Kulturfenster Nr. 04|2021 - August 2021
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BLASMUSIK<br />
CHORWESEN<br />
HEIMATPFLEGE<br />
in Südtirol<br />
<strong>Nr</strong>. 4<br />
AUG.<br />
<strong>2021</strong><br />
Konzertwertung aus der Sicht des Jurors<br />
Rettet die Strohdächer!<br />
Corona hat die Chorszene verunsichert<br />
Poste Italiane SpA – Sped. in a.p. | -70% – NE BOLZANO – 71. Jahrgang – Zweimonatszeitschrift<br />
Poste Italiane SpA – Sped. in a.p. | -70% – NE BOLZANO – 73. Jahrgang – Zweimonatszeitschrift
vorausgeschickt<br />
Sommer, Sonne,<br />
Sonnenschein<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
auch wenn uns das Thema „Corona“ immer<br />
noch begleitet und weiterhin begleiten<br />
wird, wollen wir in dieser Ausgabe in<br />
die Zukunft schauen. Dabei gilt es, weder<br />
blauäugigen Optimismus an den Tag<br />
zu legen, noch den Kopf aus Angst oder<br />
Frustration in den Sand zu stecken. Es<br />
gilt vielmehr, die Fehler vor Corona nicht<br />
zu wiederholen, aus den Erfahrungen mit<br />
Corona zu lernen und damit die Grundsteine<br />
für die Zeit nach Corona zu legen.<br />
Dazu stellt Helmut Schmid, der Bundesjugendreferent<br />
des Österreichischen Blasmusikverbandes,<br />
die Konzertwertung zur<br />
nachhaltigen Qualitätsförderung in den<br />
Mittelpunkt der Blasmusikseiten – dies<br />
im Hinblick auf das Wertungsspiel am 30.<br />
Oktober <strong>2021</strong> in Toblach. Weiters haben<br />
die Stabführer gemeinsam mit der Spitzensportlerin<br />
Monika Niederstätter viele<br />
Parallelen zwischen der Musik und dem<br />
Sport analysiert und Überlegungen angestellt,<br />
wie die „Musik in Bewegung“ wieder<br />
in Bewegung kommt.<br />
Der Heimatpflegeverband mahnt hingegen<br />
einmal mehr, nicht einfach zur Tagesordnung<br />
zurückzukehren. Er verweist<br />
im Hauptthema auf ein Projekt zur Rettung<br />
der Strohdächer, ein Stück bäuerlicher<br />
Architektur, die verloren zu gehen<br />
droht. Zudem stellt sich der neue Geschäftsführer<br />
Florian Trojer vor, der sein<br />
Credo klar formuliert: „Mehr agieren statt<br />
reagieren.“<br />
Der Chorverband präsentiert die Ergebnisse<br />
verschiedener Studien, die die Auswirkungen<br />
der Corona-Pandemie auf die<br />
Chorszene untersucht haben. Trotz dieser<br />
großen Verunsicherung in der Chorlandschaft<br />
wird auch von einigen interessanten<br />
Projekten berichtet, wie etwa<br />
von der heurigen Kindersingwoche, die<br />
mit ihrem Motto „Sommer, Sonne, Sonnenschein“<br />
viel Optimismus verbreitet.<br />
Dazu gibt es die gewohnten Rubriken, in<br />
denen die einzelnen Verbände ihre Tätigkeiten<br />
dokumentieren, bereichsspezifische<br />
Themen aufarbeiten und auch die<br />
Jugend – die Zukunft unserer Vereine –<br />
in den Fokus stellen.<br />
Ich wünsche Ihnen dazu wiederum eine<br />
unterhaltsame, aber auch informative Lektüre<br />
und einen aufschlussreichen Blick<br />
durch unser „KulturFenster“.<br />
Stephan Niederegger<br />
„<br />
Eine falsche Note zu spielen ist bedeutungslos;<br />
zu spielen ohne Leidenschaft<br />
ist inakzeptabel.<br />
„<br />
Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber<br />
diese ist die unsere.<br />
„<br />
Es ist billiger den Planeten jetzt zu schützen,<br />
als ihn später zu reparieren.<br />
„ „ „<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Jean-Paul Sartre<br />
José Manuel Barroso<br />
KulturFenster<br />
2 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Inhalt<br />
In dieser Ausgabe<br />
Blasmusik<br />
Warum musikalische Wettbewerbe ein Teil der<br />
Vereinsarbeit sind: Konzertwertung aus der Sicht des Jurors...... 4<br />
Wie Musik (wieder) in Bewegung kommt<br />
Spitzensportlerin trifft Stabführer und Führungskräfte................ 8<br />
Es war einmal … eine Musikkapelle: Bitte um Mitarbeit<br />
bei der Suche nach verschollenen Musikkapellen.................... 10<br />
Musik in Bewegung mit Kindern und Jugendlichen<br />
Sonya Profanter im Gespräch.................................................. 11<br />
Zum 175. Todestag von Andreas Nemetz<br />
Der Komponist des „Einschlages zum Marsch“ ....................... 13<br />
Die Jugendkapelle „klanLAUT“ im Porträt ............................... 16<br />
„Schlernsaxess“ seit fünf Jahren erfolgreich ............................ 18<br />
JuKa Schnals fährt nach Grafenegg......................................... 20<br />
„Memes“ treffen Blasmusik<br />
Das Musikantenleben mit Humor betrachtet............................ 21<br />
„Es geht um die Musik“<br />
Solofagottistin Miriam Kofler im Gespräch................................ 22<br />
110 Punkte mit Auszeichnung: Daniel Niederegger,<br />
der 13. Absolvent des Blasorchesterstudiums in Bozen ........... 23<br />
Binary Star<br />
Zweite CD von Peter Steiner und Constanze Hochwartner........ 25<br />
CLARINET a due<br />
Leichte Spielstücke für zwei Klarinetten von Gottfried Veit ........ 25<br />
Der Vogelsang in der Musik: Gottfried Veit auf der Spur der<br />
faszinierenden Stimmen der Natur .......................................... 26<br />
Raut, Grait Ried, Rungg und Nofen<br />
Flurnamen aus der Agrargeschichte, Teil 3 - Rodungsnamen...50<br />
Kleinod im Kleindenkmal<br />
Eine Kreuzigungsgruppe für die Blasbichlkapelle in Rateis.......51<br />
Heimatschutzverein Lana wertet Kleindenkmal auf ..................52<br />
Alte Volksschule Ahornach nicht versteigern............................52<br />
Heimatpflegeverein Naturns-Plaus<br />
Neues Buch über Bildhauer Oswald Krad................................53<br />
Schreckgespenst kehrt zurück: Neues Projekt für<br />
einen Glasturm unter dem Rosengartenmassiv ........................54<br />
Lindas Krönchen<br />
Kostbare Ghërlanda spiza zur Jungmädchentracht ..................55<br />
Chorwesen<br />
Motivationsverlust und Auflösungserscheinungen: Umfrage<br />
zur Situation der Chöre im deutschen Sprachraum..................56<br />
Die Bedeutung der Musik: Mit Musik-Thema<br />
Südtiroler Jugendredewettbewerb gewonnen...........................59<br />
Die Katzen sind los<br />
Musicalwoche in Lichtenstern .................................................62<br />
Kultur- und Naturerlebnis in Ulten<br />
Alpenländische Sing- und Wanderwoche.................................64<br />
Sommer, Sonne, Sonnenschein<br />
Kindersingwoche des Südtiroler Chorverbandes.......................65<br />
Literatur-Tipp: Chorleiter-Coaching von Philip Lehmann ...........67<br />
In der Musik „dahoam“: Tobias Psaier ist vielseitiger Musiker,<br />
Komponist und Kapellmeister.................................................. 28<br />
kurz notiert<br />
Neues von den Musikkapellen................................................. 30<br />
Heimatpege<br />
Rettet die Strohdächer!<br />
Ein Stück bäuerlicher Architektur droht, verloren zu gehen ...... 32<br />
Das Strohdach – (k)ein ewiges Werk<br />
Ein Besuch am Duregghof in Afing.......................................... 35<br />
Ein Netzwerk zum Erhalt der Strohdächer................................ 37<br />
Letzte Strohstadel in Vöran sollen erhalten bleiben................... 38<br />
Sind Strohdächer nur noch Museumsobjekte?......................... 40<br />
Dinge des Alltags: Der Dreschbock.......................................... 41<br />
„Nicht zur Tagesordnung zurückkehren“<br />
71. Vollversammlung des Heimatpflegeverbandes Südtirol....... 42<br />
„Mehr agieren statt reagieren“: Florian Trojer,<br />
der neue Geschäftsführer des Heimatpflegeverbandes ............ 44<br />
Impressum<br />
Mitteilungsblatt<br />
- des Verbandes Südtiroler Musikkapellen<br />
Redaktion: Stephan Niederegger, kulturfenster@vsm.bz.it<br />
- des Südtiroler Chorverbandes<br />
Redaktion: Paul Bertagnolli, info@scv.bz.it<br />
- des Heimatpflegeverbandes Südtirol<br />
Redaktion: Florian Trojer, florian@hpv.bz.it<br />
Anschrift:<br />
Schlernstraße <strong>Nr</strong>. 1 (Waltherhaus), I-39100 Bozen<br />
Tel. +39 0471 976 387 – info@vsm.bz.it<br />
Raiffeisen-Landesbank Bozen<br />
IBAN = IT 60 S 03493 11600 000300011771<br />
SWIFT-BIC = RZSBIT2B<br />
Jahresabonnement = 20,00 Euro<br />
Ermächtigung Landesgericht Bozen <strong>Nr</strong>. 27/1948<br />
presserechtlich verantwortlich: Stephan Niederegger<br />
Druck: Ferrari-Auer, Bozen<br />
Das Blatt erscheint zweimonatlich am 15. Februar, April, Juni, <strong>August</strong>, Oktober und<br />
Dezember. Redaktionsschluss ist der 15. des jeweiligen Vormonats.<br />
Eingesandte Bilder und Texte verbleiben im Eigentum der Redaktion und werden nicht<br />
zurückerstattet. Die Rechte an Texten und Bildern müssen beim Absender liegen bzw.<br />
genau deklariert sein. Die Verantwortung für die Inhalte des Artikels liegt beim Verfasser.<br />
Die Wahrung der Menschenwürde und die wahrheitsgetreue Information der Öffentlichkeit<br />
sind oberstes Gebot. Der Inhalt der einzelnen Beiträge muss sich nicht mit<br />
der Meinung der Redaktion decken. Nachdruck oder Reproduktion, Vervielfältigung jeder<br />
Art, auch auszugsweise, sind nur mit vorheriger Genehmigung der Redaktion erlaubt.<br />
Sämtliche Formulierungen gelten völlig gleichrangig für Personen beiderlei Geschlechts.<br />
Umweltausgleichsmaßnahmen<br />
Notwendiges Übel oder Chance?............................................. 46<br />
Keine Angst vor Beteiligung<br />
Bei der Gestaltung von Lebensräumen mitreden...................... 48<br />
gefördert von der Kulturabteilung<br />
der Südtiroler Landesregierung<br />
KulturFenster<br />
3 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Die Teilnahme an einem<br />
Wertungsspiel …<br />
… dient nicht nur dem Vergleich mit anderen Kapellen, sondern<br />
in erster Linie der nachhaltigen Qualitätsförderung im Verein.<br />
KulturFenster<br />
4 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
motiviert<br />
Warum musikalische<br />
Wettbewerbe ein Teil der<br />
Vereinsarbeit sind<br />
Helmut Schmid zum Thema Konzertwertung aus der Sicht des Jurors<br />
Ob eine Teilnahme mit der Musikkapelle am<br />
nächsten Wettbewerb bzw. Wertungsspiel<br />
angestrebt werden soll, wirft vereinsintern<br />
oft zahlreiche Fragen auf. Befürworter und<br />
Skeptiker gibt es da viele und nicht selten<br />
fehlen gute und sachliche Argumente<br />
auf beiden Seiten. Eigentlich könnten wir<br />
uns solche Diskussionen sparen - durch<br />
ein klar definiertes und umfangreich gedachtes<br />
Qualitätsbewusstsein, welches<br />
für alle Mitglieder in der Musikkapelle<br />
verständlich ist. Im folgenden Beitrag einige<br />
Gedanken zum Thema Qualität im<br />
Musikverein.<br />
Wie deniert sich die<br />
musikalische Arbeit in<br />
der Musikkapelle?<br />
Unsere Musikkapellen (allen voran die<br />
Kapellmeisterinnen und Kapellmeister)<br />
haben vielfältige Aufgaben: Beginnen<br />
wir mit der Auswahl der Literatur für<br />
das Programm im musikalischen Jahreskreis.<br />
Kapellmeister*innen stehen<br />
jedes Jahr vor der Aufgabe, geeignete<br />
Musikstücke für die Umrahmung kirchlicher<br />
und weltlicher Festtage, Pflege der<br />
Marschkultur, Unterhaltungsmusik, Konzertmusik,<br />
Musik in kleinen Gruppen etc.<br />
zu finden. Für jeden dieser Bereiche gelten<br />
ähnliche Anforderungen: möglichst<br />
gut spielbare und qualitätsvolle Stücke<br />
– im Original oder als gute Transkription<br />
– zu erkennen.<br />
Ein weiterer Punkt ist die musikalische<br />
Nachwuchs- und Jugendarbeit. Hier besteht<br />
wohl die einzigartige Chance, Qualität<br />
und Qualitätsbewusstsein von Anfang<br />
an zu etablieren. Erfolge – auch kleine<br />
– machen Spaß und machen Lust auf<br />
mehr. Die Teilnahme mit einem Jugendorchester<br />
an verschiedenen Veranstaltungen<br />
wie Jugendblasorchestertreffen<br />
oder Jugendblasorchesterwettbewerben<br />
sind besondere Highlights.<br />
„Definiert wird der Qualitätsanspruch in erster Linie von der musikalischen Leitung und<br />
der gewählten Vorgehensweise“, sagt Juror Helmut Schmid.<br />
Warum ist ein natürliches<br />
musikalisches Qualitätsbewusstsein<br />
im Verein wichtig?<br />
Vorweg: Ein Musikverein besteht aus mehreren<br />
unterschiedlichen Parametern. Federführend<br />
für die Entwicklung und Sicherung<br />
von Qualitätsbewusstsein sind<br />
die musikalisch-künstlerischen Belange.<br />
Aus diesem Grund werden in diesem Beitrag<br />
Themen wie Organisation, Finanzierung,<br />
Öffentlichkeitsarbeit etc. nicht berücksichtigt.<br />
Qualitätsvolles Musizieren<br />
in der Musikkapelle entsteht nicht zufällig,<br />
es ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit.<br />
Ein Konzert auf hohem Niveau zu<br />
spielen, ist sicherlich ein schöner Erfolg,<br />
sagt jedoch unter Umständen noch nicht<br />
allzu viel über die musikalische Qualität<br />
der Vereinsarbeit aus. Definiert wird der<br />
Qualitätsanspruch in erster Linie von der<br />
musikalischen Leitung und der gewählten<br />
Vorgehensweise. Durch folgende<br />
Fragen können Kapellmeisterinnen und<br />
Kapellmeistern ihren persönlichen Anspruch<br />
festlegen:<br />
➤ Welche Literatur wird zu welchem Anlass<br />
gespielt?<br />
➤ Welche Transkriptionen werden gewählt?<br />
➤ Was sind gute Originalwerke?<br />
➤ Müssen bei jedem Anlass Stücke der<br />
maximal möglichen Leistungsstufe gespielt<br />
werden, oder gibt es auch einfachere<br />
(gute) Werke?<br />
Musikalische Wurzeln<br />
und Qualitätsanspruch<br />
an die Musik<br />
Weitere Überlegungen gelten der Österreichischen<br />
(Tiroler) Blasorchesterkultur:<br />
Wo sind die musikalischen Wurzeln und<br />
wie können diese in Kenntnis der interna-<br />
KulturFenster<br />
5 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
motiviert<br />
Unser (zielführender) Weg zum Wertungsspiel – darüber referierte Hans Pircher bei einer Fortbildungsveranstaltung für Kapellmeisterinnen<br />
und Kapellmeister.<br />
tionalen Blasorchesterszene sinnvoll weiterentwickelt<br />
werden? Bestimmt verfügen<br />
meisten Mitglieder des Vereins über einen<br />
gewissen und meistens sehr ausgeprägten<br />
Qualitätsanspruch an die Musik und die<br />
musikalische Vereinsarbeit. Im Optimalfall<br />
sehen dieses Thema alle recht ähnlich<br />
oder sogar gleich. Für mich persönlich ist<br />
es oberstes Ziel und vereinsinterne Vorgabe,<br />
dass jede Probe, jedes Ständchen,<br />
jede Prozession und jedes Konzert im Moment<br />
die wichtigste Aufgabe des Vereines<br />
ist. Das heißt: Wir alle geben immer und<br />
bei jeder Gelegenheit unser Bestes! Wenn<br />
all diese Aufgaben gelingen, entsteht Motivation<br />
und das ist eine wesentliche Grundlage<br />
für qualitätsvolles Musizieren.<br />
Wer gibt uns Rückmeldung?<br />
Rückmeldung und unsere Reaktion darauf<br />
bestimmen die musikalische Arbeit<br />
im Verein grundlegend. Natürlich unterscheiden<br />
wir, von wem diese Rückmeldung<br />
kommt und verwerten diese dann<br />
mehr oder weniger. Grundsätzlich gibt es<br />
andauernd Rückmeldungen zu unserer<br />
musikalischen Arbeit. In der Probe durch<br />
Kolleginnen und Kollegen, durch die Kapellmeisterin<br />
oder den Kapellmeister, zuhause<br />
in der Familie und nicht zuletzt<br />
durch das Publikum. Man könnte den<br />
Standpunkt vertreten, dass das Publikum<br />
der Maßstab sein soll und wir uns danach<br />
zu richten haben. Gewissermaßen mag<br />
das auch so sein und wir alle freuen uns,<br />
wenn dem Publikum unsere Musik gefällt.<br />
Jedoch haben wir ein stark unterschiedliches<br />
Publikum zu bedienen – abhängig<br />
vom Anlass unseres Auftrittes. Nun ist es<br />
doch so, dass die Rückmeldungen, die<br />
wir in erster Linie bekommen, aus einem<br />
uns gut bekannten Kreis stammen. Demnach<br />
kommen sie aus einem sehr persönlichen,<br />
freundschaftlich bekannten Kreis<br />
und werden auch durch den subjektiven<br />
Einblick ins Vereinsleben, wie viel großartige<br />
Arbeit wir leisten, geprägt.<br />
Thema „Wettbewerb“<br />
An dieser Stelle kommt für mich das Thema<br />
„Wettbewerb“ ins Spiel. Natürlich sind Wertungsspiele<br />
und Wettbewerbe ein Forum,<br />
um sich mit anderen „Mitbewerbern“ zu<br />
vergleichen. Wir alle erleben es immer wieder,<br />
wie essenziell es für viele von uns ist,<br />
besser als andere zu sein. Das mag vielleicht<br />
eine Triebfeder für Qualität sein, jedoch<br />
hoffentlich nicht die einzige! Ich habe<br />
immer wieder miterlebt, dass sich gute Arbeit<br />
in allen Bereichen der Vereinsarbeit<br />
über einen längeren Zeitraum auf die musikalische<br />
Qualität allgemein positiv auswirkt<br />
und dadurch bei einer möglichen<br />
Wettbewerbsteilnahme viele grundlegende<br />
und gute Vorzeichen ohnehin schon gegeben<br />
sind. Wettbewerbe und Wertungsspiele<br />
bieten eine Möglichkeit, qualifizierte<br />
Rückmeldungen von außenstehenden, neutralen<br />
und fachlich versierten Personen –<br />
einer Jury – zu bekommen. Dennoch ist<br />
auch diese Rückmeldung, welche in einem<br />
Wettbewerbe und Wertungsspiele bieten eine Möglichkeit, qualifizierte Rückmeldungen von<br />
außenstehenden, neutralen und fachlich versierten Personen – einer Jury – zu bekommen.<br />
Auch bei fachlich fundierten Rückmeldungen spielen u. a. subjektive Erwartungshaltungen<br />
und musikalische Vorstellungen der einzelnen Jurymitglieder eine Rolle.<br />
KulturFenster<br />
6 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Blasmusik<br />
Ausschreibung<br />
VSM - Konzertwertung <strong>2021</strong><br />
Samstag, 30. Oktober <strong>2021</strong><br />
Im Kulturzentrum Grand Hotel Toblach<br />
Anmeldung:<br />
Innerhalb 31. <strong>August</strong> <strong>2021</strong> im Verbandsbüro<br />
AUSSCHREIBUNG<br />
Punkteergebnis zusammengefasst wird, eigentlich<br />
subjektiv. Abhängig von bestimmten<br />
Zugängen, Erwartungshaltungen, Einschätzungsvermögen<br />
und musikalischen<br />
Vorstellungen der einzelnen Jurymitglieder<br />
können auch diese Rückmeldungen sich<br />
durchaus unterscheiden.<br />
Musikalische Wettbewerbe<br />
und ein angemessener<br />
Umgang mit dem Ergebnis<br />
Wenn wir uns einem „Wettbewerb“ stellen,<br />
gehen wir auch ein gewisses Risiko ein. Im<br />
besten Fall werden die musikalische Vereinsarbeit<br />
und unser Anspruchsdenken<br />
positiv bestärkt. Allerdings kann es auch<br />
sein, dass die eigene musikalische Leistung<br />
und somit unsere Arbeit – von der wir ja<br />
überzeugt sind – einer kritischen Rückmeldung<br />
unterzogen wird. Wenn sich diese in<br />
einer niedrigen Punktebewertung niederschlägt,<br />
führt das oft zu Motivationsverlust<br />
und Frust. Die persönliche Einschätzung<br />
bei jeder Gelegenheit intern zu kommunizieren<br />
und eine angemessene, ehrliche<br />
bzw. selbstkritische Erwartungshaltung im<br />
Vorfeld zu formulieren, ist wohl eine der<br />
größten Herausforderungen, die es für<br />
Kapellmeister*innen gibt.<br />
Musikalische Wettbewerbe als<br />
Impuls- und Motivationsgeber<br />
Wenn Wettbewerbe und Wertungsspiele<br />
nicht das eigentliche Ziel der Vereinsarbeit<br />
sind, sondern viel eher einen wichtigen und<br />
unersetzlichen Bestandteil einer Qualitätsund<br />
Rückmeldekultur darstellen, dann gibt<br />
es viele positive Auswirkungen und es führt<br />
eigentlich kein Weg an der Teilnahme vorbei.<br />
Wettbewerbsstücke sind in der Regel<br />
gut ausgesuchte Musikstücke, die einen<br />
hohen künstlerischen und pädagogischen<br />
Mehrwert bieten. Es gibt die Möglichkeit,<br />
größere Werke zu proben, die vermutlich<br />
sonst nicht im Programm stehen würden,<br />
jedoch sehr gut auch im Jahreskonzert gespielt<br />
werden können. Weiters gibt es die<br />
Gelegenheit, an einem Werk über einen<br />
längeren Zeitraum konsequent zu arbeiten<br />
und alle in der Partitur vorgegebenen<br />
Inhalte technisch und vor allem musikalisch<br />
bestmöglich umzusetzen. Im Optimalfall<br />
klingt es in jeder Probe noch besser –<br />
was sich auch auf die Motivation und die<br />
Vorfreude bei allen Beteiligten auswirken<br />
wird. Wenn Wettbewerbsstücke bereits vor<br />
dem Wettbewerb aufgeführt werden (z.B.<br />
im Jahres- oder in Vorbereitungskonzerten),<br />
dann wird das Orchester daran wachsen,<br />
verschiedene Rückmeldungen mit eigenen<br />
Erfahrungen verbinden und somit auch bestens<br />
vorbereitet sein. Der Wettbewerb bzw.<br />
das Wertungsspiel selbst ist dann eigentlich<br />
nur mehr der hoffentlich erfolgreiche Abschluss<br />
eines schönen „Projektes“ im Rahmen<br />
des musikalischen Jahresprogramms,<br />
bei dem die „Selbsteinschätzung“ der musikalischen<br />
Leistungsfähigkeit möglichst mir<br />
der „Fremdeinschätzung“ der Jury zusammenpassen.<br />
Viel Erfolg!<br />
Zur Person<br />
Helmut Schmid<br />
ist langjähriger Kapellmeister der Stadtmusikkapelle Landeck/Tirol. Mit seiner Stadtmusikkapelle<br />
und seinem Jugendblasorchester hat er an verschiedensten nationalen<br />
und internationalen Musikwettbewerben (Wasserburg – D, Kerkrade - NL,<br />
Riva del Garda - I, Valencia - ES und Prag - CZ) sehr erfolgreich teilgenommen.<br />
Beruflich arbeitet er beim Land Tirol als Landesmusikdirektor. Im Blasmusikverband<br />
war er von 2001 - 2010 als Landesjugendreferent für den Blasmusikverband<br />
Tirol tätig und ist seit 2013 Bundesjugendreferent des Österreichischen<br />
Blasmusikverbandes.<br />
KulturFenster<br />
7 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
„Alles Show“<br />
Fortbildung für Stabführer mit<br />
Gerhard Dopler und der<br />
Stadtmusikkapelle Meran<br />
https://vsm.bz.it<br />
25.09.<strong>2021</strong><br />
VSM intern<br />
Wie Musik (wieder) in<br />
Bewegung kommt<br />
Spitzensportlerin trifft Stabführer und Führungskräfte<br />
der Einzelnen und der Gruppe einzugehen.<br />
Viele der mentalen Strategien, die Profisportler<br />
nutzen, können auch von Stabführern<br />
erfolgreichund effizient angewendet<br />
werden.<br />
Grundsätzlich sollte unser Bestreben<br />
sein, mental stark zu sein. Die Basis dabei<br />
ist, sich selbst zu vertrauen – Selbstvertrauen<br />
zu entwickeln.<br />
Eine wichtige Aufgabe besteht für uns im<br />
Vereinsleben in dieser Hinsicht, unseren<br />
Kindern und Jugendlichen zu zeigen,<br />
dass wir ihnen vertrauen. Eine spezielle<br />
Herausforderung einer Musikkapelle liegt<br />
darin, Mitglieder mit unterschiedlicher Alters-<br />
und Interessensstruktur zu vereinen.<br />
Wie im Leistungssport auch, spielen als<br />
Schlüssel des Erfolges verschiedene Bausteine<br />
eine große Rolle:<br />
Konzentriert und aufmerksam folgten die Stabführer und Führungskräfte aus dem<br />
VSM-Bezirk Meran den Ausführungen von Monika Niederstätter.<br />
➤ Selbstvertrauen aufbauen<br />
➤ Motivierende Ziele setzen<br />
Am 5. Mai fand die seit Langem erste Fortbildungsveranstaltung<br />
des VSM-Bezirks<br />
Meran in Präsenzform statt. Auf Einladung<br />
der Fachgruppe MiB (Musik in Bewegung)<br />
und unter der Koordination von Bernhard<br />
Mairhofer konnte die renommierte Sportpsychologin<br />
und Mentaltrainerin Monika<br />
Niederstätter zum Thema „Herausforderung<br />
Stabführer“ gewonnen werden.<br />
Monika Niederstätter ist ehemalige Leistungssportlerin,<br />
hat zwei Mal an Olympischen<br />
Spielen und mehrfach an Europaund<br />
Weltmeisterschaften teilgenommen, ist<br />
9-fache Italienmeisterin im 400-m-Hürdenlauf<br />
und hielt lange Zeit den Italienrekord in<br />
dieser Disziplin. Sie überzeugte mit einem<br />
interessanten, praxisnahen und kurzweiligen<br />
Vortrag. Sie stellte viele Parallelen zwischen<br />
Musik und Sport her und konnte den Führungskräften<br />
und insbesondere den Stabführern<br />
sehr hilfreiche Beispiele vermitteln.<br />
Immer wieder stellen sich uns im Leben<br />
verschiedene Herausforderungen, im<br />
besonderen Maße auch in der jetzigen<br />
Situation. Gerade auch die Führungsposition<br />
des Stabführers stellt eine spannende<br />
Herausforderung dar, mit der jeder<br />
auf seine Weise umgeht. Durch Mentaltraining<br />
können wir lernen, mit den verschiedenen<br />
Herausforderungen umzugehen<br />
und an ihnen zu wachsen.<br />
Ein gezieltes Mentaltraining spielt im Spitzensport<br />
mittlerweile eine wesentliche<br />
Rolle und ist nicht mehr wegzudenken.<br />
Durch Mentaltraining gelingt es uns, unser<br />
wahres Potential zu erschließen. Dies<br />
gilt nicht nur für den Sport, sondern auch<br />
für die Rolle des Stabführers. Es gilt, zu<br />
einem bestimmten Zeitpunkt die bestmögliche<br />
Leistung abrufen zu können,<br />
also den Anforderungen und Herausforderungen<br />
dieser besonderen Stellung gerecht<br />
zu werden und auf die Bedürfnisse<br />
➤ Konzentration stärken<br />
➤ Visualisierungstechniken nutzen<br />
➤ Umgang mit Stress und Leistungsdruck<br />
➤ Gedanken und Gefühle kontrollieren<br />
➤ Ruhe fi nden<br />
➤ Verletzungen und Krisen meistern<br />
Von essenzieller Bedeutung ist das Formulieren<br />
und Setzen von Zielen und die<br />
Frage der Beweggründe: Was sind die<br />
Motive? Bei der Motivation unterscheidet<br />
man zwischen extrinsischer (z.B. Status,<br />
Anerkennung…) und intrinsischer (wegen<br />
mir) Motivation.<br />
Intrinsische Motive werden durch die Tätigkeit<br />
selbst befriedigt. Extrinsische Motive<br />
werden nicht durch die Tätigkeit selbst,<br />
sondern durch die Folgen der Tätigkeit<br />
KulturFenster<br />
8 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Blasmusik<br />
Viele nützliche Motivationsschübe hatte die ehemalige Spitzensportlerin<br />
für die Funktionäre in den Musikkapellen parat.<br />
Wie man damit umgeht, wenn sich Plan und Realität widersprechen, dafür<br />
konnten die Fortbildungsteilnehmer einige praktische Tipps mitnehmen.<br />
oder durch deren Begleitumstände befriedigt.<br />
Eine der wichtigsten Aufgaben<br />
von Führungskräften im Verein besteht<br />
darin, bei ihren Mitgliedern wieder mehr<br />
die intrinsische Motivation zu fördern.<br />
Neben den Motiven sind die Ziele die<br />
zweite große Quelle unserer Motivation.<br />
Durch klug gesetzte Ziele kann man sich<br />
selbst und andere erfolgreich motivieren.<br />
Zu diesen Punkten konnte die Referentin<br />
wertvolle und anschauliche Tipps geben,<br />
beispielhaft auch, weil gerade sie in ihrer<br />
Sportlerkarriere als Hürdenläuferin und<br />
danach im Berufsleben lernen musste,<br />
viele Hürden zu meistern.<br />
Zwar haben Musik und Sport viele Parallelen,<br />
eines unterscheidet sie jedoch:<br />
die Musik lässt den Kopf eher aus und<br />
spricht mehr das Gefühl an. Auch deshalb<br />
ist das mentale Know-how für den<br />
Trainer (Stabführer/Kapellmeister/Führungskräfte)<br />
so wichtig; eine gute Kommunikation<br />
ist das A und O. Besonders<br />
wichtig ist es, wenn etwas gut läuft, dies<br />
lobend hervorzuheben. Bei Kritik bewährt<br />
sich die Sandwichmethode gut:<br />
1. Lob - das Gehirn „macht auf, ist erfreut“<br />
2. Kritik anbringen<br />
3. Lob<br />
Als Schlussbotschaft nannte die Referentin<br />
nochmals drei Schlüssel fürs „Bullseye“:<br />
1. Konzentration<br />
2. Gelassenheit (mehr Spaß passt gut<br />
zur Musik)<br />
3. Selbstvertrauen (Gruppendynamik<br />
nutzen)<br />
Im Anschluss an den Vortrag gab es noch<br />
eine Frage- und Diskussionsrunde mit interessanten<br />
Wortmeldungen und reger<br />
Beteiligung. Gewappnet mit vielen Tipps,<br />
Erkenntnissen und mit einer breiteren<br />
Sichtweise, können sich die Teilnehmer<br />
und Stabführernun ihrer umfangreichen<br />
und verantwortungsvollen Aufgabe stellen.<br />
Der VSM-Bezirksvorstand Meran wünscht<br />
ihnen dazu viel Erfolg!<br />
Andreas Augscheller<br />
VSM-Bezirksobmann Meran<br />
BLASMUSIK IM RUNDFUNK<br />
jeden Freitag<br />
von 18 bis 19 Uhr<br />
„Blasmusik“<br />
mit Dieter Scoz<br />
jeden Samstag<br />
von 18 bis 19 Uhr<br />
„Faszination Blasmusik“<br />
mit Arnold Leimgruber<br />
(Wiederholung<br />
am Sonntag um 10 Uhr)<br />
jeden Freitag<br />
von 18 bis 19 Uhr<br />
„Das Platzkonzert“<br />
mit Peter Kostner<br />
KulturFenster<br />
9 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
VSM intern<br />
Obleute-Tagung<br />
Kulturhaus, Terlan<br />
https://vsm.bz.it<br />
30.10.<strong>2021</strong> –<br />
9.00 Uhr<br />
Es war einmal …<br />
eine Musikkapelle<br />
Bitte um Mitarbeit bei der Suche nach verschollenen Musikkapellen<br />
Es hat in der Vergangenheit in unserm Land gar einige<br />
Musikkapellen gegeben, die im Laufe der Zeit<br />
von der Bildfläche verschwunden sind und vielfach<br />
erinnern nur mehr lückenhafte Notizen von deren<br />
vormaliger Existenz.<br />
GESUCHT!<br />
Erinnerungen, Dokumente,<br />
Fotos, Zeitungsmeldungen etc.<br />
Nun soll der Versuch gemacht werden, ein vom Vergessen<br />
bedrohtes Kapitel Südtiroler Blasmusikgeschichte<br />
zu dokumentieren und für die Zukunft zu sichern.<br />
Deshalb ersuchen wir alle, die vom Bestand ehemals<br />
existierender und heute verschwundener Musikkapellen<br />
oder selbstständiger Bläserformationen Kenntnis<br />
haben, dies mitzuteilen. Vor allem bitten wir, auch ältere<br />
