MEIN RING-KAMPF UM DREI TUNNEL UND DEN PETUELPARK - Barbara Schöne
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BARBARA SCHÖNE<br />
<strong>MEIN</strong> <strong>RING</strong>-<strong>KAMPF</strong><br />
<strong>UM</strong> <strong>DREI</strong> <strong>TUNNEL</strong> <strong>UND</strong> <strong>DEN</strong> <strong>PETUELPARK</strong>
<strong>RING</strong>-K<br />
MEHR DEMOKRATIE AM MITTLEREN <strong>RING</strong><br />
Als Tunnelkämpferin auf der politischen Achterbahn<br />
<strong>Barbara</strong> <strong>Schöne</strong><br />
Mit den Olympischen<br />
Sommerspielen 1972<br />
öffnete sich für das<br />
Millionendorf<br />
München das Tor in<br />
die Neuzeit. Die bisherige<br />
Künstler- und<br />
Literaturstadt stand<br />
jetzt im Scheinwerferlicht<br />
der Welt und<br />
hatte sich dafür<br />
mächtig ins Zeug<br />
gelegt. Es wurden<br />
punktgenau Errungenschaften<br />
geschaffen, die für die Stadt bis heute und auch<br />
für die Zukunft sehr wertvoll sind: Rechtzeitig zu den Sommerspielen<br />
nahm im Mai 1972 der neu gegründete Münchner<br />
Verkehrsverbund MVV seine Arbeit auf. Pünktlich zu den<br />
Olympischen Spielen wurde mit der U3 direkt zum Olympiazentrum<br />
die erste U-Bahn fertig. Ebenfalls im Mai 1972 wurde<br />
dem ständig wachsenden Autoverkehr der 28 Kilometer lange<br />
Mittlere Ring übergeben, an dem die Stadt seit den 1950er<br />
Jahren plante. Durch den Olympiapark mit dem architektonisch<br />
gewagten und heute weltberühmten Zeltdach bekam<br />
München eine Sport- und Grünanlage, die die Münchner<br />
lieben und intensiv nutzen. Mit dem Olympischen Dorf und<br />
der Pressestadt entstanden auf einen Schlag Tausende<br />
moderne Wohnungen, die München so dringend brauchte.<br />
Damit hatte die Stadt München schon vor den Olympischen<br />
Sommerspielen symbolisch die erste Goldmedaille verdient.<br />
Doch Anfang der 1990er Jahre war der Elan verflogen, und es<br />
wuchs der Widerstand gegen „Großprojekte“ aus Eigennutz –<br />
oder ideologischen Gründen. München rückte immer weiter<br />
ab vom Siegertreppchen, und es gab gerade auf der Straße<br />
immer mehr Verlierer. Das bekamen mit voller Wucht vor<br />
allem der Petuelring und die Menschen in seiner Nachbarschaft<br />
zu spüren.<br />
Der Herkules hinter Olympia war mit Hans-Jochen Vogel<br />
(1960-1972) ein handfest durchgreifender SPD-Oberbürgermeister.<br />
Sein Stadtrat verhedderte sich noch nicht in<br />
tiefen Gräben von Rathaus-Bündnissen, sondern sie<br />
konnten den Pioniergeist in der bayerischen Landeshauptstadt<br />
gemeinsam wecken.<br />
Mit diesem riesigen Kraftakt „Olympia“ reagierte München<br />
auf drei zentrale Sorgen: den Mangel an modernen Wohnungen<br />
im Nachkriegs-München, das Problem mit dem<br />
ÖPNV und den zunehmenden Autoverkehr. Schon Anfang<br />
der 1950er begann man, sich über Ringstraßen Gedanken<br />
zu machen – eine davon war der Mittlere Ring.<br />
Was habe ich damals am Petuelring vorgefunden?<br />
Als ich 1972 nach München heiratete und eine Familie<br />
gründete, habe ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich<br />
viele Jahre später an meine physischen und psychischen<br />
Grenzen gehen und für den Autotunnel kämpfen würde.<br />
Ich wechselte von Mannheim in meine Wahlheimat an der<br />
Isar und erlebte die Olympia-Euphorie und eine Stimmung<br />
des Aufbruchs in die Moderne.<br />
1981 zog ich mit meiner kleinen Tochter als alleinerziehende<br />
und in der Touristik freiberuflich tätige Mutter in meine<br />
Wohnung parallel zum Petuelring in die Rümannstraße 57.<br />
Da ahnte ich noch nichts von der Achterbahn der Gefühle,<br />
in die mich der Umzug stürzen sollte, von den politischen<br />
Hahnenkämpfen und den verworrenen Situationen im<br />
Rathaus, von Missgünstigen und Fallenstellern, von den<br />
Diffamierungen, Unterstellungen und persönlichen<br />
Anfeindungen. Doch als Spross einer Unternehmerfamilie<br />
erlebte ich auch, was es als Frau bedeutet, stark und<br />
leidenschaftlich zu sein, gradlinig zu bleiben, Visionen zu<br />
entwickeln und dank eines soliden und wertebewussten<br />
