at the moment<br />
and something which relates to past actions and gained knowledge.<br />
As far as the moment itself is concerned, it has to do with being present<br />
and highly concentrated so that something can be created instantly. When he<br />
is creating from the moment, Thieke tries to find a starting point that is clearly<br />
defined by material or mood. And from then on, he gets into the flow, not<br />
thinking about the process or decisions anymore.<br />
In the ideal situation, improvisation takes place in togetherness, finding<br />
a common flow or experience. Thieke notes that there was a moment when<br />
both he and dancer Ingo Reulecke stopped – which describes the mutual improvisation.<br />
In regard to the question of giving or taking impulses between<br />
musician and dancer, it is his view that they were more moving on parallel lines<br />
without much direct interaction.<br />
About communication in the moment situation, Michael Thieke explains<br />
that he is not guided by any principles, he rather views the process as<br />
a phase of discovery. In terms of the musical layout, he views it as a long arc,<br />
thus the entire form of the process is of importance, but not necessarily every<br />
micro-development in communication. Thieke describes a moment in the<br />
piece when a certain sound he had produced was synchronous with the movement<br />
of the dancer‘s foot, and Thieke then followed these movements with the<br />
sound, repeating the synchronous pattern. But that was the only moment during<br />
the improvisation when Thieke actually improvised in regard to a concrete<br />
theme.<br />
The subject of the break or the silence is important to him as well, since<br />
that moment allows for the reverberation of what has just happened, and one<br />
can also play with details, perceiving the space. And he is also in communication<br />
with the space which is very present, not only because of the dancer‘s<br />
movement involved but also because of the qualities of sound.<br />
The real-time composition does not necessarily transport him to another<br />
level of experiencing reality differently, but it is an experience of higher intensity<br />
and more awareness of detail. Also, his mind becomes empty in a way<br />
that he is mainly absorbed with what is going on around him.<br />
346 347
10<br />
Summary of Interview<br />
Claudia Risch, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Movement Room EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
2014-02-26<br />
In reflection of the experience, Claudia Risch states that something very intense<br />
was created. Mutual impulses are important to her. She can take something<br />
as an impulse or let it be. And on the other hand, what she gives as an<br />
impulse can be taken completely freely by the other or not taken. Also, she<br />
found the sets very lively with a constant back and forth or up and down, but<br />
in a certain balance.<br />
When comparing the two sets, Claudia Risch points out the difference<br />
in density. While the impulses in the first set followed each other more rapidly,<br />
they were rather unevenly distributed in the second set which also seemed to<br />
have more peace and air. And it is no coincidence for Claudia Risch that she<br />
experiences the interaction with dancers on a physical level. The physicality<br />
also comes from the wind instruments like the flute, and then she is very deeply<br />
immersed in sound.<br />
On the subject of communication with the space, Claudia Risch states<br />
that in the beginning, she is contemplating where she is in the first place and<br />
how she perceives herself as a body in space. For Risch, the fact cannot be ignored<br />
that the musician is also present with the body – especially when dancing<br />
is involved. She notes that the movement of the dancer encourages her to<br />
use certain techniques that she likes to do and to bring to perfection, developing<br />
them in multiple layers.<br />
As a method of creating in connection with movement, Claudia Risch<br />
uses inspiration. She takes up aspects and performs the tension or the calmness<br />
of the dancer’s moves through representation in sound. Allowing pauses<br />
is another element of designing the process. She may even allow her eyes to<br />
take a break, since the two different lines of dance and music must be able to<br />
stand for themselves. The breaks also have the meaning of collecting and finding<br />
a new starting point, of placing question marks.<br />
Concerning the meaning of the moment, Claudia Risch finds the mo-<br />
ment to be a nucleus from which everything can spring into existence. Her<br />
guiding principles in the moment of creation are avoidance of repetition, right<br />
of choices and her very own subjective view which stimulates her sound processing.<br />
At this core, intuition is a key motive, i.e. certain accumulated experiences.<br />
Risch perceives different things and then chooses something that she<br />
spreads out and works out.<br />
When asked if her inner state matters more or if her perception lies more<br />
on the outside, Claudia Risch finds that this is variable for her. And she does<br />
not consider it her responsibility to worry whether she might neglect her partner<br />
when she sticks to her own growth. The other also has his or her freedom<br />
to act or react and might even appreciate a gap. But the connection between<br />
performers can also be a close proximity, as was the case in the two pieces with<br />
Ingo Reulecke. The search for a parallelism between the performers is something<br />
that Risch would find more boring.<br />
In a real-time composition, Claudia Risch has an awareness to place<br />
certain elements and accents. It is about equality of mind and intuition. The<br />
intuition comes from a lot of experience and from her explorations of music.<br />
Furthermore, engaging the composition leads her to a different perception of<br />
reality. She perceives the sounds that she produces and puts them in a different<br />
context.<br />
Reflecting the first set and how her body was affected by it, Claudia Risch<br />
notes that there was a concentration of intensified perception and expression<br />
of what she experienced and then relayed in her language. This concentration<br />
persists and enables a different perception and sensitivity.<br />
348 349
11<br />
Summary of Interview<br />
Thomas Gerwin, Heike Gäßler,<br />
Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Office at Inter-University Centre for Dance, Berlin-Prenzlauer Berg<br />
2014-03-07<br />
For Thomas Gerwin, a real-time composition is a spontaneously emerging<br />
composition. In contrast to improvisation, connections and structures are created.<br />
During the process, Gerwin envisions a larger picture of what could be<br />
created later or what is taking place now that could reappear or be varied. For<br />
example, he has observed how Ingo Reulecke moves at a certain point and<br />
what kind of musical material could be used again later for a similar movement.<br />
In communication with the dancer, concordant actions can be created.<br />
Thomas Gerwin uses the real-time composition to generate material in<br />
terms of a research. He knows his material, but not in the new combinations.<br />
In this respect, Gerwin follows the dancer spontaneously. On the other hand,<br />
the piece has a structure of certain sounds remembered and a length of 20<br />
minutes. For the end, Gerwin tries to create a small arc or briefly brings in the<br />
initial material again.<br />
For Thomas Gerwin, it is very different to work with dancers than with<br />
musicians, since the gestures and moves of the dancer take place spatially and<br />
with complete physicality. And when Gerwin tries to be responsive about this,<br />
his own gestures are of both physical and musical nature.<br />
The interplay of movement and music is the process which both performers<br />
are working on in order to create the complete artwork. For example,<br />
Gerwin might follow movements from here to there or up and down in musical<br />
terms, or sometimes he might set a counterpoint, placing little accents<br />
within the flow of Ingo Reuleckes movements. The interaction succeeds well<br />
when both performers are shaping the same body-kinetic music.<br />
For the two sets, Thomas Gerwin observed that both he and Ingo<br />
Reulecke were giving impulses as well as taking them. And while the first piece<br />
was a rather easy interplay, the second set was extremely intense for Gerwin,<br />
almost like an exchange of force.<br />
In the improvisation, other levels spring into existence for Thomas Ger-<br />
win when he becomes one with himself and when, at the same time, there is<br />
a union between creative ambition and creative achievement. In this exploration<br />
process, Gerwin observes how he probes into remaining at a theme or<br />
into the developments, but almost from a distance as it could be the case with<br />
musique concrète.<br />
Ingo Reulecke points out that there might be occasional irritations in an<br />
improvisation for a duet as some developments might not be wanted by the<br />
other performer. In response, Thomas Gerwin describes himself as a composer<br />
and also as part of a virtual theatre play in which dissonance is just another<br />
element of design.<br />
During the performance, Gerwin finds it important to focus on playing<br />
and to ignore all past worries or concerns. As he delves deeply into the process,<br />
the performance becomes both relaxing and physically demanding for him.<br />
After the two sets, he feels calm, although slightly exhausted and squeezed out<br />
of ideas.<br />
On the question whether there is not only mutual consent but also competition<br />
in an improvisation, Gerwin notes that he perceives it more as a pingpong<br />
game. Actual competition would be problematic as it rather obscures the<br />
music. But of course, it is also sometimes fun for him to show off, displaying<br />
his bits of virtuosity.<br />
In regard to the meaning of the moment, Thomas Gerwin states that<br />
when he performs, he consciously looks out for the moment, for tasting and<br />
shaping it. It becomes a beautiful moment when he can fully dedicate himself<br />
to the questions of designing it. And regardless of how the audience might react,<br />
he dives into the moment and allows himself the freedom of enjoying it.<br />
The subject of breaks and pauses is also interesting for Gerwin, as the<br />
silence is an important part of the gesture or the structure of the piece. In general,<br />