Musikanten oder ältere Menschen aus der Dorfgemeinschaft<br />
anzusprechen und sie nach ihren diesbezüglichen<br />
Erinnerungen zu befragen.<br />
Wenn es neben den bloßen Erinnerungen auch noch<br />
konkrete Unterlagen (Dokumente, Fotos, Zeitungsmeldungen<br />
etc.) zu den verschwundenen Musikkapellen<br />
geben sollte, so wären wir für deren leihweise Überlassung<br />
natürlich sehr dankbar. Jeder noch so kleine<br />
Hinweis ist bei der Recherche hilfreich!<br />
Hinweise und Infos bitte direkt an den Verband Südtiroler<br />
Musikkapellen, Schlernstraße 1, 39100 Bozen<br />
oder info@vsm.bz.it<br />
Stephan Niederegger<br />
Aus der Redaktion<br />
Ihre Beiträge (Texte und Bilder) für die Blasmusikseiten<br />
senden Sie bitte an: kulturfenster@vsm.bz.it<br />
Redaktionsschluss für<br />
die nächste Ausgabe des<br />
„KulturFensters“ ist<br />
Freitag, 17. September <strong>2021</strong><br />
KulturFenster<br />
10 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
ewegt<br />
„Man muss die Kinder einfach<br />
mal tun lassen“<br />
Ein Gespräch mit Sonya Profanter über Musik in Bewegung<br />
mit Kindern und Jugendlichen<br />
In der Juni-Ausgabe des „KulturFensters“<br />
haben der VSM-Verbandsstabführer Klaus<br />
Fischnaller und die VSM-Verbandsjugendleiter-Stellvertreterin<br />
Uta Praxmarer zum geplanten<br />
Jugendfestival 2022 eingeladen. Ergänzend<br />
dazu haben Klaus Fischnaller und<br />
der VSM-Verbandsjugendleiter-Stellvertreter<br />
Hannes Schrötter mit Sonya Profanter<br />
über die Jugendarbeit im Allgemeinen gesprochen<br />
und wie man Jugendliche für die<br />
Musik in Bewegung motivieren kann.<br />
KulturFenster: Südtirols Kulturlandschaft<br />
stand für Monaten größtenteils still. Wie<br />
hast du diese Zeit erlebt?<br />
Sonya Profanter: Meine kleine Tochter ist genau<br />
vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie<br />
geboren. So muss ich gestehen, dass<br />
mich persönlich der totale Stillstand aller<br />
kulturellen Tätigkeiten nicht sonderlich<br />
beeinflusst hat. Ich konnte mich voll und<br />
ganz auf meine Kinder konzentrieren und<br />
genoss die Ruhe zu Hause. In letzter Zeit<br />
aber verspürte ich schon immer mehr den<br />
Wunsch, mit anderen zusammen zu musizieren<br />
oder einfach wieder mal irgendwo<br />
Musik spielen zu hören. Mir haben auch<br />
die Kollegen aus der Musikkapelle gefehlt,<br />
die ich lange nicht mehr gesehen hatte. Für<br />
die Vereine ist ein so langer Stillstand gefährlich,<br />
denn sie leben vor allem durch die<br />
Beziehungen der Mitglieder untereinander.<br />
KF: Welche Rolle kann die Musik deiner Erfahrung<br />
nach in der persönlichen Entwicklung<br />
von Kindern und Jugendlichen spielen?<br />
Profanter: Musik ist eine große Bereicherung<br />
für die Entwicklung der Kinder und<br />
Jugendlichen. Einmal spielt der soziale Aspekt<br />
eine große Rolle: man musiziert meistens<br />
nicht allein und muss sich im Ensemble<br />
oder in der Kapelle auf die anderen<br />
Spieler einlassen können und aufeinander<br />
hören, sich unterordnen oder auch mal die<br />
Führung übernehmen. Musizieren fördert<br />
die Kreativität und die Intelligenz – das ist<br />
Beim Landesmusikfest 2015 in Meran begeisterte die Jugendkapelle Villnöß unter der<br />
Leitung von Sonya Profanter das Publikum mit einer Marschshow.<br />
mittlerweile auch wissenschaftlich erwiesen<br />
- denn die Kinder schulen beim Musizieren<br />
ihre Aufmerksamkeit, die Konzentration,<br />
ihr Gedächtnis, die Reaktion, aber<br />
auch die Experimentierlust. Fühlen sich<br />
Kinder in einer Gruppe sicher, so stärkt das<br />
auch ihre Selbstsicherheit und ihr Selbstbewusstsein.<br />
KF: Du warst in den vergangenen Jahren<br />
in mehreren Funktionen in der Jugendarbeit<br />
tätig. Welcher Moment oder welche<br />
Momente sind dir dabei besonders in Erinnerung<br />
geblieben?<br />
Profanter: In den 12 Jahren als Dirigentin<br />
der Jugendkapelle bzw. als Jugendleiterin<br />
hat es unzählige tolle Momente gegeben –<br />
seien es die verschiedenen Konzerte und<br />
Auftritte mit der Jugendkapelle, aber auch<br />
das alljährliche Jugendcamp im Sommer<br />
auf der Alm. Besondere Erlebnisse waren<br />
natürlich die Teilnahme an den Jugendkapellen-Wettbewerben<br />
des VSM oder unsere<br />
Marschauftritte. Wir durften zum Beispiel<br />
beim Landesmusikfest Meran 2015<br />
als Eröffnung der Marschmusikbewertung<br />
mit unserer Jugendkapelle eine Marschshow<br />
aufführen – dies war ein großartiges<br />
Erlebnis, welches mir und sicherlich auch<br />
den Jungmusikanten noch lange in Erinnerung<br />
bleiben wird.<br />
KF: Wie kann man aus deiner Sicht Kinder<br />
und Jugendliche für die Musik in Bewegung<br />
motivieren?<br />
Profanter: Ich habe die Erfahrung gemacht,<br />
dass Kinder im Bereich „Musik in Bewegung“<br />
eigentlich kaum Motivationsprobleme<br />
haben – im Gegensatz zu manchen<br />
erwachsenen Musikanten. Kinder haben einen<br />
inneren Bewegungsdrang; es liegt in<br />
ihrem Naturell, sich zu bewegen. Sollten<br />
Kinder aber doch noch eine Motivationsspritze<br />
benötigen, dann kann man sie in<br />
den Entwicklungsprozess der Choreografie<br />
miteinbinden. Werden die Ideen der Kin-<br />
KulturFenster<br />
11 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
ewegt<br />
der aufgegriffen und eingebaut, können sie<br />
sich viel besser mit dem Ergebnis identifizieren<br />
und werden gleichzeitig noch in ihrem<br />
Selbstwertgefühl gestärkt.<br />
KF: Wie könnte dies konkret funktionieren?<br />
Profanter: Ein kleines Beispiel, wie ein gemeinsames<br />
Erarbeiten stattfinden könnte:<br />
Man teilt die Jugendkapelle in mehrere<br />
Kleingruppen; zum Einstieg zeigt der Stabführer<br />
einzelne geometrische Formen (z.B.<br />
Kreis, Spirale, Dreieck, Linien nebeneinander,<br />
Zickzack-Muster) und die Teilgruppen<br />
sollen die gezeigte Form nachstellen. Die<br />
Gruppen arbeiten gleichzeitig und haben<br />
so lange Zeit, bis eine Gruppe fertig ist und<br />
„Stopp“ ruft. Sie können auch die verschiedenen<br />
Raumebenen miteinbeziehen (stehend,<br />
sitzend, liegend….). Als nächsten<br />
Schritt sollen sie versuchen, sich aus der<br />
„normalen“ Marschformation in die eine<br />
Form und dann in eine nächste Form usw.<br />
zu bewegen.<br />
KF: Besteht die Gefahr, die Kinder und Jugendlichen<br />
dabei zu überfordern?<br />
Profanter: Es ist wichtig, den Kindern Rahmenbedingungen<br />
und bestimmte Regeln<br />
vorzugeben, denn zu viel Freiheit kann<br />
auch im Chaos enden. Kleine Aufgabenstellungen,<br />
bei denen sie ihrer Fantasie<br />
freien Lauf lassen können, können zu vielen<br />
kreativen Bausteinen führen, welche der<br />
Stabführer dann in die Gesamtchoreografie<br />
einbauen kann. Kinder sind sehr kreativ,<br />
deshalb muss man sie einfach „mal tun lassen“.<br />
Natürlich braucht ein solcher Prozess<br />
mehr Zeit als eine vorgefertigte Choreografie,<br />
die den Kindern präsentiert und mit ihnen<br />
eingeübt wird. Deshalb sollte der Stabführer<br />
Geduld haben, fl exibel sein, keine<br />
Angst vor Neuem haben und versuchen,<br />
Gewohnheiten aufzubrechen.<br />
KF: Apropos Gewohnheiten aufbrechen –<br />
was wäre in der Musik in Bewegung noch<br />
möglich?<br />
Profanter: Man könnte auch neue Wege gehen<br />
– also weg von der klassischen „Marschmusik“.<br />
Der Musikstil kann variiert werden<br />
– also Pop, Rock, Filmmusik usw. Natürlich<br />
können oder müssen dazu auch die<br />
Bewegungen angepasst werden. So könnte<br />
eine Choreografie auch szenische Darstellungen<br />
enthalten, d.h. die Kinder versetzen<br />
sich in das Verhalten eines Charakters,<br />
einer Figur, eines Tieres und können<br />
ihre Gestik, Mimik und ganzkörperliche Bewegungen<br />
einsetzen. Vorstellbar ist dabei<br />
auch das Arbeiten mit Kostümen. Es wäre<br />
auch möglich, Gesang in die Choreografi<br />
e miteinzubauen. Effektvoll ist es, wenn<br />
mit Variationen der Gruppengröße gearbeitet<br />
wird, z.B. bewegt sich am Anfang die<br />
ganze Gruppe, dann treten aus der Gruppe<br />
plötzlich Kleingruppen heraus, die Gruppe<br />
formiert sich in einer anderen Figur, es tritt<br />
ein Solist aus der Gruppe usw.<br />
KF: Was ist aus deiner Sicht die größte Herausforderung<br />
beim Erlernen von Choreographien?<br />
Profanter: Der musikalische Faktor ist nicht<br />
zu unterschätzen: die Kombination von<br />
Spielen und Bewegung ist für die Kinder<br />
eine große Herausforderung. Einmal sollte<br />
das Musikstück nicht zu schwierig sein –<br />
vor allem vier-bis fünfstimmige Sätze eig-<br />
nen sich bei Jugendkapellen gut, denn<br />
so sind die Stimmen in mehreren Instrumenten<br />
vertreten. Idealerweise beherrschen<br />
die Musikanten das Stück auswendig,<br />
denn beim Musizieren ohne Noten ist<br />
man viel freier, man empfindet die Musik<br />
intensiver und kann sich mehr darauf fokussieren,<br />
WIE man etwas spielt. Außerdem<br />
kann man die Aufmerksamkeit viel<br />
besser auf die Choreografi e und auf die<br />
anderen Musikanten lenken. Vorstellbar<br />
ist es aber auch, dass eine Teilgruppe am<br />
Platz stehend musizieren und eine andere<br />
Teilgruppe die Bewegungen ausführt (mit<br />
fließendem Wechsel), um die Komplexität<br />
zu vereinfachen.<br />
KF: Was sollte der Stabführer beim Arbeiten<br />
mit Kindern beachten?<br />
Profanter: Die Persönlichkeit und Ausstrahlung<br />
des Stabführers hat wesentlichen Einfluss<br />
auf die Motivation der Kinder und Jugendlichen<br />
– so sollte sich ein Stabführer in<br />
der Rolle des Animators, des Helfers, des<br />
Mitspielers und Freundes sehen. Er sollte<br />
die Kinder dort abholen, wo sie sich befinden<br />
und viel Geduld mit ihnen haben. Das<br />
Lernen bei Kindern geschieht überwiegend<br />
durch die Imitation – deshalb ist es das Beste,<br />
wenn er selbst für die Sache brennt,<br />
dann schwappen die Begeisterung und<br />
Freude ganz von allein auf die Kinder über.<br />
Interview:<br />
Hannes Schrötter & Klaus Fischnaller<br />
Zur Person<br />
Sonya Profanter wohnt in Villnöß: Abschluss des Wissenschaftlichen Lyzeums in<br />
Brixen, Studium IGP Klarinette am Tiroler Landeskonservatorium, Absolvierung des<br />
Lehrgangs „Elementare Musik- und Bewegungserziehung“ am Tiroler Landeskonservatorium;<br />
Abschluss des Psychologiestudiums an der Leopold-Franzens-Universität<br />
Innsbruck, Abschluss des VSM-Kapellmeisterkurses. Sie war Jugendleiterin der Musikkapelle<br />
Villnöß (2003-2015), Bezirksjugendleiterin im VSM-Bezirk Brixen (2010-<br />
2016) und VSM-Verbandsjugendleiter-Stellvertreterin (2010-2016).<br />
Berufliche Tätigkeit am Institut für Musikerziehung in den Fächern Elementare Musikpädagogik/Singen<br />
und Klarinette; 2009-2011 Lehrtätigkeit für Didaktik und Lehrpraxis<br />
im Bereich Elementare Musikpädagogik (EMP) am Tiroler Landeskonservatorium,<br />
seit 2014 Lehrtätigkeit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen<br />
für das Fach „Singen mit Kindern“, Referentin bei Workshops von Musikkapellen,<br />
Referentin für Eltern-Kind-Musizieren.<br />
KulturFenster<br />
12 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Blasmusik<br />
Zum 175. Todestag von<br />
Andreas Nemetz<br />
Der Komponist des "Einschlagens zum Marsch" hat ein<br />
umfangreiches Werk hinterlassen<br />
Rezension zu einem von Andreas Nemetz aufgeführten „Potpourri für die Guitarre“<br />
Schule für Trompete mit den frühesten<br />
Anweisungen für Klappen- und für Ventiltrompete;<br />
der Abschnitt für Ventiltrompete<br />
ist sogar der älteste weltweit. Außerdem<br />
ist dieses Lehrwerk von Andreas<br />
Nemetz auch die einzige Wiener Trompetenschule<br />
des 19. Jahrhunderts, die nicht<br />
speziell für den Gebrauch der Militärkapellen<br />
geschrieben ist.<br />
Das Erscheinen der Trompetenschule<br />
wurde am 24. September 1827 in der Wiener<br />
Zeitung angekündigt. Auch die Trompetenabbildung<br />
in diesem Lehrwerk ist aufschlussreich:<br />
eine Trompete von Joseph<br />
Riedl mit den von Christian Friedrich Sattler<br />
erfundenen Doppelrohr-Schubventilen,<br />
auch Wiener Ventile genannt, deren Existenz<br />
seit 1821 nachzuweisen ist.<br />
Die Militärkapellmeister-Tätigkeit von Andreas<br />
Nemetz ist ebenso sehr beeindruckend.<br />
Von 1828 bis zu seinem Tod leitete<br />
er die Musik des K. K. Infanterie-Regiments<br />
<strong>Nr</strong>. 19 in Wien.<br />
Nemetz dürfte der erste Militärdirigent gewesen<br />
sein, der gemeinsam mit bedeutenden<br />
Wiener Unterhaltungsmusik-Kapellmeistern<br />
aufgetreten ist: Am 2. März<br />
1828 spielte das Trompeten-Corps seines<br />
Regiments gemeinsam mit dem Orchester<br />
von Johann Strauß Vater im Salon<br />
„Zur Kettenbrücke" in Wien; nur eine<br />
Woche später übernahm Joseph Lanner<br />
diese Idee.<br />
Nemetz musizierte durch rund eineinhalb<br />
Jahrzehnte in Wien unzählige Male mit<br />
Strauß Vater und Lanner sowie mit anderen<br />
erfolgreichen Tanzkapellmeistern und<br />
trat in vielen eigenständigen Veranstaltungen<br />
mit seiner Kapelle auf.<br />
„Der Wanderer“ sprach am 7. Juli 1834<br />
von der „herrlichen Harmonie des Capellmeisters<br />
Nemetz". Er dürfte mit seinen<br />
Musikern - möglicherweise als einer<br />
der ersten - auch in Streichbesetzung<br />
musiziert haben; darauf weisen die Bearbeitungen<br />
von Andreas Pölz hin, der<br />
Andreas Nemetz kam am 14. November<br />
1799 in Chwalkowitz in Mähren (heute<br />
Chvalkovice bei Moravské Budějovice in<br />
der Tschechischen Republik) zur Welt.<br />
Er wurde vom Stadtmusicus Johann Leopold<br />
Kunerth in Kremsier in Mähren (heute<br />
Kroměříž in der Tschechischen Republik)<br />
musikalisch ausgebildet.<br />
Um seiner Assentierung zu entgehen, begab<br />
er sich nach Ungarn, wo er in Ödenburg<br />
(heute Sopron) als Musiklehrer lebte.<br />
24-jährig wurde Nemetz Posaunist des Wiener<br />
Hofopernorchesters.<br />
Die Allgemeine Musikalische Zeitung vom<br />
26.11.1823 berichtete über eine „Große<br />
musikalische Akademie im K. K. Hof-<br />
Theater nächst dem Kärthner-Thore“ am<br />
15.11.1823, bei dem Nemetz ein Potpourri<br />
für die „Guitarre" gespielt hatte. Er<br />
soll alle Blasinstrumente meisterhaft beherrscht<br />
und auch vorzüglich Violine und<br />
Klavier gespielt haben.<br />
Andreas Nemetz verfasste in den 1820er<br />
Jahren mehrere Schulen für Posaune,<br />
Horn und Trompete.<br />
Besonders das Lehrwerk für Trompete ist<br />
ohne Übertreibung eine Schule der Superlative:<br />
Sie ist die erste in Wien gedruckte<br />
Beschreibung der „Maschintrompete“ in<br />
der weltweit ersten Ventiltrompetenschule<br />
(1827)<br />
KulturFenster<br />
13 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
ewegt<br />
Eine der vielen Anzeigen in der Wiener Tagespresse: Andreas Nemetz tritt gemeinsam mit<br />
Johann Strauß (Vater) auf - „Wiener Zeitung“ vom 25.11.1843<br />
Flügelhornduett in der „Allgemeinen Musikschule für MilitärMusik“ (1844)<br />
„Manövrier-Marsch“ – das heutige „Einschlagen zum Marsch“<br />
Musikstücke in Besetzung für Streichinstrumente<br />
ausdrücklich für Militärkapellen<br />
angeboten hat.<br />
1844 veröffentlichte Nemetz die „Allgemeine<br />
Musikschule für MilitärMusik“, das<br />
einzige Lehrwerk dieser Art in der österreichischen<br />
Musikgeschichte.<br />
Sie besteht aus vier Teilen: Nach einer<br />
„Allgemeinen Vorschule" mit den wichtigsten<br />
Grundlagen der Musiktheorie folgen<br />
kurze Anweisungen für alle damals in<br />
der Militärmusik gebräuchlichen Instrumente,<br />
darunter auch die erste Schule für<br />
Flügelhorn im deutschsprachigen Raum.<br />
Die Abbildung zeigt einen Teil eines Duetts<br />
für Flügelhörner. Der nächste Abschnitt ist<br />
den Trommelstreichen und Trompetensignalen<br />
gewidmet und den Abschluss bilden<br />
Partituren für Militärmusik mit Märschen<br />
und Hymnen.<br />
Unter den „Trommelstreichen" kommt<br />
dem „Manövrier-Marsch im Auftrag des<br />
k. k. Hofkriegs-Rathes für die sämmtliche<br />
k. k. Armee" von Andreas Nemetz besondere<br />
Bedeutung bei.<br />
Die ersten acht Takte dienen heute noch<br />
- in leicht veränderter Form und Notation<br />
- den österreichischen Militär- und<br />
Zivilkapellen zum sog. „Einschlagen zum<br />
Marsch". Die ersten sechs Takte werden<br />
dabei von der kleinen Trommel alleine gespielt,<br />
in den letzten beiden Takten kommen<br />
große Trommel und Becken dazu.<br />
Weiters sind in diesem Schulwerk auch<br />
Partituren eines Defilier-Marsches, eines<br />
Manövrier-Marsches und eines Doublier-<br />
Marsches zu fi nden.<br />
Zu Jahresbeginn 1845 führte die mittlerweile<br />
in Linz an der Donau garnisonierende<br />
Militärkapelle des Infanterie-<br />
Regiments <strong>Nr</strong>. 19 gemeinsam mit dem<br />
Linzer Theaterorchester das charakteristische<br />
Tongemälde „Die Bestürmung<br />
von Saida“ von Andreas Nemetz auf.<br />
Emil Mayer von der Allgemeinen Wiener<br />
Musik-Zeitung schrieb eine ausführliche<br />
Rezension, was für Auftritte von Militärkapellen<br />
- noch dazu in der „Provinz" -<br />
eher unüblich war.<br />
Kurz danach, am 16. Januar 1845, erlitt<br />
Andreas Nemetz einen Schlaganfall,<br />
der ihn völlig handlungsunfähig machte,<br />
er musste „unter Curatel" gestellt werden.<br />
Nemetz starb vor 175 Jahren, am 21.<br />
<strong>August</strong> 1846 in Wien. Er hinterließ eine<br />
unversorgte Witwe mit sechs Kindern;<br />
sein Schicksal war auch Anlass für die<br />
Intentionen von Josef Rudolf Sawerthal<br />
zur Gründung des Militärkapelleister-<br />
Pensionsfonds.<br />
KulturFenster<br />
14 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Blasmusik<br />
Ankündigung des Auftritts vom 11.9.1836<br />
in der „Wiener Zeitung"<br />
Handschrift von Andreas Nemetz: Lieber Herr von Diabeli! Haben Sie Gütte, mir den Alpen-<br />
Horn Marsch für das Piano-forte zu schicken. Nemetz Kapellmeister. Wien den 9/12/39<br />
In seiner Zeit als Mitglied des Hofopernorchesters<br />
publizierte Andreas Nemetz neben<br />
den Instrumentalschulen auch Tänze<br />
und Variationswerke für Gitarre.<br />
Mit Beginn seiner Militärkapellmeister-Tätigkeit<br />
veröffentlichte Nemetz „Pränumerationsanzeigen"<br />
in der Wiener Zeitung;<br />
unter dem Titel „Harmonie“ sollten monatlich<br />
mehrere Werke für „türkische Musik"<br />
sowie unter der Bezeichnung „Bellona“<br />
ebenfalls monatlich Kompositionen<br />
für Harmoniemusik erscheinen.<br />
Viele seiner Werke publizierte er in den<br />
ab 1830 bei „Diabelli“ veröffentlichten<br />
Heften der „Tivoli-Märsche“; im großen<br />
Vergnügungslokal Tivoli trat Nemetz oft<br />
auf und wurde sogar - etwa bei den jährlichen<br />
Eröffnungsfesten - gegenüber Johann<br />
Strauß bevorzugt.<br />
Insgesamt sind mehr als 60 Märsche nachweisbar,<br />
vielfach über beliebte Motive aus<br />
Bühnenwerken der Zeit; sein „Alpensänger-Marsch“<br />
und sein „Pasta-Marsch“ sind<br />
auch in der Sammlung der „Deutschen<br />
Armeemärsche“ zu fi nden.<br />
Die „Allgemeine Musikschule für Militär-<br />
Musik“ und die „Allgemeine Trompeten-<br />
Schule“ sind als Band 2 bzw. Band 6 in<br />
den „Reprints und Manuskripte - Materialien<br />
zur Blasmusikforschung - Reprints<br />
der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung<br />
und Förderung der Blasmusik“<br />
als Faksimile-Neudruck (herausgegeben<br />
und kommentiert von Friedrich Anzenberger)<br />
erschienen (Verlag Johann Kliment -<br />
Wien, 2004 bzw. 2011).<br />
Friedrich Anzenberger<br />
Wiederholt publizierte Pränumerations-Anzeige in der „Wiener Zeitung“<br />
KulturFenster<br />
15 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
jung musiziert<br />
KF: Florian, wie kam die Idee, gerade in dieser,<br />
sagen wir mal schwierigen Zeit für das<br />
Vereinsleben, eine neue Jugendkapelle<br />
zu gründen?<br />
Tschurtschenthaler: Die Idee kam schon vor<br />
der Pandemie. In Niederdorf hatten wir für<br />
diverse Projekte schon seit einigen Jahren<br />
eine kleine Jugendkapelle auf die Beine<br />
gestellt. Elisabeth, Simon und ich haben<br />
dann im Jahr 2019 ein erstes Mal ein gemeinsames<br />
Sommerprojekt organisiert. Die<br />
Jungmusikant*innen der Musikkapellen<br />
Prags und Niederdorf haben über einen<br />
längeren Zeitraum hinweg miteinander geprobt,<br />
und wir konnten dann schließlich zwei<br />
Konzerte geben, eines in Prags und eines in<br />
Niederdorf. Dieses Projekt hat sehr gut funktioniert<br />
und ist so gut angekommen, dass<br />
die Idee entstanden ist, eine gemeinsame<br />
Jugendkapelle zu gründen. Wir möchten<br />
so die Zusammenarbeit zwischen den beiden<br />
Kapellen noch weiter ausweiten. In den<br />
letzten Jahren treten die Musikkapelle Prags<br />
und die Musikkapelle Niederdorf verstärkt<br />
zusammen auf. Auch aus diesem Grund<br />
haben wir beschlossen, die Zusammenarbeit<br />
verstärkt auf die Jugendarbeit auszuweiten.<br />
Wir bündeln ab jetzt unsere Kräfte,<br />
und die Gründung der Juka klanLAUT bietet<br />
für alle Beteiligten nur Vorteile: Gemeinsam<br />
können wir mit einer tollen Besetzung<br />
eine große Auswahl an Stücken zum Besten<br />
geben. Dabei ist es auch für<br />
die Jungmusikant*innen aus<br />
Prags ist es so möglich bei einer<br />
Juka mitzuspielen. Allein<br />
eine Juka mit Pragser*innen<br />
ins Leben zu rufen, wäre so<br />
nicht möglich, da es dort nicht<br />
so viele Jungmusikant*innen<br />
gibt.<br />
Steckbrief<br />
Name: klanLAUT<br />
Musikapellen: Niederdorf und Prags<br />
Jugendleiterteam: Elisabeth Moser (Prags)<br />
und Florian Tschurtschenthaler mit Jugendausschuss<br />
(Niederdorf)<br />
Musikalische Leitung: Simon Burger<br />
Jungmusikant*innen: ca. 35-40<br />
Nachdem wir in den vorherigen Ausgaben<br />
des „KulturFensters“ öfters über erfahrene<br />
Jugendkapellen berichten durften, freuen wir<br />
uns besonders, in dieser Ausgabe eine neugegründete<br />
Jugendkapelle vorstellen zu können.<br />
Was es mit der neuen Jugendkapelle im<br />
Hochpustertal auf sich hat, dafür steht uns<br />
Florian Tschurtschenthaler von der Musikkapelle<br />
Niederdorf Rede und Antwort.<br />
KulturFenster: Gleich zu Anfang für uns Nicht-<br />
Pusterer: Was bedeutet klanLAUT?<br />
Florian Tschurtschenthaler:„klan“ steht<br />
für klein, im Sinne von jung - wegen der<br />
Jungmusikant*innen und ist gleichzeitig auch<br />
eine kleine (sprachliche) Anspielung auf das<br />
Hochpustertal. LAUT versteht sich eh von<br />
selbst, weil wir halt eben doch ein „mords<br />
Haufn san“. Außerdem können auch schon<br />
die ganz kleinen Jungmusikant*innen tolle<br />
Auftritte hinlegen und den Großen nacheifern.<br />
KF: Aber die Pandemie<br />
bremste euch dann ein?<br />
Tschurtschenthaler: Ja, leider,<br />
unser Jugendleiterteam hatte<br />
letztes Jahr voll motiviert mit<br />
den Planungen begonnen,<br />
als uns das „Virus“ einen<br />
Strich durch die Rechnung<br />
machte. Wir hatten bereits<br />
mit den Proben begonnen,<br />
um beim Frühjahrskonzert<br />
der Musikkapelle Niederdorf<br />
das erste Mal aufzutreten.<br />
Dazu kam es dann freilich nicht.<br />
KF: Aber nun seid ihr wieder fl eißig?<br />
Tschurtschenthaler: Ja, jetzt konnten wir endlich<br />
richtig mit unserer neuen Jugendkapelle<br />
klanLAUT starten. Wir haben uns lange überlegt,<br />
was wir für unsere Jungmusikant*innen<br />
in Coronazeiten organisieren könnten. Wir<br />
haben uns dann dazu entschieden, eine<br />
Juka-Woche auf die Beine zu stellen. Vom<br />
26.-31. Juli trafen wir uns jeden Tag nachmittags<br />
bis in die Abendstunden, um gemeinsam<br />
zu proben. Das Unterhaltungsprogramm<br />
zwischendurch kam natürlich<br />
auch nicht zu kurz.<br />
KF: Was ist das Besondere an dieser Jugendwoche?<br />
Tschurtschenthaler: Unsere klanLAUT Woche<br />
wird vom Jugendleiterteam der beiden<br />
Musikkapellen und dem Jugendausschuss<br />
der MK Niederdorf organisiert – also ist dieses<br />
Projekt von jungen Musikant*innen für<br />
Jungmusikant*innen. Wir machen Registerproben,<br />
und zwar in Gruppen aus Holzblasinstrumenten,<br />
Blechblasinstrumenten und<br />
Schlagzeug. Teils werden für die Jugendwoche<br />
eigene Musiklehrer*innen engagiert, die<br />
durch die diesjährige Förderung des VSM<br />
finanziert werden. Außerdem begleiten und<br />
unterrichten aktive Musikant*innen ehrenamtlichdie<br />
Jungmusikant*innen. Im Mittelpunkt<br />
stehen das Miteinander und die Gemeinschaft<br />
KulturFenster<br />
16 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
KF: Auf welchen Auftritt arbeitet ihr hin?<br />
Tschurtschenthaler: Am Ende der Jugendwoche<br />
fand jeweils ein Abendkonzert<br />
in Prags und in Niederdorf statt. Wir<br />
traten dort natürlich als gesamte Jugendkapelle<br />
auf, aber auch die einzelnen Register<br />
Holz, Blech, Schlagzeug trugen einige<br />
Stücke alleine vor.<br />
KF: Wo finden bei euch Proben statt?<br />
Tschurtschenthaler: Die Proben der Jugendkapelle<br />
finden aus logistischen Gründen in<br />
Niederdorf statt, da dort die größeren Räumlichkeiten<br />
vorhanden sind. Zirka zwei Drittel<br />
der Jungmusikant*innen sind aus Niederdorf<br />
und ein Drittel aus Prags.<br />
KF: Und wer kann bei euch mitmachen?<br />
Tschurtschenthaler: Die Musikschüler*innen<br />
sollten mindestens ein gesamtes Jahr Musikschulerfahrung<br />
haben, dann können sie<br />
bei unserer Jugendkapelle klanLAUT mitspielen.<br />
Es spielen aber auch erfahrene<br />
Jungmusikant*innen mit, die bereits aktiv<br />
in der Musikkapelle sind.<br />
KF: Habt ihr schon etwas für Herbst oder<br />
Winter geplant?<br />
Tschurtschenthaler: Nein, noch nichts<br />
Spruchreifes. Wir werden weiterhin projektbezogen<br />
arbeiten und uns bemühen, mit unserer<br />
Juka klanLAUT ein attraktives Angebot<br />
für Jungmusiker zu schaffen<br />
Literaturtipp von Simon Burger<br />
von der Jugendkapelle klan LAUT:<br />
Uptown Funk!<br />
Bruno Mars - Arr. von Jay Bocook<br />
Ein Ohrwurm von Bruno Mars, der in jedem<br />
Radio gespielt wurde. Das im Hall-<br />
Leonard- Verlag erschienene dynamische<br />
Arrangement geht den Kindern sofort ins<br />
Ohr und bringt Schwung in jedes Konzert.<br />
Und die Kinder und Jugendlichen spielen<br />
es einfach gern.<br />
https://www.blasmusikshop.de/Uptown-Funk_1<br />
Julia Burger<br />
Name: Julia Burger<br />
Alter: 12 Jahre<br />
Ich spiele Horn<br />
Ich lerne dieses Instrument, weil es mir gut gefällt und es nicht sehr viele<br />
spielen bzw. anfangen zu lernen.<br />
Mir gefällt an der Jugendkapelle, dass wir „Jungen“ alle zusammen musizieren<br />
können und coole tolle Stück spielen<br />
Das lauteste Register bei uns ist natürlich unser Hornregister.<br />
Marie Lercher<br />
Name: Marie Lercher<br />
Alter: 11<br />
Ich spiele Querflöte<br />
Ich lerne dieses Instrument, weil ich immer schon Querflöte lernen wollte, da<br />
meine Goti nämlich auch Querflöte spielt und sie mein größtes Vorbild ist.<br />
Mir gefällt an der Jugendkapelle, dass man mehr lustige und ausgefallene<br />
Stücke spielt.<br />
Wenn unser Kapellmeister Simon unsere ganze Aufmerksamkeit haben will,<br />
dann hebt er langsam die Hände und sagt ganz leise „Geht schon“, und<br />
dann fangen wir an zu spielen.<br />
Simon Burger<br />
Name: Simon Burger<br />
Alter: 24 Jahre<br />
Ich spiele Schlagzeug (bei der Jugendkapelle stehe ich am Dirigentenpult).<br />
Ich lernte und studiere nun dieses Instrument, weil ich es eines Tages<br />
gerne fix an einer Musikschule unterrichten möchte.<br />
Mir gefällt an der Jugendkapelle, das Proben mit jungen motivierten Musikern<br />
in Ausbildung, welche bereits in jungen Jahren einiges an musikalischen<br />
Fähigkeiten und jugendlicher Unbekümmertheit mitbringen.<br />
DieJungmusikant*innen meiner Jugendkapelle sind sehr fl eißig, motiviert<br />
und musikalisch bereits auf einem ansprechenden Niveau – und das Beste:<br />
immer für einen Spaß zu haben.<br />
KulturFenster<br />
17 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
13.03.-27.12.<strong>2021</strong><br />
hinausgeblickt<br />
VSM-Motiviert und fit?<br />
Neue Funktionärsausbildung<br />
<strong>2021</strong> (NFA)<br />
https://vsm.bz.it<br />
“ Schlernsaxess“<br />
seit funf Jahren erfolgreich<br />
:<br />
Vier Saxophonistinnen und ein<br />
Schlagzeuger machen Musik<br />
„Schlernsaxess“ ist ein Saxophonquartett<br />
mit Schlagzeugbegleitung, wobei die meisten<br />
Mitglieder vom Schlerngebiet stammen.<br />
Es setzt sich aus den vier jungen<br />
Saxophonistinnen Sabrina Vieider, Christine<br />
Pernter, Marion Goller, Kathrin Gamper<br />
und dem Schlagzeuger Michael Prossliner<br />
zusammen.<br />
Gegründet wurde das Ensemble im Jahre<br />
2016 aus reiner Freude zur Musik und mit<br />
dem Ziel, das Saxophon neu in Szene zu<br />
setzen, das man ja meist aus der Jazz- und<br />
Klassikszene kennt. In eine einzige Genre-<br />
Schublade lassen sich die Musiker*innen<br />
