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AUSGABE <strong>38</strong> 18. September <strong>2021</strong><br />
EUROPEAN MAGAZINE AWARD WINNER <strong>2021</strong> POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />
Extra<br />
40 Seiten<br />
Mode & Stil<br />
für Männer<br />
In der Hauptrolle:<br />
Rami Malek<br />
WEN IHR GELD<br />
WÄHLEN WÜRDE<br />
Singles, Familien, Rentner:<br />
Wer profitiert von welcher Partei<br />
und wer zahlt drauf ?
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EDITORIAL<br />
Das Lebenswerk Angela Merkels und<br />
Armin Laschets Überlebenskampf<br />
Von Robert Schneider, Chefredakteur<br />
Fo t o s : P e t e r R i g a u d / F O C U S - M a g a z i n , A n d r e a s M ü h e „ A n g e l a M e r k e l P o r t r a i t , 2 0 0 9 “ V G B i l d - K u n s t , B o n n 2 0 2 1<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
am Sonntagabend treffen die Kanzlerkandidaten<br />
von SPD, Union und Grünen<br />
zum dritten und letzten Triell dieser Bundestagswahl<br />
aufeinander. Wie selbstverständlich<br />
liegt den Triellen die Überzeugung<br />
zugrunde, die einst die Union auf<br />
ihre Wahlplakate druckte: Auf den Kanzler<br />
kommt es an! Doch stimmt das in diesem<br />
Jahr überhaupt? Seit dem Triell am vergangenen<br />
Sonntag denke ich, dass nach<br />
dem 26. September spannender sein könnte,<br />
wer Vizekanzler wird oder besser: wer<br />
bereit ist, den Vizekanzler zu machen.<br />
Denn es hat ja für Armin Laschet wichtige,<br />
vielleicht existenzielle Gründe, warum<br />
er sich am vergangenen Sonntag im<br />
zweiten Triell weigerte, eine Junior-Rolle<br />
für die Union in einer Koalition und damit<br />
den Vizekanzler-Job für sich auszuschließen.<br />
Zu diesen Gründen zählt, dass CSU-<br />
Chef Markus Söder exakt das wenige Tage<br />
zuvor getan hatte: Wenn die Union nicht<br />
die Nummer eins werde, müssten die Linken<br />
regieren – basta! Für Wahlverlierer<br />
Laschet wäre es das politische Todesurteil.<br />
Überleben könnte der Aachener eine solche<br />
Schmach nur, wenn er nach einem<br />
Wahldesaster für Koalitionsverhandlungen<br />
benötigt würde. Er weiß: Sitzt man<br />
erst einmal in der neuen Regierung, und<br />
sei es nur als Vizekanzler, wird man nicht<br />
mehr gestürzt.<br />
Die Vizekanzler-Frage ist aber auch noch<br />
aus einem anderen Grund interessant.<br />
Vorausgesetzt, die Wahlen gehen in etwa<br />
so aus, wie die Demoskopen derzeit errechnen,<br />
dann lautet die Hauptfrage: Schaffen<br />
es SPD und Grüne, die FDP von der Union<br />
loszueisen und in eine Ampelkoalition zu<br />
locken, oder gelingt es Union und FDP,<br />
die Grünen von Jamaika zu überzeugen?<br />
Vizekanzlerin würde in beiden Fällen<br />
übrigens Annalena Baerbock – entweder<br />
unter einem Kanzler Scholz oder einem<br />
Kanzler Laschet. Nachteil für den Unions-<br />
Kandidaten: Vermutlich könnte Scholz die<br />
Liberalen mit der Drohung für sich gewinnen,<br />
dass er ansonsten gezwungen sei,<br />
Rot-Grün-Rot zu machen. Laschet verfügt<br />
Ab 18. September im Handel<br />
Unsere Angela-Merkel-Sonderedition<br />
