Garten+Landschaft 7/2021
Kuratiert von bauchplan ).(
Kuratiert von bauchplan ).(
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JULI <strong>2021</strong><br />
MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR<br />
UND STADTPLANUNG<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
EDITORIAL<br />
»300 drones. One message. Act now« – anlässlich des G7-Gipfels in Cornwall<br />
vergangenen Juni entwickelte die Umweltorganisation Greenpeace ein wirklich<br />
imposantes 3D-Bewegtbild mit insgesamt 300 Drohnen. In dem zweiminütigen Film<br />
reisen Tiere – mit Lichtpunkten visualisiert – aus aller Welt nach Großbritannien.<br />
Dort angekommen, formieren sie sich zum leuchtenden Aufruf »Act now«, der die<br />
G7-Staats- und Regierungschef*innen ermahnt, die Klima- und Naturkrise zu<br />
bewältigen.<br />
»ACT NOW!« heißt auch das vorliegende Heft und damit die diesjährige gastkuratierte<br />
G+L-Ausgabe – inhaltlich verantwortet von niemand anderem als dem<br />
Planungskollektiv bauchplan ).(. Haben sich bauchplan ).( und Greenpeace abgesprochen?<br />
Nein, das nicht, aber beide treibt eine ähnliche Intention, die sich in ihrer<br />
beider Handlungsaufruf vereint: das Schaffen einer lebenswerten, klimagerechten<br />
Zukunft und allen voran der Wunsch nach mehr Handlung.<br />
»Katastrophen kennt allein der Mensch (…), sofern er sie überlebt. Die Natur kennt<br />
keine Katastrophen.« Angesichts dieser Erkenntnis von Max Frisch müssen lediglich<br />
wir Menschen besorgt sein. Und das mit Recht: So stellten im Juni – und im Übrigen<br />
nur einen Tag nach Ende des G7-Gipfels – das Bundesumweltministerium und<br />
Umweltbundesamt die Ergebnisse der neusten Klimawirkungs- und Risikoanalyse des<br />
deutschen Bundes vor. Die Zusammenfassung überrascht wenig: Nimmt der<br />
Klimawandel weiterhin ungebremst seinen Lauf, werden Hitze, Trockenheit und<br />
Starkregen im gesamten Bundesgebiet stark ansteigen und unsere Ökosysteme noch<br />
mehr gravierenden Schaden nehmen. Der Klimawandel bedrohe die Lebensgrundlagen<br />
kommender Generationen und schränke ihre Freiheiten ein, so Bundesumweltministerin<br />
Svenja Schulze.<br />
Fest steht: Wenn wir diesen Planeten die nächsten Jahrzehnte in einem für die<br />
Menschheit er träglichen Klima bewohnen wollen, müssen wir handeln. Wie das<br />
aussehen könnte, dafür liegen zahlreiche intelligente Lösungsvorschläge bereits auf<br />
dem Tisch. Warum also scheitert ihre Realisierung weiterhin, und warum muss trotz<br />
aller Fakten und Warnungen immer noch so viel grundlegende Überzeugungsarbeit<br />
geleistet werden?<br />
Zu dieser Frage haben die Köpfe und Bäuche von bauchplan ).( insgesamt<br />
70 Interviews mit Menschen aus ihrem beruflichen Umfeld, quer durch Profession,<br />
Lehre und Wissenschaft geführt. Was sie dabei lernen durften, was sie für sich<br />
mit nehmen, und warum allen voran jetzt die planenden Disziplinen gefragt sind, das<br />
lesen Sie auf den folgenden Seiten.<br />
Auf der Faltseite bei<br />
Seite 37 im Heft, stellt<br />
Ihnen bauchplan ).(<br />
das Heftkonzept vor.<br />
Grafisch illustriert<br />
wird das Heft von<br />
den Bildwelten von<br />
bauchplan ).(, sie<br />
führen durch die<br />
Projekte der letzten<br />
20 Jahre.<br />
Nicht ganz typisch in<br />
einem Planungsbüro:<br />
Die Mitarbeiter*innen<br />
von bauchplan ).(<br />
werden »Bäuche«<br />
genannt, die<br />
Partner*innen<br />
wiederum »Köpfe«.<br />
Cover: bauchplan ).(<br />
THERESA RAMISCH<br />
CHEFREDAKTION<br />
t.ramisch@georg-media.de<br />
VERA BAERISWYL<br />
REDAKTION<br />
v.baeriswyl@georg-media.de<br />
3<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
The International Review of<br />
Landscape Architecture and Urban Design<br />
Subscribe<br />
now!<br />
shop.georg-media.de
Janina Lambertus, S50<br />
Lars-Christian Uhlig, S19<br />
Stefan Werrer, S68<br />
Büro Ilkon, S22<br />
Stefan Körner, S14<br />
Antje Stokman, S54<br />
Daniel Luchterhandt, S59<br />
Dietmar Straub, S32<br />
Agnieszka Zajac, S68<br />
William Tate, S66<br />
Philippe Rahm, S26<br />
Judith Stilgenbauer, S34<br />
Wolfram Höfer, S33<br />
Christine Kraayvanger, S45<br />
Anke Karmann-Woessner, S46<br />
Philipp Krass, S43<br />
Martina Baum, S30<br />
Christian Holl, S17<br />
Fabrice Henninger, S9<br />
Frank Friesecke, S24<br />
Armin Rist, S13<br />
Andrea Cejka, S10<br />
Hans-Peter Schmidt, S59<br />
Abdelrahman Gamil, S23<br />
Jorge Enrique Vergara<br />
Beltrán, S25<br />