aber nur ungern stecken - Ihr Repertoire<br />
reicht von knackigem Pop, Evergreens und<br />
Unterhaltungsmusik bis hin zu Polkas und<br />
Märschen. Aber auch gefühlvollen Balladen<br />
sowie einige klassische und sakrale Arrangements<br />
stehen im Programm. Mit diesen<br />
breit gefächerten Stilrichtungen empfiehlt<br />
sich die Gruppe für nahezu jedes erdenkliche<br />
Event. Meist spielt die Formation auf<br />
Festen, bei Aperitifs und Hochzeiten, aber<br />
auch anlässlich von Versammlungen und<br />
in Kirchen. Das Konzertprogramm wird<br />
dabei immer an die Art der Veranstaltung<br />
angepasst.<br />
Mit den Mitgliedern der Gruppe haben wir<br />
folgendes Gespräch geführt:<br />
KulturFenster: Nun sagt mal, wo habt ihr<br />
euch denn kennengelernt?<br />
Schlernsaxess: Wir kennen uns eigentlich<br />
schon ziemlich lange, zumal wir ja alle in<br />
benachbarten Dörfern wohnen. Doch erst<br />
mit der Teilnahme am gebietsübergreifenden<br />
Jugendblasorchester „Jungschlern“<br />
im Jahre 2016, wo wir natürlich alle im<br />
selben Register spielten, entwickelte sich<br />
zwischen uns eine tiefe Freundschaft. Als<br />
sich das Projekt dann dem Ende zuneigte,<br />
wollten wir vier Mädels unbedingt mit dem<br />
Musizieren weitermachen und umrahmten<br />
wenig später musikalisch eine Messe. Dies<br />
war dann unser erstes gemeinsames Konzert.<br />
Bald darauf holten wir unseren Schlagzeuger<br />
Michael in die Gruppe, um dem<br />
Ganzen etwas mehr Groove zu verleihen.<br />
Ab diesem Zeitpunkt trafen wir uns dann<br />
regelmäßig zu weiteren Proben.<br />
KF: Aller Anfang ist schwer! Hattet ihr damals<br />
Vorbilder, an denen ihr euch orientiert<br />
habt?<br />
Schlernsaxess: Nein, nicht direkt, denn<br />
es gibt nicht wirklich viele Saxophonquartette,<br />
die sich der modernen Popmusik ver-<br />
KulturFenster<br />
18 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
schrieben haben. Als wir aber eines Tages<br />
das Internet nach neuen Ideen durchstöberten,<br />
stießen wir zufällig auf ein Video des<br />
deutschen Saxophonquartetts Sistergold,<br />
das passend zur Musik eine Choreografie<br />
einstudiert hatte. Das hat uns so gut gefallen,<br />
dass wir dies auch sofort in unsere<br />
Konzerte mit eingebaut haben.<br />
KF: Blasmusikgruppen in kleiner Besetzung<br />
gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Was<br />
zeichnet euch als Gruppe aus? Was macht<br />
euch besonders?<br />
Schlernsaxess: Erstmal ist zu erwähnen,<br />
dass wir unsere Musikstücke größtenteils<br />
selbst arrangieren, da es wahrlich nicht<br />
viel Literaturauswahl für Saxophonquartett<br />
gibt. Dadurch erhalten unsere Musikstücke<br />
auch eine ganz neue Klangfarbe,<br />
die man so noch nicht kennt. Doch unser<br />
wohl größtes Erkennungsmerkmal sind<br />
unsere Tanz- und Showeinlagen! Bei unseren<br />
Konzerten kommt nicht nur das Ohr,<br />
Sabrina Vieider,<br />
Christine Pernter,<br />
Marion Goller,<br />
Kathrin Gamper und<br />
der Schlagzeuger<br />
Michael Prossliner<br />
haben sich 2016<br />
zur Formation<br />
„Schlernsaxess“<br />
zusammengetan.<br />
sondern auch das Auge auf seine Kosten<br />
(lacht). Nicht umsonst wählen wir immer<br />
das passende Outfit für den Anlass. Durch<br />
unsere originellen Auftritte haben wir uns<br />
hier im Schlerngebiet bereits einen hohen<br />
Bekanntheitsgrad erarbeitet, besonders<br />
bei der jungen Bevölkerung. Es ist immer<br />
wieder schön zu sehen, wenn wir mit unserer<br />
Musik neue Jugendliche für das Saxophon<br />
begeistern können.<br />
KF: Inzwischen könnt ihr ja schon auf fünf<br />
Jahre Tätigkeit zurückblicken. Was war der<br />
schönste musikalische Moment, den ihr<br />
miteinander erlebt habt?<br />
Schlernsaxess: Das war ohne Zweifel der<br />
Auftritt im Nachtclub „Santners“ in Seis<br />
im Jahr 2016. Es war an einem Wochenende<br />
und wir probten an diesem Tag zusammen<br />
mit anderen motivierten Jungmusikanten<br />
beim Jugendblasorchester<br />
Bozen (JuBoB) in Völs. Am Abend verabredeten<br />
sich dann alle zum Feiern im „Santners“<br />
und wir durften an diesem Abend<br />
dort aufspielen. Es erfüllte uns mit sehr<br />
viel Freude, für so viele junge Leute zu<br />
spielen. Viele haben nicht damit gerechnet,<br />
dass ein Saxophonquartett solch eine<br />
Stimmung verbreiten kann. Wir haben damit<br />
unter anderem auch gezeigt, dass Popund<br />
Blasmusik sich gegenseitig nicht ausschließen<br />
müssen.<br />
KF: Wie schwer ist es für euch, Beruf und<br />
Musik unter einem Hut zu bekommen?<br />
Schlernsaxess: Da wir alle fünf unterschiedlichen<br />
Berufen nachgehen und sich unsere<br />
Arbeitszeiten stark voneinander unterscheiden,<br />
müssen wir in der Probenzeit<br />
ziemlich flexibel sein. Dann kann auch<br />
manchmal am Sonntagnachmittag geprobt<br />
werden. Da wir aber allesamt gute<br />
Freundinnen sind und unsere Freizeit ohnehin<br />
gerne gemeinsam verbringen, fällt<br />
uns dies nicht allzu schwer.<br />
KF: Wie habt ihr die Corona-Pause genutzt<br />
und was wünscht ihr euch für die Zukunft?<br />
Schlernsaxess: Natürlich wurden auch wir<br />
von der Corona-Pandemie so richtig ausgebremst.<br />
Also haben wir uns erstmal eine<br />
kleine musikalische Pause gegönnt. Inzwischen<br />
sind wir aber schon wieder fl eißig<br />
beim Arrangieren neuer Stücke, die wir bereits<br />
bei einigen wenigen Auftritten zum Besten<br />
geben durften! Für die Zukunft haben<br />
wir noch keine allzu großen Pläne. Würde<br />
sich uns die Gelegenheit bieten, wäre es<br />
jedoch eine großartige Erfahrung, eines<br />
Tages eine CD aufzunehmen.<br />
Interview: Alexander Mayr<br />
Seit fünf Jahren erfolgreich unterwegs: Saxophonmusik akustisch wie optisch attraktiv zu vermitteln, ist das ambitionierte Ziel von<br />
„Schlernsaxess“.<br />
KulturFenster<br />
19 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
jung musiziert<br />
Einladung nach Grafenegg<br />
JuKa Schnals fährt zum Österreichischen<br />
Jugendblasorchester-Wettbewerb<br />
Die Jugendkapelle Schnals probt zur Zeit<br />
einmal wöchentlich und hat auch ihre<br />
Musik- und Erlebniswoche im Juli zur<br />
Vorbereitung auf den Wettbewerb genutzt.<br />
Die Jungmusikant*innen werden<br />
in der Stufe AJ, der untersten Altersstufe<br />
beim Bundeswettbewerb, mit einem maximalen<br />
Durchschnittsalter von 13 Jahren<br />
antreten.<br />
Das Jugendreferat des VSM wünscht weiterhin<br />
eine gute Vorbereitung und hofft<br />
natürlich, dass die Corona-Situation entsprechend<br />
ruhig verläuft und eine Austragung<br />
des Wettbewerbs im Oktober ermöglicht.<br />
Hannes Schrötter<br />
Die Jugendkapelle Schnals freut sich auf den Jugendblasorchester-<br />
Wettbewerb im Oktober.<br />
Der Österreichische Jugendblasorchester-<br />
Wettbewerb vereint alle zwei Jahre die besten<br />
Jugendformationen aus den neun österreichischen<br />
Bundesländern sowie aus<br />
Südtirol und Liechtenstein.<br />
Für die diesjährige Ausgabe in Grafenegg<br />
(Niederösterreich) hat der Verband Südtiroler<br />
Musikkapellen die Jugendkapelle<br />
Schnals nominiert.<br />
Da die traditionelle Vorausscheidung über<br />
einen Landeswettbewerb im heurigen Jahr<br />
nicht möglich war, hat der VSM die Nominierung<br />
einer Jugendkapelle auf Basis der<br />
Ergebnisse des letzten Landeswettbewerbs<br />
getätigt. Damals erlangte die JUKA Villnöß<br />
den Tagessieg und durfte zum Bundeswettbewerb<br />
2019 nach Österreich fahren. Die<br />
Jugendkapelle Schnals, damals noch als<br />
„Minimusi Schnals“ angetreten, musste<br />
sich damals nach einer beeindruckenden<br />
Leistung mit einem zweiten<br />
Platz zufrieden geben,<br />
darf sich nun aber umso<br />
mehr über eine Entsendung<br />
zum Wettbewerb<br />
nach Grafenegg freuen.<br />
Dieser fi ndet planmäßig<br />
am Samstag, dem 23. Oktober<br />
<strong>2021</strong> statt.<br />
Nach einer allzu langen<br />
musikalischen Zwangspause<br />
ist die Vorfreude<br />
und die Motivation bei<br />
der Jugendkapelle<br />
rund um ihre Dirigentin<br />
Charlotte Rainer riesig:<br />
„Nachdem wir im letzten Winter kaum<br />
oder gar nicht proben konnten, ist die Jugend<br />
einfach nur froh, endlich wieder gemeinsam<br />
musizieren zu dürfen“, so die<br />
musikalische Leiterin.<br />
Die „Minimusi“ beim Landeswettbewerb<br />
2019 in Kaltern 2019<br />
Foto: Stephan Niederegger<br />
KulturFenster<br />
20 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Memes“ treffen auf Blasmusik<br />
“<br />
Das Musikantenleben mit Humor betrachtet<br />
Mittlerweile gehören sie zu den sozialen<br />
Netzwerken wie die Krapfen zum Kirchtag:<br />
die sogenannten „Memes“. Dabei handelt<br />
es sich um Bilder mit einer kurzen schriftlichen<br />
Aussage und einem mitgeschickten<br />
Augenzwinkern. Unlängst hat dieser Trend<br />
auch Einzug in die Blasmusik gehalten.<br />
Gerade wenn die Sommerhitze zu sehr<br />
aufs Gemüt drückt, sehnt man sich an heißen<br />
Tagen nach einer spaßigen Abwechslung.<br />
An dieser Stelle können die „Memes“<br />
- sprich „Miems“ - Abhilfe schaffen. Auf<br />
Instagram haben sich verschiedene Seiten<br />
dieser Sache angenommen und unterhalten<br />
ihre Follower regelmäßig mit neuen<br />
Posts. Auch im Bereich der traditionellen<br />
Blasmusik haben sich kreative Köpfe auf<br />
den Trend eingelassen und erreichen mit<br />
ihren Bildern tausende Fans. „Musioester-<br />
reich“, „blasmusiii“ oder „blasmusikmeme“<br />
sind dabei die Seiten mit der größten Anhängerschaft.<br />
In ihren Posts werden den verschiedenen<br />
Instrumentengruppen und ihren Spielern<br />
schonungslos deren Eigenarten aufgezeigt<br />
- und der ein oder andere Musikant dürfte<br />
sich in vielen Situationen nur allzu gut selbst<br />
erkennen. Verstimmte Flöten bekommen<br />
genauso ihr Fett weg wie Klarinetten, die<br />
mal wieder ein Vorzeichen vergessen haben,<br />
Trompeten, die nicht leise spielen<br />
können, oder Schlagzeuger, die beim Einschlagen<br />
des letzten Marsches mit ihren<br />
Gedanken schon im Wirtshaus sind. Letztlich<br />
hilft bei der Betrachtung dieser Bilder<br />
wohl nur eines: Die Sache mit Humor und<br />
sich selbst (als Musikant) nicht zu ernst zu<br />
nehmen. Also dann, wenn der Instrumentenkoffer<br />
zu Hause einmal zu weit weg liegen<br />
sollte: Instagram öffnen und loslachen.<br />
Hannes Schrötter<br />
KulturFenster<br />
21 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
„Es geht um die Musik“<br />
Miriam Kofler, die neue Solofagottistin des Rundfunk-Sinfonieorchesters<br />
Berlin, im Gespräch mit VSM-Verbandsjugendleiter Johann Finatzer<br />
Miriam Kofler stammt aus Terlan, besuchte<br />
dort die Grund-, Mittel- und Musikschule und<br />
ist Mitglied der Musikkapelle Terlan. Seit<br />
der Spielzeit 2019-2020 bekleidet sie die<br />
feste Stelle als Solofagottistin beim Rundfunk<br />
Sinfonieorchesters in Berlin.<br />
KulturFenster: Deine musikalische Laufbahn<br />
begann in der Musikschule bzw. Musikkapelle<br />
Terlan als Klarinettistin, später kam<br />
das Fagott hinzu. Wie kamst du auf dieses<br />
Instrument?<br />
Miriam Kofler: Musik war immer schon<br />
ein Teil meines Lebens. Zu sehen, wie<br />
mein Bruder und Vater zu den Proben<br />
der Musikkapelle gingen, oder auch, wie<br />
meine Mutter zu den Chorproben ging,<br />
erweckte früh eine Leidenschaft in mir.<br />
Einmal Mitglied in der Kapelle zu sein,<br />
war ein großer Wunsch.<br />
So lernte ich Blockflöte, ein<br />
paar Jahre später parallel<br />
dazu Klarinette an der Musikschule<br />
in Terlan. Als ich<br />
dann schon Mitglied bei der<br />
Kapelle war, meinte der damalige<br />
Kapellmeister Hans Finatzer,<br />
dass es doch schön wäre,<br />
wenn jemand Fagott lernen<br />
würde, was zum Klangbild der<br />
Kapelle beitragen würde. Ganz<br />
so gleich war ich nicht davon<br />
überzeugt - ich spielte immerhin<br />
schon 2 Instrumente - doch<br />
als ich das Fagott zum ersten Mal<br />
in den Händen hielt, war ich so<br />
begeistert, dass ich damit weitermachen<br />
wollte.<br />
Mit dem Fagott zum Erfolg – seit 2019 ist Miriam Kofler die Solofagottistin<br />
beim traditionsreichen Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.<br />
KF: Du bist auch Mitglied der<br />
Musikkapelle Terlan. Was bedeutet<br />
dir deine Heimatkapelle<br />
heute?<br />
Kofler: Da ich schon seit<br />
über 10 Jahren im<br />
Ausland lebe, gestaltet<br />
es sich schwierig<br />
aktiv zum Vereinsleben<br />
beizutragen.<br />
Unser Hauptkonzert,<br />
welches für<br />
die Musikkapelle<br />
Terlan an Ostern<br />
ist, habe ich leider<br />
in den letzten<br />
Jahren oft<br />
verpasst, da<br />
es an den hohen<br />
Feiertagen<br />
auch<br />
im professionellen<br />
Bereich<br />
immer viele Engagements gibt. Ich<br />
schaue aber gerne auf meine Zeit in der<br />
Kapelle zurück und hoffe, dass sich in naher<br />
Zukunft das eine oder andere Konzert<br />
ergibt.<br />
KF: Der Bläsernachwuchs auch für große<br />
Orchester kommt oft aus Gegenden, wo die<br />
Blasmusik einen hohen Stellenwert wie in<br />
Südtirol hat. War dir dein blasmusikalischer<br />
Hintergrund hilfreich?<br />
Kofler: Ich bin davon überzeugt, dass dieser<br />
Hintergrund und die Tradition der Blasmusik<br />
den jungen angehenden Profi-Musikern<br />
helfen. Die Musikschulen Südtirols<br />
(auch wenn ich sagen muss, dass ich damals<br />
Privatunterricht nehmen musste, da<br />
es keine Möglichkeit gab, im näheren Umfeld<br />
Fagott zu lernen) sind in Vergleich<br />
zu anderen Ländern gut aufgestellt. Die<br />
Jugendkapellen und Musikkapellen fördern<br />
den Nachwuchs und motivieren ihn<br />
zusätzlich.<br />
KF: Wie wichtig erscheinen dir im Rückblick<br />
Ziele wie die VSM Leistungsabzeichen,<br />
oder andere Projekte wie Bläserwochen/Wettbewerbe<br />
für die musikalische<br />
Förderung der Jugendlichen?<br />
Kofler: Wie in jedem - auch außermusikalischen<br />
- Bereich motivieren Herausforderungen<br />
dazu, sich zu verbessern und an<br />
sich zu arbeiten. So ist es auch mit den<br />
Leistungsabzeichen oder den Wettbewerben.<br />
Man setzt sich neue Ziele, lernt von<br />
anderen und vor allem lernt man sich selber<br />
besser kennen. Als Musiker verbringt man<br />
sehr viel Zeit mit sich selbst beim Üben.<br />
Dabei entwickelt man sich nicht nur, was<br />
das Spielen betrifft, weiter, sondern macht<br />
auch persönlich wichtige Fortschritte.<br />
KF: In deiner Ausbildung erlebtest du sicher<br />
viele Höhen und Tiefen, hast du nie<br />
ans Aufhören gedacht?<br />
Kofl er: Es geht natürlich nicht immer stetig<br />
nach oben, doch ans Aufhören habe<br />
ich nie gedacht. Geht es mal nicht so weiter,<br />
wie man es sich vorstellt, sucht man<br />
sich andere Wege, ein Problem zu lösen.<br />
KulturFenster<br />
22 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Blasmusik<br />
KF: Wie gehst du mit Lampenfieber<br />
um, z.B. vor einem großen Solo im<br />
Orchester?<br />
Kofler: Als ich noch klein war und die<br />
ersten Konzerte in der Musikschule<br />
hatte, hatte ich recht starkes Lampenfieber,<br />
aber mit der Zeit hat das aufgehört.<br />
Warum weiß ich nicht. Nun bin<br />
ich eher gespannt und freue mich auf<br />
die Musik bzw. ich versuche mein Bestes<br />
zu geben um der Musik willen. Es<br />
geht in diesem Moment ja gar nicht um<br />
einen selbst, es geht um die Musik.<br />
KF: Heimweh dürfte dir wohl einem<br />
Fremdwort gleichkommen, was hält<br />
dich in Südtirol?<br />
Kofler: Vieles. Meine Familie, meine<br />
Herkunft, die Natur. Ich freue mich jedes<br />
Mal, wenn ich heimfahren und der<br />
Großstadt entfliehen kann. Aus diesem<br />
Grund habe ich zusammen mit meinen<br />
zwei Freunden Agnes Mayr und David<br />
Fliri im Jahr 2017 das Ensemble „Desiderio“<br />
gegründet. Wir bringen jedes<br />
Jahr gleichgesinnte Musiker nach Südtirol,<br />
wo wir fern von unserem Alltag<br />
Kammermusik nach unseren Vorstellungen<br />
erarbeiten und dem Südtiroler<br />
Publikum darbieten können.<br />
Zu hören gibt es das Ensemble „Desiderio“<br />
Anfangs September in Schloss<br />
Maretsch, Eppan und in Bruneck. Infos<br />
unter www.ensembledesiderio.com<br />
KF: Niemand kann in die Zukunft<br />
schauen. Kannst du uns dennoch einige<br />
deiner Pläne verraten?<br />
Kofler: Pläne gibt es nicht wirklich, mit<br />
Sicherheit wird sich in den nächsten<br />
Jahren einiges verändern - Stillstand<br />
bringt einen nicht weiter.<br />
KF: Hast du eine Lebensweisheit?<br />
Kofler: Auf sich selbst hören und die<br />
eigenen Ziele verfolgen.<br />
Im Namen des VSM wünschen wir dir<br />
persönlich alles Gute und weiterhin viel<br />
Erfolg für deine künstlerische Laufbahn.<br />
Interview: Johann Finatzer<br />
https://ensembledesiderio.com<br />
2011 wurde am Musikkonservatorium<br />
„Claudio Monteverdi“ in Bozen der Studiengang<br />
für Blasorchesterleitung eingeführt.<br />
Am 22. Juli hat der 26-jährige Pusterer<br />
Daniel Niederegger als mittlerweile<br />
13. Absolvent das Bachelor-Studium als<br />
Dirigent abgeschlossen.<br />
Vor 3 Jahren hat er das Studium bei<br />
Professor Walter Ratzek begonnen, bei<br />
dem er sich anlässlich der Abschlussprüfung<br />
besonders bedankte: „Er hat<br />
mich stets gefördert, mich die letzten<br />
Jahre auf meinem Weg immer unterstützt<br />
und wie kein anderer in meiner<br />
musikalischen Tätigkeit als Dirigent geformt<br />
und geprägt.“<br />
Neben dem Studium sei es die derzeit<br />
wohl größte Herausforderung gewesen,<br />
einen Rahmen für die Abschlussprüfung<br />
zu schaffen, hob Thomas Ludescher<br />
hervor. Er hat seit kurzem den<br />
110 Punkte mit<br />
Auszeichnung<br />
Daniel Niederegger und sein<br />
Abschluss des Dirigierstudiums am<br />
Bozner Konservatorium<br />
Geschafft! Der frischgebackene diplomierte Dirigent Daniel Niederegger (3. v. l.) mit<br />
dem VSM-Ehrenkapellmeister Gottfried Veit, Professor Thomas Ludescher und Bezirksobmann<br />
Johann Hilber (v. l.)<br />
Lehrstuhl für Blasorchesterleitung in Bozen<br />
übernommen und Daniel Niederegger<br />
auf dem letzten Weg zum Studiumsabschluss<br />
begleitet: „Das Instrument des<br />
Dirigenten ist das Orchester.“ Zwei Mal<br />
mussten die geplante Abschlussprüfung<br />
coronabedingt verschoben werden. Im<br />
dritten Anlauf hat es nun geklappt. Trotz<br />
Ferien- und Urlaubszeit ist es gelungen,<br />
in kurzer Zeit aus Studenten und Amateurmusikern<br />
ein 37-köpfiges Auswahlorchester<br />
in der mindest notwendigen Blasorchesterbesetzung<br />
zusammenzustellen.<br />
Traditionelle und moderne<br />
Musik für Blasorchester im<br />
Konzertprogramm<br />
In drei intensiven Probennachmittagen<br />
wurde das Konzertprogramm erarbeitet.<br />
Niederegger wählte dazu den bekannten<br />
KulturFenster<br />
23 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
Daniel Niederegger hat für sein „Prüfungskonzert“ mit dem Auswahlorchester ein erlesenes Programm erarbeitet.<br />
österreichischen Militärmarsch „Schönfeld-Marsch“<br />
von Carl Michael Ziehrer<br />
als traditionellen Auftakt. Die „Emperata<br />
Overture“ vom US-amerikanischen Komponisten<br />
Claude Thomas Smith repräsentierte<br />
als sehr gutes Beispiel die aktuelle,<br />
moderne Musik für Blasorchester. Mit dem<br />
druckfrischen Werk „Convergence“ des<br />
Südtirolers Tobias Psaier, der selbst am<br />
Schlagzeug mitspielte, war die zeitgenössische<br />
Musik vertreten. Die 140. Bach-<br />
Kantate „Wachet Auf!“ in der Bearbeitung<br />
von Alfred Reed zollte sowohl dem<br />
großen Meister der Klassik als auch dem<br />
großen Meister der Blasorchesterliteratur<br />
Respekt. Das Konzert endete mit dem<br />
musikalischen Höhepunkt, der Suite „Tirol<br />
1809“ von Sepp Tanzer, eigens zu diesem<br />
Anlass von Daniel Niederegger neu instrumentiert.<br />
In seiner Bachelor-Arbeit analysiert<br />
er die „Blasmusik in Tirol und Südtirol,<br />
früher und heute“ anhand des Beispiels<br />
dieser Suite. Dabei sei es ihm wichtig gewesen,<br />
auch die Thematik rund um Sepp<br />
Tanzers Nähe zum Nationalsozialismus<br />
aufzuarbeiten, hob er hervor.<br />
„Sehr souveränes und<br />
musikalisches Dirigat“<br />
Die Prüfungskommission mit Direktor Giacomo<br />
Fornari, Thomas Ludescher, Eduard<br />
Demetz, Antonio Camponogara und Robert<br />
Schwärzer bescheinigte dem Kandidaten<br />
eine „sehr zielgerichtete Probenarbeit“<br />
und ein „sehr souveränes und musikalisches<br />
Dirigat“ beim Abschlusskonzert.<br />
110 Punkte und das Prädikat „mit Auszeichnung“<br />
waren schließlich der Lohn<br />
für das erfolgreiche Studium und die Abschlussprüfung.<br />
Gottfried Veit, der Ehrenkapellmeister<br />
des Verbandes Südtiroler<br />
Musikkapellen (VSM), Niedereggers erster<br />
Dirigierlehrer, und Johann Hilber,<br />
der Bezirksobmann des VSM-Bezirks<br />
Bruneck, gratulierten als eine der ersten<br />
dem 26-jährigen, nunmehr diplomierten<br />
Dirigenten zum Erfolg.<br />
Stephan Niederegger<br />
Die Absolventen in<br />
chronologischer Reihenfolge:<br />
➤ Patrick Gruber (Hafling/Südtirol 2014)<br />
➤ Stefanie Menz (Meran/Südtirol 2014)<br />
➤ Sigisbert Mutschlechner (Olang/Südtirol 2014)<br />
➤ Pietro Sarno (Deutschand 2015)<br />
➤ Andreas Simbeni (Österreich 2015)<br />
➤ Ulrike Ellemunter (Kaltern/Südtirol 2016)<br />
➤ Alois Papst (Österreich 2016)<br />
➤ Andrea Tasser (Abtei/Badia/Südtirol 2016)<br />
➤ Sascha Leufgen (Deutschland 2017)<br />
➤ Wolfgang Schrötter (Algund 2018)<br />
➤ Stefan Brunbauer (Österreich 2019)<br />
➤ Lukas Hofmann (Österreich 2020)<br />
➤ Daniel Niederegger (St.Jakob/Südtirol <strong>2021</strong>)<br />
KulturFenster<br />
24 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
entdeckt<br />
Mit „Binary Star“ gemeinsam zu den Sternen<br />
Die zweite CD von Peter Steiner und Constanze Hochwartner<br />
Titelbild der<br />
CD „Binary<br />
Star“<br />
Das junge Musikerduo Peter Steiner und<br />
Constanze Hochwartner ist nicht nur privat<br />
ein Paar, sondern sie haben auch musikalisch<br />
schon einige Sterne vom Himmel geholt.<br />
Der aus Bozen stammende Posaunist<br />
und die Organistin aus Wien haben die auftrittslose<br />
Corona-Zeit genutzt und ihre zweite<br />
gemeinsame CD aufgenommen.<br />
Nach ihrer gemeinsamen Konzertreise rund<br />
um die Welt haben sie 2019 mit dem Album<br />
„Sapphire“ eine Vielzahl an Klangfarben in<br />
der spannenden Kombination aus Klavier<br />
und Posaune präsentiert. Sie wollen aber<br />
immer „neue Wege gehen, neue Dinge ausprobieren.“<br />
Aus dieser musikalischen Neugierde<br />
und ihrem leidenschaftlichen Enthusiasmus<br />
ist der neue Tonträger „Binary Star“<br />
(Doppelsterne) entstanden. Es handelt sich<br />
dabei um Orchesterliteratur, die eigens arrangiert<br />
wurde – Musik, die die Beiden seit<br />
ihrer Kindheit begleitet hat: „Orgel und Posaune<br />
hat die Welt noch nicht gehört, aber<br />
diese Klangkombination muss man gehört<br />
haben“, hebt die junge Musikerin hervor.<br />
Die Arrangements sind sehr kammermusikalisch<br />
ausgelegt und geben beiden Instrumenten<br />
den nötigen Raum, damit die Musiker<br />
sowohl solistisch als auch gemeinsam<br />
ihre musikalische Leidenschaft „austoben“<br />
können. Damit verleihen sie der Musik einen<br />
ganz eigenen Charakter und Klang und<br />
überraschen das Publikum in seinen teils<br />
festgefahrenen Erwartungen und Traditionen.<br />
„Als wir uns zum ersten Mal trafen, war es<br />
bereits beschlossene Sache, dieses Album<br />
in den folgenden Jahren zu verwirklichen.<br />
Die Orgel, Königin der Instrumente, und die<br />
Posaune sind ein imposantes Duo. Die fulminante<br />
Kombination ermöglicht es uns, verschiedenste<br />
Klangfarben zu erschaffen und<br />
unseren Traum, alle musikalischen Ideen die<br />
wir haben, bestmöglich zu verwirklichen.“<br />
Peter Steiner<br />
Die Idee zu diesem Projekt war schon<br />
vor einigen Jahren geboren. Mit „Binary<br />
Star“ wird der Zuhörer auf eine gemeinsame<br />
Reise zu den Sternen durch die unendlichen<br />
Weiten des Kosmos entführt.<br />
Das Programm des Albums vereint verschiedene<br />
Komponisten und spannt den<br />
musikalischen Bogen vom Spätromantiker<br />
Gustav Mahler bis zum Filmmusik-<br />
Komponisten John Williams. Hauptwerk<br />
ist die „Planeten-Suite“ von Gustav Holst.<br />
Die CD wurde im Juli 2020 in St. Martin<br />
im Mühlkreis (Oberösterreich) aufgenommen.<br />
Constanze Hochwartner spielt auf einer<br />
„Viscount Prestige 105 Orgel“, Peter<br />
Steiner exklusiv auf THEIN-Instrumenten<br />
aus Bremen. Der Tonträger ist im einschlägigen<br />
Fachhandel und auf den Streaming-<br />
Plattformen erhältlich.<br />
Stephan Niederegger<br />
„Die Zwangspause war zwar ganz gut,<br />
aber es kitzelt schon in den Fingern,<br />
endlich wieder um die Welt zu touren.“<br />
Constanze Hochwartner<br />
CLARINET a due<br />
Leichte Spielstücke aus Barock, Klassik und Romantik,<br />
bearbeitet von Gottfried Veit<br />
Gottfried Veit hat 14 Stücke für zwei Klarinetten<br />
aus Barock, Klassik und Romantik<br />
zusammengestellt und bearbeitet. Neben<br />
kleinen Kompositionen der Barock-Meister<br />
Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich<br />
Händel sind auch die drei Wiener Klassiker<br />
Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus<br />
Mozart und Ludwig van Beethoven vertreten.<br />
Mit Franz Schubert und Robert Schumann<br />
kommen auch zwei wichtige Komponisten<br />
des 19. Jahrhunderts „zu Wort“.<br />
Der Großteil der ausgewählten Stücke ist<br />
geprägt von einem heiteren, tänzerischen,<br />
teils auch sehr schwungvollen Charakter,<br />
den die Klarinette durch ihre typische<br />
Klangfarbe noch unterstreicht. Einen Kontrast<br />
dazu bilden unter anderem die langsame,<br />
lyrische Sarabande aus der Violinsonate<br />
in e-Moll, op. 5/8, von Arcangelo<br />
Corelli und Beethovens Andantino, das ein<br />
Thema aus der Opernarie „Nel cor più non<br />
mi sento“ von Giovanni Paisiello aufgreift.<br />
Kontrapunktisch geführt und somit auch<br />
für die zweite Klarinette sehr interessant<br />
sind die Fuge P.144 von Johann Pachelbel<br />
oder Händels Arie HWV 471.<br />
Veit schöpft aus seiner jahrzehntelangen<br />
Erfahrung als Klarinettenlehrer und aus seinem<br />
reichen Wissen der Musikgeschichte.<br />
Daher sind die Arrangements ideal für den<br />
Unterricht in der oberen Mittelstufe angelegt.<br />
Zusätzlich zu einigen spielerischen<br />
Herausforderungen, wie z.B. Registerwechsel<br />
und lange Phrasen, können die<br />
Schüler*innen das Zusammenspiel lernen<br />
und begegnen dabei ganz nebenbei<br />
wichtigen Komponistenpersönlichkeiten<br />
der Musikgeschichte. Alle Stücke<br />
eignen sich nicht nur für den Unterricht<br />
im Übezimmer, sondern auch für einen<br />
Vortragsabend oder einem anderen festlichen<br />
Anlass.<br />
Stephan Niederegger<br />
„Clarinet a due“<br />
ist im Musikverlag<br />
HELBLING,<br />
Kaplanstraße 9,<br />
6063 Rum/Innsbruck<br />
(office@<br />
helbling.com)<br />
erschienen.<br />
KulturFenster<br />
25 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
gehört & gesehen<br />
Der Vogelgesang in der Musik<br />
Auf der Spur der faszinierenden Stimmen der Natur<br />
Einen festen Platz hat der Vogelgesang vor<br />
allem in Märchen, Sagen und Mythen. Singende<br />
oder sogar sprechende Vögel (Papageien)<br />
werden von den Menschen weltweit<br />
bewundert.<br />
Jede der etwa 4000 Vogelarten hat ihren<br />
ganz individuellen Gesang. Man spricht<br />
beispielsweise vom Kuckucksruf, vom<br />
Lerchenjubel, vom Wachtelschlag, vom<br />
Nachtigallentriller, vom Kanarienroller u.<br />
s. w. Sogar der britische Naturforscher<br />
Charles Darwin (1809-1882) vertrat die<br />
Meinung, dass die Musik mehr oder weniger<br />
aus der Nachahmung von „Vogelstimmen“<br />
entstanden sei.<br />
Dass dieser Gesang in der Musik in fast<br />
allen Epochen nachgeahmt wurde, ist eine<br />
Tatsache. Am öftesten wird wohl der „Kuckucksruf“,<br />
also die kleine Terz von oben<br />
nach unten imitiert worden sein ( sie so<br />
genannte "Ruf-Terz"). Unzählige Kinderlieder<br />
wie beispielsweise „Kuckuck, Kuckuck<br />
ruft´s aus den Wald“ oder „Der Kuckuck,<br />
der mich neckt“ bestätigen diese<br />
These. Kunstvollere Gesänge anderer Vögel<br />
werden vor allem mit Block-, Queroder<br />
Pikkoloflöte durch diverse Verzierungen<br />
wie Triller oder Tonrepetitionen<br />
meist in der Diskantlage nachgeahmt.<br />
Instrumente für den<br />
Vogelgesang<br />
Die Pfeifenorgel besitzt bereits seit dem<br />
16. Jahrhundert ein ganz besonderes<br />
Register, das mit „Vogelgesang“, „Nachtigallenzug“<br />
oder „Rossignol“ bezeichnet<br />
wird. Dabei ragen zwei<br />
oder drei kleine offene Pfeifen<br />
nach unten in einen<br />
Wasserbehälter.<br />
Durch den<br />
Winddruck<br />
bewegt sich das die Pfeife abschließende<br />
Wasser, sodass die Pfeifenlänge<br />
dauernd wechselt und ein zwitschernder<br />