voraussichtlich über keinerlei Drohpotenzial.<br />
Bleibt die Möglichkeit einer Deutschlandkoalition<br />
aus Union (Schwarz), SPD<br />
(Rot) und FDP (Gelb). Sie wäre eine Fortsetzung<br />
der GroKo mit liberalem Außenbordmotor.<br />
Aber ob Union und SPD mit<br />
Schwarz-Rot-Gelb oder Rot-Schwarz-Gelb<br />
nach den zurückliegenden beiden Großen<br />
Koalitionen erneut zusammenkämen? Sehr<br />
ungewiss.<br />
Merke: Manchmal hat ein Vize/eine Vizin<br />
mehr Macht als die Nummer eins; jedenfalls<br />
bis zur Wahl des neuen Kanzlers.<br />
Über das enge Rennen ums Kanzleramt,<br />
über den schwierigen Kampf von Armin<br />
Laschet lesen Sie mehr Hintergründe ab<br />
Seite 28. Eines seiner großen Probleme ist,<br />
dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
nach 16 Jahren für einen Abgang entschieden<br />
hat, den es so noch nie gab. Denn<br />
noch nie in der 72-jährigen Geschichte<br />
der Bundesrepublik trat eine amtierende<br />
Kanzlerin bzw. ein Kanzler nicht mehr zu<br />
einer Bundestagswahl an. Und so müssen<br />
die Konservativen auf den Kanzler(innen)-<br />
Bonus in ihrem Wahlkampf verzichten.<br />
Warum übergab Merkel nicht vorher? Warum<br />
baute sie als CDU-Chefin keine starke<br />
Nachfolgerin bzw. Nachfolger auf? Wie tickt<br />
Angela Merkel wirklich, die als erste Frau,<br />
als erste Ostdeutsche und erste Naturwis-<br />
senschaftlerin das Kanzleramt übernahm –<br />
damals jünger als all ihre Vorgänger?<br />
Eine neue, hochwertige <strong>FOCUS</strong> Sonderedition,<br />
die ab 18. September im Handel<br />
erhältlich ist, erzählt die einzigartige Story<br />
dieser Frau. Das Heft erzählt die Geschichte<br />
ihrer Familie, ihres Lebens und ihres<br />
politischen Wirkens. Es ist eine Biografie,<br />
die Sie, so hoffen wir, aufbewahren – als<br />
Erinnerung an die „Ära Merkel“, die eine<br />
ganze Generation prägte und damit unser<br />
Deutschland.<br />
In der Sonderedition erklären Freunde,<br />
Weggefährten und Gegner eindrucksvoll,<br />
wie die Kanzlerschaft nicht nur Angela<br />
Merkel selbst verändert hat, sondern vor<br />
allem das Land und ihre Partei. Es sprechen<br />
prominente Zeitzeugen wie Sebastian<br />
Kurz, Christine Lagarde, Christian<br />
Lindner, Peer Steinbrück, Josef Ackermann,<br />
Thomas de Maizière, Sigmar Gabriel,<br />
Reinhold Messner, Joe Kaeser, Malu<br />
Dreyer und viele mehr.<br />
Schreiben, Ihnen interessante Geschichten<br />
zu erzählen ist die große Leidenschaft<br />
der <strong>FOCUS</strong>-Redaktion. Ab Seite 90 dieser<br />
Ausgabe finden Sie ein schönes Beispiel<br />
für unsere Berufung. Alexander Bartl,<br />
einer unserer Textchefs, hat ein herrliches<br />
Buch geschrieben: „Walzer in Zeiten der<br />
Cholera“ erzählt von einem Geologen<br />
und einem Schmetterlingsforscher, die im<br />
19. Jahrhundert sauberes Wasser aus den<br />
Alpen nach Wien leiten wollen, um die<br />
Stadt vor der Pandemie zu schützen. Das<br />
Projekt ist teuer und riskant, viele empfinden<br />
den „Hygieneterror“ der Wissenschaft<br />
als anmaßend. Sie intrigieren und verdrängen<br />