Elternhauses ein Ziel zu haben: Gib niemals auf! Deshalb<br />
erlebte ich viele Jahre später auch die Dankbarkeit der<br />
Menschen, denen mein Kampf um den Petueltunnel mit<br />
Park frische Luft zum Atmen und eine wesentlich bessere<br />
Lebensqualität gebracht hat.<br />
Ich selbst habe die Großbaustelle am Petuelring nicht<br />
miterleben dürfen und konnte es nie genießen, wie man<br />
direkt am Petuelpark lebt, nachdem der Tunnel am Petuelring<br />
vor der Lerchenauer Straße und nach der Leopoldstraße<br />
10
AMPF<br />
endlich am 6. Juli 2002 eröffnet wurde: Ich war zum<br />
Jahreswechsel 1997/1998 gezwungen, aus Sicherheitsgründen<br />
aus meiner Wohnung in der Rümannstraße 57<br />
auszuziehen, weil mich ein junger Stalker aus der Nachbarwohnung<br />
seit 1990 furchtbar terrorisierte. Er hatte mir<br />
schriftlich gedroht, mir das Gesicht mit Messern zu zerkratzen<br />
und mich über seine Kontakte zum Ausland umbringen<br />
zu lassen.<br />
Die Jeanne d’Arc vom Mittleren Ring<br />
Wenn man heute durch den Petueltunnel fährt oder<br />
darüber im Park flaniert und sich genüsslich in der Sonne<br />
sitzend ausruht, kann man sich nicht mehr vorstellen, wie<br />
es einmal war: diese giftigen Abgaswolken und der animalische<br />
Höllenlärm: jeden Tag, auch am Wochenende, wenn<br />
Abertausende Fußballfans in Bussen, in Autos Stoßstange<br />
an Stoßstange oder auf knatternden Motorrädern zum<br />
Olympiastadion fuhren.<br />
Als ich bei meinem Einzug 1981 aus dem Fenster in der<br />
Rümannstraße auf die endlose Blechlawine auf dem<br />
Petuelring schaute, war mein erster Gedanke: Hier müsste<br />
ein Tunnel gebaut werden, möglichst mit viel Grün obendrauf!<br />
Dann könnte ich in frischer Luft joggen und abends<br />
mit meinem Cocker-Spaniel ausgiebig Gassi gehen. Dieser<br />
Wunschtraum hat mich so beflügelt, dass ich daraus<br />
enthusiastisch einen neun Jahre langen, aufopferungsvollen<br />
Kampf für den Petueltunnel mit Park entwickelte. An<br />
dessen Ende ging ich vor genau einem Vierteljahrhundert<br />
am 23. Juni 1996 als Siegerin bei dem Bürgerentscheid für<br />
die drei Tunnel am Mittleren Ring hervor. Die FAZ adelte<br />
mich am Tag der Tunneleröffnung 2002 zur „Jeanne<br />
d' Arc vom Mittleren Ring“.<br />
Anfangs habe ich mich immer wieder gefragt: Was stellen<br />
sich der Oberbürgermeister, der Stadtrat und alle die<br />
Widerständler eigentlich vor, wie man direkt am Ring leben<br />
kann und soll? Es geht beim Petueltunnel doch nicht<br />
einzig und allein um die Vorteile für die Auto- und LKW-<br />
Fahrer. Es geht um frische Luft, um eine bessere Lebensqualität<br />
und den Gesundheitsschutz für einhunderttausend<br />
Menschen im damaligen Stadtteil Schwabing-Nord/<br />
Milbertshofen/Am Hart. Es geht doch primär um die<br />
Beseitigung von Münchens größter Umweltsünde! Das<br />
haben die Grünen (die angeblichen Ökos), viele in der SPD<br />
und andere Anti-Tunnel-Aktivisten bis heute nicht verstanden.<br />
Man stelle sich einmal diese menschenverachtende<br />
Idee von Rot/Grün von damals vor, am Petuelring einen<br />
Riegel mit Wohnungen bauen zu lassen, quasi eine „Menschenmauer“,<br />
um uns aufmüpfige Ring-Kämpfer aus der<br />
Klopstockstraße/Rümannstraße zum Schweigen zu<br />
bringen.<br />
Ich hätte es mir leicht machen und dem Rat meiner Familie<br />
folgen können: „Zieh halt da weg und komm zu uns nach<br />
Harlaching!“ Im Nachhinein frage ich mich aus meiner<br />
jahrelangen leidvollen Erfahrung: Wer hätte denn neun<br />
Jahre lang einen beispiellosen „Ring-Kampf“ um den<br />
Petueltunnel dann aufgenommen? Wer hätte sich da<br />
immer wieder umgeben von stinkenden Abgaswolken an<br />
den Ring gestellt, um Pro-Tunnel-Unterschriften zu<br />
sammeln, wenn es mich nicht gegeben hätte? Unternehmerisch<br />
denkende Menschen wie meine Familie und ich<br />
sind es gewohnt zu handeln, auch wenn es schwierig ist<br />
und die Aussicht auf Erfolg minimal. Also: Wer hätte den<br />
neun Jahre langen Kampf auf sich genommen und sich bei<br />
Wind und Wetter an die Straße gestellt, um mit betroffenen<br />
Menschen zu sprechen, ihre Ängste und Bedenken<br />