an unexpected moment of silence can be mind-boggling. But in a performance,<br />
it may be difficult to fabricate such an experience of reorientation or<br />
changing awareness.<br />
350 351
12<br />
Summary of Interview<br />
Thorsten Bloedhorn, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Massage Room EuroAkademie, Berlin-Tegel<br />
2014-03-31<br />
When he contemplates the nature of the experience of the two sets, Thorsten<br />
Bloedhorn explains that the first set had a quality of intensity. And while the<br />
second piece felt less intense, it was more dynamic by design and led the elements<br />
of dance and music away from each other more often. In an improvisation,<br />
he does not have very cognitive issues like thinking about important<br />
factors, instead he concentrates on getting into a flow at first and on accessing<br />
the memory of the body in regard to playing. What follows then is a communication<br />
which finds structure and an arc of tension. During the set, there is no<br />
conscious perception of time for Thorsten Bloedhorn, instead it is timeless as<br />
soon as it has begun. The hand of Carlos which signalled the end of 20 minutes<br />
brought Bloedhorn out of his flow since he had not yet felt an end of the<br />
improvisation. 14<br />
Considering the meaning of the moment, Thorsten Bloedhorn elaborates<br />
that it is actually the sequence of the arranged moments which is significant<br />
for him. On the matter of how he creates in the moment, Bloedhorn explains<br />
it is like being exposed in any space, as in this case now with Ingo. He just begins the<br />
journey, looking in all directions, setting for a path which both will march together.<br />
For Thorsten Bloedhorn, the concept of a real-time composition is more associated<br />
with improvisation than with composition, but in comparison to a jam session, there<br />
is a much more serious ambition involved. Real-time composers may therefore face<br />
an occasional need to distinguish themselves from both improvisers and classical<br />
composers because their instant creation is not arbitrary.<br />
The design techniques which Bloedhorn uses in conjunction with movement,<br />
find themselves in his pool or palette of resources. They are his possibilities which he<br />
can access, and sometimes his decisions are conscious, but then at other moments,<br />
it just happens because it is in flux. The main method is simply being present, being<br />
receptive to what you can see, hear and sense in the bodies involved as well as in space<br />
and atmosphere. It is about the creation of a meaning which is not a functional one.<br />
As he considers the different dispositions of either giving more impulses or receiving<br />
them more, Thorsten Bloedhorn is convinced that both participants should<br />
engage the instant composition mutually. In the sessions, he saw and felt what Ingo<br />
Reulecke did and picked up impulses from it, but there had also been moments when<br />
he gave impulses. Regarding the question whether he focuses more on his inner state<br />
or on the outside world, it is Bloedhorns conviction that serious performing music<br />
and dance requires a certain professionalism so that personal distractions can be filtered<br />
out to the most degree. Sometimes, it is less apparent when musicians begin to<br />
open themselves for the performance – which could already start when they come in<br />
and listen and place their instruments and equipment in a specific arrangement.<br />
For Thorsten Bloedhorn, a break or a silence is not different from the music<br />
played, it is a moment which is a part of the composition. For describing his understanding<br />
of the break, Bloedhorn uses a comic sequence by Scott McCloud 15 about<br />
Count Basie who is sitting before his piano doing nothing while the notes from his<br />
band are flying to him from behind until he finally hits a key. In contemplation of<br />
what the movement is doing with his sound, Bloedhorn believes that the ideal case<br />
would be a consolidation. Both elements would work as a trigger mass, inscribing<br />
themselves into each other – and it is this mutual process which contributes a lot to<br />
the composition.<br />
14 As part of the format of the setting, it was established at one early point of the experiments that<br />
filmmaker Carlos Bustamante would give a hand sign after 20 minutes to signal the end of the instant<br />
composition.<br />
15 Scott McCloud (born 1960) is a cartoonist and comics theorist. More information can be found at:<br />
Scott McCloud | Journal, http://www.scottmccloud.com, last access on May 4th 2021.<br />
352 353
13<br />
Summary of Interview<br />
Matthias Bauer, Heike Gäßler, Ingo Reulecke, Carlos Bustamante<br />
Terrace of Apartment of Matthias Bauer, Berlin<br />
2014-04-23<br />
Matthias Bauer describes both sets as pleasant and registers that they were of a<br />
very different nature. The first session was light, slightly wild and very fast, with<br />
one theme following the other, while the second set had wider arches, longer<br />
planes and developments as well as more maturity and order, also in relation to<br />
the space. Playing outside on the terrace of his home created a special atmosphere<br />
due to the architecture of green colour and the special light.<br />
Regarding space in general, Bauer explains that it is fundamentally important<br />
for him. As a performer, it is his impetus to create an effect on space and to be<br />
in emotional alignment with space by means of the music. As he describes it,<br />
Bauer works with space in a musical way, going with his music into the places<br />
where the dancer is as well, or reducing the space in his perception to the<br />
actual operating area of the dancer. He also performs with spatial choreographies<br />
by and for himself (e.g. standing at a chosen position on the stage and<br />
then beginning to move). Bauer points out that a louder sound marks a much<br />
larger territory than a quieter sound. Another significant factor is the acceleration<br />
or deceleration of music and movement resulting from the interplay with<br />
the dancer – which Matthias Bauer sometimes experiences as an adventurous<br />
journey to unknown places.<br />
In regard to the question of receiving or giving impulses during the instant<br />
composition, the ideal case for Bauer would be a balance of mutual exchange<br />
between the performers. A dynamic interaction is also more rewarding<br />
for him than receiving too much powerful input or sending out signals to an<br />
almost indiscernible partner.<br />
Concerning the effects of movement on his sound, Matthias Bauer sees<br />
himself as a mover as well, especially in relation to his instrument, the double<br />
bass, with which and around which he creates a lot of motion in order to produce<br />
his variety of sounds.<br />
As a description of the process of instant creation, Matthias Bauer finds<br />
the term real-time composition less appropriate than the word improvisation.<br />
While he regards the first definition as a construction process of almost architectural<br />
nature, the latter concept appeals to him in the sense of a voyage or<br />
an undesigned trance. The improvisation also propels him onto another plane<br />
of existence which he describes as a smaller form of ecstasy. Nevertheless, he is<br />
mainly focused on his surroundings and not on his inner state. In this state, he<br />
intuitively draws on his reservoir of playing techniques. Bauer also points out<br />
that mood swings should not affect the instant composition.<br />
Furthermore, Matthias Bauer considers the moment to be a key to happiness.<br />
In his view, being in the moment also means being in connection with<br />
your instincts – which are crucial in improvisations and which should not be<br />
subject to calculation during the creation process.<br />
The break or the pause is an interesting moment for him, since other elements<br />
from the outside may suddenly gain importance, for example tweeting<br />
birds. However, he is aware that silence does not play a large role in his musical<br />
creations. Humorously, he adds that he will make a pause later – when he turns<br />
eighty.<br />
354 355
14<br />
Fields of Possibilities<br />
Heike Gäßler in conversation with Ingo Reulecke<br />
2014-06-02<br />
Heike Gäßler: How do you design your real-time compositions? Are you<br />
working with building blocks of movements or patterns of movements, unconsciously<br />
or consciously? Or do you try to dodge these patterns when you<br />
notice them?<br />
Ingo Reulecke: It varies. Many of the musicians in our experiments have<br />
mentioned this in a similar way. There is a certain spectrum and a field of possibilities<br />
which I have developed over the years and which I try to extend in as<br />
many directions as possible. And in the instant composition, I’m handling this<br />
material rather spontaneously depending on what is provoked by the situation,<br />
the space, the spatial constant with this or that musician and how the relations<br />
are, looking at the ways of playing or instrumentation which that person<br />
has. He or she challenges certain aspects of myself and probably also a certain<br />
vocabulary. I spontaneously try to understand what is triggered, to learn how<br />
to understand it in that short moment, and then I try to operate with it. It can<br />
be quite diverse how this develops or is dispersed. It depends on the mood,<br />
on my constitution and on what the situation demands from my point of view.<br />
This can evolve into all sorts of situations.<br />
HG: Would you say that, in the moment when you create a movement,<br />
you experience it as something new?<br />
IR: Absolutely. Even though I am very familiar with the movement, I<br />
always experience it as something new, it feels like making something new. Yes,<br />
I can say that a movement I have made times and again is never identical. It is<br />
always different, and I can perceive that and bring the movement into relation<br />
with the next movement differently, varying both in regard to time and the<br />
spatial situation. This creates something new, and that is endless. That is very<br />
appealing. From an outside point of view, it may seem similar or probably very<br />
narrow and clearly defined as a language, but I think that is actually a fallacy.<br />
HG: Which partners in the game are especially inspirational for you:<br />
Music, the audience, space?<br />
IR: At least all three of these partners. These three in any case.<br />
