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Leichtathletik INFORMationen 03/2021

Inhalt: Geher-Förderprojekt bei Olympia in Tokio + Olympia 2021 – Von Hightech und Untiefen + Neue Wege im Hochsprung – „Der Hochsprungbaum” + Marcel Fehr – Wenn Träume platzen + Nachbetrachtung – U23-Europameisterin Lilly Kaden + Portrait: Anna Malia Hense

Inhalt: Geher-Förderprojekt bei Olympia in Tokio + Olympia 2021 – Von Hightech und Untiefen + Neue Wege im Hochsprung – „Der Hochsprungbaum” + Marcel Fehr – Wenn Träume platzen + Nachbetrachtung – U23-Europameisterin Lilly Kaden + Portrait: Anna Malia Hense

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formance in Tokio zu bewerten ist. Ginge man wie die Marktforscher<br />

vor, die gern Noten aus der Skala von Null (ganz<br />

schlecht) bis Zehn (hervorragend) vergeben, wäre unter Berücksichtigung<br />

aller Probleme – Pandemie, Klima, Verletzungsausfälle<br />

– mehr als eine Vier nicht drin; nicht angesichts<br />

der sich seit 2016 verstärkenden Abwärtstendenz des DLV in<br />

allen wesentlichen Parametern: in den Tableaus der Medaillen<br />

und Finalisten und Finalistinnen (Plätze 1 – 8) Absturz von<br />

Platz 6 (Rio) auf 13 und 11; in den Punkten abgehängt von den<br />

europäischen Wettbewerbern Großbritannien, Polen, Niederlande<br />

(!), Norwegen, eingeholt von Italien; von 56 Einzelstartern<br />

und Einzelstarterinnen (ohne Staffeln und Straßenevents)<br />

26 Gestrauchelte in Runde eins und 21 in Runde zwei; nur<br />

acht persönliche oder Saison-Bestleistungen beim Jahreshöhepunkt.<br />

Die drei Medaillen von Tokio – für die nervenstarke<br />

Weitspringerin Malaika Mihambo (Gold) und die als Außenseiter<br />

angetretenen Silbergewinner Kristin Pudenz (Diskus) und<br />

Jonathan Hilbert (50 km Gehen) – sind so gesehen nur für ihre<br />

Besitzer von Gewicht, den mäßigen Gesamteindruck korrigieren<br />

sie so gut wie nicht. Dass der DLV sich weiter von der<br />

Weltspitze entfernt hat, belegt auch dies: Er schickte 26 unter-24-Jährige<br />

zum Lernen nach Tokio (siehe Borutta), das US-<br />

Team dagegen seinen Nachwuchs in die Olympiafinals.<br />

Es läuft offenbar etwas schief mit dem System des DLV, einem<br />

System, das den Verdacht nährt ...<br />

... verkopft zu sein und übermäßig der Wissenschaft zugetan;<br />

... wegen zu viel Administration abgelenkt zu sein von der<br />

Belastungssteuerung der Aktiven, weshalb DOSB-Sportchef<br />

Schimmelpfennig die „Entbürokratisierung des Leistungssports“<br />

fordert;<br />

... im eigenen Saft zu schmoren, wofür die Unkenntnis von<br />

der Konsistenz des Mondo-Belags in Tokio spricht (Fall Vetter);<br />

... Potential zu vergeuden, Cheftrainerin Anett Stein sprach<br />

von der Umkehr der Fußballerweisheit: Wir haben keine<br />

Chancen, nutzen wir sie.<br />

Musste unter diesen Umständen zwangsläufig misslingen, die<br />

Athleten und Athletinnen auf die richtige „Road to Tokio“ einzuweisen?<br />

Ging deshalb dieser Balanceakt schief: einerseits Hilfestellung<br />

leisten, um den Aktiven ihren Olympiatraum („Dabei<br />

sein ist alles“) zu erfüllen, soll heißen der Pandemie wegen<br />

großzügig sein bei der Nominierung, und andererseits gleichzeitig<br />

die Mechanismen der fordernden Leistungsgesellschaft<br />

befolgen? Weil die Wettkampfbrache im Pandemiejahr 2020 die<br />

Jagd auf Olympianormen unterbrochen hatte, durfte mehr als<br />

ein halbes Dutzend Normerfüller aus 2019 ins Team rutschen.<br />

Formschwäche zwei Sommer später, geringes internationales<br />

Niveau, mussten DOSB und DLV (aus Furcht vor Klageandrohungen?)<br />

geflissentlich übersehen. So fiel das Team mit 88 Personen,<br />

Hand aufs Herz, viel zu groß aus. Man hätte im Nachhinein<br />

gern gewusst, mit welchem Team der DLV nach Tokio gereist<br />

wäre, hätte er allein verantwortlich und nach dem alten Kriterium<br />

„berechtigte Endkampfchance“ nominieren können.<br />

Auf den Einfluss von Untiefen im Deutschen <strong>Leichtathletik</strong>-<br />

Verband hatte schon vor den Spielen Ex-Bundestrainerin Gertrud<br />

Schäfer (76), Coach der zweimaligen Siebenkampf-Weltmeisterin<br />

Sabine Braun (1991, 97), in einem Interview mit dem<br />

TV-Kanal Sport1 aufmerksam gemacht und damit Alarm ausgelöst,<br />

auf den der Verband öffentlich nicht reagierte. Einem<br />

Großteil der beim DLV angestellten und angepassten Trainer<br />

fehle die Kompetenz, Athleten und Athletinnen zielführend<br />

auf Wettkämpfe vorzubereiten. Zudem liege in der Sportmedizin<br />

vieles im Argen. Also nicht nur Bruchstellen im System,<br />

auch Schwachstellen beim Personal? Da fiel auf, was die gescheiterte<br />

Medaillenkandidatin im Speerwurf, Christin Hussong,<br />

über ihren Vater-Trainer, ein Selfmademan der Branche,<br />

in Tokio den Medien erzählt hat: „Er hat ein bisschen anders<br />

draufgeschaut, weil ich ja doch die Tochter bin und nicht ganz<br />

so viel verlangt“. So, so!<br />

Dass beim Zurück- und Nachvorneblicken im Herbst hinter geschlossenen<br />

Türen die Fetzen fliegen ob der, vorsichtig formuliert,<br />

durchwachsenen Olympiabilanz, gar das System neu<br />

justiert wird, darf kaum erwartet werden. Auch wenn es nötig<br />

wäre. Wie soll ein aktualisiertes System reifen, wenn ihm der<br />

Rhythmus zur Ausformung genommen wird, weil ein Schwerpunkt<br />

auf den nächsten folgt: 2022 WM in den USA, vier Wochen<br />

später EM im eigenen Haus (München), 2023 wieder WM<br />

(Budapest), 2024 Olympia (Paris) und 2025 WM Nummer vier<br />

in drei Jahren.<br />

Ein wenig Hoffnung macht aber doch eine Bemerkung der<br />

Cheftrainerin Anett Stein auf der letzten Pressekonferenz in<br />

Tokio. Die Tokio-Auswertung, heißt es im Pressedienst des DLV,<br />

müsse vor dem Hintergrund „… eines dynamischen Veränderungsprozesses<br />

des Sports und der Verschiebung von Kompetenzen<br />

in den einzelnen Ländern“ erfolgen. Verschiebung womöglich<br />

an Haupt und Gliedern? Auch in Deutschland?<br />

Michael Gernandt<br />

Willkommen als neue Mitglieder!<br />

Für Spenden danken wir herzlich!<br />

<strong>Leichtathletik</strong> <strong>INFORMationen</strong> 6

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