die Bedrohung auf dem Tanzparkett.<br />
Bartl schreibt über eine polarisierte Gesellschaft<br />
und die Sehnsucht nach Normalität.<br />
Ein Lebensgefühl, das in Corona-Zeiten<br />
wieder so aktuell ist wie damals.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim<br />
Lesen.<br />
Herzlich Ihr<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong> 3
Pure Männlichkeit<br />
Frauenschwarm,<br />
Actionstar, Stilikone.<br />
40 Jahre nach seinem<br />
Tod lebt die Legende<br />
Steve McQueen weiter<br />
Seite 22<br />
Stehaufmännchen<br />
Armin Laschet zieht<br />
mit dem Versprechen<br />
von Stabilität in den<br />
Endspurt und hofft,<br />
wider alle Prognosen<br />
doch noch ins Kanzleramt<br />
einzuziehen<br />
Seite 28<br />
Grelle Zukunft<br />
Autor Douglas<br />
Coupland seziert<br />
das Digitalzeitalter<br />
Seite 86<br />
Weiße Welten<br />
Jenseits der<br />
Komfortzone:<br />
mit einer Frauenseilschaft<br />
auf<br />
4000 Meter Höhe<br />
Seite 104<br />
Heiße Zeiten<br />
Brände, Stürme,<br />
Sturzfluten: Das<br />
Weltwetter wird<br />
immer extremer<br />
Seite 72<br />
Feiner Lunch Ottolenghis Teigtaschen to go Seite 108<br />
4 <strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong>
Titel: Mauritius Images, Fotex / Composing <strong>FOCUS</strong> Magazin<br />
Fo t o s : © 1 9 7 8 C h e s t e r M a y d o l e , C h r i s t o p h e G a t e a u /d p a , D a r r y l D y c k / T h e C a n a d i a n P r e s s /d p a , N i c o l e S c h a f e r , E m r e Ta z e g u l /A P P h o t o ,<br />
Louise Hagger/Photography, Emily Kydd/Food Styling, Jennifer Kay/Prop Styling, Katy Gilhooly/Food Stylist Assistant<br />
Titelthema<br />
50 Wen Ihr Geld wählen würde<br />
Single, Familie, Rentner: wo Parteien die<br />
Verbraucher entlasten wollen und wo sie<br />
mehr zahlen sollen<br />
58 Teure Details<br />
Vom Arbeitslosengeld bis zum Zuschuss<br />
für Lastenräder: was im Kleingedruckten<br />
der Parteiprogramme steht<br />
Agenda<br />
22 King of Übercool<br />
Steve McQueen war einer der schillerndsten<br />
Schauspieler des 20. Jahrhunderts und<br />
prägt die Popkultur bis heute. Jetzt wurden<br />
neue Aufnahmen von ihm entdeckt<br />
Politik<br />
28 Union vor Wahldebakel<br />
Armin Laschet stemmt sich gegen eine<br />
Wahlniederlage und Kritiker aus der<br />
eigenen Partei. Doch was geschieht, wenn<br />
er verliert? Und wer übernimmt dann?<br />
34 Der politische Datenstrudel<br />
Während Annalena Baerbock gegoogelt<br />
wird, verteilt Norbert Röttgen Brötchen<br />
<strong>38</strong> Bewaffnete Engel<br />
Wie die Air Marshals der Bundespolizei<br />
deutsche Fluglinien vor Terroranschlägen<br />
schützen. <strong>FOCUS</strong> begleitete sie exklusiv<br />
beim Training<br />
44 Putins Krimsalabim<br />
Mit Milliardeninvestitionen erkauft sich<br />
Putin die Sympathien der Menschen auf<br />
der Krim. Kritiker werden hart verfolgt<br />
Wirtschaft<br />
62 Algorithmus vs. Anwalt<br />
Software kann teils schon heute<br />
Juristen ersetzen. Start-ups wie Verbraucher<br />
profitieren davon<br />
68 Geldmarkt<br />
Mit welchem Trick Anleger besonders<br />
ertragreiche Branchen erkennen<br />