HG: And in which way?<br />
IR: Well, the musicians are very direct partners with whom I am interacting.<br />
And the resonance in the room can be felt as something very physical.<br />
There is a partner in movement in this action regardless of what they are playing.<br />
But depending on the initial prerequisites, it can be difficult for me in stage<br />
situations. When the spotlight more or less shines into the eyes, I cannot get in<br />
contact with the viewers very much. Though I can feel them, I cannot interact<br />
with them directly. It is much more direct and exciting in regard to my range of<br />
view when I am in a smaller room with fewer spectators. I find that much more<br />
interesting because I feel like I am actually interacting with a number of different<br />
intensities. I can do it directly – which I don‘t find so exciting – or with<br />
all sorts of nuances, depending on how I interact with the audience. There are<br />
also inspiring or less inspiring spaces, that means spaces where I feel more at<br />
home or where I can locate myself instantly and be inspired. But there are places<br />
as well which don’t allow this so easily and where I have to work hard and to<br />
go all out for it. These are rather the stage spaces or the black box spaces where<br />
I have trouble and am more uninspired, where I have to prepare differently and<br />
adapt to this kind of partner.<br />
HG: Do you know this in advance, or do you register it during the performance?<br />
IR: No, I am very much aware of this, and I prepare myself more often<br />
for these stage spaces in a different manner. When I know that I will be confronted<br />
with it, I make it a point to become fully aware of it, and I’m actually<br />
developing strategies which material I will work with and in what way. In other<br />
places which are more site specific, I deliberately don‘t do that. Different approaches<br />
are absolutely necessary in such cases.<br />
HG: Regarding spaces without a stage, do you know in advance whether<br />
they will inspire you or not?<br />
IR: That is easier for me, since these are usually smaller rooms. And even<br />
if they are larger spaces, they are used in a conventional way, and that creates<br />
a very simple bridge for me to connect with everyday life. And I can impose<br />
an alienating sense of strangeness on these settings much more easily than it<br />
would be the case with an art space or a theatre or a neutral abstract room<br />
where there is nothing to work with for me. Very rarely, I take some object<br />
with me, or someone else does, but usually we are not doing that. And then, I<br />
must adapt to these conditions differently, I must see and discover the space in<br />
a different way, becoming acquainted with it, otherwise I will miss something.<br />
HG: What does the music do with your movement? You mentioned it<br />
356 357
efore, but I would like to grasp this a bit more precisely.<br />
IR: It is very different. It all depends on the music or my mood, respectively<br />
the mode of how I am attuned or how I can open and empty myself for<br />
this layer which will come then. It also depends on the acoustic environment<br />
since each space sounds differently. In this space here, for example, it is difficult<br />
because the curtains take a lot away from the sound. Which is an essential<br />
aspect. But all this cannot conceal the ways how someone is actually playing.<br />
If someone is playing well and is correspondingly skilled, and if it meets my<br />
musical tastes as well, then the magic will happen quite quickly. What I find<br />
inspiring in this respect – and this is not so different from my own search of<br />
the ways of how to operate with my own body – is that I am looking for these<br />
qualities in the musician as well. It does not have to be an abundant virtuosity,<br />
actually you can find virtuosity in a minimalism or a reduction as well. Of<br />
course, there should be a certain range. And the connection of the musician<br />
to his or here instrument is important as well. They must know their instrument<br />
very well and should have experimented a lot with it, so that they can<br />
leap beyond traditional or conventional forms and the patterns established in<br />
western music. It is of significance for me that the experiments and the fields<br />
of possibilities can come into play which can thrill me in musical terms and<br />
which generates a complexity beyond entertainment music or the three-four<br />
time. There are many possibilities which may be initiated as building blocks<br />
and with which the performers can play and compose instantly. And when the<br />
viewers can recognise something for an instant which then is varied and transported<br />
into another dimension, it becomes very exciting for me. The variety<br />
in playing is endless. Depending on how much material is known, how much<br />
has been listened to and practiced, the range of possibilities is enlarged and<br />
deepened. All this appeals to me very much. There are difficulties for me rather<br />
quickly when I sense that the scope of the artist with whom I am working is<br />
too limited, so that the synthetic process would not be very fruitful.<br />
HG: Does the improvisation bring you to a different space of perception<br />
and experience?<br />
IR: Yes absolutely. It is a certain measure which is achieved quickly<br />
though this concentration, through this presence and awareness. It is probably<br />
similar to our dealings with contemplative experiences which also grow<br />
through practice. And I can also sense that these possibilities can be further<br />
developed in point of fact.<br />
15<br />
Handling Textuality<br />
Another pivotal aspect of our experiments during the formation of the book<br />
concerned the handling of language and text. As we examined the subject more<br />
and more, a development and an expansion of form unfolded which even we<br />
ourselves had not planned or expected.<br />
This path led us from the textualisation of our approaches and ideas to<br />
improvisations with following interviews and reflections on the sets. In all the<br />
different media involved, it was important for us to achieve a close proximity<br />
to the subject of real-time. Forms had to be found and developed which even<br />
in their state of written text remained closely connected to the processual concept.<br />
Therefore, we did not simply interview the real-time musicians and the<br />
mover, but the conversations were carried out immediately after the experience<br />
of the performance while the sounds and movements were still present<br />
as reverberations in space and body. The artistic element experienced just moments<br />
before was still very present in its complexity and with its emotional<br />
energisation and could therefore be reflected during the talk.<br />
We came still closer to this idea by directly documenting the improvisation<br />
at the instant it took place. The joint compositions of mover and musicians<br />
and their artistic dialogue were textualised in the moment of their emergence<br />
in order to reproduce the particular moments and phases in their complexity.<br />
The texts were categorised as documentation and interpretation. While the aspect<br />
of writing was at first only intended to record the artistic instant, it quickly<br />
produced a wide range of instruments which generated its own creative touch<br />
or even art form. A comprehensive documentation of the movements could<br />
not be achieved due to the diverse and changing pace of the dancer’s movements<br />
in their complexity and the time delay caused by the writing process<br />
itself. Therefore, the only possible task was to select a concrete shape in the<br />
instant and to accentuate the notations. For this effort, it became necessary to<br />
develop a composition method of textualising which would not follow each<br />
impulse but which instead recreated only portions and segments of the event<br />
in written language. No continuous sequences of images were transposed but<br />
only single images which, similarly to impulses, were either focused, transferred<br />
or inhibited. Furthermore, the activity of observing and perceiving the<br />
sequences of movement had to be interrupted repeatedly. A simultaneous pro-<br />
358 359
cess of moving and writing was not possible. Therefore, an interplay of input<br />
and output was generated through the process of recording the movement improvisations.<br />
And, as it was the case with a number of scientific studies where the<br />
examiners undesignedly influenced their own observed experiments, similar<br />
effects surfaced in our settings in a very concrete manner. The observations<br />
which were initially recorded for documentation produced immediate effects<br />
on the acting performance artists, leading to an emerging new artistic connection<br />
point through which the events could be examined and a respective<br />
implementation of text and language was set in motion. More and more, our<br />
interest in the improvisations with language increased. In several of the experiments,<br />
writing and the production of textualities and language sound formations<br />
in real-time took place in connection with movement, sound and video<br />
art.<br />
In a further step, language itself replaced the part of the music to create<br />
from and within the moment. The possibilities of shaping and forming by<br />
oral means were implemented far beyond the tradition of theatre texts. It was<br />
the intention to produce sounds and noise in interaction with the movement<br />
– with a total detachment from the meaning of the spoken word (or with a<br />
rather reduced contextualisation of meaning). In doing so, the emerging pronouncements<br />
of ephemeral thoughts and speech entered the flow of the performance<br />
like an experimental salad of words and syllables, as well as word<br />
creations spoken metrically and constantly. These poetic text experiments also<br />
showed that a moment composition can emerge in language as well which accompanies<br />
music and dance and which instantly finds an adequate expression<br />
for the improvisation by means of neologisms.<br />
These experiments and the resulting possibilities for the work in improvisation<br />
represent a significant object for further examinations. They are highly<br />
relevant for approaching the aspect of language in our sets and for exploring it<br />
more comprehensively.<br />
16<br />
Reflections in Conclusion<br />