Kartografie der Katastrophen / ).(-Welten in Zahlen, S36<br />
EIN HANDLUNGSAUFRUF,<br />
KURATIERT VON BAUCHPLAN ).(<br />
4<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
INHALT<br />
Arne Cermak Nielsen, S41<br />
Mary Dellenbaugh-Losse, S30<br />
Klaus Overmeyer, S28<br />
Nick Reimer & Toralf Staud, S7<br />
Elisabeth Merk, S58<br />
Carlo W. Becker, S10<br />
Reiner Nagel, S63<br />
Amelie Leipprand, S42<br />
Özden Terli, S60<br />
Reinhard Micheller &<br />
Günter Schalk, S12<br />
Josef Rott, S8<br />
Philipp Königer, S47<br />
NUWELA, S44<br />
Ferdinand Ludwig, S20<br />
Rut-Maria Gollan, S56<br />
Rudolf &<br />
Johannes Haderstorfer, S52<br />
Architects for Future, S24<br />
Nicole Heiss, S8<br />
Anne Hacket, S52<br />
Andrea Gebhard, S55<br />
Franz-Theo Gottwald, S55<br />
Julia Ulrich, S7<br />
Maik Novotny, S67<br />
David Riek, S16<br />
Reinhard Seiß, S18<br />
Maria Vassilakou, S62<br />
Foad Al-Natour, S21<br />
Franz Damm, S40<br />
Stefan Schmidt, S17<br />
Peter Kneidinger, S27<br />
Susann Ahn, S53<br />
Roland Gruber, S29<br />
Wolfgang Andexlinger, S42<br />
Angelika Fitz, S51<br />
Gartenbauschule Schönbrunn, S15<br />
Plattform Baukulturpolitik, S56<br />
Club of Rome, S61<br />
Poonam Sardesai &<br />
Omkar Agashe, S35<br />
Sargam Sethi, S50<br />
Mario Dietrich, S57<br />
Katharina Koschitz, S34<br />
STUDIO<br />
70 LÖSUNGEN<br />
Best Products<br />
76 REFERENZ<br />
Ulan-Ude, Russland:<br />
Gipfelstürmer aufgepasst<br />
78 REFERENZ<br />
Hamburg: Sitzen bleiben?<br />
Aber gerne doch!<br />
80 NEW MONDAY<br />
Berschneider + Berschneider<br />
RUBRIKEN<br />
82 Impressum<br />
82 Lieferquellen<br />
83 Stellenmarkt<br />
84 DGGL<br />
86 Sichtachse<br />
86 Vorschau<br />
Herausgeber:<br />
Deutsche Gesellschaft<br />
für Gartenkunst und<br />
Landschaftskultur e.V.<br />
(DGGL)<br />
Wartburgstraße 42<br />
10823 Berlin<br />
www.dggl.org<br />
5<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
»Wir sind als Menschheit immer<br />
stark in Krisen, weil wir dann<br />
innovativ und unbürokratisch sein<br />
müssen«<br />
»Wir haben unsere Disziplin erlernt, und an der<br />
halten wir uns auch fest: In der Zwischenzeit sind jedoch<br />
viele Aspekte dazugekommen. Ich bemerke dabei, dass<br />
wir vor dieser Komplexität zurückscheuen, weil wir sie<br />
nicht mehr steuern können. So halten wir an vereinfachenden<br />
Raumbildern fest.«<br />
Es ist fast wie im Studium, als wir alles, was<br />
wir nicht wussten, durch Annahmen ersetzt<br />
haben, um zum Raum zu kommen. Da<br />
haben wir es uns schon sehr leicht gemacht.<br />
Aber jetzt, wo wir mitten drinstecken im<br />
Geschäft, da merken wir, dass die Inhalte<br />
unserer einfachen Annahmen von früher von<br />
anderen Professionen entwickelt werden.<br />
Von vielen Professionen mit sehr komplexen<br />
Beiträgen. Dennoch sind Raumbilder das<br />
Wichtigste, und wir müssen uns diesem<br />
anspruchsvollen Prozess stellen.<br />
Mir kommt es so vor, als ob wir als<br />
Disziplin täglich versuchen würden, ein<br />
Paradoxon aufzulösen, ohne zu akzeptieren,<br />
dass es ein Paradoxon ist!<br />
JOSEF ROTT (D)<br />
ist Regierungsbaumeister, Architekt<br />
und Stadtplaner. Er arbeitet beim<br />
Bayerischen Staatsministerium für<br />
Wohnen, Bau und Verkehr in der<br />
Referatsgruppe ÖPNV-Entwicklung des<br />
Freistaats und lehrt an der<br />
Technischen Universität München.<br />
»… Vor diesem Hintergrund darf keine Chance auf einen<br />
klimapositiven Beitrag ungenutzt bleiben. Dabei ist es wichtig,<br />
das große Ganze im Auge zu behalten und sich auf der<br />
Suche nach Lösungsbeiträgen nicht im Kleinklein zu verzetteln.«<br />
Das heute erforderliche extreme Maß an<br />
Rechtssicherheit ist dabei auch eine<br />
gewaltige Innovationsbremse. Als Stadtverwaltung<br />
stehen wir oft im Spagat, es<br />
allen recht machen zu müssen: der Politik,<br />
den Investor*innen, der Fachwelt und<br />
natürlich den Bürger*innen. Dadurch ist<br />
gerade für kraftvolle Ideen ein gewisser<br />
Weichspül effekt leider nicht auszuschließen.<br />
So ist auch die große fachliche Scheu vor<br />
Komplexität zu verstehen: Im Planungsprozess<br />
werden Ideen hinsichtlich einzelner<br />
Aspekte eventuell »richtiger«, verlieren<br />
jedoch an Strahlkraft.<br />
NICOLE HEISS (D)<br />
ist Architektin und Regierungsbaumeisterin.<br />
Als Teamleiterin in der<br />
Stadtplanung der Landeshauptstadt<br />
ist sie verantwortlich für Bebauungsplanverfahren<br />