Ton entsteht. Es gibt aber auch Hilfsregister,<br />
die anhand von gedeckten Holzpfeifen<br />
den Kuckucksruf imitieren.<br />
Die Vogelpfeife existiert zudem auch als<br />
Musikinstrument, die im Orchester meist<br />
von den Perkussionisten gespielt wird. Zur<br />
Nachahmung des Kuckucksrufs diente früher<br />
eine etwas primitive Pfeife mit einem<br />
die kleine Terz - nach unten - ergebenden<br />
Griffloch. Heute werden dazu nicht selten<br />
ausgereifte Klangwerkzeuge eingesetzt.<br />
Um verschiedene Vogelstimmen zu imitieren,<br />
bedient man sich gegenwärtig diverser<br />
Trillerpfeifen, die mit Wasser gefüllt<br />
werden. Durch das gurgelnde Wasser<br />
lässt sich das Vogelgezwitscher relativ gut<br />
nachahmen.<br />
Drei besondere Singvögel<br />
Eine besonders<br />
hohe<br />
Musikalität<br />
wird der<br />
Amsel zugeschrieben.<br />
Unter den unzähligen Singvögeln fallen<br />
in unseren Breitengraden vor allem drei<br />
besonders auf: Der Kuckuck, die Nachtigall<br />
und die Amsel.<br />
Der Kuckuck ist ein unruhiger, scheuer<br />
und einsam lebender Waldvogel, dessen<br />
markanten Ruf man von Ende April bis<br />
Juni vernehmen kann. Er ist zudem ein<br />
Zugvogel und legt seine Eier in fremde<br />
Nester. Seinen charakteristischen Ruf,<br />
den „Kuckucksruf“ (meist: e´´ - cis´´), verwenden<br />
auch Kleinkinder, wenn sie z. B.<br />
„Mama“ oder „Papa“ rufen. Interessanterweise<br />
wird<br />
im allgemeinen<br />
Sprachgebrauch der Plural<br />
„Kuckucke“ oder „Kuckucks“ kaum verwendet:<br />
vielleicht liegt dies daran, dass der<br />
Kuckuck sofort aufhört zu rufen, wenn er<br />
einen anderen Kuckucksruf hört.<br />
Unter den Singvögeln übertrifft die Nachtigall<br />
(„Nachtsängerin“) – nach traditioneller<br />
Vorstellung – durch ihren fl ötenden, fast<br />
schluchzenden Gesang, nahezu alle anderen<br />
Vögel. Dies unterstreicht z. B. auch<br />
das Tiroler Volkslied „O du schiane, siaße<br />
Nåchtigåll“. Den wunderbaren Gesang<br />
der Nachtigall bekommt man im April/<br />
Mai sehr spät abends zu hören. Nicht<br />
von ungefähr sagt man zu ausgesprochen<br />
begabten Sopranistinnen, sie singen<br />
„wie eine Nachtigall!“<br />
Neuere Forschungen haben ergeben, dass<br />
die Amsel (Kohlamsel oder Schwarzdrossel),<br />
was die Singkunst betrifft, der Nachtigall<br />
in nichts nachsteht, ja diese sogar um<br />
Einiges übertrifft. Während die Nachtigall<br />
immer nur dieselben Motive wiederholt,<br />
variiert die Amsel beständig ihre unvergleichlichen<br />
Tonfolgen. Apropos: Die „Variation“<br />
zählt zu den wichtigsten Kompositionsprinzipien.<br />
Die Dämmerung, sowohl<br />
morgens und noch mehr abends von März<br />
bis Juli, ist jene Zeit, in der Amseln besonders<br />
oft zu hören sind. Die Amsel ist<br />
eindeutig singfreudiger als die Nachtigall,<br />
da diese nur kurzzeitig in der Nacht singt.<br />
Der Gesang der Amsel gilt als der melodisch<br />
komplexeste und hochwertigste der<br />
europäischen Singvögel. Sein Tonumfang<br />
und sein Melodienreichtum sind besonders<br />
ausgeprägt und ähneln dem menschlichen<br />
Verständnis von Musik. Aus dem<br />
vielfältigen Gesang dieses Vogels ist ein<br />
Dreiton-Motiv unschwer herauszuhören:<br />
diese Tonfolge entspricht übrigens dem<br />
Kopfmotiv des mündlich überlieferten Kanons<br />
„Dona nobis pacem“. In der zweiten<br />
Strophe des bekannten Volksliedes „Alle<br />
Vögel sind schon da“ steht im Text von<br />
Hoffnann von Fallersleben bei der Aufzählung<br />
die Amsel an erster Stelle („Amsel,<br />
Drossel“, Fink und Star“), was die<br />
Wichtigkeit dieser Vogelart unterstreicht.<br />
Übrigens: Fast alle Vögel singen in „Dur“,<br />
was als Ausdruck von Freude und Optimismus<br />
gedeutet werden kann.<br />
KulturFenster<br />
26 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong><br />
26
Blasmusik<br />
Der Vogelgesang in der<br />
klassischen Musik<br />
Die Nachtigall ist durch ihren Gesang<br />
zum Mythos geworden. Der französische<br />
Komponist François Couperin (1668 – 1733)<br />
hat mit seinem Werk „Le Rossignol“ der Nachtigall<br />
ein musikalisches Denkmal gesetzt.<br />
Der Ruf des Kuckucks ist dank seiner prägnanten<br />
Gestalt in musikalischem Zusammenhang<br />
sehr oft verwendet worden. Bereits<br />
im 13. Jahrhundert begegnen wir<br />
ihm im englischen Sommerkanon „Sumer<br />
is icumen“ bei den Worten „sing cucu“.<br />
Aus dem 15. Jahrhundert stammt hingegen<br />
das Mai-Lied „Der mai mit lieber zal“<br />
des Südtiroler Minnesängers Oswald von<br />
Wolkenstein, das ebenfalls Kuckucksrufe<br />
beinhaltet. Barocke „Kuckucks-Capricci“<br />
schrieb nicht nur der deutsche Tonsetzer<br />
Johann Caspar Kerll, sondern auch der italienische<br />
Komponist Alessandro Poglietti.<br />
Nahezu zur selben Zeit entstanden auch<br />
„Die Jahreszeiten“ („La primavera“ und<br />
„L´estate“) op. 8 von Antonio Vivaldi, in denen<br />
ebenfalls Vogelstimmen vorkommen.<br />
Bereits im Titel des Streichquartetts op.<br />
11/6 aus dem Jahre 1771 „L´ucccelliera“<br />
weist Luigi Bocchierini auf seine spezielle<br />
Absicht hin. Genauso mit einem eindeutigen<br />
Titel versah François Couperin eines<br />
seiner reich verzierten Stück für Clavecin,<br />
indem er es mit „Le Rossignol“ („Die<br />
Nachtigall“) überschrieb. In der Zeit der<br />
Wiener Klassik benannte Joseph Haydn<br />
nicht nur einige seiner Streichquartette,<br />
sondern auch einige seiner Sinfonien<br />
nach Vögeln. Ganz besonders eindrucksvoll<br />
setzte den Kuckucksruf Ludwig van<br />
Beethoven am Ende des langsamen Satzes<br />
seiner „Sinfonia pastorale“ ein: hier erklingt<br />
er sowohl in der 1.- als auch in der<br />
2. Klarinette und zwar in Verbindung mit<br />
anderen stilisierten Vogelrufen (namentlich:<br />
Goldhammer, Wachtel, Nachtigall).<br />
Der Kuckuck ist wohl<br />
der bekannteste Vertreter<br />
in der Musik.<br />
Heinz<br />
Tiessen<br />
integrierte in<br />
seinem Klavierquintett<br />
op. 43<br />
hingegen hauptsächlich<br />
Amselrufe.<br />
Eher parodistischen<br />
Charakter<br />
weist hingegen das<br />
Werk „Grande fantaisie<br />
zoologique“ (Le carnaval<br />
des animaux) von<br />
Camille Saint-Saëns auf.<br />
Richard Wagner mythologisierte<br />
sogar den<br />
Vogelgesang im Waldvogel<br />
seiner Oper „Siegfried“<br />
(WWV 86 C). Er<br />
lässt dabei sozusagen<br />
die Stimme der Natur<br />
Schicksal spielen. Der italienische<br />
Impressionist Ottorino<br />
Respighi setzte hingegen in seiner<br />
Sinfonischen Dichtung „Pini di Roma“,<br />
als Ergänzung zum großen Orchester, sogar<br />
Schallplatten mit Vogelstimmen ein.<br />
Er schrieb außerdem im Jahre 1927 noch<br />
eine Suite mit dem bezeichnenden Titel<br />
„Gli uccelli“ („Die Vögel“). Am stärksten<br />
vom Vogelgesang beeinflusst dürfte aber<br />
das kompositorische Schaffen von Olivier<br />
Messiaen sein. Dieser französische Komponist<br />
zeichnete auf seinen ausgedehnten<br />
Reisen Vogelrufe auf und verwendete diese<br />
nicht nur in seinen Klavier- und Orchesterwerken,<br />
sondern sogar auch in seiner Oper<br />
„Saint François d´Assise“.<br />
Interessanterweise räumen hingegen die<br />
Tonschöpfer der sogenannten „Musique<br />
concrète“, bis hin zu dem US-amerikanischen<br />
Komponisten John Cage, den Vogelrufen<br />
keinen besonderen Vorrang im<br />
Rahmen ihrer Werke ein. Dies tut aber<br />
der allgemeinen Faszination der Vogelstimmen<br />
nicht den geringsten Abbruch.<br />
Gottfried Veit<br />
VSM-Ehrenkapellmeister<br />
KulturFenster<br />
27 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
komponiert<br />
In der Musik „dahoam“<br />
Tobias Psaier ist vielseitiger Musiker, Komponist und Kapellmeister.<br />
„Komponieren ist schon eine Sache für sich.“<br />
Oftmals brauche ich für ein Stück ein paar<br />
Tage, oft mehrere Wochen oder gar Monate.<br />
Selten ist es so, dass eine Idee sofort funktioniert.<br />
Das Tenorhornsolo „Dahoam“ hat<br />
sich aber innerhalb weniger Stunden beinahe<br />
wie von selbst komponiert.<br />
Eigene Stücke schreibe ich schon seit<br />
über zehn Jahren, anfangs vorwiegend<br />
für Klavier. Durch die Erfahrung mit der<br />
Blasmusik und die Gründung eigener<br />
Gruppen entstand für mich die Möglichkeit,<br />
Werke zu arrangieren und schließlich<br />
auch zu komponieren.<br />
Den Großteil meiner Kompositionen habe<br />
ich für die Blechbläser-Formation „Sunnseit<br />
Brass“ geschrieben, bei der ich am<br />
Schlagzeug sitze.<br />
Die Pandemie als<br />
Namensgeberin<br />
Am Tag vor Beginn der Aufnahme unseres<br />
Debüt-Albums „Magari“ im Februar 2020<br />
waren wir der Meinung, dass noch ein ruhiges<br />
Solo dazugehöre. Also setzte ich mich<br />
ans Klavier und improvisierte vor mich hin,<br />
bis diese eine Melodie hängen blieb.<br />
Diese recht eingängige, ungezwungene Melodie<br />
zieht sich durch das gesamte Stück,<br />
entwickelt sich weiter und wird auch im Dialog<br />
zum hohen Blech aufgegriffen.<br />
Einen Namen hatte ich für das Stück nicht,<br />
auch nicht eine Weile nach der Aufnahme.<br />
Allgemein ist das Finden eines passenden<br />
Titels für mich eine der größten Herausforderungen<br />
beim Komponieren. Bis wir<br />
dann aufgrund der Pandemie plötzlich alle<br />
gezwungen waren, „dahoam“ zu bleiben.<br />
Die meisten Kompositionen von Tobias Psaier<br />
entstehen am Piano.<br />
Die Melodie hat was Gemütliches, Heimeliges<br />
und ein gewisses „Alles-wird-gut-Gefühl“.<br />
So wurde „Dahoam“ zum Titel des<br />
Tenorhornsolos.<br />
In vielen Musikrichtungen<br />
zuhause<br />
Mittlerweile schreibe ich überwiegend für<br />
Blasorchester, da ich seit ein paar Jahren<br />
Zur Person<br />
Tobias Psaier, Jahrgang 1995, stammt aus Teis, Gemeinde Villnöß. Im Alter von 6 Jahren begann<br />
er eine klassische Klavierausbildung, die ihn recht bald zum Jazz- und Rockpiano brachte und vor<br />
allem zur Improvisation. Mit dem Klavier erreichte er erste Erfolge, so etwa einen 1. Preis mit Auszeichnung<br />
beim Wettbewerb „Prima la musica" 2004.<br />
Mit 10 erhielt er Unterricht auf seinem zweiten Instrument, dem Schlagzeug, mit welchem er seit<br />
2007 in seiner Heimatkapelle spielt. Etwa zur selben Zeit brachte er sich das Spielen auf der Gitarre<br />
und dem E-Bass bei und stand schon bald mit verschiedenen Formationen auf der Bühne.<br />
Mit „Sunnseit Brass" gab es bald erste internationale Erfolge, wie den Sieg beim „Copa-Kapella<br />
2017" in Frankfurt, worauf einige Auftritte in ganz Europa folgten.<br />
Die traditionelle Musik liegt ihm ebenso viel am Herzen wie Jazz, Rock und Populärmusik.<br />
So komponiert er neben Polkas, Märschen und Walzern auch modernere<br />
Stücke für verschiedenste Besetzungen.<br />
2017 begann er sein Studium für Instrumentation und Blasorchesterleitung am<br />
Konservatorium „Claudio Monteverdi" bei Prof. Walter Ratzek und Prof. Thomas<br />
Ludescher in Bozen. Seit 2018 ist er Kapellmeister der Musikkapelle Afers,<br />
seit 2020 leitet er auch die Musikkapelle Neustift.<br />
Tobias Psaier komponiert nicht nur für Blasorchester, er dirigiert auch die<br />
Musikkapellen Afers und Neustift.<br />
KulturFenster<br />
28 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong> <strong>2021</strong>
(Flg)<br />
mf<br />
Blasmusik<br />
auch als Kapellmeister tätig bin. Wenig später<br />
habe ich deshalb für „Dahoam“ auch<br />
ein Arrangement für Blasorchester angefertigt,<br />
dessen Aufführung aber gezwungenermaßen<br />
noch etwas auf sich warten<br />
lässt. So geht es aber neben einigen Auftragskompositionen<br />
auch meinem ersten<br />
größeren Konzertwerk „Convergence“,<br />
welches ich für meine Kompositions-Abschlussprüfung<br />
im Konservatorium Bozen<br />
geschrieben habe.<br />
Ich bin in vielen Musikrichtungen zuhause,<br />
bin für alles offen und komponiere<br />
mich durch verschiedenste Genres. Von<br />
Märschen, Polkas und Walzern über Kirchenmusik<br />
und zeitgenössische Werke,<br />
bis hin zu Jazz, Funk und Pop-Songs war<br />
schon alles dabei. Von Tanzlmusik bis Big-<br />
Band und darüber hinaus, so lange man<br />
Freude an der Musik hat, fühle ich mich<br />
wie „dahoam“.<br />
Partitur<br />
Tenorhorn<br />
(Solo)<br />
Flöte<br />
°<br />
¢ & bb ∑<br />
°<br />
1&bb b b<br />
2<br />
mf<br />
3<br />
Von seiner musikalischen Wurzeln her ist<br />
Tobias Psaier Schlagzeuger und mit verschiedenen<br />
Formationen unterwegs.<br />
q = 60 rit.<br />
4<br />
4<br />
Ó Œ œ<br />
Dahoam<br />
Solo für Tenorhorn<br />
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Tobias Psaier<br />
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Oboe<br />
Fagott<br />
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Mit der Gruppe „Sunnseit Brass“ ist Tobias<br />
Psaier beim berühmten „Woodstock<br />
der Blasmusik“ aufgetreten.<br />
Klarinette in B 1<br />
Klarinette in B<br />
Bassklarinette in B<br />
Altsaxophon<br />
Tenorsaxophon<br />
Baritonsaxophon<br />
Trompete in B 1<br />
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3<br />
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q = 60 rit.<br />
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∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑<br />
Trompete in B<br />
2<br />
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3<br />
4<br />
∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑<br />
Flügelhorn<br />
1<br />
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2<br />
4<br />
∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑ ∑<br />
2<br />
Solo<br />
Fl. 1<br />
2<br />
9<br />
Ob.<br />
Fg.<br />
Kl. 1<br />
Kl. 2<br />
3<br />
Bkl.<br />
9<br />
A. Sax. 1<br />
2<br />
T. Sax. 1<br />
2<br />
Barsax.<br />
Trp. 1<br />
Trp. 2<br />
3<br />
A tempo<br />
Flhn. 1<br />
2<br />
Hn. 1<br />
2<br />
Hn. 3<br />
4<br />
p<br />
Pos. 1<br />
Pos. 2<br />
3<br />
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Bar.<br />
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p<br />
9<br />
Tba.<br />
Kb.<br />
Pk.<br />
Perc. 1<br />
p p<br />
Perc. 2<br />
Vibr.<br />
°<br />
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∑ ∑ ∑<br />
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œ œ ‰ œ ˙ œ œ ‰ œ ˙ œ œ œ œ ˙ œ ˙<br />
¢ & bb<br />
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˙ œ œ œ j ˙ w ˙ œ œ b˙<br />
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°<br />
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Œ ‰ œ ˙ ∑ ∑ ∑<br />
J Œ Ó œ ˙<br />
‰ J Œ Ó Ó<br />
‰ œ ˙ œ ˙<br />
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Horn in F<br />
Posaune 1<br />
Posaune<br />
Bariton<br />
Tuba<br />
Kontrabass<br />
Pauken<br />
Percussion 1<br />
Percussion 2<br />
Percussion 3<br />
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© Tobias Psaier 2020<br />
Ausschnitte aus der Partitur zu „Dahoam“<br />
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KulturFenster<br />
29 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
kurz notiert<br />
kurz notiert –<br />
das neue „Musikpanorama“<br />
… für Nachrichten aus den Musikkapellen<br />
Nachdem durch diverse Lockerungen<br />
nun wieder Proben, Auftritte und Veranstaltungen<br />
von Musikkapellen „erlaubt“<br />
sind, laden wir auch wieder ein,<br />
uns Berichte davon zukommen zu lassen.<br />
Im Zuge der Neugestaltung des<br />
„KulturFensters“ ist die ehemalige Rubrik<br />
„Musikpanorama“ in „kurz notiert“<br />
unbenannt worden; sie soll aber weiterhin<br />
als Plattform für die Berichterstattung<br />
aus den Musikkapellen und damit<br />
zu einem regen Erfahrungsaustausch<br />
genutzt werden.<br />
Damit aber alle Artikel Platz fi nden können,<br />
ist es notwendig, dass die jeweiligen<br />
Texte nicht mehr als 1.500 Zeichen<br />
(inkl. Leerzeichen) umfassen. Die<br />
in dieser Ausgabe veröffentlichten Beiträge<br />
der Musikkapellen Algund, Klausen<br />
und Niederdorf bewegen sich beispielsweise<br />
„im Rahmen“ und können<br />
somit als Muster dienen. Ein aussagekräftiges<br />
und vor allem drucktaugliches<br />
Foto - in entsprechend guter Auflösung<br />
und mit Bildtext - ist ebenfalls immer sehr<br />
willkommen. Bitte auch immer den Redaktionsschluss<br />
beachten!<br />
Wir freuen uns auf viele „kurz notierte“<br />
Meldungen!<br />
Die Redaktion<br />
170 Jahre Musikkapelle Niederdorf<br />
Sonderausstellung „Faszination Blasmusik“<br />
Vom 4. Juli bis zum 30. Oktober wird im<br />
„Haus Wassermann“ in Niederdorf, dem<br />
Fremdenverkehrsmuseum Hochpustertal,<br />
in der Sonderausstellung „Faszination<br />
Blasmusik“ in Wort und Bild die mittlerweile<br />
170-jährige Geschichte der örtlichen Musikkapelle<br />
erzählt – von der Gründung 1850<br />
bis heute. Die Ausstellung ist jeweils dienstags<br />
und freitags von 16 bis 18 Uhr geöffnet.<br />
Den Besucher erwartet ein chronologischer<br />
Streifzug durch die abwechslungsreiche<br />
und spannende Vereinsgeschichte, dazu<br />
Bilder und kurze Anekdoten von besonderen<br />
Höhepunkten, Ausflügen und spontanen<br />
Erlebnissen der Musikantinnen<br />
und Musikanten, Wissenswertes über die<br />
Tracht sowie besondere „Hingucker“ aus<br />
dem reichhaltigen Fundus der Kapelle. Zu<br />
den wertvollsten Ausstellungstücken zählen<br />
wohl die Originalpartitur des bekannten<br />
Marsches „Gruß aus den Dolomiten“ von<br />
Josef Hochkofler und des „Jubiläumsmarsches“<br />
von Josef Walder – zwei der bedeutendsten<br />
Familiennamen, die die musikalische<br />
Geschichte jahrzehntelang geprägt<br />
haben. Am 1. <strong>August</strong> um 11 Uhr und am<br />
17. <strong>August</strong> um 21 Uhr werden zudem<br />
musikalische Improvisationen präsentiert.<br />
Stephan Niederegger<br />
Ehrenkapellmeister Sepp Walder dirigierte die Kapelle mit kurzer Unterbrechung von<br />
1970 bis 1998 und war einer der Ehrengäste bei der Eröffnung der Sonderausstellung.<br />
KulturFenster<br />
30 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Blasmusik<br />
Mit frischem Elan und neuem Vorstand<br />
Die Bürgerkapelle Klausen spielt wieder!<br />
Nach den erzwungenermaßen ruhigen Monaten<br />
war die Freude bei den Musikantinnen<br />
und Musikanten der Bürgerkapelle<br />
Klausen groß, als die Probentätigkeit wieder<br />
aufgenommen werden konnte.<br />
Als Startschuss diente die Jahreshauptversammlung,<br />
deren wichtigster Tagesordnungspunkt<br />
die Neuwahl des Ausschusses<br />
war. Stephan Plunger, der die Bürgerkapelle<br />
Klausen 15 Jahre lang als Obmann<br />
erfolgreich geleitet und großartige Projekte<br />
initiiert hatte, stellte sich nicht mehr zur<br />
Wahl. Als neuer Obmann wurde Alexander<br />
Gfader gewählt. Unterstützung erhält er<br />
durch den neuen Vorstand, in dem Markus<br />
Plieger (Vize-Obmann), Renate Brunner,<br />
Anna Felderer, Christian Gfader, Heinz<br />
Gfader, Sepp Gfader, Stefan Lanziner, Silvia<br />
Prader, Theo Rabanser und Peter Stoffner<br />
angehören. Der neugewählte Obmann bedankte<br />
sich für das Vertrauen, den neuen<br />
Vorstandmitgliedern für ihre Bereitschaft<br />
zur Mitarbeit und richtete seinen großen<br />
Dank an das Arbeitsteam der Jugendkappelle,<br />
das sich unter der Leitung von Silvia<br />
Prader, Fabian Gottardi, Christian Gfader<br />
und Jasmin Gfader tatkräftig um den musikalischen<br />
Nachwuchs kümmert.<br />
Nach diesem erfolgversprechenden Auftakt<br />
blickt die Bürgerkapelle Klausen zuversichtlich<br />
in die Zukunft und freut sich,<br />
wieder die Instrumente unter der Leitung<br />
des Kapellmeisters Paul Bramböck vor<br />
dem lang vermissten Publikum erklingen<br />
lassen dürfen.<br />
BK Klausen<br />
Jahreshauptversammlung der<br />
BK Klausen: (v. rechts) Bürgermeister<br />
Peter Gasser und<br />
der neue Obmann der Bürgerkapelle,<br />
Alexander Gfader, bedankten<br />
sich beim scheidenden<br />
Obmann Stephan Plunger für<br />
dessen großen Einsatz im kulturellen<br />
Leben der Stadt.<br />
Neustart mit Führungswechsel<br />
Bernhard Christanell übernimmt das Amt des Obmannes von Andreas Theiner<br />
Neuneinhalb Jahre lang stand Andreas<br />
Theiner der Algunder Musikkapelle als<br />
Obmann vor, bei der Vollversammlung der<br />
Algunder Musikkapelle am 17. Juni im Algunder<br />
Thalguterhaus trat er als solcher<br />
ab. Theiner hatte bereits vor drei Jahren<br />
angekündigt, sein Amt am Ende der Amtsperiode<br />
zurücklegen zu wollen. Mit der Corona-Pandemie<br />
und ihren Folgen für den<br />
Verein hatte er zum Abschluss noch eine<br />
ganz besondere Herausforderung zu meistern.<br />
Sein Nachfolger als Obmann der „Algunder“,<br />
Bernhard Christanell, ist seit über<br />
18 Jahren Vorstandsmitglied. Die meiste<br />
Zeit war er für das Notenarchiv und die<br />
Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zuständig,<br />
außerdem leitet Christanell seit drei<br />
Jahren die Algunder Jugendkapelle und<br />
ist seit über zehn Jahren als Privatlehrer<br />
für das Instrument Querflöte tätig.<br />
Auch im Vorstand der Musikkapelle gibt es<br />
einige neue Gesichter. Neben dem Altobmann<br />
Andreas Theiner stellten sich auch<br />
die Vorstandsmitglieder Philipp Gamper<br />
und Markus Klotz nicht mehr der Wahl.<br />
Weiterhin im Vorstand mitarbeiten werden<br />
in den kommenden drei Jahren Simon<br />
Brunner, Gregor Moser, Hannes Schmider,<br />
Hannes Schrötter und Alexander<br />
Klotz. Neu in den Vorstand gewählt wurden<br />
Stefan Holzner, Magdalena Prantl,<br />
Wolfgang Schrötter, Markus Hirber und<br />
Christoph Winterholer.<br />
Bernhard Christanell<br />
Der (fast komplette) neue Vorstand der Algunder Musikkapelle: (vorne v. l.) Simon Brunner,<br />
Christoph Winterholer, Obmann Bernhard Christanell, Stefan Holzner, Magdalena Prantl;<br />
(hinten v. l.) Kapellmeister Christian Laimer, Wolfgang Schrötter, Alexander Klotz, Hannes<br />
Schmider, Markus Hirber, Gregor Moser; es fehlt: Hannes Schrötter<br />
KulturFenster<br />
31 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Der Gfrarhof in Aschl:<br />
Hier sieht man noch eines von vier verbliebenen Strohdächern<br />
in der Gemeinde Vöran.<br />
Foto: Dominik Kienzl<br />
KulturFenster<br />
32 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
gedeckt<br />
Rettet die Strohdächer!<br />
Ein Stück bäuerlicher Architektur droht, verloren zu gehen –<br />
Neuer Vorstoß geplant<br />
„Sie sterben langsam, aber sicher aus.“ Dieser<br />
Satz über Südtirols Strohdächer stand<br />
1955 im „Reimmichls Volkskalender“. Vielleicht<br />
hatte der Autor Recht, aber 65 Jahre<br />
später gibt es sie noch. Es sind allerdings<br />
nur noch etwa zehn an der Zahl, vier davon<br />
stehen in Vöran. Dort startet nun eine Initiative<br />
zur Rettung der Strohdächer.<br />
Im vergangenen Jahrhundert prägten Strohdächer<br />
die Kulturlandschaft vor allem am<br />
Tschögglberg, am Ritten und im Schlerngebiet.<br />
Aber auch im Passeier-, im Eisacktal<br />
und im Pustertal waren sie zu finden. Allein<br />
am Ritten soll es laut dem ehemaligen<br />
Landeskonservator und nun pensionierten<br />
Helmut Stampfer 1943 noch 140 mit Stroh<br />
bedeckte sogenannte Futterhäuser gegeben<br />
haben – das waren Stall, Tenne und<br />
Stadel. Diese Gebäude waren es nämlich,<br />
die in der Regel mit dem früher reichlich<br />
vorhandenen Stroh aus dem Getreideanbau<br />
gedeckt wurden, weil sie luftdurchlässig<br />
und gleichzeitig wasserdicht waren<br />
und dadurch dem Futter und den Tieren<br />
beste Bedingungen boten.<br />
Nur Herbstroggen eignet sich zum Dachdecken. Er muss gut gereift und getrocknet sein,<br />
wird zu Schab (Strohbündeln) gebunden und in Streifen aufs Dach gelegt. Foto: HPV<br />
Es waren einmal über 60 …<br />
Doch der Fortschritt machte auch am<br />
Bauernhof nicht Halt. In den 1950er-Jahren<br />
stand im „Reimmichls Volkskalender“<br />
neben eingangs erwähntem Satz folgende<br />
kritische Bemerkung: „Die Bauern<br />
wissen freilich kaum, was sie tun, wenn<br />
sie ein leuchtend rotes Ziegeldach an die<br />
Stelle der altersgrauen und oft schon etwas<br />
krummen und gebeugten Strohhaube<br />
„<br />
Allein am Ritten zählte man 1943<br />
noch 140 mit Stroh bedeckte sogenannte<br />
Futterhäuser – das waren<br />
„<br />
Stall, Tenne und Stadel.<br />
Helmuth Stampfer<br />
setzen …“. Es mag etwas gewagt gewesen<br />
sein, den Bauern Unwissenheit oder gar<br />
Unverständnis vorzuwerfen, weil sie den<br />
einfacheren Weg gingen. Tatsache ist aber,<br />
dass die Zahl der Strohdächer im Lauf der<br />
Jahrzehnte laufend gesunken ist und dass<br />
auch die Beiträge für Landschaftspflege das<br />
einst befürchtete „langsame Aussterben“<br />
nicht zu stoppen imstande sind.<br />
So machte der Heimatpfl eger und Autor<br />
Richard Furggler Anfang der 1970er-Jahre<br />
allein auf dem Tschögglberg noch 64 Strohdächer<br />
aus, 20 Jahre später waren es laut<br />
einem Bericht des „Dolomiten-Magazins“<br />
in ganz Südtirol nur mehr etwa 20. Dazwischen<br />
lag eine Zeit des Ringens um die<br />
„wertvolle Dachlandschaft“, wie sie vom<br />
Rittner Hans Rottensteiner damals bezeichnet<br />
wurde. Rottensteiner war gewissermaßen<br />
ein Pionier im Kampf um die verbliebenen<br />
Strohdächer, konnte die negative<br />
Entwicklung aber trotz einiger Erfolge nicht<br />
aufhalten. Ebenso wenig konnten es die vielen<br />
Initiativen und Bemühungen des Heimatpflegeverbandes,<br />
der sich dem Thema<br />
schon seit den 1960er-Jahren widmet.<br />
… und sind noch höchstens<br />
zehn<br />
Und wie ist es heute um die Strohdächer<br />
bestellt? „Im ganzen Land dürften davon<br />
kaum mehr als zehn übriggeblieben sein“,<br />
beklagt Josef Oberhofer, der langjährige Geschäftsführer<br />
des Heimatpflegeverbandes,<br />
dem die Strohdächer stets ein besonderes<br />
Anliegen waren. Vier dieser wenigen „stummen<br />
Zeitzeugen“ stehen in der Gemeinde<br />
Vöran. Im Lauf von 50 Jahren sind also allein<br />
auf dem Tschögglberg 60 Strohdächer<br />
verschwunden – trotz Schutzmaßnahmen<br />
KulturFenster<br />
33 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
gedeckt<br />
Durchschnittlich 30 Jahre hält ein Strohdach. Nahezu jedes Jahr ist ein Streifen des Daches neu einzudecken.<br />
Foto: HPV<br />
und Beiträgen. Die Gründe dafür mögen<br />
vielfältig sein. In einem interessanten Beitrag<br />
von Ulrike Vent und Helga Innerhofer<br />
in der Vöraner Gemeindezeitung „Furggl“<br />
vom Oktober 2020 heißt es dazu:<br />
„Derzeit fehlt es an Förderungen und entsprechenden<br />
Initiativen. Die aktuellen Beitragszahlungen<br />
belaufen sich auf 120 Euro<br />
pro Quadratmeter, bei einem Kostenpunkt,<br />
der das Vielfache davon beträgt. Fast jährlich<br />
ist mittels Streifen ein Teil des Daches<br />
neu einzudecken, sodass in 20 bis 30 Jahren<br />
(das ist die durchschnittliche Lebensdauer<br />
der Strohdächer) das gesamte Dach<br />
erneuert wird. Dies ist aufwändig und kostet<br />
entsprechend viel. Und natürlich sind die<br />
Strohstadel mit ihren Steildächern nicht in<br />
der Lage, den Raum- und Lagererfordernissen<br />
der modernen Landwirtschaft gerecht<br />
zu werden. Das Schwinden der Strohdächer<br />
lässt sich insgesamt auf mehrere Ursachen<br />
zurückführen. Neben fehlendem<br />
Willen und Bewusstsein seitens der Landesverwaltung<br />
für diese wichtigen Kulturdenkmäler<br />
sind es wohl großteils ,Mängel‘,<br />
die das Verschwinden verursachen: der<br />
Mangel an Arbeitskräften, die das Dachdecken<br />
mit Stroh erlernt haben, der Mangel<br />
an Rohmaterial, da kaum noch jemand<br />
Getreide anbaut, der Mangel an Platz, da<br />
das zu lagernde Stroh natürlich irgendwo<br />
sicher untergebracht werden muss (Feuergefahr<br />
der Dächer und hohe Versicherungskosten)<br />
…“<br />
Wie geht es weiter?<br />
Für viele ist das Strohdach, wie Josef Oberhofer<br />
es formuliert, „zur Belastung geworden“.<br />
Nur einige wenige Bauern hätten es<br />
aus wahrem Idealismus erhalten. Meist<br />
seien es die persönliche Verbundenheit<br />
und der berechtigte Stolz, Inhaber einer<br />
der letzten und archaischsten landschaftlichen<br />
Erscheinungen bäuerlicher Architektur<br />
in Südtirol zu sein. Diesen „Luxus“<br />
könne sich aber kaum ein Bergbauer leisten.<br />
Laut Josef Oberhofer kann aber hier<br />
auch das heimatpflegerische Argument nicht<br />
gelten, wonach Tradition zu bewahren ist,<br />
denn: „Tradition muss leben, bedarf einer<br />
realistischen Perspektive, um nicht ins verklärte<br />
Museale zu verfallen.“<br />
Genau auf diese realistische Perspektive<br />
baut nun eine Initiative in Vöran. Damit sollen<br />
jene vier Stadel mit Strohdach gerettet<br />
werden, die in ihrer Gemeinde am Tschögglberg<br />
noch verblieben sind (siehe Interview).<br />
Auch das Landesdenkmalamt hat die Zeichen<br />
der Zeit offenbar erkannt und möchte<br />
die Erhaltung der Strohdächer unterstützen,<br />
indem es den Anbau von Stroh forciert (siehe<br />
Kurzbericht auf S. 33).<br />
Edith Runer<br />
„<br />
Tradition muss leben, bedarf einer<br />
