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forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018: Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung

Wasserknappheit ist ein Risiko für Mensch, Umwelt und Wirtschaft, denn weltweit werden wir in wenigen Jahren 50 Prozent mehr Wasser brauchen. forum Nachhaltig Wirtschaften hat sich deshalb auf die Spurensuche gemacht: nach Rückständen im Trinkwasser ebenso wie nach innovativen Lösungen für einen zukunftsfähigen Umgang mit der wertvollsten Ressource des blauen Planeten. Gegen Bevölkerungsexplosion und Umweltzerstörung gibt es nur ein wirksames Mittel: Bildung! forum zeigt Bildungsansätze für das 21. Jahrhundert, berichtet über „Lernen in völliger Freiheit" und warnt vor digitaler Demenz. Und auch der Weltzukunftsrat empfiehlt: Bildung für Erdenbürger! Im forum Doppelheft 2/3 2018, das am 1. September erscheint, spannen die Autoren einen weiten Bogen an wichtigen Themen für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft. Nach dem Hitzesommer aktueller denn je: „Hot in the City" zeigt Ursachen, Konsequenzen und innovative Lösungsansätze zum Problem der immer stärker aufgeheizten Städte. Auch Computer heizen ihre Umgebung auf. forum zeigt die Chancen zum Problem: „Vom Hochleistungsrechner zum Heizkörper". Im Bereich Strategie und Unternehmensführung geht es um Leadership und Mitgefühl, den neuen Film von Wim Wenders und warum Franz von Assisi ein Vorbild für den Papst ist. Darüber hinaus um innovative Effizienznetzwerke sowie Licht und Schatten bei der Getränkeverpackung. Hanf ist mehr als Rausch: Das forum Magazin zerlegt den Rohstoff der Zukunft in alle Bestandteile und zeigt seine vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Weitere inspirierende Beiträge im neuen Heft Eine Frau mit Leidenschaft - Akzente für die Zukunft setzen Gesundheit am Arbeitsplatz - Von der Haltung zur Bewegung Moderne Büros – Keimzellen der Kreativität? Wertschätzung ist Wertschöpfung - Chancen für die Unternehmenskultur Das kleine Schwarze ist jetzt fair - Was kam nach Rana Plaza? Über das Wirtschaftsmagazin forum Nachhaltig Wirtschaften forum Nachhaltig Wirtschaften erscheint im ALTOP-Verlag und berichtet vierteljährlich über neue Entwicklungen, Trends und Erfolgsbeispiele zu gesellschaftlicher und unternehmerischer Verantwortung. Unter www.forum-csr.net finden sich ergänzende Inhalte sowie aktuelle Nachrichten und Termine.

Wasserknappheit ist ein Risiko für Mensch, Umwelt und Wirtschaft, denn weltweit werden wir in wenigen Jahren 50 Prozent mehr Wasser brauchen. forum Nachhaltig Wirtschaften hat sich deshalb auf die Spurensuche gemacht: nach Rückständen im Trinkwasser ebenso wie nach innovativen Lösungen für einen zukunftsfähigen Umgang mit der wertvollsten Ressource des blauen Planeten.


Gegen Bevölkerungsexplosion und Umweltzerstörung gibt es nur ein wirksames Mittel: Bildung! forum zeigt Bildungsansätze für das 21. Jahrhundert, berichtet über „Lernen in völliger Freiheit" und warnt vor digitaler Demenz. Und auch der Weltzukunftsrat empfiehlt: Bildung für Erdenbürger!

Im forum Doppelheft 2/3 2018, das am 1. September erscheint, spannen die Autoren einen weiten Bogen an wichtigen Themen für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft.

Nach dem Hitzesommer aktueller denn je: „Hot in the City" zeigt Ursachen, Konsequenzen und innovative Lösungsansätze zum Problem der immer stärker aufgeheizten Städte.

Auch Computer heizen ihre Umgebung auf. forum zeigt die Chancen zum Problem: „Vom Hochleistungsrechner zum Heizkörper".

Im Bereich Strategie und Unternehmensführung geht es um Leadership und Mitgefühl, den neuen Film von Wim Wenders und warum Franz von Assisi ein Vorbild für den Papst ist.

