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Luxus und Nachhaltigkeit - kein Widerspruch

Luxus und Nachhaltigkeit - wie passt das zusammen? Steht Luxus nicht für Überfluss, Dekadenz und Nimmersatt und Nachhaltigkeit für Achtsamkeit und Langlebigkeit. Ja, und gerade diese beiden Perspektiven wachsen gerade zusammen. Das neue UmweltDialog Magazin macht sich auf eine spannende Spurensuche nach nachhaltigem Luxus.

Luxus und Nachhaltigkeit - wie passt das zusammen? Steht Luxus nicht für Überfluss, Dekadenz und Nimmersatt und Nachhaltigkeit für Achtsamkeit und Langlebigkeit. Ja, und gerade diese beiden Perspektiven wachsen gerade zusammen. Das neue UmweltDialog Magazin macht sich auf eine spannende Spurensuche nach nachhaltigem Luxus.

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Ausgabe 16<br />

November 2021<br />

9,00 EUR<br />

<strong>Luxus</strong><br />

<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> müssen<br />

sich nicht widersprechen<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

Was ...<br />

EDITORIAL<br />

... ist <strong>Luxus</strong>? Und kann das überhaupt mit <strong>Nachhaltigkeit</strong> einhergehen?<br />

Wenn wir von der deutschen Definition ausgehen, lautet die Antwort<br />

eher: Nö. <strong>Luxus</strong> ist hierzulande kostspielig, verschwenderisch, über das<br />

Gebotene hinausgehend <strong>und</strong> nur (sic!) dem Genuss <strong>und</strong> Vergnügen dienend.<br />

Da ist neben Beschreibung auch schon eine Menge Bewertung enthalten.<br />

In anderen Kulturkreisen ist man da entspannter: Im Englischen<br />

beschreibt <strong>Luxus</strong> großen Komfort <strong>und</strong> Eleganz, gleichwohl teuer. In Spanien<br />

ist es ähnlich: Es ist das Zurschaustellen von Dingen, in die man viel<br />

Geld oder auch viel Zeit investiert hat.<br />

Und wie ist das für Sie persönlich? <strong>Luxus</strong> kann die kleine Sünde sein, die<br />

man sich als Naschkatze gönnt, oder ein teures Gemälde, auf das man<br />

jeden Abend schaut. Es ist natürlich die Rolex oder der Zwölfzylinder in<br />

der Garage, oder es ist das Kleider-Unikat, das aus Stoffresten entstand.<br />

<strong>Luxus</strong> ist es, einen Job zu haben, der einem Spaß macht. Oder eben <strong>kein</strong>e<br />

Arbeit im Kopf zu haben <strong>und</strong> sich Menschen oder Dingen zu widmen, die<br />

einem wichtiger sind. <strong>Luxus</strong> ist am Ende so verschieden <strong>und</strong> ähnlich wie<br />

wir alle.<br />

In unserer aktuellen Ausgabe haben wir ganz unterschiedliche Menschen<br />

gefragt, was sie mit <strong>Luxus</strong> verbinden. Besonders hervorheben<br />

möchte ich hier den Beitrag mit Cate Blanchett, die in der Filmwelt für<br />

Glamour steht, sich uns privat aber als sehr bodenständig <strong>und</strong> „normal“<br />

präsentiert. Und wir sind mithilfe von Expert:innen der Frage nachgegangen,<br />

wie sich <strong>Luxus</strong> vom klassischen Statussymbol zu eher immateriellen<br />

Werten weiterentwickelt hat. Hierbei spielt <strong>Nachhaltigkeit</strong> eine wachsende<br />

Rolle. Wir zeigen Ihnen, wie neue Formen von <strong>Luxus</strong> aussehen. Da ist<br />

von Secondhand, von vermeintlichem Abfall <strong>und</strong> immer wieder von ganz<br />

viel Handarbeit, Liebe zum Produkt <strong>und</strong> Achtsamkeit die Rede.<br />

Aber wir wollen uns in dieser Ausgabe auch ehrlich machen: Viele <strong>Luxus</strong>bzw.<br />

hochwertige Güter sind weiterhin nicht nachhaltig. Schmuck aus<br />

schäbigen Minen in Afrika zum Beispiel oder auch Mozzarella – Letzteres<br />

war mir vorher gar nicht so bewusst. Und dann machen wir noch mal<br />

einen Exkurs zurück zur Definition am Anfang: Für viele Deutsche ist<br />

<strong>Luxus</strong> dekadent. Deshalb unternimmt unsere Gastautorin eine lesenswerte<br />

Reise durch die Geschichte der Dekadenz.<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht im Namen der gesamten Redaktion Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Chefredakteur<br />

Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 16.05.2022.


<strong>Luxus</strong><br />

Inhalt<br />

EINFÜHRUNG<br />

<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> ................................................... 6<br />

„Früher zählte Tradition, heute Transparenz“ .............. 12<br />

Im Gespräch mit Professor Dr. Fernando Fastoso,<br />

Brand Management für <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> High-Value Brands<br />

Neue Dimensionen von <strong>Luxus</strong>marken ........................... 16<br />

<strong>Luxus</strong> wird sich in Zukunft neu definieren. Protziger<br />

Status-<strong>Luxus</strong> ist von gestern, Understatement wird immer<br />

beliebter.<br />

6<br />

Sind <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> ein<br />

<strong>Widerspruch</strong>? Brauchen wir in einer<br />

Welt knapper werdender Ressourcen<br />

Dinge, die zwar schön, aber nicht<br />

notwendig sind? Oder hat vielleicht<br />

gerade das <strong>Luxus</strong>segment die Mittel<br />

für umwelt- <strong>und</strong> sozialverträgliche<br />

Produkte? Sind dann also <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> doch <strong>kein</strong> Gegensatz?<br />

Welcher Typ <strong>Luxus</strong>konsument:in bist Du? ....................24<br />

<strong>Luxus</strong> ist für alle da! ...........................................................26<br />

<strong>Luxus</strong> ist nicht mehr länger nur etwas für die Elite.<br />

La Noblesse Française: Die französische<br />

Erfolgsgeschichte der <strong>Luxus</strong>industrie............................30<br />

Die herausragende Stellung Frankreichs im <strong>Luxus</strong>markt<br />

beruht auf einem erfolgreichen, jahrh<strong>und</strong>ertealten<br />

Zusammenspiel.<br />

MEINUNGEN<br />

Chamäleon Cate .................................................................34<br />

Schauspielerin oder Aktivistin? Cate Blanchett ist in<br />

zwei sehr unterschiedlichen Welten unterwegs.<br />

Kaufen ist wie Kokain ........................................................38<br />

Im Gespräch: Carl Tillessen, Autor <strong>und</strong> Trendanalyst<br />

Mehr in Partnerschaften denken ....................................40<br />

Im Gespräch: Nanda Bergstein, Director Corporate<br />

Responsibility bei Tchibo<br />

Recht auf Teilhabe .............................................................42<br />

Im Gespräch: Michael Neuhaus, Teil des<br />

B<strong>und</strong>essprecher:innenrats Linksjugend<br />

Adlon oblige ........................................................................44<br />

Im Gespräch: Michael Sorgenfrey, Direktor des<br />

Hotels Adlon Kempinski, Berlin<br />

Retterin in der Not ..............................................................46<br />

Im Gespräch: Gisela Fleter, Leiterin der „Tafel“ in Mettmann


<strong>Luxus</strong><br />

Seit Generationen für Generationen ...............................48<br />

Im Gespräch: Dr. Tillmann Blaschke,<br />

Geschäftsführer, Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen<br />

Auf unnötigen Konsum verzichten .................................50<br />

Im Gespräch: Asuka Kähler, Sprecher Fridays<br />

for Future, Frankfurt<br />

34<br />

DEKADENZ<br />

Kampfbegriff Dekadenz ....................................................52<br />

Erst die Orgie, dann der Untergang: Dekadenz ist der Anfang<br />

vom Ende, lautet der Verdacht, gerade in den Religionen.<br />

Cate Blanchett macht sich nicht nur für andere stark,<br />

sie hat sich auch dazu verpflichtet, ihren eigenen<br />

Alltag nachhaltiger zu gestalten.<br />

Das dunkle Geheimnis des Mozzarellas ........................58<br />

Wie Kühe, Ziegen <strong>und</strong> Schafe leiden auch Büffel in der<br />

Milchindustrie.<br />

Unterirdisch .........................................................................62<br />

In den Herkunftsländern von Rohstoffen wie Zinn, Wolfram<br />

oder Tantal hat sich das Leben unter Corona vor allem für<br />

Kleinbergleute weiter verschlechtert.<br />

Willkommen in der Wegwerfgesellschaft .....................64<br />

Wir leben in einer Überfluss- <strong>und</strong> deshalb auch<br />

Wegwerfgesellschaft – dazu Wolfgang Königs Buch.<br />

52<br />

ALTERNATIVEN<br />

Schön, aber auch grün? ....................................................66<br />

<strong>Luxus</strong>- sowie konventionelle Kosmetikmarken machen<br />

sich auf den Weg zu mehr <strong>Nachhaltigkeit</strong>.<br />

Advertorial | Thonet<br />

Thonet lebt seit über 200 Jahren den<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>sgedanken ................................................. 70<br />

Das ausschweifende Leben reizt seit Jahrtausenden,<br />

ebenso wie die Kritik daran. Ein Dokumentarfilm<br />

begibt sich in die Welt der Gelage <strong>und</strong> Gelüste.<br />

Leben wie die LOHAS ........................................................ 72<br />

Bei <strong>Luxus</strong> denken die wenigsten an <strong>Nachhaltigkeit</strong>.<br />

Doch das ändert sich.<br />

Advertorial | BANTLEON<br />

Gemeinsam mehr bewirken.............................................. 74<br />

Gebrauchtes mit Bling Bling ............................................ 76<br />

Die <strong>Luxus</strong>branche entdeckt das Geschäft mit Waren aus<br />

zweiter Hand zunehmend für sich.<br />

Cash mit Trash .................................................................... 78<br />

Mittlerweile hat die Idee, nicht mehr benötigten Produkten<br />

ein zweites Leben zu schenken, den <strong>Luxus</strong>markt erreicht.<br />

„Möglichst billig verreisen muss aufhören“ .................80<br />

Die Reisegewohnheiten werden nach Corona deutlich anders<br />

aussehen, ist Touristik-Experte Urs Weber überzeugt.<br />

66<br />

Cremes, Duschgel <strong>und</strong> Make-up benutzen viele<br />

von uns jeden Tag. Kosmetikprodukte enthalten aber<br />

oft potenziell umwelt- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsgefährdende<br />

Inhaltsstoffe.


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Seventyfour / stock.adobe.com<br />

6<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Sind <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

ein <strong>Widerspruch</strong>?<br />

Brauchen wir in einer Welt<br />

knapper werdender<br />

Ressourcen Dinge, die zwar<br />

schön, aber nicht notwendig<br />

sind? Oder hat vielleicht<br />

gerade das <strong>Luxus</strong>segment die<br />

Mittel für umwelt- <strong>und</strong><br />

sozialverträgliche Produkte?<br />

Sind dann also <strong>Luxus</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

doch <strong>kein</strong> Gegensatz?<br />

Karl Lagerfeld hat einmal gesagt:<br />

Wer <strong>Luxus</strong> mit Reichtum verwechselt,<br />

besitzt <strong>kein</strong>e Kultur.<br />

Damit sind wir schon beim Kern der<br />

Frage. Unsere Vorstellung von <strong>Luxus</strong><br />

ist nämlich eng mit unserer Kulturgeschichte<br />

verwoben: Es gab Zeiten, in denen<br />

hanseatische Kaufleute ihren Reichtum<br />

in Pfeffersäcken maßen. In den<br />

Niederlanden herrschte in den 1630-er<br />

Jahren ein wahrer Tulpenrausch, sodass<br />

die Zwiebeln bis zum H<strong>und</strong>ertfachen<br />

des Goldgewichts gehandelt wurden.<br />

Und das Teemonopol der britischen Krone<br />

führte 1773 bekanntlich zum Beginn<br />

des Unabhängigkeitskrieges in Nordamerika.<br />

Heute sind Pfeffer, Tee, Tulpen <strong>und</strong> so<br />

viele andere Raritäten früherer Tage<br />

hierzulande Alltagsgüter. Jeder kann<br />

sie sich leisten, weil sie sich auch jeder<br />

leisten will. Die Geschichte des <strong>Luxus</strong><br />

ist nämlich eng mit der Geschichte des<br />

Konsums verknüpft. <strong>Luxus</strong>güter lösen<br />

Begehrlichkeiten aus, <strong>und</strong> das führt zu<br />

einer Art „Demokratisierung“ des Konsums.<br />

Er wird für jedermann erschwinglich.<br />

Dafür entstehen an anderer Stelle<br />

immer neue <strong>Luxus</strong>bedürfnisse, sodass<br />

der Strom am Ende nie versiegt.<br />

<strong>Luxus</strong> braucht Bew<strong>und</strong>erer <strong>und</strong><br />

Mitwisser<br />

<strong>Luxus</strong> kommt aus dem Lateinischen <strong>und</strong><br />

steht laut Langenscheidt-Lexikon für<br />

Prunk, Verschwendung <strong>und</strong> Ausschweifung.<br />

Und Letzteres hat bekanntlich<br />

eine moralische Note: Ein Leben in <strong>Luxus</strong><br />

kann <strong>und</strong> soll sich nicht alle leisten.<br />

<strong>Luxus</strong>güter dienen der Distinktion <strong>und</strong><br />

dem Prestige. „<strong>Luxus</strong> braucht Bew<strong>und</strong>erer<br />

<strong>und</strong> Mitwisser“, wusste bereits<br />

der römische Philosoph Seneca. Zu viel<br />

davon ist aber nicht gut: Zu viel <strong>Luxus</strong>,<br />

zu viel Konsum, zu viel Protz empfinden<br />

wir als Dekadenz. Dabei schwingt dann<br />

immer auch der Untergang mit. Für viele<br />

hat <strong>Luxus</strong> daher einen negativen Beigeschmack.<br />

Es ist dekadent, es hat <strong>kein</strong>e<br />

Zukunft.<br />

<strong>Luxus</strong>güter definieren sich allermeist<br />

aber auch über hohe Qualität. Und das<br />

„gut Gemachte“ bezieht sich heute nicht<br />

mehr nur auf das Material, sondern auch<br />

den Herstellungsprozess. <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

ist für immer mehr Menschen heute ein<br />

Qualitätsmerkmal <strong>und</strong> damit auch ein<br />

<strong>Luxus</strong>attribut. Bei „New Luxury“, wie es<br />

die Expert:innen nennen, ist <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

das neue Unterscheidungsmerkmal.<br />

Die nachhaltige Jeans. Das grüne Smartphone.<br />

Die faire Schokolade. Alles schön<br />

<strong>und</strong> gut <strong>und</strong> ohne „aber“.<br />

Wirklich? In der <strong>Nachhaltigkeit</strong>sdiskussion<br />

kennen wir zwei Lesarten, die sich<br />

nicht auflösen lassen. In der einen Narration<br />

wird <strong>Nachhaltigkeit</strong> meistens<br />

mit Verzicht in Verbindung gebracht.<br />

Planetare Grenzen, Überbevölkerung,<br />

Klimawandel verlangen von uns Suffizienz,<br />

Postwachstum <strong>und</strong> Bescheidenheit.<br />

Für vieles Nicht-Notwendige ist da <strong>kein</strong><br />

Platz. Die Schriftstellerin Juli Zeh sagte<br />

kürzlich im Spiegel-Interview über diese<br />

Sichtweise: „Da gilt, dass es früher besser<br />

war, nämlich vorindustriell, dann<br />

wurde es schlechter <strong>und</strong> schlechter, <strong>und</strong><br />

je näher wir der Gegenwart kommen,<br />

desto schlimmer ist es. In dieser Betrachtungsweise<br />

liegt das Positive hinter<br />

uns.“<br />

In der anderen Lesart ist <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

eine Idee von einer Gesellschaft, zu der<br />

wir wachsen können. Der Trend- <strong>und</strong><br />

Zukunftsforscher Matthias Horx beobachtet<br />

„eine Verschmelzung von Lebensstilen,<br />

die früher getrennt waren“. Nachhaltige<br />

Transformation als Evolution in<br />

die richtige Richtung. In dieser Narration<br />

nehmen <strong>Luxus</strong>güter eine wichtige<br />

Funktion ein: Hochpreisig <strong>und</strong> exklusiv<br />

lassen sich hier <strong>Nachhaltigkeit</strong>sattribute<br />

testen, egal ob sie teuer sind. Und wenn<br />

sie marktfähig sind, dann sorgt der Neid<br />

der Vielen auf die Wenigen auf Dauer<br />

für die Demokratisierung <strong>und</strong> den Rollout<br />

in der Masse.<br />

<strong>Luxus</strong>produkte: Soziales Engagement<br />

zahlt sich nicht immer aus<br />

Soziale Verantwortung zu übernehmen,<br />

wird auch von Unternehmen erwartet,<br />

die <strong>Luxus</strong>artikel verkaufen. Aktuelle<br />

Marktanalysen haben jedoch sehr >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

7


<strong>Luxus</strong><br />

Wie verändert<br />

sich <strong>Luxus</strong>?<br />

Wertewandel<br />

Individualismus<br />

Zunehmender Wohlstand<br />

Demokratisierung des <strong>Luxus</strong>konsums<br />

Emanzipation der Frau<br />

Prestige<br />

Demonstrativer Konsum<br />

Soziale Stratifikation<br />

Demonstration von Reichtum<br />

Hedonismus<br />

Immaterielle Werte<br />

„Luxury Experience“<br />

Selbstverwirklichung<br />

Inspiration<br />

Authentizität<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Quelle: <strong>Luxus</strong> im Wandel, Ergebnisse der Fachtagung am 18./19. Mai 2015 in Göttingen<br />

unterschiedliche Effekte eines solchen<br />

Engagements auf die Konsument:innen<br />

gezeigt. Gerade wenn eine Marke Dominanz<br />

<strong>und</strong> Exklusivität symbolisiert,<br />

kann es als Gegensatz erscheinen, wenn<br />

sich das entsprechende Unternehmen<br />

für soziale Projekte einsetzt. Denn dies<br />

wird normalerweise eher mit Gleichheit<br />

<strong>und</strong> Fürsorge assoziiert. Was Firmen beachten<br />

sollten, damit ihre sozialen Bemühungen<br />

positiv von Verbraucher:innen<br />

angenommen werden, fand ein Team<br />

um Prof. Dr. Sascha Alavi der Ruhr-Universität<br />

Bochum (RUB) heraus. Dafür<br />

analysierte die Gruppe bekannte <strong>Luxus</strong>-<br />

Marken wie Bulgari, Burberry Group<br />

<strong>und</strong> Christian Dior.<br />

Dabei fanden sie heraus, dass bei den<br />

meisten K<strong>und</strong>en der Eindruck vorherrscht,<br />

das soziale Engagement der<br />

Firmen geschehe nur aus egoistischen<br />

Gründen, zum Beispiel um neue Käuferschichten<br />

zu gewinnen. „Das heißt<br />

aber <strong>kein</strong>esfalls, dass <strong>Luxus</strong>marken sich<br />

nicht sozial engagieren sollen. Sie müssen<br />

dabei nur einiges beachten“, erläutert<br />

Alavi. Statt externe philanthropische<br />

Projekte durchzuführen, sollten sich die<br />

Unternehmen auf ihr eigenes Personal<br />

fokussieren. Investitionen in deren Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Wohlbefinden, Entwicklung,<br />

eine konkurrenzfähige Vergütung sowie<br />

Mentorenprogramme können die negativen<br />

Reaktionen der Konsumentinnen<br />

<strong>und</strong> Konsumenten reduzieren <strong>und</strong> ihre<br />

Loyalitätsabsichten steigern.<br />

Firmen, die sich extern sozial engagieren<br />

möchten, rät Alavi, ihre Marke lieber<br />

nachhaltig anstatt exklusiv zu gestalten.<br />

Das könne sogar helfen, die negativen<br />

Folgen eines schon bestehenden philanthropischen<br />

Engagements zu überwinden,<br />

ohne es aufzugeben. „Damit die<br />

K<strong>und</strong>en <strong>Nachhaltigkeit</strong>sversprechen als<br />

positiv wahrnehmen, müssen die Firmen<br />

ihnen aber auch wirklich gerecht<br />

werden“, betont Alavi. Dies könne zum<br />

Beispiel gelingen, wenn sie nachhaltige<br />

Rohmaterialien verwenden <strong>und</strong> diese<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> dann auch in der gesamten<br />

Lieferkette sicherstellen.<br />

Postmaterialismus <strong>und</strong> das<br />

Aufkommen von „New Luxury“<br />

Diese neue Sichtweise hängt eng mit dem<br />

Aufkommen des Postmaterialismus zusammen,<br />

wo die Erfüllung immaterieller<br />

Bedürfnisse zunehmend wichtiger wird.<br />

Dazu zählen insbesondere die Präferenz<br />

lokaler Produzenten oder das Bedürfnis<br />

nach Authentizität. Folgerichtig hat sich<br />

die Definition von <strong>Luxus</strong> gewandelt: Tradierte,<br />

nach außen gerichtete <strong>Luxus</strong>werte<br />

wie Prestige, demonstrativer Konsum<br />

<strong>und</strong> Zeigen, was man hat, treten immer<br />

öfter in den Hintergr<strong>und</strong> vor innengerichteten,<br />

persönlichkeitsbezogenen <strong>Luxus</strong>attributen<br />

wie Selbstverwirklichung<br />

<strong>und</strong> nachhaltige Verantwortung. Die neuen<br />

Statussymbole heißen Achtsamkeit,<br />

Zeit oder Sinn – Purpose statt Profit.<br />

Das ist ein harter Bruch mit der Vergangenheit.<br />

Wir erinnern uns: Die Yuppies<br />

der achtziger Jahre begannen – mangels<br />

politischer <strong>und</strong> gesellschaftlicher Vorbilder<br />

– Porsche, Rolex <strong>und</strong> Boss / Armani /<br />

Chanel zu ihren Idolen zu machen. Davon<br />

ist heute wenig geblieben. „Wir<br />

leben in einer Gesellschaft des materiellen<br />

Überflusses, in der Handwerkskunst,<br />

die ja in vielen Fällen <strong>Luxus</strong>güter<br />

auszeichnet, nicht mehr wertgeschätzt<br />

wird“, sagt Christian Hugo Hoffmann im<br />

Interview mit Business Insider. Die Gegenströmung<br />

kennzeichnet sich durch<br />

eine konsumkritische Komponente.<br />

Hannes Gurzki von der TU Braunschweig<br />

referiert dazu in einem Sympo-<br />

8 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

sium zum Thema: „Wir kaufen nicht nur<br />

Produkte, wir kaufen Emotionen <strong>und</strong><br />

ein Lebensgefühl! Die Basis bildet Vertrauen.<br />

Konsumenten suchen Produkte<br />

<strong>und</strong> Marken, mit denen sie sich identifizieren<br />

können, Unternehmen, die eine<br />

einzigartige, authentische Geschichte<br />

erzählen können. Die Kombination der<br />

verschiedenen Elemente erzeugt eine<br />

wahrgenommene Knappheit, die zur<br />

Exklusivität <strong>und</strong> Begehrlichkeit der Produkte<br />

beiträgt.“<br />

Was diese Märkte aus Unternehmenssicht<br />

so attraktiv macht, ist ihre Exklusivität<br />

<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen attraktiven<br />

Margen. Vor allem die Food-Branche<br />

hat das früh erkannt. Hier noch einmal<br />

Hannes Gurzki dazu: „Die traditionellen<br />

Lebensmittelhersteller <strong>und</strong> Händler<br />

haben die Attraktivität des <strong>Luxus</strong>-Wertversprechens<br />

für sich entdeckt <strong>und</strong> versuchen,<br />

durch neue ‚Prestige‘-Produkte<br />

das Unternehmensimage aufzuwerten<br />

<strong>und</strong> ihre Margen zu steigern. Beispiele<br />

hierfür finden sich von Rewe mit der Linie<br />

‚Feine Welt‘ bis hin zum Discounter<br />

Lidl, die mit einer ihrer Kampagnen in<br />

Deutschland auf selbstdefinierten <strong>Luxus</strong><br />

setzen.“<br />

Ohne den chinesischen Markt geht<br />

nichts<br />

Doch der Trend ist nicht nur im Supermarkt<br />

erkennbar. Die IKB Bank hat unlängst<br />

dazu die weltweite Entwicklung<br />

analysiert. Ihr Fazit: Der globale Markt<br />

für <strong>Luxus</strong>konsumgüter zeigt seit zwanzig<br />

Jahren eine beeindruckende Wachstumsstory,<br />

die nur während der letzten<br />

Finanzkrise temporär unterbrochen<br />

wurde. So ist der Umsatz zwischen den<br />

Jahren 2000 <strong>und</strong> 2019 um 4,8 Prozent<br />

jährlich gewachsen <strong>und</strong> hat sich damit<br />

absolut betrachtet mehr als verdoppelt.<br />

Alleine im vergangenen Jahr konnte die<br />

Branche nach Zahlen des Beratungsunternehmens<br />

Bain & Company auf r<strong>und</strong><br />

281 Mrd. € zulegen. Inklusive der übrigen<br />

Segmente des <strong>Luxus</strong>gütermarktes,<br />

zu denen u. a. Autos, Yachten oder<br />

<strong>Luxus</strong>reisen zählen, stieg der weltweite<br />

Umsatz im vergangenen Jahr um vier<br />

Prozent auf circa 1,3 Bio. €.<br />

Umso deutlicher ist der Corona-bedingte<br />

Einbruch: Bain & Company schätzt den<br />

Umsatzrückgang auf r<strong>und</strong> 35 Prozent.<br />

Wohl <strong>und</strong> Wehe der Branche entscheiden<br />

sich dabei einzig in einem Land: Im<br />

Jahr 2019 waren 90 Prozent des globalen<br />

Marktwachstums auf Einkäufe chinesischer<br />

Konsument:innen zurückzuführen.<br />

Zu Beginn 2020 stotterte der Wachstumsmotor<br />

China jedoch erheblich. Das<br />

Land war von der Pandemie zuerst betroffen<br />

<strong>und</strong> begegnete dieser mit strikten<br />

Ausgangssperren, Geschäftsschließungen<br />

<strong>und</strong> Reiseverboten. So brach<br />

nicht nur der Umsatz mit <strong>Luxus</strong>gütern in<br />

China selbst ein, sondern auch in vielen<br />

anderen Regionen der Welt. Inzwischen<br />

hat sich die Lage in China <strong>und</strong> in vielen<br />

Ländern Asiens deutlich beruhigt. Davon<br />

angetrieben verzeichnen einzelne<br />

<strong>Luxus</strong>marken wie Hermès sogar ein Umsatzwachstum<br />

gegenüber dem Vorjahr. f<br />

Was ist <strong>Luxus</strong>?<br />

Super Luxury<br />

Ultra Premium<br />

Luxury<br />

„My little Luxury“<br />

Super Premium<br />

Near Luxury<br />

Premium<br />

Affordable Luxury<br />

Upmarket<br />

„Democratization of Luxury“<br />

Quelle: <strong>Luxus</strong> im Wandel, Ergebnisse der Fachtagung am 18./19. Mai 2015 in Göttingen<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

9


<strong>Luxus</strong><br />

bei Schwellenland-Millionären trotz Krise beliebt<br />

Foto: New Africa / stock.adobe.com<br />

Die millionenschwere Oberschicht aus Ländern<br />

wie Brasilien, Russland, Indien <strong>und</strong> China (BRIC)<br />

lässt sich von der Realität nicht aus dem Konzept<br />

bringen. Millionär:innen <strong>und</strong> Milliardär:innen<br />

bleiben ihrem Hang zum <strong>Luxus</strong> treu <strong>und</strong> denken<br />

offenbar nicht ans Sparen. Der US-amerikanischen<br />

Unternehmensberatung Bain and Company<br />

zufolge wird der <strong>Luxus</strong>gütermarkt auch in den<br />

kommenden Jahren rasant weiterwachsen. Zwar<br />

können sich die BRIC-Staaten selbst dem derzeitigen<br />

Abschwung nicht entziehen. Allerdings<br />

wird das Geschäft mit der teuren Ware von einem<br />

kleinen, aber schwer betuchten Personenkreis getragen.<br />

Größter Treiber ist weiterhin China: Während<br />

Millennials <strong>und</strong> Generation Z-Konsumenten<br />

hierzulande eher kritisch mit dem Thema <strong>Luxus</strong><br />

umgehen, ticken Chinas Kids ganz anders. Fashion<br />

United schreibt: „Millennials repräsentieren<br />

mehr als 70 Prozent des <strong>Luxus</strong>mode- <strong>und</strong> Lifestyle-Marktes,<br />

während die Gen Z die am schnellsten<br />

wachsende Gruppe ist.“<br />

Auch der steigende Wohlstand von Frauen wird<br />

den <strong>Luxus</strong>marken künftig zugute kommen.<br />

„Der persönliche <strong>Luxus</strong>, verb<strong>und</strong>en mit Handtaschen,<br />

Lederwaren, Bekleidung, Accessoires<br />

<strong>und</strong> Schmuck, ist stark weiblich geprägt“, so<br />

ein Marktkenner gegenüber der Wirtschaftszeitschrift<br />

Capital.<br />

10 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Weltweite Ausgaben für <strong>Luxus</strong>artikel 2014 (in Miliarden Euro)<br />

351 | <strong>Luxus</strong>autos<br />

223 | Persönliche <strong>Luxus</strong>artikel (Kleidung, Schmuck u. a.)<br />

150 | Hotels<br />

58 | Weine <strong>und</strong> Spirituosen<br />

39 | Feinkost<br />

19 | Flugreisen<br />

18 | Designermöbel<br />

7 | Yachten<br />

1 | Kreuzfahrten<br />

Quelle: BAIN & COMPANY<br />

Die wertvollsten <strong>Luxus</strong>-Marken der Welt | Ranking nach Markenwert 2019 (in Mrd. US-Dollar)<br />

47,2 | Louis Vuitton (FRA)<br />

37,0 | Chanel (FRA)<br />

31,0 | Hermès (FRA)<br />

25,3 | Gucci (ITA)<br />

8,4 | Rolex (CHE)<br />

6,0 | Cartier (FRA)<br />

6,0 | Burberry (GBR)<br />

Quelle: BrandZ / Kantar<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

11


„<br />

<strong>Luxus</strong><br />

Früher zählte<br />

Tradition,<br />

heute<br />

Transparenz<br />

Über Protzen, Selbstbelohnung, die „Generation Greta“ <strong>und</strong> warum die<br />

Deutschen Aufwand, der nur zum Vergnügen betrieben wird, abstrafen.<br />

Im Gespräch mit Professor Dr. Fernando Fastoso, der seit dem Wintersemester<br />

2020 die landesweit erste Stiftungsprofessur in Brand<br />

Management für <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> High-Value Brands an der Hochschule<br />

Pforzheim inne hat.<br />

12 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Axel Grehl / pressestelle@hs-pforzheim.de<br />

UmweltDialog: Seht her: Ich bin, was ich<br />

besitze. Das denken viele. Und Sie glauben,<br />

dass Konsum uns gesellschaftlich <strong>und</strong> beruflich<br />

voranbringt. Ist da was dran?<br />

Prof. Dr. Fernando Fastoso: <strong>Luxus</strong> hat<br />

in Deutschland einen schlechten Ruf<br />

<strong>und</strong> wird oft sehr negativ wahrgenommen.<br />

Mit <strong>Luxus</strong> kann man nur protzen,<br />

denken viele. Wenn man sich aber mit<br />

<strong>Luxus</strong> näher befasst, dann stellt man<br />

fest, dass es auch private Gründe gibt,<br />

warum jemand sich <strong>Luxus</strong> gönnt. Es<br />

gibt bestimmte <strong>Luxus</strong>produkte, mit denen<br />

man eine Außenwirkung erzeugen<br />

kann. Autos zum Beispiel sind wichtige<br />

Objekte, mit denen man sich präsentiert.<br />

Daher kann ein <strong>Luxus</strong>auto als Zeichen<br />

von Protz interpretiert werden. Aber es<br />

gibt auch <strong>Luxus</strong>produkte, die <strong>kein</strong>er –<br />

oder kaum einer – außer dem Nutzer<br />

zu sehen bekommt. Denken Sie zum<br />

Beispiel an Kosmetik oder Designerküchen.<br />

Wen kann man mit solchem<br />

Besitz beeindrucken außer sich selbst?<br />

Es gibt also private Motivationen für den<br />

<strong>Luxus</strong>. Sie haben mit Genuss, mit Selbstbelohnung,<br />

mit Freude zu tun. Diese<br />

zwei Motivationen zum <strong>Luxus</strong>konsum,<br />

die private <strong>und</strong> die soziale, haben schon<br />

immer in <strong>Luxus</strong>käufern koexistiert. Der<br />

wesentliche Unterschied zu früher ist,<br />

dass heute viel mehr Menschen <strong>Luxus</strong>marken<br />

konsumieren <strong>und</strong> kennen, sodass<br />

die Außenwirkung des <strong>Luxus</strong> größer<br />

geworden ist.<br />

Aber ist das dann noch <strong>Luxus</strong>, wenn das<br />

ganz viele konsumieren? Ist nicht <strong>Luxus</strong><br />

auch immer so was Exklusives, das halt<br />

nicht jeder hat?<br />

Stimmt. Wenn jeder etwas haben kann,<br />

dann kann dieses etwas <strong>kein</strong> <strong>Luxus</strong><br />

sein. Aber ab welcher Stückzahl eines<br />

Produkts hört Rarität auf? Sind die<br />

300.000 produzierten Porsches im Jahr<br />

<strong>Luxus</strong> oder eher die 80 Bugattis? <strong>Luxus</strong><br />

ist nicht absolut, sondern liegt ein<br />

Stück weit im Auge des Betrachters. Es<br />

ist die relative Exklusivität, was Menschen<br />

im <strong>Luxus</strong> suchen. Die implizite<br />

Frage ist aber: Braucht die Welt <strong>Luxus</strong>?<br />

Meine Antwort lautet: Nein. Die<br />

Welt braucht <strong>kein</strong>en <strong>Luxus</strong>, denn >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