realistischen Perspektive, um nicht<br />
„<br />
ins verklärte Museale zu verfallen.<br />
Josef Oberhofer<br />
KulturFenster<br />
34 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Das Strohdach –<br />
(k)ein ewiges Werk<br />
Familie Lun vom Duregghof in Afing hält einen<br />
Paul Lun und seine Frau Christa Lanznaster<br />
geben sich viel Mühe, um das<br />
Strohdach auf dem Stadel des Duregghofes<br />
zu erhalten. Foto: Edith Runer<br />
natürlichen Kreislauf in Gang<br />
mit viel Liebe und vorbildlichem Einsatz<br />
ein wunderschönes Anwesen gemacht,<br />
wo sich nicht nur ihre drei Kinder – Selin<br />
(16), Julia (13) und Lukas (9) –, wohlfühlen,<br />
sondern auch Rinder, Truthähne, Bienen,<br />
Hund und Katz.<br />
Zwei Monate Einsatz im Jahr<br />
Das Strohdach auf dem Stadel neben dem<br />
Wohnhaus ist ein Blickfang. Es gibt dem<br />
ganzen Ensemble Halt, strahlt Natürlichkeit<br />
und Ursprünglichkeit aus, ist einfach<br />
schön anzusehen. Doch nur wer einmal<br />
hier oben war, der kann verstehen, wie viel<br />
Zeit, Geld und Opfer in diesem idyllisch anmutenden<br />
Ort stecken. Und nur wer mit<br />
Paul und Christa gesprochen hat, der kann<br />
auch ihre kritische Haltung nachvollziehen.<br />
Ein Strohdach ist keine einmalige Anschaffung,<br />
es ist ein Lebenswerk, das im Unterschied<br />
zu anderen traditionellen Dächern<br />
wie dem Schindeldach dauerhaften Einsatz<br />
braucht. Insgesamt rund zwei Monate im<br />
Jahr, sagt Paul, wende seine Familie allein<br />
für die Erhaltung des Daches auf. Jedes<br />
Jahr muss ein Teil neu eingedeckt werden,<br />
weil die Stroheindeckung durch Witterungseinflüsse<br />
immer dünner wird und<br />
dadurch droht, undicht zu werden. Zum<br />
Eindecken der sogenannten Jahresstreifen<br />
bedarf es hochwertigen Materials, es<br />
braucht viel Geduld, handwerkliches Geschick<br />
und nicht zuletzt gutes Wetter. Einige<br />
dieser Voraussetzungen kann der Mensch<br />
schaffen, für andere ist ausschließlich die<br />
Natur zuständig. Und dann sind da noch<br />
ein paar ungebetene Gäste, die die mühevolle<br />
Arbeit wieder zerstören können. Aber<br />
dazu später …<br />
Wie wird ein Strohdach gedeckt? Warum ist<br />
es so robust und doch kein ewiges Werk?<br />
Welche Voraussetzungen braucht es, um<br />
Strohdächer zu erhalten? Und warum sind<br />
finanzielle Beiträge unabdingbar? Einen guten<br />
Einblick in das Thema gewährt ein Besuch<br />
am Duregghof in Afing.<br />
Paul Lun ist ein Idealist und Realist gleichermaßen.<br />
Mit unbändiger Hingabe kümmern<br />
sich er und seine Frau Christa Lanznaster<br />
um die Erhaltung des Strohdaches auf dem<br />
hofeigenen Stadel. Mit ebensolcher Vehemenz<br />
erklärt der 42-jährige Bauer: „Wenn<br />
die wenigen Strohdächer, die es in Südtirol<br />
noch gibt, nicht ehrlich wertgeschätzt<br />
und deren Bestand unterstützt wird, wird<br />
es bald keine mehr geben.“<br />
Vor rund 15 Jahren hat sich das Ehepaar<br />
entschlossen, den wahrscheinlich 300<br />
Jahre alten Duregghof – er war im Besitz<br />
von Christas Familie – zu übernehmen. Zuvor<br />
war das Höfl, das sich auf etwa 1300<br />
Metern Meereshöhe abseits von Afing an<br />
einen steilen Abhang schmiegt und nur<br />
über eine nicht enden wollende schmale<br />
Straße zu erreichen ist, viele Jahre leer gestanden.<br />
Es war quasi dem Verfall preisgegeben,<br />
und auch das Strohdach des<br />
Stadels war nur noch ein Flickwerk aus<br />
verschiedensten Materialien gewesen.<br />
Paul und Christa haben aus ihrem Erbe<br />
Die größten<br />
Herausforderungen<br />
Zunächst ist es wichtig zu wissen, wo die<br />
Herausforderungen bei der Erhaltung eines<br />
Strohdaches liegen. Eine der größten ist mit<br />
Sicherheit das Material. Kaum irgendwo<br />
in Südtirol wird noch brauchbares Dachstroh<br />
von ausreichender Qualität produziert.<br />
Deshalb steht auf dem Grund des<br />
Duregghofes ein etwa 300 Quadratmeter<br />
großes Roggenfeld. „Herbstroggen,<br />
eine alte Sorte“, erklärt Paul. Dieser werfe<br />
zwar wenig Korn ab – etwa 70 bis 80 Kilogramm,<br />
aus denen Brot auf Vorrat gebacken<br />
wird. Aber die Halme dieser Sorte erreichen<br />
die ideale Eindeck-Länge von bis<br />
KulturFenster<br />
35 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
gedeckt<br />
Jedes Jahr kann nur ein Streifen des Strohdaches beim Duregghof neu gedeckt werden.<br />
Fotos: HPV<br />
Auch die Kinder helfen mit: Hier vor ein<br />
paar Jahren im Roggenfeld des Duregghofes.<br />
zu 1,5 Metern, sofern sie nicht von Hagel<br />
und Sturm geknickt werden, was hin und<br />
wieder vorkommt.<br />
Im Hochsommer ist das Korn dann reif,<br />
die Halme werden geschnitten, zu „Hockern“<br />
geformt und etwa zwei Wochen<br />
lang auf dem Feld getrocknet. Danach<br />
wird das Stroh ausgeschlagen und das<br />
erhaltene Getreide im Stadel gelagert. Im<br />
Herbst, wenn die Kinder wieder zur Schule<br />
gehen, hat Christa dann vormittags Zeit,<br />
um in Handarbeit das Stroh zu unzähligen<br />
dünne Bündeln zusammenzubinden.<br />
Nahe dem Bach hat Paul einige Weiden<br />
gepflanzt, von denen er, sobald sie im<br />
Spätwinter oder Frühjahr „in den Saft gehen“,<br />
rund 80 Zentimeter lange Ruten abschneidet<br />
und spitzt. Das Stroh wird mit<br />
den Weiden an die Rundlatten gebunden,<br />
was viel Geschick erfordert. Zum Decken<br />
eines Streifens von einem halben Meter<br />
Breite braucht Paul etwa einen ganzen<br />
Tag. Die Kunst hat ihm einst ein Strohdachdecker<br />
beigebracht. Das Dach ist<br />
steil, viel steiler als herkömmliche Stadeldächer,<br />
damit der Regen gut abrinnen<br />
kann. Praktisch ist das Steildach nicht,<br />
denn den sonst üblichen Heukran zum<br />
Ablegen und Verteilen des Heus im Stadel<br />
„<br />
Wenn die wenigen Strohdächer, die<br />
es in Südtirol noch gibt, nicht ehrlich<br />
wertgeschätzt und deren Bestand<br />
unterstützt wird, wird es bald<br />
„<br />
keine mehr geben.<br />
Paul Lun<br />
kann Paul nicht verwenden. Alles muss<br />
in Handarbeit passieren – und durch die<br />
Mithilfe von Freunden, die dazu eigens<br />
auf den Hof kommen.<br />
Kleine Feinde und große<br />
Mühe<br />
Jährlich deckt Paul Lun mehrere Quadratmeter<br />
Dach neu ein. Allerdings gelingt das<br />
nur, wenn sich wirklich jedes Rädchen im<br />
Kreislauf perfekt dreht. Der Roggen ist nicht<br />
nur im Freien der Natur und ihren Unbilden<br />
ausgesetzt. Auch während der Lagerung<br />
im Winter ist er nie sicher vor „Feinden“.<br />
Im vergangenen schneereichen<br />
Winter waren es Mäuse, die im Stadel Unterschlupf<br />
und in den Strohbündeln reichlich<br />
Nahrung gefunden haben. Die Folge:<br />
Kaum ein Bündel war noch verwendbar.<br />
„Wir konnten den geplanten Streifen am<br />
Dach nicht ausbessern und mussten uns<br />
vorübergehend mit Kunststofffolien behelfen“,<br />
beschreibt Paul Lun das Dilemma.<br />
Auch Marder und Raben würden Teile des<br />
Daches immer wieder zerstören. Kurzum,<br />
es ist ein ständiger Wettlauf, den die Bauersleute<br />
auf sich nehmen und der immer<br />
wieder von neuem startet.<br />
Trotz aller Hürden in diesem Wettlauf sind<br />
Paul und Christa von ihrem Werk zu hundert<br />
Prozent überzeugt. „Strohdächer haben<br />
seit jeher unsere Landschaft geprägt“,<br />
sagt Paul Lun. „Sie sind etwas ganz Natürliches<br />
und ein Stück Tradition, die wir<br />
nicht einfach aussterben lassen sollten.<br />
Wo bleibt die Einzigartigkeit, das Landestypische,<br />
mit dem wir uns in Südtirol immer<br />
rühmen, wenn wir uns nicht bemühen, es<br />
zu pflegen und zu erhalten?“<br />
Wertschätzung als<br />
Motivation<br />
Mit Mühe allein ist es jedoch nicht getan.<br />
Davon ist Paul Lun überzeugt. Es brauche<br />
auch Motivation – durch die Wertschätzung<br />
und Unterstützung von Seiten der Gesellschaft,<br />
der Öffentlichkeit, der Politik und<br />
des Tourismus. Zwar wurde die Erhaltung<br />
der Strohdächer in den vergangenen Jahrzehnten<br />
mit Landesbeiträgen gefördert.<br />
Allerdings, so der Afinger Bauer, sei die<br />
Antragstellung oft ein Spießrutenlauf gewesen.<br />
120 Euro pro neu gedecktem Quadratmeter<br />
betrug die Fördersumme bislang<br />
– Brosamen, wenn man den Aufwand berechnet.<br />
Aber um die Summe geht es Paul<br />
gar nicht. „Eher um die mangelnde Kontinuität<br />
bei den Förderungen.“ Will heißen:<br />
Beiträge wurden mitunter gar nicht ausgezahlt,<br />
weil nicht genügend Geld im Fördertopf<br />
war. „Da fehlt es einfach an Verständnis“,<br />
meint Paul. Da sei es kein Wunder,<br />
dass immer mehr Eigentümer ihre Strohdächer<br />
verfallen lassen.<br />
Für ihn selber kommt das zwar nicht in<br />
Frage – „mein Stadel wird unabhängig von<br />
den Beiträgen sein Strohdach behalten“ –,<br />
aber nicht jeder Eigentümer könne die Kosten<br />
stemmen und die Zeit zur Verfügung<br />
stellen. Paul gelingt das nur mit langen Tagund<br />
Nachtschichten bei der Berufsfeuerwehr<br />
Bozen. Es ist seine Haupteinnahmequelle,<br />
die ihm zudem zeitlichen Freiraum<br />
für die Arbeit am Hof schafft. Die ganze Familie<br />
steht hinter ihrem Lebenswerk. Ihre<br />
Zielstrebigkeit und die Freude am Gestalten<br />
sind die wichtigste, aber hoffentlich<br />
nicht einzige Zukunftsperspektive für den<br />
Duregghof und seinen Stadel.<br />
Edith Runer<br />
KulturFenster<br />
36 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Ein Netzwerk schaffen<br />
Netzwerkarbeit: Markus Thaler (Firma GamperDach), Josef Oberhofer (HPV), Architektinnen Margit Weiss und Heidrun Schroffenegger<br />
(Amt für Bau- und Kunstdenkmäler), Ulrike Vent und Helga Pircher (Vöran)<br />
Es ist fünf vor zwölf. Aber es ist nicht zu<br />
spät. Für die wenigen noch erhaltenen<br />
Strohdächer im Land könnte es eine sichere<br />
Zukunft geben. Ein Projekt, das<br />
vom Amt für Bau- und Kunstdenkmäler<br />
angeregt wurde, könnte die Voraussetzungen<br />
für den Weiterbestand des traditionellen<br />
Kulturgutes schaffen. Angepeilt<br />
wird ein Netzwerk, in dem sämtliche Interessensgruppen<br />
zusammenarbeiten,<br />
von den Eigentümern der Dächer über<br />
die Anbieter von Material und Wissen<br />
bis hin zu den Interessenverbänden und<br />
den zuständigen Behörden.<br />
Für das Amt für Bau- und Kunstdenkmäler<br />
betreuen die Architektin Margit<br />
Weiss als Gebietsverantwortliche für<br />
das Wipp- und Eisacktal, Gröden und<br />
Schlerngebiet und die Kusnthistorikerin<br />
Heidrun Schroffenegger als Gebietsverantwortliche<br />
für Meran, Burggrafenamt,<br />
Tschögglberg, Ritten, Salten und Eggental<br />
die sechs noch bestehenden Strohdächer<br />
im Land, die unter Denkmalschutz stehen.<br />
„Für diese Gebäude gibt es zwar ausreichend<br />
fi nanzielle Förderungen“, sagt Architektin<br />
Weiss, „die Materialbeschaffung<br />
und das Decken der Dächer sind allerdings<br />
große Herausforderungen.“ Bei den Eigentümern<br />
jener Gebäude, die nicht unter<br />
Denkmalschutz stehen, komme die ständige<br />
Sorge um genügend Beiträge hinzu.<br />
Was also tun, um den für einen Fortbestand<br />
der Strohdächer erforderlichen Material-<br />
und den Wissenskreislauf in Gang<br />
zu setzen und auch die Finanzierung zu<br />
sichern? Margit Weiss hat festgestellt, dass<br />
es im Land sehr wohl landwirtschaftliche<br />
und handwerkliche Ressourcen gibt, jedoch<br />
keine zentrale Anlaufstelle, wo Angebot<br />
und Nachfrage zusammenfließen und<br />
wo Wissen auch weitergegeben wird. Da-<br />
her brauche es ein Netzwerk aus Getreideanbauern,<br />
Handwerkern, Eigentümern<br />
und Interessenvertretern sowie<br />
Verbänden und Behörden.<br />
Ein solches Netzwerk soll nun aufgebaut<br />
werden. Zu Sommerbeginn hat<br />
es ein erstes Treffen im Volkskundemuseum<br />
Dietenheim gegeben, zu dem<br />
auch der Heimatpflegeverband eingeladen<br />
war. Dabei wurde vereinbart, sich<br />
zunächst einen Überblick über die bereits<br />
vorhandenen Ressourcen zu verschaffen,<br />
um in einem weiteren Schritt<br />
notwendige Maßnahmen festzulegen.<br />
„Das Projekt steht noch am Anfang“,<br />
betont Margit Weiss. Es sei aber in jedem<br />
Fall wichtig, auch für die nicht<br />
denkmalgeschützten Strohdächer Lösungen<br />
zu finden und diese in das Projekt<br />
mit einzubeziehen.<br />
Edith Runer<br />
Aus der Redaktion<br />
Ihre Beiträge (Texte und Bilder) für die Heimatpflegeseiten<br />
senden Sie bitte an: florian@hpv.bz.it<br />
Für etwaige Vorschläge und Fragen erreichen Sie uns unter<br />
folgender Nummer: +39 0471 973 693 (Heimatpflegeverband)<br />
Redaktionsschluss für<br />
die nächste Ausgabe des<br />
„KulturFensters“ ist<br />
Freitag, 17. September <strong>2021</strong><br />
KulturFenster<br />
37 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
gedeckt<br />
Vöran startet Initiative<br />
Letzte Strohstadel sollen erhalten bleiben –<br />
Zusage für Landesförderungen<br />
Blickfang und nur noch seltenes Kulturgut: der Spitzegghof mit dem Strohstadel.<br />
Fotos: Dominik Kienzl<br />
In Vöran gibt es noch vier Stadel, die mit<br />
Stroh gedeckt sind. Diese einzigartigen<br />
Kulturgüter Südtirols nicht nur zu erhalten,<br />
sondern sie auch mit Leben zu füllen, ist<br />
das Ziel einer Initiative, die 2020 gestartet<br />
ist. Eine der Mitinitiator*innen ist die<br />
ehemalige Gemeindereferentin Ulli Vent.<br />
KulturFenster: Vöran hat eine Initiative zur<br />
Rettung der noch wenigen Strohdächer gestartet.<br />
Wie ist es dazu gekommen?<br />
Ulli Vent: Das Vorhaben „Rettung der<br />
Vöraner Strohdächer“ entstand aus einer<br />
Notwendigkeit heraus. Einer der vier verbliebenen<br />
Strohstadel in Vöran, jener am<br />
Tötnmoar-Hof, sollte abgerissen werden.<br />
Dagegen machte sich Widerstand breit,<br />
und so entstand eine Initiative mit dem<br />
Ziel, nach Lösungen zur Erhaltung eines<br />
der schönsten Kulturgüter Vörans zu suchen.<br />
Schließlich wurde der Abbruch des<br />
Stadels zwar gutgeheißen, aber unter der<br />
Voraussetzung, ihn im identischen Bestand,<br />
also auch mit Strohdach, wieder<br />
aufzubauen. Gleichzeitig soll nun – mit Unterstützung<br />
der Gemeinde und von Dritten<br />
– eine Arbeitsgruppe gebildet werden, die<br />
sich konkret um Finanzierungsmöglichkeiten<br />
kümmert, aber auch darum, den<br />
Wirtschaftskreislauf zu schaffen, der zur<br />
Erhaltung der Strohdächer notwendig ist.<br />
Tatsache ist, dass der zunehmende Verfall<br />
der Strohdächer mit den schwindenden<br />
Beiträgen einhergegangen ist.<br />
KF: Was beinhaltet dieser Wirtschaftskreislauf,<br />
wie soll das Projekt ablaufen?<br />
Vent: Es geht einerseits darum, Geld- und<br />
Fördermittel für die Erhaltung der Vöraner<br />
Strohstadel zu „sammeln“, andererseits<br />
darum, Menschen für dieses Thema<br />
zu sensibilisieren und zu motivieren, sich<br />
einzubringen. Wenn sich vor allem junge<br />
Leute wieder für den Anbau von Stroh<br />
oder für das Erlernen des Strohdachdeckens<br />
interessieren, wird es künftig einfacher<br />
sein, Strohstadel zu erhalten. Heute<br />
erhält man ja kaum noch das notwendige<br />
Stroh für das Strohdach. Und das Decken<br />
eines Strohdaches ist eine eigene Kunst.<br />
KF: Welche Voraussetzungen braucht es,<br />
um die Stadel mit Strohdächern nicht nur<br />
als museale Objekte zu erhalten, sondern<br />
ihnen auch Leben einzuhauchen?<br />
Vent: Natürlich wird es darauf ankommen,<br />
nicht nur genügend Förderungen<br />
und Förderer zu finden, sondern auch<br />
„<br />
Uns wurde zugesagt, dass die Förderansuchen<br />
wohl ab Jänner 2022<br />
wieder möglich sein würden und<br />
dass die Beiträge künftig über einen<br />
eigenen Fonds im Landesdenk-<br />
„<br />
malamt ausgezahlt werden sollen.<br />
Ulli Vent<br />
KulturFenster<br />
38 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Die kostspielige und zeitaufwändige Erhaltung eines Strohdaches<br />
bedarf finanzieller Unterstützung, aber auch Wertschätzung. Im<br />
Bild der Sunnegg-Hof in der Gemeinde Vöran.<br />
Der Tötnmoarhof in Vöran wird abgerissen, allerdings mit der Auflage,<br />
ihn im identischen Bestand, also auch mit Strohdach, wieder<br />
aufzubauen.<br />
darauf, wie groß das Interesse der Vöraner<br />
Bürger*innen selbst ist, sich an der<br />
Arbeitsgruppe und am Projekt zu beteiligen.<br />
Lebendige Strohstadel können nur<br />
bestehen bleiben, wenn Eigentümer bzw.<br />
Landwirte und Dritte – Strohanbauer, Strohdachdecker,<br />
Förderer – zusammenarbeiten<br />
und wenn die Gesellschaft den Wert<br />
der Strohdächer wieder erkennt. Ansonsten<br />
sieht es düster aus...<br />
KF: Wie bewerten Sie die Einstellung der<br />
Eigentümer der Strohdächer?<br />
Vent: Ganz unterschiedlich. Während<br />
manch einer den Strohstadel als wertvolles<br />
Gut erkennt und zur Unterbringung von<br />
kleinerem Vieh nutzt, da er daneben noch<br />
ein modernes Wirtschaftsgebäude hat, fehlt<br />
dieses beim anderen – das Strohdach hat<br />
also keinen konkreten Zweck mehr. Beim<br />
einen geht es vielleicht „nur“ um die Sorge,<br />
genug Stroh und Geldmittel für den Jahresstreifen<br />
aufzubringen, beim anderen<br />
steht der Abbruch bevor, weil Holzkonstrukt<br />
und Dach marode sind. Es muss<br />
deshalb auch auf die individuelle Situation<br />
geachtet werden. Oft sind die Eindeckung<br />
und der Erhalt des Strohstadels<br />
finanziell einfach nicht möglich. Und coronabedingt<br />
wurden die ohnehin schon geringen<br />
Landesförderungen ab <strong>2021</strong> komplett<br />
gestoppt.<br />
KF: Bei einem Treffen mit Landesrätin Maria<br />
Hochgruber Kuenzer Ende Juni wurde<br />
über mögliche Finanzierungen in der Zukunft<br />
gesprochen. Mit welchem Ergebnis<br />
ging das Treffen zu Ende?<br />
Vent: Beim Treffen mit der Landesrätin haben<br />
wir gemeinsam mit dem Heimatpflegeverband<br />
die Dringlichkeit der Problematik<br />
anhand von Zahlen und Daten belegen<br />
können. Uns wurde zugesagt, dass die Förderansuchen<br />
wohl ab Jänner 2022 wieder<br />
möglich sein würden und dass die Beiträge<br />
künftig über einen eigenen Fonds im Landesdenkmalamt<br />
ausgezahlt werden sollen.<br />
Deshalb nahm auch die Landeskonservatorin<br />
Karin Dalla Torre am Treffen teil.<br />
Das stimmt uns in Vöran nun positiv,<br />
und wir hoffen, dass diesen Worten<br />
auch Taten folgen. Es muss<br />
einem reichen Land wie Südtirol<br />
möglich sein, die wenigen noch<br />
„aktiven“ Strohstadel im Land<br />
zu erhalten und Fördermittel dafür<br />
aufzubringen.<br />
KF: Wie sehen die weiteren Schritte in<br />
Vöran aus?<br />
Vent: Über die Vöraner Dorfzeitung wird nun<br />
ein weiterer Aufruf erfolgen, um die Menschen<br />
für die Idee „Strohdach“ zu begeistern.<br />
In enger Zusammenarbeit mit Gemeinde<br />
und Eigentümern sollen dann die<br />
nächsten Schritte geplant werden. Kurzfristig<br />
gilt es vor allem, Fördermittel zu sammeln.<br />
Gesetzt wird auch auf die Unterstützung<br />
des Landes. Längerfristig soll dann<br />
der Kreislauf, wie oben dargelegt, geschaffen<br />
werden. Ein wichtiger Schritt wäre die<br />
erneute Teilnahme der Gemeinde Vöran<br />
am Leader-Projekt der kommenden Leader-Periode,<br />
um noch konkretere Maßnahmen<br />
planen und vor allem finanzieren zu<br />
können. Zudem wird sich Vöran an der Initiative<br />
des Landesdenkmalamtes (siehe eigenen<br />
Bericht, Anm. d. Red.) beteiligen.<br />
Interview: Edith Runer<br />
Ulrike Vent treibt gemeinsam mit anderen<br />
Mitstreiter*innen die Rettung<br />
der letzten Strohstadel in Vöran voran.<br />
Foto: Privat<br />
KulturFenster<br />
39 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
gedeckt<br />
Nur noch Museumsobjekte?<br />
Strohdächer werden ausgestellt und dadurch erhalten, aber …<br />
Einst abgetragene Strohdächer sind in verschiedenen<br />
Museen wieder aufgebaut worden.<br />
Das reicht aber nicht, um die Tradition<br />
fortzuführen.<br />
1968 wurde ein Strohstadel aus Vöran im<br />
Österreichischen Freilichtmuseum in Stübing<br />
bei Graz aufgebaut. In das Landesmuseum<br />
für Volkskunde in Dietenheim<br />
kam die 1984 abgetragene strohgedeckte<br />
Stallscheune vom Spatauf-<br />
Hof oberhalb von Sarnthein.<br />
Der bereits Ende der 1970er-<br />
Jahre translozierte Steildachstadel<br />
vom Ursch-Hof in Mölten<br />
fiel 1982 einem Brand<br />
zum Opfer. Als dieser 1978<br />
nach dem Aufbau im Museum<br />
vollkommen neu eingedeckt<br />
worden war, wurden<br />
dafür auf einem Acker<br />
in St. Lorenzen 150 Kilogramm<br />
Lungauer Roggen<br />
gesät. Das Tiroler Höfemuseum<br />
in Kramsach verfügt<br />
seit 1987 über den Reitererstadel<br />
aus Hafling, der bereits<br />
vor seiner Musealisierung im<br />
Landschaftsplan des Tschögglberges<br />
unter Schutz gestellt<br />
war. In Kramsach steht er<br />
neben dem Feuerhaus des<br />
Tierstaller-Hofes aus Pfalzen,<br />
zu dem ursprünglich auch<br />
ein Wirtschaftsgebäude mit<br />
Strohdach gehörte, das aber<br />
nicht ins Museum übertragen<br />
werden konnte. Als museal<br />
genutztes Gebäude in situ,<br />
das mit Stroh und Schindeln<br />
gedeckt ist, sei noch das Bienenmuseum<br />
am Plattnerhof<br />
am Ritten erwähnt.<br />
Die Schaubenstrohdächer<br />
aus Südtirol unterscheiden<br />
sich in ihrer Art des Eindeckens<br />
von den Strohdächern<br />
österreichischer Bundesländer.<br />
Die Steildächer mit ihrer<br />
großen Dachneigung und<br />
Strohdeckung gelten daher<br />
als interessante Beispiele der<br />
lokalen Bautradition.<br />
Bewahren, ausstellen,<br />
erforschen<br />
Dass verschiedene Gebäudeformen in<br />
Freilichtmuseen Platz finden, entspricht<br />
den Zielen dieses Museumstypus, der die<br />
Bewahrung, Dokumentation, Erforschung<br />
und Vermittlung des Bauens, Lebens und<br />
Arbeitens umfasst. Mit dem Translozieren<br />
Der Strohdachstadel aus Vöran im<br />
österreichischen Freilichtmuseum in<br />
Stübing<br />
Foto: Klaus Seelos<br />
Der Spatauf-Strohdachstadel im Südtiroler<br />
Landesmuseum für Volkskunde in<br />
Dietenheim Foto: Hermann Maria Gasser<br />
originaler Bauten, die an ihrem ursprünglichen<br />
Standort abbruchgefährdet waren,<br />
konnten diese vor dem Verschwinden gerettet<br />
und erforscht werden. Als Ausstellungsobjekte<br />
bieten sie heute Einblicke<br />
in die Wirtschafts-, Sozial- und Lebensgeschichte<br />
der bäuerlichen Bevölkerung.<br />
Neben dem wissenschaftlichen Sammeln<br />
von Arbeitsgeräten und Werkzeug geht<br />
es in der musealen Tätigkeit<br />
auch um die Vermittlung<br />
und Weitergabe alter<br />
Handwerkstechniken.<br />
Gebäude vor Ort<br />
erhalten<br />
Trotz aller Bemühungen,<br />
stoßen auch Museen<br />
an ihre Grenzen. Durch<br />
das Translozieren werden<br />
Gebäude aus ihrem<br />
landwirtschaftlichen und<br />
landschaftlichen Kontext<br />
gerissen. Nur wenige große<br />
Freilichtmuseen wie Ballenberg<br />
in der Schweiz haben<br />
die räumliche Möglichkeit,<br />
die regionaltypischen<br />
Gebäude auch in eine ihnen<br />
entsprechende Umgebung,<br />
in die Kulturlandschaft<br />
nach historischem<br />
Vorbild des Ursprungsortes<br />
einzubetten. Daher ist es in<br />
Südtirol wichtig – gerade<br />
auch in Bezug auf die aktuelle<br />
Diskussion um die Zukunft<br />
von Raum und Landschaft<br />
–, die letzten noch<br />
verbliebenen Strohdächer,<br />
die für ein Landschaftsgebiet<br />
wie dem Tschögglberg<br />
typisch und prägend waren,<br />
an ihrem originalen<br />
Standort zu erhalten. Wissend,<br />
dass es dafür fachliche<br />
Unterstützung, Vernetzung<br />
und finanzielle<br />
Förderung braucht.<br />
Barbara M. Stocker<br />
KulturFenster<br />
40 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Dinge des Alltags<br />
aus Geschichte und<br />
Gegenwart<br />
Der Dreschbock<br />
Der Dreschbock wurde früher verwendet, um die Garben auszuschlagen.<br />
Foto: Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde/Hermann Maria Gasser<br />
Wenn von einem Bock die Rede ist, denken<br />
einige wohl gleich an ein Jagderlebnis,<br />
andere an das Bockspringen und wieder<br />
andere vielleicht an den sprichwörtlich<br />
größten Bock, den sie je in ihrem Leben<br />
geschossen haben.<br />
Doch als Böcke sind in unserem Wortschatz<br />
auch Gestelle bekannt, die zum Unterstellen,<br />
Abstellen oder Auflegen verwendet<br />
werden. So verhindert der Fassbock<br />
das Rollen eines Fasses, der Beschlagoder<br />
Hufbock dient beim Beschlagen der<br />
Pferde zum Auflegen der Hufe. Stellböcke<br />
waren auch für Zummen oder Mistkörbe in<br />
Gebrauch. Sie bestanden aus einem dreifüßigen<br />
Holzgestell mit einem Abstellbrett.<br />
Auch beim Verarbeiten des Strohs war<br />
ein Holzgestell von Nutzen, das sich in<br />
seiner Machart von den bisher genannten<br />
unterschied: der Dreschbock. Er bestand<br />
aus einem vierfüßigen Balkengestell<br />
mit einem Gitter aus Holz, in seltenen<br />
Fällen auch mit einem Eisenrost. Dieses<br />
Gestell wurde verwendet, um die Garben<br />
auszuschlagen.<br />
Für die unterschiedlichen Böcke, die im<br />
bäuerlichen Alltag zum Einsatz kamen,<br />
gibt es unterschiedliche regionale Bezeichnungen.<br />
So schreibt Matthias Ladurner-Parthanes,<br />
dass das Gestell für<br />
die Mistkörbe im Eisacktal „Steller“ und<br />
im Burggrafenamt „Huenzl“ hieß. Der<br />
Dreschbock wurde im Pustertal „Roggebock“<br />
genannt, in Osttirol „Patsche“. Das<br />
Ausschlagen nannte man auch „Plöschn“<br />
(Schlagen), wie Hans Grießmair schreibt.<br />
Man nahm dabei auch noch einen hölzernen<br />
Knüppel zu Hilfe. Durch das Handmähen<br />
und vorsichtige Ausschlagen auf<br />
dem Roggenbock blieben die Garben<br />
geschont und bildeten ein gutes Material<br />
zum Decken der Strohdächer oder<br />
auch zum Herstellen der Strohhüte und<br />
Bienenkörbe.<br />
Barbara M. Stocker<br />
Literatur:<br />
Hans Grießmair: Bewahrte Volkskultur.<br />
Zweite, bearbeitete Auflage, Dietenheim 2013<br />
Matthias Ladurner-Parthanes: Vom Perglwerk<br />
zur Torggl, Bozen 1972<br />
KulturFenster<br />
41 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
informiert & reektiert<br />
„Nicht zur Tagesordnung<br />
zurückkehren“<br />
71. Vollversammlung des Heimatpflegeverbandes Südtirol in St. Ulrich<br />
Für Natur- und<br />
Klimaschutz<br />
Sparte nicht mit Kritik am verantwortungslosen Umgang mit der Natur und der historischen<br />
Bausubstanz: Obfrau Claudia Plaikner<br />
Fotos: HPV<br />
Corona abhaken und dann wieder zur Tagesordnung<br />
zurückkehren – das darf es<br />
nicht geben. Die Pandemie hat Schwachstellen<br />
in unserem System aufgezeigt und<br />
deutlich gemacht, dass wir als Gesellschaft<br />
eine große Verantwortung tragen, betonte<br />
Obfrau Claudia Plaikner auf der 71. Vollversammlung<br />
des Heimatpflegeverbandes<br />
Südtirol am 12. Juni in St. Ulrich.<br />
Aus gutem Grund fand die 71. Vollversammlung<br />
des Heimatpflegeverbandes<br />
Südtirol – aufgrund der Coronapandemie<br />
in reduziertem Rahmen – im Kulturhaus<br />
„Luis Trenker“ in St. Ulrich statt. In Gröden<br />
feiert der Naturschutz- und Heimatpflegeverein<br />
Lia per Natura y Usanzes heuer sein<br />
50-Jahr-Jubiläum (das „KulturFenster“ hat<br />
berichtet) und lud deshalb nach der Versammlung<br />
zum Festakt ein.<br />
Zunächst aber galt es für den Heimatpflegeverband,<br />
kritisch zurück und visionär nach<br />
vorne zu blicken. Obfrau Claudia Plaikner<br />
erinnerte in ihrer Rede an die Coronakrise,<br />
in der sich die Heimatpfleger*innen in ihrer<br />
Arbeit und in ihrem Wunsch nach mehr Zurückhaltung,<br />
Rückbesinnung auf das Wesentliche,<br />
das Beständige und Wertvolle oft<br />
bestätigt gefühlt hätten. Nun, da Corona in<br />
den Hintergrund zu treten scheint, dürfe<br />
man diese Haltung nicht über Bord werfen:<br />
„Jeder von uns wird seinen Umgang<br />
mit Natur- und menschlichen Ressourcen<br />
hinterfragen müssen, wenn wir den<br />
Bestand unserer kleinen und großen Heimat<br />
auch für die Zukunft sichern wollen.“<br />
Ein Negativbeispiel für den Umgang mit<br />
der Natur ist die problematische Inszenierung<br />
der alpinen Landschaft, die im vergangenen<br />
Sommer u. a. mit der Errichtung<br />
einer Aussichtsplattform auf der Grawand<br />
im hinteren Schnalstal sowie mit der Eröffnung<br />
eines sogenannten Fun-Klettersteiges<br />
im Zieltal im Naturpark Texelgruppe zweifelhafte<br />
Höhepunkte erlebt hatte. Ganz aktuell<br />
ist es die geplante Neuauflage des<br />
Glasturmes am Rosengarten, die nicht unkommentiert<br />
bleiben darf. „Halten wir die<br />
Berge frei von künstlich geschaffenen Beigaben“,<br />
mahnte Claudia Plaikner bei der<br />
Versammlung. „Erkennen wir die Grenzen<br />
unserer persönlichen Möglichkeiten<br />
der Annäherung oder Begehung an und<br />
erfreuen wir uns an dem von der Natur<br />
Gegebenen.“ Sensibilisierung für die Erhaltung<br />
wertvoller Naturräume und der<br />
Biodiversität geht auch über Umweltausgleichsmaßnahmen.<br />
