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von Mitgefangenen über Selbstmord. Es hatte jemand sein Hemd in Streifen gerissen
und sich aufgehängt. Niemand hätte das gemerkt. In anderen Fällen wurden
Ausbruchsversuche befürchtet. Bei diesen Gängen zum Dolmetschen kam sie mehr
mit den Soldaten ins Gespräch. So brachte sie manchmal Bonbons mit, die sie von
gütigen Russen bekam. Sie teilte diese mit uns in ihrer Nähe. Auch Zuckerstückchen
und Brot brachte sie mit, immer teilte sie mit uns. Wenn der Zug hielt, sprach sie mit
den Posten, die sofort draußen vor allen Wagentüren standen, obwohl alle Türen
verriegelt waren. Nur einige ließen sich von Ira anreden.
So erfuhren wir auch, wo wir ungefähr waren und hielten. Ein Posten war immer
besonders nett. Er reichte uns einmal mit einer Stange etwas von seiner wunderbaren
Suppe herauf, die aus Brühe mit Gemüse, Reis und Fleisch bestand. Jede von uns
durfte einige Löffel nehmen. Es war für uns eine Delikatesse. Dieser Soldat reichte
uns auch mal Wasser rauf, als wir sehr durstig waren. Er sah sich immer erst um, ehe
er etwas rauf reichte. Wir wissen nicht, wer das nicht sehen durfte. Der Kommandant
war es sicher nicht, denn mit ihm hatten wir noch positive Begegnung.
Die Fahrt durch Polen verlief relativ ruhig. Nur ab und zu mussten wir uns ducken,
weil Polenfrauen Steine nach uns warfen durch die Luke. Doch mehr konnten sie uns
nicht antun. Da sehr viel Bahnverkehr lief in Richtung Osten durch Gefangenen- und
Möbeltransporte, aber auch Maschinen und nach Westen Waffen und
Soldatentransporte.Oft standen wir lange auf Strecken oder Bahnhöfen. Wir, an der
Luke, konnten den anderen im Wagen immer ganz gut weiter geben, was draußen zu
sehen war. Die anderen saßen nur im Dunklen, das tat mir manchmal Leid. Schlafen,
Weinen, Unterhalten, waren neben Kämmen die einzige Beschäftigung für alle.
Waschen gab es für uns alle nicht. Nur in der Mitte des Wagens konnten wir mal um
den Ofen laufen.
Wir hielten wieder länger in Brest-Litowsk in Bahnhofsnähe. Wir sahen Trümmer
und Verwüstungen, die Spuren des Krieges. Sehr schnell wurden wir umlagert von
Russenfrauen. Dick waren sie in Tücher eingehüllt, denn es war kalt. Eier, Brot und
Gemüseboten sie uns an. Ira sagte ihnen, dass wir nichts bezahlen können. Sie
wollten mein rotes Kopftuch für zwei Eier haben, aber schon wurden sie von
Soldaten weggejagt. Mit Gewehrkolben drohten sie, aber die Frauen wichen nur
langsam zurück. Man merkte.dass sie keine Angst hatten, denn bald kamen sie wieder
näher. Diesmal schlugen die Soldaten nach ihnen und sie verschwanden.
Es wurde dunkel und wir merkten, dass etwas geschah. Aber erst am nächsten
Morgen wurden wir mit unserem Gepäck ausgeladen. Es schien die Sonne. Wir
freuten uns, endlich Sonnenlicht zu erhaschen und frische Luft zu atmen. Aber beim
Hinaustreten wich die Freude, denn viele fielen in Ohnmacht und auch uns wurde
elend zumute. Schwäche war es vom langen Eingesperrt sein. Die Angst riss uns
hoch, bloß nicht allein zurück bleiben. Wir wurden umgeladen in einen anderen Zug,
denn in Russland hatten die Schienen eine andere Breite. Sofort wurden wir wieder
gezählt und dann die Wagen verriegelt.
Weiter ging die Fahrt nach Russland hinein. Die Verpflegung änderte sich, indem wir
jetzt klitschnasses Brot bekamen, das wir uns auf dem Ofen trockneten, wenn wir
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