MEDIAkompakt Ausgabe 30
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
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22 BOLD
mediakompakt
BOLD
WILL
HOLD
Bilder: Studio Butterberg
Bild: Pixabay
Willkommen in einem Beruf, der garantiert unter
die Haut geht. Willkommen im Studio Butterberg.
VON VIVIEN STAIB UND VIVIEN BÜCHELE
Es sind zwei Stufen hinab in das gemütliche
Souterrain-Studio. Der Blick fällt
direkt auf das rot-braune Ledersofa
und die goldene Straußenvogel-Lampe.
Die vielen grünen Zimmerpflanzen
und der helle Orientteppich lassen nicht vermuten,
dass sich hier das Tattoostudio Butterberg
verbirgt. Ann-Denise Gilberg, Jan Schuttack und
Connor Steinert haben sich hier selbst verwirklicht
und im Stuttgarter Süden einen Raum für
Kreativität geschaffen. „Es ging uns darum, den
Raum selbst zu gestalten, etwas zu schaffen, wo
man sich zu Hause fühlt. Das Studio Butterberg ist
wie ein extra Zuhause mit Leuten, die man sich
ausgesucht hat“, beschreibt es Jan Schuttack,
einer der Inhaber des Studio Butterberg.
Der Grund für das besondere Gefühl im Studio
Butterberg sei, dass vergleichbare Tattoostudios
meistens nur einen Besitzer hätten. Hier sind es
drei gleichberechtigte kreative Köpfe, die gemeinsam
arbeiten und gemeinsam entscheiden. Ann,
Jan und Connor haben 2020 das Studio Butterberg
gemeinsam gegründet. Jeder Tätowierer hat
seinen eigenen Platz. Für Mitinhaberin Ann Gilberg
bedeutet dies vor allem Freiheit: „Tätowieren
ermöglicht mir alles, was mir wichtig ist: Reisen,
selbstständig arbeiten und mein eigener Chef zu
sein. Tätowieren ist für viele verirrte Kreative eine
Art Auffangbecken. Für alle, die mit einem Nineto-five-Job
nicht klarkommen.“
Die 32-jährige Quereinsteigerin spricht aus
Erfahrung: Sie hat bereits als Requisiteurin und
Stagehand im Theater gearbeitet, war bei der
Müllabfuhr auf Festivals dabei und hat Basketball-
Böden in der MHP-Arena Ludwigsburg verlegt.
Jan war auf Konzerttourneen für Lichtanlagen zuständig
und im Wizemann Stuttgart als Veranstaltungstechniker.
Erst seit dem Tätowieren fühlen
sich die beiden Künstler angekommen. „Bei den
Jobs davor hat man gewusst, dass es nicht für die
Zukunft ist. Man kommt unverhofft und unkonventionell
zum Tätowieren. Es gibt keinen institutionellen
Weg“, sagt der 34-Jährige. „Es bereitet
Freude, vor allem, wenn ich den Eindruck habe,
dass meine Arbeit Anklang in der Außenwelt findet.
Es geht darum, dass ich etwas tue, was ich
nach außen geben kann.“
„Für mich ist es ganz klar
ein Beruf.“– Ann Gilberg
Trotz der großen Freude, die das Tätowieren
den Künstlern bringt, grenzen sich Ann Gilberg
und Jan Schuttack dennoch ab. Es müsste für Ann
nicht unbedingt Tätowieren sein: „Es könnte
auch Töpfern und Schreinern sein. Generell liebe
ich Lernen. Sollte ich jemals an den Punkt kommen
zu sagen, dass ich beim Tätowieren alles
kann, höre ich wahrscheinlich damit auf.“
Jan strebt ebenfalls nach mehr, er könnte sich
vorstellen, in zehn Jahren Besitzer von mehreren
Läden zu sein: „Tätowieren ist nur ein Schritt dahin,
das Nächste anzupacken. Gerade schreibe ich
mit einem Freund an einem Businessplan für ein
Café. Das Gefühl, hier alles aufzubauen, hat mich
angefixt. Den Schlüssel einzustecken und zu wissen:
Das ist mein Laden, das ist echt cool.“ Ann
teilt dieses Gefühl, sie sagt: „Man muss es einfach
machen. Ich habe schon die größten Idioten was
auf die Beine stellen sehen – bei denen klappt es
auch. Man muss sich einfach trauen.“
Doch noch heute hat man den Eindruck, vorherrschende
Konventionen und Vorurteile halten
sich so hartnäckig wie Tattoos selbst. Auch die Tätowierer
vom Studio Butterberg wurden mit vielen
Vorurteilen konfrontiert, etwa giftiger Tinte
oder dass alle Tätowierten unreif, unvernünftig
und unordentlich seien. Ann widerspricht entschieden:
„Tattoos sind etwas Unschuldiges und
Sinnloses. Man kann sie nicht verkaufen oder ablegen,
sie sind einfach nur für einen selbst. Das ist
eine Entscheidung, die man frei für sich trifft.“
Jan ist derselben Meinung: „Man hat Einfluss
über den eigenen Körper. Keiner kann es dir verbieten.
Es gibt nur wenige Fälle, in denen man das
bereut. So müsste man ja viele Entscheidungen im
Leben bereuen. Vielleicht findest du es nicht
mehr schön, aber das ist alles.“ Für die beiden bedeuten
Tattoos Selbstbestimmung und gleichzeitig
auch, dass man im Leben nicht zurückschauen
sollte: „Man lernt durch Tattoos auch Entscheidungen
im Leben zu treffen. Am Ende des Tages
ist es überhaupt nicht schlimm, wenn das Motiv
einen Zentimeter weiter links ist. Das ist schon alles:
das Leben geht weiter.“
„Bold will hold“, das ist eine Tätowierer-Weisheit
und bedeutet übersetzt: „Dicke Linien werden
halten“. Doch egal ob feine oder dicke Linien, eines
ist sicher: Die Spuren, die Jan Schuttack und
Ann Gilberg auf der Haut hinterlassen, sind nicht
nur sichtbare Kunst, sondern Erinnerungen für
die Ewigkeit.