13


„<br />

<strong>Luxus</strong><br />

Ich finde<br />

es spannend,<br />

dass der<br />

Begriff<br />

<strong>Luxus</strong> in<br />

Deutschland<br />

so viele<br />

Abwehrkräfte<br />

mobilisiert.<br />

<strong>Luxus</strong> ist nicht notwendig. Offensichtlich<br />

gibt es aber viele Menschen, die<br />

<strong>Luxus</strong> genießen oder sich nach <strong>Luxus</strong>produkten<br />

oder <strong>Luxus</strong>erlebnissen sehnen,<br />

das heißt nach besonders authentischen,<br />

hochwertigen, hochpreisigen <strong>und</strong><br />

ästhetisch ansprechenden Produkten.<br />

Was unterscheidet <strong>Luxus</strong> von Überfluss?<br />

Wir im Westen, also Menschen in Industrienationen,<br />

leben in einer Überflussgesellschaft.<br />

Ich finde es spannend,<br />

dass der Begriff <strong>Luxus</strong> in Deutschland<br />

so viele Abwehrkräfte mobilisiert. Auf<br />

<strong>Luxus</strong> scheinen viele Menschen hier<br />

ihre Wut über die Konsumgesellschaft<br />

zu fokussieren. <strong>Luxus</strong> ist mit Sicherheit<br />

überflüssig, weil er nicht notwendig ist.<br />

Dabei sind wir alle in unserem Leben<br />

von Produkten umgeben, die zwar nicht<br />

<strong>Luxus</strong>produkte, aber auch überflüssig<br />

sind. Ein Mobiltelefon kann man heute<br />

als eine Notwendigkeit in unserer Gesellschaft<br />

ansehen, aber ich kenne viele<br />

Menschen, die das Handy alle anderthalb<br />

Jahre wechseln. Fernseher scheinen<br />

auch immer größer werden zu müssen.<br />

Ist das notwendig? Überfluss fängt für<br />

mich viel, viel weiter vor dem <strong>Luxus</strong> an.<br />

Gleichzeitig stellen junge K<strong>und</strong>:innen die<br />

Hersteller vor ganz neue Herausforderungen.<br />

Passen die „Generation Greta“ <strong>und</strong><br />

<strong>Luxus</strong>marken überhaupt noch zusammen?<br />

Foto: Axel Grehl / pressestelle@hs-pforzheim.de<br />

Auf jeden Fall. Die „Generation Greta“<br />

nimmt <strong>Luxus</strong> stärker wahr als frühere<br />

Generationen. Als ich ein Teenager war,<br />

kam ein durchschnittlicher Jugendlicher<br />

kaum in Kontakt mit <strong>Luxus</strong>marken.<br />

Heute sind Jugendliche durch soziale<br />

Medien dem <strong>Luxus</strong> weit exponiert, zum<br />

Beispiel über Influencer. <strong>Luxus</strong> wirkt<br />

daher allgegenwärtig. Eine Marke wie<br />

Louis Vuitton scheint heute jeder Teenager<br />

zu kennen – <strong>und</strong> für viele ist sie<br />

auch begehrlich. Gleichzeitig sorgt sich<br />

diese Generation um die Zukunft der<br />

Erde, <strong>und</strong> so ist es für sie selbstverständlich,<br />

dass sich auch Marken für <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

einsetzen sollen. So ist für diese<br />

Generation die Kombination aus Genuss<br />

<strong>und</strong> der Lösung von existenziellen Fragen,<br />

etwa von Klimaherausforderungen,<br />

<strong>kein</strong> <strong>Widerspruch</strong>.<br />

Bei <strong>Nachhaltigkeit</strong> reden wir eigentlich<br />

gar nicht so sehr über Attribute der <strong>Luxus</strong>produkte<br />

als vielmehr über deren Herstellung.<br />

Ist also die Einhaltung von Umwelt-<br />

<strong>und</strong> Sozialstandards der eigentliche<br />

<strong>Luxus</strong>?<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> können wir der Authentizität,<br />

die von <strong>Luxus</strong>marken erwartet<br />

wird, unterordnen. Authentizität war<br />

im <strong>Luxus</strong> immer wichtig. Früher lief die<br />

Kommunikation von Authentizität über<br />

Tradition, also jahrh<strong>und</strong>ertelange Handwerkskunst,<br />

die sich von Generation zu<br />

Generation vererbt. Heutzutage verstehen<br />

die jüngeren Generationen die Authentizität<br />

auch im Sinne von Offenheit<br />

<strong>und</strong> Transparenz der Herstellungsprozesse<br />

eines Markenproduktes. Transparente<br />

Firmen werden als authentisch<br />

erlebt.<br />

Authentizität ist ein Aspekt. Der andere<br />

Aspekt ist die echte Umsetzung, <strong>und</strong> das<br />

kostet Geld. Bieten <strong>Luxus</strong>produkte Herstellern<br />

die Chance, teure Innovationen<br />

zunächst darüber am Markt zu positionieren,<br />

bevor sie mit der Zeit günstiger<br />

14 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

werden? Taugen sie also als Reallabor<br />

für nachhaltige Entwicklung oder ist das<br />

Quatsch, weil es Herstellern wie K<strong>und</strong>en<br />

gar nicht darum geht?<br />

Auf Premiummarken würde das zutreffen.<br />

Wenn Sie etwa an Technologie in<br />

Autos denken, dann gibt es viele Neuerungen,<br />

die zunächst bei Premiumprodukten<br />

eingeführt worden sind <strong>und</strong> dann<br />

auf günstigere Modelle vererbt wurden.<br />

Bei <strong>Luxus</strong>produkten sehe ich diesen<br />

Mechanismus nicht so klar, weil die <strong>Luxus</strong>industrie<br />

in der Frage der Sustainability<br />

nicht geführt hat, sondern eher<br />

den Erwartungen der Konsument:innen<br />

gefolgt ist. Lange herrschte bei deren<br />

Manager:innen die Überzeugung, dass<br />

<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> nicht zusammenpassen<br />

– <strong>und</strong> das sehen ältere Konsument:innen<br />

sicher auch so.<br />

Ordnet die Corona-Krise die <strong>Luxus</strong>branche<br />

neu?<br />

Die Ankunft der von manchen angekündigten<br />

„Roaring Twenties“ steht noch<br />

aus. China zum Beispiel war im letzten<br />

Sommer aus dem Lockdown raus, <strong>und</strong> da<br />

haben wir dann das Phänomen des „Revenge<br />

Spending“, also Rache-Ausgaben,<br />

erlebt. All das, was<br />

man sich während<br />

des Lockdowns<br />

nicht hat leisten<br />

können, wurde im<br />

Sommer nachgeholt<br />

– direkt im<br />

Laden oder online.<br />

Da herrschte ein<br />

großer Konsumrausch.<br />

Global<br />

gesehen ist aber<br />

laut einer Studie<br />

der Unternehmensberatung<br />

Bain&Company<br />

die Nachfrage<br />

nach Secondhand-<br />

<strong>Luxus</strong> während<br />

Corona um zehn<br />

Prozent gestiegen,<br />

während<br />

der Markt für<br />

Firsthand-<strong>Luxus</strong><br />

um 20 Prozent gesunken ist. Das zeigt,<br />

dass sustainable luxury „im Trend“ ist.<br />

Es gibt Internetanbieter wie RentThe-<br />

Runway, wo Sie <strong>Luxus</strong>produkte mieten<br />

können. In der Presse haben Sie sicher<br />

mitbekommen, dass viele <strong>Luxus</strong>marken<br />

negative Schlagzeilen machten, weil sie<br />

Produkte aus älteren Saisons vernichten<br />

oder verbrennen, um der Nachfrage<br />

nicht zu schaden. Dagegen haben sich<br />

neue Start-ups gegründet, die sogenannte<br />

„Mystery Boxes“ vermarkten. Anbieter<br />

wie Heat oder Scarce verkaufen überschüssige<br />

<strong>Luxus</strong>produkte in einer Überraschungszusammenstellung.<br />

Insbesondere<br />

bei jungen Konsument:innen gibt<br />

es eine rege Nachfrage danach. Corona<br />

hat hier Geschäftsmodelle gefördert, die<br />

es vor zehn Jahren nicht gegeben hätte.<br />

Gebrauchter <strong>Luxus</strong>, Circular Economy<br />

oder der Rented <strong>Luxus</strong> sind für Verbraucher<br />

heute echte Alternativen, <strong>und</strong> das<br />

sind positive Entwicklungen.<br />

Wir haben bis jetzt immer über den europäischen<br />

K<strong>und</strong>:innen gesprochen. Aber<br />

wie steht es um die Einstellungen der<br />

K<strong>und</strong>:innen in China oder Russland?<br />

<strong>Luxus</strong>konsumenten unterscheiden sich<br />

weltweit, <strong>und</strong> das ist eine große Schwierigkeit<br />

für Marken, die sich global positionieren.<br />

Marken muss der Spagat gelingen,<br />

Erfolg zu haben in <strong>Luxus</strong>märkten,<br />

die sich auf verschiedenen „Reifestufen“<br />

befinden. In Nordamerika <strong>und</strong> in Europa<br />

haben wir reife Märkte, wo viele Konsumenten<br />

an Entmaterialisierung denken,<br />

also an den Verzicht auf Eigentum. Für<br />

die Greta-Generation ist nicht das Auto,<br />

sondern der Verzicht auf ein Auto das<br />

wahre Statussymbol. In weniger entwickelten<br />

<strong>Luxus</strong>märkten dagegen geht<br />

Status immer noch mit Besitz des <strong>Luxus</strong><br />

einher.<br />

Sie sagten am Anfang, dass die Neiddiskussion<br />

typisch deutsch sei. Wie erklären<br />

Sie sich das?<br />

Ich habe mir die Definition von <strong>Luxus</strong><br />

in verschiedenen Sprachen angeschaut<br />

<strong>und</strong> stelle fest, dass nur die deutsche<br />

Definition von <strong>Luxus</strong> einseitig <strong>und</strong> negativ<br />

ist. Da ist von Verschwendung,<br />

Überfluss <strong>und</strong> Aufwand die Rede. Mein<br />

Lieblingsaspekt darin sieht <strong>Luxus</strong> als<br />

Aufwand, der „nur zum Vergnügen“<br />

betrieben wird. Das sagt viel aus über<br />

die deutsche Seele. Wo kämen wir<br />

denn hin, wenn plötzlich alle Aufwand<br />

betreiben würde, nur zum Vergnügen! –<br />

stelle ich ironisch fest. Im englischen<br />

Verständnis vom <strong>Luxus</strong> gibt es dagegen<br />

auch den Aspekt der Leichtigkeit <strong>und</strong><br />

des Komforts. Im Italienischen, Spanischen<br />

<strong>und</strong> Französischen kommen die<br />

Schönheit <strong>und</strong> der Genuss dazu. All das<br />

fehlt im Deutschen, was interessant <strong>und</strong><br />

für mich als Nichtdeutscher spannend<br />

ist.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

15


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: sveta / stock.adobe.com<br />

NEUE<br />

DIMENSIONEN<br />

VON<br />

LUXUS-<br />

MARKEN<br />

<strong>Luxus</strong> wird sich in Zukunft neu definieren. Protziger Status-<br />

<strong>Luxus</strong> ist von gestern, Understatement wird immer beliebter.<br />

Der zukünftige Konsument wird sich stärker mit Style<br />

Symbolen als mit Status Symbolen umgeben. Deshalb muss<br />

sich jede <strong>Luxus</strong>marke den zukünftigen Herausforderungen<br />

stellen, die sich durch neue Lebensstile <strong>und</strong> eine neue<br />

ästhetische Wahrnehmung ergeben.<br />

16 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Die Evolution von <strong>Luxus</strong><br />

Altes <strong>und</strong> neues <strong>Luxus</strong>verständnis<br />

Eindimensional: Status Symbole<br />

Dominante Funktion<br />

• <strong>Luxus</strong> als Ausdruck der sozialen Herkunft<br />

• Unterscheidung von anderen<br />

• Demonstration von Macht <strong>und</strong> Leistung<br />

• Genießen von Privilegien<br />

• Status als primäre Identitätsstiftung<br />

Prinzip<br />

• Sich abgrenzen von anderen<br />

• Demonstration des Besitzes<br />

Mehrdimensional: Style Symbole<br />

Dominante Funktion<br />

• <strong>Luxus</strong> als Ausdruck des Lebensstils<br />

• Individuelle Selbstverwirklichung<br />

• Demonstration ästhetischer Kompetenz<br />

• Genießen von Freiräumen<br />

• Erlebnisorientierung als primäre Sinnstiftung<br />

Prinzip<br />

• Frei sein für Inspiration<br />

• Bewusstes Understatement<br />

Quelle: BRAND+<br />

Kulturphilosophisch ist <strong>Luxus</strong> alles, was<br />

nicht gewöhnlich oder nötig ist. <strong>Luxus</strong><br />

kommt vom lateinischen „lux“ <strong>und</strong> bedeutet<br />

„Licht“. <strong>Luxus</strong> glänzt <strong>und</strong> lebt<br />

von der Demonstration. Die <strong>Luxus</strong>marke<br />

ist heute <strong>und</strong> in Zukunft jedoch mehrdimensional<br />

zu sehen <strong>und</strong> zu managen.<br />

1. These<br />

Protz ist out – Understatement ist in<br />

Der protzige Status-<strong>Luxus</strong> ist ein Auslaufmodell.<br />

Auch wenn sie es sich leisten<br />

könnten, fliegen viele Geschäftsleute<br />

<strong>und</strong> Privatpersonen heute nicht Business<br />

Class. Da der Leistungsunterschied<br />

zu Economy sehr gering ist, überwiegt<br />

das Gefühl von Cleverness, wenn man<br />

sich dagegen entscheidet.<br />

Mehrheitlich will der aufgeklärte <strong>Luxus</strong>konsument<br />

nicht vordergründig seine<br />

soziale Herkunft signalisieren. Es ist<br />

nicht mehr die Zeit für B<strong>und</strong>eskanzler<br />

in Brioni-Anzügen. Menschen tragen<br />

Blue Jeans, die zwar sehr hochpreisig,<br />

aber zerrissen sind. Mit dieser Verfremdung<br />

wird der Symbolwert des Produkts<br />

ironisch in einen anderen Kontext transferiert.<br />

– In einen Kontext, der „wahren“<br />

Status durch Understatement signalisiert.<br />

Ostentativ zur Schau gestellter <strong>Luxus</strong> ist<br />

mit dem Zeitgeist nicht kompatibel. Erfolgspotenzial<br />

haben <strong>Luxus</strong>marken, die<br />

sich auf Understatement verstehen. Beispielsweise<br />

verzichtet die italienische<br />

Designermarke Bottega Veneta weitgehend<br />

auf Wiedererkennungszeichen. Je<br />

mehr nur echte Kenner die Marke <strong>und</strong><br />

ihren Wert identifizieren, desto besser.<br />

Management-Empfehlungen<br />

• Denken Sie nicht traditionell in den<br />

Kategorien Oben vs. Unten<br />

• Vermeiden Sie Begriffe des alten<br />

<strong>Luxus</strong> („Extraklasse“, „Privilegiertheit“<br />

etc.)<br />

2. These<br />

Style Symbole bilden die Zukunft<br />

Der zukünftige Konsument verwendet<br />

<strong>Luxus</strong>güter zum Ausdruck seines Lebensstils.<br />

Er wird Style Symbole den<br />

Status Symbolen vorziehen, wenn sie<br />

ihm als Statement geeignet erscheinen.<br />

Die digitale Vernetzung mit der Welt,<br />

Freude durch Leistung, Übernahme von<br />

sozialer Verantwortung etc. – dies sind<br />

Lebensstile, derer sich <strong>Luxus</strong>marken im<br />

Zuge ihrer Positionierung verstärkt bedienen<br />

sollten.<br />

Zeit haben ist für viele Menschen ein<br />

erstrebenswerter Lebensstil. Dazu ein<br />

Beispiel: Bei slow swiss made heißt es:<br />

„slow ist <strong>kein</strong>e Geschwindigkeit, sondern<br />

eine Lebenseinstellung, die die<br />

meisten von uns verloren haben.“. Das<br />

Schweizer Präzisionsuhrwerk hat nur einen<br />

Zeiger <strong>und</strong> zeigt alle 24 St<strong>und</strong>en des<br />

Tages. slow will zu einem Zeit-Symbol<br />

werden – darauf lässt sich unter Umständen<br />

ein breites Markenangebot<br />

gründen.<br />

Management-Empfehlungen<br />

• Machen Sie Ihre Marke zum Botschafter<br />

für einen bestimmten Lebensstil<br />

• Erforschen Sie die Lebensstile <strong>und</strong> die<br />

Wertstrukturen Ihrer K<strong>und</strong>en genau<br />

3. These<br />

Ästhetik ist Key<br />

Heute muss alles schön sein, damit es<br />

Chance auf Akzeptanz hat. Die Ästhetisierung<br />

von Alltagswelt <strong>und</strong> Wirtschaft<br />

ist ein Prozess, der vor Jahrzehnten eingesetzt<br />

hat. Der Wert von Gütern hat<br />

sich vom Gebrauchswert hin zum ästhetischen<br />

Wert verschoben. Während<br />

früher das Geschmacksurteil höheren<br />

sozialen Schichten vorbehalten war,<br />

beansprucht heute jeder schöne Dinge.<br />

Der Mensch ist zum Homo Aestheticus<br />

geworden.<br />

Ästhetik als selbstverständliches Must<br />

hat auch zur Demokratisierung von <strong>Luxus</strong><br />

beigetragen. Während <strong>Luxus</strong> früher<br />

den Reichen <strong>und</strong> Superreichen vor- >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

17


<strong>Luxus</strong><br />

behalten war, hat sich ein Mainstream-<br />

<strong>Luxus</strong> herausgebildet. Auch relativ<br />

hochwertige Massenware lässt sich heute<br />

durch ästhetischen Mehrwert in die<br />

Nähe von <strong>Luxus</strong> upgraden. Für 50 ml<br />

Gesichtspflege zahlt man bei La Prairie<br />

949 Euro. Warum die Platinum Collection<br />

zu derartigen Preisen kommt, ist<br />

das Ergebnis raffinierter ästhetischer<br />

Codes – sowohl sprachlich als auch visuell.<br />

Begriffe wie „wertvolles Platin aus<br />

der flüssigen Kruste der Erde“, „rein,<br />

selten, unvergänglich“, „ultimative Verjüngung“<br />

verdrehen den K<strong>und</strong>innen den<br />

Kopf; ganz zu schweigen von der atemberaubenden<br />

Bildwelt. Bei der Caviar<br />

Collection regen schimmernde Kaviarperlen<br />

den Appetit auf das Produkt an.<br />

Und man erhält sogar einen edlen Löffel<br />

dazu.<br />

Management-Empfehlungen<br />

• Erzielen Sie Wettbewerbsvorteile<br />

durch Erzeugung von ästhetischem<br />

Mehrwert<br />

Die Motorenmarke Maybach wurde<br />

von Daimler revitalisiert <strong>und</strong> im Jahr<br />

2002 auf den Markt gebracht. Das Resultat<br />

war eine vordergründige, nicht<br />

zeitgemäße Interpretation von <strong>Luxus</strong>.<br />

Der Absatz war unbefriedigend, sodass<br />

die Marke nach nur 10 Jahren wieder<br />

eingestellt wurde. Außerdem litt die<br />

Marke an modellpolitischen Konflikten<br />

mit der konzerneigenen S-Klasse.<br />

Die Marke wurde revitalisiert <strong>und</strong> als<br />

Mercedes-Maybach S-Klasse wieder<br />

in den Markt geführt. Darüber hinaus<br />

wird versucht den altehrwürdigen Namen<br />

Maybach mit <strong>Luxus</strong>accessoires wie<br />

Lederartikeln, handgearbeiteten Brillen<br />

u.a. zu kapitalisieren.<br />

Eine <strong>Luxus</strong>marke muss sich den Anforderungen<br />

der Zeit stellen <strong>und</strong> sich ständig<br />

erneuern. Hier ein Positivbeispiel<br />

für digitale Vernetzung mit der Welt: Die<br />

Marke Burberry hat eine Online-Initiative<br />

gestartet, die sie sehr erfolgreich in<br />

den globalen Diskurs bringt: Menschen<br />

können auf artofthetrench.burberry.com<br />

ihre persönlichen Trench-Stile zum<br />

Ausdruck bringen. Auf Facebook hat<br />

Burberry heute zig Millionen Fans.<br />

Management-Empfehlungen<br />

• Legen Sie die früheren <strong>und</strong> heutigen<br />

Resonanzmuster der Marke frei<br />

• Wenn Ihre Marke schwächelt, starten<br />

Sie ein Mobilisierungsprogramm f<br />

• Differenzieren Sie die Marke ästhetisch<br />

<strong>und</strong> steigern Sie K<strong>und</strong>ennutzen<br />

4. These<br />

Jede <strong>Luxus</strong>marke braucht Erneuerung<br />

Die meisten <strong>Luxus</strong>marken leben von der<br />

Strahlkraft ihres Schöpfers; bei dessen<br />

Wegfall erleben die Marken oftmals sensible<br />

Einbrüche. Eine <strong>Luxus</strong>marke muss<br />

vererbungsfähig gemacht werden, indem<br />

ihre Resonanzmuster identifiziert<br />

<strong>und</strong> weiterentwickelt werden.<br />

Quelle <strong>und</strong> weitere Infos:<br />

BRAND+<br />

Institut für mehrdimensionale<br />

Markenentwicklung GmbH<br />

institut@brand-plus.at<br />

18 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


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19


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Tyler Olson / stock.adobe.com<br />

Foto: gromovataya / stock.adobe.com<br />

LUXUS GESTERN<br />

20 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

LUXUS HEUTE<br />

Foto: Patrizia Tilly / stock.adobe.com<br />

Foto: Antonioguillem / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

21


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Friends Stock / stock.adobe.com<br />

Foto: Kaspars Grinvalds / stock.adobe.com<br />

LUXUS GESTERN<br />

22 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

LUXUS HEUTE<br />

Foto: Jacob L<strong>und</strong> / stock.adobe.com<br />

Foto: kite_rin / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

23


<strong>Luxus</strong><br />

Welcher Typ <strong>Luxus</strong>konsument:in bist Du?<br />

Fotos: baranq, Cookie Studio,<br />

Rock and Wasp / stock.adobe.com<br />

Der Hedonist<br />

Einstellungen<br />

Der Traditionalist<br />

Der introvertierte<br />

Liebhaber<br />

• Prestige <strong>und</strong> „Genießertum“<br />

motivieren den Konsum<br />

• Bereit für <strong>Luxus</strong> zu zahlen<br />

• Interessiert an Ernährung,<br />

schlankheitsbewusst<br />

• Nutzt verschiedenste Vertriebskanäle,<br />

geht häufig teurer essen<br />

• Eignet sich als Zielgruppe für hochpreisige<br />

Produkte <strong>und</strong> traditionelles<br />

<strong>Luxus</strong>marketing<br />

• <strong>Luxus</strong> wird eher traditionell definiert<br />

• Materialismus<br />

• Qualität<br />

• Einzigartigkeit<br />

• Distinktionskonsum<br />

• Eignet sich als Zielgruppe für hochpreisige<br />

Produkte <strong>und</strong> traditionelles<br />

<strong>Luxus</strong>marketing<br />

• Fachgeschäfte + Feinkostläden<br />

• <strong>Luxus</strong> hauptsächlich über Einzigartigkeit<br />

definiert<br />

• Geprägt durch persönlichkeitsbezogene<br />

Konsummotive<br />

• Hochpreisige Lebensmittel werden<br />

konsumiert, aber eher nicht mit<br />

<strong>Luxus</strong> assoziiert<br />

• Gibt viel Geld für Lebensmittel <strong>und</strong><br />

Essen in Restaurants aus, aber eher<br />

nicht einkaufsverantwortlich, kocht<br />

gerne am Wochenende<br />

• Eignet sich als Zielgruppe für<br />

hochpreisige Lebensmittel <strong>und</strong><br />

<strong>Luxus</strong>marketing<br />

Soziodemografische Merkmale<br />

• Überwiegend männlich<br />

• Durchschnittlich 44 Jahre<br />

• Erhöhtes Einkommen <strong>und</strong> Bildungsniveau<br />

• Häufig kinderlos<br />

• Männerlastig<br />

• Preisbewusst<br />

• Hohe Bildung (ca. 60 % Studium)<br />

• Hohes Einkommen<br />

(ca. 50 % > 5.000 €)<br />

• Überwiegend männlich<br />

• Durchschnittlich 50 Jahre<br />

• Hohes Einkommen <strong>und</strong> hohes<br />

Bildungsniveau<br />

• Häufig in Partnerschaft <strong>und</strong> mit<br />

Kindern<br />

24 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Fotos: artmim, spaxiax,<br />

eloi / stock.adobe.com<br />

Die sehnsüchtige<br />

Materialistin<br />

Die grüne Realistin<br />

Klassische <strong>Nachhaltigkeit</strong>s-Käufer:in<br />

• <strong>Luxus</strong>produkten gegenüber<br />

zugewandt<br />

• Ausgeprägter Wunsch / Sehnsucht<br />

nach höherem Konsum<br />

• <strong>Luxus</strong>verständnis an persönlichkeitsorientierten<br />

Werten ausgerichtet<br />

• Geringer tatsächlicher Konsum von<br />

hochpreisigen Lebensmitteln<br />

• Kauft hauptsächlich im Discounter,<br />

gibt wenig Geld für Lebensmittel aus<br />

• Eignet sich nicht als Zielgruppe für<br />

hochpreisige Lebensmittel<br />

• Kann aber durch Marketing angesprochen<br />

werden, das sich an<br />

moderne <strong>Luxus</strong>motive anlehnt<br />

• Klarer Fokus auf <strong>Nachhaltigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Authentizität (z.B. Bio <strong>und</strong> Herkunft)<br />

• Qualitätsbewusst <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsorientiert<br />

• Wochenmärkte <strong>und</strong> Fachgeschäfte<br />

häufig gewählt<br />

• Kocht gerne selbst, isst weniger<br />

auswärts<br />

• Eignet sich als Zielgruppe für hochpreisige<br />

(Qualitäts-)Lebensmittel<br />

• Dennoch: Segment nimmt sich<br />

selbst nicht als luxusaffin wahr<br />

• Ablehnung von Prestige<br />

• Legt großen Wert auf Qualität <strong>und</strong><br />

Identität<br />

• Postmaterialistische Einstellung<br />

• Preisbewusst<br />

• Wenig klassische <strong>Luxus</strong>lebensmittel<br />

• Bioladen, Wochenmarkt,<br />

Fachgeschäft<br />

• Überwiegend weiblich<br />

• Durchschnittlich 45 Jahre<br />

• Niedriges Einkommen <strong>und</strong><br />

Bildungsniveau<br />

• Häufig Single<br />

• Überwiegend weiblich<br />

• Durchschnittlich 51 Jahre<br />

• Durchschnittliches Einkommen<br />

<strong>und</strong> Bildungsniveau<br />

• Häufig in Partnerschaft <strong>und</strong> mit<br />

Kindern<br />

• Bildung: ca. 35 % Studium<br />

• Mittleres Einkommen<br />

(ca. 16 % > 5.000 €)<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

25


<strong>Luxus</strong><br />

<strong>Luxus</strong><br />

ist für alle da!<br />

Von Ulrich Klose<br />

<strong>Luxus</strong> ist nicht mehr länger nur etwas für die<br />

Elite. Immer mehr Menschen gönnen sich<br />

besondere Produkte als Ausgleich für den harten<br />

Alltag. Manches vormalige <strong>Luxus</strong>gut wird darüber<br />

hinaus gar nicht mehr als solches erkannt.<br />

Werfen Sie mit uns einen Blick auf einstmals edle<br />

Erzeugnisse <strong>und</strong> teure Hobbys, die sich immer<br />

mehr Menschen gönnen können.<br />

26 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


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Die Schaumweinsteuer ließ die Preise<br />

purzeln<br />

Champagner ist der Inbegriff des <strong>Luxus</strong>getränks.<br />

Seit seiner „Erfindung“ im 17.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert war der perlende Kehlenschmeichler<br />

vor allem in höchsten Kreisen<br />

beliebt. Endgültig als Nobelgetränk<br />

etablierte den „Schampus“ die Witwe<br />

Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin, die in<br />

der napoleonischen Zeit ihre heute noch<br />

glänzende Marke „Veuve Cliquot“ in die<br />

Königshäuser exportierte. Ihr ehemaliger<br />

Prokurist Georg Christian Kessler<br />

ebnete dem Champagner wiederum<br />

mit der Gründung seiner eigenen Kelterei<br />

1826 den Weg nach Deutschland.<br />

Erst nach dem Versailler Vertrag 1919<br />

wurde deutscher Champagner übrigens<br />

auf Drängen Frankreichs in Sekt umbenannt.<br />

Dass auch weniger Begüterte ihre Freude<br />

an Champagner haben können, ist<br />

nicht zuletzt den Prozessoptimierungen<br />

deutscher Sekthersteller zu verdanken.<br />

Sie schafften die aufwendige Flaschengärung<br />

ab <strong>und</strong> produzierten das Getränk<br />

nun günstiger in immer größeren<br />

Mengen in riesigen Tanks.<br />

Als Treiber des Preisverfalls wirkte außerdem<br />

die 1902 eingeführte Schaumweinsteuer.<br />

Diese hat laut Verband Deutscher<br />

Sektkellereien „die Herstellung<br />

der billigsten Marken provoziert“ <strong>und</strong><br />

den Champagner den oberen Klassen<br />

überlassen. Die noch heute existierende<br />

Steuer wurde übrigens 1933 kurzzeitig<br />

abgeschafft – mit der Auflage für den<br />

Sektverband, den Absatz über Werbeaktionen<br />

zu steigern. 1939 war die Steuerfreiheit<br />

aber schon wieder vorbei. Bis<br />

heute wird die Sektsteuer erhoben. Der<br />

Beliebtheit des perlenden Weins schadet<br />

das nicht. 2019 gaben die Deutschen<br />

laut Nielsen 1,25 Milliarden Euro für<br />

Schaumwein aus. Eine Flasche Sekt kostet<br />

durchschnittlich erschwingliche 3,86<br />

Euro.<br />

Fahrender <strong>Luxus</strong> vom Fließband<br />

<strong>Luxus</strong><br />

Das Auto – obwohl durchaus nicht billig<br />

– ist für viele Menschen unverzichtbar.<br />

48 Millionen Personenkraftwagen<br />

waren laut Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamt in<br />

Deutschland Anfang 2021 angemeldet.<br />

Zunächst waren Autos aber ein Spielzeug<br />

der Reichen. Nach dem ersten Motorwagen<br />

von Carl Benz 1886 sprachen<br />

Gottlieb Daimler <strong>und</strong> Wilhelm Maybach<br />

noch im gleichen Jahr mit einer luxuriösen<br />

Motorkutsche bereits die besseren<br />

Kreise an. Obwohl schnell viele Fabriken<br />

entstanden, blieben die Verkaufszahlen<br />

– außer bei den Nutzfahrzeugen<br />

– niedrig. Privatwagen leisteten sich nur<br />

Vermögende, die nicht mehr mit dem<br />

gleichen Zug fahren wollten wie die<br />

Passagiere der dritten Klasse, meint der<br />

Göttinger Historiker Manfred Grieger.<br />

Die Autoindustrie startete schon ab der<br />

vorigen Jahrh<strong>und</strong>ertwende PR-Aktionen,<br />

um die Nachfrage anzukurbeln. Den<br />

Durchbruch brachte aber erst die Fließbandfertigung.<br />

1914 ließ Henry Ford in<br />

den USA den ersten Ford T vom Band<br />

laufen. Laut BR Wissen sank dadurch der<br />

Verkaufspreis von ursprünglich 850 auf<br />

300 Dollar. So günstig wurde die „Tin<br />

Lizzy“ zum Verkaufsschlager. 15 Millionen<br />

Exemplare verkaufte Ford. Auch die<br />

anderen Autoproduzenten stellten ihre<br />

Fertigung um, <strong>und</strong> das Auto trat seinen<br />

Siegeszug an. Trotzdem dauerte es mehrere<br />

Jahrzehnte, bis der VW Käfer den<br />

Ford-Verkaufsrekord übertraf.<br />

<strong>Luxus</strong>autos gibt es nach wie vor. Die<br />

meisten Premiumhersteller haben ihre<br />

Produktpalette nach oben erweitert.<br />

„Die teuersten Modelle kosten mittlerweile<br />

das Zehnfache der billigsten“,<br />

stellte Antonella Mei-Pochtler bereits<br />

2003 im österreichischen Standard fest.<br />

Bananen: Fruchtfleisch gewordenes<br />

Wohlstandsversprechen<br />

Bananen sind nach Äpfeln das zweitbeliebteste<br />

Obst in Deutschland. Dabei galt<br />

lange: In Westdeutschland sind Bananen<br />

allgegenwärtig, in der DDR hingegen selten<br />

verfügbarer <strong>Luxus</strong>. Die gelbe Frucht<br />

spielte deshalb eine besondere Rolle bei<br />

der deutschen Wiedervereinigung: „Die<br />

Banane wurde zum Fruchtfleisch gewordenen<br />

Wohlstandsversprechen, >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

27


<strong>Luxus</strong><br />

zur kapitalistischen Errungenschaft“,<br />

schreibt WELT.<br />

Bis das Krummobst allerdings zum<br />

Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel wurde, für das<br />

der damalige B<strong>und</strong>eskanzler Konrad<br />

Adenauer sogar den zollfreien Import<br />

bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

durchsetzte, dauerte es bis<br />

in die 1960er-Jahre. Denn solange Bananen<br />

in ganzen Stauden auf Frachtschiffen<br />

aus süd- <strong>und</strong> mittelamerikanischen<br />

Ländern bis nach Europa transportiert<br />

wurden, kamen sie dort oft überreif <strong>und</strong><br />

unverkäuflich an, berichtet der NDR.<br />

Entsprechend teuer waren sie.<br />

Zum Durchbruch verhalf der Banane<br />

schließlich die Änderung der Transportlogistik.<br />

Die begehrten Vitaminbomben<br />

werden seitdem noch unreif unter Sauerstoffentzug<br />

in Kühlcontainer verladen<br />

– nicht mehr in ganzen Stauden,<br />

sondern jeweils einzeln liegend <strong>und</strong><br />

vor Stößen geschützt in stabilen <strong>und</strong><br />

gut stapelbaren Bananenkartons. Erst<br />

in den Ankunftsländern wird dann der<br />

Reifeprozess eingeleitet. Zur Freude<br />

der Verbraucher: Alle Deutschen essen<br />

durchschnittlich jedes Jahr etwa elf Kilogramm<br />

Bananen.<br />

Die Zeit der Traumschiff-Seligkeit geht<br />

zu Ende<br />

Was gibt es Schöneres als eine noble<br />

Kreuzfahrt über die Weltmeere mit Ausflügen<br />

zu den schönsten Stränden <strong>und</strong><br />

dem opulenten Captain’s Dinner zum<br />

Abschluss? So erleben es zumindest immer<br />

noch r<strong>und</strong> 6,5 Millionen Menschen,<br />

wenn das ZDF „Das Traumschiff“ ausstrahlt.<br />

Kreuzfahrten waren ursprünglich Lückenfüller,<br />

weiß Planet Wissen. Gegen<br />

Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts suchten Reeder<br />

nach einer Möglichkeit, ihre Transatlantik-Dampfschiffe<br />

auch im Winter<br />

auszulasten. Als Kreuzfahrt-Erfinder<br />

gilt der seinerzeitige Hapag-Direktor<br />

Albert Ballin. 1891 organisierte er eine<br />

zweimonatige Reise in den Orient für<br />

241 solvente Lustreisende. Der Erfolg<br />

war so groß, dass sehr bald auch reguläre<br />

Kreuzfahrtschiffe der <strong>Luxus</strong>klasse<br />

gebaut wurden. Man denke nur an die<br />

Titanic.<br />

Es waren die Reeder selbst, die ihre<br />

Schiffe für immer größere K<strong>und</strong>enkreise<br />

öffneten. Sie waren auf der Ausschau<br />

nach neuen Einnahmequellen. Denn<br />

über den Atlantik wurde nun geflogen.<br />

Deswegen bauten sie größere Schiffe<br />

<strong>und</strong> boten Reisen an, die auch für die<br />

Mittelschicht bezahlbar waren. Immer<br />

wieder schickten im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

aber auch Diktaturen zum Beweis ihrer<br />

sozialen Gesinnung das „einfache Volk“<br />

mit großen Kreuzfahrtschiffen auf Ferienreisen.<br />

In den 1990er-Jahren ging mit den<br />

neuartigen „Klubschiffen“ dann der<br />

Kreuzfahrt-Boom los. Keine Spur mehr<br />

von Traumschiff-Seligkeit. Stattdessen<br />

reisten oft mehr als 6.000 Passagiere<br />

auf schwimmenden Vergnügungsparks<br />

zu den Traumzielen der Welt.<br />

Der Kreuzfahrtindustrieverband CLIA<br />

freute sich vor der Corona-Pandemie<br />

regelmäßig über jährliche Passagierzuwächse<br />

von mehr als zehn Prozent.<br />

Allein in Deutschland sollten demnach<br />

2019 mehr als 2,5 Millionen K<strong>und</strong>en auf<br />

Hochsee-Kreuzfahrt gehen.<br />

Millennials ist besonders teure Mode<br />

oft schnuppe<br />

Mode dient seit jeher der „sozialen Darstellung“,<br />

weiß der <strong>Luxus</strong>forscher Lambert<br />

Wiesing. Der Begriff kam aber erst<br />

im 15. Jahrh<strong>und</strong>ert in Frankreich auf.<br />

Setzten früher Könige die modischen<br />

Maßstäbe, leistete dies später die Haute<br />

Couture, von der man laut Vogue seit<br />

1858 spricht. Damals eröffnete der Brite<br />

Charles Frederick Worth in Paris sein<br />

erstes Modehaus <strong>und</strong> präsentierte seine<br />

neuen Kollektionen zwei Mal pro Jahr<br />

mit Modenschauen.<br />

Die Spitzen-Schneider in Paris oder<br />

Mailand stehen allerdings seit jeher vor<br />

einer Herausforderung: Ihre Kreationen<br />

sind oft kaum tragbar. Käufer finden<br />

sich für die meist in Handarbeit gefertigten,<br />

sehr teuren Werke auch nicht<br />

Fotos: aerial-drone, js-photo,<br />

rh2010 / stock.adobe.com<br />

28 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

In den 1990er-<br />

Jahren ging mit<br />

den neuartigen<br />

„Klubschiffen“<br />

dann der<br />

Kreuzfahrt-Boom<br />

los. Keine<br />

Spur mehr von<br />

Traumschiff-<br />

Seligkeit.<br />

immer. „Sich eine Haute-Couture-Kollektion<br />

zu leisten, ist für die meisten<br />

Häuser eine reine Prestigesache“, mein<br />

dann auch die FAZ. Deswegen führen die<br />

Top-Marken oft auch industriell gefertigte<br />

Kollektionen, die tragbarer <strong>und</strong> etwas<br />

günstiger sind. „Prêt à porter“- <strong>und</strong> andere<br />

Designer-Mode ist aber immer noch<br />

teuer genug, damit solvente K<strong>und</strong>schaft<br />

sich über ihren Erwerb mit diesem <strong>Luxus</strong><br />

schmücken kann.<br />

Spätestens ab den 2000er Jahren öffneten<br />

sich die Modedesigner aber noch<br />

stärker für breitere K<strong>und</strong>enkreise. Nun<br />

entwarfen einige von ihnen Kollektionen<br />

für Konfektionshersteller. „Sie machen<br />

ihren Namen bekannt, sie verkaufen<br />

ihre Produkte an viel mehr K<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> sie verdienen Geld, das sie in ihre<br />