aufgegriffen und um deren Unterschrift gebeten (gebettelt)?<br />
Wem wären die pfiffigen Pro-Tunnel-Aktionen<br />
eingefallen, hätte sie organisiert und auf eigenes Risiko<br />
durchgeführt? Nicht zu vergessen: Wie viel privates Geld<br />
musste ich investieren, um mich leidenschaftlich und voller<br />
Überzeugung für den Tunnel mit Park einzusetzen?<br />
Offensichtlich hatte ich mit meinem privaten Engagement<br />
eine Art Flächenbrand ausgelöst, wenn ich an die höchst<br />
turbulenten Bürgerversammlungen 1990 -1995 zurückdenke.<br />
Der Baureferent wurde zurückgepfiffen – ich sollte kein<br />
Rederecht bekommen.<br />
Da ich 1990 nur eine rote IBM-Kugelkopfschreibmaschine<br />
besaß, jedoch kein FAX, durfte ich abends und am Wochenende<br />
nach Grünwald ins technisch modern eingerichtete<br />
Büro meiner Bruders Michael Hammer fahren. Von seiner<br />
BHB Bauträger GmbH aus durfte ich meine Presse-Erklärungen<br />
verschicken.<br />
Diesen Umstand nahm Stadträtin Constanze Lindner-<br />
Schädlich (SPD) mit dem größten Vergnügen zum<br />
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<strong>Barbara</strong> <strong>Schöne</strong> bei der Vereidigung als neue Stadträtin im Alten Rathaus am 2. Mai 1996.<br />
diese Platzierung aussichtslos. Meine BIP e. V. bat mich<br />
inständig, nicht aufzugeben: „Da müssen Sie jetzt durch!“<br />
Am Ende habe ich es Ihnen allen gezeigt. Tunnelfreunde in<br />
ganz München häufelten mich bei der Stadtratswahl am<br />
10. März 1996 vom schier aussichtslosen Platz 46 (auf den<br />
ich inzwischen vorgerutscht war) vor auf Platz 32 der<br />
CSU-Stadtratsfraktion. Plötzlich wurde ich als „Seiteneinsteigerin“<br />
völlig überraschendes Mitglied des ehrenamtlichen<br />
Stadtrats – also eine von 80 Stadträten bei über 900<br />
Stadtratskandidaten. Es war für mich eine Ehre und eine<br />
großartige Wertschätzung der Münchner, jetzt als Polit-<br />
Neuling im Stadtrat der Landeshauptstadt München<br />
vertreten zu sein. Für mich war es das Wichtigste, dass ich<br />
genau hier und jetzt für meinen Petueltunnel kämpfen<br />
konnte, in der politischen Schaltzentrale.<br />
Nach meiner Vereidigung im Alten Rathaussaal habe ich<br />
nochmals richtig Gas gegeben auf der Zielgeraden für mein<br />
persönliches Finale im „Ringkampf“.<br />
Mein Endspurt im Wahlkampf um die drei Tunnel –<br />
ein Wahlkrimi der ganz besonderen Art<br />
Nur zwei Wochen nach den Kommunalwahlen vom<br />
10. März 1996 hat der Stadtrat am 25. März in einer<br />
Sondersitzung das Tunnel-Bürgerbegehren und das<br />
„Bessere Bürgerbegehren“ zugelassen. Da beide Initiativen<br />
die notwendige Anzahl von jeweils 27.000 Unterstützerunterschriften<br />
gesammelt hatten, musste binnen drei<br />
Monaten die amtliche Abstimmung über beide Begehren<br />
durchgeführt werden. Die Entscheidung fiel auf den<br />
23. Juni 1996, also heuer vor genau 25 Jahren, vor einem<br />
Vierteljahrhundert!<br />
Damit standen sogar drei Abstimmungen an: Ja zu den<br />
drei Tunnels. Ja zum „Besseren Bürgerbegehren“ gegen die<br />
Tunnels. Und sicherheitshalber musste eine Stichfrage mit<br />
Ja oder Nein beantwortet werden, falls beide Bürgerbegehren<br />
eine Mehrheit erhalten sollten: „Sind Sie für die drei<br />
Tunnels oder für das Bessere Bürgerbegehren?“ Diese<br />
zusätzliche Stichfrage war eine sehr kluge Entscheidung.<br />
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BAU<br />
PETUEL<strong>TUNNEL</strong> <strong>UND</strong> <strong>PETUELPARK</strong><br />
Gesamtkunstwerk<br />
Horst Haffner,<br />
berufsmäßiger Stadtrat a.D. und<br />
Baureferent von 1988-2004<br />
„Nach zweihundert Metern<br />
beginnt das Paradies: Nur<br />
wenige Schritte von den<br />
Straßenkreuzungen<br />
entfernt ebbt der dröhnende<br />
Verkehrslärm ab, verliert<br />
die staubgeschwängerte<br />
Luft aus Benzin- und<br />
Dieselabgasen ihren<br />
beißenden Gestank. Je<br />
weiter man sich in den Park<br />
begibt, desto mehr riecht<br />
es nach Gras, Blumen und<br />
frischem Wasser. Selbst<br />
Vogelstimmen sind wieder zu hören.“<br />
Mit diesen Sätzen hatte ich Ende 2005 meinen Text zur<br />
