20 KULTUR glaube ich für Homosexuelle gravierender als für Heterosexuelle, die natürlich alle möglichen Treffpunkte haben. Und ich glaube auch, dass gerade unter schwulen und unter alten Menschen im Übrigen auch die Vereinsamung in der Zeit zugenommen hat. Und zwar erheblich. Mit allen psychischen Folgen, die da dran hängen. Da sind die Schwulen nicht in einer exklusiven Lage. Das betrifft alte Menschen mit Sicherheit, auch Behinderte. Menschen, die anders von Kommunikation leben. Das Internet und die Kommunikation übers Internet, ist wirklich nur ein sehr schwacher Ersatz. Wenn du weißt, dass in Hamburg 50 Prozent der Haushalte Singlehaushalte sind, wenn man sich nur mal diese Zahl vor Augen führt – und das hat mit schwul erst mal nichts zu tun –, ja dann weißt du, wie Menschen in diesen Monaten bis anderthalb Jahren auch vereinsamt sind. Das Tivoli ist schon das zweite Theater, dessen 30. Geburtstag Du feiern kannst ... ... Ja, also das Tivoli ist in gewisser Hinsicht ein Zufallsprodukt gewesen. Dort war 70 Jahre ein großes Lokal beheimatet. Das Zillertal. Das hat die Pforten geschlossen und das Gebäude ist an die Stadt zurück gegangen. 1988 hatte das Schmidt, aufgemacht 89 kam die Fernsehsendung, die das Schmidt sehr populär werden ließ auf nationaler Ebene und 1990 kam die Schließung des Zillertals. Die Stadt Hamburg hat sich Gedanken gemacht, was sie mit diesem Gebäude eigentlich anstellen will und hat eine, wie ich finde, auch rückblickend kluge Entscheidung getroffen. Die Stadt hat gesagt, es soll erstens kulturell genutzt werden und zweitens definieren wir einen Kaufpreis. Der war Dreimillionen D-Mark. Heute total lächerlich. Dreimillionen D-Mark und der ist fix. Also es wird nicht übers Geld ausgewählt, sondern über Konzepte. Wir waren ein kleines Unternehmen mit ein paar Mitarbeitern und haben uns im Verbund mit anderen dazu entschieden, uns zu bewerben. Die Chance, eine solche Räumlichkeit zu mieten auf der Reeperbahn, am Spielbudenplatz, die kann man vielleicht alle 20 bis 30 Jahre mal haben. Das ist eine einmalige Chance überhaupt ein größeres Theater zu eröffnen. Rückblickend betrachtet, war das ein unglaubliches Abenteuer mit erheblichen Investitionen. Wir mussten einen gastronomischen Betrieb zu einem Theaterbetrieb umbauen. Und natürlich war das auch riskant, weil wir hatten auf einen Schlag nicht mehr 220 Plätze, sondern 630 Plätze mehr. Also quasi eine Verdreifachung des Kartenangebotes und das auch noch täglich und mit allen Folgen die da dran hängen. Der ganzen Infrastruktur, sprich Vertrieb und Management. Das musste alles innerhalb von acht Monaten aus dem Boden gestampft werden. Anfang 1991 haben wir das Gebäude übernommen und am 1.9.1991 haben wir es eröffnet. Wir hatten dann das Glück, Zufall war es bestimmt nicht, dass die erste Produktion „Marlene Jaschke ist Carmen“ war, von der wir 100 Vorstellungen gespielt haben, die schon im Vorverkauf ausverlauft waren. Ein sensationeller Start. Aber danach begann eigentlich erst die richtigen Probleme nämlich was tun wir denn jetzt? Ihr seid noch da, also scheint Eure Antwort auf die Frage gut gewesen zu sein? Das Tivoli ist ein Haus für Größeres nicht ganz Großes. Wenn man es mit Stage Entertainment vergleicht. Aber definitiv ein größeres deutsches Musiktheater mit Livemusik. Wir haben ja in der Regel ein Orchester mit Tänzerinnen und Tänzern. Wir