INHALT NR. <strong>38</strong> | 18. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />
Wissen<br />
72 Die Wetterextreme nehmen zu<br />
Gerhard Adrian, Vorsitzender der<br />
Weltorganisation für Meteorologie, über<br />
Klimawandel, Starkniederschläge und<br />
Kohleausstieg<br />
78 Tanz der Minisatelliten<br />
Schwärme autonomer Himmelskörper<br />
bestimmen die digitale Zukunft<br />
82 Gentherapie nach Bluttest<br />
Eine neue Untersuchung an Säuglingen<br />
etabliert eine medizinische Innovation<br />
85 Lieber als Diener denn als Kollege<br />
Wie beliebt sind humanoide Roboter?<br />
Kultur<br />
86 Generation extrem<br />
Der kanadische Starautor Douglas<br />
Coupland erklärt, wie die Digitalisierung<br />
unsere sozialen Bindungen auflöst<br />
90 Walzer in Zeiten der Cholera<br />
Als Wien gegen eine Pandemie antanzte –<br />
Vorabdruck aus dem neuen Buch des<br />
<strong>FOCUS</strong>-Autors Alexander Bartl<br />
96 Nostalgie im Spätsommer<br />
Die Filme, Bücher und Alben der Woche<br />
erzählen von Heimkehr und Einkehr<br />
Leben<br />
104 Vom Glück der weißen Weite<br />
Der Weg ist das Ziel: wie <strong>FOCUS</strong>-Redakteurin<br />
Gudrun Dometeit in einer Frauenseilschaft<br />
ihren ersten Viertausender bezwang<br />
108 Office statt Homeoffice<br />
Blätterteigtaschen to go: Ottolenghis<br />
Lunch für die Rückkehr ins Büro<br />
110 Crash! Boom! Bull!<br />
Nach dem Abgang von Erfolgstrainer<br />
Julian Nagelsmann taumelt RB Leipzig<br />
Richtung Bundesligadurchschnitt<br />
114 Davon träumt Daniel Düsentrieb<br />
Die vierte Generation des Skoda Fabia<br />
bietet noch mehr Platz und Technikspaß<br />
Rubriken<br />
3 Editorial<br />
6 Kolumne von<br />
Jan Fleischhauer<br />
9 Nachrichten<br />
10 Fotos der Woche<br />
16 Grafik der Woche<br />
Erste unter Gleichen<br />
18 Menschen<br />
84 Echt irre<br />
97 Mein Salon<br />
98 Buch & Welt<br />
98 Bestseller<br />
116 Die Einflussreichen<br />
118 Leserbriefe/<br />
Impressum<br />
120 Nachrufe/<br />
Servicenummern<br />
122 Tagebuch<br />
Dieser Text<br />
zeigt evtl. Probleme<br />
beim<br />
Text an<br />
MEHR DRIN<br />
FRS<br />
BUSINESS.<br />
36 Starkes Leasing für Geschäftskunden.<br />
Günstige Konditionen für viele Pkw und<br />
Nutzfahrzeuge.<br />
36 Ausgezeichnet unterwegs.<br />
Der Ford Transit Custom ist vielseitig und<br />
für seine Sicherheit prämiert.<br />
36 Ein wahrer Held der Arbeit.<br />
Der Ford Transit bietet viel Platz und<br />
noch mehr Möglichkeiten im Job.<br />
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Jetzt in den Ford Gewerbewochen+<br />
37 Bringt Spannung ins Spiel.<br />
Der Ford Kuga ist mit Benzin-, Dieselund<br />
elektrifizierten Antrieben erhältlich.<br />
37 Einfach sorglos unterwegs.<br />
Das Rundum-sorglos-Paket Ford<br />
Flatrate+ sorgt für Planungssicherheit.<br />
37 Ford Telematics Essentials ** gratis.<br />
Das Flottenmanagement-Tool von Ford ist<br />
eine echte Hilfe bei der Fuhrparkverwaltung.<br />
Kraftstoffverbrauch (in l/100 km nach § 2 Nrn. 5, 6, 6 a<br />
Pkw-EnVKV in der jeweils geltenden Fassung) Ford<br />