Beschreibung des Petuelparks begonnen. Denn er war die<br />
Krönung des neuen Petueltunnels. Dessen Realisierung war<br />
durch den erfolgreichen Bürgerentscheid „Drei Tunnel<br />
braucht der Mittlere Ring“ von 1996 möglich geworden,<br />
den <strong>Barbara</strong> <strong>Schöne</strong> und ihre Initiative herbeigeführt<br />
hatten. Der Petuelring kam als erster dran in der Zeit von<br />
1997 bis 2002. Die anderen Tunnelbauten, nämlich in der<br />
Richard-Strauss-Straße und beim Luise-Kiesselbach-Platz,<br />
folgten einige Jahre später.<br />
Jahrzehntelang hatten die Stadtteile Schwabing und<br />
Milbertshofen unter der Trennung durch die sechsspurige<br />
Ringstraße und ihre quälenden Autokarawanen und<br />
Verkehrsstaus gelitten. Zwischen 90.000 und 120.000 Fahrzeuge<br />
täglich verpesteten ein Umfeld, wo hohe Wohnhäuser<br />
stehen und die „Münchner Pfennigparade“ angesiedelt<br />
ist, Deutschlands größte Stiftung für Körperbehinderte. Im<br />
teilweise gewerblich geprägten Gebiet nördlich des Rings<br />
mit seinen Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie Schrebergärten<br />
und Sportanlagen hatte das Lion-Feuchtwanger-<br />
Gymnasium der Straße aus Verzweiflung den Rücken<br />
gekehrt und den Schulhof auf der vom Lärm abgewandten<br />
Nordseite platziert.<br />
Zur Zeit des Bürgerentscheids lagen bereits sechs Jahre<br />
lang baureife Pläne in den Schubladen, die nur herausgezogen<br />
und in die Tat umgesetzt werden mussten. Gegenüber<br />
den genannten beiden anderen Ausbauabschnitten im<br />
Osten und Süden der Stadt zeichnete sich der geplante<br />
Petuelring noch auf andere Weise aus: Auf zwei Drittel<br />
seiner Länge von 1,5 Kilometern zweigten keine Straßen<br />
ab, sodass auf dem größten Teil seiner Oberfläche ein Park<br />
angelegt werden konnte. Allerdings hatte man auf dieser<br />
rund 900 Meter langen Strecke den Tunnel der Kosten<br />
wegen aus dem Grundwasser herausheben und seine<br />
Deckenoberfläche 2,60 Meter über Terrain legen müssen.<br />
Der dadurch entstehende Geländesprung war in den<br />
Entwürfen der 1980er Jahre von den damaligen Landschaftsplanern<br />
unter einer Hügellandschaft versteckt<br />
worden. Das geplante bewegte Gelände, die sich dahinschlängelnden<br />
Wege und der mäandrierende Verlauf des<br />
Nymphenburg-Biedersteiner-Kanals hatten damals bei der<br />
Bevölkerung noch rundum Zustimmung gefunden. Doch<br />
zehn Jahre später galten diese Vorstellungen als überholt,<br />
auch als zu wenig ortsbezogen. Gespräche mit der Regierung<br />
von Oberbayern und dem Bayerischen Wasserwirtschaftsamt<br />
ergaben, dass eine Überarbeitung des Parkkonzeptes<br />
kein neues Planfeststellungsverfahren nach sich<br />
ziehen würde, solange die Grundziele der Planung erhalten<br />
blieben: Entstehung eines Parks, Vernetzung der bislang<br />
getrennten Stadtteile und der naturnahe Ausbau des<br />
Kanals. Mit dieser Entscheidung konnten auch die Ingenieure<br />
des Tunnelbaus leben. Die Gesamtkosten lagen mit<br />
205 Millionen Euro im üblichen Rahmen. Damit wurden die<br />
ursprünglich veranschlagten Kosten vom städtischen<br />
Baureferat sogar noch unterschritten.<br />
Schließlich ging es dann um die Neugestaltung des<br />
Petuelparks, die auch für die Bewohnerinnen und Bewohner<br />
die herausragende Rolle spielte. Im Zuge eines europaweiten<br />
Auswahlverfahrens zur Ermittlung der besten<br />
Landschaftsplaner ging die Arbeitsgemeinschaft Jüling und<br />
Bertram mit den Wasserbauexperten Blasy und Mader als<br />
Sieger hervor. Die Gruppe hatte die Chancen des Ortes voll<br />
genutzt. Sie thematisierte den vorgefundenen Raum,<br />
56
Baustelle des Petueltunnels 1997 - 2002 mit Fahrbahnverschwenkungen<br />
57
Pia Stadtbäumer mit seinem jugendlichen Reiter und<br />
beladen mit den Statussymbolen der Trashkultur deutlich<br />
Bezug nimmt zu den sich nun fröhlich austobenden<br />
Kindern und Jugendlichen. Stellvertretend für die vielen<br />
übrigen künstlerischen Arbeiten sei noch die Lichtkunst<br />
von Dietmar Tanterl erwähnt: Autoscheinwerfer, integriert<br />