eigene Modelinie investieren können“,<br />

erläutert die FAZ.<br />

Spätestens mit den Millennials <strong>und</strong> der<br />

Generation Z droht der Modewelt jetzt<br />

die endgültige Demokratisierung, prognostiziert<br />

das Portal „Fashion United“.<br />

Die Wahrnehmung von <strong>Luxus</strong> verändere<br />

sich. Demonstrativer Konsum spiele<br />

nicht mehr die Hauptrolle, stellt auch<br />

Vogue fest. Erwartet werde vielmehr<br />

eine besondere Nutzungserfahrung. Als<br />

<strong>Luxus</strong> gälten etwa „Marken, die maximalen<br />

Komfort zu niedrigsten Kosten<br />

bieten.“ Auch Werte wie <strong>Nachhaltigkeit</strong>,<br />

Umweltverträglichkeit <strong>und</strong> soziale Verantwortung<br />

würden wichtiger.<br />

Golf: erst verboten, dann königliches<br />

Hobby<br />

Kaum ein Sport hat ein elitäreres Image<br />

als Golf. Es stehe im Verdacht, dass damit<br />

Manager <strong>und</strong> Unternehmer „auf dem<br />

grünen Rasen die Karriere in Schwung<br />

bringen“ wollen, meint berlin.de.<br />

Dabei entstand Golf im „einfachen Volk“.<br />

Schottische Hirten spielten laut WDR<br />

ab dem 14. Jahrh<strong>und</strong>ert ein ähnliches<br />

Spiel. Die Obrigkeit reagierte misstrauisch.<br />

1497 verbot das schottische Parlament<br />

das Spiel, weil junge Leute darüber<br />

die kriegerische Ausbildung am Bogen<br />

vernachlässigten. 1502 wurde es aber<br />

bereits wieder erlaubt – wohl auch, weil<br />

der schottische König selbst gern golfte,<br />

meint das Golfmagazin. Kein W<strong>und</strong>er,<br />

dass immer mehr Adelige dem royalen<br />

Vorbild nacheiferten.<br />

Dass Golf lange Zeit elitär blieb, liegt<br />

nicht zuletzt an den hohen Preisen. Die<br />

Mitgliedschaft in einem Club kostet<br />

durchschnittlich immerhin 100 Euro pro<br />

Monat, merkt die Bayerische Staatszeitung<br />

an. Gleichwohl zählt der Deutsche<br />

Golf-Verband über 650.000 Mitglieder<br />

<strong>und</strong> 720 Club-Anlagen.<br />

Trotzdem hat sich Golf mancherorts<br />

– etwa in Großbritannien <strong>und</strong> Irland –<br />

zum Volkssport ohne Club-Zwang entwickelt.<br />

„Überall gibt es öffentliche<br />

Parkanlagen mit Golfplatz, wo vom Taxifahrer<br />

bis zur Vorstandsvorsitzenden<br />

jeder hingeht, um für wenig Geld eine<br />

R<strong>und</strong>e zu spielen“, beobachtete ein –<br />

golfender – Redakteur der taz. Auch in<br />

Deutschland gibt es laut Vereinigung<br />

der clubfreien Golfspieler mittlerweile<br />

404 öffentliche Anlagen.<br />

Bisweilen braucht es nicht mal einen<br />

Golfplatz, weiß das Sport-Portal Spox.<br />

Zwei Hamburger Filmausstatter gründeten<br />

1992 die „Natural Born Golfers“ <strong>und</strong><br />

begannen in Stadtparks oder selbst auf<br />

Hotelfluren zu chippen <strong>und</strong> zu putten. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

29


<strong>Luxus</strong><br />

La Noblesse<br />

Française:<br />

Foto: Fox_Dsign / stock.adobe.com<br />

Die französische<br />

Erfolgsgeschichte der<br />

<strong>Luxus</strong>industrie<br />

Von Markus Gabel<br />

Die herausragende Stellung Frankreichs im<br />

<strong>Luxus</strong>markt beruht auf einem erfolgreichen,<br />

jahrh<strong>und</strong>ertealten Zusammenspiel zwischen<br />

Staat, Handwerk <strong>und</strong> Gesellschaft, gepaart<br />

mit einer in den letzten Jahren sehr effizienten<br />

Unternehmensstrategie. Große <strong>Luxus</strong>holdings<br />

<strong>und</strong> weltbekannte Marken garantieren<br />

Frankreich in diesem Segment einen Weltmarktanteil<br />

von über einem Drittel. Der Erfolg<br />

ist allerdings auf die traditionelle <strong>Luxus</strong>güterindustrie<br />

beschränkt.<br />

30 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

<strong>Luxus</strong> bedeutet ursprünglich Üppigkeit<br />

<strong>und</strong> Vielfalt. In Frankreich, heißt es,<br />

steht dabei die Freude am Genuss im<br />

Vordergr<strong>und</strong>. Die Bedeutung des <strong>Luxus</strong><br />

in Frankreich, mit seinen emotionalen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Aspekten, hat jedoch<br />

etwas mit den geschichtlichen Wurzeln<br />

des Industriezweiges zu tun: <strong>Luxus</strong><br />

als Handels- <strong>und</strong> Wertgegenstand geht<br />

in Frankreich zurück bis in das 17. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

die Epoche Ludwigs XIV. Noch<br />

heute steht der Sonnenkönig wie <strong>kein</strong><br />

anderer für Prunk <strong>und</strong> royalen Glanz.<br />

Wichtiger aber als der französische<br />

Monarch war in diesem Zusammenhang<br />

sein Finanzminister Jean-Baptiste<br />

Colbert. Seine Idee war es, die Staatskassen<br />

durch Außenhandel zu füllen: mehr<br />

Export als Import. Um das zu erreichen,<br />

förderte Colbert intensiv die Gründung<br />

<strong>und</strong> den Ausbau von Manufakturen,<br />

die hochwertige Produkte fertigen <strong>und</strong><br />

in das Ausland liefern sollten, darunter<br />

edle Stoffe <strong>und</strong> Porzellan. Diese Entwicklung<br />

hat sich über die Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

in Frankreich zu einer Tradition entwickelt,<br />

die auch Bedeutung für das nationale<br />

Bewusstsein errungen hat. Nicht<br />

zuletzt aus diesem Gr<strong>und</strong> half der Staat<br />

der Branche während der Finanzkrise<br />

2009 auch mit weitreichenden Subventionen.<br />

<strong>Luxus</strong> ist nicht gleich <strong>Luxus</strong><br />

Angesichts dieser langen<br />

Tradition ist es wenig<br />

erstaunlich, dass sich<br />

in Frankreich eine so<br />

erfolgreiche <strong>Luxus</strong>industrie,<br />

die vor<br />

allem Bekleidung,<br />

Accessoires, Schmuck,<br />

Uhren, Düfte, Kosmetik<br />

<strong>und</strong> Möbel umfasst,<br />

herausgebildet hat.<br />

Beispielsweise in Deutschland, das<br />

zwar auch über eine nicht zu verachtende<br />

<strong>Luxus</strong>güterindustrie verfügt,<br />

sind vornehmlich andere Industriezweige<br />

etabliert, darunter luxuriöse<br />

Automobilmarken <strong>und</strong> Technik auf<br />

höchstem Niveau, die weltweit über eine<br />

starke Marktmacht verfügen.<br />

Betrachtet man in beiden Ländern die<br />

Personen mit dem größten Vermögen,<br />

so finden sich laut Forbes-Ranking 2011<br />

auf den ersten fünf Plätzen in Frankreich<br />

gleich vier Vertreter der <strong>Luxus</strong>güterindustrie:<br />

Bernard Arnault (LVMH<br />

Gruppe), Liliane Bettencourt (Tochter<br />

des Gründers von L’Oréal), François<br />

Pinault (ehemaliger Präsident von<br />

Pinault-Printemps-Redoute – PPR)<br />

<strong>und</strong> die Gebrüder Wertheimer (Besitzer<br />

von Chanel). Einziger Industrieller<br />

ist Serge Dassault (Luft<strong>und</strong><br />

Raumfahrt) auf Platz<br />

vier. Diesseits des Rheins<br />

sind es nicht <strong>Luxus</strong>güter,<br />

welche die reichsten<br />

Deutschen zu ihren<br />

Vermögen gebracht haben,<br />

sondern Discount-<br />

Einzelhandel (Karl <strong>und</strong><br />

Theo Albrecht; Aldi) <strong>und</strong><br />

Versandhandel (Michael<br />

Otto; Otto-Versand). Gleichzeitig<br />

findet man auch Industrie<br />

(Familie Quandt – Johanna<br />

Quandt, Susanne Klatten <strong>und</strong> Stefan<br />

Quandt; BMW, Altana, SGL Carbon)<br />

<strong>und</strong> Logistik auf den vorderen Plätzen<br />

(Klaus-Michael Kühne; Kühne+Nagel).<br />

Der Dualismus wird somit fast bis zur<br />

Karikatur verzerrt: das Schöne, Edle,<br />

Prunkvolle versus das Vernünftige,<br />

Nützliche <strong>und</strong> sogar Billige.<br />

Persönliche <strong>Luxus</strong>güterindustrie:<br />

Frankreich steht vorne<br />

Frankreich verfügt mit seiner <strong>Luxus</strong>güterindustrie<br />

über einen höchst profitablen<br />

Sektor, der einen erstrangigen<br />

Bestandteil der französischen Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft darstellt: <strong>Luxus</strong><br />

ist für eine deutliche Mehrheit der Franzosen<br />

ein zentrales Symbol des Landes,<br />

wofür sie auch bereit sind überdurchschnittlich<br />

viel auszugeben. Paris gilt<br />

als das weltweite Zentrum für <strong>Luxus</strong>güter:<br />

im „Triangle d’or“ zwischen der<br />

Rue du Faubourg Saint-Honoré, der<br />

Avenue Georges-V <strong>und</strong> der Avenue<br />

Montaigne sowie in der Rue de la Paix<br />

<strong>und</strong> der Place Vendôme haben viele der<br />

großen Marken ihren Firmensitz.<br />

Der Anteil der traditionellen <strong>Luxus</strong>industrie<br />

am Sozialprodukt liegt in<br />

Frankreich bei knapp einem Prozent<br />

(zum Vergleich: in Italien liegt er bei<br />

1,1 Prozent, in Deutschland – ohne >><br />

Fotos: gmstockstudio, vector punch / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

dem achten Platz r<strong>und</strong>et die französische<br />

Vormachtstellung ab. 53 Prozent<br />

des Umsatzes der zehn größten Hersteller<br />

von <strong>Luxus</strong>gütern wurden 2011 jenseits<br />

des Rheins erwirtschaftet. Auf den<br />

Plätzen folgen Hersteller aus den Vereinigten<br />

Staaten, der Schweiz<br />

<strong>und</strong> Italien.<br />

Der Sektor verfügt in Frankreich<br />

über eine effiziente Interessenvertretung<br />

in Form<br />

des Comité Colbert. 1954 auf<br />

Initiative von Jean-Jacques<br />

Guerlain gegründet, vertritt<br />

es heute 75 französische Markenhersteller<br />

– von Bacara<br />

<strong>und</strong> Boucheron über Chanel,<br />

Christian Dior, Lacoste, S.T.<br />

Dupont, Givenchy, Hédiard,<br />

Lancôme bis hin zu Remy<br />

Martin <strong>und</strong> Van Cleef and<br />

Arpels. Seit 2011 vereint es<br />

mit Leica, Montblanc (beide<br />

deutsch), Herend (ungarisch)<br />

<strong>und</strong> Moser (tschechisch) auch<br />

nicht-französische Hersteller.<br />

angefochten Louis Vuitton (weltweit auf<br />

dem 17. Platz). Gucci, Hermès, Cartier,<br />

Tiffany oder Prada sind ebenfalls herausragende<br />

Labels mit entsprechendem<br />

Renommee.<br />

Bernard Arnault hat das in der <strong>Luxus</strong>güterindustrie<br />

liegende Potenzial sehr früh<br />

erkannt. In den 1980er- <strong>und</strong> 1990er-Jahren<br />

legte er mit dem Kauf von Dior den<br />

Gr<strong>und</strong>stein für die heute größte <strong>Luxus</strong>holding<br />

weltweit, LVMH (Umsatz 2011:<br />

23 Milliarden Euro, Gewinn: über 3 Milliarden<br />

Euro). Der Name setzt sich aus den<br />

Anfangsbuchstaben bekannter <strong>Luxus</strong>marken<br />

zusammen. Der Erfolg beruht auf<br />

einer besonders breiten Aufstellung mit<br />

über 60 <strong>Luxus</strong>marken, die global in über<br />

2.500 Geschäften vertrieben werden <strong>und</strong><br />

fast 100.000 Menschen beschäftigen. Die<br />

Palette umfasst Weine <strong>und</strong> Spirituosen<br />

(u. a. Moët & Chandon, Hennessy), Mode<br />

<strong>und</strong> Lederwaren (u. a. Louis Vuitton,<br />

Kenzo), Parfum <strong>und</strong> Kosmetik (u. a.<br />

Christian Dior, Givenchy), Uhren <strong>und</strong><br />

Schmuck (u. a. TAG Heuer, Zenith) sowie<br />

Einzelhandel (u. a. Sephora).<br />

Foto: fortton / stock.adobe.com<br />

Automobilmarkt – bei 0,3 Prozent).<br />

2012 wird der weltweite Umsatz des <strong>Luxus</strong>gütermarktes<br />

erstmals die 200-Milliarden-Euro-Marke<br />

übersteigen. Den<br />

größten Marktanteil hat immer noch<br />

Europa (circa 35 Prozent) knapp vor<br />

Amerika. Die westeuropäischen Märkte<br />

sind zwar teilgesättigt, Deutschland<br />

zählt allerdings zu den Ländern mit<br />

Nachholbedarf im <strong>Luxus</strong>güterkonsum.<br />

Während Japan hier mit über zehn Prozent<br />

weiterhin ein wichtiger Markt ist,<br />

liegen die stärksten Wachstumsraten in<br />

den BRIC-Ländern Brasilien, Russland,<br />

Indien <strong>und</strong> China.<br />

Weltweit entfallen auf die äußerst exportorientierten<br />

französischen Hersteller<br />

knapp 40 Prozent des Umsatzes. Dabei<br />

handelt es sich weniger um mittelständische<br />

Firmen als um die großen<br />

internationalen Player. Unter den zehn<br />

umsatzstärksten Unternehmen weltweit<br />

finden sich auf den beiden vorderen<br />

Plätzen LVMH <strong>und</strong> PPR. Hermès auf<br />

<strong>Luxus</strong>holdings <strong>und</strong> Markenkontrolle<br />

Im Zuge des weltweiten wirtschaftlichen<br />

Einbruchs von 2008/2009 wurde<br />

der <strong>Luxus</strong>industrie zunächst eine trübe<br />

Zukunft prophezeit. Die Branche erholte<br />

sich allerdings sehr rasch, <strong>und</strong> erklomm<br />

neue Höchststände. Eine Erklärung für<br />

diese Entwicklung liegt im stabilen<br />

Wachstum in den Schwellenländern<br />

sowie in der Tatsache, dass gerade <strong>Luxus</strong>artikel<br />

(Schmuck, Uhren <strong>und</strong> hochwertige<br />

Marken im Allgemeinen) in Zeiten<br />

wirtschaftlicher Unsicherheit <strong>und</strong><br />

Furcht vor Geldentwertung vermehrt<br />

als wertbeständige Anlagen <strong>und</strong> sichere<br />

Häfen betrachtet werden. Um die Exklusivität<br />

der Produkte nicht zu gefährden,<br />

gab es daher im <strong>Luxus</strong>segment <strong>kein</strong>e<br />

Dumpingpreise <strong>und</strong> Ausverkäufe während<br />

der Krise.<br />

Die Marke ist im Markt für <strong>Luxus</strong>güter<br />

das wichtigste Gut. <strong>Luxus</strong>marken zählen<br />

zu den wertvollsten Labels weltweit.<br />

Lässt man den Automobilsektor außen<br />

vor, ist die wertvollste <strong>Luxus</strong>marke un-<br />

Wie LVMH trägt auch das weltweit<br />

zweitgrößte Unternehmen der <strong>Luxus</strong>branche,<br />

PPR, eine relativ nichtssagende<br />

Abkürzung. Gegründet von François<br />

Pinault <strong>und</strong> heute geführt von seinem<br />

Sohn François-Henri, erwirtschaftet<br />

PPR einen etwas mehr als halb so großen<br />

Umsatz <strong>und</strong> Gewinn wie LVMH. Die<br />

Ursprünge von PPR liegen im Versand<strong>und</strong><br />

Einzelhandel. Die Hinwendung zum<br />

<strong>Luxus</strong>sektor fand in den 1990er-Jahren<br />

mit der Übernahme des Kaufhauses<br />

Printemps <strong>und</strong> der italienischen Marke<br />

Gucci statt. Das deutsche Label Puma<br />

(eher ein Sorgenkind) gehört seit 2007<br />

ebenfalls zum Konzern.<br />

Zahlreiche andere französische Marken<br />

wie Chanel oder Hermès führen<br />

weiterhin den Namen ihrer Marke <strong>und</strong><br />

konnten ihre Unabhängigkeit bis heute<br />

bewahren. Viele der Unternehmen<br />

sind in Familienbesitz – so hält die<br />

Gründerfamilie von Hermès auch nach<br />

dem Börsengang weiterhin r<strong>und</strong> zwei<br />

Drittel der Anteile – oder werden von<br />

erfahrenen Top-Managern geführt, die<br />

32 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

eine langfristig ausgerichtete Strategie<br />

verfolgen.<br />

Ein Erfolgsrezept stellt die weitgehende<br />

Kontrolle der eigenen Marke dar. So wird<br />

der Vertrieb von repräsentativen Flaggschiffgeschäften<br />

in Eigenregie gesteuert,<br />

um die wichtige Preissetzung in der<br />

Hand zu behalten. Des Weiteren basiert<br />

die Stärke der französischen Marken<br />

auf der internen Fertigung <strong>und</strong> der Absicherung<br />

der Zulieferkette; Louis Vuitton<br />

<strong>und</strong> Hermès, Marken die besonders<br />

hoch positioniert sind, weisen auch einen<br />

überdurchschnittlichen Fertigungsanteil<br />

unter dem eigenen Dach auf (r<strong>und</strong><br />

80 Prozent). Bei Prada oder Hugo Boss<br />

liegt er bei nur 20 Prozent.<br />

Mit der Kombination von starker Marke,<br />

teuren Produkten <strong>und</strong> Exklusivität<br />

werden hohe Gewinne erzielt. Die für<br />

französische Unternehmen auf den<br />

Weltmärkten nicht immer anzutreffende<br />

Preisgestaltungskraft ist vergleichbar<br />

mit der deutscher mittelständischer<br />

Hidden Champions, den versteckten<br />

Weltmarktführern, die oft auf Nischenmärkten<br />

dank ihrer Qualität <strong>und</strong> Innovationskraft<br />

über monopolartige Stellungen<br />

verfügen.<br />

Segen oder Fluch?<br />

Die <strong>Luxus</strong>güterindustrie stellt eine der<br />

industriellen Erfolgsgeschichten der<br />

jüngeren französischen Vergangenheit<br />

dar. Nicht nur hat sich die Branche, die<br />

in Frankreich ungefähr 200.000 Personen<br />

beschäftigt, dem allgemeinen industriellen<br />

Negativtrend entziehen können<br />

– der Anteil der Industrie am Sozialprodukt<br />

sank in Frankreich seit 2000 von<br />

etwa 18 auf ca. 12 Prozent – sie zählt<br />

auch zusammen mit dem Luft- <strong>und</strong><br />

Raumfahrtsektor, der Pharmabranche<br />

<strong>und</strong> dem Agrarsektor zu den wenigen<br />

französischen Wirtschaftsbereichen, die<br />

einen stabilen <strong>und</strong> signifikanten außenwirtschaftlichen<br />

Überschuss erwirtschaften.<br />

Bezieht man auch <strong>Luxus</strong>autos (insbesondere<br />

die deutschen Hersteller<br />

Porsche, Daimler <strong>und</strong> BMW) <strong>und</strong> gehobene<br />

Dienstleistungen (zum Beispiel<br />

Wellness-Hotels <strong>und</strong> sonstiger gehobener<br />

Tourismus) mit ein, so übersteigt<br />

der globale Markt für <strong>Luxus</strong> die<br />

600-Milliarden-Euro-Grenze. Europa<br />

hält dabei einen Anteil von 70 Prozent<br />

(ca. 450 Milliarden Euro) – dies entspricht<br />

über vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />

der Eurozone. Die<br />

Branche exportiert erfolgreich: <strong>Luxus</strong>güter<br />

erwirtschaften ca. zehn Prozent<br />

aller europäischen Ausfuhren. Ebenso<br />

ist der Sektor wenig empfänglich für<br />

Delokalisierung <strong>und</strong> hat wichtige Spillover-Effekte<br />

(Ausstrahlungseffekte) auf<br />

Innovationen, Zuliefererketten <strong>und</strong> auf<br />

Teile der verarbeitenden Industrie. Insgesamt<br />

beschäftigt die Branche circa<br />

1,5 Millionen Personen in Europa <strong>und</strong><br />

ist somit ein wichtiger Stabilitätsanker<br />

für den Arbeitsmarkt.<br />

Für die nächsten Jahre wird dem <strong>Luxus</strong>gütermarkt<br />

eine konstant hohe Wachstumsrate<br />

vorausgesagt. Diese Entwicklung<br />

ist für Frankreich allerdings auch<br />

mit mehreren Herausforderungen verb<strong>und</strong>en.<br />

Der relative Anteil französischer<br />

Hersteller verringert sich, besonders<br />

in den traditionellen Bereichen.<br />

Schwellenländer bauen selbst Nobelmarken<br />

auf <strong>und</strong> streben auf westliche<br />

Märkte. Außerdem lassen sich im <strong>Luxus</strong>automarkt<br />

weitaus höhere Umsätze<br />

(<strong>und</strong> somit Gewinne) erwirtschaften<br />

als im Bereich der persönlichen <strong>Luxus</strong>güter<br />

(Ledertaschen <strong>und</strong> Parfüm). Hier<br />

sind französische Anbieter allerdings<br />

eindeutig im Hintertreffen. Zum Schluss<br />

darf auch daran erinnert werden, dass<br />

Länder, ähnlich wie Unternehmen, zunehmend<br />

ebenfalls als Marke begriffen<br />

werden. Frankreich steht hier für <strong>Luxus</strong>,<br />

für das Edle, Feine <strong>und</strong> Schöne. Auf den<br />

Weltmärkten, auf denen Massengüter<br />

<strong>und</strong> Industriemaschinen den Ton angeben,<br />

stellt diese Klassifizierung für die<br />

französischen Anbieter industrieller<br />

Gebrauchs- <strong>und</strong> Verbrauchsgüter zusehends<br />

ein Problem dar – vor allem im<br />

Vergleich mit seinem Nachbarn östlich<br />

des Rhein, der mit „Made in Germany“<br />

Rekordergebnisse erzielt. f<br />

Foto: Worawut / stock.adobe.com<br />

Quelle: Dieser Text ist unter der<br />

Creative-Commons-Lizenz<br />

„CC BY-NC-ND 3.0 DE –<br />

Namensnennung – Nichtkommerziell<br />

– Keine Bearbeitung<br />

3.0 Deutschland" veröffentlicht.<br />

Autor: Markus Gabel für bpb.de<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

33


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Victoria Will<br />

Chamäleon<br />

Cate<br />

34 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Schauspielerin oder<br />

Aktivistin? Cate Blanchett ist<br />

in zwei sehr unterschiedlichen<br />

Welten unterwegs. Als<br />

globale Botschafterin setzt<br />

sich die australische<br />

Schauspielerin für Umweltschutz,<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Gleichberechtigung ein.<br />

Blanchett macht sich aber<br />

nicht nur für andere stark, sie<br />

hat sich auch dazu<br />

verpflichtet, ihren eigenen<br />

Alltag nachhaltiger zu<br />

gestalten.<br />

Text: James Evans, Richard Aldhous, 24kilos<br />

Übersetzung: Elena Köhn<br />

Cate Blanchett gilt als Vorbild für<br />

eine Branche, von der viele der<br />

Meinung sind, dass sie immer<br />

noch nicht genug tut, um echte, positive<br />

Veränderungen zu bewirken. Lob in<br />

diese Richtung hört die Schauspielerin<br />

allerdings nur ungern: „Ich habe es so<br />

satt zu hören: ‚Du bist eine starke Frau,<br />

du bist eine Inspiration in diesem oder<br />

jenem Bereich...‘“, sagt sie. „Was genau<br />

ist die Definition dafür? Was macht eine<br />

Frau stark, außer dass sie ein paar Kilo<br />

heben kann? Das ist ein sehr oberflächlicher,<br />

überstrapazierter Ausdruck, <strong>und</strong><br />

ich mag ihn nicht wirklich.“ Wir befinden<br />

uns in einer Ära der Emanzipation, haben<br />

bereits viele gesellschaftliche Grenzen<br />

überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> uns als Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger in dieser Welt „wahrscheinlich<br />

noch nie weniger unterdrückt<br />

oder in einem System gefangen gefühlt“,<br />

findet Blanchett. Es sei allerdings falsch,<br />

uns jetzt schon zurückzulehnen <strong>und</strong> uns<br />

zu beglückwünschen.<br />

Von der (Film)Bühne zur Aktivistin<br />

Eigentlich hatte sich Blanchett nie vorgenommen,<br />

eine Aktivistin zu werden, „einer<br />

dieser Leute“, wie sie es sagt. Aber<br />

wenn man sieht, dass andere versagen,<br />

müsse man eben manchmal selbst tätig<br />

werden. Bereits vor über 20 Jahren gelang<br />

ihr mit ihrer Rolle als Elizabeth I.,<br />

für die sie auch ihre erste Oscar-Nominierung<br />

erhielt, der Durchbruch. Seitdem<br />

genießt die Schauspielerin den Ruf,<br />

alle Erwartungen zu übertreffen <strong>und</strong><br />

sich zudem durch die verschiedensten<br />

Genres bewegen zu können: Von dem<br />

Noir-Film „Der talentierte Mr. Ripley“<br />

<strong>und</strong> ihrer Rolle als tragische Journalistin<br />

Veronica Guerin in dem gleichnamigen<br />

Biopic aus dem Jahr 2003, über „Hanna“<br />

sowie die „Der Herr der Ringe“-Trilogie<br />

bis hin zu weiteren erfolgreichen Filmen<br />

wie „Notes on a Scandal“, „I'm Not There“,<br />

„The Golden Age“, „Thor: Ragnarok“<br />

<strong>und</strong> „Ocean's 8“ – Blanchett ging immer<br />

bis an ihre Grenzen.<br />

>><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

35


<strong>Luxus</strong><br />

„<br />

Viele dieser<br />

Veränderungen<br />

kamen zustande,<br />

als mir klar wurde,<br />

dass meine Kinder<br />

in einer Welt<br />

aufwachsen, die<br />

sich nicht um ihr<br />

langfristiges Wohlergehen<br />

zu kümmern<br />

scheint, <strong>und</strong> für<br />

mich war das absolut<br />

herzzerreißend.<br />

„Als ich aus der Schauspielschule kam,<br />

dachte ich nicht, dass ich jemals einen<br />

Film machen würde. Ich hatte immer auf<br />

eine lange Theaterkarriere gehofft“, erklärt<br />

die Schauspielerin. So sei es auch<br />

jetzt noch jedes Mal eine Freude, wenn<br />

sie einen Film mache. Deshalb vertritt<br />

sie auch bei ihrem Engagement einen<br />

ähnlichen Standpunkt: „Ich habe nie erwartet,<br />

dass irgendetwas davon funktioniert.<br />

Und genauso habe ich jetzt das Gefühl,<br />

dass ich nichts zu verlieren habe,<br />

wenn ich weitermache.“<br />

Der Mut, für ihre Überzeugung einzustehen,<br />

hat sich für Blanchett offenbar<br />

ausgezahlt. So gilt sie für viele, neben<br />

ihrer Schauspielkarriere, als Fürsprecherin<br />

der Gleichberechtigung sowie als<br />

eine Ikone des modernen Umweltschutzes<br />

<strong>und</strong> letztlich besonders als Vorbild,<br />

wenn es darum geht, die Missstände in<br />

der Gesellschaft anzusprechen. „Meine<br />

Meinung zu den meisten Dingen ist<br />

nicht qualifizierter als die von anderen“,<br />

so Blanchett. „Aber wenn das bedeutet,<br />

dass andere aus der Dunkelheit hervortreten<br />

können <strong>und</strong> das Selbstvertrauen<br />

haben, sich selbst zu äußern, dann sage<br />

ich: ‚Warum nicht?‘“<br />

Mehr <strong>Nachhaltigkeit</strong> im eigenen Alltag<br />

Tatsächlich kann man den Star wohl als<br />

ein gutes Beispiel aus der Filmbranche<br />

bezeichnen: Während andere lediglich<br />

die Leitbilder der großen globalen Sozial-<br />

<strong>und</strong> Umweltorganisationen auflisten,<br />

konzentriert sich Blanchett viel<br />

mehr darauf, was sie selbst jeden Tag<br />

auch im Kleinen beeinflussen kann.<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> steht dabei stets im Mittelpunkt.<br />