im Münchner Nord-<br />
Westen. Sie ist Partnerin im<br />
ArchitekInnen-Kollektiv AL1.<br />
»Wir sind als Planer*innen aktiver<br />
Teil der Bauwirtschaft, einem der klimaschädlichsten<br />
Sektoren überhaupt! …«<br />
8<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
Foto: bauchplan ).(<br />
Neue Natur-Erfahrbarkeiten am<br />
Grenzfluss Mur entlang des ehemaligen<br />
Eisernen Vorhangs zwischen Bad<br />
Radkersburg (A) und Gronja Radgona<br />
(SI) mit michellerundschalk, 2008<br />
»Unsere Rolle als Dienstleister<br />
ist es, Klimaziele schmackhaft und<br />
konkurrenzfähig zu machen ...«<br />
»... und unseren Auftraggeber*innen die Sicherheit<br />
zu geben, dass neue Wege gangbar sind. Gefühlt<br />
scharren wir dabei seit 20 Jahren in den Startlöchern,<br />
und das wird auch weitere 20 Jahre so gehen, wenn wir<br />
weiter als Pionier*innen und Vordenker*innen gelten.«<br />
Muss man hier etwas Radikales raushauen?<br />
Dann braucht es eine neue Strenge<br />
bei der Durchsetzung von Berufsverboten!<br />
Und für echte Nachhaltigkeit in der<br />
Immobilienbranche wohl die Besteuerung<br />
von Leerstand, das Löschen von<br />
Normativen und die Neuausrichtung und<br />
-kopplung von Anreizprogrammen.<br />
Nachhaltigkeit wird immer öfter als<br />
professionelles Etikett vorgeschoben; bei<br />
gewerblichen Kund*innen bleibt die<br />
Rendite-Erwartung.<br />
Hier müssen wir Rendite zunehmend<br />
durch Kreislaufdenken und Verantwortung<br />
gegenüber der Gesellschaft ersetzen. Dazu<br />
bedarf es der Übernahme von Verantwortung<br />
als wiederkehrendem zentralen<br />
Wert. Wir müssen von unseren Idealen<br />
runterkommen und sie zugleich hochhalten:<br />
eine Stadtvision heterogener,<br />
verhandelter Räume des guten Geschmacks<br />
in einer bunten Gesellschaft! Dazu ist es<br />
hilfreich, Energie komplett CO2-neutral zu<br />
erzeugen, um sie dann qualitätsfördernd<br />
ver schwenden und belastungsfreie Kreisläufe<br />
ausverhandeln zu können.<br />
FABRICE HENNINGER (D)<br />
ist Architekt und seit 2016 mit seinem<br />
Partner Florian Lachenmann Geschäftsführer<br />
bei hdg Architekten in Bad<br />
Kreuznach. Sie bringen darin ihre zuvor<br />
in Stuttgart unter dem Label »raumspielkunst«<br />
gemachten Erfahrungen ein.<br />
9<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
Streets as Parks: Grüne Infrastrukturen qualifizieren den öffentlichen Stadtraum.<br />
Melbournes (AUS) neu; Ideenwettbewerb, Finalist 2019.<br />
»Die aktive Rückkehr des großen Maßstabs und ein<br />
entsprechend erweiterter Kompetenzrahmen für die<br />
Landschaftsarchitektur wie etwa im Wasser- und Bodenmanagement<br />
könnte unsere professionellen Lösungsansätze<br />
gesellschaftlich bedeutsamer machen.«<br />
Schon allein der plangrafische Wandel<br />
unserer Profession zeigt den Wandel des<br />
Berufsstandes allgemein: Waren vor der<br />
Jahrtausendwende Vegetationselemente<br />
oftmals in Fehlfarben akzentuiert, gehen<br />
heute einfachste Verwaltungsbauten in den<br />
Visualisierungen über vor Grünelementen.<br />
Dieses »Greenwashing« müssen wir fachlich<br />
hinterfragen und mit Konzepten beantworten,<br />
die aktuelle und wichtige<br />
Problemstellungen tatsächlich adressieren.<br />
Hierzu gehören klimatische Aspekte,<br />
Aspekte der Biodiversität und des Wassermanagements,<br />
aber auch soziologische<br />
Aspekte. Da hilft es, unsere Expertise in der<br />
Debatte entsprechend in Wert zu setzen.<br />
REINHARD MICHELLER & GÜNTER SCHALK (D)<br />
sind Partner in ihrem Münchner Büro<br />
michellerundschalk GmbH, landschaftsarchitektur und<br />
urbanismus. Beide lehrten unter anderem<br />
an der Kunstakademie Tallinn, Estland, und der<br />
Technischen Universität München.<br />
12<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
Unsere Untersuchung im Walliser Rhonetal<br />
zeigt, dass sich in den letzten 20 Jahren im<br />
Bereich des saisonalen Bodenfrosts die<br />
höhenabhängige Anzahl an Bodeneistagen<br />
um 85 Meter nach oben verschoben hat.<br />
Das gigantische Ausmaß des Klimawandels<br />
lässt sich auch eindrücklich anhand des<br />
grönländischen Eisschilds veranschaulichen.<br />
Aktuell verliert es so viel Eis, dass man mit<br />
seinem Schmelzwasser die Gesamtfläche<br />
der Schweiz 8,5 Meter hoch fluten könnte.<br />
Diese Dimensionen des Klimawandels<br />
erfordern eine neue Risikokultur im<br />
Umgang mit Naturgefahren, da Ereignisse<br />
intensiver und häufiger werden.<br />
