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kunst KULTUR JOKER 17

Der blinde Fleck

Das Kunstmuseum Basel Gegenwart bettet Tacita Deans Film „Antigone“ in ihr neues Werk ein

Zwanzig lange Jahre war

„Antigone“, sagt Tacita Dean,

die nicht verwirklichte Arbeit

in ihrem Werk. Doch vor drei

Jahren kam alles zusammen:

die Protagonisten ‒ die kanadische

Dichterin Anne Carson,

der Schauspieler Stephen

Dillane ‒, Orte wie Theben in

Illinois und das südenglische

Bodmin Moor und die Technik.

Dank des Mäzenatentums

der Laurenz-Stiftung sind

die Verbindungen nach Basel

eng, so dass „Antigone“ nach

früheren Stationen in London

und Bregenz jetzt auch hier zu

sehen ist. Für die 1965 geborene

Britin ist es nach 2006 im

Schaulager bereits die zweite

Ausstellung in Basel. Neben

älteren Fotos werden im

Kunstmuseum Basel Gegenwart

auch neue handgezeichnete

lithografische kalifornische

Abendstimmungen und

auch aktuelle Filme gezeigt.

Die drei jeweils 2017 entstandenen

16mm-Filme „Ear on a

Worm 1+2“ und „Squirrel on a

Wire“ dauern so lange wie Leonard

Cohens Song „Bird on

a Wire“ und führen vor, wie

federleicht-heiter Dean Zufälle

für ihre Arbeiten nutzt. Da

wird das Gefieder geputzt, geflattert

und dann waren es drei

Tauben auf einer Leitung vor

einem sehr blauen Himmel in

Los Angeles.

Tatsächlich wirkt es so als

wäre „Antigone“ der sprichwörtliche

blinde Fleck im

Werk. Und so ist es ein bisschen

müßig zu spekulieren, ob

die Verwirklichung derart lang

brauchte, weil es eine sehr persönliche

Arbeit ist oder ob sie

so persönlich ist, weil sie eine

derart lange Zeit in Anspruch

nahm. „Antigone“ hingegen

ist ein „kompliziertes“ Werk,

wie Tacita Dean lakonisch anmerkt.

Und ihr selbst auch ein

bisschen unheimlich. Der Film

ist zwar ihrer Schwester Antigone

gewidmet, doch Tacita

Dean, die immer ein großes

künstlerisches Interesse an der

Darstellung von Füßen hatte,

erkrankte vor einigen Jahren

an Arthrose, was sie wie Ödipus

hinken lässt.

In Tacita Deans Landschaften

ereignet sich Zeit. In „Antigone“

erleben wir nicht nur

Stufen einer totalen Sonnenfinsternis,

die Erde brodelt und

blubbert giftige Dämpfe aus,

im Bodmin Moor erinnern bizarre

Steinformationen an frühe

Besiedlungen und das Dorf

Theben in Illinois ist Nachhall

des antiken Mythos und des

Dramas von Sophokles. In ihrer

großen Wandarbeit „Chalk

Fall“, die wie der Film 2018

entstanden ist, hat sich Dean

Tacita Dean, „Antigone“, 2018

Tacita Dean, „Ear on a Worm 3“, 2017

© Courtesy the artist, Frith Street Gallery, London and Marian

Goodman Gallery, New York/Paris

Tag für Tag an einem Kreidefelsen

abgearbeitet. Ihre

Kreidezeichnung reagierte auf

das Abbrechen von Felsen in

ihrer britischen Heimat Kent,

vor allem jedoch schwand

während der Kreidefelsen anwuchs

die Lebenszeit ihres

Freundes Keith Collins. Als

er im Sterben lag, befand sie

Dean in Kalifornien. Individuelles

Leben und mythische Zeit

schließen sich bei Tacita Dean

nicht aus. Im alten Gerichtssaal

von Theben richten nun in

„Antigone“ Anne Carson und

Stephen Dillane entlang eines

älteren Textes von Carson als

Chor über Ödipus, der sich angesichts

des Vatermordes und

des Inzest selbst blendete.

Wider den Zeitgeist ist bereits

die Technik. Zwar arbeitet

Tacita Dean nicht ausschließlich

analog, aber meist

sind ihre Filme auch ein bildmächtiges

Plädoyer, die eigene

Mediengeschichte nicht zu vergessen.

In Basel werfen zwei

35mm-Projektoren die beiden

Bildfelder auf die Wand. Dean

hat den Film in Blendenmaskierungstechnik

gedreht und

die Filmspulen zwischen England

und ihrem Schnittplatz

in Los Angeles hin und her

transportiert. Wie Ödipus hatte

sie lange nur eine Innensicht

© Courtesy the artist, Frith Street Gallery, London and Marian Goodman Gallery, New York/Paris

Tacita Dean, „Squirrel on a Wire“, 2018

© Courtesy the artist, Frith Street Gallery, London and Marian

Goodman Gallery, New York/Paris

des Films. Wenn sich alles

ineinander fügt, Zufälle wie

sinnfällig erscheinen, hat dies

mit der geistesgegenwärtigen

Offenheit im Werk von Dean

zu tun, aber auch, dass Dean

den Mythos als Denkmuster

begreift, das sie angeht. Das

nimmt den Geschichten vom

Leben und Sterben ihre Wucht,

Tacita Dean findet rätselhaftschöne

Bilder, die wiederum

uns angehen.

Tacita Dean, Antigone.

Kunstmuseum Basel Gegenwart,

St. Alban-Rheinweg 60,

Basel. Dienstag bis Sonntag 11

bis 18 Uhr. Bis 9. Januar 2022.

Annette Hoffmann

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