in mehr als 70 Stahlstelen, werfen nachts weiße und grüne<br />
Lichtkegel auf Wiesen, Bäume und Wasser und modellieren<br />
eine Stadtlandschaft, deren Silhouette als autonome<br />
Lichtskulptur den Betrachtern völlig neue Raumwahrnehmungen<br />
erlaubt.<br />
Vielleicht wäre das Verständnis für das „Gesamtkunstwerk<br />
Petueltunnel und Petuelpark“ ohne eine intensive Öffentlichkeitsarbeit<br />
nicht so zustimmend ausgefallen. Immerhin<br />
hat man im Vorfeld der Planungen zahlreiche Informationsveranstaltungen,<br />
Workshops und Pressekonferenzen<br />
organisiert, sodass die Bürgerinnen und Bürger stets auf<br />
dem Laufenden waren und an den Entwicklungen teilhaben<br />
konnten. Die Stadt München hat mit dem Petueltunnel<br />
und dem Petuelpark eine sinnvolle Investition in die<br />
Zukunft getätigt, deren Aufwand gerechtfertigt ist<br />
angesichts der jahrzehntelangen Benachteiligung des<br />
Münchner Nordens.<br />
Baustelle Petueltunnel<br />
Baureferent Horst Haffner und Stadträtin <strong>Barbara</strong> <strong>Schöne</strong> – ein Prosit<br />
auf die offizielle Teil-Eröffnung des Petueltunnels Oktober 2001. Tunneleinfahrt an der Schenkendorfstraße→<br />
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Tunneleinfahrt an der Schenkendorfstraße<br />
Der Abluftkamin neben dem<br />
Hochbunker an der Riesenfeldstraße<br />
→<br />
Die Glaseinhausung über der Südröhre und Sonntagsverkehr Richtung Nordröhre.<br />
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OASE<br />
IMPRESSIONEN VOM <strong>PETUELPARK</strong><br />
Oase, Lebensraum und Kunstraum<br />
Katrin Pollems-Braunfels,<br />
Kunsthistorikerin M.A.<br />
Kann man sich etwas Unwirtlicheres vorstellen, als eine<br />
mehrspurige Stadtautobahn? Eine Schnellstraße, nur dazu<br />
gemacht, um den Verkehr ohne Unterbrechung, rasch und<br />
reibungslos von A nach B zu bringen? Ja, es gibt etwas<br />
Unwirtlicheres – diese Schnellstraße als Tunnel. Wer würde<br />
sich freiwillig einem Aufenthalt dort unten aussetzen?<br />
Geradezu lebensfeindlich wirken die Autos, deren Abgase<br />
und deren Lärm. Man vergisst, dass jedes von einem<br />
Menschen gesteuert wird – noch.<br />
Und doch ist in München in Zusammenhang mit einem<br />
solchen Tunnelbau eine Oase entstanden, in der das Leben<br />
gefeiert wird. Hier ist ein Ort für jeden, für jeden Lebensabschnitt<br />
und für jedes Alter gebaut worden. Entstanden in<br />
einem der seltenen Glücksmomente der Geschichte, in dem<br />
die richtigen Personen an den richtigen Hebeln saßen und<br />
diese zu bedienen wussten.<br />
Der Petuelpark in München ist das Ergebnis der Idee, dass<br />
ein Verkehrsbauwerk, ein Straßentunnel, noch einen<br />
anderen Zweck haben könnte – das Wohl der Anwohner.<br />
Vorher: die Schnellstraße, ein Teil des Mittleren Rings in<br />
München, ständig verstopft, laut, stinkend. Hinterher: der<br />
Tunnel und darauf ein formaler Landschaftspark, der in<br />
seiner naturgemäß langgestreckten Form mit vielen<br />
unterschiedlichen, künstlerisch gestalteten Räumen<br />
aufwarten kann. Lebensfeindlich wandelt sich zu menschenfreundlich,<br />
zeitgenössische und zuweilen augenzwinkernde<br />
Kunst inklusive.<br />
Wer den Petuelpark von Westen, von der Belgradstraße her,<br />
betritt, ist schlagartig in einer anderen Welt. Der Spaziergänger<br />
wird begrüßt von einer freundlichen Birkenallee<br />
– ungewöhnlich als Straßenbäume –, die mit ihren weißen<br />
Stämmen in strenger Reihe den sanft ansteigenden Rasen<br />
über dem Tunnelmund begleiten und gleich signalisieren:<br />
Hier beginnt etwas, etwas Neues, ganz anderes.<br />
Rechts, unterhalb der begrenzenden Mauer fließt der<br />
Nymphenburg-Biedersteiner Kanal, der von Nymphenburg<br />
kommend einst zu dem weitgespannten Kanalsystem<br />
gehörte, das die Schlösser Nymphenburg und<br />
Schleißheim verbindet. Ihm wurde neue Naturnähe<br />
geschenkt, es wurden die Ufer aus ihrem strengen Bett<br />
befreit, Sumpfschwertlilien, Rohrkolben und andere –<br />
auch seltene – Wasserpflanzen verwandelten ihn in einen<br />
Lebensraum für Enten und viele Arten von Wasservögeln.<br />