Vor vielen Jahren begann sie,<br />

ihre Gewohnheiten zu Hause nach <strong>und</strong><br />

nach zu ändern, um ihre eigenen Treibhausgasemissionen<br />

zu verringern. So<br />

stellte sie zum Beispiel ihre häusliche<br />

Stromversorgung auf Grünstrom um<br />

<strong>und</strong> begann, ihre Wäsche mit kaltem<br />

Wasser zu waschen. Darüber hinaus<br />

Foto: Matt Lee / Walter McBride<br />

investierte Blanchett in eine Dachisolierung,<br />

verpflichtete sich, mehr zu Fuß zu<br />

gehen <strong>und</strong> weniger mit dem Auto zu fahren,<br />

<strong>und</strong> verzichtet sogar auf unnötige<br />

Inlandsflüge. Bei anderen Flügen kompensiert<br />

sie außerdem die anfallenden<br />

Treibhausgasemissionen.<br />

„Viele dieser Veränderungen kamen zustande,<br />

als mir klar wurde, dass meine<br />

Kinder in einer Welt aufwachsen, die<br />

sich nicht um ihr langfristiges Wohlergehen<br />

zu kümmern scheint, <strong>und</strong> für<br />

mich war das absolut herzzerreißend“,<br />

gibt Blanchett zu. Sie versuche, ihren<br />

Kindern beizubringen, dass es heute<br />

viele Dinge gibt, über die man nachdenken<br />

müsse, wenn man seinen Weg im<br />

Leben gehe. Ihre Kinder „haben nicht<br />

die gleiche sorglose Einstellung zur Welt<br />

oder zur Umwelt, die uns als Kindern<br />

zuteil wurde“, meint sie. Dieses Privileg<br />

hätten heutige Generationen nicht mehr.<br />

36 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

dass die Gleichstellung von Frauen dazu<br />

führe, Männer zu benachteiligen. Stattdessen<br />

würden Männer enorm profitieren.<br />

Es sei außerdem enorm kurzsichtig<br />

gedacht, wenn man Frauen bei kreativen<br />

Gesprächen nicht an den Tisch bringe.<br />

„Aber ich weiß, dass es immer noch<br />

eine große Angst gibt.“<br />

Obwohl die australische Schauspielerin<br />

Fortschritte sieht, hat sie das Gefühl,<br />

dass viele dieser Fortschritte auch wieder<br />

rückgängig gemacht wurden: „Der<br />

Konservatismus wirkt sich darauf aus,<br />

wie sich Frauen in der Welt wahrnehmen“,<br />

findet Blanchett. Auch in Zukunft<br />

werde das eine Herausforderung sein.<br />

Die Botschaft muss spannend sein<br />

Sprecherin für LGBT-Rechte <strong>und</strong><br />

Gleichstellung<br />

Mit dem Film „Carol“, den sie 2015<br />

drehte, wurde Blanchett auch zu einer<br />

führenden Verfechterin der LGBT-<br />

Rechte. „Ich schaue mir den Fortschritt<br />

an, den wir mit diesem Film gemacht haben,<br />

die Gespräche, die begonnen wurden,<br />

<strong>und</strong> ich bin sehr stolz darauf, wie<br />

viel Gutes dabei herausgekommen ist“,<br />

erläutert die Schauspielerin. Gleichzeitig<br />

sei sie aber auch erstaunt darüber,<br />

wie sehr sich die Gesellschaft seitdem<br />

weiterentwickelt hat <strong>und</strong> wie viel komplizierter<br />

die Regeln für Sexualität,<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Akzeptanz geworden<br />

seien. „Es kann frustrierend sein, zu<br />

sehen, wie weit man gekommen ist <strong>und</strong><br />

zu erkennen, dass die ganze Landschaft<br />

heutzutage so viel komplexer ist.“ Aber<br />

man rede darüber, deshalb sei das in<br />

Ordnung.<br />

Was unsere soziale <strong>und</strong> ökologische<br />

Entwicklung im kommenden Jahrzehnt<br />

angeht, so befürchtet Blanchett, dass wir<br />

noch einen weiten Weg vor uns haben,<br />

wenn wir eine vollkommen gerechte Gesellschaft<br />

erreichen wollen. So sei es in<br />

vielen Branchen, Berufen, Städten <strong>und</strong><br />

Dörfern nach wie vor so, dass das Geschlecht,<br />

die sexuelle Überzeugung, die<br />

Hautfarbe oder die Rasse das Erste sei,<br />

was einem ins Auge fällt.<br />

Die Tür schließe sich, statt sich zu öffnen.<br />

„Ich würde gerne einen Punkt<br />

erreichen, an dem die Menschen das<br />

nicht mehr sehen <strong>und</strong> fühlen, aber ich<br />

glaube, das ist noch ein weiter Weg. Ich<br />

glaube auch, wir müssen versuchen,<br />

uns von der Vorstellung zu lösen, dass,<br />

wenn eine Person gewinnt, eine andere<br />

zwangsläufig verlieren muss“, meint<br />

Blanchett. Als Beispiel führt sie die<br />

Sexismus-Debatte auf. Sie glaube nicht,<br />

Und auch wenn Blanchett <strong>kein</strong> großer<br />

Fan des digitalen Zeitalters ist, räumt sie<br />

ein, dass die Werkzeuge, die uns heute<br />

zur Verfügung stehen, viel besser sind<br />

als die aus der Vergangenheit. „Wir haben<br />

jetzt definitiv eine bessere Chance<br />

als früher, etwas Wichtiges zu tun“, stellt<br />

sie fest. „Soziale Netzwerke können in<br />

manchen Fällen sehr nützlich sein – sie<br />

treiben Kampagnen voran, schaffen Wirkung,<br />

erhöhen die Aufmerksamkeit <strong>und</strong><br />

bringen erstaunliche Menschen zusammen.“<br />

Dennoch wünsche sie sich, eine<br />

bessere Möglichkeit, diese Dinge zu<br />

filtern. „Das ist der Gr<strong>und</strong>, warum ich<br />

mich von Twitter <strong>und</strong> Facebook fernhalte<br />

– ich vergleiche es mit Graffiti ... man<br />

liest vielleicht ein oder zwei Dinge, die<br />

interessant sind, aber das meiste davon<br />

ist nicht sehr nützlich.“<br />

Es sei außerdem eine Herausforderung,<br />

die Botschaft für ökologische <strong>und</strong> soziale<br />

Veränderungen spannend zu gestalten.<br />

„Das Gesagte kann leicht langweilig<br />

werden, <strong>und</strong> wir müssen dafür sorgen,<br />

dass die Botschaft unterhaltsam <strong>und</strong> fesselnd<br />

ist.“ Letztlich müsse man einfach<br />

weitermachen, um das Blatt irgendwann<br />

zu wenden. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

37


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Martin Mai<br />

Kaufen ist<br />

wie Kokain<br />

Carl Tillessen, Autor, Trendanalyst, Berater<br />

38 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Karl Lagerfeld hat einmal<br />

gesagt: Wer <strong>Luxus</strong> mit Reichtum verwechselt,<br />

hat <strong>kein</strong>e Kultur. Was ist <strong>Luxus</strong><br />

für Sie?<br />

Carl Tillessen: Die Faszination, die von<br />

<strong>Luxus</strong> ausgeht, hängt sehr stark damit<br />

zusammen, dass der Konsum von <strong>Luxus</strong><br />

unsere Selbstwahrnehmung verändert.<br />

Wenn ich mir zum Beispiel einen Mercedes<br />

oder ein anderes großes Auto kaufe,<br />

dann sitze ich da nicht nur drin, sondern<br />

ich verschmelze mit dem Produkt, ich<br />

werde zu einem ‚Mercedesfahrer‘. <strong>Luxus</strong><br />

hat diese Macht, dass wir uns durch dieses<br />

Objekt selbst aufgewertet fühlen. Das<br />

ist etwas, was mit Nicht-<strong>Luxus</strong>-Produkten<br />

eben nicht passiert. Wenn Sie mich<br />

aber nach meinem ganz persönlichen<br />

Zugang zu <strong>Luxus</strong> fragen, dann würde ich<br />

sagen: Für mich ist etwas luxuriös, was<br />

nicht kompromissbehaftet ist.<br />

Identifikation mit Produkten erfolgt auch,<br />

weil wir glauben, dass uns diese Attribute<br />

privat <strong>und</strong> beruflich voranbringen. Wieso<br />

sind wir uns da so sicher?<br />

Da glaube ich, dass Influencer hieran einen<br />

großen Anteil haben. Denn für den<br />

Betrachter ist nicht mehr zu unterscheiden,<br />

ob diese Leute sich all diese Dingen<br />

leisten können, weil sie erfolgreich sind,<br />

oder ob sie so erfolgreich geworden sind,<br />

weil sie sich all diese Dinge geleistet haben.<br />

Wahrscheinlich gibt es Karrieren,<br />

die tatsächlich so funktioniert haben.<br />

Dadurch ist so eine „Fake it 'til you make<br />

it“-Mentalität entstanden, bei der man<br />

erst mal drauf los konsumiert. Wir sind<br />

ein bisschen zu einer Gesellschaft von<br />

Aufschneidern <strong>und</strong> Hochstaplern geworden.<br />

Ich habe gelesen, Sie wollten mit ihrem<br />

Sachbuch „Konsum – Warum wir kaufen,<br />

was wir nicht brauchen“ ein Trauma verarbeiten.<br />

Welcher Schmerz plagt Sie denn?<br />

Die Vorgeschichte ist, dass ich 17 Jahre<br />

lang eine eigene Modemarke hatte, die<br />

ich dann aber aufgeben musste. Gründe<br />

hierfür waren letztendlich die fortschreitende<br />

wirtschaftliche Konzentration <strong>und</strong><br />

Vertikalisierung. Auch wenn diese Entwicklungen<br />

nicht jeden die Existenz kosten,<br />

so verändern sie doch die Welt um<br />

uns herum <strong>und</strong> betreffen uns alle. Das<br />

ist das eine Trauma. Das andere Trauma<br />

war, zu erkennen, dass die Modebranche,<br />

die früher so glanzvoll, chic<br />

<strong>und</strong> begehrlich erschien, vollkommen<br />

zu Recht in den Fokus einer <strong>Nachhaltigkeit</strong>s-<br />

<strong>und</strong> Fairness-Debatte geraten<br />

ist. Diese überfällige Debatte führt dazu,<br />

dass viele Menschen gerade auf ihr Leben<br />

blicken <strong>und</strong> sich eingestehen müssen,<br />

dass vieles, was gestern richtig war,<br />

heute falsch ist.<br />

Ist dann das Einhalten von Umwelt- <strong>und</strong><br />

Sozialstandards der eigentliche <strong>Luxus</strong>?<br />

Es ist der neue <strong>Luxus</strong>. Denn auch dabei<br />

lassen wir uns weniger von unserem<br />

eigenen Urteil leiten, als von den Erwartungen<br />

unseres Umfelds. Zu diesem<br />

Schluss bin ich bei meinen ganzen Recherchen<br />

gekommen. Es gab zum Beispiel<br />

eine Studie mit dem sprechenden<br />

Titel „Going green to be seen“, wonach<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute<br />

zu nachhaltigen oder fairen Produkten<br />

greifen, sehr, sehr viel höher ist, wenn<br />

andere ihnen bei der Kaufentscheidung<br />

zusehen. Und so wird eben auch <strong>Nachhaltigkeit</strong>,<br />

die gerade in den sozialen Medien<br />

eine hohe Anerkennung bekommt,<br />

zum neuen <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> Statussymbol.<br />

Sie sagen in Ihrem Buch, Kaufen sei eine<br />

Sucht. Wie Kokain konsumieren. Was<br />

macht der „Kaufrausch“ mit uns?<br />

Das ist nicht meine persönliche Theorie,<br />

sondern der aktuelle Stand der Wissenschaft,<br />

dass ein Lustkauf in uns die gleichen<br />

biochemischen Prozesse in Gang<br />

setzt wie die Zufuhr von bestimmten<br />

Stoffen wie Kokain oder Amphetamin.<br />

Wir kaufen oftmals nur, um darüber unsere<br />

Stimmung zu regulieren <strong>und</strong> uns<br />

aufzuheitern. Kurze Zeit danach fällt unser<br />

Glücksempfinden aber auf ein niedrigeres<br />

Niveau als vorher. Das ist sozusagen<br />

der Kater nach dem Kaufrausch.<br />

Darauf reagieren wir wieder durch den<br />

nächsten Kauf, um unsere Stimmung<br />

wieder anzuheben <strong>und</strong> so weiter. Wir<br />

werden dadurch kurzfristig zufrieden,<br />

aber langfristig immer unzufriedener<br />

<strong>und</strong> unglücklicher.<br />

Aber ich kann trotzdem jeden Menschen<br />

sehr gut verstehen, der sich erst mal gegen<br />

den Gedanken sträubt, dass unser<br />

Konsum eine Sucht ist. Man muss sich<br />

von der Vorstellung verabschieden, dass<br />

Sucht immer mit gesellschaftlichem<br />

Absturz einhergeht. Es gibt sehr viele<br />

Süchte, die sich mühelos in unseren Alltag<br />

integrieren lassen − Kaffee, Rauchen<br />

<strong>und</strong> so weiter −, bei denen wir trotzdem<br />

noch funktionieren.<br />

Für mich fängt Sucht eigentlich da an,<br />

wo etwas auf uns eine Anziehungskraft<br />

ausübt, die regelmäßig stärker ist als<br />

unsere guten Vorsätze. So gesehen ist<br />

Konsum auch eine Sucht, weil es natürlich<br />

diese guten Vorsätze gibt, weniger<br />

zu kaufen oder bestimmte Dinge nicht<br />

mehr zu kaufen, <strong>und</strong> wir es dann trotzdem<br />

immer wieder tun − gegen besseres<br />

Wissen, gegen gute Vorsätze, gegen<br />

unsere Überzeugung <strong>und</strong> so weiter. Das<br />

bekommt man nur in den Griff, wenn<br />

man aufhört, es zu verharmlosen. Wenn<br />

wir wieder einmal mit einem neuen Paar<br />

Schuhe nach Hause kommen, obwohl<br />

wir uns doch eigentlich <strong>kein</strong>e mehr kaufen<br />

wollten, dann ist das nämlich <strong>kein</strong>eswegs<br />

so harmlos, als hätten wir ein<br />

bisschen mehr Kuchen gegessen als wir<br />

eigentlich wollten. Dass wir uns ständig<br />

irgendwelche Fast-Fashion-Sachen<br />

kaufen, ist <strong>kein</strong>e sympathische kleine<br />

Schwäche.<br />

Wo endet für Sie Konsum <strong>und</strong> wo beginnt<br />

Überkonsum?<br />

Schwierige Frage. Zunächst einmal ist<br />

es ja schön, dass wir uns Dinge leisten<br />

können, die wir uns früher nicht leisten<br />

konnten. Aber wenn wir uns angucken,<br />

dass sich zum Beispiel − um bei der<br />

Mode zu bleiben − der globale Konsum<br />

an Kleidung seit 1960 verneunfacht hat,<br />

dann ist es absolut richtig, hier von Überkonsum<br />

zu sprechen. Überkonsum fängt<br />

da an, wo wir die Dinge, die wir kaufen,<br />

nicht wirklich nutzen. Statistisch wird<br />

jedes fünfte Kleidungsstück <strong>kein</strong> Mal<br />

oder maximal einmal getragen. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

39


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: drdreysse.com<br />

Mehr<br />

in Partnerschaften<br />

denken<br />

Nanda Bergstein, Director Corporate Responsibility bei Tchibo<br />

40 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Frau Bergstein, was ist<br />

<strong>Luxus</strong> für Sie?<br />

Nanda Bergstein: Mittlerweile finde<br />

ich <strong>Luxus</strong> weniger im Materiellen als im<br />

Immateriellen: Zeit, um meinen Interessen<br />

nachzugehen ohne gehetzt zu sein<br />

gehört für mich dazu, aber auch draußen<br />

in einer intakten Natur zu sein, ist für<br />

mich <strong>Luxus</strong>.<br />

Für manche ist <strong>Luxus</strong>, immer der neuesten<br />

Mode zu folgen. Fast Fashion ist ein<br />

Ergebnis davon <strong>und</strong> ziemlich das Gegenteil<br />

von nachhaltiger Bekleidung. Wie geht<br />

es Ihnen dabei?<br />

Es schlagen hier zwei Seelen in meiner<br />

Brust: Zum einen weiß ich, wie eng<br />

Mode <strong>und</strong> Identität miteinander verb<strong>und</strong>en<br />

sind. Ein schönes, neues Kleidungsstück<br />

kann dabei helfen, der Identität<br />

Ausdruck zu verleihen <strong>und</strong> sich so<br />

wohlzufühlen. Doch wenn dies ausufert<br />

– weil die Psyche ständig etwas Neues<br />

benötigt, um sich gut zu fühlen, quasi<br />

wie im Rausch – ist das, denke ich, zu<br />

viel. Wir müssen hier mehr Achtsamkeit<br />

lernen.<br />

Bei Tchibo gibt es jede Woche eine neue<br />

Themenwelt. Drehen Sie da nicht auch am<br />

Konsumrad mit?<br />

Jedes Unternehmen, das Produkte anbietet,<br />

dreht am Konsumrad mit. Wenn man<br />

bei Tchibo genau hinsieht, sind unsere<br />

Anzahl <strong>und</strong> Ausführungen an Produkten<br />

pro Woche begrenzt <strong>und</strong> bewusst kuratiert.<br />

Wir setzen dabei stringent auf Qualität,<br />

Langlebigkeit <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong>.<br />

Im Textilbereich geht Tchibo konsequent<br />

in die Gegenrichtung. Ab wann ist Mode<br />

nachhaltig? Und kann es so etwas geben<br />

wie „ein bisschen nachhaltig“?<br />

Am liebsten verwende ich den Begriff<br />

„nachhaltiger“ oder „verantwortlich“.<br />

Denn perfekte <strong>Nachhaltigkeit</strong> gibt es<br />

nicht. Was heute als nachhaltig gilt, mag<br />

morgen schon wieder überholt sein.<br />

Auch werden häufig immer nur einzelne,<br />

spezifische Aspekte wie beispielsweise<br />

die Verwendung von Bio-Baumwolle<br />

als nachhaltig hervorgehoben.<br />

Doch das beschreibt nur einen Aspekt<br />

der ökologischen Seite. Darüber hinaus<br />

gibt es viele andere: Wurden die Produkte<br />

klimafre<strong>und</strong>lich hergestellt? Wie<br />

wurden sie transportiert? Wie sind sie<br />

verpackt? Aber auch soziale Aspekte<br />

müssen betrachtet werden: Wurden<br />

die Produkte unter Achtung der Menschenrechte<br />

hergestellt? Eine weitere<br />

Dimension, die häufig in der Diskussion<br />

außer Acht gelassen wird, ist das ökonomische<br />

Zusammenspiel: Von Produktion<br />

<strong>und</strong> Nachfrage hängen im aktuellen<br />

Wirtschaftssystem auch Arbeitsplätze<br />

<strong>und</strong> damit menschliche Existenzen ab.<br />

Wichtig ist also die <strong>Nachhaltigkeit</strong> eines<br />

Produktes immer ganzheitlich, im<br />

Zusammenspiel der ökonomischen,<br />

ökologischen <strong>und</strong> sozialen Komponenten<br />

zu bewerten. Wie bei einem Puzzle,<br />

jedes einzelne Teil ist wichtig, doch<br />

nur alle zusammen ergeben ein ganzes<br />

Bild. Deshalb schauen wir bei unseren<br />

Produkten ganzheitlich auf alle Schritte<br />

der Lieferkette <strong>und</strong> gestalten diese nachhaltiger.<br />

Viele Ihrer Produktthemen drehen sich<br />

um Stil <strong>und</strong> Eleganz. Ist das <strong>Luxus</strong>?<br />

Was als <strong>Luxus</strong> definiert wird, ist eine<br />

sehr persönliche Sache. Für mich ist<br />

<strong>Luxus</strong>, einen Spaziergang am Meer zu<br />

machen <strong>und</strong> Zeit für meine Familie zu<br />

haben. Für jemand anderen mag es sein,<br />

etwas Besonderes zu besitzen oder ein<br />

ernst gemeintes Lächeln zu erhalten.<br />

In Ihren Lieferketten – ob Kaffee oder Textil<br />

– erleben die Menschen <strong>Luxus</strong> ganz anders.<br />

Welche Verbesserungen liegen Ihnen<br />

persönlich besonders am Herzen?<br />

Da <strong>Luxus</strong> etwas ganz Individuelles ist,<br />

wäre es spannend, den Menschen in<br />

den Lieferketten die Frage nach <strong>Luxus</strong><br />

direkt selbst zu stellen. Mit Sicherheit<br />

würden wir Antworten hören, die mit<br />

der Existenzsicherung zu tun haben,<br />

aber auch mit Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> einer verlässlichen<br />

Schulbildung für die Kinder.<br />

Aber ich weiß, es ginge auch darum,<br />

Zeit zu haben, um mit der Familie <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>en zusammen zu sein <strong>und</strong> – besonders<br />

wichtig – mit Respekt behandelt<br />

zu werden. Dass dies vermutlich als<br />

<strong>Luxus</strong> definiert würde zeigt, was dort<br />

fehlt <strong>und</strong> wie ungerecht die Verteilung<br />

von Wohlstand auf den unterschiedlichen<br />

Erdteilen ist.<br />

Mir liegen deswegen vier Dinge besonders<br />

am Herzen: faire Bezahlung für höhere<br />

Einkommen, Respekt im Umgang<br />

mit Beschäftigten in der Produktion <strong>und</strong><br />

auf den Farmen sowie die Eliminierung<br />

der Umweltverschmutzung. Die UN hat<br />

kürzlich ein neues Menschenrecht definiert:<br />

das Recht auf eine saubere <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>e Umwelt. Ich finde, jede:r hat<br />

es verdient, ein gutes <strong>und</strong> schönes Umfeld<br />

zu haben. Als vierten Punkt halte<br />

ich eine veränderte Haltung in globalen<br />

Lieferketten für notwendig. Alle Glieder<br />

sind voneinander abhängig, doch gerade<br />

auf Marken- <strong>und</strong> Retailseite herrscht<br />

immer noch die Haltung, dass Lieferanten<br />

<strong>und</strong> Lieferketten austauschbar sind.<br />

Ich denke, die aktuelle Supply-Chain-<br />

Situation lehrt uns, wie groß die gegenseitigen<br />

Abhängigkeiten sind. Wir<br />

müssen mehr in Partnerschaften denken<br />

<strong>und</strong> auf Augenhöhe miteinander<br />

umgehen. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Ben Gross<br />

Recht auf<br />

Teilhabe<br />

Michael Neuhaus, Teil des B<strong>und</strong>essprecher:innenrats Linksjugend,<br />

Stadtrat & umweltpolitischer Sprecher LINKE Leipzig<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Welchen <strong>Luxus</strong> haben Sie<br />

sich kürzlich gegönnt?<br />

Michael Neuhaus: Vor allem habe ich<br />

mir nach dem Wahlkampf den <strong>Luxus</strong> ein<br />

paar ruhigerer Tage gegönnt. Einfach<br />

mal etwas länger schlafen, eine Tasse<br />

Kaffee im Sessel trinken, anstatt ihn To<br />

Go runterzustürzen, <strong>und</strong> ein Buch vom<br />

wachsenden Stapel ungelesener Bücher<br />

lesen – das tat sehr gut. Das Luxuriöseste<br />

waren vermutlich Restaurantbesuche<br />

mit Fre<strong>und</strong>en.<br />

Sie sind b<strong>und</strong>esweit in den Medien bekannt<br />

geworden, weil Sie sich für die Abschaffung<br />

der Schaumweinsteuer stark<br />

gemacht haben. Gehen der Linken die<br />

Themen aus?<br />

Nein, aber mir geht angesichts der gesellschaftlichen<br />

Missstände der Schaumwein<br />

aus. Die Schere zwischen Arm <strong>und</strong> Reich<br />

klafft so weit auseinander wie noch nie,<br />

das Erreichen des 1,5°C-Ziels wird immer<br />

unwahrscheinlicher <strong>und</strong> viele der<br />

95.000 Corona-Toten in Deutschland hätten<br />

vermutlich gerettet werden können,<br />

wenn die Regierung anstelle des Freizeitlockdowns<br />

einen Wirtschaftslockdown<br />

verhängt hätte. Unzählige Menschen<br />

stehen nach Corona vor den Trümmern<br />

ihrer Existenz, doch Rettung scheint es<br />

nur für TUI <strong>und</strong> die Lufthansa zu geben.<br />

Rotkäppchen ist zwar ganz geil, wird all<br />

die Probleme aber nicht lösen. Genauso<br />

wenig wie Trübsal blasen. Es gab lange<br />

<strong>kein</strong>en besseren Zeitpunkt mehr, um<br />

politisch aktiv zu werden. Politik heißt<br />

aber nicht nur zusammen streiten, sondern<br />

auch gemeinsam lachen. Politik<br />

darf, kann <strong>und</strong> muss Spaß machen. Immerhin<br />

machen es die meisten in ihrer<br />

Freizeit. Die Schaumweindebatte war<br />

ein Änderungsantrag, den wir als linksjugend['solid]<br />

an das Wahlprogramm gestellt<br />

haben, über den berichtet wurde.<br />

Die anderen 30, die weniger lustig waren,<br />

fanden leider weniger Beachtung.<br />

Sie <strong>und</strong> Ihre Partei machen sich für viele<br />

Gr<strong>und</strong>rechte stark: Wohnen, Arbeiten, Bildung<br />

etc. Aber wie ist es mit dem Gr<strong>und</strong>recht<br />

auf Konsum?<br />

Die Frage ist, wofür wir uns jeden Morgen<br />

aus dem Bett quälen <strong>und</strong> Dinge produzieren,<br />

wenn nicht, um sie am Ende<br />

auch konsumieren zu können. Alleine<br />

aus Spaß an der Arbeit sicherlich nicht.<br />

Und genau das ist das Bittere an diesem<br />

Wirtschaftssystem: Wir produzieren<br />

dank modernster Technik immer mehr<br />

<strong>und</strong> immer schneller. Die Supermärkte<br />

sind voll. Trotzdem gibt es unzählige<br />

Menschen, die vom Konsum ausgeschlossen<br />

werden. Manche gehen sogar<br />

mit leeren Mägen ins Bett, während<br />

Lebensmittelkonzerne Nahrungsmittel<br />

lieber entsorgen, als sie anderen zur<br />

Verfügung zu stellen. Das ist absurd. Die<br />

aktuelle Produktion dient eben nicht der<br />

Konsumption, sondern dem Profit. Damit<br />

müssen wir Schluss machen.<br />

Viele fordern angesichts der Klimafragen<br />

eher Postwachstum oder gar Suffizienz.<br />

Aber vieles „Überflüssige“ ist ja auch<br />

schön. Was passiert dann mit Handwerk,<br />

Kunst <strong>und</strong> Ästhetik?<br />

Menschliches Leben ist mehr als nur<br />

Essen, Schlafen <strong>und</strong> regelmäßig aufs<br />

Klo gehen. Der Mensch ist nicht nur ein<br />

Natur-, sondern auch ein Kulturwesen.<br />

Nicht das alternative Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Gesellschaftsmodell, das ich mir wünsche,<br />

betrachtet Kultur als „überflüssig“,<br />

sondern das aktuelle System tut es.<br />

Kunst <strong>und</strong> Kultur haben nur dann eine<br />

Existenzberechtigung, wenn sie Profit<br />

abwerfen. Weil sich die meisten Kultureinrichtungen<br />

nicht selbst finanzieren<br />

können, sind sie auf staatliche Zuwendungen<br />

angewiesen, ohne die sie schon<br />

lange Pleite gegangen <strong>und</strong> verschw<strong>und</strong>en<br />

wären. Die Menschen sollen lieber<br />

„richtig arbeiten“, anstatt irgendeiner<br />

„brotlosen Kunst“ nachzugehen.<br />

Dabei sind weder Theater noch Bücher<br />

oder Kunstgalerien die Treiber des Klimawandels.<br />

Es ist die kapitalistische<br />

Produktion, der es eben nicht um Sinnhaftigkeit<br />

oder Bedürfnisbefriedigung,<br />

sondern nur um den Profit geht. Da werden<br />

Billig-Hosen unter unmenschlichen,<br />

ausbeuterischen Bedingungen in sogenannten<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> Schwellenländern<br />

produziert, um sie anschließend<br />

für den Verkauf um den Globus fliegen<br />

zu lassen. Das finde ich überflüssig. Ich<br />

wünsche mir mehr Kultur, die sich auch<br />

nicht lohnen muss, <strong>und</strong> dafür weniger<br />

Überproduktion.<br />

Expert:innen sagen, in Deutschland wird<br />

über Wohlstand <strong>und</strong> Reichtum gern als<br />

Neiddebatte diskutiert. Gönnen wir anderen<br />

den <strong>Luxus</strong> nicht?<br />

Der Begriff „Neiddebatte“ versucht einen<br />

Missstand durch Moralisierung zu<br />

rechtfertigen. Aber es geht nicht um Moral:<br />

Es geht darum, dass genug für alle<br />

da ist, aber nicht alle etwas abbekommen.<br />

Dieser Irrsinn erscheint uns im<br />

Kapitalismus aber vernünftig. Die einen<br />

wissen nicht wohin mit dem Geld <strong>und</strong><br />

sammeln Autos wie Briefmarken, die<br />

anderen hüpfen am Ende ihres Lebens<br />

in die Urne <strong>und</strong> haben vor lauter Arbeit<br />

kaum gelebt. Dabei sind es die Lohnabhängigen,<br />

die den Reichtum erst erarbeiten.<br />

Reich ist nicht der, der in der Fabrik<br />

arbeitet, sondern der, dem die Fabrik gehört.<br />

Ohne die Lohnabhängigen, die ihre<br />

Lebenszeit verkaufen, wären Jeff Bezos<br />

<strong>und</strong> Elon Musk nichts. Die Forderung<br />

nach Teilhabe am Wohlstand dieser Welt<br />

als „Neiddebatte“ zu verklären, ist in<br />

meinen Augen pure Armenverachtung<br />

<strong>und</strong> tut so, als wäre eben nicht genug für<br />

alle da. Ich stelle mir dann einen Pharao<br />

vor, der seinen Arbeitern erklärt, sie sollen<br />

nicht so neidisch auf die Pyramide<br />

sein. Dass sie sich nur richtig anstrengen<br />

müssten, um selbst eine Pyramide<br />

zu bekommen. So absurd das Beispiel<br />

klingt, es ist aktueller denn je: Reichtum<br />

wird nämlich in erster Linie vererbt.<br />

<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> Linkssein wird nach wie vor<br />

von vielen als <strong>Widerspruch</strong> gesehen. Wie<br />

viel <strong>Luxus</strong> darf man sich als Linker gönnen?<br />

Ich sehe da <strong>kein</strong>en <strong>Widerspruch</strong>. Ich predige<br />

nicht Armut <strong>und</strong> Verzicht oder Reichenhass,<br />

sondern eine klassenlose Gesellschaft.<br />

Also die Abschaffung dessen,<br />

was <strong>Luxus</strong> ist. Was <strong>Luxus</strong> ist, ist nämlich<br />

immer eine Frage der Verhältnisse. Also<br />

aktuell, die einer Gesellschaft, die in<br />

Arm <strong>und</strong> Reich gespalten ist. f<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

Foto: michaelhandelmann.de<br />

Adlon oblige<br />

Michael Sorgenfrey, Direktor des Hotels Adlon Kempinski, Berlin<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Das Adlon wirbt mit dem<br />

Claim „<strong>Luxus</strong> in Berlin genießen“. Was<br />

macht das Adlon luxuriös?<br />

Michael Sorgenfrey: Da sind sicherlich<br />

die ganz offensichtlichen Attribute<br />

wie die einmalige Lage, die bewegte Geschichte,<br />

die exklusive Ausstattung im<br />

gesamten Hotel – denken Sie allein nur<br />

an die Größe <strong>und</strong> Grandezza der Lobby<br />

–, die Vielfalt unserer Suiten <strong>und</strong> Restaurants<br />

oder die Weitläufigkeit unseres<br />

Wellnessbereiches zu nennen. Aber um<br />

es auf den Punkt zu bringen: Das Adlon<br />

ist eine Kombination aus Tradition, Qualität<br />

<strong>und</strong> Innovation. Und es besticht vor<br />

allem durch den hoch professionellen,<br />

dabei individuellen <strong>und</strong> authentischen<br />

Service, auf den wir höchstes Gewicht<br />

legen. Der Gast soll spüren, dass jede:r<br />

Mitarbeiter:in des Hotels zu jeder Zeit<br />

für ihn da ist. <strong>Luxus</strong> bedeutet für uns<br />

vor allem, ganz besondere Erlebnisse<br />

für unsere Gäste zu kreieren <strong>und</strong> sie damit<br />

zu überraschen. Es sind diese magischen<br />

Momente, die unseren Gästen in<br />

Erinnerung bleiben.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> räumen wir all unseren<br />

Mitarbeitenden einen großen Handlungsspielraum<br />

ein. So sind sie berechtigt,<br />

in jeglicher Situation eigenständig<br />

Entscheidungen zum Wohl des Gastes zu<br />

treffen. Dabei steht ihnen auch ein nicht<br />

ganz unerheblicher finanzieller Rahmen<br />

zur Verfügung. Die Palette reicht<br />

von kleinen Geschenken des Hauses<br />

zu besonderen Anlässen, die dem Gast<br />

wichtig sind, über das Organisieren von<br />

außergewöhnlichen Locations <strong>und</strong> die<br />

Bereitstellung von romantischen Accessoires<br />

für einen geplanten Heiratsantrag<br />

bis hin zu Ersatzbeschaffungen von geliebten<br />

Stofftieren, die die Kleinen vergessen<br />

haben. Wir haben diese Initiative<br />

„My Moments“ getauft.<br />

Sie haben vorher in anderen Hotels, zum<br />

Beispiel in Bangkok, gearbeitet. Ist <strong>Luxus</strong><br />

dort anders als hierzulande?<br />

Da gibt es sicherlich Unterschiede. <strong>Luxus</strong>hotels<br />

in Bangkok bestechen vor allem<br />

durch ihre extrem hohe Gastkultur. Das<br />

lässt sich alleine schon am Verhältnis<br />

zwischen der Anzahl an Suiten <strong>und</strong> Zimmern<br />

<strong>und</strong> der Anzahl an Mitarbeitenden<br />

belegen. Im legendären Hotel Mandarin<br />

Oriental beispielsweise kümmern sich<br />

nicht weniger als 1.200 Mitarbeiter:innen<br />

um die knapp 400 Zimmer <strong>und</strong> Suiten<br />

– ein phänomenales Verhältnis <strong>und</strong><br />

eben ein großer <strong>Luxus</strong>.<br />

In Coronazeiten müssen viele Hotelgäste<br />

Abstriche beim <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> bei Angeboten<br />

machen. Kratzt das nicht an Ihrem Markenkern?<br />

Das denke ich nicht. Das Erkennen<br />

<strong>und</strong> die Anpassung an die Bedürfnisse<br />

unserer Gäste ist sicherlich ein Schlüsselmerkmal<br />

der Marke Kempinski. Für<br />

uns war es auch in dieser Situation von<br />

immenser Bedeutung, weiterhin ein<br />

Höchstmaß an Services <strong>und</strong> Gästekomfort<br />

auf höchstem Niveau zu bieten. Angemessene<br />

<strong>und</strong> strengste Hygienestandards<br />

auf sehr hohem Niveau sind der<br />

Schlüssel, um unseren geschätzten Gästen<br />

die Gewissheit zu geben, dass ein<br />

Aufenthalt bei uns während oder nach<br />

der Pandemie in jeder Hinsicht eine sichere<br />

Umgebung darstellt <strong>und</strong> zeitgleich<br />

ein Top-Service in allen Bereichen geboten<br />

wird.<br />

Moderner <strong>Luxus</strong> definiert sich heute anders.<br />

Wie stellt sich das Hotel auf neue<br />

Trends ein?<br />

Der aufmerksame <strong>und</strong> authentische Service<br />

unserer Mitarbeiter:in soll dazu beitragen,<br />

dass es unseren Gästen an nichts<br />

fehlt <strong>und</strong> sie ihre Zeit im Hier <strong>und</strong> Jetzt<br />

genießen können. „Adlon oblige“, so lautete<br />

das Motto des Hotelgründers Lorenz<br />

Adlon <strong>und</strong> ist damals wie heute Ansporn<br />

<strong>und</strong> Versprechen zugleich. Denn selbstverständlich<br />

impliziert diese Verpflichtung,<br />

dass wir aufmerksam die sich<br />

ändernden Bedürfnisse unserer Gäste<br />

erkennen <strong>und</strong> uns entsprechend auf sie<br />

einstellen. So hat sich im Laufe der vergangenen<br />

Jahre – gerade mit Blick auf<br />

den Umweltschutz <strong>und</strong> den Klimawandel<br />

– zunehmend auch eine Achtsamkeit<br />

gegenüber den natürlichen Ressourcen<br />

entwickelt, ein zentrales Thema, mit<br />

dem wir uns im Hotel Adlon Kempinski<br />

Berlin intensiv auseinandersetzen. Entsprechend<br />

haben wir zahlreiche Initiativen<br />

ergriffen <strong>und</strong> Technologien eingeführt,<br />

die dazu beitragen, die Ressourcen<br />

zu schonen <strong>und</strong> Umweltbelastungen<br />

zu reduzieren.<br />

Würden Sie das Adlon eigentlich auch als<br />

ein nachhaltiges Hotel bezeichnen?<br />

Wir haben bereits große Anstrengungen<br />

unternommen, um in allen Bereichen<br />

des Hotels einen nachhaltigeren<br />

Weg einzuschlagen. So achten wir auf<br />

ein ressourcenschonendes <strong>und</strong> klimafre<strong>und</strong>licheres<br />

Energie-, Wasser- <strong>und</strong><br />

CO 2<br />

-Management, eine Verringerung<br />

der Abfallerzeugung, den Einkauf regionaler<br />

<strong>und</strong> umweltfre<strong>und</strong>licher Produkte<br />

sowohl im gastronomischen Bereich<br />

als auch bei der Hotel-, Zimmer- <strong>und</strong><br />

Suiten-Ausstattung, das Vermeiden von<br />

Plastik <strong>und</strong> das Entgegenwirken von<br />

Lebensmittelverschwendung. Wir sind<br />

bestrebt, mit Produkt- <strong>und</strong> Dienstleistungsanbietern<br />

zusammenzuarbeiten,<br />

die ähnliche Werte <strong>und</strong> Standards beim<br />

Umweltschutz teilen, ohne Kompromisse<br />

bei der Qualität einzugehen.<br />

Woran orientieren Sie sich, um <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

im Hotel weiterzuentwickeln?<br />

Einen wissenschaftsbasierten Ansatz,<br />

auch in Hinblick auf die Weiterentwicklung<br />

unserer <strong>Nachhaltigkeit</strong>sprogramme,<br />

erfahren wir durch die Zusammenarbeit<br />

mit EarthCheck, einem<br />

der renommiertesten Zertifizierungsprogramme<br />

für nachhaltigen Tourismus.<br />

Es überprüft <strong>und</strong> bewertet die<br />

Leistungen eines Unternehmens in den<br />

unterschiedlichsten Bereichen, um auf<br />

dieser Gr<strong>und</strong>lage Aktionspläne zu erarbeiten.<br />

Alle zwei Jahre überprüfen Auditoren<br />

die nachhaltige Entwicklung <strong>und</strong><br />

die Einhaltung der Ziele. Wir als Hotel<br />

Adlon Kempinski Berlin haben bereits<br />

den Silber-Status erreicht. f<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