Dazu führte der HPV<br />
gemeinsam mit dem Dachverband für Natur-<br />
und Umweltschutz und dem AVS eine<br />
Online-Veranstaltungsreihe durch. In diesem<br />
Zusammenhang nannte die Obfrau<br />
auch die Klimakrise, die alle vor die Alternative<br />
stellen wird: „Entweder umstellen<br />
oder untergehen.“ Dennoch gebe es<br />
in Südtirol Unternehmer, die dieser Herausforderung<br />
zum Trotz auf Flugverkehr<br />
und dabei sogar kürzere Strecken wie Bozen–Parma<br />
setzen würden.<br />
Für die Erhaltung<br />
historischer Bausubstanz<br />
Der Rückblick des Heimatpflegeverbandes<br />
führte unweigerlich auch zum neuen Gesetz<br />
für Raum und Landschaft, das wegen<br />
nachträglicher Änderungen zu verwässern<br />
droht und daher einer kritischen Begleitung<br />
bedarf. Auch erfolgten im Jahr 2020<br />
einige massive Eingriffe in die wertvolle historische<br />
Bausubstanz des Landes. Meh-<br />
KulturFenster<br />
42 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
„<br />
Halten wir die Berge frei von künstlich<br />
geschaffenen<br />
„<br />
Beigaben!<br />
Claudia Plaikner<br />
rere denkmal- bzw. ensemblegeschützte<br />
Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht<br />
oder sind stark bedroht, was den<br />
Heimatpflegeverband dazu veranlasste,<br />
gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt<br />
einen Weckruf an Politik, Gemeinden,<br />
Bauherren und Gesellschaft zu richten.<br />
Der Tenor: Wenn die einzigartige Baukultur<br />
der Südtiroler Täler und Landschaften<br />
verschwindet, verschwinden auch die Authentizität<br />
und ein wesentlicher Teil der Attraktivität<br />
Südtirols. Als Reaktion auf einige<br />
Gebäudeabrisse erklärte der Heimatpflegeverband<br />
das Jahr <strong>2021</strong> zum Themenjahr<br />
„Baukultur“.<br />
Nicht mehr auf der Agenda des Heimatpflegeverbandes<br />
steht seit Jänner <strong>2021</strong><br />
die Abwicklung der Beitragsvergabe für<br />
die Erhaltung der Kleindenkmäler. Dieser<br />
Aufgabenbereich wurde an das Land abgegeben.<br />
Der Verband werde sich aber,<br />
wie Obfrau Claudia Plaikner betonte, weiterhin<br />
im Rahmen seiner Möglichkeiten<br />
für die vielen kleinen handwerklichen<br />
und bautechnischen Besonderheiten einer<br />
vorwiegend bäuerlichen Umgebung<br />
einsetzen.<br />
30 Jahre Einsatz für den<br />
Heimatpegeverband<br />
Landesobfrau Claudia Plaikner nutzte die<br />
Gelegenheit, um Verbandsgeschäftsführer<br />
Josef Oberhofer – er ging kurze Zeit später<br />
in den Ruhestand – zu danken. Er sei<br />
stets „mit Leidenschaft für die Heimat gepaart<br />
mit Intelligenz, Hausverstand und Organisationstalent“<br />
bei der Sache gewesen<br />
und habe sich durch Loyalität und engagierte<br />
Arbeit ausgezeichnet.<br />
50 Jahre Lia per<br />
Natura y Usanzes<br />
Der Vollversammlung des Heimatpflegeverbandes<br />
folgte der Festakt „50 Jahre Lia per<br />
Natura y Usanzas“ – coronabedingt mit begrenzter<br />
Gästezahl. Drei Wünsche für die<br />
Zukunft äußerte Obmann Engelbert Mauroner<br />
in seiner Einleitung: erstens mehr<br />
Aufmerksamkeit für die Jugend, zweitens<br />
eine ruhigere Lebensart, die nicht auf ständiges<br />
Wachstum ausgerichtet ist, und drittens<br />
die Unterschutzstellung des Langkofels<br />
und der Cunfinböden.<br />
Höhepunkte der Festveranstaltung waren<br />
u. a. die Vorstellung der Festschrift „50<br />
Jahre Einsatz für Natur und Tradition –<br />
50 Jahre Lia per Natura y Usanzes“ und<br />
ein Film als Rückblick auf ein halbes Jahrhundert<br />
Einsatz für die Erhaltung der Natur-<br />
und Kulturlandschaft, für den Schutz<br />
von Luft, Gewässern und Böden, für Flora<br />
und Fauna. Engelbert Mauroner begrüßte<br />
unter den Gästen Klauspeter Dissinger,<br />
„<br />
Jeder von uns wird seinen Umgang<br />
mit Natur- und menschlichen Ressourcen<br />
hinterfragen müssen, wenn<br />
wir den Bestand unserer kleinen<br />
„<br />
und großen Heimat auch für die<br />
Zukunft sichern wollen<br />
Engelbert Mauroner<br />
den Vorsitzenden des Dachverbandes für<br />
Natur- und Umweltschutz, sowie Claudia<br />
Plaikner, Obfrau des Heimatpflegeverbandes,<br />
die Grußworte sprachen. Aufgelockert<br />
wurde der Festakt durch Klaviermusik,<br />
eine Trachtenvorführung und einen<br />
Auftritt der Volkstanzgruppe St. Ulrich.<br />
Heimatpflegeverband Südtirol<br />
Arbeitsgemeinschaften<br />
Lebendige Tracht und<br />
MundART<br />
Einsetzen werde man sich auch weiterhin<br />
für die Erhaltung von Traditionen und Riten,<br />
so Obfrau Claudia Plaikner. Sie seien<br />
beredte Zeugen einer territorial klar defi<br />
nierten Kulturgeschichte. Gepflegt werden<br />
sie u. a. von der Arbeitsgemeinschaft<br />
Lebendige Tracht, die im Heimatpflegeverband<br />
angesiedelt ist und die 2020 die<br />
Broschüre „Fesch in Tracht – Tipps zum<br />
Tragen und Pflegen der Tracht“ herausgegeben<br />
hat. Auch die Arbeitsgemeinschaft<br />
MundART im Heimatpflegeverband leistet<br />
einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung von<br />
Dialekt und Sprache und unterstreicht den<br />
Wert der Flur-und Ortsnamen durch Dokumentation<br />
und Information.<br />
Engelbert Mauroner, Obmann der „Lia per Natura y Usanzas“, die ihr 50-jähriges Bestehen<br />
feierte, nannte drei Wünsche für die Zukunft.<br />
KulturFenster<br />
43 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
informiert & reektiert<br />
„Mehr agieren statt<br />
reagieren“<br />
Florian Trojer, der neue Geschäftsführer<br />
des Heimatpflegeverbandes Südtirol, im Interview<br />
Große Statur, ebenso großes Engagement,<br />
freundliches Wesen und sympathischer<br />
Sarner Dialekt – das ist Florian Trojer im<br />
kurzen Steckbrief. Das „KulturFenster“ will<br />
noch etwas mehr über den neuen HPV-Geschäftsführer<br />
wissen.<br />
KulturFenster: Sie arbeiten seit rund zwei<br />
Jahren beim Heimatpflegeverband Südtirol.<br />
Für alle, die Sie noch nicht kennen:<br />
Wer ist der neue Geschäftsführer?<br />
Florian Trojer: Ich bin 46 Jahre alt, bin in<br />
Bundschen im Sarntal aufgewachsen, habe<br />
in Innsbruck Geschichte studiert und danach<br />
mehrere Jahre lang in Form von Projektverträgen<br />
beim Südtiroler Landesarchiv<br />
sowie beim Alpenverein Südtirol gearbeitet.<br />
Anschließend war ich zehn Jahre lang<br />
beim AVS angestellt und habe 2019 die<br />
Stelle als Assistent des Geschäftsführers<br />
beim Heimatpflegeverband Südtirol angetreten.<br />
Ich bin verheiratet, habe zwei Söhne<br />
und wohne mit meiner Familie in Tramin.<br />
KF: Als Nachfolger von Josef Oberhofer<br />
treten Sie in große Fußstapfen. Was motiviert<br />
Sie an der neuen Aufgabe?<br />
Trojer: Es stimmt, Josef Oberhofer hat den<br />
Verband aufgebaut und geprägt. Aber gerade<br />
diese Fußstapfen sind auch Motivation<br />
für mich. Außerdem trage ich die Ziele und<br />
Grundsätze des Heimatpflegeverbandes zu<br />
100 Prozent mit – ob es um den Schutz<br />
der Landschaft und des Klimas, um eine<br />
qualitätsvolle Baukultur und den Erhalt von<br />
Kleindenkmälern, um die gelebte Tradition,<br />
etwa auch durch Tracht und Mundart, oder<br />
um nachhaltiges Wirtschaften und umweltbewusste<br />
Mobilität geht. Diese Überzeugung<br />
macht es mir leicht, mich auch<br />
zu 100 Prozent für die Anliegen des Verbandes<br />
einzusetzen.<br />
KF: Es ist ein breitgefächertes Repertoire,<br />
in dem Sie sich bewegen müssen.<br />
Trojer: Natürlich bin ich nicht in allen Themen<br />
Experte, aber dafür gibt es ja draußen<br />
in den Orten viele fähige Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter mit Visionen und<br />
Engagement. Auf sie kann und möchte<br />
ich zählen.<br />
Obfrau Claudia Plaikner verabschiedet Josef Oberhofer (l.) in den Ruhestand und freut sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen<br />
Geschäftsführer Florian Trojer.<br />
KulturFenster<br />
44 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
„<br />
Unsere kleinen Paradiese und<br />
Wunder brauchen Unterstützer und<br />
Verteidiger, eben eine Lobby, damit<br />
sie erhalten bleiben und fortgesetzt<br />
„<br />
werden können.<br />
Florian Trojer<br />
KF: Welche wird die größte Herausforderung<br />
der nächsten Jahre sein?<br />
Trojer: Der Verband hat zwei Grundaufgaben.<br />
Zum einen sensibilisiert er die Menschen<br />
für seine Themen – also er agiert,<br />
um Missständen und Fehlentwicklungen<br />
vorzubeugen. Zum anderen spielt er gewissermaßen<br />
Feuerwehr. Er reagiert also,<br />
wenn es irgendwo „brennt“, wenn Landschaft,<br />
Baukultur oder gelebtes Brauchtum<br />
in Gefahr sind. Oft nimmt man den<br />
Verband leider erst wahr, sobald er lautstark<br />
reagiert – und dann ist es manchmal<br />
schon zu spät. Deshalb besteht die große<br />
Herausforderung der Zukunft darin, den<br />
Hebel mehr in Richtung Sensibilisierung –<br />
also „Agieren“ – zu schieben. Damit sollte<br />
es in der Folge weniger oft notwendig sein,<br />
nur noch zu reagieren.<br />
KF: Gibt es neue, vielleicht noch zu wenig bearbeitete<br />
Themen, die Sie angehen möchten?<br />
Trojer: Der Verband wird oft als rückwärts<br />
schauend und an etwas festhaltend dargestellt.<br />
Ich habe in den vergangenen zwei<br />
Jahren meiner Arbeit das genaue Gegenteil<br />
festgestellt. Es ist gerade der Heimatpflegeverband,<br />
der sich bereits seit Jahrzehnten<br />
für Themen stark macht, die uns aktuell und<br />
in Zukunft immer mehr beschäftigen werden.<br />
Denken wir an die Biodiversität durch<br />
einen respektvollen Umgang mit der Landschaft<br />
oder an den Klimaschutz durch angemessenes<br />
Bauen und weniger Verkehr.<br />
Insofern werde ich dort weitermachen, wo<br />
mein Vorgänger aufgehört hat.<br />
KF: Welches Thema liegt Ihnen persönlich<br />
besonders am Herzen liegt?<br />
Trojer: In unserer Image-Broschüre „Dafür<br />
machen wir uns stark“ heißt es unter anderem<br />
„… für die vielen kleinen Paradiese<br />
und Wunder“. Eben diese unscheinbaren<br />
Schätze liegen mir besonders am Herzen.<br />
Denn im Unterschied zu reinen Naturschutzverbänden<br />
setzt sich der Heimatpflegeverband<br />
nicht nur für die Natur ein,<br />
sondern ist gewissermaßen der Anwalt der<br />
kleinen Paradiese. Das sind besondere Orte<br />
– es kann zum Beispiel auch nur ein Hügel<br />
oder die Kombination aus einem Baum<br />
und einem Weg oder ein besonderes Ensemble<br />
in einem Ort sein. Wahrscheinlich<br />
kennt jeder in seinem Dorf oder in seiner<br />
Umgebung einen solchen Platz. Diese Orte<br />
versprühen eine besondere Faszination,<br />
und sie machen zu einem wichtigen Teil<br />
die sehr gute Lebensqualität hier in Südtirol<br />
aus. Diese Paradiese und Wunder müssen<br />
aber nicht unbedingt reale Orte sein,<br />
sie können auch immaterieller Natur sein.<br />
Ich denke da an spezielle Traditionen und<br />
Handfertigkeiten wie das Scheibenschlagen<br />
im Vinschgau oder das Federkielsticken<br />
im Sarntal, um nur zwei zu nennen.<br />
Denn es gibt überall solche Besonderheiten.<br />
Sie brauchen Unterstützer und Verteidiger,<br />
eben eine Lobby, damit sie erhalten bleiben<br />
und fortgesetzt werden können.<br />
Persönlich liegt mir auch das Thema Verkehr<br />
am Herzen. Es muss in Zukunft durch<br />
entsprechende Gestaltung von Dörfern und<br />
Städten gelingen, den Fußgängern und Radfahrern<br />
jenen Platz einzuräumen, der ihnen<br />
als umweltfreundlichste Verkehrsteilnehmer<br />
gebührt.<br />
Interview: Edith Runer<br />
KulturFenster<br />
45 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
informiert & reektiert<br />
Umweltausgleichsmaßnahmen<br />
Notwendiges Übel oder Chance?<br />
Alpenverein Südtirol (AVS), Dachverband für<br />
Natur- und Umweltschutz und Heimatpflegeverband<br />
Südtirol (HPV) haben ein großes Interesse<br />
daran, dass Umweltausgleichsmaßnahmen<br />
aus ökologischer Sicht so sinnvoll<br />
und effizient wie möglich umgesetzt werden.<br />
Während der ökologische Ausgleich<br />
für die drei Organisationen ein selbstverständlicher<br />
Baustein des Natur- und Landschaftsschutzes<br />
in Südtirol ist, wird er in<br />
der Praxis oft als lästige Pflicht gesehen.<br />
Streng genommen ist kein Eingriff in ein<br />
Ökosystem korrigierbar. Ausgleichsmaßnahmen<br />
können die ökologischen Beeinträchtigungen<br />
durch einen Baueingriff nie<br />
wettmachen. Besser ist es immer, ökologische<br />
Beeinträchtigungen zu vermeiden<br />
oder die negativen Auswirkungen eines Projektes<br />
zu verringern bzw. Projekte zu optimieren.<br />
Trotzdem sind Eingriffe in die Natur<br />
für unser Leben und Wirtschaften manchmal<br />
notwendig. Hierfür hat auch in Südtirol<br />
der Gesetzgeber vorgeschrieben, dass unvermeidbare<br />
Eingriffe in Natur und Landschaft<br />
nach Möglichkeit auszugleichen sind.<br />
Leider ist der rechtliche Rahmen vielfach<br />
unklar, die Unsicherheit bei Ämtern, Gemeinden,<br />
Planern und Umweltverbänden<br />
oft groß. Zudem muss die ökologische Sinnhaftigkeit<br />
bestimmter Maßnahmen wie den<br />
x-ten neu angelegten Weiher in Frage ge-<br />
stellt werden. Deshalb organisierten AVS,<br />
Dachverband und Heimatpflegeverband<br />
im April und Mai <strong>2021</strong> eine Online-Vortragsreihe.<br />
Ausgehend von der Ist-Situation<br />
in Südtirol (Kurzbericht erstellt von<br />
Kathrin Kofler, ARGE Natura) haben Referenten<br />
verschiedene Ansätze zu den Umweltausgleichmaßnahmen<br />
aus unseren<br />
Nachbarländern Schweiz, Österreich und<br />
Deutschland vorgestellt. Die Vortragsreihe<br />
wurde von jeweils 30 bis 100 Teilnehmern<br />
an drei Abenden verfolgt.<br />
Ist-Situation in Südtirol<br />
Während in unseren Nachbarländern zwischen<br />
Ausgleichsmaßnahmen, Ersatzmaßnahmen<br />
und Ausgleichzahlungen unterschieden<br />
wird (Kompensationsmaßnahmen<br />
umfassen sowohl Ausgleichs- als auch Ersatzmaßnahmen),<br />
werde diese in Südtirol<br />
als „Ausgleichsmaßnahmen“ zusammengefasst.<br />
Sie werden in den unterschiedlichen<br />
Landesgesetzen und -leitlinien behandelt.<br />
Allerdings sind die Interpretations- und<br />
Umsetzungsspielräume oft groß. Um eine<br />
möglichst transparente und vergleichbare<br />
Vorgehensweise bei der Festlegung der Art<br />
und des Umfangs von Kompensationsmaßnahmen<br />
sicherzustellen, wären folgende<br />
Rahmenbedingungen hilfreich:<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
Biotopwertliste und Rote Liste der Lebensräume<br />
Südtirols als Bewertungsgrundlage,<br />
Richtlinien mit einheitlichen Bewertungsstandards<br />
und -methoden für<br />
alle Arbeitsschritte (Bewertung Ist-Zustand,<br />
Bilanzierung, Kompensation),<br />
Definition von Entwicklungs- und Erhaltungszielen<br />
für Lebensräume und<br />
Arten,<br />
Entwicklung von Standards im Verfahren,<br />
Verpflichtung einer ökologischen Baubegleitung,<br />
Umsetzungs- und Erfolgskontrolle der<br />
Maßnahmen,<br />
fl exiblere Instrumente wie Flächenpool<br />
oder Ökokonto.<br />
Chance für neue<br />
Landschaftskultur<br />
Ersatzmaßnahmen beruhen idealerweise<br />
auf Zielbildern der Gesellschaft oder auf<br />
einer Landschaftsstrategie. Sie beziehen<br />
Behörden, Bauherren, NGOs und die Bevölkerung<br />
mit ein. Nur so wird die langfristige<br />
Erhaltung garantiert. Ersatzmaßnahmen<br />
erbringen dann auch einen Mehrwert<br />
für die Bevölkerung und sind somit Chance<br />
für eine neue Landschaftskultur.<br />
Eingriff und Ausgleich sollten sich die Waage halten.<br />
Screenshot: REVITAL Integrale Naturraumplanung GmbH<br />
Eingriff<br />
➤<br />
Kompensationsbedarf<br />
Ausgleich<br />
➤<br />
Kompensationswert<br />
KulturFenster<br />
46 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Eingriff = Ausgleich<br />
Voraussetzung ist, dass ein Eingriff per se<br />
rechtlich bewilligungsfähig ist. Eine Bewilligung<br />
darf nicht aufgrund der Ausgleichsmaßnahmen<br />
erteilt werden. Eingriff und<br />
Ausgleich sollten sich die Waage halten.<br />
Kompensationsflächen sollten keine Maßnahmen<br />
umfassen, die sowieso verpflichtend<br />
sind wie zum Beispiel die Pflege von<br />
Wiesen. Vorrangig sollten Flächen mit einem<br />
hohem Aufwertungspotenzial herangezogen<br />
werden. Idealerweise sollte eine Flächenbereitstellung<br />
auf Betriebsdauer bestehen,<br />
sprich solange bestehen bleiben,<br />
wie auch der Eingriff besteht.<br />
Um zu berechnen, wie groß der Kompensationsbedarf<br />
für einen Eingriff ist, gibt es<br />
unterschiedliche Verfahren: Verbal argumentativ,<br />
Biotopwertverfahren (Fläche),<br />
Kompensationsverfahren (Punkte), Herstellungskostenansatz<br />
(Euro). In Deutschland,<br />
Österreich und der Schweiz ist ein<br />
Trend zur Anwendung von Berechnungsmodellen<br />
erkennbar. Mit diesem Hilfsmittel<br />
wird versucht, Eingriffe in Natur und<br />
Landschaft transparent zu bewerten und<br />
mit Ausgleichsmaßnahmen vergleichbar<br />
zu machen. Biotopwertverfahren eignen<br />
sich für Lebensräume und Biotope,<br />
weil dafür die Berechnung über die Fläche<br />
sehr gut gemacht werden kann. Die<br />
schönsten Modelle nützen jedoch nichts,<br />
wenn die Umsetzung nicht funktioniert. Zudem<br />
sind Kontrolle und ein Monitoring der<br />
Ausgleichsflächen unabdingbar. Mit einem<br />
Kompensationsflächenkataster könnte eine<br />
Verortung und Dokumentation der Maßnahmen<br />
in einer GIS-Datenbank erfolgen.<br />
Vorrat anlegen<br />
Bauarbeiten für die neue Talabfahrt in Schnals<br />
In Deutschland existieren mit Ökokonten<br />
und Flächenpools fl exible Lösungen<br />
bei der rechtlichen Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen.<br />
Flächenpools bevorraten<br />
potentielle Ausgleichsflächen, wo<br />
die Grundverfügbarkeit geklärt ist, jedoch<br />
noch keine Maßnahmen umgesetzt sind.<br />
Im Unterschied dazu sind beim Öko-Konto<br />
die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bereits<br />
umgesetzt und rechtlich gesichert. Sie<br />
werden dann einem späteren Eingriff zugeordnet<br />
und nach Zustimmung der Naturschutzbehörde<br />
ins Kompensationsverzeichnis<br />
(öffentlich einsehbar) eingebucht.<br />
Jeder kann Ökokontoflächen zur Verfügung<br />
stellen, vorausgesetzt, die Flächen<br />
sind aufwertungsfähig. Der Wert eines Ökokontos<br />
wird in „Ökopunkten“ dargestellt<br />
(Biotopwertverfahren). Ökokonten sind in<br />
einer eigenen Ökokontoverordnung geregelt.<br />
Allerdings kann nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />
bei privaten Verursachern<br />
keine Kompensation bis in alle<br />
Ewigkeit stattfinden, sondern es wird eine<br />
aktive Pflege von 25 Jahren gefordert. Da<br />
die Flächen dauerhaft zur Verfügung stehen<br />
müssen und dinglich gesichert werden<br />
(Eintrag ins Grundbuch), fallen die Flächen<br />
danach aber nicht in den rechtsfreien<br />
Raum. Es gilt: Die Aufwertung muss dauerhaft<br />
sein und es darf nichts getan werden,<br />
um dies aktiv abzuwerten. Das Ökokonto<br />
hat den Vorteil, dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen<br />
gebündelt auf größeren<br />
zusammenhängenden Flächen vorgenommen<br />
werden können und dadurch ein optimierter<br />
ökologischer Mehrwert erzeugt<br />
wird. Ökokonten ermöglichen eine langfristige<br />
Entwicklung der Natur, die nicht<br />
erst mit dem Zeitpunkt der Eingriffs- und<br />
Ersatzmaßnahme beginnt, sondern schon<br />
lange vorher eingesetzt hat. Zudem führen<br />
sie zu einer Verfahrensbeschleunigung<br />
und Planungssicherheit für Projektwerber.<br />
Nachteil ist, dass der direkte Zusammenhang<br />
zwischen Eingriff und Ausgleich aufgelöst<br />
wird. Ohne Kontrolle ist aber auch<br />
bei Ökokontomaßnahmen die naturschutzfachliche<br />
Qualität nicht per se gegeben.<br />
Foto: AVS<br />
Landschaftspegeverbände<br />
und Flächenagenturen<br />
In Deutschland, speziell in Bayern, treten<br />
gemeinnützige Landschaftspflegeverbände<br />
als Akteure des kooperativen Naturschutzes<br />
auf, indem sie sich für die Erhaltung<br />
und Pflege besonderer Biotope in Zusammenarbeit<br />
mit der lokalen Landwirtschaft<br />
engagieren. Gemeinsam mit privatrechtlich<br />
organisierten Flächenagenturen, die<br />
speziell für die fachliche und wirtschaftliche<br />
Seite eine wichtige Ergänzung sind,<br />
übernehmen Landschaftspflegeverbände<br />
im Zuge von Vorhaben mit großen Naturschutzverpflichtungen<br />
(Netzbetreiber,<br />
Deutsche Bahn, Verkehrsbehörden) auch<br />
die Umsetzung von Ökokontomaßnahmen<br />
und die langfristige Betreuung der Flächen<br />
und Maßnahmen.<br />
Aus Sicht der Landschaftspflegeverbände<br />
und Flächenagenturen müsste die Meldepflicht<br />
der Kompensationsmaßnahmen<br />
konsequent umgesetzt und die Flächen<br />
und Maßnahmen in einer GIS-Datenbank<br />
veröffentlicht werden. Auch eine konsequente<br />
Kontroll- und Berichtspflicht mit<br />
langfristiger Betreuung und eine stärkere<br />
Unterstützung von Vorhabenträgern und<br />
Gemeinden wären wünschenswert.<br />
Anna Pichler<br />
AVS-Referat für Natur und Umwelt<br />
KulturFenster<br />
47 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
informiert & reektiert<br />
Keine Angst vor Beteiligung<br />
Warum Bürger*innen bei der Gestaltung<br />
von Lebensräumen mitreden sollten<br />
zu aktivieren: Dort können sie an Entscheidungen<br />
und Entwicklungen in ihrem unmittelbaren<br />
Umfeld mitwirken.<br />
Auf den Punkt gebracht lassen sich zehn gute<br />
Gründe für Bürgerbeteiligung formulieren:<br />
Beteiligungsprozesse müssen gut geplant und professionell durchgeführt werden.<br />
Es gibt ganz konkrete Gründe, warum die<br />
Beteiligung der Bürger*innen bei der Planung<br />
von Gebäuden und bei der Gestaltung<br />
von Lebensräumen wichtig ist. Klar formuliert<br />
hat sie der Wiener Architekt Roland<br />
Gruber bei einem Vortrag im Rahmen der<br />
Reihe „Baukultur für alle?!“ der Architekturstiftung<br />
Südtirol in Zusammenarbeit mit<br />
dem Heimatpflegeverband Südtirol. In folgendem<br />
Bericht fassen er und sein Kollege,<br />
der Landschaftsarchitekt Florian Kluge, die<br />
wichtigsten Punkte zusammen.<br />
Kommunen investieren jedes Jahr viele Milliarden<br />
in räumliche Konzepte, Planungen<br />
und neue Gebäude, sie gehören damit zu<br />
den größten Bauherren im Land und gestalten<br />
wesentlich den Lebensraum der<br />
Menschen. Gefragt sind Projekte, die mit<br />
„<br />
Bürger*innen kennen ihr Quartier<br />
oder ihren Ort am besten und<br />
haben vielfach zukunftsweisende<br />
Ideen, die eine Basis für nachhaltige<br />
Lösungen und breite Akzeptanz<br />
„<br />
vor Ort sind.<br />
Roland Gruber<br />
dem Budget einen maximalen Effekt für<br />
die Gemeinschaft erzielen. Dabei kommt<br />
nahezu kein kommunales Entwicklungskonzept,<br />
kein städtebaulicher Entwicklungsprozess,<br />
kein öffentliches Bauprojekt<br />
– und immer öfter auch Projekte von privaten<br />
Errichtern – mehr ohne die Einbindung<br />
der Betroffenen aus. Einerseits mit<br />
dem Ziel, die Bedürfnisse der verschiedenen<br />
Akteure kennenzulernen und Akzeptanz<br />
für neue Lösungen zu schaffen.<br />
Andererseits soll mit Blick auf die qualitätsvolle<br />
Gestaltung unserer Dörfer, Städte<br />
und Quartiere das volle Potential und die<br />
positive Energie der Bürger*innen entfaltet<br />
und genutzt werden.<br />
Warum Bürgerbeteiligung?<br />
Eine Beteiligung der Bürgerschaft gerade<br />
bei komplexen räumlichen Fragestellungen<br />
und Bauaufgaben ist heute notwendiger<br />
denn je. Prozesshaftes Arbeiten mit<br />
Bürger*innen führt vielfach zu besseren<br />
Lösungsansätzen. Bürger*innen kennen<br />
ihr Quartier oder ihren Ort am besten und<br />
haben vielfach zukunftsweisende Ideen, die<br />
eine Basis für nachhaltige Lösungen und<br />
breite Akzeptanz vor Ort sind. Im Zeitalter<br />
der Politikverdrossenheit sind Bauaufgaben<br />
ein geeigneter Weg, die Bürgerschaft<br />
1. Mehr Akzeptanz durch Transparenz:<br />
Wenn Zukunftsvorstellungen und Projekte<br />
klar und transparent kommuniziert<br />
und gemeinsam erarbeitet werden,<br />
wenn rechtzeitig Raum für Bedenken<br />
und Ideen gegeben wird, dann werden<br />
sie von einer breiten Mehrheit getragen.<br />
Es gibt weniger Verzögerungen<br />
und weniger Gegenwind.<br />
2. Mehr Vielfalt durch mehr Ideen: Mehr<br />
Menschen haben mehr Ideen und<br />
machen Lösungen bunter und vielfältiger.<br />
Das Einbringen von vielen Köpfen,<br />
mannigfaltigen Kompetenzen und<br />
Sichtweisen macht Ergebnisse vielfältiger,<br />
passgenauer und besser.<br />
3. Mehr Zufriedenheit durch Umsetzung:<br />
Sind mehr Menschen aktiv, können<br />
mehr Dinge angepackt werden. Es muss<br />
weniger „auf die lange Bank“ geschoben<br />
werden. Das führt zu mehr Zufriedenheit<br />
in der Bevölkerung.<br />
4. Mehr Identifikation durch Verbundenheit:<br />
Menschen gestalten ihren Lebensort<br />
mit, beschäftigen sich mit ihrem<br />
Dorf, ihrer Stadt, ihrer Schule. Das Verständnis<br />
für Zusammenhänge und Zusammengehörigkeit<br />
wächst. Identifikation<br />
und Verbundenheit steigen. Wer<br />
seinen Ort liebt, setzt sich für ihn ein.<br />
5. Mehr Gemeinschaft durch Offenheit:<br />
Gemeinsam an einer Fragestellung<br />
zu arbeiten, verbindet die Menschen:<br />
unterschiedliche Ansichten offen aussprechen,<br />
Lösungen entwickeln und um<br />
Konsens ringen. Menschen lernen einander<br />
kennen und respektieren, und<br />
das Miteinander bekommt eine andere<br />
Qualität. Hetze und Ausgrenzung verlieren<br />
an Nährboden.<br />
6. Keine Chance dem Geschimpfe: Beteiligung<br />
ist Konfliktprävention. Sie bietet<br />
eine Plattform zum Mitreden. Der Kritik<br />
KulturFenster<br />
48 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Bürgerbeteiligung ist ein längerer, aber fruchtbarer Prozess.<br />
bezüglich zu wenig Informationsfluss<br />
und Mitsprachemöglichkeiten kann ein<br />
Riegel vorgeschoben werden. Und: Einmal<br />
eingeübte Prozesse fördern Transparenz<br />
und bessere Kommunikation<br />
auch nach dem Beteiligungsprozess.<br />
7. Mehr Motivation durch Verantwortung:<br />
Die Botschaft „Wir brauchen dich“<br />
motiviert Menschen zum Mittun. Wo<br />
informiert und eingebunden wird, wo<br />
Ideen und Kompetenzen gefragt sind,<br />
entsteht Energie und es bewegt sich etwas.<br />
Die Bereitschaft, sich einzubringen,<br />
wächst.<br />
8. Entlastung von Verwaltung und Politik:<br />
Mehr Menschen bringen Arbeitskraft,<br />
Zeit und Energie mit. Die Arbeit wird<br />
auf mehrere Schultern verteilt, Aufgaben<br />
können verteilt und Kosten eingespart<br />
werden.<br />
9. Mehr Verständnis für das Gemeindewohl:<br />
Ist Beteiligung gut gemacht, ermöglicht<br />
sie Perspektivwechsel und weckt Verständnis<br />
für unterschiedliche Sichtweisen<br />
und Prioritäten. Wissen über die<br />
notwendige Abwägung von Interessen<br />
und größere Zusammenhänge ermöglichte<br />
mehr Verständnis für Prozesse<br />
und Entscheidungen in der Kommune.<br />
10. Bedarfsgerechtere Politik: Anhören<br />
und Beteiligen ermöglicht mehr Wissen<br />
über die Themen und Fragen, die<br />
die Menschen bewegen. Politische Entscheidungsträger<br />
und Verwaltung können<br />
bedarfsgerechter entscheiden und<br />
handeln.<br />
Wie Beteiligung gelingt<br />
Oftmals ist bei Städten und Gemeinden<br />
eine gewisse Angst vor Beteiligungsprozessen<br />
zu spüren – vielfach entstanden<br />
durch negative Erfahrungen: Bürgerbeteiligung<br />
sei langwierig und teuer, der Einbindungsprozess<br />
ziehe sich wie Kaugummi<br />
und die Ergebnisse sind bescheiden, es<br />
kämen immer die Gleichen zu Wort und<br />
verträten nur ihre eigenen Anliegen – so<br />
die Erfahrungen und Vorbehalte, die es<br />
ernst zu nehmen gilt.<br />
Doch: Nur ein Miteinander von Politik,<br />
Verwaltung, Bürgerschaft, Unternehmen,<br />
Vereinen, Verbänden, Initiativen und Investoren<br />
ist Garant für Zukunftsfähigkeit.<br />
Gelungene Beteiligung kann der Motor für<br />
gesellschaftlichen Zusammenhalt sein,<br />
wenn die Einbindung der Bürger*innen<br />
ernst gemeint, gut durchdacht und richtig<br />
gemacht ist. Sie braucht neben ausreichend<br />
Zeit, Raum und finanziellen Mitteln<br />
vor allem Haltung, Engagement und Offenheit.<br />
Der richtige Zeitpunkt einer Beteiligung<br />
ist genauso wichtig wie eindeutige<br />
Regeln und Rollen, Transparenz bei<br />
Gestaltungsmöglichkeiten und Entscheidungskompetenzen.<br />
Es braucht Klarheit<br />
in Sache, Zweck und Ziel. Pfiffige Methoden<br />
müssen alle Interessierten einbinden<br />
und Raum auch für Randgruppen, Konfliktthemen<br />
und Wut bieten. All das sollte<br />
mit genügend Witz und Humor gewürzt<br />
sein, motivieren und Spaß machen.<br />
Im Wesentlichen sind es sieben Bausteine,<br />
die Beteiligung gelingen lassen:<br />
1. Die Aufgabe schärfen: Es braucht von<br />
Beginn an Klarheit über Zielgruppen<br />
und Akteure, über Aufgaben und Fragestellungen,<br />
über Zuständigkeiten,<br />
Abläufe und Regeln.<br />
