Schöne neue Arbeitswelt - erschienen im annabelle Sept 2021
Jennifer Kossow, Workplace Consultant und Innenarchitektin bei Rüegg-Naegeli, plädiert dafür, fixe Arbeitsplätze abzuschaffen - und auch mal nur fürs Feierabendbier ins Büro zu gehen.
Jennifer Kossow, Workplace Consultant und Innenarchitektin bei Rüegg-Naegeli, plädiert dafür, fixe Arbeitsplätze abzuschaffen - und auch mal nur fürs Feierabendbier ins Büro zu gehen.
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13<br />
Herbstliche Mode für die Seele • Wohnen Spezial:<br />
Happy Design • Land unter: Bilder des Kl<strong>im</strong>awandels<br />
No. 13, 24. <strong>Sept</strong>ember <strong>2021</strong><br />
<strong>annabelle</strong>.ch<br />
9.80 Fr., 8.90 €<br />
<strong>Sept</strong>ember <strong>2021</strong><br />
Aufwind
154<br />
Wohnen Spezial<br />
<strong>Schöne</strong> <strong>neue</strong><br />
<strong>Arbeitswelt</strong><br />
Jennifer Kossow, Workplace Consultant und<br />
Innenarchitektin bei Rüegg-Naegeli, plädiert dafür,<br />
fixe Arbeitsplätze abzuschaffen – und auch<br />
mal nur fürs Feierabendbier ins Büro zu gehen.<br />
<strong>annabelle</strong>: Jennifer Kossow, alle reden<br />
über New Work. Was bedeutet der Begriff<br />
eigentlich?<br />
Jennifer Kossow: New Work steht<br />
dafür, wie wir in Zukunft arbeiten:<br />
mobil, flexibel und selbstbest<strong>im</strong>mt.<br />
Mitarbeitende werden selbst entscheiden<br />
können, welche Arbeiten sie wann<br />
wo erledigen – zuhause, unterwegs<br />
oder <strong>im</strong> Büro. Das Büro der Zukunft<br />
dient dabei dem Austausch und der<br />
Kollaboration. Dafür braucht es<br />
Arbeitszonen, die die Kommunikation<br />
und Zusammengehörigkeit fördern.<br />
Wir brauchen also <strong>neue</strong> Räume. Und<br />
<strong>neue</strong> Leader.<br />
Neue Leader?<br />
Eine Person, die regelmässig remote<br />
arbeitet, muss anders geführt werden<br />
als eine, die fünf Tage die Woche am<br />
Pult neben einem sitzt. Führungspersonen,<br />
die das nicht verstehen, werden<br />
ihren Platz früher oder später räumen<br />
müssen.<br />
Wie führt man Mitarbeitende remote?<br />
Mit viel Vertrauen. Man darf nicht alle<br />
paar Minuten anrufen oder überprüfen,<br />
ob sie online sind. Mitarbeitende<br />
sind produktiver und kreativer, wenn<br />
sie selbstbest<strong>im</strong>mt arbeiten. Und sie<br />
denken unternehmerischer.<br />
Wie klappt die Zusammenarbeit auf<br />
Distanz möglichst reibungslos?<br />
Wichtig ist, dass der oder die Vorgesetzte<br />
und das Team wissen, wann ich<br />
erreichbar bin – und wann nicht. Man<br />
darf nicht davor zurückschrecken, <strong>im</strong><br />
Kalender einzutragen, dass man um<br />
zehn Uhr ins Yoga geht und um 17 Uhr<br />
den Sohn ins Fussball bringt. So was<br />
ist legit<strong>im</strong> und hat Platz in der <strong>neue</strong>n<br />
<strong>Arbeitswelt</strong>. Dafür arbeite ich am<br />
Abend zwei, drei Stunden länger.<br />
Kann ich in dieser <strong>neue</strong>n <strong>Arbeitswelt</strong><br />
auch mal einen Tag in die Badi und<br />
dafür am Samstag arbeiten?<br />
Auf jeden Fall. Hauptsache, Sie kommunizieren<br />
das – und erledigen Ihre<br />
Arbeit. Und Sie dürfen natürlich keinen<br />
Kundentermin sausen lassen.<br />
Während der Arbeitszeit hat die Arbeit<br />
Priorität.<br />
Verwässert New Work nicht vollends<br />
die Grenze zwischen Arbeit und<br />
Privatleben?<br />
Wir trennen Work und Life viel zu<br />
krampfhaft. Der Job ist ein grosser<br />
Interview: Leandra Nef<br />
Teil unseres Lebens, die Grenzen dürfen<br />
verschw<strong>im</strong>men.<br />
Aber wo bleibt die Work-Life-Balance,<br />
wenn man ständig an die Arbeit denkt?<br />
Die Vorteile überwiegen. Wenn ich<br />
ganztags arbeite und abends he<strong>im</strong>komme,<br />
mich um die Kinder kümmere,<br />
dann gehe ich best<strong>im</strong>mt nicht<br />
mehr ins Yoga. Wenn ich das hingegen<br />
um zehn Uhr tue, ist die Work-Life-Balance<br />
am Ende des Tages die bessere.<br />
Für die meisten Büroangestellten<br />
bleibt diese Flexibilität wohl Wunschdenken.<br />
Vor zwei Jahren hätte ich Ihnen zugest<strong>im</strong>mt,<br />
heute nicht mehr. Durch die<br />
Pandemie haben viele Geschäftsleitungen<br />
erkannt, dass diese Art zu arbeiten<br />