Ich zitiere gerne den Schriftsteller Max<br />
Frisch: »Katastrophen kennt allein der<br />
Mensch. Sofern er sie überlebt.<br />
»Klima ist ein Lebensthema geworden, wie Arbeitslosigkeit<br />
oder Mobilität. Positiv daran ist die gesellschaftliche<br />
Präsenz des Themas, bedenklich jedoch die Gefahr<br />
des Abstumpfens. Es schockiert nicht mehr.«<br />
Die Natur kennt keine Katastrophen.«<br />
Um dieser anthropogenen Perspektive<br />
bezüglich der Umwelt Rechnung zu tragen,<br />
entstand der Begriff der »Ecosystem<br />
Services«, die wir bei intakter Umwelt quasi<br />
umsonst beziehen können.<br />
Dieser Ausfall von Ecosystem Services kann<br />
extrem teuer werden. Umweltschutz auch<br />
ökonomisch denken zu müssen, gibt<br />
wiederum Hoffnung, dass wir uns die<br />
Umwelt als Lebensgrundlage erhalten.<br />
ARMIN RIST (CH)<br />
promovierte über alpinen Permafrost<br />
und forscht unter anderem in der<br />
Paläo-Geoökologie am Geographischen<br />
Institut der Universität Bern.<br />
13<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
Mist wird Boden – Bisons in Berlin-Pankow (D)<br />
generieren mittels Futterdurchsatz und Zugverhalten<br />
die Mangelware Boden auf der<br />
innerstädtischen Bahnbrache als Grundlage<br />
des künftigen Parks, Schinkelpreis 2004<br />
mit J. Böttger und J. Drexler<br />
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
»Ich kann es nicht mehr<br />
hören, wenn Kolleg*innen<br />
behaupten, den ärgsten<br />
Mist planen und bauen zu<br />
müssen ...«<br />
REINHARD SEISS (A)<br />
ist Raumplaner, Fachpublizist und Filmemacher,<br />
Mitglied des Stadtplanungsbeirats von Dornbirn, des<br />
Österreichischen Baukulturbeirats und der Deutschen<br />
Akademie für Städtebau und Landesplanung.<br />
»Spätestens seit 1992, seit der Unterzeichnung der<br />
Klimaprotokolle von Rio, kann man sagen, dass wir<br />
willentlich gegen besseres Wissen gehandelt haben<br />
– und das bis heute tun. Und unsere Profession hat<br />
bisher wenig dazu beigetragen, dass es besser wird.«<br />
... und das angeblich aus Verantwortung<br />
für ihre Büromitarbeiter*innen trotzdem<br />
tun. Wenn das ausnahmsweise mal passiert,<br />
ist es noch akzeptabel, aber bei vielen ist<br />
diese Ausnahme zur Gewohnheit geworden.<br />
Wenn ein Büro nur überleben<br />
kann, indem es regelmäßig baukulturelle<br />
Prinzipien verrät, sollte es seine Größe und<br />
Ausrichtung infrage stellen.<br />
Die Architektenkammer kennzeichnet<br />
bereits Wettbewerbe mit einer »roten<br />
Hand«, wenn es sich um problematische<br />
Verfahren handelt. Ich wünsche mir<br />
eine solche Kennzeichnung für problematische,<br />
sprich ressourcenvergeudende und<br />
klimaschädliche Projekte – vielleicht eine<br />
rote Kalaschnikow.<br />
Ich muss immer wieder schmunzeln,<br />
wenn Planungsämter sich voll und ganz auf<br />
das Thema Klimaanpassung stürzen. Nicht,<br />
dass Klimaanpassung nicht wichtig wäre,<br />
aber es scheint so, als ob die Planer*innen<br />
den ernstzunehmenden Klimaschutz<br />
bereits aufgegeben hätten oder als<br />
planungspolitisch unrealistisch erachten<br />
würden. So auf die Art: »Die Ursachen des<br />
Klimawandels können wir eh nicht<br />
ändern, dann konzentrieren wir uns lieber<br />
auf die Symptombehandlung.«<br />
18<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
»Wir müssen aktiver Teil einer<br />
Problemlösung sein und soziale<br />
sowie ökologische Anforderungen<br />
unter einen Hut bringen«<br />
Wir wissen noch nicht, wohin uns<br />
die Entwicklung der nächsten Jahre führen<br />
wird. Es wird keine absolute Sicherheit<br />
geben. Deswegen ist Planung ein Prozess<br />
und muss immer auch ein gesamtheitliches<br />
Bild vermitteln. Abhaken löst<br />
keine Zukunftsprobleme.<br />
Bewegung im Raum ist entscheidend für<br />
dessen Wahrnehmung. Wenn ich mit dem<br />
Auto oder dem Zug aufs Land fahre,<br />
begreife ich diese Gebiete ganz anders, als<br />
wenn ich mich zu Fuß oder mit dem<br />
Fahrrad durch ländliche Gebiete bewege.<br />
Wir brauchen eine Prozesskultur, in der<br />
man die Aufgabenstellung immer wieder<br />
infrage stellt. Man muss jeden einzelnen<br />
Schritt hinterfragen, komplex diskutieren,<br />
denken und handeln können.<br />
LARS-CHRISTIAN UHLIG (D)<br />
ist Architekt und Leiter der Projektgruppe<br />
Zukunftsinvestitionsprogramm Nationale<br />
Projekte des Städtebaus am BBSR.<br />
»Es gibt viele Pläne dafür, wie wir zu einem<br />
Zustand von vor den Krisen zurückkommen sollen, aber<br />
