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© Screenshot/Youtube.com/AFP

Dieser Clip ging um die Welt: Ein sichtlich eingeschüchterter, von Taliban umzingelter

afghanischer Nachrichtensprecher des Senders „Peace Studio“ Ende August.

nicht mal Teil der afghanischen Kultur.

Menschen in Afghanistan kleiden sich

allgemein eher bescheiden – das ist

schon Teil der Kultur. Aber früher durften

die Frauen sich aussuchen, was sie

tragen – und dafür stehe ich auch ein, ob

nun vollständiges Bedecken oder nicht,

das sollte eine freie Entscheidung sein.

Das geht jetzt nicht mehr. Ausländische

Reporterinnen haben es leichter, sie

dürfen sich im Land frei bewegen und

berichten. Sie werden von den Taliban

anders behandelt als unsere Frauen. Das

ist eine feige Doppelmoral.

Warum werden ausländische Journalistinnen

anders behandelt als afghanische?

Weil die Taliban international ihr Image

aufpolieren wollen, wenn man das so

sagen kann. Sie haben ihre Strategie

geändert. Sie sind jetzt, im Gegensatz

zu früher, offen für Hilfe von außen und

für Verhandlungen. In den Neunzigern

waren die Taliban sogar gegen das

Fernsehen oder das Fotografieren von

Menschen. Heute wollen sie sich als

quasi neue Generation präsentieren. Sie

wollen sich international als gemäßigter

zeigen, aber in Afghanistan selbst sieht

man wenig davon.

Wir haben ja alle das Foto von dem

TV-Reporter gesehen, der im Studio von

bewaffneten Taliban-Kämpfern umgeben

ist und sichtlich vor Angst zittert.

Ja, das ist das, was gerade mit der

Pressefreiheit in Afghanistan passiert.

Wir hatten viele Probleme in den letzten

Jahren, aber zumindest hatten wir die

Pressefreiheit.

Wie ist das Frauenbild der Taliban heute?

Genauso verzerrt. Sie sagen: Wir respektieren

Frauen, aber Frauen sollen zu

Hause bleiben. Es gibt keinen Platz für

Frauen in der Politik und im öffentlichen

Leben. Ihrer Meinung nach sind Frauen

dazu da, den Männern zu dienen. Sie

interpretieren da in die Kultur und Religion

etwas hinein, was nicht da ist. Weil

sie Frauen nicht als Teil der Gesellschaft

ansehen, sondern offen und ehrlich

gesagt als Sexobjekte. Und das hat

meiner Meinung nach weder mit Religion

oder Kultur zu tun, sondern mit fragiler

Männlichkeit.

Die Taliban haben Versprechen gemacht,

dass Frauen sich weiterhin bilden dürfen.

Wird dieses Versprechen eingehalten

werden?

Das wird sich in der Praxis schwierig

gestalten. Sie wollen Klassenräume, die

nach Geschlechtern getrennt sind. Dafür

hat Afghanistan einfach keine Kapazitäten,

weil wir nicht genug weibliche

Lehrerinnen und Professorinnen haben.

Afghanistan ist ein sehr patriarchales

Land. Selbst wenn sie das so ankündigen,

wird es einfach an der Durchsetzbarkeit

scheitern.

Was sagen Sie zu Frauen, die mit den

Taliban sympathisieren? Wir denken da

an die Frauen, die in Kabul auf Pro-Taliban-Demos

Schilder hochhalten.

Ich respektiere sie, so wie ich jeden

Menschen respektiere. Ich finde es nur

paradox, dass man für ein System auf

die Straße geht, das sich gegen die

Demokratie richtet, denn genau diese

Meinungsfreiheit macht eine Demokratie

ja aus und dazu gehört eben auch

die Möglichkeit, zu demonstrieren. Ich

denke ehrlich gesagt, dass viele dieser

Frauen sich über die Situation nicht im

Klaren sind und einfach das mitmachen,

was sie von ihren Vätern, Onkeln und

Brüdern hören. Ich vermute, dass sie

nicht genau wissen, was auf diesen

Schildern steht. Das ist ja das nächste

Problem: In Afghanistan gibt es in der

Praxis keine Schulpflicht, das heißt, niemand

kontrolliert, ob Eltern ihr Kind zur

Schule schicken oder nicht. Und dadurch

entstehen enorme Bildungslücken und

Analphabetismus. Und so dreht sich das

Rad immer weiter.

Sind Sie in Kontakt mit der afghanischen

Community in Wien? Und kann man

überhaupt von Community sprechen?

Die Diaspora hier ist sehr divers, genau

wie in Afghanistan. Es gibt die Liberalen,

die Konservativen, es gibt die, die aktiv

am politischen und gesellschaftlichen

Leben teilnehmen, und solche, vor allem

Frauen, die oftmals kaum ihr Haus verlassen.

Die Spannbreite reicht von sehr

gebildeten Menschen bis hin zu AnalphabetInnen.

Was sagen sie zu den wiederholten

Straftaten, die von afghanischen Männern

an Frauen in Österreich verübt

werden?

Es tut mir weh, so etwas zu hören. Wir

versuchen hier, mit solchen Menschen in

Kontakt zu treten und sie zu sensibilisieren

und aufzuklären, was die Kultur, den

Culture-Clash und die Sitten hier angeht.

Frauen sind keine Sexobjekte. Ich denke

aber nicht, dass solche Männer, von

denen wir hier sprechen, unbedingt mit

den Taliban sympathisieren. Das ist kein

politisches Denken, sondern ein sehr

veraltetes und konservatives Weltbild.

Aber das ist nur ein Bruchteil, die meisten

afghanischen Männer respektieren

ihre Frauen, Mütter und Töchter und

verurteilen so ein Verhalten.

22 / POLITIKA /

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