Auch Fische wurden in dem ehemaligen Kanal schon<br />
gesichtet.<br />
Im Norden, jenseits eines Hains mit üppig blühenden<br />
japanischen Zierkirschen, fällt der Blick des Flaneurs auf ein<br />
ungewöhnliches Bauwerk, gänzlich überwölbt von einer<br />
Wellblechtonne, umgeben von einem sorgfältig gepflegten<br />
Garten. Hier hat der Generationengarten der Pfennigparade<br />
und des Vereins Stadtteilarbeit seinen hervorgehobenen<br />
Platz gefunden. Auf 400 Quadratmeter Fläche können sich<br />
Bürger hier selbst gärtnerisch betätigen. Der Pavillon dient<br />
dabei Projekten und Veranstaltungen.<br />
Auf unserem weiteren Weg nach Osten, nahe der Stiftung<br />
Pfennigparade und jenseits des Kanals, grüßt eine marmorweiße<br />
Madonna mit Kind, eine Arbeit von Hans van<br />
Houwelingen nach einer Skulptur aus dem 15. Jahrhundert,<br />
die als Patronin des Petuelparks gesehen werden könnte.<br />
Sie heißt „Maria, Quell des Lebens“ und ist im Marienmonat<br />
Mai Ziel von Marienandachten. Aus der Hand des Jesuskindes<br />
fließt Wasser, heute Trinkwasser.<br />
Nördlich der Promenaden und Wiesenflächen des<br />
Petuelparks begleiten Spielplätze und Spielflächen mit<br />
Spielgeräten und Spielmöglichkeiten für Kinder jeden<br />
Alters als sogenanntes Spielband den Park und stehen<br />
den Anwohnern sowie den Schülern des nahen Lion-<br />
Feuchtwanger-Gymnasiums zur Verfügung. Jugendliche<br />
treffen sich auf dem Streetballplatz, kleinere Kinder<br />
klettern im weit aufgespannten Spielnetz herum, gut<br />
behütet von Eltern oder Großeltern. Im Sommer bietet<br />
der Wasserspielplatz Abkühlung, der Bolzplatz hilft beim<br />
Austoben nach langen (Home)-Schooling-Tagen. Auch<br />
während meines Spaziergangs höre ich fröhliches<br />
Kinderlachen.<br />
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Der Nymphenburg-Biedersteiner Kanal fließt entlang des Petueltunnels Richtung Englischer Garten.<br />
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Café Ludwig - Treffpunkt und Herz des Petuelparks (Architekt Uwe Kiessler München)<br />
Oase Petuelpark →<br />
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Die Skulptur GO! von<br />
Pia Stadtbäumer<br />
(Düsseldorf) : Muli und<br />
Reiter sind beladen mit<br />
Statussymbolen der<br />
Trashkultur und drehen<br />
sich langsam um ihre<br />
Achse. →<br />
Wasserspeier im<br />
1000 qm großen<br />
Wasser-Sand-<br />
Kinderspielplatz<br />
Marienstatue am Rande<br />
des Petuelparks (Hans<br />
van Houwelingen,<br />
Amsterdam)<br />
Gestalterisch zusammengebunden wird das Parkgelände<br />
von einem ausgeklügelten Lichtkunstkonzept. 70 Edelstahlstelen<br />
von Dietmar Tanterl legen mit Autoscheinwerfern<br />
farbiges Licht über den Park – passend zum Verkehrsbauwerk<br />
und zum ikonischen BMW-Museum, das im<br />
Westen des Petuelparks als Landmark grüßt.<br />
Doch hoppla, beim Weiterflanieren muss man etwas<br />
aufpassen. Dass der Petuelpark tatsächlich als Verbindung<br />
zwischen den Stadtteilen genutzt wird, das machen uns<br />
schlendernden Spaziergängern die querenden Radler<br />
schnell klar. Ihnen ist es an schnellem Fortkommen gelegen,<br />
auf ihrem täglichen Arbeitsweg haben sie kaum noch<br />
Augen für die Besonderheiten dieses außergewöhnlichen<br />
Parks. Die ungeduldigen Radler sind an diesem Frühlingstag<br />
meine Kronzeugen für das reibungslose Funktionieren,<br />
für die neue Durchlässigkeit zwischen den Stadtteilen<br />
Schwabing im Süden und Milbertshofen im Norden.<br />
Wer dem Sog der zentralen Grünfläche auf ihren 70<br />
Metern Breite und 600 Metern Länge Richtung Osten folgt,<br />
gerät ins Grübeln, wo er einen solchen Park schon einmal<br />
gesehen haben könnte. Oder handelt es sich hier um eine<br />
neue Typologie? Wo gibt es sonst eine parkähnliche<br />
Grünfläche, die quasi als willkommenes Nebenprodukt<br />
eines Verkehrsbauwerks entstanden ist? Ja, New York hat<br />
seinen „High Line Park“, der aus einer aufgeständerten,<br />
aufgelassenen Güterzugtrasse entwickelt werden konnte<br />
und ebenfalls durch Anwohnerbegehren entstanden ist.<br />
Von hier aus gab es weltweit einige weitere Vorhaben in<br />