niemand weiß, ob das überhaupt möglich sein wird.<br />
Zu einem positiven Blick in die Zukunft gehört die<br />
Akzeptanz, dass die Unsicherheit von Leuten keine<br />
Schwäche, sondern erforderlich ist, um notwendige<br />
Veränderungen zu erreichen.«<br />
Foto: Clemens Franke, bauchplan ).(<br />
Wohnlandschaften gemini+ im Wienerwald (A):<br />
Baumbestand übernimmt im Zusammenspiel mit<br />
der Materialisierung die Klimaregulation der in die<br />
Topografie integrierten Baukörper im privaten<br />
Wohnexperiment (seit 2010)<br />
19<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
Bahnhofplatz Karlsruhe Süd (D) als Klima-Entrée und nachhaltige Visitenkarte mit ablesbaren Kreisläufen,<br />
Wettbewerbsgewinn mit diwald bauingenieure und berchtoldkrass space&options, Umsetzung seit 2019<br />
DIETMAR STRAUB (CA)<br />
ist gelernter Landschaftsgärtner, Landschaftsarchitekt<br />
und seit über 13 Jahren Professor<br />
für Landschaftsarchitektur an der Universität<br />
von Manitoba, Kanada. Er ist Partner im<br />
Landschaftsarchitektur- und Stadtplanungsbüro<br />
Straub Thurmayr.<br />
Kanada ist reich an Rohstoffen, die auch<br />
intensiv gefördert werden. Der aus europäisch-touristischer<br />
Sicht oftmals idealisierte<br />
Blick auf die kanadische Wildnis<br />
vermeidet gerne die Auseinandersetzung<br />
mit den zum Teil gravierenden Umweltbelastungen<br />
als unmittelbare Folge dieser<br />
Rohstoffgewinnung. Das Bild der unberührten<br />
Wildnis befördert den Tourismus,<br />
Bildstörungen unerwünscht! Vielleicht<br />
müssen Landschaftsarchitekt*innen zu<br />
Meistern von Bildstörungen werden?<br />
Ich versuche, mir die Fähigkeit zum<br />
Staunen und die Lust am Experimentieren<br />
zu erhalten.<br />
»Ich will Komplexität lehren<br />
und Standards hinterfragen,<br />
um neue zu setzen!«<br />
»Land-based learning and teaching«,<br />
»indigenous wisdom« und ökologisches<br />
Wissen formen eine anregende Mischung,<br />
basierend auf neuen Erfah rungen, angetrieben<br />
durch Offenheit und Neugierde für<br />
das Andere, das Fremdartige, das Unbekannte.<br />
Hinterhöfe und Schulhöfe werden<br />
zu Experimentierfeldern und Brutstätten<br />
für Ideen. Die Arbeiten sind oft mehr<br />
Feldversuche als finale Ergebnisse. Es geht<br />
dabei nicht um Perfektion, sondern um<br />
langsames Entwickeln und darum, die<br />
Schönheit in der Spontaneität und Unvollkommenheit<br />
zu finden. Es führt nicht<br />
zu nachhaltigen Veränderungen, wenn wir<br />
unser Verständnis für die Welt aus<br />
ähnlichen Werdegängen, demselben Wissen<br />
und denselben Geschichten aufbauen.<br />
Wenn es dem Projekt dient, bin ich gern<br />
auch mal das »Nice Asshole« und werde<br />
anschließend zum Landschaftsarchitekten<br />
auf Lebenszeit. Zusammen mit den<br />
Projekten würde ich dann gerne langsam<br />
und lässig altern.<br />
32<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
»New Jersey wird als<br />
erster US-Bundestaat den<br />
Status ›built out‹ erreichen«<br />
Das Verständnis von Landnutzung ist<br />
in Europa und den USA sehr unterschiedlich.<br />
Wenn mir in den USA ein<br />
Stück Land gehört, kann ich prinzipiell<br />
damit machen, was ich will. In einem dicht<br />
besiedelten »Suburbia State« wird das zum<br />
Problem. New Jersey ist ein suburbaner<br />
Staat mit einer größeren Dichte als etwa<br />
die Niederlande, wo es dann kein neu<br />
entwickelbares Land mehr gibt.<br />
Zur Lösung dieses Problems werden in<br />
New Jersey vorrangig drei Programme<br />
angewendet, die mit beachtlichem finanziellem<br />
Aufwand in Grundstücksrechte<br />
eingreifen. Das ist zum Ersten »Farmland<br />
Preservation«: Der Staat New Jersey<br />
kauft Eigentümer*innen die Entwicklungsrechte<br />
ab, und es darf nicht mehr<br />
gebaut werden, landwirtschaftliche Flächen<br />
bleiben erhalten.<br />
»Wenn jemand einen Acker hat, kann er trotzdem<br />
darauf bauen. Landschafts- und Raumplanung, die direkt<br />
in Grundstücksrechte eingreift, gibt es nicht, nach<br />
Regelungen für private Grundstücke wird aber gesucht.«<br />
Zum Zweiten das »Green Acres«-<br />
Programm: Flächen werden zu Marktpreisen<br />
aufgekauft und müssen in Zukunft<br />
als Freiräume erhalten bleiben. Zum<br />
Dritten das »Blue Acres«-Programm, das<br />
im Prinzip ähnlich ist: Hier kauft die<br />
öffentliche Hand zu Marktpreisen oft<br />
über flutete Häuser auf, Gebäude und<br />
Straßen werden abgerissen. Diese Flächen<br />