There were distinctly different points of view regarding the chosen improvisational<br />
format, including the conducted interviews. In most cases, the concept<br />
was accepted and reflected very positively by the participants. The artists contemplated<br />
the external circumstances as well as the design of the format itself.<br />
In particular, the duration of 20 minutes of the two sets was discussed in very<br />
different ways.<br />
This specific length had been selected by us in advance, based on various<br />
experiences. It proved to be a useful duration, as it allowed enough time to explore<br />
compositional elements, and the process did not become too exhaustive.<br />
Furthermore, units of 20 minutes can usually be estimated and perceived with<br />
relative ease, even without a clock or external announcement. The repetition<br />
of the game in the form of two sets was also discussed and largely considered<br />
to be a sensible idea. For the musicians, the different rooms in which the sets<br />
took place played a decisive role. Since we had chosen a wide range of atypical<br />
spaces (including an office, a garden veranda or even a gym), some of the<br />
musicians offered rather critical reflections, depending on the room. It became<br />
very clear how strongly and decisively dancers and musicians work with space.<br />
This factor was not only relevant in respect to the acoustic phenomena, which<br />
were also very different, but our arrangements in the room, the furniture itself<br />
or various specifics of the spaces were addressed as well.<br />
In the sets, most of the musicians experienced an enormous intensity<br />
which also enabled a profound encounter with contemporary dance through<br />
the respective idiosyncratic movement material (in analogy to the corresponding<br />
spaces and their layouts) that was performed by Ingo Reulecke as the representative<br />
of dance.<br />
There also was a continuous experience that working with dance offers<br />
a fascinating challenge for musicians. It is clearly different from the interaction<br />
with other musicians, but there are parallels to be discovered as well. However,<br />
this requires a certain experience and quite probably some familiarity in<br />
dealing with the other genre before a substantial exchange can take place. It<br />
remains to be questioned why this kind of encounter between representatives<br />
of contemporary dance and contemporary music itself rarely takes place even<br />
in an artistically spirited city like Berlin. However, it may also be due to the cir-<br />
360 361
cumstance that compositional work is promoted and improvisational work is<br />
not. As already mentioned, improvisation in many dance circles is a means to<br />
an end for generating material, and not a practice as used in music when musicians<br />
meet regularly for sessions which enable them to grow as improvisers.<br />
The conversation of informal nature between the two sets also played a<br />
significant role. It was viewed as a short open format for discussing the course<br />
of improvisation with its certain characteristics, highlights or difficulties. These<br />
talks turned out to be a solid basis for the next set. As a rule, the second set was<br />
perceived as better than the first by everyone involved – probably because we<br />
had brought ourselves to one level and because we were able to pull out all<br />
the stops intuitively and immediately which before we had to develop initially<br />
in the first set. Therefore, the first set seemed more like tuning the mood for<br />
the actual real-time composition. Furthermore, it was often noticeable that the<br />
performers handled the utilised material of movement and sound very consciously.<br />
Occasionally, this material was extended by new facets.<br />
The interviews following the two sets showed the importance of the verbal<br />
exchange about this improvisational work since there was a wide range<br />
of exciting topics to be reflected. The vast spectrum of subjects included the<br />
awareness of performers for each other, the respective spatiality, the temporal<br />
components, aspects of performativity, but also differences between the two<br />
genres music and dance. For example, different views were expressed regarding<br />
the concept of the moment which for some was the entire length of the set<br />
and for others the short instant between past and future. Another subject of<br />
varying opinions was the pause which was regarded either as silence outside<br />
the music or as part of the music.<br />
We would like to see the emergence of many more formats in this respect<br />
in order to examine the similarities, differences and overlappings of these<br />
forms of artistic expression through their encounters in more detail.<br />
362 363
Appendix II: Biografien/Biographies<br />
Ingo Reulecke<br />
Reulecke ist Tänzer und Choreograf, mit einer Professur für Choreografie am<br />
Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in Berlin. Nach seiner zeitgenössischen<br />
Tanzausbildung studierte Ingo Reulecke Choreografie an der Hochschule<br />
für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin. 1994 und 1997 erhielt er Stipendien<br />
vom Berliner Kultursenat. Seit 1995 Gastdozent an der Hochschule<br />
für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und an der Palucca Hochschule für<br />
Tanz Dresden. 1998 und 1999 Stipendien vom DAAD für Studienaufenthalte<br />
in New York City. 1998 Tanzplattform Deutschland in München mit Eklipse,<br />
Internationales Tanzfestival NRW mit Sheik Yerbouti. Von 1999 bis 2004<br />
arbeitete er als Choreographer in Residence in der Tanzfabrik Berlin. 2000<br />
Beckett in Berlin – Internationales Theater Festival mit gesellschaft.1, Stardust<br />
Festival Stockholm. 2001 Auftragschoreografie DRONE für das Festival Tanz<br />
NRW. 2001 als Artist in Residence in Fylkingen (Stockholm), Zusammenarbeit<br />
mit Helena Franzén für Make It Double. 2002 als Artist in Residence am<br />
Choreografischen Zentrum NRW (Essen) für die Produktion gleich.gültig 2.<br />
2003 Einladung zum 25-jährigen Jubiläum der Tanzfabrik Berlin mit der Choreographie<br />
28 Minutes Sculptures in den Sophiensälen. 2004 Zusammenarbeit<br />
mit Katarina Eriksson in Stockholm (Moderna Dansteatern – MDT) für 16<br />
Performer. Seit 2000 zahlreiche Kollaborationen mit dem Regisseur Lukas<br />
Matthaei wie Winterreisen 2004, Unsere Tage wie Schatten für das Forum Freies<br />
Theater in Düsseldorf 2007, sowie ab 2005 eine Reihe von site-specific Arbeiten<br />
mit den Projekten 2109, Sender Weimar (Kunstfest Weimar) und urbanscapes<br />
im Jahr 2013. 2005 Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Annett Hardegen<br />
für das HAU3 Theater in Berlin mit distanz 1:02. 2006 Erster Preis bei dem<br />
Theaterfestival vorort Münster mit diminuendo 2. 2008 Künstlerische Leitung<br />
der TanzMedienAkademie (TMA) im Rahmen des Kunstfestes Weimar. 2009<br />
Kooperation mit dem iranischen Regisseur Ayat Najafi für Lady Teheran. Von<br />
2006 bis 2013 war Reulecke Leiter der Abteilung Tanz an der Hochschule für<br />
Schauspielkunst Ernst Busch. Von 2006 bis 2013 war er Direktor des Hochschulübergreifenden<br />
Zentrums Berlin. Von 2012 bis 2014 künstlerische Leitung<br />
des Kooperationsprojekts Bauhaus Tanzen, in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem Bauhaus Dessau, dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in<br />
Berlin, dem Anhaltischen Theater Dessau sowie dem Studiengang Szenischer<br />
Raum der TU Berlin. Seit 2013 organisiert Reulecke in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem Musiker und Komponisten Dietmar Kirstein die Reihe Mini Improv<br />
Festival in Berlin und Bremen. Seit Beginn 2016 kuratiert Reulecke die Improvisationsreihe<br />
Common Ground an der Schnittstelle zu zeitgenössischem Tanz<br />
und Musik in der Tanzfabrik Berlin und ab 2017 in der Somatischen Akademie<br />
Berlin im Zusammenspiel von Somatik und zeitgenössischer Kunstpraxis<br />
verschiedener Genres die Serie SINCE. Seine Choreografien wurden mehrfach<br />
ausgezeichnet, und er wurde zu zahlreichen Festivals im In- und Ausland<br />
eingeladen.<br />
http://ingoreulecke.com<br />
Reulecke is a dancer and choreographer with a professorship for choreography at the Inter-University<br />
Centre for Dance Berlin. Ingo Reulecke studied choreography at the Ernst<br />
Busch Academy of Dramatic Arts in Berlin after completing his training in contemporary<br />
dance. In 1994 and 1997, study grants from the Berlin Senate for New York City.<br />
Guest lecturer at the Ernst Busch Academy of Dramatic Arts in Berlin and at the Palucca<br />
University of Dance Dresden since 1995. From 1998 to 1999, DAAD scholarship for a<br />
year in New York City. 1998 Dance Platform Germany in Munich with Eklipse, International<br />
Dance Festival North Rhine-Westphalia with Sheik Yerbouti. From 1999 to 2004,<br />
choreographer-in-residence at Tanzfabrik Berlin. 2000 Beckett in Berlin – International<br />
Theater Festival with Gesellschaft 1, Stardust Festival Stockholm. 2001 commissioned<br />
choreography DRONE for the festival Tanz NRW. 2001 artist-in-residence in Fylkingen,<br />
Stockholm, collaboration with Helena Franzén for Make It Double. 2002 artist-in-residence<br />
at the Choreographic Centre North Rhine-Westphalia (Essen) for gleich.gültig 2.<br />
2003 invitation for 25th anniversary of Tanzfabrik Berlin to do choreography 28 Minutes<br />
Sculptures in Sophiensäle. 2004 collaboration with Katarina Eriksson in Stockholm<br />
(Moderna Dansteatern – MDT) for 16 performers. Since 2000 collaborations with director<br />
Lukas Matthaei as Winterreisen 2004, Unsere Tage wie Schatten for Forum Freies<br />
Theater in Düsseldorf 2007, from 2005 on the site specific work series with projects 2109,<br />
364 365
Sender Weimar (Kunstfest Weimar) and 2013 urbanscapes. 2005 in cooperation with<br />
the dramaturge Annett Hardegen for the HAU3 Theater in Berlin distanz 1:02. 2006 first<br />
prize in the theatre festival vorort Münster with diminuendo 2. 2008 art direction for the<br />
Dance Media Academy at Kunstfest Weimar. 2009 cooperation with the Iranian director<br />
Ayat Najafi for Lady Teheran. He was director of the dance department in the Ernst Busch<br />
Academy of Dramatic Arts Berlin until 2013. From 2006 to 2013, he held the position of<br />
director of the Inter-University Centre for Dance Berlin. From 2012 to 2014, he was artistic<br />
director of the cooperation project Bauhaus Tanzen, in close collaboration with the<br />
Bauhaus Dessau, the Inter-University Centre for Dance Berlin, the Anhaltisches Theater<br />