Paris, Wien oder Leipzig. Auch in München ist geplant, die<br />
Gleise, die auf den ehemaligen Bahnhof Olympiazentrum<br />
zuführen, in einen Park zu verwandeln. Vergleichbar mit<br />
den erwähnten Parkanlagen, die auf Gleisanlagen zurückgehen,<br />
ist der Petuelpark wegen seiner Linearität, seiner<br />
längsgerichteten Struktur, die durch die Landschaftsarchitekten<br />
zwar mehrmals gebrochen und in erlebbare Kleinstrukturen<br />
geteilt wurde, doch nirgends geleugnet oder<br />
verunklärt wird. Hier wird nicht zu Naturähnlichkeit<br />
verschliffen, was aufgrund der künstlichen Topografie nicht<br />
verschliffen werden kann. Angesichts dieser Grundstruktur<br />
erscheint es umso erstaunlicher, wie viele große und kleine<br />
Erlebnisräume sich von den drei großen Plätzen ausgehend<br />
bis zu den kleinteiligen „Zimmern“ unterhalb der südlichen<br />
Mauer ergeben.<br />
Im Petuelpark hat man zu einer neuen Typologie gefunden,<br />
hier wird die Künstlichkeit nicht versteckt, sondern mit<br />
Kunst betont und auf eine Metaebene gehoben. Augenzwinkernd<br />
bietet zum Beispiel das Periskop von Bogomir<br />
Ecker den Blick in den Straßentunnel an, in den Worten des<br />
Künstlers – ein „Blick aus der Idylle hinab ins Inferno“.<br />
Stephan Huber war der Kurator des übergreifenden<br />
Kunstkonzeptes, das sich auch nach 20 Jahren noch als<br />
sehr zeitgenössisch und angemessen präsentiert. Die meist<br />
überraschend wie beiläufig platzierten Werke nehmen<br />
Bezug auf den Ort und fügen ihm wichtige Facetten hinzu,<br />
binden alles zusammen. Gleich im Westen bildet ein<br />
Glashaus den Auftakt: Der Berliner Künstler Raimund<br />
Kummer hat seine Arbeit „Augen für einen am Baum<br />
angeketteten Klappstuhl“ genannt. Ich stehe vor dem<br />
achteckigen Gehäuse, das an ein Gewächshaus erinnert. In<br />
seinem Inneren hängen zwei schwere Glasobjekte, die in<br />
Grüntönen schillern. Bei ihrem Anblick komme ich ins<br />
Nachdenken über das Verhältnis zwischen Betrachter und<br />
betrachtetem Objekt, zwischen Innen und Außen, zwischen<br />
Sehen und Gesehen-Werden. Denn diese Objekte, die mit<br />
ihrer makellos glatten Glasoberfläche zu fließen scheinen,<br />
strahlen die Schönheit einer fleischfressenden Pflanze oder<br />
eines seltenen Insekts aus und sollen doch menschliche<br />
Augen darstellen.<br />
Beim Weiterschlendern quere ich einen Platz mit einladenden<br />
Holzwellen, auf denen ich Platz nehmen könnte. Doch<br />
mich interessiert etwas anderes: Ein Cowboy sitzt im<br />
Schneidersitz auf einem Maultier. Er hat seinen gesamten<br />
Hausrat in Plastiktüten verpackt und sich zusammen mit<br />
allerlei Must-have-Dingen am Sattelknauf auf den Weg<br />
gemacht. „Go“ heißt die beliebte Skulptur der Düsseldorfer<br />
Künstlerin Pia Stadtbäumer. Die Figur dreht sich langsam<br />
um die eigene Achse, gelegentlich höre ich einen Schrei des<br />
Maultiers. Hier geht es um die „Aktualität des Augenblicks“,<br />
um Konsum und Besitz, Statussymbole unserer Zeit. Wie<br />
Ecker mit seinem Glaspavillon greift Stadtbäumer auf ein<br />
klassisches Motiv der Parkskulptur, hier das Reiterstandbild,<br />
zurück, und transformiert es in unsere Zeit.<br />
Ich bin müde geworden und suche einen Ort der Rast, den<br />
ich am Fontänenplatz vor dem eleganten Café Ludwig von<br />
Uwe Kiessler finde. Der KUBUS liegt an der Kreuzung der<br />
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Aus einem Stiefelpaar schießt eine bis zu<br />
sieben Meter hohe Wasserfontäne. Aus dem<br />
zweiten Stiefelpaar strömt stoßweise Luft<br />
(Roman Signer, St. Gallen)<br />
Hauptachsen durch den Petuelpark und beherbergt in<br />
seinem Untergeschoss einen Ausstellungsraum, der von<br />
außen sogar zu Corona-Zeiten einsehbar ist. Kiki Smith und<br />
<strong>Barbara</strong> Bloom gestalteten Räume im Inneren des Cafés.<br />
„Die Tortenvitrine“ von Alexandra Ranner im Schaufenster<br />
des Cafés verführte mich auf meiner Suche nach einem<br />
kleinen Happen, bis ich stutzig werde. Hier wird auf<br />
raffinierteste Weise mit den Sinnen und der Vorstellung<br />