Kuga: 5,6-1,4 (kombiniert); CO 2<br />
-Emissionen: 126-31 g/<br />
km (kombiniert); Stromverbrauch: 18,7 kWh/100 km<br />
(kombiniert)*.<br />
* Die Angabe zum Stromverbrauch bezieht sich ausschließlich auf das<br />
Plug-in-Hybrid-Fahrzeug. ** Ford Telematics Essentials ist nur für<br />
Ford Fahrzeuge mit einem aktivierten FordPass Connect verfügbar.<br />
Exklusiv für Geschäftskunden. Es gelten die FFM- und FCS-Geschäftsbedingungen.<br />
Anzeigen können abweichen.<br />
Titelthemen sind rot markiert<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong> 5
FOTOS DER WOCHE<br />
Paris<br />
Der letzte<br />
Christo<br />
Fo t o : Siegfried Modola/Getty Images<br />
Der Traum war so alt wie<br />
ihre Liebe. Jahrzehntelang<br />
haben sie ihn geteilt, aber<br />
seine Verwirklichung erleben<br />
sie nun nicht mehr.<br />
1958 hatten sich der bulgarische<br />
Künstler Christo<br />
Wladimirow Jawaschew<br />
und die Französin Jeanne-<br />
Claude Denat de Guillebon<br />
in Paris kennengelernt.<br />
Schon bald darauf planten<br />
sie, ein öffentliches<br />
Gebäude zu verhüllen,<br />
am liebsten den Arc de<br />
Triomphe, dieses von so<br />
vielen nationalen Mythen<br />
umrankte Monument auf<br />
der Place Charles de<br />
Gaulle. Doch das Künstlerpaar<br />
ahnte, wie<br />
schwierig es sein würde,<br />
die Genehmigung zu<br />
erhalten, und fragte lange<br />
nicht offiziell an. Erst 2017,<br />
acht Jahre nach Jeanne-<br />
Claudes Tod, ergriff<br />
Christo mit der ihm<br />
eigenen Leidenschaft die<br />
Initiative und überzeugte<br />
schließlich die französischen<br />
Behörden.<br />
Nun, 60 Jahre nach<br />
den ersten Skizzen, verschwindet<br />
das fast<br />
50 Meter hohe Bauwerk<br />
unter 25 000 Quadratmetern<br />
bläulich schimmerndem<br />
Polypropylenstoff<br />
(der übrigens aus<br />
Deutschland stammt).<br />
Der Schöpfer des Werks<br />
kann die Realität nicht<br />
mehr abgleichen mit seiner<br />
Vorstellung, Christo<br />
verstarb im vergangenen<br />
Jahr. Das verhüllte Denkmal<br />
ist sein Vermächtnis:<br />
ein Triumph überbordender<br />
Fantasie – und der<br />
Liebe.<br />
■<br />
JOBST-ULRICH BRAND<br />
Freiluftgalerie<br />
Christo und Jeanne-Claude<br />
betrachteten Paris als<br />
künstlerische Heimat –<br />
und verhüllten hier auch<br />
1985 spektakulär<br />
Pont Neuf über der Seine<br />
10<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong>
Nationalmonument<br />
1806 bis 1836 zu Ehren der<br />
kaiserlichen Armeen errichtet.<br />
Am Triumphbogen finden besonders<br />
feierliche staatliche Zeremonien<br />
statt – umso erstaunlicher<br />
ist es daher, dass er nun temporär<br />
zum Kunstobjekt werden darf<br />
Flanierkulisse<br />
Vom 18.9. bis 3.10. ist der<br />
dann fertig verpackte und<br />
verschnürte Triumphbogen<br />
in Paris zu sehen. Die<br />
Aussichtsplattform bleibt<br />
in dieser Zeit geöffnet<br />
11
WIRTSCHAFT<br />
BLINDBLIND<br />
Wir haben die Wahl<br />
Unsere Stimme<br />
entscheidet auch<br />
darüber, wie viel Geld<br />
fürs Sparschwein<br />
übrig bleibt<br />
50 <strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong>