Dessau and the Study course Scenic Space at the Technische Universität Berlin. Since 2013,<br />
Reulecke has been organising the series Mini Improv Festival in Berlin and Bremen in close<br />
collaboration with the musician and composer Dietmar Kirstein. ince 2016, Reulecke has<br />
been curating the improvisation series Common Ground which is an intersection point for<br />
contemporary dance and music at Tanzfabrik Berlin. Since 2017, he has been curator of<br />
the series SINCE at the Somatic Academy Berlin as an interplay between somatics and<br />
contemporary artistic practice of various genres. His choreographies have received several<br />
awards and he has been invited to numerous national and international festivals.<br />
Heike Gäßler<br />
Heike Gäßler studierte Theaterwissenschaften, Psychologie, Germanistik in<br />
Erlangen/ Nürnberg und Wien und schrieb ihre Dissertation zu chinesischem<br />
zeitgenössischen Tanz (2002). Sie ist Dozentin, Theaterregisseurin, Performerin<br />
und Autorin mit internationalen Theaterproduktionen, Performances und<br />
Gastspielen in Indonesien, Singapur, Taiwan, USA, Kanada, Italien, Österreich,<br />
Serbien und Spanien. Zu ihren Regiearbeiten zählen: Initiation, Guei<br />
Di Fang, Faust in-the-Box, Leonce und Lena in-the-Box und zahlreiche deutschindonesische<br />
Koproduktionen. Zu ihren Publikationen zählen: Indonesien in<br />
Berlin; Der leuchtende Schuh – Ein Qigong-Roman. Sie leitete den Tanz-, Theater-<br />
und Performancebereich des Kunsthaus Tacheles, Berlin (1995-1997).<br />
Als Kulturmanagerin war sie insbesondere für Asien und Südostasien tätig,<br />
unter anderem mit Festivals wie: Hongkong-Festival (1996), Festival der Geister<br />
(1999). Sie war Mitbegründerin des Indonesischen Kulturinstituts e.V., Berlin<br />
(2001) und Lehrbeauftragte an der Universität Wien, Theaterwissenschaften<br />
(1998), der UdK-Universität der Künste, Berlin, Schauspiel (2007-2008)<br />
und der Ernst Busch Hochschule / Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz<br />
(2015). Schulleiterin der künstlerisch orientierten EuroAkademie, Fachschule<br />
für Sozialpädagogik (2012-2018). Professur für Pädagogik mit Schwerpunkt<br />
Ästhetische Bildung an der EBC-Hochschule in Berlin und Hamburg (2018-<br />
2019). Professur für Pädagogik mit Schwerpunkt Ästhetische Bildung an der<br />
ISM-Hochschule Berlin (2019-2021). Lehrbeauftragte am HZT-Hochschul-<br />
übergreifendes Zentrum Tanz, Berlin (2020) und an der HSAP-Hochschule<br />
für Angewandte Pädagogik, Berlin (2020/21).<br />
Heike Gäßler studied Theatre Studies, Psychology and German Philology in Erlangen/<br />
Nuremberg and Vienna and wrote her doctoral thesis on Chinese contemporary dance<br />
(2002). She is a lecturer, theatre director, performer and author with international theatre<br />
productions, performances and guest performances in Indonesia, Singapore, Taiwan,<br />
USA, Canada, Italy, Austria, Serbia and Spain. Her works as director include: Initiation,<br />
Guei Di Fang, Faust in-the-Box, Leonce und Lena in-the-Box and numerous German-Indonesian<br />
co-productions. Selection of her publications: Indonesien in Berlin; Der leuchtende<br />
Schuh (a Qigong Novel). She headed the Department of Dance, Theatre and Performance<br />
of the Kunsthaus Tacheles, Berlin (1995-1997). As a cultural manager, she worked especially<br />
for Asia and Southeast Asia, organising festivals as Hongkong-Festival (1996) and<br />
Ghost And Spirit Festival (1999). She was co-founder of the Indonesian Cultural Institute<br />
e.V., Berlin (2001) and lecturer at the University of Vienna, Theatre Studies (1998) at the<br />
UDK University of the Arts, Berlin, Schauspiel (2007-2008) and the Ernst Busch Academy<br />
of Dramatic Arts / Inter-University Centre for Dance Berlin – HZT (2015). Head<br />
of the artistically Oriented EuroAkademie (2012-2018), Professional School for Social<br />
Pedagogy. Professorship for Pedagogy with focus on Aesthetic Education at the EBC<br />
University of Applied Sciences in Berlin and Hamburg (2018-2019). Professorship for<br />
Pedagogy with focus on Aesthetic Education at the ISM University of Applied Sciences<br />
Berlin (2019-2021). Lecturer at the Inter-University Centre for Dance Berlin (2020) and<br />
at the HSAP School for Applied Pedagogics, Berlin (2020/21).<br />
Carlos Bustamante<br />
Carlos Bustamante ist ein mexikanischer Filmemacher, Kameramann und<br />
Fotograf. Er lebt in Berlin. Von 1989 bis 2006 war er Professor für die Theorie<br />
audiovisueller Gestaltung und Realisation an der Universität der Künste<br />
366 367
Berlin. Zu seinen experimentellen Tanz- und Musik-Videos zählen The Birchwood<br />
Edge Algorithm (2009), Ufergang (2010), grapeshade videos 01-10 (2011-<br />
2015), a music lesson (2014), Circe‘s Labyrinth (2014), Lightning Composition<br />
Nr. 1 (2016), Splitter Orchestra, November 26, 2016 (2016), _SKILLS: Enthusiasm<br />
for Splitter Orchester (2019), _a gospel_ (2021).<br />
Carlos Bustamante auf Vimeo: https://vimeo.com/user8451998<br />
Helmut Oehring. Er realisierte Bühnenmusiken und Konzepte für improvisierende<br />
Musiker. Teilnahme an Festivals wie Maerzmusik Berlin, Musica Viva<br />
München, Biennale Venedig, Nuova Consonanza Rom, Wien Modern, Total<br />
Music Meeting Berlin sowie verschiedene CD-Veröffentlichungen.<br />
https://www.bauerbass.de<br />
Carlos Bustamante is a Mexican filmmaker, photographer and cinematographer. He lives<br />
in Berlin. From 1989 until 2006, he was Professor in the Theory of Audio-Visual Design<br />
and Realisation at the University of the Arts Berlin. His short experimental music and<br />
dance videos include The Birchwood Edge Algorithm (2009), Ufergang (2010), grapeshade<br />
videos 01-10 (2011-2015), a music lesson (2014), Circe‘s Labyrinth (2014), Lightning Composition<br />
Nr. 1 (2016), Splitter Orchestra, November 26, 2016 (2016), _SKILLS: Enthusiasm<br />
for Splitter Orchester (2019), _a gospel_ (2021).<br />
Gastmusiker*innen<br />
Matthias Bauer<br />
1959 in Sonneberg/Thüringen geboren. Studierte in Berlin Kontrabass an der<br />
Hochschule für Musik Hanns Eisler. Er wirkte in Musikensembles mit, wobei<br />
sein Spektrum von zeitgenössischer klassischer Musik bis zur freien Improvisation<br />
reichte. Seine Hauptinteressen liegen im experimentellen Musiktheater,<br />
Tanzprojekten und der Arbeit mit (Live-)Poesie sowie eigenen Solo-Performances<br />
unter Einbeziehung der Stimme. Er verließ 1980 die DDR, lebte<br />
bis 1988 in Lyon/Frankreich, dann in Köln und seit 1991 wieder in Berlin.<br />
Als Improvisator spielte er neben seinem Soloprogramm für Kontrabass und<br />
Stimme mit vielen Musikern der frei improvisierten Musik, unter anderem mit<br />
Shelley Hirsch, David Moss, Tony Oxley, Sven Ake Johansson, Jon Rose und<br />
Chris Cutler. Als Interpret arbeitet er mit dem Ensemble United Berlin, dem<br />
Ensemble Mosaik und mit Komponisten wie Georg Katzer, Helmut Zapf und<br />
Born in Sonneberg/Thuringia 1959. Studied double bass at the Hochschule für Musik<br />
Hanns Eisler in East Berlin until 1980. He has worked in music ensembles, ranging from<br />
contemporary classical music to free improvisation. A central concern of his lies in experimental<br />
music theatre, dance projects, working with live poetry plus his own solo performances<br />
incorporating the voice. After extensive residencies in Lyon (1980-1988) and Cologne,<br />
he returned to Berlin in 1991 and has since been active as an improviser, performing<br />
with the likes of Shelley Hirsch, David Moss, Tony Oxley, Sven Ake Johansson, Jon<br />
Rose, Chris Cutler and others. As a performer, he is working with the Ensemble United<br />
Berlin and the Ensemble Mosaik, also he has performed specially composed solo works<br />
by Georg Katzer, Lothar Voigtländer and Helmut Oehring. Furthermore, Bauer is active<br />
as a composer and concept designer for improvising musicians. Participation at festivals<br />
as Maerzmusik Berlin, Musica Viva Munich, Art Biennale Venice, Nuova Consonanza<br />
Rome, Wien Modern, Total Music Meeting Berlin as well as various compact disk releases.<br />
Thorsten Bloedhorn<br />
Geb. 1966 in Bremen. Studierte Psychologie, Soziologie und Religionswissenschaft<br />
in Berlin. 2010 schrieb er seine Dissertation über Roland Barthes’<br />
Denken in Begriffen der Bedeutung an der Freien Universität Berlin. Benutzt<br />
für sein handwerkliches Spiel eine tiefer gestimmte, bundlose E-Gitarre, einen<br />
Bassverstärker sowie Kleinteile und Fundstücke. Arbeitet mit Musiker*innen,<br />
Tänzer*innen, Video- und Performance-Künstler*innen zusammen. Sein Interesse<br />
gilt vor allem der Frage, wie sich musikalische Prozesse und Strukturen<br />
herstellen, sofern auf standardisierte Organisationsprinzipien des Materials<br />
verzichtet wird.<br />
368 369
eins Neue Musik BVNM e.V., ebenso obliegt ihm die künstlerische Leitung<br />
des jährlichen Festivals intersonanzen. In seiner Konzertreihe KlangWelten ad<br />
hoc (seit 2002) folgt und erschafft er Prinzipien zeitgenössischer Instant Compositions<br />
mit Banjo, Objektperkussion und Live-Elektronik. Seine Arbeiten<br />
werden weltweit veröffentlicht und ausgestellt.<br />
http://www.thomasgerwin.de<br />
Born 1966 in Bremen. Studied psychology, sociology and religious studies in Berlin. In<br />
2010, he wrote his doctoral thesis on Roland Barthes at the Freie Universität Berlin. For<br />
his craftsmanship in playing, he uses a lower-tuned, fretless electric guitar, a bass amplifier,<br />
as well as small parts and found objects. He collaborates with musicians, dancers, video<br />
and performance artists. His main interest lies in the question of how musical processes<br />
and structures are established, provided that standardised principles of organisation of<br />
the material are dispensed with.<br />
Thomas Gerwin<br />
Thomas Gerwin, klassisch ausgebildeter Komponist und Klangkünstler, kam<br />
sehr früh zur elektroakustischen Musik. Seit 1990 arbeitet er außerdem intensiv<br />
im Bereich Soundscape Composition und radiophone Kunst. Hauptsächlich<br />
in seinem Berliner Atelier inter art project komponiert er instrumentale<br />
und (live-) elektronische Werke für Konzert und Performance (mit oder ohne<br />
traditionelle Musikinstrumente, akusmatische oder Multi-Kanal- und elektronische<br />
Live-Musik). Er inszeniert experimentelle Hörstücke und kreiert Klangund<br />
Video-Installationen für öffentliche Räume und Festivals. Als Ausdrucksmittel<br />
seiner interaktiven oder situativen raumkünstlerischen Arbeiten bezieht<br />