Retterin in<br />

der Not<br />

Gisela Fleter, Leiterin der „Tafel“ in Mettmann<br />

Foto: Schaufenster Mettmann<br />

Das Team der Tafel in Mettmann<br />

um Gisela Fleter im März 2020<br />

46 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Welchen <strong>Luxus</strong> braucht<br />

man im Leben?<br />

Gisela Fleter: Dass man sich frei bewegen<br />

kann, ohne Einschränkung. Freie<br />

Meinungsäußerung. Weniger Bürokratie.<br />

Sehen Sie sich eigentlich als Lebensmittelretterin<br />

oder eher als Menschenretterin?<br />

Ich sehe mich als Lebensmittelretterin.<br />

Die geretteten Lebensmittel werden<br />

dann an bedürftige Bürger:innen unserer<br />

Stadt weitergegeben. Weltweit verschwenden<br />

wir ein Drittel aller für den<br />

Menschen produzierten Lebensmittel.<br />

In der Corona-Pandemie, wo immer<br />

mehr Menschen durch Arbeitslosigkeit<br />

oder Kurzarbeit Schwierigkeiten haben,<br />

sich ausgewogen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> zu ernähren,<br />

werden tonnenweise Lebensmittel<br />

vernichtet.<br />

Die Tafeln sind ein Gradmesser, um zu<br />

erkennen, was hierzulande schiefläuft.<br />

Was hat sich da über die 16 Jahre, die Sie<br />

schon dabei sind, verändert?<br />

Als wir vor 16 Jahren die Tafel gegründet<br />

haben, waren wir völlig unbedarft.<br />

Wir haben die Lebensmittel eingesammelt<br />

<strong>und</strong> an wenige K<strong>und</strong>innen <strong>und</strong><br />

Foto: Thomas Lohnes / Getty Images<br />

Foto: Monique Wüstenhagen<br />

K<strong>und</strong>en verteilt. Im Laufe der Jahre hat<br />

sich viel verändert. Die K<strong>und</strong>enzahlen<br />

haben sich erhöht, die Daten, die erfasst<br />

werden müssen, wurden immer<br />

umfangreicher. Wir mussten Kühlautos<br />

anschaffen, damit die Kühlkette nicht<br />

unterbrochen wird. Die Lebensmittelkontrolle<br />

macht immer wieder Überprüfungen.<br />

Wir machen für unsere Mitarbeitenden<br />

Hygieneschulungen. Wir<br />

haben ein Kühlhaus <strong>und</strong> für die Ausgabe<br />

Kühltheken <strong>und</strong> Kühlregale.<br />

Früher haben wir fast alles handschriftlich<br />

erledigt, heute geht es ohne<br />

Computer nicht mehr. Auf Knopfdruck<br />

können wir alle Daten abrufen, K<strong>und</strong>enzahlen,<br />

Nationalität, Einkommensnachweise,<br />

zum Beispiel Hartz IV, geringe<br />

Rente usw. Die Flüchtlingswelle<br />

vor Jahren war eine große Herausforderung<br />

für die Tafeln.<br />

Heute, zu Zeiten von Corona, haben wir<br />

noch größere Herausforderungen. Durch<br />

strengste Hygienemaßnahmen können<br />

wir die Tafel öffnen <strong>und</strong> gut durch die<br />

Pandemie kommen. Die Tafeln können<br />

Lebensmittel retten <strong>und</strong> etwas die Not<br />

der Menschen in unserer Stadt lindern,<br />

aber <strong>kein</strong>e Ursachen der weitreichenden<br />

Missstände beseitigen. Wir, die ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitenden, wollen Gutes<br />

tun <strong>und</strong> Menschen helfen.<br />

Die Supermärkte optimieren heute ihren<br />

Vertrieb besser als früher. Was bedeutet<br />

das für Ihre Arbeit?<br />

Die Tafeln bekommen weniger Lebensmittel<br />

– besonders Frischeartikel haben<br />

wir weniger. Der Landesverband<br />

für Tafeln NRW besorgt aus Überproduktionen<br />

von Firmen viele Paletten<br />

Lebensmittel, die wir unter den Tafeln<br />

verteilen. So können wir doch einiges<br />

ausgleichen.<br />

In Frankreich gibt es ein Gesetz, damit<br />

Lebensmittel nicht mehr weggeschmissen<br />

werden. Brauchen wir so etwas hierzulande<br />

auch?<br />

Finde ich gut – es werden noch zu viele<br />

Lebensmittel vernichtet. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

Foto: MEISSEN ®<br />

Seit Generationen<br />

für<br />

Generationen<br />

Dr. Tillmann Blaschke, Geschäftsführer, Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen<br />

48 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Porzellan nennt man<br />

auch „weißes Gold“. Ist Porzellan <strong>Luxus</strong>?<br />

Dr. Tillmann Blaschke: Meissener<br />

Porzellan ist vor allem der <strong>Luxus</strong> nachhaltiger<br />

Fertigung <strong>und</strong> erlesener Handarbeit.<br />

Wenn heute ein Stück Meissener<br />

Porzellan entsteht – von der weißen<br />

Tasse bis hin zu Exklusivkunst – erfolgt<br />

dies ganz überwiegend nach den traditionellen<br />

Herstellungsverfahren mit dem<br />

Wissen <strong>und</strong> Können, welches über 300<br />

Jahre von Generation zu Generation weitergegeben<br />

wurde. Meissener Porzellan<br />

steht für kompromisslose Qualität <strong>und</strong><br />

höchste Handwerkskunst. Es ist ein<br />

kulturelles Erbe, das verpflichtet: für<br />

den reinsten Rohstoff aus dem manufaktureigenen<br />

Kaolin-Bergwerk, für den<br />

weltweit größten <strong>und</strong> ältesten Schatz an<br />

Formen, Modellen, Vorlagen <strong>und</strong> Dekoren<br />

aus allen Epochen, für zehntausend<br />

Farbrezepturen aus dem eigenen Farblabor<br />

der Manufaktur <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

für die Manufakturist:innen, die mit<br />

ihrem handwerklichen Geschick, ihrer<br />

langjährigen Erfahrung <strong>und</strong> Hingabe jedem<br />

Stück MEISSEN seine einzigartige<br />

Schönheit verleihen.<br />

Wenn ich mich umhöre, dann gilt<br />

Meissener Porzellan für viele als Statussymbol<br />

für Wohlstand <strong>und</strong> Reichtum. Mögen<br />

Sie das, wenn man Sie in diese Schublade<br />

steckt?<br />

Meissener Porzellan ist primär Synonym<br />

für höchste Porzellanqualität, außerordentliche<br />

Designkompetenz <strong>und</strong><br />

einzigartige Handwerkskunst. Unsere<br />

Fähigkeit, aus der eigenen reichen Geschichte<br />

beständig Neues zu schöpfen,<br />

macht MEISSEN für Liebhaber, Sammler<br />

<strong>und</strong> Menschen, die nachhaltige<br />

Fertigung <strong>und</strong> Handwerkskunst schätzen,<br />

außerordentlich faszinierend <strong>und</strong><br />

begehrenswert. Mit der handwerklich<br />

aufwendigen Herstellung entsteht eine<br />

Wertigkeit, die auch ihren Preis hat <strong>und</strong><br />

nicht für jeden alltäglich zugänglich ist.<br />

Dazu stehen wir gerne.<br />

Wie ist das mit der heutigen „Generation<br />

Greta“? Hat sie ihre Liebe zum Porzellan<br />

bewahrt?<br />

Wir sehen immer mehr auch ein geändertes<br />

Konsumverhalten der jungen<br />

Generation. Für sie sind, im Sinne von<br />

„weniger ist mehr“, hochwertige Produkte<br />

mit Substanz wieder begehrlich.<br />

Mit Historie, Handwerkskunst, <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Ästhetik erreichen wir<br />

diese anspruchsvolle Gruppe. Unsere<br />

Begeisterung für Meissener Porzellan<br />

weiterzugeben, die reiche Historie zu<br />

vermitteln <strong>und</strong> das aufwendige Herstellungsverfahren<br />

zu erklären ist dabei<br />

wichtig. Meissener Porzellan ist Kulturgut<br />

– dafür wollen wir über alle Generationen<br />

hinweg noch mehr Bewusstsein<br />

schaffen.<br />

Vielen reden heute bei <strong>Nachhaltigkeit</strong>sthemen<br />

von Teilen statt Besitzen. Das<br />

funktioniert bei Porzellan nicht, oder?<br />

Teilen kann man Meissener Porzellan<br />

auf jeden Fall – sei es auf der hauseigenen<br />

Tafel mit Gästen, als Geschenk <strong>und</strong><br />

damit Geste der Gastfre<strong>und</strong>schaft oder<br />

in w<strong>und</strong>erschönen Ausstellungen auf<br />

der ganzen Welt. Bei uns gibt es zudem<br />

die Möglichkeit, Porzellane für Veranstaltungen<br />

oder Feste zu leihen. Sie können<br />

auch in unserem hauseigenen Café<br />

auf Meissener Porzellan speisen, unsere<br />

Workshops besuchen <strong>und</strong> dabei ein eigenes<br />

Stück MEISSEN fertigen. So sind<br />

der Zugang zu Meissener Porzellan <strong>und</strong><br />

auch das Teilen der Schönheit <strong>und</strong> Faszination<br />

Meissens ganz einfach möglich.<br />

Ihre Produkte entstehen bis heute in<br />

Handarbeit. Ist das nicht angesichts der<br />

Lohnkosten <strong>Luxus</strong>?<br />

Für uns sind die einzigartige Handarbeit<br />

<strong>und</strong> die traditionelle Fertigung<br />

vom Bergwerk bis zum fertigen Produkt<br />

eine Verpflichtung gegenüber vergangenen<br />

<strong>und</strong> zukünftigen Generationen.<br />

Seit über 300 Jahren steht MEISSEN als<br />

erste Porzellanmanufaktur Europas für<br />

ein Kunsthandwerk, das es zu bewahren<br />

<strong>und</strong> in die Zukunft zu führen gilt.<br />

Unsere Manufakturist:innen sind mit<br />

ihrem Wissen <strong>und</strong> ihren Fertigkeiten,<br />

aber auch ihrer Leidenschaft <strong>und</strong> Hingabe<br />

essenziell für die Bewahrung des<br />

Kulturgutes.<br />

Es gibt heute schadstoffgeprüftes Porzellan<br />

aus natürlichen Rohstoffen u.v.m.<br />

Welche Rolle spielt <strong>Nachhaltigkeit</strong> bei<br />

Ihnen?<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> spielt bei MEISSEN eine<br />

sehr große Rolle. So wird seit Anbeginn<br />

der Manufaktur das Meissener Porzellan<br />

aus den natürlichen Rohstoffen Kaolin,<br />

Feldspat <strong>und</strong> Quarz gewonnen. Im<br />

hauseigenen Bergwerk bauen wir seit<br />

1764 das reinste Kaolin ab <strong>und</strong> führen<br />

alle nicht verwertbaren Rohstoffe in den<br />

Naturkreislauf zurück. Auch überschüssige<br />

Porzellanmasse oder Bruch aus<br />

dem Herstellungsprozess wird wieder<br />

in den Produktionskreislauf zurückgeführt.<br />

Meissener Porzellan ist zudem<br />

– dank seiner Wertigkeit – besonders<br />

langlebig. Es wird gerne weitervererbt,<br />

manchmal über viele Generationen. Es<br />

ist genau das Gegenteil von Einwegplastik.<br />

f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

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<strong>Luxus</strong><br />

Auf<br />

unnötigen<br />

Konsum<br />

verzichten<br />

Asuka Kähler, Sprecher Fridays for Future, Frankfurt<br />

Foto: Asuka Kähler<br />

50 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Welchen <strong>Luxus</strong> haben Sie<br />

sich zuletzt gegönnt?<br />

Asuka Kähler: Ich habe wahrscheinlich<br />

nicht das Geld, um mir einen wirklichen<br />

materiellen <strong>Luxus</strong> leisten zu können.<br />

Aber für meine Verhältnisse gesehen –<br />

ein neues Set an Kunstutensilien.<br />

Viele Menschen denken bei <strong>Luxus</strong> an<br />

Fernreisen, exotische Orte, Früchte, Gerüche.<br />

Das hat alles einen hohen CO 2<br />

-Fußabdruck.<br />

Wie sollen wir damit künftig<br />

umgehen?<br />

Die Menge des Konsums unnötiger <strong>Luxus</strong>güter<br />

muss definitiv rapide sinken.<br />

Das heißt aber nicht, dass die Familie,<br />

die alle zwei Jahre nach Japan fliegt, um<br />

Verwandte zu besuchen, das unterlassen<br />

muss. Der größte Anteil am Konsum von<br />

<strong>Luxus</strong>gütern, ebenso wie an Emissionen,<br />

stammt aus den reichen Schichten der<br />

Gesellschaft. Diese sind in der Verantwortung,<br />

mehr Verzicht zu üben.<br />

Kritiker werfen Ihnen vor, klimabewusst<br />

zu leben müsse man sich leisten können.<br />

Hartz-IV-Empfänger:innen hätten ganz<br />

andere Sorgen. Was entgegnen Sie?<br />

Das ist meiner Meinung nach eine absolut<br />

berechtigte Kritik. Wenn man andere<br />

existenzielle Sorgen hat, spielt das Klima<br />

als etwas abstraktere <strong>und</strong> schwer greifbare<br />

Gefahr oft nur eine untergeordnete<br />

Rolle. Klimabewusst leben muss günstiger<br />

sein. Andererseits liegt die Lösung<br />

der Klimakrise nicht in individualistischen<br />

Ansätzen, wie uns so gerne erzählt<br />

wird. Entsprechend braucht es eher<br />

eine Diskursverschiebung dahin, wie vor<br />

allem unsere Wirtschaft umstrukturiert<br />

werden kann, da diese für den Großteil<br />

unserer Emissionen verantwortlich ist.<br />

Wir müssen jene in die Verantwortung<br />

ziehen, die für mehr Emissionen verantwortlich<br />

sind, <strong>und</strong> das ist in <strong>kein</strong>em<br />

Szenario der/die Hartz-IV-Empfänger:in,<br />

die sich nicht die teuren Öko-Produkte<br />

leisten kann.<br />

Klimaaktivist:innen kritisieren oft das<br />

Konsumverhalten ihrer Großeltern. Klimakritische<br />

Branchen wie Fast Fashion ziehen<br />

aber gerade junge Käufer:innen an.<br />

Wie wollen Sie Ihre Altersgenoss:innen<br />

zum Umdenken bringen?<br />

Ich glaube, es gibt <strong>kein</strong>en klaren Weg,<br />

um ein Umdenken zu bewirken, außer<br />

der vagen Aussage, dass mehr Bildungsarbeit<br />

geleistet <strong>und</strong> moralische Denkmuster<br />

gestärkt werden müssen. Dies<br />

ist aber natürlich schwierig, wenn man<br />

gegen Modegiganten arbeitet, die uns<br />

mit ihrer Werbung <strong>und</strong> auch ihrer gesellschaftlichen<br />

Akzeptanz von klein auf<br />

prägen.<br />

Kapitalismus <strong>und</strong> die Bekämpfung des<br />

Klimawandels widersprechen sich Ihrer<br />

Meinung nach. Wie sieht Ihre Vorstellung<br />

einer Postwachstumsgesellschaft konkret<br />

aus?<br />

Dazu könnte ich Ihnen wahrscheinlich<br />

etliche Seiten schreiben. Eine Gesellschaft<br />

besteht schließlich aus unzähligen<br />

Facetten. Gr<strong>und</strong>sätzlich habe ich aber<br />

<strong>kein</strong>e klare Vorstellungen, sondern nur<br />

verschiedene Ideen, wie eine Postwachstumsgesellschaft<br />

aussehen könnte. Neue<br />

Gesellschaften lassen sich nicht am<br />

Reißbrett entwerfen, sondern entstehen<br />

durch ein dynamisches Zusammenspiel<br />

verschiedenster sozialer, wirtschaftlicher<br />

<strong>und</strong> politischer Faktoren. Entsprechend<br />

macht es meiner Meinung nach<br />

wenig Sinn, einen klaren Plan für eine<br />

neue Gesellschaft zu haben, sondern lediglich<br />

verschiedene Ansätze <strong>und</strong> Ideen<br />

für verschiedene Bereiche des Lebens.<br />

In der Politik hat man es immer mit vielen<br />

Krisen gleichzeitig zu tun. Jetzt fordern Sie<br />

die Priorisierung des Klimaaspekts. Wie<br />

realistisch ist das, denn auch bei Corona<br />

mussten andere Fragen hintenanstehen?<br />

Ich würde nicht zwangsläufig von einer<br />

Priorisierung, sondern von einem<br />

konstanten Mitdenken sprechen. Das<br />

Ausspielen verschiedener Krisen gegeneinander<br />

halte ich für fatal, stattdessen<br />

sollte an multilateralen Lösungen gearbeitet<br />

werden. Ein Beispiel dafür ist die<br />

bedingungslose Rettung der Lufthansa<br />

mit einer Milliardensumme im letzten<br />

Jahr – dort wurden wirtschaftliche Interessen<br />

über Klimainteressen gestellt.<br />

Dabei hätte die Möglichkeit bestanden,<br />

die Rettung beispielsweise an strikte<br />

Bedingungen bezüglich Emissionen oder<br />

Arbeitsrechten zu knüpfen <strong>und</strong> somit Lösungsansätze<br />

für mehrere Krisen gleichzeitig<br />

zu schaffen. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

51


Kampfbegriff<br />

Dekadenz<br />

Foto: ruskpp / stock.adobe.com<br />

Von Dr. Ana Suhr<br />

Erst die Orgie, dann der Untergang: Dekadenz ist der<br />

Anfang vom Ende, lautet der Verdacht, gerade in den<br />

Religionen. Doch das ausschweifende Leben<br />

reizt seit Jahrtausenden, ebenso wie die Kritik daran.<br />

Ein Dokumentarfilm begibt sich in die Welt<br />

der Gelage <strong>und</strong> Gelüste.<br />

Von Ana Suhr<br />

52 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

„Der archäologische Unterwasserpark<br />

von Baia ist ein Meeresschutzgebiet, einer<br />

der außergewöhnlichsten Orte der<br />

Welt, wo es möglich ist, zu schnorcheln<br />

oder zu tauchen. Wir tauchen also hier<br />

<strong>und</strong> gehen unter Wasser mit den Sauerstoffflaschen.<br />

Und wir sehen unglaubliche<br />

Sachen.“<br />

Gemeinsam mit einem Kameramann<br />

lässt sich Christina Canoro langsam<br />

herabsinken. In etwa sieben Metern<br />

Tiefe hat sie den Meeresboden erreicht.<br />

Im fahlen grünen Licht erscheinen zunächst<br />

zahlreiche Mauerreste aus Ziegelsteinen,<br />

von Muscheln <strong>und</strong> Algen<br />

überwuchert, teilweise mannshoch.<br />

Hinter einer dieser Mauern taucht auf<br />

einmal etwas großes Weißes im Schein<br />

ihrer Lampe auf. Es ist eine Marmorstatue<br />

von Dionysos, dem griechischen Gott<br />

des Weines, der Fruchtbarkeit <strong>und</strong> der<br />

Ekstase.<br />

„Dort sehen wir die Punta dell'Epitaffio,<br />

<strong>und</strong> dort, genau vor der Spitze im<br />

Meer, liegt das Ninfeo di Claudio, das<br />

Nymphäum des Kaiserpalastes von Kaiser<br />

Claudius, welches von Statuen umgeben<br />

ist: der Statue von Dionysos sowie<br />

von der Mutter <strong>und</strong> Tochter des Kaisers<br />

Claudius.“<br />

Das Nymphäum, oder auch Nymphenheiligtum,<br />

von Kaiser Claudius ist nur<br />

eine der zahlreichen antiken Sehenswürdigkeiten<br />

von Baia am Golf von<br />

Sorrent. Überall, sowohl unter als auch<br />

über Wasser, sind römische Ruinen zu<br />

besichtigen. Die alten Römer liebten diese<br />

Küstenregion nahe der Stadt Neapel.<br />

Sie bot ihnen neben lieblichem Klima<br />

<strong>und</strong> fruchtbarer Natur auch schnelle<br />

Zugänge zu Militär- <strong>und</strong> Handelshäfen,<br />

vor allem aber versprach sie Erholung in<br />

einer ausgedehnten Bäderlandschaft.<br />

„Wir sind im Park der Thermen von Baia.<br />

Sie waren grandios, wir müssen uns<br />

vorstellen, dass alle reichen römischen<br />

Patrizier von Senatoren bis Kaisern hier<br />

in Baia eine Villa haben wollten. Sie<br />

waren auch geschäftlich hier, aber vor<br />

allem nutzten sie die Thermen um sich<br />

zu entspannen, um sich den schönen<br />

Seiten des Lebens hinzugeben“, sagt<br />

Christina Canoro.<br />

Über die Jahre kamen sie alle hierher:<br />

Neben Kaiser Claudius hatten bereits<br />

Caesar <strong>und</strong> Cicero prächtige Villen<br />

in Baia errichtet, Caligula, Nero <strong>und</strong><br />

Hadrian waren gern gesehene Gäste,<br />

die hier unter anderem ihre Orgien feierten.<br />

Der Dichter Ovid pries Baia als<br />

den perfekten Ort für Liebesspiele. Dem<br />

Philosophen Seneca hingegen war das<br />

ausschweifende Leben in Baia ein Dorn<br />

im Auge, er bezeichnete die Stadt als<br />

„deversorium vitiorum“ – einen Schlupfwinkel<br />

des Lasters.<br />

Wenn es den perfekten Ort gibt, um sich<br />

dem Thema Dekadenz zu nähern, dann<br />

sicherlich hier in Baia, denn der Begriff<br />

Dekadenz ist eng mit der Vorstellung einer<br />

sittenlosen, enthemmten Antike verb<strong>und</strong>en.<br />

Und eben dieses lasterhafte Leben<br />

sei der Gr<strong>und</strong> für den Untergang des<br />

römischen Reiches gewesen. So warnen<br />

Moralapostel seit dem Frühmittelalter.<br />

So mahnte der heilige Augustinus bereits<br />

um das Jahr 400 nach Christus in<br />

seinen Bekenntnissen. Im frühen 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert ließ Oswald Spengler <strong>kein</strong><br />

gutes Haar an den alten Römern. In seiner<br />

Morphologie „Der Untergang des<br />

Abendlandes“, die gerade von der Neuen<br />

Rechten wiederentdeckt wird, fällt er ein<br />

vernichtendes Urteil: „Die Römer [sind]<br />

Barbaren gewesen, Barbaren, die einem<br />

großen Aufschwung nicht vorangehen,<br />

sondern ihn beschließen. Seelenlos, unphilosophisch,<br />

ohne Kunst, rassehaft bis<br />

zum Brutalen, rücksichtslos auf reale<br />

Erfolge haltend [...].“<br />

„Das war zunächst mein Hauptanliegen,<br />

einmal nachzuspüren, was ist eigentlich<br />

dran an diesem Mythos von der römischen<br />

Dekadenz, von Fress-/Sauf- >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

53


<strong>Luxus</strong><br />

„<br />

orgien der Oberschicht, der Elite, die<br />

sich nicht mehr um ihre Gesellschaft,<br />

um ihren Staat gekümmert haben.<br />

Das römische Reich ist ja zerfallen. Ist<br />

es tatsächlich daran, an diesem moralisch-ethisch<br />

verwerflichen Leben<br />

zerfallen, oder ist es vielleicht ein Mythos,<br />

mit dem wir bis heute arbeiten?“<br />

So fragte sich der Filmregisseur Wilfried<br />

Hauke <strong>und</strong> wollte dem Phänomen<br />

Dekadenz nachgehen. „Dekadenz<br />

– Sehnsucht nach Lust <strong>und</strong> Untergang“<br />

heißt der Zweiteiler. „Also, ich glaube,<br />

dass Dokumentarfilm eine ganz große<br />

Möglichkeit hat, dieses Thema von Dekadenz<br />

<strong>und</strong> Vorstellung von Dekadenz<br />

<strong>und</strong> Bildwelten von Dekadenz, dem<br />

nachzuspüren, <strong>und</strong> das, was wir bisher<br />

an Material gedreht haben überall in<br />

Europa, ganz besonders in Neapel <strong>und</strong><br />

im Golf von Sorrent, scheint das auch<br />

zu bestätigen.“<br />

Wir, das ist neben Wilfried Hauke <strong>und</strong><br />

seiner Filmcrew ein dreiköpfiges Redaktionsteam.<br />

Dazu gehören Ulla Hocker<br />

von Arte, Bernd Seidl vom Südwestr<strong>und</strong>funk<br />

<strong>und</strong> Mechthild Lehning von<br />

Radio Bremen, die federführend bei<br />

diesem Projekt ist. Sie betont die aktuellen<br />

Bezüge in der Dekadenzdebatte,<br />

denn Dekadenz wird auch von der<br />

rechtsextremen Szene als Kampfbegriff<br />

verwendet.<br />

„Der Vorwurf der neuen Rechten ist das<br />

Versagen der Eliten. Das wird mal so behauptet.<br />

Und Eliten werden auch nicht<br />

ganz genau definiert. Und da wollten wir<br />

gerne schauen: Stimmt das? Was hat es<br />

denn tatsächlich mit dem Versagen der<br />

Eliten auf sich? Das Versagen der Eliten<br />

meint natürlich unseren Individualismus,<br />

aber er zielt auch ganz direkt auf<br />

die Demokratie. Es ist beängstigend,<br />

was ein Populist anrichten kann, aber<br />

es ist beruhigend zu sehen, dass die<br />

Demokratie sich wehrt. Das ist etwas,<br />

was – glaube ich – den Protagonisten in<br />

unseren beiden Filmen bewusst ist, dass<br />

man um die kämpfen muss.“<br />

Zehn Protagonisten führen durch den<br />

Film <strong>und</strong> beleuchten ganz unterschiedliche<br />

Aspekte der Dekadenz: in der<br />

bildenden Kunst oder in Literatur <strong>und</strong><br />

Philosophie, in Gesellschaft <strong>und</strong> Politik<br />

sowie in unserer heutigen Alltagskultur.<br />

„Wir haben Christina gef<strong>und</strong>en, die in<br />

Baia mit ihrem Mann gemeinsam eine<br />

Tauchstation führt, nachhaltigen Tourismus<br />

betreibt, gleichzeitig aus Neapel<br />

kommt <strong>und</strong> diese Welt der Widersprüche<br />

von großer Armut <strong>und</strong> schöner vergangener<br />

Belle Epoche des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

dort kennt“, freut sich Wilfried Hauke.<br />

Neapel. Die Kamera fängt Straßenszenen<br />

ein. Verfallene Häuser in engen Gassen,<br />

Wäsche vor den Fenstern <strong>und</strong> Verkaufsstände<br />

auf den Straßen. Menschen,<br />

Autos <strong>und</strong> Mopeds wuseln gleichzeitig<br />

durch ein Geschäftsviertel. Überall liegt<br />

Müll. Menschen mit Handy am Ohr hetzen<br />

vorbei. An allen Straßenecken stehen<br />

oder sitzen Männer, die geschäftig<br />

Vorbeieilenden beachten sie nicht.<br />

Christina Canoro: „Für mich ist Dekadenz<br />

heute der Verlust von Werten, nicht<br />

nur der Moralischen, also Sex, Freuden<br />

des Lebens, sondern auch der Gerechtigkeit,<br />

der Gleichheit. Ich denke, dass<br />

wir heute viele dieser Werte in unserer<br />

Gesellschaft verloren haben.“ Vor einem<br />

Wettbüro bieten ärmlich wirkende<br />

Männer ihre Ware auf dem Bürgersteig<br />

an. Direkt daneben, auf der Treppe, die<br />

zu dem barocken Portal einer prächtigen<br />

Patriziervilla führt, sitzen vier<br />

schwarzafrikanisch aussehende Männer.<br />

Um sie herum viele prall gefüllte<br />

Plastiktüten. Später breiten sie eine große<br />

Plane vor den Treppenstufen der Villa<br />

aus. Es soll wohl auch ein Verkaufsstand<br />

werden.<br />

Neapel ist eine sogenannte Stadt der<br />

Zuflucht. Im Hafen laufen viele Flüchtlingsschiffe<br />

ein. „Städte der Zuflucht“<br />

setzen sich dafür ein, unabhängig von<br />

der Politik ihrer jeweiligen Regierungen<br />

Flüchtlinge direkt aufzunehmen.<br />

Ich unterscheide<br />

sehr zwischen<br />

Dekadenz <strong>und</strong><br />

was ich jetzt um<br />

mich herum<br />

andauernd sehe:<br />

Degeneration.<br />

Da mache ich<br />

einen großen<br />

Unterschied.<br />

Lisa Eckhart<br />

Im Stadtbild ist das überall zu sehen.<br />

Christina Canoro macht das betroffen:<br />

„Was wir jeden Tag hören, <strong>und</strong> was an<br />

unserer Küste <strong>und</strong> in unserem Meer mit<br />

den Einwanderern passiert, lässt uns<br />

nachdenklich über diesen Werteverfall<br />

werden. Werte, die tatsächlich Ausdruck<br />

einer jahrtausendalten Kultur waren,<br />

die jetzt allerdings im Verfall ist. Wir<br />

geben immer mehr die wichtigen Werte<br />

für den ‚Gott des Geldes‘ auf.“ Kritik<br />

an grenzenlosem Kapitalismus <strong>und</strong> dem<br />

damit einhergehenden Werteverfall –<br />

das ist nicht neu.<br />

Der französische Philosoph Michaël<br />

Fœssel ist ein weiterer Protagonist, den<br />

der Film begleitet. Er sagt, wir leben regelmäßig<br />

in Phasen des Untergangs, in<br />

Zeitenwenden, wie Wilfried Hauke erklärt.<br />

„Das beschreibt Michaël Fœssel,<br />

wie ich finde, sehr pointiert <strong>und</strong> überträgt<br />

es eben auch auf unsere heutige<br />

Zeit, <strong>und</strong> wir haben heute, wenn wir unsere<br />

westliche Welt anschauen, auf der<br />

einen Seite das Rauschhafte, das Egomanische,<br />

das Narzisstische, die großen<br />

Feiern. Berlin, den Berghain, das gilt ja<br />

sozusagen als Hotspot des Frevelhaften,<br />

54 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Lasterhaften, dass aber auf der anderen<br />

Seite wir zunehmend von demokratiefeindlich<br />

oder -fern eingestellten Kulturen<br />

der islamischen Welt, aber auch bei<br />

uns selbst aus unserer Mitte heraus, mit<br />

dem Rechtspopulismus diese Dekadenz<br />

als Waffe an den Kopf geschleudert bekommen.“<br />

Dass nicht nur Rechte mit Dekadenz<br />

gegen unsere Gesellschaft Stimmung<br />

machen, sondern gleichermaßen auch<br />

Linke <strong>und</strong> Islamisten unserer westlichen<br />

Welt Dekadenz vorwerfen – das ist<br />

einer der vielen Widersprüche unserer<br />

Foto: Franziska Schroedinger / lisaeckhart.com<br />

Zeit, denen das Filmteam nachgeht. In<br />

diesem Fall ist es der rückwärtsgewandte<br />

Blick, der die auf den ersten Blick völlig<br />

unterschiedlichen Gruppen eint, so<br />

Mechthild Lehning.<br />

„Die gehen von der Hypothese aus ‚früher<br />

war alles besser‘. Das ist natürlich<br />

komplett geschichtsvergessen. Ich glaube,<br />

das ist das verbindende Element. Das<br />

ist auch das, was Trump macht, was die<br />

neue Rechte tut in der Politik. Sie suggerieren,<br />

früher war alles besser. Wir<br />

müssen uns nur den Brexit anschauen<br />

<strong>und</strong> die Versprechen: Ihr bekommt euer<br />

Empire zurück. Das ist natürlich kompletter<br />

Blödsinn, hat mit der modernen<br />

Welt nichts zu tun, aber es verfängt, weil<br />

es eine große Sehnsucht gibt nach einer<br />

Welt, die sich, glaube ich, nicht komplett<br />

nur zusammensetzt aus Widersprüchen.“<br />

Diesen Wunsch nach mehr Orientierung<br />

in einem unüberschaubaren Leben machen<br />

sich nicht nur Populisten zunutze.<br />

Auch die Religionen bieten Leitlinien an.<br />

Was man tun, vor allem aber, was man<br />

lassen soll, haben die christlichen Kirchen<br />

in den Zehn Geboten festgehalten.<br />

Sie sind allerdings nicht als unverbindlicher<br />

Leitfaden zu verstehen, sondern als<br />

strikte Verhaltensregel: Wer sich nicht<br />

daran hält, der sündigt. Wer die Sünde<br />

nicht bereut, wird nach dem Tod mit<br />

dem zweiten Tod in der Hölle bestraft. In<br />

der Bibel selbst gibt es allerdings <strong>kein</strong>en<br />

Hinweis auf solche tödlichen Sünden.<br />

Erf<strong>und</strong>en hat sie der Mönch Euagrios<br />

Pontikos Ende des 4. Jahrh<strong>und</strong>erts, um<br />

das monastische Leben zu regulieren.<br />

Die heute bekannten sieben Todsünden<br />

stammen von Papst Gregor dem Großen<br />

<strong>und</strong> richten sich an alle Gläubigen. Die<br />

sieben Todsünden sind eng mit unserer<br />

Vorstellung von Dekadenz verb<strong>und</strong>en.<br />

Und auch die Umwertung der Todsünden<br />

ins Positive kann man als eine Form<br />

von Dekadenz bezeichnen, weil damit<br />

dem christlichen F<strong>und</strong>ament der Boden<br />

entzogen wird.<br />

Szenenwechsel: Vorhang auf für Lisa<br />

Eckhart! Mit ihrem Bühnenprogramm<br />

„Die Vorteile des Lasters“ gastiert sie im<br />

Wiener Kabarett-Theater „Zur Kulisse“.<br />

Die sieben katholischen Todsünden:<br />

Völlerei, Hochmut, Wollust, Zorn, Neid,<br />

Habgier – <strong>und</strong> Trägheit. „Acedia, die<br />

Trägheit! Der Mensch hat im Laufe der<br />

Evolution eine Vielzahl absurder Bewegungen<br />

erf<strong>und</strong>en, wie das Kamasutra,<br />

diese elendige Mischung aus Unzucht<br />

<strong>und</strong> Möbelmontage. Des weiteren natürlich<br />

Sport. Sport <strong>und</strong> seine missgebildeten<br />

Geschwister Yoga, Pilates – der >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