müssen langfristig als Überflutungsräume<br />
freigehalten werden. Alle drei Programme<br />
basieren auf Freiwilligkeit.<br />
Auch verkehrstechnisch gibt es<br />
Aufholbedarf. Personen, die in New<br />
Brunswick mit dem Fahrrad fahren,<br />
werden oft als illegale Einwanderer*innen<br />
ab gestempelt, die keinen Führerschein<br />
besitzen.<br />
WOLFRAM HÖFER (US)<br />
ist Associate Professor am Department<br />
of Landscape Architecture, Rutgers School of<br />
Environmental and Biological Sciences und Direktor<br />
des Center for Urban Environmental<br />
Sustainability, in New Brunswick, New Jersey.<br />
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
Von Kasernen zum urbanen Bindeglied –<br />
Konversion von Prinz-Leopold- und Pionier-<br />
Kaserne mit einem Retentionspark als Gelenk,<br />
Wettbewerbsgewinn und städtebaulicher<br />
Entwurf mit ISSS research | architecture |<br />
urbanism , Regensburg (D), 2020<br />
33<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
»Nachhaltigkeit ist binnen Jahresfrist<br />
auch in der Immobilienbranche ein<br />
deutlicher Wert geworden ...«<br />
»... sodass wir heute mit entsprechenden Konzepten<br />
höhere Marktpreise erzielen. Die von Anfang an mitkonzipierte<br />
Drittverwendbarkeit ist für uns neben<br />
Material kreisläufen und Nutzungsflexibilität ein entscheidender<br />
Faktor für hybride Stadtbausteine und ihren<br />
gesellschaftlichen Nutzen.«<br />
Innerhalb einer grundlegend neu aufgesetzten,<br />
lernbereiten Prozesskultur<br />
mit breiten Beteiligungen und Zwischennutzungskonzepten<br />
versuchen wir deshalb,<br />
die gesellschaftliche Trägheit gegenüber<br />
Veränderung als größte Hemmschwelle für<br />
Innovation ab zumildern.<br />
In unseren Projekt-Settings geht es dabei<br />
stets um die Balance aus wirtschaft licher<br />
Stabilität und lösungs orientierter Weiterentwicklung.<br />
So hoffen wir, von Anfang<br />
an noch näher an die Wünsche und das<br />
gelebte Wohlfühl-Kriterium künftiger<br />
Nutzer*innen zu gelangen.<br />
Der Handlungszwang aus Pandemie und<br />
Klimakrise hat und wird die Neuerfindung<br />
von Stadt dabei weiter<br />
beschleunigen!<br />
JANINA LAMBERTUS (D)<br />
ist ausgebildete Architektin und<br />
in der Projektentwicklung der Landmarken AGg,<br />
in Aachen, tätig. Neue, generationenübergreifende<br />
Wohnkonzepte bilden dabei einen<br />
Fokus.<br />
»Ob nachhaltig gebaut wird oder<br />
nicht, darf keine Fragestellung sein«<br />
»Wenn wir uns auf unsere Wurzeln besinnen,<br />
könnte das einige Probleme lösen, und es wäre viel<br />
günstiger. Man könnte traditionelle Techniken<br />
ver wenden, aber in einer modernen Ästhetik.«<br />
Problematisch wurde es, als die Menschen<br />
begannen, unverhohlen die Glasarchitektur<br />
des Westens zu kopieren, ohne jegliche<br />
Rücksichtnahme auf das tropische Klima<br />
Indiens. Da begannen die Architekt*innen,<br />
energetisch sehr ineffiziente Gebäude zu<br />
bauen, mit viel Glas. Gebäude müssen<br />
genordet sein, in der richtigen Windausrichtung<br />
mit guter Beschattung.<br />
Die Sommer werden heißer in Chandigarh,<br />
aber dank Le Corbusier sind wir mit viel<br />
Grünflächen gesegnet. Deshalb ist den<br />
Bewohner*innen hier die Klimakrise nicht<br />
so bewusst wie in anderen Orten wie<br />
Mumbai oder Delhi. Es gibt einen Mangel<br />
an Information, Technologie und Bewusstsein.<br />
Über die Auswirkungen auf die<br />
Umwelt wird nicht viel nachgedacht.<br />
SARGAM SETHI (IND)<br />
ist junge Architektin und Modedesignerin<br />
mit Sitz in Chandigarh, und verbindet gerne<br />
beide Professionen miteinander.<br />
50<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
Entwicklungskonzept für<br />
Akureyri, (IS) 2004, mit<br />
der Kopplung<br />
von künftiger Bebauung<br />
an vegetatives<br />
Wachstum: Rein in die<br />
Stadt und in den Wald!<br />
»Wir leben nicht im Anthropozän,<br />
sondern im Kapitalozän«<br />
»Planen und Bauen sind tief verstrickt in unserer<br />
aktuellen Form des Wirtschaftens. Planende<br />
müssen neue Allianzen suchen, um Teil eines anderen<br />
Wirtschaftens zu werden. Bauen hat einen riesigen<br />
Anteil an der Klimakrise, das lässt sich aber ändern<br />
– wir müssen zeigen, dass man handeln kann.«<br />
Die Bodenfrage ist das dringendste<br />
Thema unserer Zeit. Wenn wir hier nichts<br />
weiterbringen, werden wir keine gute<br />
Planung und keine gute Architektur<br />
schaffen. Ohne eine veränderte Bodenpolitik<br />
