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kunst KULTUR JOKER 11

Gehen als Haltung

Das Ausstellungsprogramm der Biennale für Freiburg ist im September gestartet

Mit dem Namen scheint alles

gesagt: Biennale für Freiburg,

kurz BfF. Doch was heißt das

„für Freiburg2? Zumal der unmittelbare

Anlass für die Biennale

– die Schließung der Außenstelle

der Staatlichen Akademie

der Bildenden Künste

Karlsruhe – manchen immer

noch als Verlust erscheint, anderen

aber herzlich egal sein

wird. Zu uneins ist die Kunstszene

über ihr Selbstverständnis

und zu wenig großzügig.

„Für Freiburg“ heißt jedenfalls,

dass die Kunst mitten in

der Stadt und im öffentlichen

Raum zu finden ist, in einzelnen

Kunsträumen oder dem

Stadtgarten. Auch wenn die

Biennale, nicht zuletzt wegen

Corona, weniger Leute als die

es interessieren könnte, erreicht

hat. Das sollte sich nun

ändern, denn seit Anfang September

sind die Ausstellungen

eröffnet; die Häuser wie das

Museum für Neue Kunst oder

den Kunstverein Freiburg mit

Off-Spaces zu einem Parcours

verbinden und auch einen neuen

Ort wie die Kaiserwache

einbeziehen. An insgesamt

acht Kunstorten ist die von

Leon Hösl kuratierte Biennale

zu sehen, alle sind selbst zu

Fuß gut zu erreichen.

Nicht wenige der Arbeiten

dieser ersten Biennale-Ausgabe

reflektieren den öffentlichen

Raum, die Nischen, die er

bietet oder sie inszenieren den

Ausstellungsort als Ausdruck

von Urbanität. Im Kunstverein

Freiburg, der das Herz der

Biennale-Ausstellung ist, thematisieren

Arbeiten wie die

von Patrizia Bach die Definitionsmacht

über den öffentlichen

Raum. Seit 2015 läuft sie Istanbul

ab und kartografiert die

Veränderungen der Straßennamen,

die einer politischen

Agenda folgen. Bach übersetzt

die Namen zudem aus dem

Türkischen ins Deutsche und

fächert so auf Listen die verschiedenen

Valenzen der Bedeutungen

auf. Sie wiedersetzt

sich damit dem Bestreben,

Geschichte und Gegenwart auf

eine eindeutige Lesart zu reduzieren.

Die Wiener Künstlern

Luiza Margan, die in Kroatien

geboren wurde, hat sich mit

einem Partisanendenkmal von

Vinko Matković (1911-1973)

befasst. Die Skulpturengruppe

der Allegorie der Freiheit mit

zwei martialisch bewaffneten

Partisanen steht in Rijeka auf

einem 19 Meter hohen Pfeiler.

Mit einer Hebebühne hat

sich Margan auf Augenhöhe

begeben und hat die Fotos mit

historischen Aufnahmen aus

Matkovićs Atelier sowie einer

Art Attitüdendarstellung

aus ihrem eigenen Atelier

verbunden. Es ist auch eine feministische

Aneignung, denn

in den ideologischen Denkmälern

sind die handelnden

Figuren männlich, die allegorischen

weiblich. Auffallend

viele Arbeiten erinnern daran,

dass die Gegenwart nicht das

Maß ist. So rekonstruierte Patricia

Esquivias 2019 in „Brave

Wounded Blows“ den handwerklichen

Charakter eines

Madrider Stadtviertels, indem

sie sich mit einer aufgegebenen

Kunstschmiedewerkstatt befasst.

Zeitgenössische Architektur

füllt diese Lücken und

wirkt neben der historischen

Bausubstanz wie eine flache

Mimikry. Und, ebenfalls im

Filmprogramm im Museum

für Neue Kunst zu sehen, erinnert

Milica Tomić in ihrer

Videoarbeit an Stätten des jugoslawischen

Widerstands gegen

die deutsche Besatzung im

Zweiten Weltkrieg, indem sie

Ausstellungsansicht Kommunales Kino, Michel Auder:

May in `68 in ´78, 1978/2019, Video, edited by

Michael Stickrod, Bleacher (#4), 2021: Michael Stickrod in

Kollaboration mit Julius Martin-Humpert, Maristella Witt,

Ilja Zaharov und Franziska Rist

Foto: Marc Doradzillo

Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg,

Niklas Goldbach, Aufstellung: Freiburg

Foto: Marc Doradzillo

diese Orte mit einer geschulterten

Waffe abläuft.

Und Kriz Olbricht, der an der

Freiburger Außenstelle studiert

hat, holt den Begrüßungston

Kölner Kioske in den Kunstraum.

Er wird durch einen Bewegungsmelder

ausgelöst und

ist im Kunstverein Freiburg

an verschiedene Sensoren gekoppelt,

so dass er zum Sound

der Ausstellung wird. Niklas

Goldbach wiederum hat an

Freiburgs verborgenen Orten

fotografiert und Plätze dokumentiert,

die Wohnungslosen

als Unterschlupf und Rückzug

dienen. All das zeigt: es könnte

auch anders sein.

Nach ihrer Ausstellung vor

drei Jahren in der Galerie für

Gegenwartskunst im E-Werk

ist im Pförtnerhaus nun eine

Rauminstallation der 1979 in

Stuttgart geborenen Liesl Raff

zu sehen, die den ganzen Off-

Space ausfüllt. Raff arbeitet

vorwiegend mit Latex. Aus

diesem Material ist auch der

brombeerfarbene Vorhang,

der auf künstliches und natürliches

Licht jeweils anders

reagiert. „Schwindel“ heißt

ihre Ausstellung, der ausgelöst

werden könnte durch den

Wechsel zwischen den Materialien,

dem hautähnlichen

Charakter des Materials und

den Geruch von Latex, der

sich in dem kleinen Raum ausbreitet.

Rahima Gambo, deren

Videoarbeiten und Installation

im Museum für Neue Kunst

und im Delphi zu sehen sind,

stellt mit ihren Walks so etwas

wie die Leitfigur der Biennale

dar. Die nigerianisch-britische

Künstlerin hat das Gehen als

eine Praxis etabliert, die auch

den Dingen und Geschichten

am Wegesrand gerecht wird,

indem sie sie erzählt und vergegenwärtigt.

Es ist ein bisschen

so als ob sie in Gedanken

die Welt zurechtrückt, die leider

trotzdem unvollkommen

bleibt. Das muss man aushalten

– Kunst kann zeigen, wie.

Biennale für Freiburg #1,

bis 3. Oktober. BfB Besucherzentrum,

Münsterplatz 6. Do

12-20 Uhr, Fr –So 12-18 Uhr.

www.biennalefuerfreiburg.de

Annette Hoffmann

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