55


„<br />

<strong>Luxus</strong><br />

Dekadenz ist ein<br />

politisches, aber auch<br />

ein ästhetisches<br />

Phänomen, <strong>und</strong> die<br />

sieben Todsünden<br />

werden im<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert schon<br />

in der Dekadence<br />

zu einem, sag ich<br />

mal, ästhetischen<br />

Programm.<br />

Wilfried Hauke<br />

Menopausen-Marshallplan<br />

–, für<br />

die, die sich ihrer<br />

Inkontinenz schämen,<br />

gibt es Wassergymnastik,<br />

<strong>und</strong> zu guter Letzt<br />

eher klassisch das<br />

Turnen. Turnen<br />

ist eigentlich eine<br />

deutsche Erfindung,<br />

wurde erf<strong>und</strong>en<br />

Ende des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

von einem gewissen<br />

Ludwig Jahn,<br />

der es unheimlich<br />

gern mit jungen<br />

Knaben getrieben<br />

hätte, aber leider<br />

nicht gläubig<br />

war.“<br />

Lisa Eckart legt<br />

hier lasziv <strong>und</strong> frivol<br />

ihren Finger in gleich mehrere W<strong>und</strong>en.<br />

Die Selbstoptimierung nicht mehr<br />

nur des Körpers, sondern mittlerweile<br />

des gesamten Lebens zum Preis des Lustverlustes<br />

ist eines ihrer großen Themen.<br />

Im Film sieht man sie im Garten eines<br />

Wiener Gasthauses sitzen. Bei Wein <strong>und</strong><br />

Zigarette kritisiert Lisa Eckhart die Nabelschau<br />

unserer digitalisierten Gegenwart.<br />

„Der wahre Liebhaber der Dekadenz<br />

müsste eigentlich im Spiegelbild ertrinken<br />

können. Das können diese Menschen<br />

nicht. Sie müssen das nach außen<br />

tragen. Sie haben an sich selbst so für<br />

sich <strong>kein</strong>e Freude, denke ich. Sie können<br />

den Genuss nicht wertschätzen, wenn<br />

Sie ihn nicht auf eine obskure Art mit<br />

anderen teilen, <strong>und</strong> das meine ich nicht<br />

im positiven jovialen Sinne, sondern<br />

indem sie beobachtet werden, wie sie<br />

genießen, indem sie filmen, was sie im<br />

Begriff sind zu genießen, wenn sie ihr<br />

Essen in den teuersten Restaurants fotografieren,<br />

um es nicht selbst konsumieren<br />

zu müssen, weil sie es nicht können,<br />

weil sie überfordert sind mit Exzess <strong>und</strong><br />

im Gr<strong>und</strong>e völlig impotent.“<br />

Viele h<strong>und</strong>ert Kilometer von Wien entfernt,<br />

in der Nähe von Kiel, blättert Filmautor<br />

<strong>und</strong> Regisseur Wilfried Hauke in<br />

seinem Arbeitszimmer durch den Fotoband<br />

Generation Wealth. Die Fotografin<br />

Lauren Greenfield zeigt darin in schrillen<br />

Bildern die Reichen <strong>und</strong> Schönen<br />

ihrer Heimat Los Angeles – oder diejenigen,<br />

die sich dafür halten. Schönheitswahn<br />

um jeden Preis: operierte Gesichter<br />

<strong>und</strong> Körper, aufgepolsterte Lippen<br />

<strong>und</strong> Brüste.<br />

Lisa Eckhart findet: „Das ist für mich<br />

nicht Dekadenz. Das ist diese gekaufte<br />

Schönheit. Ich unterscheide sehr zwischen<br />

Dekadenz <strong>und</strong> was ich jetzt um<br />

mich herum andauernd sehe: Degeneration.<br />

Da mache ich einen großen Unterschied.<br />

Eine Degeneration, die sich auch<br />

vital will, die es sich in diesem Ges<strong>und</strong>heits-Faschismus,<br />

möchte man so etwas<br />

nennen, diesem Optimierungzwang<br />

unterworfen hat. Und das hat <strong>kein</strong>erlei<br />

Liebe zum wahren Exzess, das ist eine<br />

Getriebenheit.“<br />

Dieses operierte, aufgespritzte Gruselkabinet<br />

der Eitelkeiten, wie es bei<br />

Lauren Greenfield zu sehen ist, steht<br />

in krassem Gegensatz zu dem, was<br />

die Maler, die im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zur<br />

Kunstepoche der Décadence zählten, auf<br />

der Leinwand festhielten. Ihre damals<br />

skandalösen Bilder schwelgen geradezu<br />

im Exzess, tauchten ein in einen orgiastischen<br />

Überfluss <strong>und</strong> zeigten den<br />

menschlichen Körper inmitten dieser<br />

Szenerien völlig schonungslos. Sie erhoben<br />

nicht nur den moralischen Verfall<br />

zur Ästhetik, sondern auch den körperlichen,<br />

indem sie Alter, Krankheit oder<br />

Tod ganz ohne Gnade darstellten. Damit<br />

wollten sie schockieren <strong>und</strong> gegen das<br />

bis dato herrschende Diktat aufbegehren,<br />

das Kunst als reines Werkzeug von<br />

Religion <strong>und</strong> Ethik betrachtete.<br />

56 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

„Dekadenz ist ein politisches, aber auch<br />

ein ästhetisches Phänomen, <strong>und</strong> die sieben<br />

Todsünden werden im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

schon in der Dekadence zu einem,<br />

sag ich mal, ästhetischen Programm:<br />

Wer das schafft, wer das umsetzt, gehört<br />

dazu, ist Dandy, ist verruchter, ist berauschter,<br />

ist das, was man so der Unterwelt<br />

zuschreiben würde“, sagt Wilfried<br />

Hauke.<br />

Was eben noch skandalös schien, wird<br />

zum Massenphänomen, von dem sich<br />

dann wieder eine Avantgarde abwendet,<br />

um sich abermals neu zu erfinden.<br />

In einer solchen Umbruchphase befindet<br />

sich unsere westliche Zivilisation<br />

gerade wieder, konstatiert Filmautor<br />

Wilfried Hauke. Dabei ist unsere Lust<br />

am Untergang selbst ein Zeichen von<br />

Dekadenz. „Wir haben die Frage gestellt<br />

‚Was passiert eigentlich jetzt in der<br />

Zukunft?‘ <strong>und</strong> dabei festgestellt, dass<br />

wir uns in einer Zeitenwende befinden.<br />

Also wir maßen uns an zu sagen,<br />

hier werden die Weichen neu gestellt.<br />

Was sind eigentlich die Kriterien, die<br />

Maßstäbe, mit denen man Untergang<br />

festhält? Was passiert emotional bei<br />

den Menschen? Das Gefühl, es ist eine<br />

Endzeitstimmung da, alles ändert sich,<br />

die Welt nimmt auf uns <strong>kein</strong>e Rücksicht<br />

mehr, ist nicht mehr in Ehrfurcht<br />

erstarrt vor dem Westen, sondern sagt:<br />

‚Wir sind die kommenden Player in der<br />

Zukunft, <strong>und</strong> ihr seid eine aussterbende,<br />

untergehende Welt, eine Kultur der<br />

Dekadenz.‘“ f<br />

Der zweiteilige Dokumentarfilm<br />

„Dekadenz – Sehnsucht nach Lust<br />

<strong>und</strong> Untergang“ wurde im Auftrag<br />

von arte erstellt.<br />

Beim 14. Deutschen <strong>Nachhaltigkeit</strong>stag in Düsseldorf diskutieren<br />

live <strong>und</strong> virtuell 120 Top- Referent/innen aus Politik, Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Zivilgesellschaft, wie nachhaltiger Wandel – vor allem Klimaschutz<br />

– weltweit schneller gelingen kann. Im Rahmen des Kongresses<br />

wird der Deutsche <strong>Nachhaltigkeit</strong>spreis verliehen, Europas<br />

größte Auszeichnung für ökologisches <strong>und</strong> soziales Engagement.<br />

Jetzt kostenfrei<br />

registrieren<br />

auf DNP.TV<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

57


<strong>Luxus</strong><br />

Das dunkle<br />

Foto: normankrauss / stock.adobe.com<br />

Geheimnis des<br />

Mozzarellas<br />

58 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Von Bettina Eick, PETA<br />

Mozzarella, darunter auch<br />

„Mozzarella di bufala“,<br />

gehört zu den beliebtesten<br />

Käsesorten. Traditionell<br />

wird der Käse aus Büffelmilch<br />

hergestellt – <strong>und</strong><br />

die Nachfrage nach dieser<br />

Variante steigt, nachdem<br />

lange Mozzarella<br />

aus Kuhmilch besonders<br />

gefragt war. Weil Mozzarella<br />

aus Büffelmilch meist<br />

teurer ist als die Kuhmilch-<br />

Variante, ist die Annahme<br />

weit verbreitet, dass es den<br />

Tieren in der Produktion<br />

besser geht – doch wie<br />

Kühe, Ziegen <strong>und</strong> Schafe<br />

leiden auch Büffel in der<br />

Milchindustrie.<br />

Wie wird Büffelmozzarella gemacht?<br />

Büffelmozzarella wird aus Büffelmilch<br />

hergestellt. Wie alle Säugetiere produzieren<br />

Büffelkühe Milch für ihre Kinder.<br />

Die Milch für den berühmten Weichkäse<br />

stammt also meist von schwangeren<br />

Büffeln. Doch im Gegensatz zu Kühen,<br />

die teilweise auf eine „Milchleistung“<br />

von 40 bis 50 Litern Milch am Tag gezüchtet<br />

wurden, produzieren Büffelkühe<br />

nur etwa zehn Liter Milch täglich. Daher<br />

ist ein Kilogramm Büffelmozzarella mit<br />

einem Preis von 25 bis 40 Euro vergleichsweise<br />

teuer. Wie Kuhmilch-Mozzarella<br />

ist auch Büffelmozzarella ein<br />

Produkt, das auf Muttermilch basiert,<br />

also auf Milch, die Mütter für ihre Kinder<br />

<strong>und</strong> nicht für uns Menschen produzieren.<br />

Büffelmozzarella hat einen hohen<br />

Preis – <strong>und</strong> der liegt weit über dem,<br />

was K<strong>und</strong>:innen an der Kasse zahlen.<br />

Lebenslange Ausbeutung<br />

Wasserbüffel werden teilweise bereits<br />

das erste Mal befruchtet, wenn sie etwa<br />

1,5 Jahre alt sind. Um wirtschaftlich<br />

Milch zu geben, müssen sie fast jährlich<br />

ein Kalb zur Welt bringen. Die Schwangerschaft<br />

dauert etwa 305 bis 320 Tage.<br />

Wie auch in Kuhmilchbetrieben werden<br />

die Kälber den Büffelkühen meist kurz<br />

nach der Geburt weggenommen <strong>und</strong><br />

oftmals einzeln in enge Boxen gesperrt.<br />

Zeitnah nach der Geburt wird die Kuh<br />

wieder künstlich besamt oder durch<br />

einen Bullen befruchtet. Außerdem bekommen<br />

die Wiederkäuer eine hohe<br />

Menge an nicht artgerechtem sogenanntem<br />

Kraftfutter, um die Milchmenge weiter<br />

zu steigern.<br />

Die weiblichen Büffel werden meist<br />

unter nicht artgerechten Bedingungen<br />

gehalten: Stallhaltung auf Betonböden<br />

ist in vielen europäischen Betrieben<br />

die Norm; dabei haben die Tiere meist<br />

<strong>kein</strong>en Zugang zu einer Weide – geschweige<br />

denn zu Wasserlöchern. Ihrem<br />

Namen entsprechend benötigen Wasserbüffel<br />

für ein artgerechtes Leben jedoch<br />

ausreichend Wasserflächen. Denn<br />

sie haben kaum Schweißdrüsen, daher<br />

müssen sie an warmen Tagen von außen<br />

gekühlt werden, ohne Weide <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

zum Suhlen können sie ihre<br />

Temperatur nicht selbstständig regulieren<br />

<strong>und</strong> leiden unter massivem Hitzestress,<br />

der bis hin zum Tod der Tiere führen<br />

kann. Die Heimat von Wasserbüffeln<br />

liegt in Südostasien, wo sie in Feuchtgebieten<br />

leben, in denen sie ganzjährig baden<br />

können. Dennoch lebten 2019 r<strong>und</strong><br />

7.000 Wasserbüffel in Deutschland, welche<br />

nicht selten auf Weiden sich selbst<br />

überlassen werden – tendenziell werden<br />

es immer mehr.<br />

Kälber als „Abfallprodukte“<br />

R<strong>und</strong> 50 Prozent der Kälber sind männlich.<br />

Für die Milchindustrie sind diese<br />

Kälber meist wertlos: Sie produzieren<br />

<strong>kein</strong>e Milch <strong>und</strong> nach ihrem Fleisch gibt<br />

es in vielen Regionen der Welt <strong>kein</strong>e<br />

Nachfrage. Immer wieder kommt es vor,<br />

dass Betriebe versuchen, männliche Kälber<br />

loszuwerden, indem sie die Tierkinder<br />

vorsätzlich illegal vernachlässigen<br />

oder auch töten.<br />

Tierquälerei<br />

Ursprünglich stammt Büffelmozzarella<br />

aus der italienischen Region Kampanien<br />

um Neapel. Noch heute gibt es dort zahlreiche<br />

Farmen, auf denen Wasserbüffel<br />

gehalten werden <strong>und</strong> Büffelmozzarella<br />

hergestellt wird. In Italien sind Tierschutzbehörden<br />

in den vergangenen<br />

Jahren immer wieder auf Dutzende tote<br />

Wasserbüffel gestoßen, die einen qualvollen<br />

Tod gestorben sind. Teilweise<br />

werden getötete Tiere in Flüssen entsorgt<br />

<strong>und</strong> von dort ins Meer gespült.<br />

Auch Aufnahmen von einer australischen<br />

Farm zeigen, dass in der Büffelmilchindustrie<br />

Tierleid an der Tagesordnung<br />

ist: Verängstigte Büffelkälber<br />

wurden ihren Müttern entrissen <strong>und</strong> in<br />

verdreckten Verschlägen eingesperrt.<br />

Im <strong>und</strong> um den Melkstand wurden >><br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

59


<strong>Luxus</strong><br />

PETA EMPFIEHLT:<br />

So können Sie Büffeln <strong>und</strong> Co.<br />

in der Milchindustrie helfen<br />

Es ist geschmacklich <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitlich nicht notwendig,<br />

dieses System zu unterstützen,<br />

denn das Angebot an Milch, Käse<br />

<strong>und</strong> Eiscreme auf rein pflanzlicher<br />

Basis wächst kontinuierlich.<br />

Kaufen Sie <strong>kein</strong>e tierischen<br />

Produkte wie Mozzarella, sondern<br />

entscheiden Sie sich für die zahlreichen<br />

Käse-Alternativen, die der<br />

Lebensmittelhandel heute bietet<br />

– oder probieren Sie ein Rezept<br />

aus, um veganen Mozzarella<br />

selbst herzustellen.<br />

Entscheiden Sie sich für eine<br />

pflanzliche <strong>und</strong> tierleidfreie<br />

Lebensweise. Unser 30-tägiges<br />

Veganstart-Programm hilft Ihnen<br />

mit hilfreichen Tipps <strong>und</strong> leckeren<br />

Rezepten beim Umstieg auf die<br />

vegane Lebens- <strong>und</strong> Ernährungsweise<br />

– kostenlos <strong>und</strong><br />

unverbindlich.<br />

die Büffelmütter brutal herumgestoßen,<br />

mit Fäusten <strong>und</strong> Stangen geschlagen.<br />

Die Beine der Tiere waren an Stangen<br />

festgeb<strong>und</strong>en – sie hatten <strong>kein</strong>e Möglichkeit,<br />

den Misshandlungen zu entkommen.<br />

Woher kommt die Büffelmilch?<br />

In Deutschland <strong>und</strong> anderen europäischen<br />

Ländern ist vor allem Kampanien,<br />

die italienische Region um Neapel,<br />

für die Erzeugung von Büffelmozzarella<br />

„Mozzarella di bufala campana“ bekannt.<br />

Doch auch in anderen Ländern<br />

werden Wasserbüffel in der Milchindustrie<br />

ausgebeutet:<br />

Weltweit gibt es in der Milchindustrie<br />

r<strong>und</strong> 200 Millionen Büffel: Der Großteil<br />

wird in der asiatischen Milchindustrie<br />

ausgebeutet, ein kleiner Prozentsatz in<br />

der afrikanischen <strong>und</strong> südamerikanischen<br />

Industrie. In Europa <strong>und</strong> Australien<br />

tragen Wasserbüffel im Vergleich zu<br />

Kühen einen verschwindend geringen<br />

Anteil zur Milchproduktion bei.<br />

Heute produzieren die meisten australischen<br />

B<strong>und</strong>esstaaten Büffelmilch;<br />

insgesamt werden in Australien mehr<br />

als 700.000 Büffel in der Milchwirtschaft<br />

ausgebeutet. Neben diesen Tieren<br />

werden weitere Büffel wegen ihres<br />

Fleisches, ihrer Häute <strong>und</strong> ihrer Hörner<br />

gehalten <strong>und</strong> getötet.<br />

In Südasien produzieren Wasserbüffel<br />

mehr Milch für den kommerziellen Gebrauch<br />

als Kühe; Indien <strong>und</strong> Pakistan<br />

gehören zu den größten Büffelmilchproduzenten.<br />

Australische Büffel sind zudem beispielsweise<br />

Opfer der mörderischen Lebendexport-Industrie<br />

<strong>und</strong> werden von<br />

Australien nach Indonesien, Malaysia<br />

<strong>und</strong> Vietnam verfrachtet. Daneben werden<br />

viele Büffel auch in Australien getötet,<br />

ihr Fleisch anschließend exportiert.<br />

Was wird aus Büffelmilch hergestellt?<br />

Aufgr<strong>und</strong> ihres höheren Fettgehalts<br />

wird Büffelmilch häufig zur Herstellung<br />

von fettreichem Käse verwendet<br />

– hauptsächlich von Mozzarella. Aber<br />

auch für Sorten wie Bocconcini, Ricotta,<br />

Feta <strong>und</strong> Halloumi leiden Wasserbüffel<br />

in der Milchindustrie. Andere Produkte<br />

aus Büffelmilch sind beispielsweise Butter,<br />

Vollmilchpulver, Magermilchpulver<br />

<strong>und</strong> Säuglingsnahrung. Im Gegensatz<br />

zu Büffelkindern sind wir Menschen<br />

nicht auf Büffelmilch oder daraus hergestellte<br />

Produkte angewiesen. Für jeden<br />

Bedarf gibt es eine pflanzliche Option,<br />

die ohne Tierleid auskommt.<br />

Ist Büffelmilch ges<strong>und</strong>?<br />

Büffelmilch ist nahrhaft <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> –<br />

für Kälber, die durch die Milch schnell<br />

heranwachsen sollen. Denn genau wie<br />

Kuhmilch ist Milch von Büffeln nicht<br />

für den Menschen bestimmt: Wie andere<br />

Tiere produzieren Büffel ihre Milch<br />

nicht für uns, sondern für ihre Kinder.<br />

Büffelmilch enthält beispielsweise mit<br />

r<strong>und</strong> acht Prozent etwa doppelt so viel<br />

Fett wie die Milch von Kühen.<br />

Ganz egal, von welchem Tier die Milch<br />

stammt, sie ist für Menschen nicht nur<br />

unnötig, sondern kann unserer Ges<strong>und</strong>heit<br />

sogar schaden. Wir Menschen sind<br />

für eine vollwertige <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Ernährung<br />

nicht auf tierische Milch <strong>und</strong> andere<br />

tierische Produkte angewiesen. Unser<br />

Nährstoffbedarf kann mit einer veganen<br />

Ernährungsweise problemlos abgedeckt<br />

werden.<br />

Ist Büffelmilch umweltfre<strong>und</strong>lich?<br />

Beim Verdauungsvorgang der Tiere entsteht<br />

Methan – eines der klimaschädlichsten<br />

Treibhausgase. Der Beitrag<br />

von Milchbüffelbetrieben zur globalen<br />

Erwärmung ist sogar noch gravierender<br />

als der von Milchbetrieben, die Kühe<br />

halten: Bei der Produktion von einem<br />

Kilogramm Büffelmilch werden r<strong>und</strong><br />

fünf Kilogramm CO 2<br />

produziert – damit<br />

ist der Wert fünfmal höher als bei der<br />

Produktion von Kuhmilch. Es liegt nahe,<br />

dass für die Produktion <strong>und</strong> den Einkauf<br />

von Rohstoffen ein ähnlicher Energieeinsatz<br />

wie bei Milchkühen anfällt, aber<br />

in Bezug auf die Milchproduktion ein<br />

geringer Output erzielt wird. Wenn wir<br />

Menschen direkt die Nahrung essen,<br />

ohne dass sie den Umweg über den Tiermagen<br />

macht, geht weit weniger Energie<br />

verloren.<br />

Der Konsum von pflanzlichen Milchalternativen<br />

ist besser für die Umwelt:<br />

Laut einer Oxford-Studie <strong>und</strong> dem<br />

Schweizer Forschungsinstitut Agroscope<br />

benötigt die Produktion von Kuhmilch<br />

etwa die zweifache Landfläche <strong>und</strong> verursacht<br />

doppelt so viele Treibhausgasemissionen<br />

wie die Herstellung durchschnittlicher<br />

Sojamilch.<br />

60 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Warum soll man <strong>kein</strong>en<br />

Büffelmozzarella kaufen?<br />

Wasserbüffel tragen einen erheblichen<br />

Anteil zur weltweiten Milchproduktion<br />

bei. Während Büffelmilchprodukte wie<br />

Mozzarella hier als „Delikatesse“ gelten,<br />

sind Wasserbüffel in anderen Ländern<br />

die mit am häufigsten ausgebeuteten<br />

Tiere der Milchindustrie. Doch wie Rinder<br />

<strong>und</strong> andere Tiere sind auch Wasserbüffel<br />

für die Betriebe eine Ware, auch<br />

Büffeln werden immer wieder ihre Kinder<br />

weggenommen <strong>und</strong> auch männliche<br />

Büffelkälber sind ein unerwünschtes<br />

Nebenprodukt der Industrie.<br />

In der Milchindustrie sind lebenslange<br />

Tierquälerei, ein früher Tod <strong>und</strong> Profitgier<br />

immer ein Teil des ausbeuterischen<br />

Systems. Aufnahmen <strong>und</strong> Recherchen<br />

haben gezeigt, dass es auch den Büffeln<br />

in der Milchindustrie nicht besser<br />

geht als Kühen, Schafen, Ziegen <strong>und</strong><br />

Kamelen. Obwohl der vergleichsweise<br />

hohe Preis für Büffelmozzarella den Anschein<br />

erwecken könnte, sind auch die<br />

Haltungs- <strong>und</strong> Lebensbedingungen von<br />

Büffeln in der Milchindustrie nicht besser.<br />

Der hohe Preis lässt sich vielmehr<br />

auf den höheren Produktionsaufwand<br />

<strong>und</strong> höhere Kosten für die Tiere zurückführen.<br />

Es macht <strong>kein</strong>en Unterschied, ob die<br />

Milch für Milchprodukte von Kühen,<br />

Ziegen, Schafen, Kamelen, Büffeln oder<br />

anderen Tieren stammt: Es ist immer<br />

Milch von Müttern, denen ihre Babys<br />

weggenommen wurden. Es ist ganz<br />

egal, wie teuer Milch ist <strong>und</strong> von welchem<br />

Tier sie stammt – Mütter produzieren<br />

Milch für ihre Kinder, nicht für<br />

eine andere Spezies. Die Annahme, dass<br />

Tiere einen „Nutzen“ für uns Menschen<br />

erfüllen müssen, ist nicht zeitgemäß<br />

<strong>und</strong> nennt sich Speziesismus. Wir haben<br />

nicht das Recht, uns über andere<br />

Lebewesen zu stellen <strong>und</strong> sie skrupellos<br />

auszubeuten, um beispielsweise die für<br />

ihre Kinder produzierte Milch zu konsumieren.<br />

f<br />

„Die Haltung in<br />

Italien <strong>und</strong><br />

Rumänien ist eine<br />

Katastrophe.<br />

Eigentlich dürfte<br />

man <strong>kein</strong>en<br />

Büffelmozzarella<br />

mehr essen.“<br />

Matthias Gauly, Tierarzt<br />

Foto: Надія Коваль / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

61


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: All rights reserved RG&B Images / istockphoto.com<br />

UNTER-<br />

IRDISCH<br />

Von Milena Knoop<br />

Ob in Schmuck, Batterien oder medizinischen Geräten: Rohstoffe wie Zinn,<br />

Wolfram, Tantal, Kobalt, Glimmer oder Gold kommen in alltäglichen <strong>und</strong><br />

<strong>Luxus</strong>gütern vor. Hier in Europa verschönern <strong>und</strong> verbessern sie unser Leben.<br />

In den Herkunftsländern aber hat sich das Leben unter Corona vor allem für<br />

Kleinbergleute weiter verschlechtert.<br />

62 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Wir tragen sie am Handgelenk<br />

oder benutzen sie für eine bequeme<br />

Fortbewegung: Wertvolle<br />

mineralische Rohstoffe wie Gold<br />

oder Kobalt sind in vielen alltäglichen<br />

<strong>und</strong> <strong>Luxus</strong>produkten enthalten. Das<br />

Produkt selbst mag noch so glänzend<br />

sein – die Bedingungen, unter denen die<br />

Rohstoffe dafür in Entwicklungs- <strong>und</strong><br />

Schwellenländern abgebaut <strong>und</strong> verarbeitet<br />

wurden, sind es oftmals nicht.<br />

Mineralische Rohstoffe wie Gold stammen<br />

entweder aus dem industriellen<br />

Bergbau, dem Kleinbergbau oder dem<br />

Recycling. Die Weltbank schätzt, dass<br />

weltweit mehr als 40 Millionen Menschen<br />

im Kleinbergbau beschäftigt sind<br />

<strong>und</strong> mehr als 80 bis 100 Millionen Menschen<br />

existenziell von ihm abhängen,<br />

darunter immer mehr Frauen.<br />

Im Unterschied zum industriellen Bergbau<br />

hantieren sie mit meist einfachen<br />

Werkzeugen, arbeiten oft einzeln, als<br />

Familie oder in kleinen Gruppen. Die<br />

meisten von ihnen arbeiten informell,<br />

ohne Arbeitsvertrag <strong>und</strong> Trainings, <strong>und</strong><br />

zählen zu den Ärmsten der Welt. Die Armut<br />

treibt Familien dazu, auch ihre Kinder<br />

in Minen <strong>und</strong> Steinbrüchen arbeiten<br />

zu lassen <strong>und</strong> sie erheblichen Risiken<br />

auszusetzen. Die ILO geht von mehr als<br />

einer Million Kinder aus.<br />

Auswirkungen von Corona auf den<br />

Kleinbergbau<br />

Die Corona-Pandemie hat die Probleme<br />

<strong>und</strong> Herausforderungen, vor denen der<br />

Kleinbergbau vielerorts steht, noch verschärft.<br />

Grenzschließungen haben auf<br />

der ganzen Welt, unabhängig von der<br />

Ware, dazu geführt, dass Lieferketten unterbrochen<br />

wurden. Kleine Bergbaubetriebe<br />

mussten schließen, die staatliche<br />

Kontrolle wurde reduziert. Gleichzeitig<br />

nahmen inoffizielle Grenzübergänge<br />

<strong>und</strong> der Betrieb illegaler Minen zu.<br />

Während illegale Zwischenhändler von<br />

dieser Entwicklung profitieren, müssen<br />

kleine Bergleute stark reduzierte Preise<br />

für ihre Waren <strong>und</strong> Dienstleistungen in<br />

Kauf nehmen. Frauen, die im Vergleich<br />

zu den männlichen Kollegen ohnehin<br />

schlecht bezahlt werden, trifft diese Entwicklung<br />

besonders hart.<br />

Zur wirtschaftlichen Not kommt die<br />

Gefahr hinzu, Opfer von Missbrauch<br />

durch bewaffnete Gruppen oder öffentliche<br />

<strong>und</strong> private Sicherheitskräfte zu<br />

werden, die zum Teil am illegalen Bergbau<br />

beteiligt sind. Human Rights Watch<br />

(HRW) berichtet zum Beispiel, dass es<br />

in Venezuela zu Misshandlungen von<br />

Anwohnern einer Bergbaugemeinschaft<br />

durch Anhänger solcher bewaffneten<br />

Gruppen, auch Syndikate genannt, kam.<br />

Die Weltbank schätzt,<br />

dass weltweit mehr als<br />

40 Millionen Menschen<br />

im Kleinbergbau<br />

beschäftigt sind<br />

<strong>und</strong> mehr als 80 bis<br />

100 Millionen<br />

Menschen existenziell<br />

von ihm abhängen,<br />

darunter immer<br />

mehr Frauen.<br />

Unternehmen der Minerallieferkette in<br />

der Pflicht<br />

HRW sieht hier unter anderem den<br />

Privatsektor in der Verantwortung, sicherzustellen,<br />

dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen<br />

in der Lieferkette<br />

kommt. Juliane Kippenberg,<br />

stellvertretende Direktorin aus der Abteilung<br />

Kinderrechte von HRW: „Gemäß<br />

den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Menschenrechte – dem internationalen<br />

Standard für die unternehmerische<br />

Verantwortung zur Achtung der<br />

Menschenrechte – sollten Unternehmen<br />

in ihrer gesamten Lieferkette eine ‚Human<br />

Rights Due Diligence‘ durchführen<br />

– das heißt, die Auswirkungen auf<br />

die Menschenrechte bewerten, verhindern,<br />

mildern <strong>und</strong> beheben <strong>und</strong> öffentlich<br />

über ihre Bemühungen berichten.“<br />

Ein solches verantwortungsvolles Geschäftsverhalten,<br />

so Kippenberg, wäre<br />

im Interesse der Verbraucherinnen <strong>und</strong><br />

Verbraucher <strong>und</strong> vor allem derjenigen,<br />

die Menschenrechtsverletzungen erlitten<br />

hätten. Gleichzeitig lassen sich so<br />

auch die Risiken für die Unternehmen<br />

selbst besser bewerten <strong>und</strong> minimieren.<br />

Gemeinsam mit weiteren Organisationen<br />

<strong>und</strong> Verbänden fordert HRW Akteure<br />

des Privatsektors, Regierungen,<br />

Finanzinstitutionen <strong>und</strong> internationale<br />

Organisationen anlässlich der Corona-<br />

Pandemie dazu auf, die kleinen Bergleute<br />

mit Notfall- <strong>und</strong> langfristigen Maßnahmen<br />

zu unterstützen. Gerade in Zeiten<br />

der Krise <strong>und</strong> erhöhter Risiken sei es<br />

wichtig, sich für die Wahrung der Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> die Erfüllung der Sorgfaltspflicht<br />

gemäß den OECD-Leitlinien<br />

einzusetzen <strong>und</strong> hart erkämpfte Errungenschaften<br />

in diesem Zusammenhang<br />

zu schützen.<br />

Zu den empfohlenen Maßnahmen gehören<br />

die würdige Soforthilfe in Form<br />

von Bargeld, Nahrungsmitteln <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsleistungen,<br />

logistische, finanzielle<br />

<strong>und</strong> infrastrukturelle Hilfe zur<br />

Eindämmung des Corona-Virus ebenso<br />

wie die Unterstützung bei der Ges<strong>und</strong>heitserziehung<br />

<strong>und</strong> der Bereitstellung<br />

von Informationen – alles in Zusammenarbeit<br />

mit Dienstleistern <strong>und</strong> Behörden<br />

vor Ort.<br />

Eine weitere Empfehlung ist, den legalen<br />

Handel etwa durch finanzielle Anreize<br />

<strong>und</strong> den Abbau bürokratischer Hürden<br />

zu stärken <strong>und</strong> die Formalisierung des<br />

Kleinbergbaus zu fördern. Von dieser erhofft<br />

man sich unter anderem, dass sie<br />

zur Bewältigung struktureller Probleme<br />

wie Armut, Ungleichheit, Menschrechtsverletzungen,<br />

aber auch zur Verringerung<br />

von Umweltschäden durch den<br />

Bergbau beiträgt.<br />

Weiterhin setzt sich HRW dafür ein, dass<br />

auch im Großbergbau die Sicherheit <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit der Arbeitenden in Zeiten<br />

von Corona gewährleistet ist, dass Frauen<br />

besonders unterstützt werden <strong>und</strong><br />

die Arbeit mit lokalen zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen verstärkt wird. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

63


<strong>Luxus</strong><br />

Willkommen in der<br />

Wegwerfgesellschaft<br />

Foto: New Africa / stock.adobe.com<br />

Sie klagen über zu viel Einwegprodukte?<br />

Schlimmer noch sind Waren,<br />

die ungenutzt in den Müll wandern.<br />

Wir leben in einer Überfluss- <strong>und</strong><br />

deshalb auch Wegwerfgesellschaft.<br />

Wolfgang Königs Buch dazu ist eine<br />

nachdenkliche Reise in das Thema –<br />

mit hoffnungsvollen Vorschlägen.<br />

Früher oder später wird alles<br />

weggeworfen. In der Konsumgesellschaft<br />

wandern aber auch<br />

gebrauchsfähige <strong>und</strong> neuwertige<br />

Produkte auf den Müll. Solche Verhaltensweisen<br />

sind das Ergebnis eines<br />

langfristigen Prozesses, entstanden<br />

über einen Zeitraum von anderthalb<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten. Vorläufer waren die<br />