er oft Neue Medien, Theater, Tanz, Film, Licht und Skulptur mit ein. Er wurde<br />
mit verschiedenen nationalen und internationalen Preisen und Stipendien ausgezeichnet<br />
[unter anderem 2007 Hörspielpreis der Akademie der Künste sowie<br />
Hörspiel des Jahres 2007 (beides mit unterschiedlichen SWR-Produktionen),<br />
2016 Hörspiel des Monats der ARD, artist-in-residence in Sydney 2002<br />
und Mexico City 2008, Klangkunst-Stipendium des Berliner Senats 2008].<br />
Gerwin ist Gründungsmitglied des World Forum for Acoustic Ecology, künstlerischer<br />
Leiter des Berlin Loudspeaker Orchestra, des Kammerensemble ad<br />
hoc, des Ensemble Gefundene Objekte und des jährlichen Internationalen<br />
Klangkunstfestes Berlin. Des weiteren ist er Leiter des Instituts für Multisensoriale<br />
Kunst Berlin sowie seit 2017 Vorsitzender des Brandenburgischen Ver-<br />
Thomas Gerwin is a classically educated composer and sound artist. He came into the<br />
field of electro-acoustic music very early, since 1990 he also intensively works on soundscape<br />
composition and radio art. Today, he mainly composes in his studio inter art projects<br />
Berlin instrumental and electronic works for concerts and performances (with and<br />
without traditional music instruments, acousmatic, multi-channel and live-electronics).<br />
He stages experimental audio pieces and creates sound and video installations for public<br />
spaces and festivals. As a means of expression for his interactive or situational spatial<br />
art works, he often incorporates new media, theatre, dance, film, light and sculpture. His<br />
works are released and exhibited worldwide and have been awarded with several international<br />
prizes and stipends (e.g. Radioplay of the Year 2007, artist-in-residence in Sydney<br />
2002 and Mexico City 2008, Sound Art stipend of the Berlin Senate in 2008). Gerwin is<br />
a founding member of the World Forum for Acoustic Ecology. He is artistic director of<br />
Berlin Loudspeaker Orchestra, Kammerensemble ad hoc as well as at the annual sound<br />
art festival Internationales Klangkunstfest Berlin, also he is director for Institute for Multisensorial<br />
Art. Since 2017, he additionally is President of Brandenburg Association of<br />
New Music BVNM e.V. and artistic director of yearly intersonanzen festival. In his interdisciplinary<br />
concert series Klangwelten ad hoc (since 2002), he follows and newly creates<br />
principles of contemporary instant compositions with banjo, object percussion and live<br />
electronics.<br />
Klaus Janek<br />
Komposition, Kontrabass. Geb. in Bozen, Italien. Studierte klassischen Kontrabass<br />
mit Mauro Muraro und nimmt an Workshops mit Dave Holland, Peter<br />
370 371
Kowald, Laurence Butch Morris, Jaribu Shahid teil. Er exploriert Formen der<br />
experimentellen Musik und arbeitet an Soundrecherche am akustischen und<br />
prozessierten Kontrabass. Er beschäftigt sich mit der Erweiterung des musikalischen<br />
Vokabulars in Komposition und Wahrnehmung mittels der Technik<br />
der Instant Composition, komponiert Musik für Tanz, Dokumentarfilm, eine<br />
House-Oper, Klangkreation für Meta Design und (live) Hörspiel. Konzertund<br />
Festival-Auftritte in Europa, USA, Russland, Israel, Canada, China, Malaysia<br />
und Japan. Zahlreiche Veröffentlichungen unter anderem für Edel Classic,<br />
FMP, Ubiquity Records, Sonarkollektiv. Klaus Janek ist Gastdozent am<br />
Masterstudiengang Choreografie am HZT Berlin und Trainer für musikalisch<br />
klangliche Gestaltung bei Theater Thikwa, Berlin. Zusammenarbeit mit Musikern<br />
wie Toshinori Kondo, Bill Dixon, Johannes Bauer, Borah Bergmann,<br />
Tristan Honsinger, Gary Lucas, Clayton Thomas, Günther Baby Sommer,<br />
Brendan Dougherty, Michael Vorfeld, Chris Douglas (Dalglish, O.S.T.), Andy<br />
Graydon, Nils Ostendorf, Mat Manieri und anderen. Zusammenarbeit mit<br />
Tänzern, Choreografen und Theatern: Ingo Reulecke, Meg Stuart, Ruth Geiersberger,<br />
Jeremy Wade, Niels „Storm“ Robitzky, Jess Curtis, Keith Hennessy,<br />
Sabine Glenz, Britta Pudelko, Thierry Niang, Patrice Chereau, Louise Wagner,<br />
Torsten Lensing, Theater Thikwa, Eva Baumann. Auftragsarbeiten für: Louvre,<br />
Berghain, FMP, Meta Design AG, NK, Sophiensaele, Transmediale Berlin,<br />
SAIC Chicago, kunm 89.9 FM Albuquerque, t.u.b.e. Munich, omchatone Tokyo,<br />
Bauhaus Dessau; Transart Bolzano.<br />
http://www.klaus-janek.de<br />
Berlin, and (live) radioplays. Concert and festival appearances in Europe, USA, Russia,<br />
Israel, Canada, China, Malaysia and Japan. Numerous releases for Edel Classic, FMP,<br />
Ubiquity Records, Sonarkollektiv and others. Klaus Janek is guest lecturer at the master<br />
study course Choreography at the Inter-University Centre for Dance Berlin and trainer<br />
for musical sound design at Theater Thikwa, Berlin.Collaboration with musicians such us<br />
Toshinori Kondo, Bill Dixon, Johannes Bauer, Borah Bergmann, Tristan Honsinger, Gary<br />
Lucas, Clayton Thomas, Günther Baby Sommer, Brendan Dougherty, Michael Vorfeld,<br />
Chris Douglas (Dalglish, O.S.T.), Andy Graydon, Nils Ostendorf, Mat Manieri and others.<br />
Collaboration with dancers, choreographers and theatres such as Meg Stuart, Jeremy<br />
Wade, Storm, Maria Scaroni, Jess Curtis, Britta Pudelko, Raphael, Thierry Niang, Patrice<br />
Chereau. References of commissions: Louvre, Berghain, FMP, Meta Design AG, NK,<br />
Sophiensaele, Transmediale Berlin; SAIC Chicago; kunm 89.9 FM Albuquerque; t.u.b.e.<br />
Munich; omchatone Tokyo, Bauhaus Dessau; Transart Bolzano.<br />
Raymond Alan Kaczynski<br />
Geb. 26. März 1960 in Detroit, Michigan. US-amerikanischer Komponist und<br />
( Jazz-) Schlagzeuger. Kaczynski studierte Komposition und Schlagzeug an der<br />
Central Michigan University und an der University of Wisconsin und spezialisierte<br />
sich zusätzlich auf südindische Perkussion. Er arbeitete als reich, unter<br />
anderem mit Merce Cunningham. Als Komponist und Musiker, überwiegend<br />
im experimentellen Bereich, trat er unter anderem bei den Canada Jazz Festivals,<br />
dem Leipziger Internationalen Jazzfestival, dem Greenwich Summer<br />
Jazz, dem New Heaven Jazz Fest, dem Jazzfestival von Famagusta und dem Jazz<br />
Across the Border in Berlin auf. Er unternahm Tourneen im Auftrag des Goethe-Instituts<br />
und spielte in Produktionen des Bayerischen und Saarländischen<br />
Rundfunks. Er komponiert für Theater, Hörspiel und Orchester. Zu seinen<br />
Werken gehören unter anderem die Solo-CD Movies For Your Head, Volume<br />
one (1998), The Fighting Tango (Union College) und GE.blue.GK für Gitarren-<br />
Ensemble (1998, Yale University). Er arbeitete mit Musikern wie Randy Brecker,<br />
Joe Lovano, Jimmy Knepper, Roswell Rudd, Doc Cheatham, Milt Hinton,<br />
Julius Hemphill, Richard Davis, Ernie Watts, Billy Bang, David Murray, Don<br />
Byron, Elliott Sharp, Georg Katzer, dem Ensemble Zeitkratzer, John Schröder,<br />
Dieter Köhnlein und Friedemann Graef.<br />
Composition, processed and acoustic double bass. Born in Bolzano Italy. Studied classical<br />
double bass with M. Muraro, attends workshops with Dave Holland, Peter Kowald,<br />
Laurence Butch Morris, Jaribu Shahid. He explores experimental music and works on<br />
sound research on the acoustic and processed double bass. Works on the extension of<br />
music vocabulary in creation and perception by means of the instant composition. Composes<br />
music for TV, dance theatre and a house opera, sound creation for Meta Design,<br />
372 373
Born 26 March 1960 in Detroit, Michigan. He is a US-American composer and Jazz drummer.<br />
Kaczynski studied composition and drums at the Central Michigan University and<br />
at the University of Wisconsin. In addition, he specialised in South Indian percussion.<br />
As a musician, he worked in the ballet field for a long time, amongst others with Merce<br />
Cunningham. As a composer and musician, mainly in the experimental field, he has performed<br />
at the Canada Jazz Festivals, the Leipzig International Jazz Festival, the Greenwich<br />
Summer Jazz, the New Heaven Jazz Fest, the Jazz Festival of Famagusta and the Jazz<br />
Across the Border in Berlin. He toured on behalf of the Goethe Institute and played in<br />
productions of the Bavarian and Saarland Radio. He composed for theatre, radio plays<br />
and orchestra. His works, amongst others, are the Solo CD Movies for your Head – Volume<br />
one (1998), The Fighting Tango (Union College) and GE.blue.GK for guitar ensemble<br />
(1998, Yale University). He worked with musicians such as Randy Brecker, Joe Lovano,<br />
Jimmy Knepper, Roswell Rudd, Doc Cheatham, Milt Hinton, Julius Hemphill, Richard<br />
Davis, Ernie Watts, Billy Bang, David Murray, Don Byron, Elliott Sharp, Georg Katzer, the<br />
Ensemble Zeitkratzer, John Schröder, Dieter Köhnlein and Friedemann Graef.<br />
Theater- und Kunstprojekten. Musik für Literatur und Lesungen, zum Beispiel<br />
mit Uwe Friedrichsen, Artur Becker, auch für diverse Rundfunkanstalten.<br />
Arbeit im Jazzbereich mit Duo/Quartett mit Eckhard Petri, Uli Beckerhoff,<br />
Dave Goodman, Masakazu Nishimine. In neuester Zeit vermehrt<br />
übergreifende Performance-Projekte für Tanz/Bewegung mit Ingo Reulecke,<br />
Zufit Simon, Projekt über Jean Cebron, Projekt über Minimalism u.a.<br />
Kurator der IMPROV Festivals in Berlin/Bremen zusammen mit Ingo Reulecke.<br />
Von 2009 bis 2015 Vorsitzender des Arbeitskreises Bremer Komponisten e.V..<br />
CD (Auswahl): Anke Engelsmann, Dietmar Kirstein: `Wie Jedermann Heiße<br />
Ich Erik Satie` – Worte und Musik; Haunted By The Blues: Haunted By The<br />
Blues; Dietmar Kirstein, Marc Pira: Vis-À-Vis – Musik zu den Bildern von Rainer<br />
G. Mordmüller; Ensemble New Babylon / ABK e.V.: 9. Kompositionen<br />
(Auswahl): Music For Dance (2005), Ugoki Ballet Music for Trio (2006), Le<br />
Table Vert (mit Marc Pira), Musik für Sound Installation (2007), Silent Tunes<br />
Klängesammlung für diverse Instrumente (2008), Prism für Piano/Percussion<br />
und Zufallseinspielung (2010/2011), Prism II für drei Pianos und Percussion<br />
(2015), Rhythm For Dancer II für Piano und Looper (2017), Sounds From An<br />
Ancient Past für 5 Kanal Looper (2018).<br />
Dietmar Kirstein bei Youtube, Bandcamp, Instagram, Soundcloud und Vimeo<br />
Dietmar Kirstein<br />
Musiker, Dozent. Studium der Musik, Musikwissenschaft, Geschichte, Philosophie<br />
in Bremen, Hamburg, Leipzig. Klavierunterricht bei Bernhard Wambach,<br />
Werner Wittler, Paul Bley, Peter Jarchow. Orgelunterricht bei Käte van Tricht.<br />
Kompositionskurse bei Georg Reuter, Hans-Joachim Hespos, Earl Brown. Kurse<br />