gespielt. Die als Vorlage dienenden echten Torten wurden<br />
in Silikon abgeformt und in verschiedenen farbigen<br />
Schichten gegossen.<br />
Nicht weit entfernt liegt das „Rhetorische Wäldchen“ von<br />
Harald Klingelhöller. Sechs unterschiedlich große Rednerpulte<br />
aus schwarzem und weißem Granit sind elegant<br />
unter Bäumen platziert. Im Sommer spenden sie als<br />
Trinkbrunnen auf Knopfdruck einen Wasserstrahl. Man<br />
denkt an das Wasserglas, das jedem Redner gereicht wird,<br />
aber auch an die Kakophonie der ständig widerstreitenden<br />
Meinungen, denen wir ausgesetzt sind. Gleichzeitig nimmt<br />
die strenge Abstraktion der Arbeit für sich ein, wirkt<br />
ordnend, beruhigend.<br />
Das „Paradiesgärtlein“ von Rodney Graham in einem<br />
Quadrat aus geschnittenen Eibenhecken bietet einen<br />
idealen Rückzugsort. Hier stehen sieben Stühle, sorgfältig<br />
so platziert, dass man sich nicht gegenseitig stört. Warum<br />
habe ich mir kein Buch mitgebracht?<br />
Ich gehe ein paar Schritte zurück und folge einer der<br />
südlichen Rampen hinunter. Plötzlich befinde ich mich in<br />
einer völlig anderen Umgebung. Spazierte ich vorher auf<br />
den Promenaden und weiten Rasenflächen oberhalb vom<br />
Tunnel, kann ich mich nun im „Wohnzimmer“ oder im<br />
„Badezimmer“ der Landschaftsarchitekten Jüling & Bertram<br />
in die ebenerdig gelegenen, kleinteiligeren Gartenräume<br />
zurückziehen, den Rosen beim Blühen und Wasser<br />
in vielerlei Form beim Fließen zusehen. Klug nutzten die<br />
Planer den kräftigen Höhenversprung zur Gestaltung von<br />
intimen Themengärten mit ganz anderer Aufenthaltsqualität.<br />
Die intensiv rot gestrichene Außenmauer des Tunnels<br />
wärmt sich in der Frühlingssonne schnell auf, die im<br />
gleichen Farbton gehaltenen Bänke werden von vielen<br />
Besuchern für eine kurze Ruhepause genutzt. Im Sommer<br />
bieten hier Brunnen und Wasserspiele Abkühlung, Pergolen<br />
sorgen für Schatten. In einer Rosenpergola fordert Aribert<br />
von Ostrowski auf einer Tafel zur aktiven Auseinandersetzung<br />
mit der Idylle auf: „Erzähle die Geschichte selbst.“<br />
Auf meinem Weg nach Osten begegne ich noch zwei Paar<br />
„vergessene“ Gummistiefel. Der Schweizer Bildhauer<br />
Roman Signer hat die beiden korrespondierenden Paare<br />
wie zufällig in den unteren Grünanlagen platziert. Auf einer<br />
Kiesbank, umflossen vom Nymphenburg-Biedersteiner<br />
Kanal steht das eine Paar schwarzer Stiefel, wie zurückgelassen<br />
nach einem Arbeitstag. In unregelmäßigen Abständen<br />
schießt ein mächtiger Wasserstrahl aus beiden<br />
Schäften empor. Ein paar Meter entfernt steht ein zweites<br />
Paar Stiefel, aus ihnen entweicht im Sommer kalte Luft.<br />
Signer ist bekannt für seinen eigenwilligen Skulpturbegriff.<br />
So wie sich hier die Wasserfontäne zu einer temporären<br />
Skulptur formt, die auf die alltagsgetreue Form der<br />
Gummistiefel trifft, so treffen sich auch die beiden Elemente<br />
Luft und Wasser, wird ganz beiläufig mit der Erwartungshaltung<br />
der Betrachter gespielt und ein überraschendes<br />
Moment geschaffen.<br />
Mit dem Stiefelbrunnen bin ich am östlichen Ende des<br />
Petuelparks angekommen, das wieder von einer Birkenallee<br />
begleitet wird. An der Kreuzung zu Leopoldstraße tauchen<br />
die Autos aus dem Petueltunnel wieder auf. Auch der<br />
Wasserlauf ändert seine Richtung und fließt nun nach<br />
Südosten in den Schwabinger See an der Berliner Straße<br />
und weiter ins Ungerer Bad. Ich bin dem Park und dem<br />
Bach einmal gefolgt, von West nach Ost und habe doch<br />
nicht alles gesehen – ich muss wiederkommen, Ruhe und<br />
ein Buch mitbringen und mich von der lebensfrohen<br />
Stimmung dieses kunstgetränkten Ortes anstecken lassen.<br />
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Eröffnungsfeier des Petueltunnels unter der phantastischen Glaseinhausung<br />
der Südröhre mit Fest-Reden von Prominenz aus Stadt und<br />
Land bei einem üppigen Bürgerfest auf Einladung der Landeshauptstadt<br />
München (Baureferat) am 6. Juli 2002<br />
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