USA, die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

zog nach. Angefangen hat es um die<br />

Jahrh<strong>und</strong>ertwende mit Hygieneartikeln<br />

wie Toilettenpapier,<br />

Monatsbinden, Windeln <strong>und</strong><br />

Papiertaschentüchern;<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

kamen bald eine<br />

Vielzahl weiterer<br />

Wegwerfartikel<br />

hinzu: Pappbecher<br />

<strong>und</strong><br />

Plastikgeschirr,<br />

Nylonstrümpfe<br />

<strong>und</strong> Kugelschreiber,<br />

Rasierklingen,<br />

Getränkedosen<br />

<strong>und</strong><br />

vieles andere<br />

mehr. Wolfgang<br />

König<br />

zeigt, wie die<br />

Wirtschaft <strong>und</strong><br />

die Konsumenten<br />

gemeinsam das<br />

Wegwerfen zur Routine<br />

gemacht haben<br />

– <strong>und</strong> diskutiert Möglichkeiten,<br />

die Wegwerfgesellschaft<br />

zu überwinden.<br />

64 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

„Unsere Wirtschaftsweise hat fatale<br />

Konsequenzen: Klimawandel, Artensterben,<br />

Wassermangel – diese Phänomene<br />

sind bereits heute für viele Menschen<br />

auf unserer Welt existenzbedrohend. So,<br />

wie wir wirtschaften, kann es nicht weitergehen!“,<br />

sagt Julika Dittrich vom Umweltdachverband.<br />

Deshalb hat sie vor<br />

wenigen Jahren die Plattform „Circular<br />

Futures“ gegründet, in deren Rahmen<br />

sie gemeinsam mit Wissenschaftlern,<br />

Wirtschaftsvertretern <strong>und</strong> NGOs an Wegen<br />

hin zur sogenannten Kreislaufwirtschaft<br />

arbeitet.<br />

Gemeinsam gegen die Wegwerfgesellschaft<br />

Kreislaufwirtschaft bedeutet, Rohstoffe<br />

möglichst lange zu nutzen, um dadurch<br />

die Umwelt zu schonen. Damit<br />

das klappt, braucht es gr<strong>und</strong>legende<br />

Änderungen bei der Herstellung <strong>und</strong><br />

Nutzung von Produkten. Hier geht es<br />

etwa um die Frage, wie man ein Produkt<br />

so designt, dass es sich gut reparieren<br />

lässt, bis zur Frage des Recyclings <strong>und</strong><br />

neuer Nutzungsformen wie das Teilen<br />

oder Mieten von Produkten. Beispiele<br />

für erfolgreiche Kreislaufwirtschaft sind<br />

etwa das Fairphone, bei dem sich einzelne<br />

Bestandteile wie Kamera <strong>und</strong> Akku<br />

gut austauschen <strong>und</strong> reparieren lassen,<br />

oder das Mieten statt Kaufen von Alltagsgeräten<br />

wie Bohrmaschinen.<br />

EU bringt Thema voran<br />

„Wenn wir nicht die Art <strong>und</strong> Weise ändern,<br />

wie wir Kunststoffe herstellen <strong>und</strong><br />

verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen<br />

mehr Plastik schwimmen als Fische.<br />

Wir müssen verhindern, dass Kunststoffe<br />

in unser Wasser, unsere Lebensmittel<br />

<strong>und</strong> sogar in unsere Körper gelangen“,<br />

sagt Frans Timmermans, Erster<br />

Vizepräsident der EU-Kommission.<br />

„Wenn die Wirtschaft nicht mitmacht<br />

<strong>und</strong> umdenkt, kann Umweltschutz nicht<br />

funktionieren. Zum Glück erkennen<br />

immer mehr Unternehmen die Bedeutung<br />

<strong>und</strong> das Potenzial der Kreislaufwirtschaft.<br />

Die EU liefert dabei wichtige<br />

Impulse, indem sie einheitliche<br />

Ziele für alle Mitgliedsstaaten vorgibt“,<br />

so Dittrich. Als Beispiele nennt sie das<br />

EU-Kreislaufwirtschaftspaket, das 2015<br />

von der Europäischen Kommission<br />

veröffentlicht wurde, sowie die daraus<br />

hervorgegangene Plastikstrategie 2018.<br />

So sollen bis 2030 55 Prozent aller<br />

Kunststoffverpackungen wiederverwertet<br />

werden – derzeit sind es lediglich<br />

25 Prozent. Zusätzlich ist das Inverkehrbringen<br />

bestimmter Einwegkunststoffartikel,<br />

wie etwa Plastikstrohhalme<br />

oder Plastikbesteck, ab 2021 verboten. f<br />

Wolfgang König:<br />

Geschichte der Wegwerfgesellschaft<br />

Die Kehrseite des Konsums<br />

Steiner Verlag 2019: 168 Seiten<br />

ISBN 978-3-515-12500-0 (Print)<br />

ISBN 978-3-515-12503-1 (eBook)<br />

Preis: 21,90 € (D)<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

65


<strong>Luxus</strong><br />

Kosmetik <strong>und</strong> Beauty<br />

SCHÖN, aber<br />

auch GRÜN?<br />

Von Elena Köhn<br />

Cremes, Duschgel <strong>und</strong> Makeup<br />

benutzen viele von uns<br />

jeden Tag. Kosmetikprodukte<br />

enthalten aber oft potenziell<br />

umwelt- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsgefährdende<br />

Inhaltsstoffe wie<br />

Mikroplastik, Mineralöle oder<br />

Tenside. Dass es anders geht,<br />

zeigen Start-ups <strong>und</strong> etablierte<br />

Hersteller von Naturkosmetik.<br />

Aber auch <strong>Luxus</strong>sowie<br />

konventionelle Marken<br />

machen sich auf den Weg zu<br />

mehr <strong>Nachhaltigkeit</strong>.<br />

Schwermetalle für einen schwarzen Lidstrich,<br />

Blei für einen vornehmen Teint<br />

<strong>und</strong> Quecksilber gegen Sommersprossen:<br />

Wer vor einigen Jahrh<strong>und</strong>erten den<br />

Schönheitsidealen entsprechen wollte,<br />

schminkte sich mitunter um sein Leben.<br />

Zu Zeiten von Cleopatra bemalten sich<br />

die Ägypter – sowohl Männer als auch<br />

Frauen – die Augen unter anderem mit<br />

schwarzer Farbe, die neben Ruß auch ges<strong>und</strong>heitsschädliche<br />

Manganoxide <strong>und</strong><br />

das giftige Bleisulfit Galenit enthielt,<br />

weiß man bei Brillux im Online-Unternehmensmagazin<br />

Farbimpulse. Von der<br />

Antike bis ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein<br />

war für einen blassen Teint Bleiweiß<br />

hip. Die Paste aus Blei, Essig <strong>und</strong> Eiweiß<br />

war allerdings giftig, schädigte die Haut<br />

<strong>und</strong> „konnte bei<br />

exzessiver Anwendung<br />

sogar<br />

zum Tod führen“, heißt es im Unternehmens-Blog<br />

von Alpina Farben.<br />

„Trotzdem wollte fast niemand auf die<br />

vornehme Blässe verzichten.“ Gegen<br />

Sommersprossen griffen manche zudem<br />

auf ebenfalls hochgiftiges Quecksilber<br />

zurück.<br />

Und heute? Mittlerweile muss sich<br />

<strong>kein</strong>er mehr vor Ges<strong>und</strong>heitsschäden<br />

durch Blei oder Ähnlichem im Make-up<br />

fürchten. Schwermetalle gehören laut<br />

der EU-Kosmetik-Verordnung zu den<br />

verbotenen Stoffen in Kosmetikprodukten.<br />

Sie sind nur in kleinen <strong>und</strong> vor<br />

allem ges<strong>und</strong>heitlich unbedenklichen<br />

Mengen erlaubt <strong>und</strong> auch nur<br />

dann, wenn sie sich technisch<br />

nicht vermeiden<br />

lassen. Dafür geraten<br />

andere<br />

66 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Inhaltsstoffe in den kritischen Blick von<br />

Verbraucherinnen <strong>und</strong> Verbrauchern<br />

sowie Umweltschutzorganisationen.<br />

Kein Blei, dafür aber Kunststoffe,<br />

Aluminium <strong>und</strong> tierische Inhaltsstoffe<br />

Einer davon ist Mikroplastik: „Nach einer<br />

gängigen Definition umfasst der<br />

Begriff Mikroplastik nur feste, wasserunlösliche<br />

Kunststoffpartikel, die fünf<br />

Millimeter oder kleiner sind“, informiert<br />

Öko-Test. In Kosmetika werden die<br />

Partikel beispielsweise für einen Peeling-Effekt<br />

eingesetzt. Kunststoffe kommen<br />

aber auch als flüssige, gelartige<br />

oder lösliche Polymere in Kosmetikprodukten<br />

vor <strong>und</strong> übertreffen sogar den<br />

Anteil an Mikroplastik, zeigt eine Analyse<br />

des Fraunhofer UMSICHT. In dieser<br />

Form sorgen sie unter anderem für den<br />

Glanz oder auch für eine bessere Konsistenz<br />

von Kosmetikprodukten. Über<br />

das Abwasser gelangen die Polymere<br />

schließlich ins Wasser <strong>und</strong> die Umwelt.<br />

Welche Auswirkungen solche Kunststoffe<br />

auf unsere Ges<strong>und</strong>heit haben, ist<br />

bisher noch nicht geklärt. Bestandteile<br />

von Mikroplastik wurden aber bereits<br />

im menschlichen Körper nachgewiesen,<br />

berichtet der Deutschlandfunk.<br />

Kosmetikprodukte enthalten darüber<br />

hinaus noch weitere für die Umwelt<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit mitunter problematische<br />

Inhaltsstoffe. Aluminium, das oft<br />

in Deos, Sonnencreme <strong>und</strong> Zahnpasta<br />

verwendet wird, steht im Verdacht, zur<br />

Entstehung von Brustkrebs <strong>und</strong> Alzheimer<br />

beizutragen. Duftstoffe<br />

können Allergien auslösen;<br />

in Lippenstiften, Cremes<br />

<strong>und</strong> Vaseline stecken<br />

häufig Mineralöle;<br />

Tenside in Shampoo,<br />

Duschgel,<br />

aber auch in Reinigungsmitteln können<br />

umweltschädlich sein. Palmöl wiederum<br />

steht in Zusammenhang mit der Abholzung<br />

von Regenwäldern; <strong>und</strong> das Mineral<br />

Glimmer (auch als Mica bekannt)<br />

bringt Puder, Lippenstift <strong>und</strong> Co. zum<br />

Glitzern, wird aber häufig von Kindern<br />

abgebaut. In einigen Kosmetikprodukten<br />

findet man darüber hinaus tierische<br />

Inhaltsstoffe wie Kollagen, Lanolin oder<br />

Keratin. Zu alledem kommen Beautyprodukte<br />

auch oft in einer Menge Verpackungen<br />

daher. Es muss sich also was<br />

tun: 74 Prozent der Verbraucherinnen<br />

<strong>und</strong> Verbraucher wünschen sich, dass<br />

die Branche mehr in Richtung <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

unternimmt, hat eine Studie des<br />

VKE-Kosmetikverbands ergeben.<br />

Zertifizierte Naturkosmetik<br />

Besonders nachhaltig unter Verbraucherinnen<br />

<strong>und</strong> Verbrauchern gelten laut<br />

der VKE-Studie Naturkosmetikmarken<br />

wie zum Beispiel Weleda. Das Unternehmen<br />

besteht schon seit 100 Jahren<br />

<strong>und</strong> vertreibt seine anthroposophischen<br />

Arznei- <strong>und</strong> Pflegemittel mittlerweile<br />

in 50 Ländern. Die Naturkosmetik von<br />

Weleda ist mit dem „NaTrue“-Siegel<br />

zertifiziert <strong>und</strong> darf damit weder synthetische<br />

Duftstoffe <strong>und</strong> Silikone noch<br />

Rohstoffe aus Erdöl wie Paraffine, Mikro-<br />

<strong>und</strong> Nanoplastik enthalten. Mehr<br />

als 80 Prozent der Rohstoffe bezieht<br />

das Unternehmen eigenen Angaben<br />

zufolge „aus kontrolliert<br />

biologischem <strong>und</strong>, wo<br />

möglich, biologisch-dynamischem<br />

Anbau“. Viele<br />

Pflanzen werden auch in den<br />

eigenen Heilpflanzengärten angebaut,<br />

auf Tierversuche verzichtet<br />

die Marke. Bei den Verpackungen >><br />

Wie viel Plastik steckt im<br />

Make-up?<br />

Anfang des Jahres untersuchte<br />

Greenpeace 664 Make-up-Produkte<br />

(unter anderem von den<br />

Marken L'Oréal, Essence, Catrice<br />

<strong>und</strong> Lush) auf verschiedene<br />

Kunststoffe. Das Ergebnis: Drei<br />

Viertel der untersuchten Produkte<br />

enthalten Kunststoff. In 26<br />

Prozent der Produkte liegt er als<br />

Mikroplastik vor, in den restlichen<br />

Produkten ist Kunststoff in flüssiger,<br />

halbflüssiger oder löslicher<br />

Form vorhanden. Am häufigsten<br />

fand die Organisation Plastik in<br />

Augen-Make-up, gefolgt von Lippenstiften<br />

<strong>und</strong> Lipgloss. Auch in<br />

Make-up sowie in Highlighter <strong>und</strong><br />

Puder waren Kunststoffe enthalten.<br />

„Die Kosmetikunternehmen<br />

müssen sofort aufhören, Inhaltsstoffe<br />

aus Plastik zu verwenden“,<br />

fordert Greenpeace in dem<br />

Bericht. „Auf diese Weise wäre ein<br />

wichtiger Sektor für Konsumgüter<br />

nicht mehr Verursacher dieser<br />

Umweltverschmutzung, sondern<br />

könnte sich zu einem Vorreiter für<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> entwickeln.“<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

67


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: mizina / stock.adobe.com<br />

setzt Weleda auf Glas, Aluminium <strong>und</strong><br />

(zum Teil recycelten) Kunststoff, arbeitet<br />

aber auch an weiteren Verbesserungen.<br />

Eine weitere bekannte Naturkosmetik-<br />

Marke ist lavera. Die Produkte sind<br />

ebenfalls mit dem „NaTrue“-Siegel ausgezeichnet,<br />

tierversuchsfrei <strong>und</strong> zum<br />

Großteil vegan. Bei den Verpackungen<br />

setzt das Unternehmen soweit möglich<br />

recyceltes Material ein <strong>und</strong> arbeitet stetig<br />

daran, den Anteil an Verpackungen<br />

zu reduzieren. Darüber hinaus unterstützt<br />

lavera zahlreiche Klimaschutzprojekte.<br />

Wie nachhaltig sind <strong>Luxus</strong>marken?<br />

Als wenig nachhaltig schätzen die Befragten<br />

der VKE-Studie hingegen <strong>Luxus</strong>marken<br />

wie Chanel, Dior oder Armani<br />

ein. Tatsächlich positioniert sich beispielsweise<br />

Chanel selbst nicht explizit<br />

als nachhaltige Beauty-Marke, schreibt<br />

das Schweizer Online-Magazin NZZ<br />

Bellevue. Das Label erzähle stattdessen<br />

mit „saftigen Naturaufnahmen von den<br />

wertvollen pflanzlichen Rohstoffen, die<br />

es für seine Produkte verwendet <strong>und</strong><br />

dementsprechend schützt“. Anfang<br />

2020 veröffentlichte Chanel ein Klima-<br />

Commitment, in dem sich das Unternehmen<br />

dazu bekennt, dem Klimawandel<br />

in Übereinstimmung mit den Pariser<br />

Klimazielen entgegenzuwirken. So will<br />

die <strong>Luxus</strong>marke unter anderem bis 2030<br />

seinen eigenen CO 2<br />

-Fußabdruck um 50<br />

Prozent <strong>und</strong> den seiner Lieferkette um<br />

40 Prozent pro verkauftem Produkt im<br />

Kreative Ideen kommen auch von<br />

jungen Unternehmen. Das dänische<br />

Start-up Sprout World hat<br />

einen nachhaltigen Eyeliner entwickelt,<br />

den man später einpflanzen<br />

kann, damit daraus eine Wildblumenwiese<br />

wächst. Wer wiederum<br />

plastikfreie Naturkosmetik zum<br />

Selbermischen sucht, wird beim<br />

Start-up verpackmeinnicht fündig.<br />

Vergleich zu 2018 reduzieren. Außerdem<br />

beteiligt sich Chanel an Start-ups,<br />

die neue nachhaltigere Technologien<br />

<strong>und</strong> Materialien entwickeln, <strong>und</strong> ist Mitglied<br />

bei der Responsible Mica Initiative,<br />

die den Abbau von Mica umwelt- <strong>und</strong><br />

sozialverträglicher gestalten will.<br />

Die <strong>Luxus</strong>marke Dior wiederum, die<br />

zum großen <strong>Luxus</strong>güter-Konzern LVMH<br />

gehört, bietet mittlerweile manche der<br />

Beauty-Produkte zum Nachfüllen an,<br />

was den Verbrauch an Verpackungen<br />

reduziert. So ist beispielsweise der Lippenstift<br />

„Rouge Dior“ in verschiedenen<br />

Farbtönen als Refill erhältlich, aber auch<br />

Parfüms <strong>und</strong> Hautpflegeprodukte gibt es<br />

bei Dior im Nachfüllpack. Beim französischen<br />

<strong>Luxus</strong>label Guerlain setzt man<br />

indessen bei einigen Produktverpackungen<br />

auf Recyclingglas <strong>und</strong> macht sich<br />

insbesondere für den Schutz der Bienen<br />

stark. „Wir engagieren uns für den Erhalt<br />

der Artenvielfalt, Innovation <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong>,<br />

das Klima <strong>und</strong> einen positiven<br />

Einfluss auf die Gesellschaft. Vor allem<br />

wollen wir eines der kostbarsten W<strong>und</strong>er<br />

der Natur schützen: die Biene“, heißt<br />

es auf der deutschen Unternehmenswebsite.<br />

Daher unterstützt das Unternehmen<br />

zahlreiche Initiativen <strong>und</strong> hat<br />

eigens das Schutzprogramm „Guerlain<br />

For Bees“ ins Leben gerufen. Über die<br />

unternehmenseigene Transparenz-Plattform<br />

„Bee Respect“ teilt Guerlain zudem<br />

diverse Informationen r<strong>und</strong> um die Herkunft<br />

der Rohstoffe, die Verpackungen<br />

<strong>und</strong> den Lebenszyklus der Produkte.<br />

Kann herkömmlich auch nachhaltig?<br />

Auch die konventionellen Marken verstärken<br />

zunehmend ihr Engagement in<br />

Richtung <strong>Nachhaltigkeit</strong>. Darunter der<br />

Kosmetikkonzern L'Oréal, zu dem nicht<br />

nur die bekannten Marken Garnier,<br />

L'Oréal Paris <strong>und</strong> Maybelline New York,<br />

sondern auch die <strong>Luxus</strong>-Label Lancôme,<br />

Yves Saint Laurent <strong>und</strong> Diesel gehören.<br />

Das Unternehmen startete bereits 2013<br />

ein <strong>Nachhaltigkeit</strong>sprogramm <strong>und</strong> hat<br />

sich nun mit dem neuen Programm<br />

„L'Oréal for the Future“ weitere <strong>Nachhaltigkeit</strong>sziele<br />

gesetzt. So will der Konzern<br />

unter anderem die Menge seiner Verpackungen<br />

bis 2030 um 20 Prozent reduzieren<br />

(im Vergleich zu 2019) <strong>und</strong> nur<br />

noch Kunststoff aus biobasierten oder<br />

recycelten Quellen verwenden. Außerdem<br />

sollen 95 Prozent der Inhaltsstoffe<br />

biobasiert sein <strong>und</strong> nur von<br />

„reichlich vorhandenen“<br />

Mineralien <strong>und</strong> Kreislaufprozessen<br />

stammen.<br />

68 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Der Konsumgüterhersteller Procter<br />

& Gamble hat sich mit der „Ambition<br />

2030“ ebenfalls <strong>Nachhaltigkeit</strong>sziele gesetzt.<br />

Wichtiger Eckpfeiler der Strategie<br />

ist zum Beispiel die Reduzierung von<br />

Plastik <strong>und</strong> Verpackungen im Bereich<br />

Responsible Beauty. Als eine Maßnahme<br />

hat der Konzern für die Shampoos<br />

seiner Marken Pantene Pro-V, Head<br />

& Shoulders <strong>und</strong> Herbal Essences ein<br />

Nachfüllsystem eingeführt. Statt der<br />

üblichen Plastikflaschen können die<br />

Verbraucherinnen <strong>und</strong> Verbraucher<br />

Shampoo der beteiligten Marken in wiederverwendbaren<br />

Aluminiumflaschen<br />

kaufen – <strong>und</strong> dann später mit einem<br />

recycelbaren Nachfüllbeutel wieder auffüllen.<br />

Weniger Verpackung <strong>und</strong> Plastik bei<br />

Discountern<br />

Selbst die Discounter machen sich auf<br />

den Weg zu mehr <strong>Nachhaltigkeit</strong> im Bereich<br />

Beauty <strong>und</strong> Kosmetik. So will Netto<br />

Marken-Discount Plastik reduzieren<br />

<strong>und</strong> setzt sich dafür ein, Mikroplastik in<br />

Drogerieprodukten zu vermeiden. Mittlerweile<br />

sind 120 Produkte der Eigenmarken<br />

frei von festem Mikroplastik.<br />

Außerdem soll auch flüssiger Kunststoff<br />

durch Überarbeitung der Rezepturen im<br />

Bereich Hygiene, Pflege <strong>und</strong> Reinigung<br />

durch Alternativen ersetzt werden.<br />

Dusch-Konzentrat“ der ALDI-Eigenmarke<br />

Ombia nun auch im Nachfüllbeutel<br />

daher. Außerdem hat das Unternehmen<br />

nun testweise fünf vegane Naturkosmetik-Produkte<br />

der Eigenmarke BIOCURA<br />

Nature im Sortiment. Die Produkte sind<br />

mit dem „NaTrue“-Siegel zertifiziert<br />

<strong>und</strong> haben eigenen Angaben zufolge<br />

eine Rezeptur ohne Mikroplastik. f<br />

Tierversuche in Kosmetik: was gilt?<br />

In Deutschland sind Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika laut<br />

dem deutschen Tierschutzgesetz schon seit 1998 verboten, erklärt der<br />

Deutsche Tierschutzb<strong>und</strong>. 2004 verbot auch die EU Tierversuche für die<br />

Prüfung von Kosmetika; 2009 wurde das Verbot auch auf neue kosmetische<br />

Inhaltsstoffe ausgeweitet. Seit 2013 ist außerdem EU-weit der Verkauf<br />

von Kosmetikprodukten, deren Inhaltsstoffe außerhalb der EU an Tieren getestet<br />

werden, verboten. Aber: Die Verbote gelten generell nur für neue Produkte<br />

<strong>und</strong> Inhaltsstoffe, mahnt der Tierschutzb<strong>und</strong>. Ältere Produkte dürften<br />

daher – trotz Tierversuchen – noch verkauft werden. Zudem bezögen sich<br />

die Regeln nur auf Stoffe, die ausschließlich für Kosmetika verwendet werden.<br />

Das heißt, Inhaltsstoffe, die in anderen Produkten wie beispielsweise<br />

Reinigungsmitteln oder auch Medikamenten eingesetzt werden (hier sind<br />

Tierversuche sogar noch Pflicht), dürften auch Kosmetikhersteller verwenden.<br />

„Leider betrifft dies die Mehrzahl der Inhaltsstoffe, sodass mit einem<br />

Ende der Tierversuche erst dann zu rechnen ist, wenn für alle Bereiche der<br />

Stoffprüfung tierversuchsfreie Teststrategien zugelassen sind“, so der Tierschutzb<strong>und</strong>.<br />

Darüber hinaus verkaufen viele Marken Kosmetika im Ausland,<br />

wo Tierversuche zum Teil sogar vorgeschrieben sind, weiß man bei Utopia.<br />

In China galt das zum Beispiel bis Anfang 2021. Eine neue Gesetzesregelung<br />

hebt die Pflicht bis auf einige Ausnahmen aber auf.<br />

ALDI SÜD wiederum bietet seit April<br />

2021 die wiederbefüllbare Kosmetikflasche<br />

„Nepenthes“ an, die vom Startup<br />

Cyclic Design entwickelt wurde.<br />

Damit K<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en<br />

sie direkt nutzen können,<br />

kommt das „Hair & Body<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

69


Advertorial<br />

Thonet<br />

lebt seit über 200 Jahren den<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>sgedanken<br />

„Wir legen viel Wert auf perfektes Handwerk<br />

<strong>und</strong> eine unverwechselbare Qualität<br />

der Verarbeitung <strong>und</strong> Materialien“,<br />

beschreibt Norbert Ruf, Creative Director<br />

<strong>und</strong> Geschäftsführer von Thonet, den<br />

Anspruch. Die Produktklassiker aus<br />

der Thonet-Fertigung seien zeitlos <strong>und</strong><br />

nicht zuletzt dadurch besonders langlebig:<br />

„Wer bewusst konsumieren möchte<br />

<strong>und</strong> wem <strong>Nachhaltigkeit</strong> ein Anliegen<br />

ist, der ist bei uns an der richtigen Adresse.“<br />

Nicht selten werden Thonet-Produkte<br />

über Generationen weitervererbt.<br />

Hoher Qualitätsanspruch führt auch<br />

zu mehr <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Fotos: Thonet<br />

Das Qualitäts- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong>sbewusstsein<br />

spiegelt sich unter anderem<br />

in der hohen Fertigungstiefe. Beispielsweise<br />

werden die Möbelhölzer <strong>und</strong> die<br />

Stahlrohre unter eigener Regie gebogen.<br />

Aber auch die Herstellung <strong>und</strong> Montage<br />

von Polstern <strong>und</strong> der Garnituren aus<br />

Holz, Leder, Netzgewebe oder Rohrgeflecht<br />

erfolgt ebenso wie die Endkontrolle<br />

in den eigenen Produktionshallen.<br />

Nur die Oberflächenveredelung durch<br />

Verchromen oder Pulverbeschichten<br />

geschieht aus Umweltschutzgründen<br />

extern, jedoch komplett in Deutschland.<br />

Soziale Verantwortung, wirtschaftliche<br />

Leistungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> der Schutz der natürlichen<br />

Umwelt: Diese Vision<br />

einer nachhaltigen Produktion<br />

beschreibt das Umweltb<strong>und</strong>esamt.<br />

Thonet, der Hersteller<br />

von Designklassikern sowie<br />

Möbelneuheiten aus dem<br />

hessischen Frankenberg, lebt<br />

diese Werte schon seit über<br />

200 Jahren. Das 1819 vom<br />

Kunsttischler Michael Thonet<br />

gegründete Unternehmen hat<br />

sich mit ikonischen Produkten<br />

höchster Qualität wie dem<br />

berühmten Kaffeehausstuhl<br />

Thonet 214 einen hervorragenden<br />

Ruf erworben.<br />

Hohe Ansprüche stellt Thonet auch an<br />

die Zulieferer: Man lege viel Wert auf<br />

langjährige, faire Geschäftsbeziehungen<br />

<strong>und</strong> darauf, dass die Lieferanten die<br />

Unternehmenswerte teilen, sagt Norbert<br />

Ruf: „Wir kennen unsere Zulieferbetriebe,<br />

die alle in Europa angesiedelt<br />

sind, sehr gut“. Die Stahlrohre kommen<br />

aus dem Schwarzwald, Buchenholz aus<br />

heimischen Wäldern, das Leder aus<br />

Süddeutschland <strong>und</strong> Italien. Lediglich<br />

das traditionsreiche Wiener Geflecht<br />

stammt aus Indonesien. Die Matten<br />

werden aus der Außenhaut der Rotangpalme<br />

geflochten. Um die Umweltbelastungen<br />

durch die Lieferung klein zu<br />

halten, nimmt Thonet große Mengen ab<br />

<strong>und</strong> lagert sie ein.<br />

Exzellente Ausbildung sichert<br />

Know-how über Generationen hinweg<br />

Auch beim Personal setzt Thonet auf<br />

Kontinuität. Eigentlich ein Industrie-<br />

70 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


unternehmen, gleicht der Betrieb in<br />

vielen Bereichen einer Manufaktur. Der<br />

Handwerksanteil ist groß. Viele Handgriffe<br />

erfordern perfekte Teamarbeit:<br />

So biegen beim Bugholzklassiker 209<br />

beispielsweise vier Mitarbeiter gemeinsam<br />

die Rückenlehne. Auch bei einigen<br />

Stahlrohrmöbeln werden die Rohre halbautomatisch<br />

<strong>und</strong> nicht vollautomatisch<br />

mit der CNC-Maschine gebogen <strong>und</strong><br />

dann manuell geprüft, geschliffen <strong>und</strong><br />

poliert.<br />

All diese hochspezialisierten Tätigkeiten<br />

wären ohne exzellent ausgebildete Fachkräfte<br />

nicht möglich. Um das wertvolle<br />

Know-how im Betrieb zu halten, bildet<br />

Thonet selbst aus – Industriemechaniker,<br />

Holzmechaniker, Polsterer <strong>und</strong> viele<br />

weitere Berufe.<br />

Im Verlauf seiner langen Geschichte hat<br />

das Familienunternehmen – mittlerweile<br />

in sechster Generation – seinen<br />

Markenkern beibehalten. Bugholz- <strong>und</strong><br />

Stahlrohrmöbel bilden die Basis des<br />

Erfolgs, Neuheiten namhafter zeitgenössischer<br />

Designer wie beispielsweise<br />

Stefan Diez (Familie 404) oder Sebastian<br />

Herkner (Familie 118/119) ergänzen<br />

regelmäßig das Portfolio. Weil Thonet<br />

so große Spuren im Möbel-Design hinterlassen<br />

hat, werden die Produktklassiker<br />

– historische wie jüngere – sogar<br />

in Museen auf der ganzen Welt gezeigt.<br />

Thonet-Möbel gibt es heute für ein weites<br />

Feld an Einsatzgebieten: Konferenzen<br />

<strong>und</strong> Besprechungen, Großraumbestuhlungen,<br />

Schulungen <strong>und</strong> Seminare,<br />

Essen <strong>und</strong> Wohnen, Bar <strong>und</strong> Restaurant<br />

sowie Empfangs- <strong>und</strong> Wartebereiche.<br />

Auch Outdoor-Möbel sind zu haben.<br />

Beibehalten wurde der hohe Anspruch<br />

an ein ansprechendes Produktdesign.<br />

Nach wie vor wird dazu mit berühmten<br />

Architekten <strong>und</strong> Gestaltern kooperiert.<br />

Aber auch das werkseigene Design-Team<br />

entwirft fortlaufend neue Produkte. So<br />

ist etwa der mit dem Interior Innovation<br />

Award ausgezeichnete Sekretär Thonet<br />

S 1200 von 2014 ein Eigenentwurf. f<br />

Zukunftsweisende Auszeichnung<br />

für den Klassiker von 1859<br />

Der Wiener Kaffeehausstuhl Thonet 214<br />

begründete den Ruhm des Unternehmens.<br />

Bereits 1859 entwickelte Michael Thonet<br />

den damals so genannten „Consumsessel<br />

Nr. 14“. Obwohl er schon vor mehr<br />

als 160 Jahren gestaltet wurde, gewann<br />

der Klassiker erst im Dezember 2020 den<br />

Deutschen <strong>Nachhaltigkeit</strong>spreis Design in der Kategorie „Ikonen“. Gewürdigt<br />

wurden mehrere einst revolutionäre <strong>und</strong> heute weiterhin hochaktuelle<br />

Entwicklungen. Darunter die neuartige Technologie des Biegens von massivem<br />

Buchenholz sowie die Herstellung von Möbeln im Baukastenprinzip.<br />

Thonet hat diese Fertigungsmethode für Stühle perfektioniert. Da der 214<br />

nur aus sechs Bauteilen, zehn Schrauben <strong>und</strong> zwei Muttern besteht, war<br />

<strong>und</strong> ist er außerdem vollständig in seine wenigen Bestandteile zerlegbar.<br />

Das erleichtert vor allem die Auslieferung. In eine Transportkiste von einem<br />

Kubikmeter Fassungsvermögen passen 36 zerlegte Stühle. Vom Thonet<br />

214 wurden bis 1930 mehr als 50 Millionen Stück verkauft. Er blieb nicht<br />

die einzige Designikone aus Bugholz aus dem Hause Thonet. Bis heute<br />

berühmt sind etwa der Schaukelstuhl Nr. 1 von 1860, das elegante, von<br />

Le Corbusier gelobte Modell 209 mit geschwungenen Armlehnen <strong>und</strong> der<br />

Jugendstilsessel 247 von Otto Wagner aus dem Jahr 1904.<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Davide Angelini / stock.adobe.com<br />

Leben wie die<br />

LOHAS<br />

Von Milena Knoop<br />

Bei <strong>Luxus</strong> denken viele<br />

spontan an schnelle Autos<br />

<strong>und</strong> teuren Schmuck.<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> verbinden die<br />

wenigsten mit diesen<br />

Produkten. Doch das ändert<br />

sich. Woran das liegt <strong>und</strong> wie<br />

die <strong>Luxus</strong>güterbranche damit<br />

umgeht, interessiert auch<br />

zunehmend die Forschung.<br />

Was bedeutet <strong>Luxus</strong> für Sie? Der Besitz<br />

eines Sportwagens von Porsche oder einer<br />

Rolex-Uhr? Für den einen oder anderen<br />

ist es vielleicht der morgendliche<br />

Kaffee aus dem hochpreisigen Miele-<br />

Kaffeevollautomaten aus frisch gerösteten,<br />

fair gehandelten Bohnen; oder auch<br />

der Restaurantbesuch am Abend, der in<br />

Zeiten von Corona zur Seltenheit geworden<br />

ist.<br />

Unser Verständnis von <strong>Luxus</strong> ist sehr<br />

subjektiv <strong>und</strong> hat sich in den letzten<br />

Jahrzehnten stark gewandelt. Die meisten<br />

verbinden mit „klassischen“ <strong>Luxus</strong>produkten<br />

wie Autos <strong>und</strong> Handtaschen<br />

aber bestimmte Merkmale, zum Beispiel<br />

einen hohen Preis, eine hohe Produktqualität<br />

<strong>und</strong> dass sie eigentlich nicht<br />

notwendig sind. Zudem haben sie einen<br />

Zusatznutzen, der etwa darin bestehen<br />

kann, Prestige <strong>und</strong> soziale Anerkennung<br />

zu erlangen. Parallel dazu haben sich in<br />

den letzten Jahren neue, diskretere Formen<br />

des <strong>Luxus</strong> herausgebildet. Gerade<br />

junge Konsumentinnen <strong>und</strong> Konsumenten<br />

verbinden mit <strong>Luxus</strong> immer häufiger<br />

immaterielle Werte wie Freiheit, Freizeit<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Ein entscheidender Treiber dafür ist<br />

das zunehmende gesamtgesellschaftliche<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>sbewusstsein. Wie<br />

sich <strong>Nachhaltigkeit</strong> in der <strong>Luxus</strong>güterbranche<br />

immer mehr durchsetzt, beschreibt<br />

auch Kommunikationswissenschaftlerin<br />

Gesa Prüne in ihrer Sozialstudie<br />

„<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong>“, die<br />

2013 im Springer-Verlag erschienen ist.<br />

Darin heißt es: „Die Entwicklung geht<br />

dahin, dass die zunehmend postmateriellen<br />

Bedürfnisse der Nachfrager nach<br />

Selbstentfaltung <strong>und</strong> Individualität eine<br />

Abkehr vom ostentativen Statuskonsum<br />

bewirken <strong>und</strong> im Zuge dessen auch das<br />

Bewusstsein für die eigene Ges<strong>und</strong>heit<br />

72 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Was die veränderten Einstellungen <strong>und</strong><br />

Anforderungen für diesen bedeuten,<br />

weiß auch Professor Dr. Fernando<br />

Fastoso. Er hat seit dem Wintersemester<br />

2020 die landesweit erste Stiftungsprofessur<br />

in Brand Management für <strong>Luxus</strong><br />

<strong>und</strong> High-Value Brands an der Hochschule<br />

Pforzheim inne. „Jüngere Konsumenten<br />

verlangen eine nachhaltige Positionierung.<br />

Der Schmuckhersteller <strong>und</strong><br />

-händler Pandora hat kürzlich angekündigt,<br />

ab dem Jahr 2022 ausschließlich<br />

synthetisch hergestellte Diamanten zu<br />

verarbeiten. 70 Prozent der Millennials<br />

geben an, lieber künstliche Edelsteine<br />

zu kaufen. Sie verbinden den Abbau von<br />

Rohdiamanten mit Menschenrechtsverletzungen<br />

<strong>und</strong> Umweltbelastungen.“<br />

Überhaupt fallen Anbieter von <strong>Luxus</strong>uhren<br />

<strong>und</strong> -schmuck durch ihr vergleichsweise<br />

vielfältiges Engagement im kulturellen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Bereich<br />

auf, analysiert Gesa Prüne. Während<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> in den Segmenten Mode/<br />

Accessoires sowie Kosmetik <strong>und</strong> Parfüms<br />

bisher kaum eine Rolle spielten,<br />

sei im Automobilsektor eine starke Zunahme<br />

des sozialökologischen Engagements<br />

– etwa durch Investitionen in die<br />

Forschung <strong>und</strong> Entwicklung alternativer<br />

Antriebe oder durch die Veröffentlichung<br />

von <strong>Nachhaltigkeit</strong>sberichten<br />

– zu beobachten.<br />

Darin sieht Gesa Prüne auch eine der<br />

größten Herausforderungen bei der<br />

erfolgreichen Positionierung <strong>und</strong> Vermarktung<br />

von nachhaltigem <strong>Luxus</strong>.<br />

Umso wichtiger sei es, das <strong>Nachhaltigkeit</strong>sengagement<br />

glaubhaft <strong>und</strong> transparent<br />

zu kommunizieren. Ihrer Überzeugung<br />

nach kann <strong>Nachhaltigkeit</strong> dann<br />

durchaus als „neue Facette im <strong>Luxus</strong>gütersegment“<br />

etabliert werden. Um<br />

einen aus Anbietersicht „langfristigen<br />

Wettbewerbsvorteil am Markt erwirken<br />

zu können“, reiche es allerdings nicht<br />

aus, lediglich auf marketingpolitische<br />

Konzepte zurückzugreifen. Über die<br />

Produktebene hinaus müsse auch die<br />

Darstellung des Unternehmens als Organisation,<br />

seine Reputation, bei solchen<br />

marketingstrategischen Überlegungen<br />

berücksichtigt werden, denn auch das<br />

entscheide darüber, wie Konsumenten<br />

die angebotene Leistung bewerten. In<br />

ihrem neu entwickelten Konzept des<br />

„Sustainable Luxury“ führt sie deshalb<br />

verschiedene, bisher meist getrennt<br />

voneinander betrachtete Ansätze aus<br />

Marken-, Kommunikations- <strong>und</strong> Reputationsmanagement<br />

zu einem integrierten<br />

Modell der <strong>Nachhaltigkeit</strong>skommunikation<br />

zusammen – <strong>und</strong> eröffnet Unternehmen<br />

<strong>und</strong> allen an der Thematik interessierten<br />

so einen spannenden neuen<br />

Ansatz, wie sich <strong>Nachhaltigkeit</strong> weiter<br />

durchsetzen kann. f<br />

<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> –<br />

ein Gegensatz?<br />

<strong>und</strong> die soziale <strong>und</strong> ökologische Umwelt<br />

verstärkt die Kaufentscheidung von<br />

<strong>Luxus</strong>gütern determiniert.“ Besonders<br />

interessant aus ihrer Sicht: das „LO-<br />

HAS“-Phänomen. LOHAS steht für Lifestyle<br />

of Health and Sustainability, also<br />

einen Lebensstil, der geprägt ist durch<br />

ein Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong>sbewusstsein<br />

auf der einen Seite <strong>und</strong> ein<br />

ausgeprägtes Genussstreben, hohe Markenaffinität<br />

<strong>und</strong> überdurchschnittliche<br />

Kaufbereitschaft auf der anderen Seite.<br />

Somit stellen sie eine potenziell attraktive<br />

Zielgruppe für den <strong>Luxus</strong>gütermarkt<br />

dar.<br />

Was vielen Anbietern von <strong>Luxus</strong>gütern<br />

dabei im Wege steht, auf Produkt- <strong>und</strong><br />

Organisationsebene nachhaltiger zu<br />

werden: Viele betrachteten <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> immer noch als unvereinbar.<br />