Darüber hinaus um innovative Effizienznetzwerke sowie Licht und Schatten bei der Getränkeverpackung. Hanf ist mehr als Rausch: Das forum Magazin zerlegt den Rohstoff der Zukunft in alle Bestandteile und zeigt seine vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten.

Weitere inspirierende Beiträge im neuen Heft
Eine Frau mit Leidenschaft - Akzente für die Zukunft setzen
Gesundheit am Arbeitsplatz - Von der Haltung zur Bewegung
Moderne Büros – Keimzellen der Kreativität?
Wertschätzung ist Wertschöpfung - Chancen für die Unternehmenskultur
Das kleine Schwarze ist jetzt fair - Was kam nach Rana Plaza?

Über das Wirtschaftsmagazin forum Nachhaltig Wirtschaften
forum Nachhaltig Wirtschaften erscheint im ALTOP-Verlag und berichtet vierteljährlich über neue Entwicklungen, Trends und Erfolgsbeispiele zu gesellschaftlicher und unternehmerischer Verantwortung. Unter www.forum-csr.net finden sich ergänzende Inhalte sowie aktuelle Nachrichten und Termine.

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EUR 7,50 (D) | EUR 8,- (A) | CHF 12,50 | 2. und 3. Quartal <strong>2018</strong><br />

2+3/<strong>2018</strong><br />

ForumISSN 1865-4266<br />

<strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

Das Entscheider-Magazin<br />

Ein Mann seines Wortes<br />

Papst Franziskus spricht<br />

Klartext über Gott und die Welt<br />

<strong>Wasser</strong> ist Leben<br />

Zeit, dass wir uns darum kümmern<br />

Heat in the City<br />

Städte smart kühlen und heizen<br />

Mehr als Rausch<br />

Die Wunderpflanze Hanf zeigt ihre Stärken<br />

Arbeitsplatz der Zukunft<br />

KI und Roboter verändern unser Berufsleben<br />

Radikal anders<br />

<strong>Bildung</strong> für das 21. Jahrhundert<br />

<strong>02</strong><br />

4 197564 507505


Editorial<br />

OPFER UND TÄTER<br />

Der Sommer <strong>2018</strong> wird in Erinnerung bleiben: Als der Traumsommer am Ba<strong>des</strong>ee – aber<br />

auch als einer der bislang schwerwiegendsten Dürresommer Deutschlands. Ernteausfälle<br />

und eine Destabilisierung von landwirtschaftlichen Betrieben sind die folgenschweren<br />

Auswirkungen <strong>des</strong> extremen Wetters. Was bei uns noch von Versicherungen oder Notfallfonds<br />

getragen wird, ist in anderen Teilen der Welt existenzbedrohend und führt im<br />

schlimmsten Fall zur Flucht …<br />

Doch die Landwirtschaft ist nicht nur Opfer, sondern auch mitverantwortlich für einen<br />

großen Teil der Treibhausgasemissionen. Diese stammen aus der industriellen Massentierhaltung<br />

und deren Futtermitteln. Diese Massentierhaltung verursacht weitere<br />

Probleme: Die Verseuchung von Böden und Grundwasser. Gerade Deutschland ist hier<br />

kein Musterbeispiel: Unter allen 28 EU-Staaten weist das Land die zweithöchste Belastung<br />

<strong>des</strong> Grundwassers durch Nitrat auf. Zeit also für eine radikale Kehrtwende. Zeit<br />

für mehr Bio, weniger Fleischproduktion und weniger Fleischkonsum …<br />

Mehr über unsere Spurensuche in Sachen <strong>Wasser</strong> finden Sie im Schwerpunkt ab Seite 10.<br />

Coverfotos: © Africa Studio, stock.adobe.com | klein: © <strong>2018</strong> Focus Features | S.3 oben: © DLR<br />