bei Bürojobs funktioniert. Nun ködern<br />
sie die nächste Generation damit.<br />
Braucht es das Büro bei diesen Zukunftsaussichten<br />
überhaupt noch?<br />
Unbedingt. New Work bedeutet nicht,<br />
dass Mitarbeitende permanent zuhause<br />
arbeiten. Im Idealfall kommen<br />
sie regelmässig ins Büro, weil sie es als<br />
Homebase schätzen, als Ort, der die<br />
Unternehmensidentität widerspiegelt,<br />
<strong>annabelle</strong> No. 13/<strong>2021</strong> Foto: S<strong>im</strong>on Röthlin, Rüegg-Naegeli AG<br />
Inspirierend und<br />
flexibel: Bürowelt<br />
<strong>im</strong> Showroom der<br />
Innenarchitekten<br />
Rüegg-Naegeli
156<br />
Gestaltet die Büros der Zukunft: Jennifer Kossow<br />
ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
vermittelt. Das Büro wird schlicht<br />
für anderes genutzt als früher.<br />
Wofür konkret?<br />
Um Kontakte zu pflegen. Für Workshops.<br />
Zur Inspiration. Der Austausch<br />
an der Kaffeemaschine wird seit jeher<br />
unterschätzt. Da wird schnell mal<br />
getuschelt: «Er macht schon wieder<br />
Kafipause» oder «sie steht schon wieder<br />
draussen und raucht».<br />
Sie möchten nicht behaupten, Rauchen<br />
sei Arbeit?<br />
Doch. Be<strong>im</strong> Rauchen kann man Gedanken<br />
weiterspinnen, möglich, dass<br />
auch so <strong>neue</strong> Ideen kommen.<br />
Wie zeigt sich New Work räumlich?<br />
Einfach ein paar hippe Möbel ins Büro<br />
zu stellen reicht wohl nicht.<br />
Keinesfalls. Bevor wir bei Rüegg-Naegeli<br />
einen Raum gestalten, analysieren<br />
wir das Unternehmen und seine<br />
Arbeitsweise. Wie wird zusammengearbeitet?<br />
Trifft man sich zu Sitzungen<br />
oder zu Workshops? Unterschiedliche<br />
Bedürfnisse verlangen nach unterschiedlichen<br />
Zonen, die akustisch<br />
voneinander getrennt werden.<br />
Welche Zonen sind das?<br />
Sogenannte Public Zones für den spontanen<br />
Austausch – so kann man auch<br />
mal nur fürs Feierabendbier ins Büro<br />
kommen. Ausserdem Workshopräume<br />
mit mobilen Möbeln. Unsere <strong>Arbeitswelt</strong><br />
verändert sich permanent, unsere<br />
Räume müssen dasselbe tun.<br />
Und was, wenn ich konzentriert einen<br />
Text schreiben möchte?<br />
Dafür nutzen Sie einen Fokusarbeitsplatz.<br />
Die Schweizer Interiorfirma<br />
Erich Keller etwa lancierte in Zusammenarbeit<br />
mit dem Architekten und<br />
Designer Stephan Hürlemann jüngst<br />
ein Microoffice, das <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu den gängigen Besprechungs- und<br />
Telefonboxen nicht einfach als Objekt<br />
<strong>im</strong> Raum steht, sondern damit interagiert<br />
– von aussen kann man es zum<br />
Beispiel auch als Whiteboard nutzen.<br />
Es kommt mit höhenverstellbarer<br />
Arbeitsplatte und Stauraum. Ein Einzelbüro<br />
in der Box, sozusagen.<br />
Einzelbüros sind doch jetzt verpönt?<br />
Hierarchien werden <strong>im</strong>mer flacher.<br />
Man will sie nicht mehr <strong>im</strong> Raum abbilden,<br />
weder mit einer Teppichetage<br />
noch mit Büros, die einer einzigen<br />
Person zugeordnet sind. Von einem Microoffice<br />
aber können alle profitieren.<br />
Mal ehrlich: Am Ende zeigt sich doch<br />
gerade mit dem Wegfall der Einzelbüros,<br />
dass New Work nichts anderes ist<br />
als eine hübsch formulierte Sparübung.<br />
Im Gegenteil, es ist eine Investition in<br />
die Zukunft.<br />
Da werden Ihnen viele widersprechen.<br />
Auch jene Mitarbeitenden, die ihren<br />
fixen Arbeitsplatz verlieren – denn<br />
auch die verschwinden zusehends.<br />
Sie fürchten, man nehme ihnen den<br />
Arbeitsplatz weg. Das Gegenteil ist der<br />
Fall: Sie haben einen altbekannten mit<br />
höhenverstellbarem Tisch und Bürodrehstuhl<br />
und fünf weitere dazu. Sie<br />
können am Fenster arbeiten, in der<br />
Lounge, <strong>im</strong> Café, auf dem Sofa, der<br />
Terrasse. Sie haben vielleicht die<br />
Möglichkeit, Homeoffice zu machen.<br />
Sie gewinnen.<br />
Und was ist mit dem privaten Stauraum?<br />
Seien wir ehrlich: Den hat seit fünf<br />
Jahren niemand mehr angerührt. Weniger<br />
Stauraum bedeutet vor allem<br />
eines: weniger Schrott.<br />
<strong>annabelle</strong> No. 13/<strong>2021</strong> Foto: Dario Z<strong>im</strong>merli, Studio DZ