konnten jetzt wesentlich größere Produktionen machen, als das im Schmidt überhaupt möglich war und immer noch ist. Mit der 50er Jahre Revue „Fifty-Fifty“ haben wir dann wieder einen richtigen Hit gelandet. Das haben wir über 700 Mal gespielt bei uns und das hat auch so ein bisschen den Boden bereitet für die Zukunft des Theaters. Es folgte dann „Sixty- Sixty“, das „Das weiße Rössl“ eine sehr spektakuläre Kabarett-Inszenierung. Mit über 400 Aufführung. Die Zahlen erwähne ich nur aus einem Grund: wenn an einem deutschen Stadttheater eine Produktion mehr als 50 Aufführung erlebt, dann ist das ein Riesenerfolg. Die Produktionen, die deutschlandweit mehr als 50 Aufführungen haben, kann man wirklich an einer Hand abzählen. Unsere Produktionen hatten mindestens 400 und manche bis zu 750 Aufführung. Und dann kann die „Heiße Ecke“. Das ist noch mal eine ganz andere Liga. Ich komme da schon bei den Zahlen durcheinander. Es ist jedenfalls das erfolgreichste deutschsprachige Musical, wenn Du den König der Löwen als übersetztes Werk siehst. Über zwei Millionen Besucher haben es in fast 15 Jahren gesehen. „Caveman“ hat über 1ooo Aufführungen, die meisten im Tivoli. Wir hatten ein sensationelles 2019. Und dann kam Corona. Als ehemaligen Präsidenten des FC St. Pauli, wollte ich dann doch noch Fragen, wie du die EM und die Regenbogen-Arena-Debatte erlebt hast. Ich glaube, dass das, was da ja fast aus dem Nichts entstanden ist, ist ein ja ist ein ein deutliches Zeichen dafür, wohin sich CSD-Aktivitäten in Zukunft auch richten müssen. Nämlich nicht nur auf Deutschland, sondern auf Europa. Diese Regenbogen-Aktion war ja eine Reaktion auf das unsägliche Gesetz von Orban im Zusammenhang mit dem Fußballspiel Deutschland gegen Ungarn. Die politischen Kommentare dazu waren, sagen wir mal, zwischen ernsthaft und heuchlerisch. Wenn sich CSU-Leute hinstellen und plötzlich die Regenbogenfahne hoch halten, dann habe ich doch meine Zweifel, dass das ein Ergebnis eines Erkenntnisprozesse ist. Es geht natürlich um öffentliche Aufmerksamkeit, als Plattform für Menschen, die teilweise ihr Leben lang ... Nimm den DFB- Präsidenten Rainer Koch. Das ist keiner, der sich bisher in irgendeiner Weise als besonders schwulenfreundlich zu erkennen gegeben hat. Und ganz plötzlich muss er es dann ja sein. Die Reaktion der UEFA spricht auch Bände. Eine im Grunde genommen harmlose Beleuchtung des Stadions zu untersagen aus politischen Gründen, ist nicht nachvollziehbar. Noch weniger, wenn man weiß, dass in den Statuten der UEFA steht, dass die für Toleranz eintrete. Da Du mich aber ja als ehemaligen Vereins-Präsidenten gefragt hast, kann ich Dir sagen, dass der FC St. Pauli tatsächlich und seit Jahrzehnten für den Kampf gegen Homophobie für Toleranz für Vielfalt und gegen Ausgrenzung ein Vorreiter ist im deutschen Fußball. Mit einer breitaufgestellten Fanbasis. Es gibt keine Chance für Rechtsradikale, sich im Stadion in irgendeiner Form bemerkbar zu machen. Da ist der FC St. Pauli vorbildhaft und kann diese Regenbogen-Aktion wirklich aus der Geschichte des Vereins heraus mit vollem Herzen und Bewusstsein unterstützen. FOTO: INGO BOELTER *Interview: Christian Knuth Wie es weiter ging und warum Corny meint, die Szene müsse europäische Bündnisse schließen, lest ihr auf <strong>hinnerk</strong>.de! www.tivoli.de
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