kann es keine Lösung für die<br />
Klimakrise, die Ernährungssicherheit oder<br />
kostengünstiges Wohnen geben.<br />
Viele bereits bestehende rechtliche<br />
Möglichkeiten werden im Alltag nicht<br />
ausgeschöpft, zu viele profitieren vom<br />
Bodenverbrauch. Neben Regulatorien und<br />
politischer Verantwortung braucht es<br />
auch Bewusstseinsarbeit und gute Beispiele.<br />
Hier sehe ich für unser Museum, das<br />
Architekturzentrum Wien, eine wichtige<br />
gesellschaftliche Rolle.<br />
Aus der Finanzkrise 2008 haben Politik<br />
und Gesellschaft offenbar nichts gelernt.<br />
Ganz im Gegenteil, das sogenannte<br />
»Betongold«, das aus anderen Anlage formen<br />
in Immobilieninvestments gegangen ist, hat<br />
das Wohnen verteuert und die knappe<br />
Ressource »Boden« in unseren Dörfern und<br />
Städten noch mehr reduziert.<br />
Anleger*innenwohnungen formen gesichtslose<br />
Straßenzüge und selbst kleine<br />
Sparer*innen werden mit ihrer privaten<br />
Pensionsvorsorge Teil einer Dynamik, die<br />
am Ende ihre Wohnungsmiete verteuert.<br />
ANGELIKA FITZ (A)<br />
ist Direktorin des Architekturzentrum Wien, u. a.<br />
Mitglied des IBA Expertenrats des Bundes<br />
in Berlin und des Advisory Boards des EU Mies<br />
Awards. Zuvor war sie international als<br />
Kuratorin, Gastprofessorin und Autorin im<br />
Bereich Architektur und Urbanismus tätig.<br />
51<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
Studie zur Seilbahnlandschaft über dem<br />
Frankfurter Ring in München (D), 2018,<br />
als Band sanfter Mobilität mit<br />
stadtklimatischer Retentionsfunktion<br />
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
»Das Klimaschutzgesetz ist natürlich<br />
ein Hammerurteil. Da gibt‘s nichts mehr zu<br />
diskutieren. Es rattert selbst noch bei mir,<br />
was da verkündet wurde!«<br />
Wir dürfen unsere Freiheit nicht so<br />
weit ausdehnen, dass wir die Zukunft der<br />
nächsten Generationen gefährden.<br />
Egal, was wir machen, es muss effektiv und<br />
schnell sein, denn es geht um Zeit,<br />
da sich das CO2, das wir jetzt emittieren,<br />
Jahrhunderte in der Atmosphäre<br />
befinden wird.<br />
Es muss jetzt gesetzlich etwas passieren,<br />
denn der oder die Einzelne kann so<br />
etwas Gewaltiges wie die Klimakrise nicht<br />
lösen! Weder an Erkenntniss, noch an<br />
Wissen, noch an Technik, noch an Bereitschaft<br />
fehlt es. Man muss einfach loslegen,<br />
aber dazu braucht es eine Basis, eine Politik,<br />
die den Wandel ernsthaft umsetzen will.<br />
Bei mir ist das natürlich einfach.<br />
Ich rede über das Wetter, und gleichzeitig<br />
kann ich das Alltägliche in Verbindung<br />
mit dem Klima bringen. Wo sieht man die<br />
»Verantwortung zu übernehmen und sich zu bekennen<br />
ist quasi kein Diskussionsthema mehr, denn<br />
jede*r, der oder die gegen das Klimaschutz-Gesetz verstößt,<br />
verstößt jetzt auch gegen das Grundgesetz. Ethisch<br />
ist diese neue Ausgangslage natürlich fantastisch.«<br />
Auswirkungen der Klimakatastrophe<br />
deutlicher als beim Wetter? Im Fernsehen<br />
präsentiere ich nur Fakten. Auf Twitter<br />
rüttle ich auf. Für mich war das ein<br />
logischer, kleiner Schritt, aber natürlich ein<br />
großer für die Öffentlichkeit.<br />
Wir sind nicht alleine, das baut mich auf.<br />
Ich glaube dennoch nicht, dass wir auch die<br />
Allerletzten mitnehmen werden, es geht<br />
eher um einen Kipppunkt in der Gesellschaft,<br />
und dazu brauchen wir die Akteur*innen,<br />
die Verantwortung übernehmen.<br />
ÖZDEN TERLI (D)<br />
ist gelernter Fernmeldeanlagen-Elektroniker,<br />
Metereologe, Klima- Kommunikator sowie<br />
seit 2013 Wettersprecher beim ZDF.<br />
60<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
»Ich war noch nie mit dem<br />
Bundeskanzler frühstücken«<br />
Es müssen die Rahmenbedingungen gesetzt<br />
sein! Konsument*in, Produzent*in, Politik<br />
und Zivilgesellschaft müssen an einen Tisch<br />
gebracht werden.<br />
Leider gibt es den einen Hebel nicht, der<br />
alles ändert. Aber die gute Nachricht ist:<br />
Man kann überall anfangen.<br />
Es gibt auch keinen Grund, etwas nicht zu<br />
machen. Paradoxerweise gibt es eine<br />
Sozialpartnerschaft aus Arbeitgeber*innen<br />
und Arbeitnehmer*innen, aber es gibt<br />
keine Umweltkammer!<br />
Klimaneutralität in Österreich bis 2040 war<br />
vorher undenkbar. Also habe ich in einem<br />
Artikel zehn Milliarden Euro pro Jahr<br />
»Da stehen jeden Tag zehn Leute vor seiner Tür, die<br />
