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KURZ GEHT,
KURZISMUS BLEIBT
Was geschieht nun mit dem politischen Erbe des Sebastian Kurz? Bleiben
Moscheen unbehelligt, Integrationsbotschafter verwaist und die Balkan-Routen
unbewacht? Diese Fragen stellt sich der ehemalige IGGÖ-Pressesprecher und
Medienberater Ruşen Timur Aksak. Ein Gastkommentar.
Der einst schillernde Stern am Firmament
der Konservativen Europas hängt in den
Seilen. Wie ein schwer angeschlagener
Boxer braucht es nur noch einen Treffer, um ihn
endgültig ins Land der Träume zu schicken. Jetzt
werden natürlich die Boxfreunde unter uns einwenden,
dass auch ein in den Seilen hängender Boxer
sich zurückkämpfen kann. Natürlich. Aber sollte
das Kurz gelingen, dann wäre es wohl das größte
Comeback, seit Lazarus von den Toten auferstanden
ist.
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber die
Zeichen stehen auf Untergang. Die Häme und Kritik der politischen
Gegner des Ex-Kanzlers sind nicht sein größtes Problem,
sondern mehr die schwerwiegenden Anschuldigungen und
die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn – und ganz
besonders die Absetzbewegungen der mächtigen ÖVP-LandesfürstInnen.
Das schmerzt, denn nichts steht in der ÖVP symbolträchtiger
für den Machtverlust eines Parteiobmanns, als wenn
die grauen Eminenzen aus den Landeshauptstädten am Stuhl
des ÖVP-Parteiobmanns sägen (lassen). Kurz kennt das, denn
er selbst hat seinen Vorgänger Mitterlehner mit stiller Zustimmung
der schwarzen Landesfürsten abgesägt.
Nehmen wir also mal an, wir haben den Anfang vom Ende
schon erlebt. Was bedeutet das für die Integrations- und Islam-
Themen, die Erfolg und Aufstieg des türkisen (nicht türkischen,
bitte, obwohl auch Erdoğans Stern sinkt und sinkt) Populisten
überhaupt ermöglicht haben? Denn darüber wird kaum gesprochen,
auch nicht in jenen etablierten Redaktionen, die dieser
Tage ganz erpicht auf Analysen und Vorhersagen zur politischen
Zukunft des Landes sind.
OBSESSION MIT ASYL UND ISLAM
Was geschieht nun mit dem politischen Erbe des Sebastian
Kurz? Bleiben Moscheen unbehelligt, Integrationsbotschafter
verwaist und die Balkan-Routen unbewacht? Wir kennen die
Antwort. Auch wenn Kurz´ Niedergang endgültig sein wird,
so wird sein politisches Erbe überleben. Denn eines ist klar:
Sebastian Kurz war nie ein Wunderknabe, sondern vor allem
Der Autor Ruşen
Timur Aksak
ein ehrgeiziger Machtpolitiker, der noch als Staatssekretär
für Integration relativ früh erkannt hatte,
wie viele Probleme gegeben sind, und wie einfach
er reüssieren könnte, wenn er diese rechtspopulistisch
aufgeladen in sein politisches Portfolio
aufnehmen würde. Man erinnere sich an das
Thema „Islam-Kindergärten“. Für jeden Kenner der
Lage war es ein vielschichtiges Problem mit vielen
Verantwortlichen, aber es waren die Türkisen, die
daraus ein bundespolitisches und sogar ein Wahlkampfthema
gemacht haben. Ein hochrangiger
Funktionär eines großen Islamverbandes hat mir einmal unter
vier Augen gesagt: „Kurz und seine Leute haben uns studiert,
sie waren nett zu uns und dann haben sie alles gegen uns
verwendet.“ Die gepflegte Obsession für die Themen Asyl, Migration
und Islam sind fester Bestandteil des kurz’schen Erfolgs.
In keinen anderen Bereichen war der effektive Widerstand der
anderen Parteien und auch der Medien so gering wie in diesen.
Weil sich die Parteien und viele Medien bis heute regelrecht
weigern, in diesen Bereichen – gerade beim Thema Islam/
ismus – notwendige Kapazitäten aufzubauen und Ressourcen
aufzustellen, war es für Kurz ja so leicht. Wer nicht weiß, unter
welchen strengen Bedingungen (Moschee-)Vereine überhaupt
aufgelöst werden können, ist für den türkisen Schmäh natürlich
ein leichteres Opfer gewesen. Und nur so konnte die jüngste
Verschärfung des Islamgesetzes am Ende von allen Parlamentsparteien
(bis auf die FPÖ) derart kleinlaut durchgewunken
werden.
Was ich als ehemaliger Journalist, Ex-IGGÖ-Pressesprecher
und Medienberater rückblickend sagen kann: Auch wenn Kurz
gegangen sein wird, so wird der Kurzismus bleiben. Kurzismus,
das ist ein Modell, das jedem populistischen Semi-Charismatiker
noch die Chance auf die Kanzlerschaft gibt, wenn er nur
die richtigen Themen mit 2–3 knackigen Slogans bespielt. Ob
das nun ein Kurz-Klon in der ÖVP oder eine wiedererstarkte
FPÖ sein wird, ist mittlerweile ja schon unerheblich. Es ist den
linken und liberalen Parteien und auch den Medien im Freudentaumel
nicht zu verzeihen, dass sie es waren, die Kurz’ Weg
begünstigt und den Kurzismus zugelassen haben. ●
© privat
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