flip-Joker_2021-10
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
4 KULTUR JOKER THEATER Theater
Britta Stallmeister gelingt
es mühelos alle
Facetten der Frauenportraits
nachzuzeichnen
Foto: Ann-Marie Najderek
Er ist weg und sie ist wieder allein
Eine Chanson-Oper von Francis Poulenc und Barbara
Es ist eine alte Geschichte,
die doch immer neu bleibt, aber
selten gut ausgeht. Wenn verlassene
Geliebte in der Oper um
ihre Liebhaber trauern, dann findet
sich nicht immer gleich ein
Ersatz. Eine Ausnahme ist vielleicht
Ariadne, die sich schnell
in den Armen des jugendlichen
Gottes Bacchus tröstet, aber
meist kommt es, wie es kommen
muss: Er ist weg und sie ist wieder
allein. Die Oper hat für diese
Form des Klagegesangs ein eigenes
Genre ausgebildet, das Monodrama,
das Komponisten von
Georg Friedrich Benda bis Arnold
Schönberg bedient haben.
In dieser Tradition steht auch
das vierzigminütige Einpersonenstück
„La voixhumaine“
des französischen Komponisten
Francis Poulenc, in dem eine
junge Frau von ihrem Schlafzimmer
aus mit ihrem Geliebten
telefoniert, der sie um einer anderen
Frau Willen verlassen hat
und dem sie am Schluss ebenso
verzweifelt wie vergeblich ihre
Liebe beteuert. Da wir zwar nur
die Frau sprechen hören, aus ihren
Reaktionen aber das Gesagte
des Gegenübers rekonstruieren
können, ist der Monolog eigentlich
ein fingierter Dialog. Und
genau da setzt der Regisseur
Heiko Hentschel, der das Stück
mit der Opera Factory Freiburg
im Vorderhaus Freiburg
inszeniert hat, an. Er komplettiert
nämlich den episodischen
Ausschnitt bei Poulenc zum
Gesamtportrait einer liebenden
Frau, vermehrt die Dialogpartner
um uns Zuschauer, den
adretten Cellisten, das Mikrofon,
ergänzt den Gesang durch
gesprochene Passagen, die Oper
um Chansons und kreiert damit
ein neues Genre: die Chanson-
Opéra mit dem Titel „La Voix“!
Eine gesprochene Handlung
rahmt das Geschehen, zeigt
uns eine mal mehr, mal weniger
sympathische Frau, die ihr
Liebesleben zu ordnen versucht.
Eingebettet sind französische
Chansons von Barbara, die
leicht, subtil und melancholisch
von Sehnsucht, Einsamkeit
und Enttäuschung handeln.
Als Binnenhandlung läuft dann
das Stück von Poulenc ab, als
kompletter Kontrollverlust der
Frau, illustriert und kommentiert
von Schwarz-Weiß-Videoeinspielungen,
bevor sie langsam
wieder Herrin ihrer Sinne
wird und mit einem hübschen
Poulenc‘schen Walzer wieder ins
Leben zurückfindet. Der nächste
Rosenkavalier wartet bestimmt
schon...
Hentschel gelingt es, auf begrenztem
Raum mit wenigen
Requisiten, sensiblem medialem
Einsatz, einem Gespür für das
Nichtsagbare sowohl die Leerstellen
des Textes zu füllen als
auch diesen in überzeugende
Bilder zu fassen. Und das gelingt
ihm auch deshalb, weil er
mit Britta Stallmeister eine Sängerdarstellerin
hat, die mühelos
alle Facetten seines Frauenportraits
nachzuzeichnen vermag.
Poulenc hat für die Singstimme
eine in bester französische
Tradition stehende textnahe
Vrokallinie geschrieben, die
sich in fließenden Übergängen
zwischen Sprechen oder Fast-
Sprechen und ariosen, sogar arienhaften
Aufschwüngen ergeht.
Stallmeister findet ihren ganz
eigenen Weg einer Verbindung
von französischer Deklamation
und einem an der italienischen
Oper geschulten Melos. Und
auch bei den Chansons mischt
sich ihr Opernklang wunderbar
mit deren Intimität und Entspanntheit.