an der Palucca Hochschule für Tanz/Dresden bei Eva Winkler und Ingo Reulecke.<br />
Arbeit als Kirchenmusiker und Rockmusiker. Keyboardspieler für Studioaufnahmen<br />
und Tourneen mit Tav Falco, Wanda Jackson und anderen. Diverse<br />
Projekte in den Bereichen New Wave, Rock und Noise. Seit 1990<br />
Klavierdozent an der Universität Oldenburg, Schwerpunkt Schulpraktisches<br />
Klavierspiel, Improvisation, Musik und Bewegung. Von 1991 bis<br />
1995 Lehrbeauftragter an der Hochschule der Künste/Bremen. Interpretation<br />
der Musik von Erik Satie und John Cage in verschiedenen Musik-,<br />
Musician, assistant professor. Studied music, musicology, history and philosophy in<br />
Bremen, Hamburg, Leipzig. Piano teachers: Bernhard Wambach, Paul Bley, Peter Jarchow.<br />
Organ teacher: Käte van Tricht. Composition studies/workshops: Georg Reuter,<br />
Hespos, Earl Brown. Workshops at Palucca University of Dance Dresden with Eva<br />
Winkler and Ingo Reulecke. Organ player in church and rock music. Keyboard player<br />
for studio/tour for Tav Falco, Wanda Jackson and others. Various projects in the areas<br />
of New Wave, Rock and Noise. Since 1990, lecturer at Universität Oldenburg for piano,<br />
improvisation, music for movement. 1991-1995 piano teacher at Hochschule der<br />
Künste/Bremen. Performer of the music of Erik Satie and John Cage in various music,<br />
art and theatre projects. Music for literature and reading events, for Uwe Friedrichsen,<br />
Artur Becker as well as for various radio stations. Works for Jazz Projects, in Duo or<br />
374 375
Quartet with Eckhard Petri, Uli Beckerhoff, Dave Goodman or Masakazu Nishimine.<br />
In recent years, more cross-over performance projects for dance/movement with Ingo<br />
Reulecke, Zufit Simon, project about Jean Cebron, project about Minimalism and others.<br />
Curator of the IMPROV Festivals in Berlin and Bremen, in cooperation with<br />
Ingo Reulecke. From 2009 to 2015, he was chairman of Arbeitskreis Bremer<br />
Komponisten und Komponistinnen e.V. (composers guild). CD (selection):<br />
Anke Engelsmann, Dietmar Kirstein: `Wie Jedermann Heiße Ich Erik Satie`<br />
– Worte und Musik; Haunted By The Blues: Haunted By The Blues; Diet-mar<br />
Kirstein, Marc Pira: Vis-À-Vis – Musik zu den Bildern von Rainer G. Mordmüller;<br />
Ensemble New Babylon / ABK e.V.: 9 Compositions (selection):<br />
Music For Dance (2005), Ugoki Ballet Music for Trio (2006), Le Table Vert (with Marc<br />
Pira), music for sound installation (2007), Silent Tunes soundscapes for various instruments<br />
(2008), Prism for Piano / Percussion and chance intervention (2010/2011), Prism<br />
II for three Pianos and Percussion (2015), Rhythm For Dancer II for Piano and Looper<br />
(2017), Sounds From An Ancient Past for 5 Channel Looper (2018).<br />
Markus Pesonen<br />
Finnischer Komponist und Multimedia-Künstler. Pesonen untersucht und<br />
thematisiert die Wirkung von Sound und Bild auf den Menschen und seine<br />
Umgebung. Seine Arbeit ist inspiriert von der Natur wie von der Natur der<br />
Wirklichkeit. Er komponiert und kreiert für Solokonzerte mit Gitarre oder<br />
Live-Elektronik sowie für verschiedene Musikgruppen wie sein elfköpfiges<br />
Ensemble Markus Pesonen Hendecte. Außerdem arbeitet er mit den Kunstformen<br />
Tanz, Theater, Performance und Film. Pesonen trat in Europa, Nordund<br />
Südamerika sowie in Asien mit diversen Künstlern wie Django Bates,<br />
Palle Mikkelborg, Herb Robertson, John Tchicai, Phil Minton, Tony Buck,<br />
Tyshawn Sorey, Axel Dörner, Johannes Bauer, Lotte Anker, Carsten Dahl, Tristan<br />
Honsinger, Mikko Innanen, Wilbert de Joode, Michael Vatcher, Lindha<br />
Kallerdahl, Norrbotten Big Band und UMO auf.<br />
https://www.forthesakeofbeings.com/markuspesonen<br />
Markus Pesonen is a Finnish composer and multimedia artist, investigating the impact of<br />
sound and image on people and the environment. His work continues to be inspired by<br />
nature and the nature of reality. He composes and creates with several music groups, ranging<br />
from solo guitar with live electronics to his eleven piece ensemble Markus Pesonen<br />
Hendecte. He is also working with the art forms of dance, theatre, performance and film.<br />
Pesonen has been performing in Europe, North and South America and Asia with artists<br />
such as Django Bates, Palle Mikkelborg, Herb Robertson, John Tchicai, Phil Minton,<br />
Tony Buck, Tyshawn Sorey, Axel Dörner, Johannes Bauer, Lotte Anker, Carsten Dahl,<br />
Tristan Honsinger, Mikko Innanen, Wilbert de Joode, Michael Vatcher, Lindha Kallerdahl,<br />
Norrbotten Big Band and UMO.<br />
Sri Joko Raharjo<br />
Solo, Java, Indonesien. Schattenspieler, Gamelanmusiker und Komponist. Er<br />
wuchs als Kind einer traditionellen Schattenspielerfamilie in Semarang, Java,<br />
Indonesien, auf und studierte Gamelanmusik an der Kunsthochschule Indonesien<br />
Surakarta. Er lehrte dort Gamelanmusik und war als Musiker aller Gamelan-Instrumente,<br />
Komponist und Schattenspieler international aktiv. Für<br />
seine künstlerischen Arbeiten erhielt er seit 1996 zahlreiche Preise und Auszeichnungen,<br />
2004 wurde er zum besten Nachwuchsschattenspieler Indonesiens<br />
gewählt. Regelmäßige internationale Auftritte (Auswahl): I La Galigo von<br />
Robert Wilson in Australien, Taiwan, Italien; mit Ensemble Rahayu Supanggah,<br />
Gamelankonzerte in Frankreich, Malaysia, Holland; Schattenspielvorführungen<br />
im Museum du Quai Branly Paris, in den Staatlichen Museen zu<br />
Berlin, Ethnologisches Museum und dem GRASSI Museum für Völkerkunde<br />
zu Leipzig, am Stadttheater Chemnitz sowie im Haus der Kulturen der Welt,<br />
Berlin. Stipendienaufenthalt in USA. Sri Joko Raharjo starb 2014.<br />
376 377
Sri Joko Raharjo, Solo, Java, Indonesia. Shadow player, gamelan musician and composer.<br />
He grew up as a child in a traditional shadow player family in Semarang,Java,<br />
Indonesia, and studied gamelan music at the Indonesian Institute of the Arts, Surakarta.<br />
He taught gamelan music there and was internationally active as a musician of all<br />
gamelan instruments, as composer and as shadow player. Since 1996, he received numerous<br />
prizes and awards for his artistic work, and in 2004 he was voted best young<br />
shadow player in Indonesia. Regular international appearances (selection): I La Galigo<br />
by Robert Wilson in Australia, Taiwan, Italy; with Ensemble Rahayu Supanggah,<br />
gamelan concerts in France, Malaysia, Holland; shadow play performances at the<br />
Museum du Quai Branly Paris, at the Ethnologisches Museum of the Staatliche Museen<br />
Berlin and the GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, at the Stadttheater<br />
Chemnitz as wellas at the Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Scholarship stay in the<br />
USA. Sri Joko Raharjo died in 2014.<br />
Claudia Risch<br />
Claudia Risch entwickelte auf dem Saxophon (Altsaxophon, Sopransaxophon),<br />
der Bassklarinette und auf der Querflöte spezielle Spieltechniken und<br />
eine eigene Klangsprache, die akustisch, ohne externe Klangverfremder entsteht.<br />
Sie arbeitet mit dem erweiterten Klangmaterial ihrer Instrumente, wie<br />
mit Mikrointervallen, Multiphonics, Atemklang. Mit diesen verschiedenen<br />
technischen Möglichkeiten kombiniert und modifiziert sie ihr Material, sodass<br />
ein raffinierter, nuancierter und vielschichtiger Klang entsteht. Sie spielt<br />
in verschiedenen Ensembles im Grenzbereich zwischen improvisierter und<br />
Neuer Musik. Die Zusammenarbeit mit Tänzer*innen stellt einen der Schwerpunkte<br />
ihrer Arbeit dar.<br />
manipulators. Her focus lies on the extended sound material of her instruments, like micro<br />
intervals, multiphonics, sound of breath. With this variety of elaborated technical possibilities,<br />
Risch combines, applies and modifies her material to create a refined, nuanced<br />
and multilayered sound. She plays in different ensembles in the border area between improvised<br />
and new music. The collaboration with dancers is an important component in<br />
her work.<br />
Risnandar<br />
Solo, Java, Indonesien. Musiker für javanisches Gamelan und Angklung, Lehrer<br />
für Gamelanmusik und traditionellen javanischen Gesang Risnandar wurde in<br />
eine Familie von Gamelan-Spielern aus Zentraljava geboren und praktiziert<br />
seit frühester Kindheit die traditionelle Gamelan-Musik. Er absolvierte seinen<br />
Master of Arts in Musikpädagogik an der Kunstakademie ISI Surakarta, Zentraljava,<br />
und war von 2014 bis 2019 Gamelan-Musiklehrer an dieser Hochschule.<br />
Seit 2012 unterrichtet er Gamelan-Musik als Gastdozent an verschiedenen<br />
Universitäten und Konservatorien in China. Seit 2016 ist Risnandar<br />
Gamelan-Musiklehrer am Zentralen Konservatorium in Peking. Zahlreiche<br />
Projekte und Auftritte in Indonesien. Auftritt mit Schattenspiel, Angklung und<br />
Gamelanmusik im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, September 2013. Risnandar<br />
gastierte mehrfach als Regisseur zeitgenössischer Kunstproduktionen,<br />
unter anderem in Berlin (2013 und 2016), Peking (2014 und 2016) und Nanning<br />
(2020).<br />
Claudia Risch has developed special playing techniques on the saxophone (soprano saxophone,<br />
alto saxophone), the bass clarinet and the transverse flute, and with these, she<br />
developed her own sound language which is created acoustically without external sound<br />
Solo, Java, Indonesia. Musician for Javanese gamelan and angklung, teacher for gamelan<br />
music and traditional Javanese singing. Risnandar was born into a family of gamelan<br />
players from Central Java and has been practicing the traditional gamelan music since<br />
early childhood. He completed his Master of Arts in music education at the Indonesian<br />
Institute of the Arts, Surakarta, Central Java, and was a gamelan music teacher at this<br />
arts university from 2014 to 2019. Since 2012, he has repeatedly taught gamelan music<br />
as a guest lecturer at various universities and conservatories in China. Since 2016,<br />
378 379
Risnandar has been a gamelan music teacher at the Central Conservatory of Music in<br />
Beijing. Numerous projects and appearances in Indonesia. Performance with shadow<br />
play, angklung and gamelan music at the Haus der Kulturen der Welt, Berlin in September<br />
2013. Guest appearances as the director of contemporary arts productions, including<br />
in Berlin (2013 and 2016), Beijing (2014 and 2016) and Nanning (2020).<br />
Michael Thieke<br />
Der Berliner Klarinettist und Komponist Michael Thieke ist in zahlreichen<br />