„Dass diese Einstellung sich jedoch<br />

zunehmend als überholt erweist,<br />

zeigen die parallel stattfindenden Entwicklungen<br />

im Markt für nachhaltige<br />

Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen“, so<br />

Prüne. Doch auch in den Köpfen der<br />

Konsumentinnen <strong>und</strong> Konsumenten<br />

halte sich beharrlich das Klischee, „Umweltverträglichkeit<br />

<strong>und</strong> die typischen Eigenschaften<br />

von <strong>Luxus</strong>marken stünden<br />

sich diametral entgegen.“<br />

Gesa Prüne:<br />

<strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Entwicklung strategischer<br />

Handlungsempfehlungen für das<br />

<strong>Luxus</strong>gütermarketing<br />

Springer VS 2013: 430 Seiten<br />

ISBN: 978-3-658-01632-6<br />

eBook: 35,96 € (D)<br />

Softcover: 64,99 € (D)<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

73


Advertorial<br />

<strong>Luxus</strong><br />

BANTLEON:<br />

Gemeinsam<br />

mehr bewirken<br />

Unternehmen müssen ein<br />

großes Maß an Verantwortung<br />

übernehmen: nicht nur<br />

für ihre eigenen Produkte,<br />

Mitarbeitenden oder K<strong>und</strong>innen<br />

<strong>und</strong> K<strong>und</strong>en, sondern<br />

auch für die Umwelt <strong>und</strong> die<br />

Gesellschaft, in der sie agieren,<br />

weiß man in der Hermann<br />

Bantleon GmbH. Das Unternehmen<br />

engagiert sich daher<br />

in zahlreichen sozialen<br />

Projekten, ganz besonders<br />

für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche.<br />

Ob Bienen für den Schulgarten, Corona-<br />

Malwettbewerbe oder Hilfe für Hochwasserbetroffene<br />

– bei Bantleon, dem<br />

Hersteller von Hochleistungsschmierstoffen,<br />

wird soziales Engagement großgeschrieben:<br />

„Wir denken, dass das<br />

Thema Verantwortung als solches einen<br />

mehrdimensionalen Charakter hat. Unternehmen<br />

oder die Wirtschaft können<br />

natürlich aus vielseitigen Gründen <strong>und</strong><br />

mit verschiedenen Ressourcen agieren.<br />

Das muss nicht immer finanzieller Natur<br />

sein“, erklärt Rainer Janz, Bereichsleiter<br />

Produkt- <strong>und</strong> Qualitätsmanagement bei<br />

Bantleon. In Deutschland nehme insbesondere<br />

die soziale Verantwortung einen<br />

hohen Stellenwert ein. Vor allem regional,<br />

weil dort die persönliche Wahrnehmung<br />

am höchsten sei, aber auch b<strong>und</strong>esweit<br />

<strong>und</strong> global seien Unternehmen für gesellschaftliche<br />

Probleme sensibilisiert.<br />

Corporate Citizenship als strategische<br />

Säule<br />

Gesellschaftliches Engagement – im<br />

Kontext von Unternehmen auch Corporate<br />

Citizenship genannt – ist für viele<br />

Firmen eine Möglichkeit, unabhängig<br />

von ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gesellschaftlich<br />

etwas zu bewirken. „Corporate<br />

Citizenship bietet Chancen zur<br />

Integration, zur Abfederung des demographischen<br />

Wandels <strong>und</strong> für verbesserte<br />

Bildungschancen, kurz: zur Fortentwicklung<br />

des Gesellschaftsvertrags.<br />

Bei Bantleon ist soziale <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Verantwortung daher auch strategisch<br />

verankert. „Corporate Citizenship<br />

ist eine klare Säule unserer Unternehmenspolitik.<br />

Die Gestaltung <strong>und</strong> Achtung<br />

von Werten im gegenseitigen Miteinander<br />

<strong>und</strong> Füreinander sind für uns<br />

wesentliche Treiber unserer Unternehmenskultur“,<br />

so Janz. Künftig will das<br />

Unternehmen auch ein „Culture Deck“<br />

einführen, um das Engagement intern<br />

<strong>und</strong> extern greifbarer zu machen. Denn<br />

es gibt viel zu berichten: Bantleon engagiert<br />

sich das ganze Jahr über in zahlreichen<br />

Projekten. Bei ihrer Auswahl<br />

spielen viele Faktoren eine Rolle. Dazu<br />

gehören unter anderem Regionalität,<br />

persönliche Betroffenheit, beispielsweise<br />

der Beschäftigten, sowie Transparenz<br />

der Projekte <strong>und</strong> Nachvollziehbarkeit.<br />

Letztlich müssen die Projekte mit den<br />

Unternehmenswerten von Bantleon<br />

übereinstimmen, sagt Janz. Und manchmal<br />

müsse auch einfach das Bauchgefühl<br />

stimmen.<br />

Im Einsatz für Chancengleichheit <strong>und</strong><br />

Bildung<br />

Vor allem für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

macht sich der Hersteller von Hochleistungsschmierstoffen<br />

stark. So unterstützt<br />

das Unternehmen beispielsweise<br />

bereits seit vielen Jahren den ugandischen<br />

Pfarrer Ignatius bei der Umsetzung<br />

von Kinderhilfsprojekten in dem<br />

ostafrikanischen Land. Dazu gehört unter<br />

anderem der Bau von Schulen <strong>und</strong><br />

Kindergärten. Hierzulande kooperiert<br />

Bantleon zudem mit Jugend forscht <strong>und</strong><br />

ist in diversen Förderkreisen tätig. Das<br />

74 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Fotos: Bantleon<br />

Unternehmen ist zum Beispiel Mitglied<br />

beim Fre<strong>und</strong>eskreis des Illertal-Gymnasiums<br />

Vöhringen-Illerzell (IGV) <strong>und</strong><br />

verhalf dem Gymnasium Mitte 2021<br />

zu einem Bienenvolk für den Schulgarten.<br />

Überbracht wurden die Bienen<br />

von der beefuture GmbH, ebenfalls einem<br />

Projektpartner von Bantleon. „Wir<br />

wissen seit langem um die Wichtigkeit<br />

solcher <strong>und</strong> ähnlich gelagerter Projekte.<br />

Das sind für uns prägnante Signale<br />

gegenüber Umwelt <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

Insekten allgemein <strong>und</strong> insbesondere<br />

die Biene nehmen in unserem gesamtökologischen<br />

System eine zentrale Rolle<br />

ein“, erläutert Bantleon-Geschäftsführer<br />

Heribert Großmann das Engagement.<br />

Gemeinsam mit weiteren Partnern rief<br />

das Unternehmen zudem den Ulmer<br />

Jugendpreis ins Leben. Dieser prämiert<br />

besondere Schülerprojekte, die sich auf<br />

kreative <strong>und</strong> originelle Weise mit den<br />

Themenkomplexen Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> auseinandersetzen.<br />

Doch alleine lassen sich die Herausforderungen<br />

der Zukunft nicht bewältigen:<br />

„Unternehmen nehmen hier definitiv<br />

eine sehr wichtige Vorbildfunktion ein.<br />

Das darf aber nicht dazu führen, dass<br />

die Wirtschaft zunehmend Aufgabenbereiche<br />

der Politik übernimmt“, meint<br />

Janz. „Es gibt Problemstellungen, die<br />

wir weder regional noch national lösen<br />

können. Hier muss größer gedacht<br />

werden. Der Klimaschutz mit all seinen<br />

Randerscheinungen <strong>und</strong> Facetten ist<br />

hier in jedem Fall anzuführen.“ f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

75


<strong>Luxus</strong><br />

GEBRAUCHTES<br />

Foto: Labart.com.ua / stock.adobe.com<br />

mit<br />

Secondhand hat schon längst das Image von<br />

„Ramschware“ abgelegt. Vor allem die <strong>Luxus</strong>branche<br />

entdeckt das Geschäft mit Waren aus<br />

zweiter Hand zunehmend für sich. Denn gebrauchte<br />

Produkte sind nicht nur nachhaltiger,<br />

sondern gelten als „vintage“ – <strong>und</strong> das ist in.<br />

Von Elena Köhn<br />

Ob „Pre-loved“, „Pre-owned“, „Vintage“<br />

oder schlicht <strong>und</strong> einfach<br />

Secondhand: Der Markt mit dem<br />

Verkauf gebrauchter Waren läuft besser<br />

denn je. Mehr als jeder zweite Deutsche<br />

hat bereits Kleidung aus zweiter Hand<br />

gekauft, zeigt der Second Hand Fashion<br />

Report 2020 von ubup (jetzt momox fashion),<br />

einem Onlineshop für gebrauchte<br />

Mode. Fast ein Drittel der Befragten<br />

shoppt sogar regelmäßig Secondhand –<br />

im Durchschnitt etwa alle drei Monate.<br />

Neben dem niedrigeren Preis spielt insbesondere<br />

der Aspekt der <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

eine große Rolle. 86 Prozent gaben<br />

76 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

an, Secondhandkleidung zu kaufen, weil<br />

es besser für die Umwelt sei. Tatsächlich<br />

reduziert der Kauf bereits genutzter<br />

Waren den Verbrauch von Ressourcen:<br />

Wer zum Beispiel eine gebrauchte statt<br />

einer neuen Jeans ersteht, spart durchschnittlich<br />

8.000 Liter Wasser. Diese<br />

Menge fällt laut dem Magazin Utopia<br />

nämlich bei der Herstellung einer etwa<br />

800 Gramm schweren Jeans an.<br />

<strong>Luxus</strong> aus zweiter Hand<br />

Der Boom r<strong>und</strong> um nachhaltigere<br />

„Pre-loved-Produkte“ macht auch vor<br />

der <strong>Luxus</strong>branche nicht Halt. Ganz im<br />

Gegenteil, gebrauchte Designerteile sind<br />

immer gefragter. Und das betrifft nicht<br />

nur Produkte wie Kleidung <strong>und</strong> Handtaschen,<br />

sondern auch den Bereich der<br />

sogenannten „Hard-Luxury“, also Uhren<br />

<strong>und</strong> Schmuck: Nach einer Studie der<br />

Boston Consulting Group (BCG) ist der<br />

Markt an gebrauchten <strong>Luxus</strong>uhren <strong>und</strong><br />

-Schmuck etwa 21 Milliarden Euro wert<br />

<strong>und</strong> wächst jährlich um acht Prozent –<br />

das ist schneller als der Markt um <strong>Luxus</strong>neuware.<br />

Noch befindet sich der <strong>Luxus</strong>-<br />

Resell-Markt in der Anfangsphase, Marken<br />

<strong>und</strong> Einzelhändler haben daher die<br />

Möglichkeit, selbst proaktiv tätig zu<br />

werden <strong>und</strong> die Nachfrage mitzugestalten,<br />

heißt es von der BCG.<br />

Mittlerweile gibt es vor allem online<br />

zahlreiche Shops, die sich auf den Verkauf<br />

von gebrauchter <strong>Luxus</strong>ware spezialisiert<br />

haben. Dazu gehört zum Beispiel<br />

TheRealReal, eigenen Angaben zufolge<br />

der weltgrößte Online-Marktplatz für<br />

gebrauchte <strong>Luxus</strong>produkte. Das Unternehmen<br />

ging 2019 an die Börse <strong>und</strong><br />

nahm am ersten Handelstag 300 Millionen<br />

Dollar ein, berichtet die Deutsche<br />

Welle. Weitere Player im Bereich Secondhand-<strong>Luxus</strong><br />

sind Vestiaire Collective,<br />

Vite EnVougue oder Rebelle. Der Clou<br />

dieser <strong>Luxus</strong>-Onlineshops: Um die Käuferinnen<br />

<strong>und</strong> Käufer (<strong>und</strong> letztlich auch<br />

die Marken) vor Plagiaten zu schützen,<br />

werden die gebrauchten Designerwaren<br />

vor dem Weiterverkauf authentifiziert.<br />

Dafür beschäftigen die Unternehmen<br />

in der Regel entsprechende Fachleute.<br />

„Alle Artikel werden bei Erhalt von unseren<br />

geschulten Experten untersucht“,<br />

erklärt zum Beispiel Rebelle auf der<br />

FAQ-Seite des Shops. „Diese haben bereits<br />

jahrelange Erfahrung in der Echtheitsprüfung<br />

<strong>und</strong> kennen jedes Detail,<br />

welche zur Bewertung der Authentizität<br />

vorhanden sein muss.“<br />

Manche sind skeptisch, andere sehen<br />

Chancen<br />

Nicht alle <strong>Luxus</strong>marken sind von dem<br />

Konzept überzeugt. So reichte Chanel<br />

Ende 2018 Klage gegen TheRealReal<br />

ein <strong>und</strong> warf dem Unternehmen vor, gefälschte<br />

Chanel-Produkte zu verkaufen.<br />

Megan Zamiska, Unternehmenssprecherin<br />

von TheRealReal, wies die Anschuldigungen<br />

zurück: „Chanels Klage<br />

ist nicht mehr als ein erschreckend brutaler<br />

Versuch, unsere K<strong>und</strong>en daran zu<br />

hindern, <strong>Luxus</strong>mode zu einem günstigeren<br />

Preis weiterzuverkaufen“, wird sie<br />

von der Deutschen Welle zitiert.<br />

Andere Designer- <strong>und</strong> <strong>Luxus</strong>marken<br />

mischen bei Secondhand mittlerweile<br />

sogar selbst mit, wie man bei dem Modemagazin<br />

Fashion United nachlesen<br />

kann. Stella McCartney ging mit ihrer<br />

gleichnamigen Marke eine Kooperation<br />

mit TheRealReal ein: Jeder, der seit 2017<br />

über den Onlineshop ein gebrauchtes<br />

Stella McCartney-Produkt kauft, erhält<br />

einen 100-US-Dollar-Gutschein, der in einer<br />

Stella McCartney Boutique oder auch<br />

online eingelöst werden kann. Damit<br />

will die Marke unter anderem die Kreislaufwirtschaft<br />

fördern. Auch Gucchi<br />

entschied sich für eine Partnerschaft<br />

mit TheRealReal. Für jedes gebrauchte<br />

Gucchi-Produkt, das über die online<br />

Ladentheke des Secondhandshops geht,<br />

pflanzen die Unternehmen gemeinsam<br />

über die Nonprofit-Organisation One<br />

Tree Planted einen Baum. Burberry<br />

war ebenfalls mit dabei <strong>und</strong> versprach<br />

für jedes über TheRealReal verkaufte<br />

Burberry-Produkt von Oktober 2019 bis<br />

Januar 2020 ein persönliches <strong>und</strong> kostenloses<br />

Einkaufserlebnis in einem der<br />

Burberry-Läden in den USA. Und der<br />

französische Modekonzern Kering investierte<br />

Anfang 2021 in die Plattform<br />

Vestiaire Collective sogar 178 Millionen<br />

Euro.<br />

Nachhaltiger, aber auch exklusiv<br />

Für die K<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en ist der<br />

Aspekt der <strong>Nachhaltigkeit</strong> gebrauchter<br />

(<strong>Luxus</strong>)Waren derweil nicht das einzige<br />

Kaufkriterium. Secondhand macht <strong>Luxus</strong><br />

für viele nämlich auch erschwinglicher:<br />

„Der Erwerb der gebrauchten<br />

Produkte stärkt den Wert einer Marke<br />

<strong>und</strong> bindet neue, vor allem auch junge<br />

K<strong>und</strong>en, die möglicherweise diese Artikel<br />

als Neuware nicht erstanden hätten,<br />

weil sie für sie zu teuer sind“, schreibt<br />

das Handelsblatt in einem Artikel über<br />

die Studie von BCG.<br />

Dass Secondhand im <strong>Luxus</strong>bereich<br />

günstiger ist als Neuware, gilt allerdings<br />

nicht immer, denn online findet<br />

man oft begehrte Einzelstücke. Eine auf<br />

ihre Echtheit geprüfte Birkin Bag von<br />

Hermès, deren Neupreis bei r<strong>und</strong> 7.000<br />

Euro liegen würde, kostet bei den Onlineshops<br />

für Secondhand-<strong>Luxus</strong>waren<br />

auch gerne mal deutlich mehr, berichtet<br />

Zeit Online: „Kein W<strong>und</strong>er, statt sich<br />

auf einer Warteliste einzutragen, kann<br />

man die begehrte Tasche hier sofort<br />

kaufen.“ Ähnliche Vermutungen äußert<br />

man auch bei der Welt: „Früher rannte<br />

man in die Hermès Boutique, um den<br />

Bedarf an exquisiten Einzelteilen zu<br />

stillen, heute schlägt das Prädikat ‚vintage‘<br />

diese Exklusivität, weil die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass es sich um ein besonders<br />

rares Einzelstück handelt, das<br />

in <strong>kein</strong>em Laden mehr erhältlich ist,<br />

noch viel höher ist.“<br />

Den emotionalen Wert von „Vintage“<br />

<strong>und</strong> Exklusivität kennen natürlich auch<br />

die Onlineshops: „Hier tummeln sich<br />

Einzelstücke von Marken wie Acne über<br />

Balenciaga bis hin zu Chanel: Bei der<br />

Fashionjagd auf Vite EnVogue heißt es<br />

schnell sein, wenn der begehrte Liebling<br />

auf dem Bildschirm auftaucht – denn jedes<br />

Teil gibt es nur ein einziges Mal im<br />

Shop!“, liest man direkt auf der Landingpage<br />

von Vite EnVougue. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

77


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: ID Watch<br />

Cash<br />

mit<br />

Trash<br />

Von Ulrich Klose<br />

Die „ID Watch“: <strong>Luxus</strong>uhren aus<br />

Produktionsabfällen <strong>und</strong><br />

gebrauchten Komponenten<br />

Upcycling: Dabei denken viele<br />

an Kerzenhalter aus alten<br />

Flaschen, Besteckbehälter<br />

aus Korken oder Blumentöpfe<br />

aus ausgemusterten Küchenutensilien.<br />

Mittlerweile hat die<br />

Idee, nicht mehr benötigten<br />

Produkten ein zweites Leben<br />

zu schenken, den <strong>Luxus</strong>markt<br />

erreicht. Wir zeigen Ihnen<br />

einige exquisite Beispiele.<br />

Klassische Symbole für Reichtum wirken<br />

heutzutage oft deplatziert. Das erlebte<br />

2004 der designierte Siemens-Chef<br />

Klaus Kleinfeld. Von ihm existierte ein<br />

Bild, auf dem er eine Rolex trug. Weil<br />

die Presseabteilung öffentliche Kritik<br />

wegen der teuren Uhr befürchtete, retuschierte<br />

sie den edlen Chronographen<br />

einfach heraus, berichtet die Wirtschaftswoche.<br />

Bekannten <strong>Luxus</strong>marken<br />

wird also „gerade der universell gelernte<br />

Wiedererkennungswert zum Verhängnis“,<br />

meinen Holm Friebe <strong>und</strong> Charlotte<br />

Noltenius in einem Beitrag für das Zukunftsinstitut.<br />

<strong>Luxus</strong>artikel sollen besondere<br />

Geschichten erzählen<br />

Statt sofort als <strong>Luxus</strong>artikel erkennbar<br />

zu sein, sollen Premiumprodukte ihre<br />

Exklusivität nun eher durch Details,<br />

aber auch durch besondere Geschichten<br />

unter Beweis stellen. Gerade junge Konsumierende<br />

legen im High-End-Bereich<br />

laut der „Neo Luxury Studie 2025“ der<br />

Beratungsgesellschaft Keylens viel Wert<br />

auf die ökologische <strong>und</strong> soziale <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

der Produkte.<br />

Der Genfer Nicolaus Freudiger hat sich<br />

von diesem Trend für sein Unternehmen<br />

„ID Watch“ zu einem exklusiven<br />

Upcycling-Konzept inspirieren lassen,<br />

schreibt das Migros-Blog. Seine<br />

<strong>Luxus</strong>uhren bestehen komplett aus<br />

Produktionsabfällen <strong>und</strong> gebrauchten<br />

Komponenten. Für die achteckigen Gehäuse<br />

werden Edelstahlreste aus der<br />

Produktion von Präzisionswerkzeugen<br />

eingeschmolzen. Die Uhrwerke genügen<br />

höchsten Ansprüchen, sind aber<br />

gebraucht. Dafür werden alte Mechaniken<br />

der Traditionsmarke ETA instandgesetzt.<br />

Die Armbänder bestehen zu 80<br />

Prozent aus Traubenrückständen, die<br />

bei der Weinbereitung anfallen.<br />

Exklusive Mode aus edelsten Abfällen<br />

Freudiger ist nicht der einzige <strong>Luxus</strong>-Unternehmer,<br />

der die Reichen <strong>und</strong><br />

Schönen mit veredeltem Abfall versorgt.<br />

Die Designerin Ilaria Venturini Fendi<br />

78 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

hat für ihre Linie „Carmina Campus“ bereits,<br />

wie Welt schreibt, „Portemonnaies,<br />

Handtaschen <strong>und</strong> iPad-Hüllen aus Segeltuch-Resten<br />

von Fünf-Sterne-Safari-Zelten,<br />

Fetzen alter Massai-Tücher<br />

oder Plastikflaschen“ entworfen. Aktuell<br />

beschäftigt sie sich mit Sofabezügen.<br />

Im Online-Shop gibt es Shoulder Bags<br />

daraus.<br />

Überhaupt greifen Nobel-Schneider<br />

bei den Upcycling-Rohstoffen gern ins<br />

oberste Regal. Dafür steht etwa seit<br />

über zehn Jahren die Linie „Petit H“ von<br />

Hermès. Sie schenkt Material, das nicht<br />

für die Top-Entwürfe in Frage kommt,<br />

ein neues <strong>Luxus</strong>-Leben. Wenn etwa eine<br />

Croco-Haut falsch gemustert ist oder ein<br />

Seidenschal einen Fleck hat, macht das<br />

Petit-H-Team daraus neue Einzelstücke<br />

zum entsprechenden Preis – vom Beistelltisch<br />

bis zur Tasche.<br />

Design-Möbel mit Vorleben<br />

Designer-Möbel sind typische Statussymbole.<br />

Gerade diese Branche widmet<br />

sich auch intensiv dem Thema Upcycling.<br />

Das Portal für nachhaltige Design-<br />

Produkte „Haus von Eden“ listet eine<br />

Reihe exklusiver Design-Möbel aus<br />

Holz- <strong>und</strong> Industrieabfällen auf. So baut<br />

eine italienische Marke ihre modernistischen<br />

Kreationen beispielsweise aus<br />

Produktionsabfällen aus der Luft- <strong>und</strong><br />

Raumfahrt.<br />

Dagegen finden die belgischen Möbelbauer<br />

von ecoBirdy das Material für ihre<br />

Kreationen bei den späteren Nutzern.<br />

Die Plastikstühle <strong>und</strong> Tischchen fürs<br />

Kinderzimmer waren früher nämlich<br />

Spielzeug. Für die Kindermöbel mit der<br />

charakteristischen, bunt gesprenkelten<br />

Oberfläche hat ecoBirdy eigens ein<br />

spezielles Sortierverfahren entwickelt,<br />

um die Kunststoffe von bislang schlecht<br />

recycelbaren Spielzeugen sortenrein zu<br />

trennen <strong>und</strong> daraus das patentierte Material<br />

Ecothylene herzustellen.<br />

Seidige Kollektionen aus Orangenhaut-Garn<br />

Nicht immer sind die Ausgangsmaterialien<br />

für das Edel-Upcycling allerdings<br />

so exklusiv wie die K<strong>und</strong>schaft.<br />

Manche Modemarken setzen stattdessen<br />

mit Klein-Kollektionen aus „profanem“<br />

Recycling-Garn ein Zeichen<br />

gegen Fast Fashion <strong>und</strong> Ressourcenverschwendung.<br />

Beispielsweise haben<br />

laut Zeit-Magazin Trussardi, Bourgeois<br />

Boheme <strong>und</strong> Boss bereits Accessoires<br />

<strong>und</strong> Sneaker aus dem ledrigen Material<br />

Piñatex präsentiert. Dieses wird aus<br />

Ananas-Abfällen gewonnen. „Salvatore<br />

Ferragamo“ bot wiederum vor einigen<br />

Jahren Schals, Cardigans, Kleider <strong>und</strong><br />

Blusen aus Orange Fiber an. Das seidenartige<br />

Garn wird aus der weißen Orangenhaut<br />

hergestellt, die bei der Saftproduktion<br />

massenhaft anfällt.<br />

Das Material für die Plastikstühle <strong>und</strong><br />

Tischchen von ecoBirdy war früher Spielzeug.<br />

Die statusbewusste K<strong>und</strong>schaft musste<br />

von den Schöpfern der Second-Life-Stoffe<br />

allerdings erst überzeugt werden, weiß<br />

das Zeit-Magazin. Stein des Anstoßes:<br />

Garne wie Piñatex oder Orange Fiber<br />

sind streng genommen Kunstfasern.<br />

Daran muss sich eine an Top-Naturprodukte<br />

wie Seide, Merino oder Kaschmir<br />

gewöhnte Klientel erst gewöhnen.<br />

Alt-Plastik ersetzt Leder in der<br />

100.000-Euro-Limousine<br />

Autokäufer scheinen in dieser Hinsicht<br />

offener zu sein. Audi bietet für das <strong>Luxus</strong>-Elektroauto<br />

e-tron GT eine Sonderausstattung<br />

an, bei der die Lederoberflächen<br />

im Innenraum durch Textilgewebe<br />

aus Recycling-PET ersetzt werden. Auch<br />

die Fußmatten bestehen aus dem Stoff,<br />

der an grobes Leinen erinnert, berichtet<br />

das Elektromobilitätsportal von chip.de.<br />

Damit stellen die Käufer des mindestens<br />

100.000 Euro teuren Gefährts ihre Füße<br />

letztendlich auf alte Plastikflaschen.<br />

Fotos: ecoBirdy / Arne Jennard<br />

Wer ein Ingolstädter Auto mit Recyclingstoffen<br />

kaufen möchte, muss dafür<br />

übrigens nicht mehr ganz so tief in die<br />

Tasche greifen. Bereits im Mittelklassemodell<br />

A3 bestehen die Sitzbezüge<br />

laut Audi inzwischen zu 90 Prozent aus<br />

Recyclingmaterial. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

79


<strong>Luxus</strong><br />

Foto: Кирилл Рыжов / stock.adobe.com<br />

“<br />

Möglichst billig<br />

verreisen muss<br />

aufhören<br />

Die Reisegewohnheiten werden nach Corona deutlich anders aussehen, zeigt sich Touristik-<br />

Experte Urs Weber, Marktverantwortlicher für Schweiz-Tourismus Österreich im Interview überzeugt.<br />

„Die Zeiten, in denen man möglichst billig, möglichst schnell in ein ganz anderes Umfeld<br />

kommt, sind meines Erachtens vorbei. <strong>Nachhaltigkeit</strong> wird mehr <strong>und</strong> mehr aus der Greenie- <strong>und</strong><br />

veganen Ecke rauskommen. Vielen wird bewusst werden, dass es einfach nicht in Ordnung ist,<br />

für 100, 50 oder noch weniger Euro nach Neapel oder London zu fliegen“, kritisiert Weber.<br />

80 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


<strong>Luxus</strong><br />

Menschliche, das wird wieder viel<br />

mehr an Bedeutung gewinnen“, ist sich<br />

Weber sicher.<br />

Genauere Darstellung neuer<br />

Reiseziele<br />

Bahn auf der Überholspur<br />

Weber zeigt sich davon überzeugt, dass<br />

andere Verkehrsmittel, wie etwa die<br />

Bahn, deutlich zulegen werden. „In der<br />

Schweiz haben wir bereits seit langer<br />

Zeit ein hervorragend ausgebautes <strong>und</strong><br />

auch intermodal abgestimmtes Verkehrssystem.<br />

Das bedeutet, dass Anschlüsse<br />

zwischen Bahn, Bus <strong>und</strong> Schiff aufeinander<br />

abgestimmt sind. Zudem kann das<br />

mit dem Swiss Travel Pass – also mit nur<br />

einem einzigen Ticket – benutzt werden.“<br />

„Ein weiterer Vorteil des Tickets ist,<br />

dass auch öffentliche Verkehrsmittel in<br />

90 Städten <strong>und</strong> mehr als 500 Museen<br />

darin inkludiert sind. Ein Großteil der<br />

Bergbahnen gewährt zudem 50 Prozent<br />

Preisnachlass.“ Webers Ansicht nach<br />

holt Österreich übrigens auf. Beim hervorragenden<br />

Nachtzug-Angebot seien<br />

die ÖBB „absoluter Vorreiter“. „Mit dem<br />

ab 2021 geplanten 1-2-3-Ticket wird der<br />

Ersatz des Autos durch Öffis definitiv für<br />

viele eine interessante Option.“<br />

Neue Art des Reisens <strong>und</strong> Erlebens<br />

Der Fachmann sieht in alternativen<br />

Reiseerlebnissen jedenfalls eine große<br />

Chance. „Zu den spannendsten Formen<br />

gehört das ,Volunteering‘, wo man anderen<br />

freiwillig hilft, ganz egal, ob bei der<br />

Renovation einer Schule in Bhutan oder<br />

beim Aufbau einer ordentlichen Trockensteinmauer<br />

in einem Weingarten am<br />

Genfersee.“ Etwas mit Sinn zu machen,<br />

ist aus seiner Sicht der Gipfel des <strong>Luxus</strong><br />

sowie die „oberste – <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

sinnvollste – Art, Urlaubstage zu verbringen<br />

<strong>und</strong> Kraft zu tanken“.<br />

Reisebüros <strong>und</strong> Pauschalreisen werden,<br />

so Weber, weiterhin ihre Berechtigung<br />

haben. „Gerade die tollen Möglichkeiten,<br />

die das Internet bietet, stärken<br />

sogar den bisherigen, alten Vertrieb.“<br />

Vermehrte Bedeutung käme aber persönlichen<br />

Erklärungen, Erfahrungen<br />

von Spezialisten, die selbst schon in einer<br />

Destination waren oder mit Guides<br />

gesprochen haben, zu. „Denn das<br />

Ein Herzenswunsch von Weber wäre,<br />

neben einer besseren medialen Aufwertung<br />

von unbekannteren Reisezielen<br />

auch inhaltlich neue Ideen zu bringen:<br />

„Es wäre eine tolle Idee, am Ende der<br />

Pflichtschule den Abgängern ein Interrail-Ticket<br />

entweder kostenlos oder<br />

stark vergünstigt zur Verfügung zu<br />

stellen. Reisen bildet <strong>und</strong> so lernt man<br />

unseren Kontinent, die Schönheiten,<br />

Eigenheiten, Kulturen wirklich kennen.<br />

Zu viele Menschen machen sich ihr Bild<br />

über die Welt über die populistischen<br />

Gratiszeitungen.“<br />

Weber kritisiert: „Es erscheint mir persönlich<br />

immer noch recht abstrus, mich<br />

st<strong>und</strong>enlang in den Flieger zu zwängen,<br />

in einem Land mit völlig anderer<br />

Geschichte <strong>und</strong> Kultur anzukommen<br />

<strong>und</strong> dort dann zwei Wochen in einem<br />

Refugium zu bleiben, das dem Essen,<br />

der Einrichtung <strong>und</strong> dem Service nach<br />

möglichst dem entspricht, was wir hier<br />

in Europa als <strong>Luxus</strong> bezeichnen.“<br />

Unter diesen Aspekten gehe alles „Lokale“<br />

völlig verloren – mitsamt dem<br />

Gefühl, „ganz weit weg“ zu sein. „Dazu<br />

sind strukturelle Veränderungen nötig.<br />

Dazu gehören unter anderem solide,<br />

glaubwürdige Informationsquellen,<br />

Protagonisten, die ohne Dramatik die<br />

Situation <strong>und</strong> Herausforderungen darstellen“,<br />

erklärt Weber abschließend. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

81


<strong>Luxus</strong><br />

guter<br />

Letzt<br />

Zu<br />

Grafik: strichfiguren.de / stock.adobe.com<br />

Einfluss von<br />

Fälschungen<br />

kulturabhängig<br />

Die Wahrnehmung <strong>und</strong><br />

Bedeutung von Fälschungen<br />

bei <strong>Luxus</strong>gütern unterscheidet<br />

sich je nach<br />

Kulturkreis. Das fand ein<br />

Forscherteam der Penn<br />

State Abington heraus.<br />

„Fälschungsdominanz“<br />

ist die Wahrnehmung,<br />

dass gefälschte Produkte<br />

mehr als 50 Prozent des<br />

Marktanteils beanspruchen“,<br />

sagt Prof. Lei Song.<br />

Es handele sich um ein<br />

Phänomen, das für die <strong>Luxus</strong>modebranche besonders<br />

besorgniserregend sei, weil „gefälschte <strong>Luxus</strong>modemarken<br />

60 bis 70 Prozent des gesamten Handels mit<br />

gefälschten Produkten im Wert von 4,5 Bio. Dollar<br />

<strong>und</strong> ein Viertel des Gesamtumsatzes mit <strong>Luxus</strong>modeartikeln<br />

ausmachen“.<br />

Der Studie zufolge haben Anglo-Amerikaner eine<br />

schwächere sozial-adjustierte Einstellung, verlassen<br />

sich also eher auf Außenstehende wie Menschen auf<br />

der Straße, um sich eine Meinung zu bilden. Dies sei<br />

der Gr<strong>und</strong> für den kulturellen Unterschied in der wahrgenommenen<br />

Qualität <strong>und</strong> der Kaufabsicht.<br />

Asiatische Konsumenten hätten dagegen eine stärkere<br />

sozial-adjustierte Einstellung, bilden ihre Meinung<br />

stärker auf Basis von Ingroups wie dem Fre<strong>und</strong>eskreis<br />

als unter dem Einfluss Außenstehender.<br />

„Manager von <strong>Luxus</strong>modemarken sollten ihre Konsumenten<br />

nach Kulturen segmentieren <strong>und</strong> unterschiedliche<br />

Marketing-Strategien entwickeln, um den Umsatzverlust<br />

durch die Dominanz von Fälschungen zu<br />

beheben“, rät Song den Modehändlern. f<br />

IMPRESSUM<br />

UmweltDialog ist ein unabhängiger Nachrichtendienst<br />

r<strong>und</strong> um die Themen <strong>Nachhaltigkeit</strong> <strong>und</strong> Corporate Social<br />

Responsibility. Die Redaktion von UmweltDialog berichtet<br />

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Lektorat:<br />

Marion Lenzen, Bettina Althaus, Milena Knoop<br />

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82 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de


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