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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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sogar einer 14 Jährigen, die bald starb. Ich kannte sie nicht namentlich.

In der ersten Zeit schlief ich nur. Ich konnte nicht aufstehen, nicht mal zum WC

gehen. Ein Kübel wurde ans Lager gebracht. Körperpflege gab es nicht, wenn man es

nicht selber konnte. Essen? Die üblichen Rationen gab es auch dort wie im

Arbeitslager. Ein Arzt oder eine Ärztin gingen manchmal von Lager zu Lager. Sie

sprachen kein Wort deutsch. Es kamen nie mehrere zusammen und nicht täglich

dieselben. Sie waren alle freundlich. Sie wollten auch helfen, hatten aber kaum

Möglichkeiten. Es gab kaum Medikamente und technische Geräte. Was wir bekamen,

nahmen wir, ohne zu wissen, was es war. Grob war niemand zu mir oder zu anderen.

Ob die Ärzte Verbannte waren, haben wir nicht erfahren.

Aufsichtspersonen waren leider nicht immer nett. Da gab es auch Schläger. Die

Krankenschwestern waren alle freundlich und hilfsbereit. Sie und die

Aufsichtspersonen waren Verbannte.Viele waren schon 10 Jahre und länger dort und

hofften, bald nach Hause zu kommen. Sie hatten zu ihren Familien keinen Kontakt.

Sie wussten zum Teil nicht mal, warum sie verbannt waren. Prozesse hatten nicht

stattgefunden. Sie standen auch unter Aufsicht und wurden für kleine Vergehen mit

Verlängerung der Verbannung bestraft. Als sie dort hingebracht wurden, gab es noch

keine Arbeitslager. Sie haben dort Wald roden müssen und Baracken gebaut. Ihre

Behandlung war viel schlechter als bei uns. Sie hungerten mehr. Viele waren

entsetzlich mager. Untergebracht waren sie außerhalb des Lagers und konnten sich

frei bewegen.

Der Hunger trieb einige dazu, sich heimlich unter unsere Pritschen zu legen und dann

unter unser schräges Kopfbrett nach Brot zu greifen. Sie wussten, dass wir nur dort

Brot lagern konnten und nicht alles gegessen hatten. Wir verstanden ihr Verhalten

nicht. So schrien einige Frauen fürchterlich, wenn sie jemand unter der Pritsche

entdeckten. Angst vor Vergewaltigungen. Sofort kamen Aufseher und nahmen die

Diebe mit. Wir wussten erst später, dass sie brutal bestraft werden.

Nach einigen Tagen kam ein Arzt an mein Lager, prüfte meinen Puls, schaute mir in

die Augen, rief eine Schwester und ordnete etwas in russisch an. Ich verstand nichts.

Ich merkte nur, dass Schwestern und Ärzte nicht mehr zu mir kamen. Ich bekam auch

keine Medikamente mehr. Eine Kranke neben mir konnte russisch. Sie sagte: "Bei dir

macht man nichts mehr, denn du krepierst wohl!“Ich habe das verstanden, aber nicht

ernst genommen. Ich glaubte nicht ans Sterben.

Da bekam ich einen stillen Helfer. Vielleicht hat mir die kleine Krankenschwester, die

nur wenige Brocken deutsch konnte, das Leben gerettet. Sie wusste, dass ich nichts

mehr aß. Sie nahm von meinem Brot mit, das sich auch andere von mir erbaten, weil

sie merkten, dass ich es kaum verbrauchte. Die Schwester kam wieder mit einem

Schälchen. Dann fütterte sie mich. Es schmeckte gut. Was war es? Ich weiß es nicht

genau. Mein Zucker war drinnen und Blaubeeren und etwas wie Quark. Wir wussten,

dass schon im Arbeitslager Russen uns Blaubeeren gegen Brot geboten hatten. So

nehme ich an, dass die Schwester das Brot gegen Blaubeeren eingetauscht hat. Und

den Quark? Gestohlen? Ich weiß es nicht. Niemand. Ich kannte nicht mal den Namen

der Schwester.

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