TITEL<br />
Wen Ihr Geld<br />
wählen würde<br />
Die Vorstellungen der Parteien zur Steuer-,<br />
Familien- und Sozialpolitik gehen teils weit<br />
auseinander. Das macht sich finanziell<br />
beim Einzelnen bemerkbar. Ein Überblick,<br />
wo es Entlastungen geben soll –<br />
und wo es teurer wird<br />
TEXT VON<br />
ULI DÖNCH, ANDREAS GROSSE HALBUER,<br />
JAN GARVERT, CARLA NEUHAUS,<br />
HERBERT WEBER UND MARCEL WOLLSCHEID<br />
ILLUSTRATIONEN VON<br />
FRANCESCO CICCOLELLA<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong> 51
WISSEN<br />
MEDIZIN<br />
Bei der empfohlenen<br />
Kontrolluntersuchung<br />
mit drei<br />
Monaten schien<br />
noch alles in Ordnung<br />
zu sein. Erst danach<br />
fiel Kristina Probst auf, dass<br />
sich ihre Tochter immer<br />
weniger bewegte. Wochen<br />
später kam die niederschmetternde<br />
Diagnose.<br />
Sie lautete SMA Typ 1, die<br />
schwerste Unterform der Spinalen<br />
Muskelatrophie, einer<br />
Erbkrankheit, bei der die<br />
für Bewegungen zuständigen<br />
Nervenzellen unwiederbringlich<br />
zugrunde gehen.<br />
Das Mädchen ist mittlerweile<br />
fünf Jahre alt und<br />
kann mithilfe von Orthesen<br />
gehen. Es hatte Glück in<br />
seinem Unglück, denn seit<br />
2017 ist ein Medikament<br />
namens Spinraza zugelassen,<br />
das alle vier Monate in<br />
die Rückenmarksflüssigkeit<br />
injiziert wird und die Funktion<br />
des defekten Gens übernimmt.<br />
Der Muskelschwund<br />
schreitet bei der kleinen<br />
Patientin vorerst nicht fort.<br />
„Das Beste, was passieren<br />
konnte“, um bei künftigen Fällen die<br />
tückische Krankheit beinahe zu besiegen,<br />
sei ein neues Testverfahren, sagt Kristina<br />
Probst. Ab dem 1. Oktober zählt SMA zu<br />
den dann 16 angeborenen Krankheiten,<br />
die Laboratorien in einem kurz nach der<br />
Geburt entnommenen Blutstropfen aufspüren<br />
können. Jede dieser Krankheiten<br />
kommt selten vor, alle können schwere<br />
Folgen nach sich ziehen.<br />
Wirklich heilbar ist keine, am<br />
ehesten SMA. Das ermöglicht<br />
eine Form der Gentherapie<br />
– ein Verfahren, dem<br />
gerade in Deutschland noch<br />
immer viele Menschen zu<br />
misstrauen scheinen. Nun<br />
wird es ein Stück weit zur<br />
Routine.<br />
Jede Woche zählt<br />
Die SMA-Therapien sind<br />
extrem teuer. Die Kosten der<br />
Spinraza-Injektionen können<br />
sich auf 635 000 Euro<br />
pro Jahr summieren. Auch<br />
ein noch nicht etabliertes, zu<br />
schluckendes Konkurrenzprodukt<br />
namens Evrysdi<br />
schlägt fast sechsstellig zu<br />
Gentherapie wird Routine:<br />
Hilfe von Geburt an<br />
Zum sogenannten Neugeborenen-Screening<br />
kommt eine spezielle Blutuntersuchung hinzu.<br />
Sie etabliert die teuerste Therapie der Welt<br />
Gestärkt Obwohl er<br />
40 Jahre mit der Krankheit<br />
lebt, helfen dem Münchner<br />
Andreas Schwersenz die<br />
neuen Therapien<br />
Buche. Einen Rekordpreis von fast zwei<br />
Millionen Euro verlangt der Novartis-<br />
Konzern für das dritte, seinem Anspruch<br />
nach gewagteste Mittel. Es heißt Zolgensma<br />
und ersetzt das fragliche Gen, möglicherweise<br />