etwas fordern. Und die Medien helfen mit, dass die<br />
Interessen der Bürgerinnen und Bürger gar nicht<br />
formuliert werden können. Klimaschutz kann man aber<br />
nicht jedem einzelnen Individuum umhängen.«<br />
reklamiert. Sämtliche Leute haben mich<br />
daraufhin angerufen, woher denn dieses<br />
Geld kommen solle. Dann kam Corona,<br />
und plötzlich ist das Geld da! Wenn es<br />
wirklich wichtig ist, ist es da. Das Geld für<br />
den Neustart muss ausgegeben werden und<br />
auch sinnvoll eingesetzt werden.<br />
CLUB OF ROME (A)<br />
wurde 1968 gegründet mit dem Ziel, die<br />
wichtigsten Zukunftsprobleme der Menschheit zu<br />
analysieren und konkrete Lösungsansätze zu liefern.<br />
Fritz Hinterberger, als Vizepräsident, und Martin<br />
Hoffmann sind Mitglieder des Austrian Chapter des<br />
Club of Rome.<br />
Vom Parkplatz zum Brückenpark –<br />
Nachnutzungskonzept an der Porta Garibaldi,<br />
Mailand (IT), Wettbewerbsfinalist 2014 Visualisierung: bauchplan ).(<br />
61<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
»Wir müssen wie Spürhunde<br />
die Schlüsselorte erschnüffeln«<br />
Diversität ist unsere einzige Chance!<br />
Die Flexibilität von Designer*innen kann<br />
uns dabei helfen, komplexe Aufgaben<br />
wie die Klimakrise zu lösen. Aber es muss<br />
noch radikaler gehen. Wir sind auf der<br />
Suche nach dem Unentschlüsselbaren.<br />
Und vielleicht ist das beste Einfallstor dafür<br />
die Fantasie.<br />
Architekten wie Hassan Fathy oder<br />
Glenn Murcutt haben traditionelle Bautechniken<br />
übernommen und Lowtech- und<br />
nachhaltige Architektur etabliert.<br />
Damals gab es noch nicht einmal ein Wort<br />
dafür. Das Problem ist, dass es Lektionen<br />
»We probe the unknown. We orbit until we know<br />
where to hit. We land in the dark. We open forgotten<br />
doors. We let the cracks forge us. We breed the<br />
unimagined new.«<br />
zu lernen gibt und diese zu oft unbeachtet<br />
bleiben. Wir müssen zuhören können.<br />
Die Tragik dieses Unbeachteten ist der<br />
gleichzeitige nostalgische Blick zurück.<br />
Aber damit machen wir uns etwas vor und<br />
verleugnen unsere tiefen Sehnsüchte.<br />
Wir müssen radikal großzügig sein, jenseits<br />
von persönlichem Nutzen oder Gegenleistung.<br />
Wir müssen geben!<br />
WILLIAM TATE (US)<br />
ist Professor für Architekturdesign an<br />
der James Madison University und leitet die<br />
Architekturschule umbau.<br />
Klimatisch wie soziologisch-identitätsstiftende<br />
öffentliche Räume für das Seeparkquartier, im<br />
Stadtentwicklungsgebiet Wien-Aspern (A),<br />
Wettbewerbsbeitrag 2015<br />
Visualisierung: bauchplan ).(<br />
66<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ACT NOW!<br />
Von der Kreuzung zum Stadtplatz,<br />
interaktives Fontänenfeld am südlichen Elbenplatz in<br />
Böblingen (D), 2015<br />
Foto: Clemens Franke / bauchplan ).(<br />
»Wenn ein Hurrikan auf eine Stadt<br />
zurast, heißt es ja auch nicht:<br />
Wir machen jetzt mal einen Stuhlkreis,<br />
und jeder darf was sagen«<br />
Gerade in Paris oder Barcelona, wo die<br />
Bürgermeisterinnen etwas voranbringen,<br />
da denkt man sich, »schade, dass die<br />
nicht am Steuer der gesamten Nation<br />
sitzen, die sind eigentlich viel weiter«.<br />
In der Einfamilienhausdebatte, die in<br />
Deutschland in den Medien ausgebrochen<br />
ist, wurde das Schreckgespenst der DDR<br />
und der grünen »Verbotspolitik« an die<br />
Wand gemalt. Dabei haben ja auch<br />
CDU-Politiker*innen den Grünen recht<br />
gegeben – das waren aber kommunale<br />
Politiker*innen wie Bürgermeister*innen.<br />
»Das Problem einer medialen Demokratie ist, dass<br />
jede*r gewohnt ist, gleich viel zur Diskussion beitragen<br />
zu dürfen. In einer Notstandssituation wie dieser müssen<br />
sich aber vielleicht manche einmal zurücknehmen und<br />
denen, die sich wirklich auskennen, den Vortritt lassen.«<br />
Die wissen natürlich genau, dass das<br />
reale Probleme sind, können sich aber nicht<br />
durchsetzen. Städte sind da wirklich am<br />
Hebel und können etwas weiterbringen.<br />
Die Profession muss sich in die politische<br />
Diskussion einschalten, der Politik auf die<br />
Füße treten! Außerdem bräuchte man einen<br />
Internationalen Strafgerichtshof für<br />
Umweltsünden!!!<br />
MAIK NOVOTNY (A)<br />
ist Architekt und Stadptlaner, Architekturkritiker<br />
und -journalist sowie Moderator.<br />
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LANDSCHAFT