2. Auf die Haltung kommt es an: Ernsthaftigkeit,<br />
Wertschätzung und echtes<br />
Interesse am gemeinsamen Ergebnis.<br />
Die Werte und Sichtweisen der anderen<br />
sind genauso berechtigt wie die Eigenen,<br />
gegenseitiges Zuhören gehört<br />
zum 1x1 der Beteiligung. Der Weg ist<br />
Teil des Ziels und fördert Verständnis<br />
und Vertrauen.<br />
3. Um Emotionen und Beziehungen kümmern:<br />
Mit Begeisterung ans Werk, statt<br />
mit Angst. Eine Atmosphäre für ein positives<br />
Miteinander schaffen, das löst<br />
viele Konfrontationen von Beginn an.<br />
Konflikte als Chance begreifen, Mut<br />
beim Umgang mit Wut, Verzicht und<br />
Scheitern. Konsens herstellen ist eine<br />
Leistung – feiern wir die Ergebnisse!<br />
4. Die Zeit im Blick haben: Zeit und Geduld<br />
investieren. Den richtigen, möglichst<br />
frühen Zeitpunkt finden. Schlüssige<br />
und transparente Zeitabläufe<br />
festlegen. Kurze, kompakte Formate<br />
finden und unterschiedlich zeitintensive<br />
Formen anbieten.<br />
5. Die richtigen Formate benutzen: Weg<br />
von der Turnhallenschlacht, vom „Wir<br />
da vorne, ihr da unten“. Dorthin gehen,<br />
wo die Menschen sind. Neue<br />
Räume nutzen, spannende Methoden,<br />
die auch Spaß machen dürfen.<br />
Zeichnen und bauen, essen und trinken<br />
und dabei gemeinsam in die Aufgabe<br />
eintauchen.<br />
6. Informiertheit sicherstellen: Ein einheitlicher<br />
Informationsstand ist Basis<br />
für den konstruktiven Diskurs. Sonst<br />
beruht das Ergebnis mehr auf Zufall<br />
und Partikularinteressen als auf einem<br />
ernsthaften Aushandlungsprozess. Alle<br />
Perspektiven und Bedürfnisse, Inhalte<br />
und Hintergründe müssen offen und<br />
gut verständlich auf den Tisch.<br />
7. Die richtige Sprache sprechen: Es<br />
braucht Profis, die die Werkzeuge kennen,<br />
Beteiligungsprozesse strategisch<br />
planen und professionell aufziehen –<br />
wie das Bauprojekt selbst. „Keep it simple“,<br />
aber professionell: Den Prozess<br />
gut erklären und auffällig und lautstark<br />
vermarkten.<br />
Roland Gruber & Florian Kluge<br />
nonconform architektur<br />
KulturFenster<br />
49 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
informiert & reektiert<br />
Raut, Grait, Ried, Rungg und Nofen<br />
Serie: Flurnamen aus der Agrargeschichte (3) – Rodungsnamen (1. Teil)<br />
Ansitz Kreit in Eppan<br />
Franziszeische Katastermappe 1858<br />
Die Dorfer Ried bei Algund Foto: Johannes Ortner<br />
Völser Ried oder Sportzone Rungg – das<br />
sind geläufige Begriffe. Bei Ried und Rungg<br />
handelt es sich um Rodungsnamen. Sie bilden<br />
einen auffälligen Teil im Spektrum der<br />
Flurnamen.<br />
Um eine immer größer werdende Bevölkerung<br />
im alpinen Raum zu ernähren,<br />
wurden kontinuierlich neue Acker-, Wiesen-<br />
und Weideflächen erschlossen. Das<br />
Roden von Wald und Gestrüpp war eine<br />
Generationen übergreifende Arbeit, denn<br />
das mühsame Ausgraben der Wurzelstöcke,<br />
der Transport von Baumstämmen<br />
usw. erforderte eine koordinierte gemeinschaftliche<br />
Tätigkeit. Rodungsnamen finden<br />
sich in allen Sprachschichten des<br />
Alpenraums: von den vorrömischen Sprachen<br />
über das Alpenromanische bis herauf<br />
zum Deutschen.<br />
Raut<br />
Das grundsprachliche Verb, welches das<br />
Entfernen (Roden, Aushacken usw.) von<br />
Gebüsch und Bäumen bezeichnet, lautet<br />
hochsprachlich räuten (< althochdeutsch<br />
riuten „roden, herausreißen“), in den heutigen<br />
Tiroler Mundarten rautn.<br />
Das Ergebnis einer Rodung ist ein Raut.<br />
In Algund werden damit die Weingüter<br />
in Steillage bezeichnet. Sie sind jünger<br />
als die Weingüter auf den Schwemmfächern<br />
in Dorfnähe – und viel mühevoller<br />
zu bearbeiten. Auch die Güter an den<br />
Hängen oberhalb von Morter sind jünger<br />
als jene in der Talsohle, es sind die<br />
Morterer Rait.<br />
Grait<br />
Neben dem Plural „Rait“ und dem Diminutiv<br />
„Raitl“ fällt besonders das Kollektiv Grait<br />
(< althochdeutsch giriuti „Geräut“, d. i. eine<br />
Ansammlung von Rodungen) auf – in Südtirol<br />
ein häufiger geografischer Name. Allein<br />
rund um den Meraner Talkessel gibt es<br />
zahlreiche Grait-Höfe, so in Freiberg (Meran),<br />
Schenna (Berg), Kuens, Vertigen (Partschins)<br />
und Marling. In diese Reihe gehören<br />
auch der Weilername Kreuth (Terlan),<br />
der Schildhof Gereuth in St. Martin in Passeier<br />
sowie der Ansitz Kreit in Eppan. Die<br />
Schreibung mit ai entspricht dem mundartlichen<br />
äu.<br />
Die augenfällige Häufigkeit dieses Namentyps<br />
erklärt sich aus dem „rodungsfreundlichen“<br />
Umfeld der Tiroler Grafen („Landesausbau“),<br />
auch das warme Klima des<br />
Mittelalters drängte die Höhensiedlung nach<br />
oben. Außerdem mussten die aufstrebenden<br />
Tiroler Märkte mit Lebensmitteln und Handelsgütern<br />
(Wolle, Tuch) beliefert werden. Allein<br />
für die Schafhaltung wurden zahlreiche<br />
Schwaighöfe gegründet. Der Landhunger<br />
war groß und die Rodungstätigkeit intensiv.<br />
Ried<br />
Neben Raut gibt es auch das bekannte<br />
„Ried“ (Völser, Prösler, Lajener Ried; bei<br />
Algund, Sterzing, Freienfeld, Reischach<br />
sowie Niederrasen), das auf mittelhochdeutsch<br />
riet „Rodung, Gefilde, Ansiedlung“<br />
zurückgeht. Im Falle vom Prösler<br />
und Völser Ried handelt es sich um jüngere<br />
Streusiedlungen, im Gegensatz zur<br />
prähistorisch besiedelten Mittelgebirgsterrasse<br />
von Völs, Ums und Prösels mit den<br />
kompakten Siedlungskernen.<br />
Rungg<br />
Das romanische Pendant zu Raut lautet<br />
„Rungg“ (alpenromanisch *ronco „Rodung“<br />
< lateinisch runcare „jäten, rupfen“).<br />
Auch dieser Flurname ist häufig, bekannt<br />
ist z. B. die Sportzone Rungg in Eppan. Das<br />
Ringgele (Rünggele) unterhalb von Pinzon<br />
ist nichts anderes als eine Verkleinerung<br />
zu Rungg. Eine Bildung mit romanischen<br />
Suffixen liegt in den Namen Runggatsch<br />
(Hof in Villnöß, *ronkatšja „Großes gerodetes<br />
Gelände“), Runggun (Bergwiese in<br />
Tiers, *ronkone „Groß-Raut“), Rungganol<br />
(Waldname in Seis) sowie Runggad (Ortsteil<br />
von Brixen) vor.<br />
Das Ladinische als romanische Einzelsprache<br />
hat natürlich gleichfalls Vertreter<br />
mit dieser Wurzel: Runc, Runch, Runcata,<br />
Runcaudié (dt. Runggaldier), Runcadic<br />
(dt. Runggaditsch) u.v.m.<br />
Nofen<br />
Aus dem Romanischen stammt auch der<br />
Terminus *nov le „Neurodung“. Beispiele<br />
sind der ehemalige Hof Lafals (bei Bad Ratzes,<br />
Anlaut-Austausch /n/ > /l/), der Talname<br />
Noaf (*area nova „Neuland“; Meran)<br />
oder die beiden Noafn Welschnofen<br />
und Deutschnofen. Die Fassaner kennen<br />
Welschnofen heute noch als Neva. Im Deutschen<br />
sind Neuraut oder Neuraitl ebenfalls<br />
häufiger Flurname für die jüngsten Felder<br />
innerhalb des Hofgeländes.<br />
Johannes Ortner<br />
KulturFenster<br />
50 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
Kleinod im Kleindenkmal<br />
Eine Kreuzigungsgruppe für die Blasbichlkapelle in Rateis<br />
Die Blasbichlkapelle in Rateis mit der nun<br />
errichteten spätbarocken Kreuzigungsgruppe<br />
Fotos: Albert Innerhofer<br />
Eine Kreuzigungsgruppe zieht nun in der<br />
Blasbichlkapelle in Rateis oberhalb von<br />
Lana die Blicke der Besucher auf sich.<br />
Am alten Kirchsteig von Oberlana in Richtung<br />
Höllental und St. Pankraz steht in<br />
Rateis unterhalb des Blasbichlhofes die<br />
schlichte barocke Blasbichlkapelle. Sie ist<br />
mit Rundapsis und Kreuzgratgewölbe eine<br />
der ältesten religiösen Flurdenkmäler im<br />
Barock in dieser Gegend. Die Blasbichlkapelle<br />
dürfte der Überlieferung zufolge<br />
nach einem Gelöbnis von Georg Atzwanger,<br />
der zum Blasbichlhof hin geheiratet<br />
hatte, 1693 erbaut worden sein. Die 1999<br />
von der Gemeinde Lana restaurierte Kapelle<br />
ist letzthin, als Wanderungen eingeschränkt<br />
waren, laut dem Blasbichl-Bauern<br />
Richard Heinz wieder vermehrt von<br />
Spaziergängern aus Lana aufgesucht worden.<br />
Seit kurzem ist sie um ein Kleinod<br />
reicher. Eine spätbarocke Kreuzigungsgruppe<br />
wurde kürzlich angebracht.<br />
Das Kunstwerk war auf Vermittlung von<br />
Bezirksobmann Georg Hörwarter vom<br />
Meraner Salvatorianerinnenkloster als<br />
Leihgabe dem Heimatschutzverein Lana<br />
übertragen worden. Ziel war es, für die<br />
Kreuzigungsgruppe einen passenden<br />
religiösen Ort zu finden. Die ca. 170 cm<br />
hohe und 130 cm breite Tafelmalerei auf<br />
Holz, bestehend aus der Darstellung von<br />
Maria, Christus am Kreuz, Maria Magdalena<br />
am Kreuzfuß und Johannes sowie<br />
einem ergänzenden Zitat von Jesu in einer<br />
altdeutschen Sprache und in Fraktur<br />
gemalten Inschrift stammt wohl aus einer<br />
süddeutschen oder alpenländischen<br />
Herstellung.<br />
Albert Innerhofer, Obmann des Heimatschutzvereines<br />
Lana, vereinbarte mit<br />
dem Blasbichlhof-Bauern, die Tafelmalerei<br />
in der Kapelle am Hof anzubringen.<br />
Zunächst wurde sie aber in der Werkstatt<br />
des Restaurators Karl Christanell gereinigt<br />
und für den Aufbau im Altarraum vorbereitet.<br />
Im Marienmonat Mai gelang es<br />
dann, dieses religiöse Bildnis der Kreuzigung<br />
in die Blasbichlkapelle nach Rateis<br />
zu bringen.<br />
Albert Innerhofer<br />
KulturFenster<br />
51 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
Heimatschutzverein Lana wertet Kleindenkmal auf<br />
Den Witterungseinflüssen stark ausgesetzt<br />
und daher ziemlich in Mitleidenschaft gezogen<br />
war die Holzfigur des hl. Johannes<br />
Nepomuk beim Pschoal-Bildstock an der<br />
Ecke Kirchweg/St.-Margarethen-Weg in<br />
Mitterlana. Daher beschloss der Heimatschutzverein<br />
Lana mit Obmann Albert Innerhofer,<br />
diesen Brückenheiligen samt<br />
Bildstock renovieren zu lassen. Zunächst<br />
wurde die Holzskulptur – es handelt sich<br />
um eine vom Lananer Oskar Weiss geschnitzte<br />
Figur in Kastanienholz aus den<br />
1980er-Jahren – in der Werkstatt von Restaurator<br />
Karl Hofer gereinigt, geleimt, gekittet<br />
und neu gefasst. Einige kleinere Teile<br />
mussten ergänzt werden.<br />
Anschließend wurde der gesamte Bildstock<br />
abgespachtelt, gereinigt und mehrmals mit<br />
einem Kalkanstrich versehen. Das Gitter<br />
der Kapelle wurde mit Rostschutz verse-<br />
hen und neu gestrichen. Die Firma Gamper<br />
Dach führte zudem einige Ausbesserungsarbeiten<br />
am Kapellendach durch.<br />
Seither erstrahlt dieser Bildstock, der von<br />
Hiltraud Hofer betreut und stets mit Blumen<br />
geschmückt und an dem jährlich bei<br />
der Fronleichnams- und Herz-Jesu-Prozession<br />
jeweils ein Evangelium gehalten<br />
wird, in neuem Glanz. Die Renovierungskosten<br />
hat der Heimatschutzverein Lana<br />
übernommen.<br />
Albert Innerhofer<br />
Der erneuerte Pschoal-Bildstock bei<br />
St. Peter mit dem hl. Johannes Nepomuk<br />
Foto: Albert Innerhofer<br />
Alte Volksschule Ahornach nicht versteigern<br />
Die am Kirchplatz von Ahornach gelegene<br />
alte Volksschule soll laut Beschluss des<br />
Gemeindeausschusses von Sand in Taufers<br />
durch eine öffentliche Versteigerung<br />
verkauft werden. Der Inhalt des Beschlusses<br />
für die Interessenserhebung lässt dabei<br />
offensichtlich jeden Spielraum für einen<br />
möglichen Abbruch und Neubau zu<br />
und sieht leider keinerlei Auflagen zur zwingenden<br />
Erhaltung, Sanierung und Nutzung<br />
des Gebäudes vor.<br />
Die über 100 Jahre alte Volksschule bildet<br />
gemeinsam mit Kirche, Friedhof und<br />
Widum einen wichtigen Bestandteil des<br />
schönen Ensembles am Kirchplatz und<br />
ist außerdem durch seine jahrzehntelange<br />
Nutzung im kollektiven Gedächtnis<br />
der Ahornacher Bevölkerung stark verankert.<br />
Der Heimatpflegeverband hat deshalb<br />
im Juli an die Gemeindeverwaltung<br />
von Sand in Taufers und an die Fraktionsverwaltung<br />
von Ahornach appelliert, den<br />
Erhalt des alten Schulhauses weiterhin<br />
zu gewährleisten. Bei dessen Nutzung<br />
sollte eine möglichst mit den anderen<br />
Gebäuden dieses Ensembles kompatible<br />
Lösung angestrebt werden, wobei<br />
eine öffentliche Nutzung, z. B. als Versammlungsort,<br />
Vereinslokal, betreutes<br />
Wohnen, Nahversorgung, Dorfcafé o. ä.<br />
sehr wünschenswert wäre.<br />
Claudia Plaikner (Verbandsobfrau)<br />
Albert Willeit (Bezirksobmann)<br />
Schönes Ensemble in Ahornach: Alter Widum, Kirche, Friedhof<br />
und Altes Schulhaus<br />
(Foto: AW)<br />
Prozession mit Schulhaus – 1924<br />
KulturFenster<br />
52 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Heimatpege<br />
Heimatpflegeverein<br />
Naturns–Plaus<br />
Neues Buch über Bildhauer Oswald Krad<br />
hielt er 1651 in Mals. Dort baute er den Tabernakel<br />
auf dem Hochaltar. Dieses Werk<br />
ist nicht erhalten geblieben. Es ging 1799<br />
beim Franzoseneinfall samt der Pfarrkirche<br />
zugrunde.<br />
Danach stattete Krad die St.-Michaels-Kirche<br />
in Burgeis mit dem Hochaltar aus, der<br />
vollständig erhalten ist. Die wertvollsten Statuen<br />
sind aber derzeit aus Sicherheitsgründen<br />
deponiert.<br />
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurden<br />
auf Anordnung der geistlichen Obrigkeit<br />
in den Kirchen des Vinschgaus die<br />
Sakramentshäuschen in der Mauer gegen<br />
neue Tabernakel auf den Hochaltären<br />
ausgetauscht. Das war für einige<br />
Zeit die Hauptbeschäftigung von Oswald<br />
Krad, der sich 1657 in Latsch niederließ,<br />
Lehrlinge annahm und von hier aus seine<br />
Werke fertigte, so den Tabernakel in der<br />
St.-Peter-und-Pauls-Pfarrkirche in Latsch<br />
(ca. 1745 ersetzt) und den Tabernakel in<br />
der Spitalkirche in Latsch – auch davon ist<br />
nichts erhalten,. In der St.-Michael-Kirche<br />
in Tarsch gibt es mehrere Statuen, die von<br />
einem Tabernakel herrühren. In der St.-<br />
Peter-Pfarrkirche in Gratsch baute Krad<br />
ebenfalls einen Tabernakel, dort gibt es<br />
noch die beiden Apostel St. Petrus und<br />
Paulus, die Krad zugeschrieben werden.<br />
Vor 340 Jahren starb der Bildhauer Oswald<br />
Krad aus Naturns. Zu diesem Anlass ist eine<br />
Biografie erschienen.<br />
Oswald Krad:<br />
Altarschrein in Tschirland<br />
(1668) – der Hauptschrein<br />
enthält die Statuen des hl.<br />
Oswald von Nordthambrien,<br />
die hl. Maria Magdalena<br />
und die hl. Margareth, die<br />
seitlichen Bischöfe sind<br />
später beigesetzt worden.<br />
Im Statuentabernakel<br />
darüber ist die Muttergottes<br />
eingesetzt. Ganz oben<br />
schließt die Statue des hl.<br />
Michael das Altarwerk ab.<br />
Foto: Wieser/Schlanders<br />
Oswald Krad ist in Naturns geboren. Da<br />
das dortige Taufbuch erst 1633 beginnt,<br />
sucht man das Taufdatum vergebens. Laut<br />
der ersten schriftlichen Notiz trat er 1651<br />
in Mals als Meister auf, somit kann seine<br />
Geburt um 1620 angenommen werden,<br />
vor 400 Jahren also.<br />
Seine Ausbildung erhielt er vermutlich bei<br />
Hans Patsch, dem großen Barockmeister<br />
aus Landeck. Seinen ersten Auftrag, soweit<br />
das ausgeforscht werden konnte, er-<br />
Von den Altarwerken Krads im Vinschgau<br />
sind erhalten geblieben:<br />
➤ der genannte Altar in St. Michael in<br />
Burgeis,<br />
➤ in der St.-Remigius-Pfarrkirche in Eyrs<br />
die beiden Seitenaltäre aus der alten<br />
St. Josefs-Kirche,<br />
➤ in St. Oswald in Tschirland der großartige<br />
dreistöckige Hochaltar,<br />
➤ in St. Michael in Tarsch haben sich<br />
zahlreiche Krad-Statuen erhalten, die<br />
auch auf einen Altar schließen lassen.<br />
Um 1660 übersiedelte Krad von Latsch<br />
nach Bozen. In der Stadt selbst sind seine<br />
Arbeiten spätestens im letzten Krieg verloren<br />
gegangen. Krad starb am 16. März<br />
1681 in Bozen.<br />
An noch vorhandenen Kunstwerken des<br />
Bildhauers im Bozner Umfeld sind aufzuzählen:<br />
➤ der Altar in St. Magdalena in Rentsch,<br />
➤ der Hochaltar in St. Jakob in der Au,<br />
➤ drei Statuen in der St.-Martins-Pfarrkirche<br />
in Girlan,<br />
➤ zwei Seitenaltäre in der St.-Andreas-<br />
Pfarrkirche in Salurn,<br />
➤ die drei Altarwerke in St. Josef am<br />
Friedhof in Salurn,<br />
➤ der Altar in der Mariä-Heimsuchungs-<br />
Kapelle bei Gfrill.<br />
Zum 340. Todesjahr von Oswald Krad hat<br />
der Heimatpflegeverein Naturns–Plaus<br />
eine Biografie herausgegeben (Erarbeitung<br />
von Hermann Theiner, Latsch; Fotos: Kurt<br />
Wieser, Schlanders). Die Buchvorstellung<br />
war Ende Juli (nach Redaktionsschluss)<br />
in der St.Oswald-Kirche in Tschirland geplant.<br />
Das Buch kann über die Buchhandlungen<br />
Athesia und Alte Mühle sowie über<br />
den Obmann Hermann Wenter (Tel. 0473<br />
667046) erworben werden.<br />
Heinrich Tappeiner<br />
KulturFenster<br />
53 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hinausgeblickt<br />
Schreckgespenst<br />
kehrt zurück<br />
Neues Projekt für einen Glasturm unter<br />
dem Rosengartenmassiv<br />
Braucht es einen Glasturm, um diesen einzigartigen Rundblick zu genießen? Der Heimatpflegeverband sagt: Nein!<br />
Foto: Heimatpflegeverband<br />
Das Schreckgespenst „Glasturm unterm Rosengarten“<br />
ist zurück. Nachdem ein solcher<br />
neben der Kölner Hütte vor zwei Jahren<br />
nicht genehmigt worden war, gibt es<br />
nun ein neues Projekt. Der Heimatpflegeverband<br />
sagt: Nein, danke!<br />
Das Projekt der Latemar Karersee GmbH<br />
sieht vor, die Kölner Hütte komplett abzureißen<br />
und sie durch einen mehr als 20<br />
Meter hohen Glasturm zu ersetzen. Sieben<br />
Stockwerke, großer Restaurationsbereich<br />
mit Panoramaterrasse sowie Panoramazimmer<br />
– vom Schutzhütten-Charakter<br />
dürfte da nichts mehr übrig bleiben. Der<br />
„<br />
Der Rosengarten ist eine Attraktion<br />
an sich und braucht keine Inszenierung<br />
durch eine künstliche<br />
Landmarke.<br />
„<br />
Heimatpflegeverband Südtirol<br />
Glasturm soll zudem über unterirdische<br />
Rolltreppen, Aufzüge und Galerien mit der<br />
neuen unterirdischen Seilbahnstation einer<br />
Kabinenbahn und einem bestehenden<br />
Gastronomiebetrieb verbunden werden,<br />
wofür massive Erdbewegungen notwendig<br />
werden. Wie sensibel das Gelände in<br />
dieser Höhe ist, hat der Erdrutsch im Juli<br />
2020 bereits gezeigt.<br />
Die Alpenvereine AVS und CAI, der Dachverband<br />
für Natur- und Umweltschutz und<br />
der Heimatpflegeverband Südtirol warnen<br />
nun erneut vor der Genehmigung dieses<br />
Projektes. Bereits 2019 hatten sie sich negativ<br />
zum damals geplanten Glasturm geäußert.<br />
Denn: Der Rosengarten ist eine<br />
Attraktion an sich und braucht keine Inszenierung<br />
durch eine künstliche Landmarke,<br />
er hat bereits seinen kulturellen,<br />
spirituellen und ökologischen Eigenwert.<br />
Auch der wissenschaftliche Beirat der Stiftung<br />
Dolomiten Unesco Welterbe wertete<br />
den Turm vor zwei Jahren als massive Störung<br />
und als Fremdkörper mit negativen<br />
Auswirkungen auf den ästhetischen und<br />
touristischen Wert des Weltnaturerbes. Er<br />
sprach sich dafür aus, die bestehende Köl-<br />
ner Hütte in das Konzept einzubeziehen und<br />
einen Architekturwettbewerb auszuschreiben,<br />
um die maximale bauliche Qualität an<br />
diesem besonderen Ort zu erreichen. Zugleich<br />
machte er aber auch klar, dass es<br />
ausreiche würde, an dieser Eintrittspforte<br />
in die Dolomiten einen einfachen Informationspunkt<br />
zum Welterbe zu errichten, um<br />
auf die Schönheit und Einzigartigkeit des Dolomiten-Gebietes<br />
aufmerksam zu machen.<br />
Für die Verbände ist klar, dass auch dieser<br />
Neubau dazu dienen sollte, eine Attraktion<br />
für das Skigebiet Karersee/Carezza zu<br />
schaffen und dadurch die neue Kabinenbahn<br />
auszulasten. Dass es als PPP-Projekt<br />
– eine öffentlich-private Partnerschaft<br />
– zwischen Land und Latemar Karersee<br />
GmbH abgewickelt werden soll, wirft zudem<br />
die Frage auf, ob diese Partnerschaft<br />
im öffentlichen Interesse ist oder sich das<br />
Land damit nicht in eine riskante Abhängigkeit<br />
begibt. Ist es in Zeiten knapper öffentlicher<br />
Geldmittel sinnvoll, eine erst<br />
kürzlich sanierte Hütte abzureißen, um<br />
sie durch einen 13 Millionen teuren Glasturm<br />
zu ersetzen?<br />
Heimatpflegeverband Südtirol<br />
KulturFenster<br />
54 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
getragen<br />
Lindas Krönchen<br />
Kostbare Ghërlanda spiza zur<br />
Jungmädchentracht<br />
Man sieht es der kleinen Linda auf dem Foto an, wie stolz sie darauf ist, zu<br />
ihrer wunderschönen Grödner Tracht die Ghërlanda spiza tragen zu dürfen.<br />
Und das mit Recht, ist dieses fi ligrane Krönchen doch etwas vom Feinsten,<br />
das die Südtiroler Trachtenlandschaft zu bieten hat.<br />
Lange Tradition<br />
Der Brauch, den Kopf von Jungfrauen mit Blumenkranz, Perlenreif, Bändern<br />
oder Krönchen zu schmücken, reicht weit in die Geschichte zurück.<br />
So auch, wenn es sich um die Gottesmutter Maria handelt. Bei der berühmten<br />
„Rosenkranz-Madonna“ von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1506 halten beispielsweise<br />
zwei Putten eine goldene Krone über ihrem Haupt. Auch bei uns<br />
ist in so manchem Wallfahrtsort das Gnadenbild mit einer Krone geschmückt.<br />
Verlobungsgeschenk<br />
Grundsätzlich sollten nur junge Mädchen einen fl orealen Kopfschmuck<br />
tragen. Es ist ein Ausdruck der Jungfräulichkeit und wurde ursprünglich<br />
nur bei besonderen Anlässen wie Erstkommunion, Hochzeit oder bei<br />
religiösen Prozessionen getragen. Auch bei der Ghërlanda spiza ist das<br />
nicht anders. Das kostbare Krönchen war gerne das Verlobungsgeschenk<br />
des Bräutigams an die Braut. Am Hochzeitstag trug sie dieses dann zum<br />
letzten Mal. Oft wurde die Ghërlanda spiza in der Familie weiter vererbt.<br />
Kunstvolles Handwerk<br />
Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei der Ghërlanda spiza um ein<br />
spitz zulaufendes, kegelförmiges Gebilde, das aus eng aneinander gereihten<br />
Blüten und feinen, frei abstehenden Elementen aus feinster Klosterarbeit besteht.<br />
So an die 40 Blüten braucht es schon, kleinere und größere. Jede Blüte<br />
ist anders. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, aus goldenem Filigrandraht,<br />
Glasperlen, Pailletten und allerhand Flitterwerk ornamentale Blumen mit einem langen<br />
Stängel herzustellen. Mit Goldpapier umwickelt, werden die Blütenstiele dann<br />
wie Äste um einen Mittelstamm herum befestigt.<br />
Alter Volksglaube<br />
Am Kopf befestigt wird das Krönchen durch eine mit Klebesamt, Goldborten und<br />
Blüten reich verzierte Kartonrolle, an der die langen Bänder fi xiert werden. Diese<br />
werden unter dem Haarknoten gebunden und fallen über den Rücken hinab. Und<br />
wenn dann bei jeder Kopfbewegung die glitzernden, bunten Glasperlen an den feinen<br />
Goldfäden zittern, dann wehren sie nach altem Volksglauben den „Bösen<br />
Blick“ von der Trägerin ab.<br />
Agnes Andergassen<br />
ARGE Lebendige Tracht<br />
KulturFenster<br />
55 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Wie geht es der Chorszene?<br />
Auch wenn sich die Pandemie abzuauen scheint,<br />
zeigen verschiedene Studien, dass sie für die Chorszene<br />
nicht ohne Folgen bleibt.<br />
KulturFenster<br />
56 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
hervorgehoben<br />
Motivationsverlust und<br />
Auflösungserscheinungen<br />
Umfragen zur Situation der Chöre im deutschen Sprachraum<br />
Die Corona-Lage scheint sich langsam zu beruhigen,<br />
die Chöre proben wieder. Doch die<br />
Corona-Krise ist an den Chören nicht spurlos<br />
vorüber gegangen. Das zeigen Umfragen<br />
bei den Chören in der Bundesrepublik<br />
Deutschland, die u.a. der Allgemeine Cäcilienverband<br />
und die internationale Vereinigung<br />
Pueri Cantores im Oktober 2020 in<br />
Auftrag gegeben haben, wie die deutsche<br />
Zeitschrift „Chorzeit“ berichtet.<br />
Ziel war es zu erfassen, wie sich die Krise<br />
auf die Chorszene auch mittel- und langfristig<br />
auswirken wird. Rund 1200 Chöre<br />
der beiden Vereinigungen haben Rückmeldung<br />
gegeben. Auffällig war, dass nur<br />
vier Prozent der Chöre digital geprobt haben.<br />
44 Prozent gaben an, überhaupt nicht<br />
geprobt zu haben. Geprobt wurde – sobald<br />
dies wieder möglich wurde – in der Kirche<br />
oder im Probenraum. Nur ein kleiner Teil<br />
probte im Freien bzw. in zusätzlich angemieteten<br />
Probenräumen.<br />
Dass die Corona-Krise nicht nur das Chorleben<br />
zeitweise lahmlegt, sondern auch die<br />
Freude an der Probe bzw. die „Probendisziplin“<br />
beeinträchtigt, ist eine berechtigte<br />
Sorge. So ergaben die Umfragen, dass nicht<br />
einmal die Hälfte der Chöre eine regelmäßige<br />
und vollständige Teilnahme der Sänger<br />
und Sängerinnen aufwiesen. Bei 20 Prozent<br />
lag die Teilnahme sogar unter 40 Prozent.<br />
Große Auswirkung -<br />
vor allem auf Jugendchöre<br />
Vor allem bei den Nachwuchschören nahm laut einer aktuellen Studie die Mitgliederzahl<br />
stark ab.<br />
Wie „Chorzeit“ berichtet, ergab auch eine<br />
Studie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt<br />
und des Carus-Verlags,<br />
die im Mai <strong>2021</strong> vorgestellt wurde, ähnliche<br />
Ergebnisse. Bei dieser Studie wurden<br />
über 4.400 Chöre aus Deutschland, Österreich<br />
und der Schweiz befragt. Die Studie<br />
erfolgte im März <strong>2021</strong>, also noch mitten<br />
in der Krise. Die Studie ergab, dass nur<br />
ein Drittel der Chöre ihre Mitglieder halten<br />
konnte. Viele Chöre gab es nicht mehr: Jeder<br />
achte der über 500 befragen Jugendchöre<br />
hatte sich aufgelöst. Dies kann man<br />
sich einerseits durch die besondere Eigenart<br />
von Jugendchören erklären, bei denen<br />
oft die soziale Komponente eine besonders<br />
große Rolle spielt, die durch den Stillstand<br />
nicht mehr gegeben war. Außerdem sind<br />
Jugendchöre schon von ihrer Natur her<br />
einem ständigen Mitgliederwechsel ausgesetzt,<br />
was für die Stabilität des Chores nicht<br />
förderlich ist. Man muss hier allerdings betonen,<br />
dass diese Studien Momentaufnahmen<br />
der Krisensituation sind. Ob sich viele<br />
diese Chöre wieder neu gründen, kann man<br />
noch nicht sagen.<br />
Großes Problem -<br />
der Motivationsschwund<br />
Das große Problem der Corona-Krise – so<br />
zeigen alle Studien – war der Motivationsschwund.<br />
Viele Chöre und Sänger und Sängerinnen<br />
holen ihre Motivation vom Auftritt,<br />
vom Konzert her – darauf arbeitet man hin.<br />
Wenn diese Konzerte nicht stattfinden können,<br />
fehlt bei vielen auch die Energie, regelmäßig<br />
zu proben. Über die Hälfte der<br />
befragen Chöre bewerteten die mentale Verfassung<br />
ihres Chores als negativ. 28 Prozent<br />
sahen die Situation weder positiv noch<br />
negativ, 12 Prozent zeigten sich sogar zufrieden.<br />
Die Studie der Universität Eichstätt<br />
ergab auch, dass nur knapp die Hälfte der<br />
Chöre digitale Proben durchführte. Insgesamt<br />
fi elen – nach einer Studie des Bundesmusikverbandes<br />
Chor und Orchester -<br />
beim Großteil der Chöre rund drei Viertel aller<br />
Proben aus. Nur 0,9 Prozent der Chöre gab<br />
an, dass keine Probe seit Pandemiebeginn<br />
ausgefallen ist. 53 Prozent gaben in dieser<br />
Studie an, in Kleingruppen zu proben, sehr<br />
viele davon im Freien. (55 Prozent).<br />
Große Verunsicherung in der<br />
gesamten Chorlandschaft<br />
„Chorzeit“ zieht aus diesen Umfragen im<br />
deutschsprachigen Raum, die sicher in der<br />
grundsätzlichen Aussage auch auf Südtirol<br />
übertragen werden können, den Schluss:<br />
„Die Chorszene ist zutiefst verunsichert“.<br />
KulturFenster<br />
57 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong><br />
57
hervorgehoben<br />
Das Problem bestand vor allem in der Planungsunsicherheit.<br />
Mitgliederschwund und<br />
auch Qualitätsverlust seien weitere Folgen,<br />
die man mittel- und langfristig berücksichtigen<br />
müsse und denen man sich in der<br />
kommenden Zeit aktiv stellen muss. Vor<br />
allem Jugendchöre beklagen einen Mitgliederschwund.<br />
Mehr als die Hälfte der Chöre<br />
geht davon aus, dass sie „nach der Pandemie<br />
schlechter singen.“ Insgesamt ergaben<br />
die Studien auch ein weiteres Problem:<br />
Trotz verschiedener Ansätze, „im Internet“<br />
aufzutreten, fanden die meisten Chöre nicht<br />
wirklich neue Formate und Wege, eine virtuelle<br />
Konzerttätigkeit zu entfalten. „Das<br />
Amateurmusikleben kann nur live stattfinden“<br />
– so könnte man die Einstellung vieler<br />
Sänger*innen zusammenfassen. Experten<br />
sehen so die Chöre als „absolute<br />
Pandemieverlierer“. Dazu kämen noch die<br />
fi nanziellen Sorgen. Das betrifft vor allem<br />
auch die Chorleiter*innen, die als Freiberufler<br />
arbeiten und auf das Honorar angewiesen<br />
sind. Der Deutsche Musikrat befragte<br />
dazu im Musikleben Tätige: Jene,<br />