ein für alle Mal.<br />
Bald nach der Diagnose verabreicht,<br />
gibt das exklusive Medikamenten-Trio<br />
betroffenen Kindern „die Chance, sich<br />
motorisch normal zu entwickeln“,<br />
sagt die Ärztin Inge<br />
Schwersenz, die zwei Söhne<br />
mit SMA zur Welt brachte.<br />
Einer starb im Kleinkindalter,<br />
sein Bruder Andreas<br />
ist 40 und hat Informatik<br />
studiert. Obwohl längst<br />
erwachsen, lässt sich auch<br />
Andreas Schwersenz mit<br />
den neuen Mitteln behandeln.<br />
„Das bewirkt keine<br />
Wunder, gibt mir aber etwas<br />
mehr Kraft im Oberkörper“,<br />
sagt er.<br />
Aus der Ferse<br />
Nach einem kleinen Stich lässt<br />
eine Hebamme etwas Blut auf<br />
Filterpapier tropfen. Die Probe<br />
kommt danach in ein Labor<br />
Inge Schwersenz war jahrelang<br />
eine treibende Kraft<br />
hinter der Aufnahme des<br />
SMA-Tests in das erweiterte<br />
Neugeborenenscreening.<br />
Über derartige Innovationen<br />
entscheidet in Berlin<br />
ein Fachgremium namens<br />
Gemeinsamer Bundesausschuss,<br />
der vor allem auf<br />
Betreiben der Krankenkassenvertreter<br />
oft sehr genau<br />
die Kosten-Nutzen-Rechnung<br />
prüft. Der Test kostet<br />
zwar nur etwa zehn Euro,<br />
aber die enormen Folgekosten<br />
ließen die Verwalter der<br />
Versichertenbeiträge genauer<br />
hinsehen. Ihr Antrag<br />
an den Ausschuss datiere<br />
jedenfalls von August 2018,<br />
erinnert sich Schwersenz.<br />
Einer von 50 trägt das Gen<br />
Probeweise wurden bereits<br />
mehr als eine halbe Million<br />
Babys in Bayern und<br />
Nordrhein-Westfalen „gescreent“.<br />
Leiter des Pilotprojekt<br />
ist der Kinder-Neurologe<br />
Wolfgang Müller-Felber<br />
vom Universitätsklinikum<br />
München. Er spricht von einem Erfolg.<br />
Oftmals hätten die Tests ermöglicht, Kinder<br />
entscheidend früher zu behandeln.<br />
Beim schwersten SMA-Typus verkürzte<br />
sich die Zeit bis zur Diagnose um zwei<br />
bis drei Monate, bei den weniger schweren<br />
um ein paar Jahre. Weil die Therapie<br />
beizeiten beginnen kann, „lernen Kinder<br />
jetzt laufen, die früher mit eineinhalb<br />
Jahren künstlich beatmet werden mussten“,<br />
sagt Müller-Felber.<br />
Nach Berechnungen des Arztes erbt<br />
ungefähr eines von 8000 Kindern den<br />
Gendefekt in einer Form, dass es mit<br />
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />
erkrankt. Durch einen Bluttest<br />
von Paaren, die sich ein Kind wünschen,<br />
dürfte sich das spätere Screening und<br />
die Therapie nicht ersetzen lassen. Die<br />
Biologie erweist sich an diesem Punkt als<br />
zu komplex. Denn sehr viele Menschen,<br />
etwa einer von 50, tragen die Abweichung.<br />
Selbst wenn zwei von ihnen ein<br />
Kind zeugen, beträgt das Risiko, dass es<br />
erkrankt, nur 25 Prozent. In den meisten<br />
Familien tritt SMA erstmals auf. Kristina<br />
Probst etwa hat noch einen älteren Sohn,<br />
und der ist gesund.<br />
■<br />
KURT-MARTIN MAYER<br />
Fo t o s : mauritius images, Gina Bolle für <strong>FOCUS</strong>-Magazin<br />
82 <strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2021</strong>