Projekten involviert, deren Fokus auf unterschiedlichen und kontrastierenden<br />
Facetten seiner musikalischen Interessen liegt. Zu diesen Interessen gehören<br />
experimentelle Songformen, improvisierende Kollektive, kollektiv komponierte<br />
Musik bis zu Projekten an den Rändern des Jazz. Seine musikalischen<br />
Forschungen führten ihn zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Spektrum<br />
der Klangfarbe und den Facetten der Einfachheit, mit einem speziellen<br />
Interesse an Mikrotonalität und damit verbundenen Klangphänomenen. Bevorzugt<br />
arbeitet er in Langzeitkollaborationen und kollektiven Zusammenhängen.<br />
Konzerttourneen führten ihn durch Europa und nach Japan, China,<br />
USA, Kanada und den Libanon. Er spielt mit The International Nothing, The<br />
Pitch, Der Lange Schatten, The Magic I.D., Splitter Orchester, Porta Chiusa<br />
und Hotelgäste, sowie in Duos mit Olivier Toulemonde und Biliana Voutchkova.<br />
Er lebt in Berlin und Rom.<br />
http://www.michael-thieke.de<br />
exploring the minutiae of sound, timbre and noise, with a particular interest in microtonality<br />
and related sound phenomena, and with a preference for long term collaborations<br />
and collective work structures. Concert tours took him all around Europe and to China,<br />
Canada, Lebanon, Japan and the USA. Some of his current projects are The International<br />
Nothing, The Magic I.D., The Pitch, Splitter Orchester, Hotelgäste, Porta Chiusa and Der<br />
Lange Schatten, as well as duos with Biliana Voutchkova and Olivier Toulemonde. He<br />
lives in Berlin and Rome.<br />
Clayton Thomas<br />
Geboren 1976 in Hobart, Australien. Er ist inspiriert vom Sound, der Geschwindigkeit<br />
und sozialen Bewegungen des Jazz. Clayton Thomas hat sein<br />
musikalisches Leben auf das Finden einer persönlichen Wahrheit ausgerichtet,<br />
welche sein eigenes kulturelles Leben eines weißen Australiers mit den<br />
radikalen und weitreichenden Bestrebungen in der kreativen Musik verbindet.<br />
Was er nicht als Bassspieler finden kann, sucht er in der Organisation von<br />
unangemessen großen Ensembles. Clayton Thomas kehrte 2014 nach Sydney<br />
in Australien zurück. Derzeit ist er kein regelmäßiges Mitglied des Splitter Orchesters,<br />
2014 nahm er mit diesem aber an dem Konzert für das MaerzMusik<br />
Festival teil, und er wirkte 2015 bei den Konzerten in Berlin und Huddersfield<br />
mit.<br />
Berlin based clarinetist, composer and performer Michael Thieke is equally at home<br />
across a broad range of musical environments, such as experimental song forms, collectively<br />
composing projects, improvising collectives and music on the fringes of jazz. He is<br />
Born 1976 in Hobart, Australia. Inspired by the sound, velocity and social movements<br />
of jazz, Clayton Thomas has dedicated his musical life to finding a personal truth that<br />
links his own cultural life as a white Australian with the radical and far reaching pursuits<br />
found within the creative music. What he cannot find as a bass player, he searches for in<br />
the organisation of unreasonably large ensembles. Clayton Thomas relocated to Sydney,<br />
Australia, in 2014. Clayton is currently not a regular member of the Splitter Orchester,<br />
but he was part of its 2014 concert for MaerzMusik Festival, and he took part in the 2015<br />
concerts in Berlin and Huddersfield.<br />
380 381
Biliana Voutchkova<br />
Biliana Voutchkova aus Bulgarien ist eine Violinistin der zeitgenössischen<br />
Klassischen Musik, der Improvisation und experimenteller interdisziplinärer<br />
Projekte, im Besonderen Musik, Tanz und Video. Sie wohnt in Berlin. Ihre musikalische<br />
Arbeit reflektiert ein ungewöhnlich weites Spektrum an Einflüssen<br />
und Prägungen. Voutchkova trat weltweit in Konzerten auf, als Solistin wie<br />
auch in Kammermusikensembles, unter anderem mit Orchestern wie Münchener<br />
Kammerorchester, New England String Ensemble, Tokyo Metropolitan<br />
Orchestra, Bulgarian National Radio Symphony Orchestra. Weitere Auftritte:<br />
Weill Recital Hall in der Carnegie Hall in New York, Jordan Hall in Boston,<br />
Suntory und Casals Halls in Tokyo, Symphony Hall in Osaka, National<br />
Concert Hall in Taipei, Radialsystem V in Berlin, sowie im Manuel-de-Falla-<br />
Auditorium in Granada. Sie spielt mit zahlreichen Ensembles für Neue Musik<br />
(Solistenensemble Kaleidoskop, Ensemble Modern, ensemble unitedberlin,<br />
Mozaik, LUX:NM) und wird als Solistin wahrgenommen und geschätzt. Außerdem<br />
ist Voutchkova derzeit oder war zuvor Mitglied bei: Radius, Firebird,<br />
NotaRiotous, Work in Progress und der Gruppe Neue Musik Berlin ensemble.<br />
Sie gründete zusammen mit der Cellistin Agnieszka Dziubak die Formation<br />
DuoKaya. Ebenso spielt sie regelmäßig bei Gastauftritten in der MusikFabrik.<br />
Biliana Voutchkova nähert sich der zeitgenössischen klassischen Musik mit<br />
dem Mut, der Inspiration und der großen musikalischen Freiheit, die auch<br />
ihre kraftvollen Improvisationen auszeichnen.<br />
www.bilianavoutchkova.net<br />
kyo Metropolitan Orchestra, Bulgarian National Radio Symphony Orchestra. Further<br />
performances have taken her to Weill Recital Hall at Carnegie Hall in New York, Jordan<br />
Hall in Boston, Suntory and Casals Halls in Tokyo, Symphony Hall in Osaka, National<br />
Concert Hall in Taipei, Radialsystem V in Berlin, as well as Manuel de Falla Auditorium<br />
in Granada. She performs with numerous ensembles for New Music (Solistenensemble<br />
Kaleidoskop, Ensemble Modern, ensemble unitedberlin, Mozaik, LUX:NM) and is<br />
highly regarded as a soloist. Biliana Voutchkova is also currently or has previously been a<br />
member of Radius, Firebird, NotaRiotous, Work in Progress and the ensemble Gruppe<br />
Neue Musik Berlin. Furthermore, she is co-founder of the formation DuoKaya with cellist<br />
Agnieszka Dziubak. She is also a regular guest performer at MusikFabrik. She approaches<br />
contemporary classical music with the courage, inspiration and great musical freedom<br />
which also characterise her powerful improvisations.<br />
Peter Zwick<br />
Geboren 1973 in Regensburg/Bayern. Seit seiner Kindheit singt er und spielt<br />
Flöte, Klavier und Trompete. Er interessiert sich für verschiedene Musikrichtungen<br />
wie Klassik, Jazz, Rock`n`Roll, Pop, Gregorianik, traditionelle, bayerische<br />
Blasmusik. Mit diversen Gruppierungen vertiefte er (in Deutschland,<br />
Tschechien, USA, Peru, Venezuela) die Musikstile und war als Mitglied und<br />
Leiter tätig. Als Einrichtungsleitung [Sozialpädagoge (FH) bzw. Sozialmanager<br />
(M.A.)] setzte er in Jugendhäusern und in einem Grundschulhort die<br />
Musik als universelle Sprache ein. Durch die Interpretation von Psalmen als<br />
Kantor (Konkathedrale Stuttgart) und die Arbeit im Kammerchor (Singakademie<br />
zu Berlin) intensivierte er seine Musikerfahrung. Um den Klang in seiner<br />
Mannigfaltigkeit zu erleben, ließ er die Trompete an unterschiedlichsten<br />
Orten (am Strand, in Kirchen, auf Bergen, auf Brücken, im Musikstudio…) in<br />
aller Welt erklingen.<br />
Biliana Voutchkova from Bulgaria is a violinist of contemporary classical music, of improvisation<br />
and experimental interdisciplinary projects, especially music, dance and video.<br />
She lives in Berlin. Her musical work reflects a wide range of influences. Voutchkova<br />
has concertised for a worldwide audience as a recitalist, chamber musician and soloist<br />
with orchestras such as Munich Chamber Orchestra, New England String Ensemble, To-<br />
Born in Regensburg/Bavaria in 1973. Since his childhood, he has been singing and playing<br />
flute, piano and trumpet. He is interested in different musical genres such as Classical,<br />
382 383
Jazz, Rock`n`Roll, Pop, Gregorian, traditional Bavarian wind music. With various groups<br />
he deepened the musical styles (in Germany, Czech Republic, USA, Peru, Venezuela)<br />
and worked as a member and director. As head of institutions [social pedagogue (FH) or<br />
social manager (M.A.)] he used music as a universal language in youth centers and in a<br />
primary school nursery. Through the interpretation of psalms as cantor (Stuttgart Cathedral)<br />
and his work in the chamber choir (Singakademie Berlin), he intensified his musical<br />
experience. In order to experience the sound in its omnifariousness, he let the trumpet<br />
sound at a number of different places (on the beach, in churches, on mountains, on bridges,<br />
in the music studio...) all over the world.<br />
Versuchsanordnung 1 – Sri Joko Raharjo<br />
Set 1: https://vimeo.com/915488146<br />
Set 2: https://vimeo.com/915494128<br />
Videolinks<br />
Versuchsanordnung 3 – Heike Gäßler<br />
Set 1: https://vimeo.com/915497464<br />
Set 2: https://vimeo.com/915501321<br />
Set 3: https://vimeo.com/915502411<br />
Versuchsanordnung 4 – Klaus Janek<br />
Set 1: https://vimeo.com/915503792<br />
Set 2: https://vimeo.com/915505809<br />
Set 3: https://vimeo.com/915507733<br />
Versuchsanordnung 5 – Biliana Voutchkova<br />
Set 1: https://vimeo.com/915509775<br />
Set 2: https://vimeo.com/915513084<br />
Versuchsanordnung 6 – Dietmar Kirstein<br />
Set 1: https://vimeo.com/917173599<br />
Set 2: https://vimeo.com/915516553<br />
Versuchsanordnung 7 – Michael Thieke<br />
Set 1: https://vimeo.com/915519223<br />
Set 2: https://vimeo.com/915521866<br />
Versuchsanordnung 8 – Claudia Risch<br />
Set 1: https://vimeo.com/915524883<br />
Set 2: https://vimeo.com/928430420<br />
Versuchsanordnung 9 – Thomasn Gerwin<br />
Set 1: https://vimeo.com/917115591<br />
Set 2: https://vimeo.com/917122044<br />
384 385
Versuchsanordnung 10 – Clayton Thomas<br />
Set 1: https://vimeo.com/917132003<br />
Set 2: https://vimeo.com/917045142<br />
Versuchsanordnung 11 –Thorsten Bloedhorn<br />
Set 1: https://vimeo.com/917051551<br />
Set 2: https://vimeo.com/917091468<br />
Versuchsanordnung 12 – Matthias Bauer<br />
Set 1: https://vimeo.com/917096352<br />
Set 2: https://vimeo.com/917101336<br />
Versuchsanordnung 13 – Markus Pesonen<br />
Set 1: https://vimeo.com/917106302<br />
Set 2: https://vimeo.com/917110702<br />
Literaturverzeichnis<br />
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Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses,<br />
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Heike Gäßler: Chinesischer moderner Tanz, eine theaterwissenschaftliche<br />
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Deborah Hay: My Body, The Buddhist, Middletown, Connecticut 2000.<br />
Keith Johnstone: Improvisation und Theater. Berlin 2018.<br />
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