die im künstlerischen Bereich tätig waren,<br />
erlitten Einbußen von mehr als 60 Prozent.<br />
38 Prozent erhielten staatliche Hilfen, die<br />
übrigen mussten auf Spenden und Ersparnisse<br />
zurückgreifen.<br />
Laut „ChoCo“-Studie der Universität Eichstätt-Ingolstadt (Stand März <strong>2021</strong>)<br />
Große Chance – Freude am<br />
Singen wird bleiben<br />
Folgen dieser wirtschaftlichen Krise in der<br />
Musikbranche war die Verlagerung der Tätigkeit<br />
in den virtuellen Bereich, aber auch<br />
die Schließung von Veranstaltungsorten<br />
und insgesamt die „Erosion des Amateurmusiklebens“,<br />
wie „Chorzeit“ schreibt. Allerdings<br />
verweisen andere Studien auch<br />
auf eine positive Zukunft: Eine Studie des<br />
Deutschen Musikinformationszentrums,<br />
die sich auf 1.208 Befragte stützt. Es geht<br />
in dieser Studie grundsätzlich um die Bedeutung<br />
des Singens in Deutschland: 40<br />
Prozent der Amateurmusizierenden ab 16<br />
Jahren singen, 56 Prozent der Frauen, 24<br />
Prozent der Männer. „Deutschland ist also<br />
ein Land der Sänger*innen“. Die Freude am<br />
Singen, so die Folgerung, kann nicht einfach<br />
verschwinden. Sie ist zu sehr in der Bevölkerung<br />
verankert. Auch dieser Punkt – so<br />
darf man mit dem Blick auf die verwurzelte<br />
Chorkultur bei uns wohl behaupten – kann<br />
auf Südtirol übertragen werden. Allerdings<br />
wird es Anstrengungen brauchen, um Gemeinschaftsgefühl,<br />
Motivation und Qualität<br />
neu zu schaffen und zu fördern.<br />
Laut einer Studie des Bundesmusikverbands „Chor und Orchester e. V. (Stand Dezember 2020)<br />
Laut „ChoCo“-Studie der Universität Eichstätt-Ingolstadt (Stand März <strong>2021</strong>)<br />
KulturFenster<br />
58 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Jung+<br />
Stimmgewaltig<br />
Die Bedeutung der Musik<br />
Die Schülerin Pauline Feichter gewann mit einem Thema zur Musik<br />
den Südtiroler Jugendredewettbewerb<br />
„Der Entschluss, am Südtiroler Jugendredewettbewerb<br />
teilzunehmen, war eher ein<br />
spontaner“, erzählt Paulines Vater Stefan<br />
Feichter, der dem <strong>Kulturfenster</strong> von dieser<br />
interessanten Erfahrung berichtet,<br />
weil seine Tochter gerade auf einer Sommer-Erlebniswoche<br />
ist. Die Anregung zur<br />
Teilnahme kam von der Schule, der Mittelschule<br />
St. Johann in Ahrntal, wo Pauline<br />
die dritte Klasse besuchte. „Pauline ist<br />
ein neugieriger Charakter, der Herausforderungen<br />
liebt“. Da der Anmeldeschluss<br />
kurz bevorstand, musste sie sich schnell<br />
entscheiden. Es war auch das erste Mal,<br />
dass die Mittelschulen an dem Wettbewerb<br />
teilnehmen konnten.<br />
„Das Thema zum Redewettbewerb war eher<br />
eine Bauchentscheidung“, erzählt Paulines<br />
Vater. „Pauline hat das Thema gewählt, weil<br />
sie über etwas reden wollte, zu dem sie einen<br />
persönlichen Bezug, eigene Erfahrungen<br />
und eine feste Überzeugung hat und nicht<br />
nur auf Recherchen angewiesen ist.“ Das<br />
Thema war nicht vorgegeben, musste jedoch<br />
vor dem Wettbewerb bereits feststehen<br />
und mitgeteilt werden. Die Kategorie<br />
war „Klassische Rede“ für die 8. Schulstufe<br />
(Österreich), an der die 3. Mittelschulen aus<br />
Südtirol teilnehmen konnten. Der Landeswettbewerb<br />
sollte eigentlich Ende April in<br />
Präsenz in Bozen stattfinden. Pauline war<br />
zum vorgegebenen Termin in Quarantäne<br />
und konnte so nur Online teilnehmen. Als<br />
Siegerin des Landeswettbewerbs konnte sie<br />
am Bundeswettbewerb teilnehmen. Dieser<br />
fand in St. Pölten statt und war als reine<br />
Onlineveranstaltung angesetzt. Die Rede<br />
musste jene sein, mit welcher der Landeswettbewerb<br />
gewonnen wurde.<br />
KulturFenster<br />
59 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Wie wichtig es ist, Musik zu machen<br />
Jeder Mensch ist ein Musiker –<br />
Nur hast Du vielleicht Dein Instrument noch nicht entdeckt.<br />
Sehr geehrte Jury, sehr geehrtes Publikum.<br />
Mein Name ist Pauline Maria Feichter, ich<br />
bin 13 Jahre alt und besuche die 3. Klasse<br />
der Mittelschule St. Johann im Ahrntal.<br />
Schon seitdem ich denken kann, begleitet<br />
mich Musik. Ich bin damit aufgewachsen.<br />
Mit vier Jahren besuchte ich zum ersten<br />
Mal den Musikunterricht und erlerne bis<br />
heute verschiedene Instrumente. Ich bin<br />
mir sicher, dass auch Sie schon mal darüber<br />
nachgedacht haben, was für eine wichtige<br />
Rolle Musik in unserem Leben spielt.<br />
In jedem Lokal, in jedem Auto, in jedem<br />
Bus, in jedem Videospiel und jedem Film<br />
hört man Musik. Musik ist so gut wie überall<br />
anzutreffen, aber Musik ist noch so viel<br />
mehr als ein netter Zeitvertreib. Und deshalb<br />
möchte ich Ihnen heute zeigen, wie<br />
wichtig es ist, selbst Musik zu machen,<br />
also ein Instrument zu erlernen.<br />
Ich bin überzeugt davon, dass jeder von<br />
Ihnen, vielleicht auch heimlich, bei einem<br />
Lied mitgesungen hat. Wie haben Sie sich<br />
dann gefühlt? Ich kann nur aus eigener Erfahrung<br />
sprechen, dass das Singen und<br />
Musizieren meine Gefühle verstärkt. Wenn<br />
ich zum Beispiel mal Streit habe, oder einfach<br />
mies gelaunt bin, kann ich das beim<br />
Musizieren rauslassen. Mich stört dann niemand<br />
und manchmal habe ich sogar das<br />
Gefühl, dass ich nicht allein bin.<br />
Musik kann Balsam für die Seele sein,<br />
und sie fördert, wie ich bei einer Recherche<br />
herausgefunden habe, auch die geistige<br />
und soziale Entwicklung von Kindern<br />
und uns Jugendlichen. Aber auch erwachsene<br />
Menschen profitieren vom Musizieren.<br />
Man bekommt einen freien Kopf und<br />
Glückshormone werden freigesetzt. Aber<br />
um dies zu erreichen ist es wichtig, dass<br />
man aktiv Musik macht. Man kann es gut<br />
mit Sport vergleichen. Nur das Zuschauen<br />
bei einer sportlichen Aktivität ist auch zu<br />
wenig, um ins Schwitzen zu kommen. Öfters<br />
habe ich schon gehört, dass Menschen<br />
deshalb keine Musik machen, da sie denken,<br />
sie seien unmusikalisch. Wenn Sie das<br />
auch von sich denken, liegen sie höchstwahrscheinlich<br />
falsch. Nur die allerwenigsten<br />
Menschen sind wirklich unmusikalisch.<br />
Könnte es nicht auch sein, dass Sie durch<br />
die Perfektion, die einem überall präsentiert<br />
wird, an sich selbst zweifeln und glauben,<br />
wenn es nicht genau so klingt, dass<br />
es nicht gut genug sei? Das Wichtigste ist<br />
einfach, das man es probiert!<br />
„Wir haben schon so viel um die Ohren, dass<br />
für ein Instrument keine Zeit bleibt“, und<br />
„wir haben schon so viel Stress<br />
in der Schule“, sind keine Argumente,<br />
um nicht Musik zu machen.<br />
Nein, ganz im Gegenteil.<br />
Das Spielen eines Instrumentes<br />
baut, wie ich herausgefunden<br />
habe, Stress auf natürliche Art<br />
und Weise ab und fördert gleichzeitig<br />
das Gehirn, ohne dieses<br />
zu belasten. Das hat zur Folge,<br />
dass musizierende Schüler in<br />
der Schule bessere Leistungen<br />
bringen als ihre nicht musizierenden<br />
Mitschüler. Dies wurde in<br />
mehreren Studien und Untersuchungen<br />
bestätigt, die sich nicht<br />
widersprechen. Je öfter und intensiver<br />
junge Menschen Musik<br />
machen, desto besser sind die<br />
schulischen Leistungen. Und<br />
mehr noch... die Schülerinnen,<br />
die schon seit mehreren Jahren<br />
ein Instrument spielen, sind nicht<br />
musizierenden Schülerinnen im<br />
Durchschnitt ein ganzes Schuljahr<br />
voraus (Martin Guhn). Es ist<br />
natürlich klar, dass das Erlernen<br />
eines Instrumentes nicht immer<br />
nur Spaß macht. Durchhaltevermögen und<br />
Geduld gehören einfach dazu und werden<br />
durch das Üben gefördert.<br />
Besonders am Anfang braucht man die<br />
Unterstützung der Eltern und der Musiklehrer.<br />
Wenn man diese Hürde überwindet,<br />
kann man mit Stolz auf die vergangene<br />
Zeit zurückblicken und man hat<br />
ein echtes Glücksgefühl. Dadurch wird<br />
auch das Selbstvertrauen gestärkt, da<br />
man weiß, dass man so was schon mal<br />
geschafft hat. Nach den nun genannten<br />
Gründen, warum man ein Instrument erlernen<br />
sollte, komme ich zum, von mir aus<br />
gesehen wichtigsten und schönsten Punkt.<br />
Das Musizieren verleiht einem eine neue<br />
Lebenseinstellung, die man mit vielen netten<br />
Gleichgesinnten teilt. Fast ausnahmslos<br />
jeder Musiker ist denselben Weg gegangen.<br />
Vom ersten Ton an bis zum Spielen in<br />
der Gruppe. Man teilt so viele gemeinsame<br />
Erfahrungen und das gibt einem Kraft und<br />
stärkt das Gemeinschaftsgefühl.<br />
Das Wichtigste ist einfach, dass man es<br />
versucht, und es nicht bei der ersten kleinen<br />
Hürde aufgibt. Auch ich bin heute<br />
hier, um etwas Neues zu versuchen. Die<br />
Herausforderung hat mich gereizt und ich<br />
bin dankbar, dass ich neue Erfahrungen<br />
habe sammeln dürfen.<br />
Und nun noch ein kleiner Gedankenanstoß<br />
... Es heißt, dass Musik die stärkste<br />
Magie sei. Doch warum folgen wir der Magie<br />
von anderen, wenn wir unsere eigene<br />
produzieren können ...<br />
Oder wie schon Gustav Mahler sagte: „Das<br />
beste in der Musik steht nicht in den Noten.“<br />
KulturFenster<br />
60 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Steckbrief Pauline Maria Feichter<br />
Pauline ist am 23. <strong>August</strong><br />
2007 in Wien geboren,<br />
wohnt in Luttach im Ahrntal<br />
und ist die Älteste von<br />
drei Geschwistern.<br />
Neben Reiten, Lesen, Malen<br />
ist vor allem die Musik ihre<br />
Lieblingsbeschäftigung: Sie<br />
spielt verschiedene Blockfl<br />
öten, Hackbrett, Horn (1.<br />
Preis beim Österreichischen<br />
Bundeswettbewerb Prima la<br />
Musica 2019 in Klagenfurt),<br />
Gitarre, singt im Schulchor<br />
der Musikschule und nahm<br />
regelmäßig an den Gesangwochen<br />
des Chorverbandes<br />
in Tisens bis 2019 teil.<br />
Ihre Vokalausbildung erhält<br />
sie an der Musikschule Bruneck<br />
(Klasse Oberschmied-<br />
Sattler-Öttl), ist Mitglied der<br />
„Teldra Soatngsonggietschn“ (Volksmusikgruppe)<br />
und Mitglied der Musikkapelle<br />
Luttach (Horn). Mit den „Teldra<br />
Soatngsonggietschn“ nahm sie mit Auszeichnung<br />
am Alpenländischen Volksmusikwettbewerb<br />
2018 teil; ebenso mit<br />
Der Landesjugenchor<br />
Mit dem Horn gewann sie den<br />
1. Preis beim Österreichischen<br />
Bundeswettbewerb „Prima la<br />
Musica“ 2019 in Klagenfurt.<br />
Auszeichnung am Tiroler Volksliedwettbewerb<br />
2019. Pauline<br />
singt dauernd und das schon<br />
von Kindesbeinen an. Chorerfahrung<br />
hat sie im Schulchor<br />
(mit einem Projekt in Form<br />
eines Musicals meist am Ende<br />
des Schuljahres), und bei den<br />
Kindersingwochen in Tisens<br />
sowie vor allem in Kleingruppen<br />
gesammelt. An der Gesangswoche<br />
in Tisens gefiel<br />
ihr vor allem das Singen und Musizieren<br />
mit Gleichgesinnten, das abwechslungsreiche<br />
Musikangebot und das Erlebnis<br />
mit Gleichaltrigen.<br />
Teldra Soatngsoggietschn Erl: Die Namen<br />
von groß bis klein (Körpergröße): Leah<br />
Maria Huber, Esther Maria Huber, Paula<br />
Marie Stocker, Pauline Maria Feichter<br />
KulturFenster<br />
61 04 <strong>August</strong> <strong>2021</strong>
SCV-Intern<br />
Die teilnehmenden Jugendlichen<br />
Die Katzen sind los<br />
„Die Katzen sind los!“ So lautete das Motto<br />
der Musicalwoche für Kinder und Jugendliche<br />
zwischen 12 und 18 Jahren, die vom<br />
5. bis zum 11. Juni im Haus der Familie in<br />
Lichtenstern stattfand.<br />
Musicalwoche in Lichtenstern<br />
Thema der Musicalwoche war „Cats“ von<br />
Andrew Lloyd Webber – eines der erfolgreichsten<br />
Musicals aller Zeiten. Am Kurs<br />
nahmen in diesem Jahr 39 Jugendliche<br />
teil, sechs Buben und 33 Mädchen. Gemeinsam<br />
mit vier Referenten unter der Leitung<br />
des Chorleiters und Musikpädagogen<br />
Christian Stefan Horvath aus Wien entwickelten<br />
sie Geschichten und Choreographien<br />
und versetzten sich körperlich und<br />
tänzerisch in die Welt der Katzen. Dabei<br />
war die Musicalwoche auch heuer wieder<br />
eine Einheit von Gesang, Tanz und Freizeiterlebnis.<br />
Horvath, der die Woche bereits<br />
zum 12. Mal leitet, war auch heuer<br />
beeindruckt vom musikalischen und tänzerischen<br />
Niveau der Teilnehmenden.<br />
Unterstützt wurde der Kursleiter von<br />
weiteren erfahrenen Musikpädagogen,<br />
vom Theaterpädagogen und Regisseur<br />
Harald Volker Sommer, vom musikalischen<br />
Assistenten Martin Listabarth,<br />
Vocalcoach Max Gaier und Instrumentalist<br />
Johannes Bruckner. Horvath und<br />
sein Team verfolgten auch heuer das<br />
Ziel, bei den Teilnehmenden die Freude<br />
am künstlerischen Ausdruck, Tanz und<br />
Bewegung zu fördern und zugleich auch<br />
musikalisch gute Ergebnisse zu erzielen.<br />
„Fordern, aber nicht überfordern“ lautete<br />
die Devise.<br />
KulturFenster<br />
62 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Chorwesen<br />
Auch der Spaß kam nicht zu kurz.<br />
Das Referenten- und<br />
Betreuerteam<br />
Eindrücke der<br />
Musicalwoche<br />
in Lichtenstern<br />
Die Jugendlichen agierten auf einem sehr hohen<br />
musikalischen und tänzerischen Niveau.<br />
KulturFenster<br />
63 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
SCV-Intern<br />
Sommer, Sonne, Sonnenschein<br />
Kindersingwoche des Südtiroler Chorverbands<br />
Unter dem Motto „Sommer, Sonne, Sonnenschein“<br />
fand heuer die Kindersingwoche<br />
statt – und 30 Mädchen zwischen 9 und 14<br />
Jahren haben sich angemeldet und mit Begeisterung<br />
daran teilgenommen.<br />
Die Woche fand vom 27. Juni bis 3. Juli<br />
im Vinzentinum in Brixen statt. Die Kinder<br />
sangen in der Kleingruppe, im großen<br />
Chor oder probierten sich an Solostücken.<br />
Ein erfahrenes Team von sechs Referenten<br />
gab den Teilnehmenden Tipps rund um die<br />
Stimme und erarbeitete mit den Kindern<br />
tolle Choreographien: Kursleiter Michael<br />
Feichter wurde von Mathias Krispin Bucher,<br />
Sophei Eder, Lukas Erb, Andrea Oberparleiter<br />
und Daniel Renner unterstützt. Im Modul<br />
„Song-Recording“ konnten Interessierte ihren<br />
eigenen Song aufnehmen. Für Tanzinteressierte<br />
gab es Workshops im Angebot.<br />
Drei Betreuer*innen gestalteten mit den Kindern<br />
die Freizeit. Kursleiter Michael Feichter<br />
leitet die Kindersingwoche bereits seit 2010<br />
mit viel Begeisterung und Einsatz. Der Musikpädagoge,<br />
Sänger und Schlagzeuger will<br />
bei den Kindern vor allem die Freude am<br />
Singen und Tanzen fördern. Dass Freude<br />
und Begeisterung, aber auch ein hohes<br />
Maß an Können erreicht wurde, zeigte die<br />
Abschlussveranstaltung, bei der die Mädchen<br />
als Chor und Solisten auftraten, tolle<br />
Choreographien vom Hip-Hop bis zur Klassik<br />
aufführten und auch schauspielerische<br />
Elemente einfließen ließen. Die große Vielfalt<br />
und die Offenheit für die Individualität<br />
der Jugendlichen zeigte sich auch in<br />
den eingespielten Songs, die das Potential<br />
der Teilnehmenden zeigen und auf beeindruckende<br />
Weise den Wert dieser Fortbildungen<br />
hörbar machen, nämlich die<br />
Jugendlichen in ihren Fähigkeiten zu fördern.<br />
Vielfalt gab es auch in den Werken,<br />
von südafrikanischen und alpenländischen<br />
Volksliedern über Gospels bis „Walking on<br />
Sunshine“ tauchten die Mädchen in die<br />
verschiedensten Bereiche des Liedes ein.<br />
Der Leiter der Kindersingwoche Michael Feichter in Aktion.<br />
Daniel Renner, ein Fachmann für Tanz- und<br />
Choreographie<br />
Songrecording mit Mathias Bucher<br />
Das Konzert gibt es zu sehen<br />
und zu hören unter:<br />
https://youtu.be<br />
/XjfLZAdJ3wE<br />
KulturFenster<br />
64 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
Chorwesen<br />
„Jedes Jahr eine Freude!“<br />
Kursleiter Michael Feichter freut sich über die gelungene Kindersingwoche<br />
Kursleiter Michael Feichter leitet die Kindersingwoche<br />
bereits seit 2010. Der Musikpädagoge,<br />
Sänger und Schlagzeuger ist<br />
mit dem Erfolg der Kindersingwoche zufrieden,<br />
auch wenn beim Abschlusskonzert das<br />
Publikum gefehlt hat.<br />
KulturFenster: Wie war dein Gefühl in der<br />
Planungsphase?<br />
Michael Feichter: Natürlich gab es eine Zeit<br />
der Unsicherheit, Diskussionen über die Art<br />
und Weise der Umsetzbarkeit. Der Chorverband<br />
hat uns aber sehr früh klar gemacht,<br />
dass die Durchführung der Singwoche –<br />
unter Einhaltung eines Sicherheitsprotokolls<br />
– für diesen Sommer ganz klares Ziel ist.<br />
Mit dem Vinzentinum haben wir ein Haus<br />
gefunden, das uns von der Größe und den<br />
Dimensionen einen reibungslosen Ablauf<br />
ermöglicht hat. Ich würde zusammenfassend<br />
sagen, dass die Planungsphase bei<br />
mir von großer Vorfreude geprägt war, den<br />
Kindern heuer wieder eine Sommerwoche<br />
anbieten zu können.<br />
KF: Was waren die inhaltlichen Schwerpunkte?<br />
Feichter: In diesem Jahr hat sich alles um<br />
das Thema „Sommer, Sonne, Sonnenschein“<br />
gedreht. Vom Jägerchor bis zum<br />
Pop-Sommerhit war alles dabei. Wer wollte,<br />
konnte seinen eigenen Sommerhit komponieren<br />
und aufnehmen. Die Woche war auf<br />
Workshop-Basis aufgebaut. Jede Teilnehmerin<br />
konnte aus einem Pool von Kursen<br />
rund um die Stimme auswählen. Das Abschlusskonzert<br />
war eine Zusammenfassung<br />
der einzelnen Workshops. Für die<br />
Stimme wurde Einzelstimmbildung, Singen<br />
in Kleingruppen (Musical, Jazz, Gospel,<br />
Volkslied), Mikrofontechnik und Singen<br />
im Chor angeboten. Im Bereich Tanz<br />
lernten die Mädchen Hip-Hop und Choreographien.<br />
Mit den Workshops Songwriting<br />
und Songrecording wollten wir die Kreativität<br />
der Kinder fördern.<br />
Ein besonderes Augenmerk legen wir auf<br />
die frühe Förderung des mehrstimmigen<br />
Singens und das Kennenlernen der Literatur<br />
aus verschiedenen Genres. Wir arrangieren<br />
falls notwendig die Stücke so, dass<br />
sie gut singbar sind.<br />
KF: Wie war die Stimmung bei dir und<br />
dem Team? Wie war die Zusammenarbeit<br />
Feichter: Das Referententeam setzt sich<br />
aus Sänger*innen, einem Tänzer und<br />
einem Singer-Songwriter zusammen,<br />
die neben ihren fachlich Fähigkeiten<br />
auch noch ein sehr gutes Gespür<br />
dafür mitbringen, dass sich jeder<br />
und jede in den Kursen wohlfühlt.<br />
Teilweise kennen wir uns noch aus<br />
unserer Studienzeit, und wir freuen<br />
uns jedes Jahr auf ein Wiedersehen.<br />
Das überträgt sich auch auf die Teilnehmer.<br />
Als Team sind wir mittlerweile<br />
sehr eingespielt und man könnte sagen,<br />
wir verstehen uns blind. Das gilt übrigens<br />
auch für das Betreuer*innen-Team.<br />
KF: Wie war die Stimmung bei den Mädchen?<br />
Feichter: Nachdem wir heuer zum ersten<br />
Mal seit Jahren keine Buben bei der Singwoche<br />
dabei hatten, waren die Mädels sozusagen<br />
unter sich, und ich muss sagen,<br />
die Stimmung war super. Allerdings ist es<br />
ein ganz klares Ziel, bei der nächsten Singwoche<br />
wieder Buben dabeizuhaben, was<br />
auch für die Gruppendynamik gut wäre.<br />
KF: War das Coronavirus ein ständiges<br />
Thema?<br />
Feichter: Das Coronavirus hat uns im<br />
Grunde nur an zwei Tagen beschäftigt:<br />
Am Sonntagabend bei der Ankunft und<br />
am Mittwoch, wo wir alle einem Nasenflügeltest<br />
unterzogen wurden. Ansonsten<br />
konnten wir uns als geschlossene Gruppe<br />
im Vinzentinum frei und ohne Maske und<br />
Abstandspflicht bewegen. Das hat allen<br />
sehr gutgetan.<br />
Michael Feichter, Leiter der Kindersingwoche<br />
des SCV<br />
KF: Wie hast du die Woche erlebt? Was<br />
war besser bzw. schlechter im Vergleich<br />
zu anderen Jahren?<br />
Feichter: Ich würde sagen, es war nichts<br />
besser oder schlechter. Es waren einige Sachen<br />
einfach anders. Eine unserer Stärken<br />
ist die Flexibilität. Der größte Unterschied<br />
war das Haus – heuer fand die Kindersingwoche<br />
nicht in Tisens, sondern im Vinzentinum<br />
statt - vor dem aufgrund seiner Größe<br />
doch viele Kinder ziemlich Respekt hatten.<br />
Die Räume und auch die Gänge sind<br />
grundsätzlich eher dunkel und durch die<br />
Größe ist die Gruppe sehr weit auseinandergezogen,<br />
hatte weite Wege zu machen<br />
usw. Vielleicht hat diese Tatsache bei einigen<br />
Teilnehmerinnen das Heimweh diesmal<br />
besonders stark aufkommen lassen.<br />
Für unsere Gruppengröße und für die gewohnt<br />
familiäre Atmosphäre ist Tisens vielleicht<br />
besser.<br />
KF: Wie würdest du die Woche in einem<br />
Satz beschreiben?<br />
Feichter: Spritzig, fröhlich, vielseitig, länderübergreifend!<br />
– Jedes Jahr eine Freude!<br />
KF: Wie hast du den Abschluss erlebt?<br />
Feichter: Das Konzert haben wir ohne Publikum<br />
aufgenommen und auf YouTube<br />
gestreamt, was für alle eine neue Erfahrung<br />
war.<br />
Der Abschluss war so natürlich anders<br />
als in den letzten Jahren, und man muss<br />
eines ganz klar sagen: Uns hat das Publikum<br />
gefehlt. Es hat die Vorfreude, der<br />
Lärm des Publikums vor dem Konzert gefehlt,<br />
vielleicht auch ein bisschen die gesunde<br />
Angespanntheit und das Prickeln,<br />
wenn sonst Eltern im Publikum sitzen. In<br />
diesem Sinne hoffen wir im nächsten Jahr<br />
wieder auf ein öffentliches Abschlusskonzert<br />
mit Publikum.<br />
KulturFenster<br />
65 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
SCV-Intern<br />
Kultur- und Naturerlebnis in Ulten<br />
Alpenländische Sing- und Wanderwoche<br />
Die Teilnehmer*innen stimmen sich auf einen schönen Sing- und Wandertag ein.<br />
Heuer fand wieder die beliebte Alpenländische<br />
Sing- und Wanderwoche statt, und<br />
zwar vom 27. Juni bis 4. Juli in Ulten. 31<br />
Teilnehmer*innen kamen nach St. Nikolaus<br />
in Ulten, um dort unter der Leitung<br />
von Ernst Thoma und Chorleiterin Verena<br />
Gruber gemeinsam zu wandern, zu singen<br />
und die Gemeinschaft zu pflegen.<br />
Freilich gab es coronabedingt Änderungen:<br />
So wurden die Teilnehmer*innen heuer in<br />
zwei Gruppen aufgeteilt und es gab auch<br />
kein Abschlusskonzert. „Viel Überlegen,<br />
In der Natur gab es viel zu entdecken.<br />
Vorarbeiten, Besichtigungen und immer<br />
wieder die Frage: Wird es möglich sein. Welche<br />
Literatur wird machbar sein? Schaffen<br />
wir das, werden einige unterfordert sein?“,<br />
erinnert sich Kursleiter Ernst Thoma an<br />
die Vorarbeiten zur Wanderwoche und betont:<br />
„Auf jeden Fall war die feste Überzeugung<br />
da: Wir müssen wieder starten!“<br />
Geprobt wurde im Kultursaal und im Probelokal<br />
des Chores von St. Nikolaus. Einsingen<br />
konnten sich die Sänger*innen auf<br />
dem Rasen im Freien.<br />
Verena Gasser Fischnaller, Chorleiterin in<br />
Lüsen, war heuer die zweite Referentin.<br />
„Ein Glücksfall! Sie hat sich gleich in die<br />
Gruppen eingearbeitet und wurde freundlich<br />
aufgenommen. Wir haben uns vom ersten<br />
Telefonat bis zur Abschlussveranstaltung<br />
gut verstanden“, berichtet Ernst Thoma,<br />
der schon viele Jahre lang diese Schulung<br />
leitet. Und wie wurden die „Turnusse“ organisiert?<br />
Eine Gruppe ging am Vormittag<br />
mit Wanderführer Matthias Preims auf<br />
Wanderschaft und lernte Ulten und seine<br />
ursprüngliche Schönheit kennen, während<br />
die anderen am musikalischen Programm<br />
arbeiteten. Am Nachmittag war es umgekehrt.<br />
Die Chorleiter wechselten sich jeweils<br />
ab, so kam jede Gruppe auf ihre Rechnung.<br />
„Dieses Programm hatte ich vorher bei<br />
einem Lokalaugenschein mit Matthias<br />
Preims, unserem Wanderführer, durchgerechnet.<br />
Es hat alles wunderbar funktioniert.<br />
Matthias sollte aber auch singen, da<br />
er ein guter Tenorsänger ist und Männer<br />
ohnehin knapp sind. So wurde er tatkräftig<br />
von seiner Schwester Mathilde und von Pichler<br />
Hanna unterstützt“, erzählt Thoma.<br />
Wie so oft bei der Alpenländischen Singund<br />
Wanderwoche kam es auch heuer zu<br />
netten Erlebnissen: „Bei der Wanderung<br />
zum St. Moritz-Kirchlein hat eine Wortgottesdienstleiterin<br />
ganz spontan die Männer<br />
überredet am Morgen den Wortgottesdienst<br />
mitzugestalten. Das haben wir gemacht<br />
und es war eine bewegende Andacht. Am<br />
Schluss haben wir alle (auch die Frauen<br />
in den Kirchenbänken) gemeinsam den<br />
„Engel des Herrn“ gesungen.“<br />
Abschlusskonzert war von Anfang an keines<br />
vorgesehen. Deshalb konnten sich<br />
die Teilnehmer*innen in aller Ruhe auf<br />
den Abschlussgottesdienst am Sonntag<br />
vorbereiten. Beim Gottesdienst wurde bei<br />
verschiedenen Gesängen das Kirchenvolk<br />
mit einbezogen, „was die Leute dankbar<br />
angenommen haben“. Nach der Messe<br />
gab es noch ein Ständchen im Freien.<br />
Der Chor der Alpenländischen Sing- und<br />
Wanderwoche verabschiedete sich mit einigen<br />
Liedern und Jodlern von einem sehr<br />
dankbaren Publikum. Ernst Thomas Resümee:<br />
„So war die Sing- und Wanderwoche<br />
<strong>2021</strong> insgesamt eine gelungene und<br />
erfolgreiche Singwoche.“<br />
Das Referententeam Ernst Thoma (l) und<br />
Verena Gruber (r)<br />
KulturFenster<br />
66 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
entdeckt<br />
Literatur-Tipp: Chorleiter-Coaching<br />
Tipps für die Optimierung des Chores bietet ein neues Buch des<br />
Chorleiters und Chor-Coachs Philip Lehmann.<br />
Der Autor, im Iran geboren, leitet in Deutschland<br />
hauptberuflich vier Chöre und projektweise<br />
verschiedenste Ensembles und Orchester,<br />
er coacht Chorleiter*innen darin<br />
Laienchöre zu leiten und hat nun darüber<br />
ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Chorleiter-Coaching.<br />
Philip Lehmann: Chorleiter-Coaching - Hamburg <strong>2021</strong>, 808 Seiten<br />
ISBN 978-3-347-32420-6<br />
1004 Wege dich, dein Dirigieren & deinen<br />
Laienchor zu optimieren“. Der Autor, der<br />
seit 15 Jahren Kurse für Chorcoaching anbietet,<br />
gibt darin Tipps, die auf seiner Einstellung<br />
basieren, dass der Dirigent sich<br />
tiefgründig mit dem Werk befassen muss<br />
– von der Geschichte bis hin zu verschiedenen<br />
Interpretationen, und dass das Werk<br />
über den eigenen Gesang kennengelernt<br />
wird: „Vor allem das genaue Arbeiten, die<br />
Kommunikation mit dem Ensemble und<br />
die Förderung der Kommunikation zwischen<br />
den Ensemblemitgliedern bezüglich<br />
Spielweise und Interpretation prägen<br />
die dirigentische Arbeit und führen so zu<br />
einem musikalischen Ergebnis, mit dem<br />
sich das Ensemble als Ganzes identifizieren<br />
kann“, schreibt der Autor. Das Buch<br />
soll ein ständiger Begleiter und Ratgeber für<br />
jeden Laienchorleiter jeden Niveaus sein,<br />
denn das Leiten und Dirigieren eines Laienchores<br />
sind ein Handwerk – ein erlernbares<br />
Handwerk mit eigenen Techniken, Arbeitswegen<br />
und Methoden ein Produkt herzustellen:<br />
einen glücklichen, erfolgreichen und<br />
produktiven Chor. Das Buch ist für den Anfänger<br />
bis zum studierten Profi geschrieben.<br />
„Denn wo es dem Anfänger an Sachkompetenz<br />
fehlt, fehlt es dem Profi häufig<br />
an Sozialkompetenz“, schreibt der Coach.<br />
Für beides bietet das Buch Handlungsanweisungen,<br />
Tipps und Vorschläge, die die<br />
Arbeit und den Umgang mit einem Laienchor<br />
optimieren. Hunderte Paragrafen beschreiben<br />
die Proben-/Konzertvorbereitung,<br />
deren Durchführung und die Psychologie<br />
hinter dem Laienchorleiten. Das geschieht<br />
humorvoll, motivierend, schnodderig, auffordernd,<br />
ehrlich, formal und provozierend,<br />
um schlicht emotionale Reaktionen hervorzurufen.<br />
So kommt es zur Auseinandersetzung<br />
und Reflektion der eigenen Methoden<br />
und damit begründet zu Änderungen oder<br />
Bestätigung – das ist Coaching.<br />
Aus der Redaktion<br />
Ihre Beiträge (Texte und Bilder) für die Chorwesen<br />
senden Sie bitte an: info@scv.bz.it (Südtiroler Chorverband)<br />
Für etwaige Vorschläge und Fragen erreichen Sie uns unter<br />
folgender Nummer: +39 0471 971 833 (SCV)<br />
Redaktionsschluss für<br />
die nächste Ausgabe des<br />
„KulturFensters“ ist<br />
Freitag, 17. September <strong>2021</strong><br />
KulturFenster<br />
67 04/<strong>August</strong> <strong>2021</strong>
17.09.<strong>2021</strong>und<br />
28.10.<strong>2021</strong><br />
Termine<br />
Tagung:<br />
„Identitätsstiftende Orte“<br />
Infos unter: hpv.bz.it<br />
19.09.<strong>2021</strong><br />
„Tag der Chöre“<br />
Chortreffen in den Gärten von Schloss Trauttmansdorff ab 10.30 Uhr<br />
Infos unter: https://scv.bz.it/tag-der-choere<br />
09.10.<strong>2021</strong><br />
Buchvorstellung<br />
„Geschichte der Südtiroler Blasmusik 1918-1948“<br />
17.00 Uhr – Waltherhaus, Schlernstr. 1, Bozen<br />
Infos unter:<br />
https://news.provinz.bz.it/de/<br />
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