Die Klavierfassung Poulencs
wie auch die Chansons von Barbara
hat der Pianist Klaus Simon
arrangiert, um eine Cellostimme
ergänzt und mit dieser, gespielt
von Philipp Schiemenz, ein instrumentales
Pendant zur Gesangsstimme
geschaffen. Beide
haben ebenso einen Sinn für
die dramatischen Aufschwünge,
die sinnlichen Momente
wie für Intimes, Uneindeutiges,
Entlarvendes. Der Reiz der Musik
Poulencs liegt im Detail, in
den Nuancen. Zwei Instrumente
reichen, um das deutlich zu machen.
Poulenc bestimmt übrigens
die komplette Saison der Opera-
Factory Freiburg und der Holst-
Sinfonietta: Bienvenue Francis!
Bernd Zegowitz
Klassische Satire für heutige Tage
Das Calestec-Ensemble wagt die Wiedererweckung von Grimmelshausens legendärem „Simplicissimus“
Hans Jacob Christoffel von
Grimmelshausen lebte fast zwei
Jahrzehnte in den Oberkircher
Ortsteilen Gaisbach und Tier-
DIE SCHÖNEN
MUSIKTHEATER IM E-WERK
Das wahre Leben der
FLORENCE FOSTER JENKINS
SOUVENIR
24. SEP - 06. NOV
dieschoenen.com
garten. In Gaisbach, während des
verherrenden Dreißigjährigen
Krieges entstanden große Teile
seines berühmtesten Werks, des
Schelmenromans „Simplicissimus
Teutsch“. Der Autor solcher Weltliteratur
will natürlich gefeiert
werden, am besten in Oberkirch
selbst. Also heißt es zu seinem
400. Geburtstag eben dort: „Simplicissimus
21 – Grimmelshausens
neues Vermächtnis“.
Solch ein Titel stiftet natürlich
Neugierde. Wie mag man sich
einer solchen historischen Gestalt
zeitgemäß nähern? Ein Musiktheaterstück
wird es! Geschrieben
und komponiert wurde das Werk
vom Künstler-Duo Calestec, namentlich
Joanna Choi und Niclas
Oettermann, international agierende
Künstler mit einem spartenübergreifenden
Team und einem
Faible für klassische Stoffe. Dabei
stand das Duo vor keiner einfachen
Aufgabe. Zwar gilt Grimmelshausen
als einer der bedeutendsten
deutschen Romanschriftsteller
des 17. Jahrhunderts, jedoch
gleichermaßen als sperrig, zu
komplex, ausladend und schlichtweg
altmodisch. Ein solches Urteil
greift sicher zu kurz, bedenkt
man den angriffslustigen Gestus
seines berühmten Alter Egos, des
Simplicissimus. Das Duo-Calestec
sah schnell Anknüpfungspunkte
für eine Übertragung
des kritischen Stoffes auf heutige
Tage: „Beim Studieren des ‚Simplicissimus
Teutsch‘ haben wir die
Erfahrung gemacht, wie sehr uns
seine Worte bewegten. Nicht nur
die gesellschaftssatirische Aufdeckung
von Selbstlügen und Unaufrichtigkeiten
anderer, sondern
auch seine Spiegelbetrachtung
berührt. Schillernde Zitate wie
‚Erkenne dich selbst jeden Tag‘
klingen doch hochmodern.“
Eine Spiegelbetrachtung wird
es, die auch Oberkirch, die zwischenzeitliche
Heimat seines Erfinders
und Alter Egos Grimmelshausen
miteinschließt. Simplicissimus
steht nicht nur wieder auf,
sondern kehrt auch in Oberkirch
wieder. Tanz, Gesang, Darstellung,
Bühnenprojektionen und
das Calestec Music Ensemble sind
Teil der Aufführung.
Premiere des Stücks „Simplicissimus
21 – Grimmelshausens
neues Vermächtnis“: 9. Oktober,
20 Uhr in der Erwin-Braun-Halle
Oberkirch. Weitere Aufführung:
10. Oktober, 19 Uhr.
Infos und Karten: www.oberkirch-kultur.de
von links: Volker Schebesta, MdL/Staatssekretär im Ministerium
für Kultus, Jugend und Sport, Joanna Choi, CALESTEC,
Isabell Ehrlich, Stadt Oberkirch, Herrn Oberbürgermeister
Matthias Braun, Niclas Oettermann, CALESTEC und
Alexander Meßmer, Vorstandsmitglied der Sparkasse Offenburg/
Ortenau
Foto: Anita Huber/Stadt Oberkirch