flip-Joker_2021-10
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26 KULTUR JOKER trauerkultur
Raum und Zeit zum Erinnern
Verschiedene Wege des Abschiednehmens
Manchmal, wenn ich neben
meiner Tätigkeit als Bestatterin
die Familie auch als Trauerrednerin
begleite, sage ich am
Grab folgende Worte: Möge
dieser Ort ein Ort des inneren
Friedens sein. Möge es ein Ort
der Erinnerung sein in seiner
ursprünglichen Bedeutung von:
nach Innen gehen, zu den eigenen
(göttlichen) Quellen. Möge
es ein Ort sein, der Anstoß gibt,
das Leben und das Sterben von
…. zu ehren und zu würdigen.
Erinnerung als ein nach innen
gehen. Sich den Raum und die
Zeit nehmen, in mir nachzuspüren:
der Zeit und dem Erlebten
mit dem verstorbenen,
den angenehmen und auch den
unangenehmen Zeiten, in mir
nachzuspüren, was es braucht
für den Weg des Abschiednehmens,
in mir nachzuspüren,
was im Sinne des Verstorbenen
wäre und was ich selbst
brauche, in mir nachzuspüren,
wo meine Kraftquellen liegen,
was ich auf meinem Trauerweg
brauche an Unterstützung, an
Hilfe, an Atmosphäre.
Für so ein Erinnern im Sinne
von nach innen gehen braucht
es die entsprechenden Räume
und Orte dazu. Deshalb
ist es Horizonte Bestattungen
so wichtig, schöne, besonders
gestaltete Abschiedsräume anzubieten,
in denen man sich
am offenen Sarg verabschieden
kann, in denen man nach innen
gehen kann, um den Schmerz
und auch die eigene Kraft zu
spüren.
Und es braucht Menschen,
die diese Zeit geben, die dazu
einladen, im Innen den jeweils
nächsten Schritt zu finden und
auch gehen zu können. Und die
mich beraten und begleiten,
beim Weg zum letzten Ruheort.
Für so gut wie alle Menschen
gilt der Satz: „ich habe ihn/sie
in meinem Herzen“. Für manche
Menschen reicht das aus.
Sie brauchen keinen anderen
Ort für ihre Erinnerung.
„In meinem Herzen“, das ist
ein innerlicher Ort, den spüre
nur ich, der ist für niemanden
anderen sichtbar. Um nach
Innen zu gehen, um mich zu
erinnern, kann es aber auch
einen äußeren Ort brauchen,
einen Ort, der eine Verbindung
zum Verstorbenen herstellt, einen
Ort, der mir die Ruhe gibt,
mich in Erinnerung zu versenken,
einen Ort, den ich gestalten
kann.
Das können Friedhöfe sein.
Dort ist der Ort, wo das körperliche
in Form des Körpers oder
der Asche des Verstorbenen die
letzte Ruhe findet und weiter
verwandelt wird.
Das zu Hause erinnert an die
Zeit, wie ich mit diesem Menschen
gelebt habe, der Friedhof
erinnert daran, dass er nun
nicht mehr körperlich da ist, er
erinnert an die Toten. Wenn
ich auf dem Friedhof nach innen
gehe, dann werde ich wohl
auch mit meiner eigenen Endlichkeit
konfrontiert – und auch
das kann eine Kraftquelle sein,
kann mir helfen, neue Orientierung
zu finden.
Dieser Ort des Erinnerns
kann auch im Wald sein: Der
Ruheberg in Oberried, der Bestattungswald
im Kaiserstuhl,
der Ruhewald in Wittnau oder
auch in Freiamt, um die zu
nennen, die in Freiburgs Nähe
liegen, sind Waldstücke, die
von den jeweiligen Gemeinden
zu Friedhöfen erklärt wurden.
Dort werden Urnen rund um
einen Baum, den man sich aussuchen
kann, bestattet und ein
Namensschild am Baum oder
ein Gedenkstein am Boden zeigen,
wessen Asche dort liegt.
Der Wald mit seiner besonderen
Atmosphäre kann mir auf
meinem Weg des Erinnerns
und des Abschiednehmens
auch eine Hilfe sein.
Das Meer kann auch so ein
Ort sein. Bei einer Seebestattung
wird die Urne (eine, die
im Meerwasser auflösbar ist)
im Meer versenkt. Oder der
Verstorbene wollte, dass seine
Asche in der Natur verstreut
wird. Das ist in Deutschland
jedoch nicht möglich, da gilt
der Bestattungszwang. In der
Schweiz und in Frankreich ist
das Verstreuen der Asche in der
Natur möglich.
Wie auch immer der Weg aussehen
mag, sich immer wieder
der Erinnerung hinzugeben,
nach innen zu gehen, innezuhalten,
kann helfen, diesen Weg
des Abschiednehmens und des
Trauerns zu gehen.
Hiltrud Jacob, Bestatterin
und Trauerrednerin
Der Wald, ein Ort des Erinnerns
Foto: Promo