Demokratie und Ökologie<br />

Wer die aktuellen Geschehnisse unserer Zeit genau betrachtet, erkennt an vielen Stellen<br />

eine Mischung aus Gleichgültigkeit, Resignation und zunehmender Radikalisierung, die<br />

selbst vor dem amerikanischen Präsidenten nicht Halt macht und zur Erhöhung der<br />

weltweiten Rüstungsausgaben führt …<br />

Deshalb ist es Zeit für eine „radikale Mitte“, wie sie auch <strong>forum</strong> Autor Joe Zammit- Lucia<br />

und sein internationaler Think-Tank Radix fordern. Diese „Mitte“ sind wir, und wir sollten<br />

Politik und gesellschaftliche Entwicklung nicht zunehmend radikalen Kräften in linken und<br />

vor allem rechten Gruppierungen überlassen. Wir sollten unsere wichtigste Errungenschaft,<br />

die Demokratie, aktiv nutzen, wertschätzen und uns „radikal“ dafür einsetzen. Wir<br />

sollten unsere wichtigste <strong>Lebens</strong>grundlage, die Umwelt, aktiv und „radi kal“ bewahren.<br />

Denn gerade in einem Wirtschaftsmagazin gilt es, die Erkenntnis zu verbreiten: „There<br />

is no business on a dead planet.“<br />

Und da wir für gute Nachrichten stehen: Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und<br />

Roboter werden uns das Leben so sehr erleichtern, dass wir zukünftig genügend Zeit<br />

haben werden, uns um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern: Demokratie und<br />

Ökologie.<br />

In diesem Sinne wünschen wir uns ein starkes Engagement der „radikalen Mitte“. Denn<br />

wahre Veränderungen geschehen, wenn wir uns für etwas einsetzen, und nicht wenn<br />

wir nur gegen etwas kämpfen.<br />

Prof. Dr. Maximilian Gege<br />

Vorstandsvorsitzender B.A.U.M. e.V.<br />

Fritz Lietsch<br />

Herausgeber <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

f.lietsch@<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Justin hilft!<br />

Wenn in der Redaktionssitzung die Fetzen<br />

fliegen, kehrt unser Roboter Justin anschließend<br />

die Scherben auf.<br />

Weitere Zukunftsszenarien aus dem<br />

Arbeitsalltag 4.0 finden Sie auf Seite 116.<br />

Prof. Dr. Maximilian Gege (l.) und Fritz Lietsch<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

3


INHALT<br />

10<br />

<strong>Lebens</strong>element <strong>Wasser</strong> macht die Erde<br />

zur wundervollen Heimstatt. 54<br />

Geballte Rechenpower Endlich wird die<br />

Abwärme von Computern sinnvoll genutzt.<br />

THEMEN<br />

3 Editorial<br />

6 Brennpunkt Spurensuche der Bauernmalerei<br />

8 Gute Nachrichten<br />

Schwerpunkt<br />

WASSER – GRUND-<br />

LAGE DES LEBENS<br />

10 <strong>Wasser</strong>knappheit Risiko für Wirtschaft, Mensch<br />

und Umwelt<br />

12 Der Durst der Welt Wir brauchen 50 Prozent mehr<br />

<strong>Wasser</strong><br />

21 Gut zu wissen Sauberes <strong>Wasser</strong> ist ein Menschenrecht<br />

22 Aus deutschen Hähnen Vom Grundwasser zum<br />

Trinkwasser<br />

24 Spurensuche Eine Reportage über vergiftete Brunnen<br />

26 Was bitte ist Bio-Mineralwasser?<br />

32 Das neue <strong>Wasser</strong>-Paradigma Versickern und<br />

verdunsten<br />

36 Ingenieure ohne Grenzen Kamerun braucht „WASH“<br />

Visionen, Aktionen, Innovationen<br />

38 Ein Leitfaden für ethisch-nachhaltige<br />

Immobilieninvestments<br />

41 Die Klimaretter Allianzen für unseren Globus<br />

42 Hot in the City Ursachen, Konsequenzen und<br />

innovative Lösungsansätze<br />

48 Computer laufen heiß Moderne Rechenzentren<br />

können mehr als Rechnen<br />

54 Chance statt Problem Vom Hochleistungsrechner<br />

zum Heizkörper<br />

56 Grüner Drucken Den ökologischen Fußabdruck<br />

reduzieren<br />

59 999 Zeichen ... Der Weg zu überzeugenden<br />

Printlösungen<br />

60 Cradle to Cradle Optimierte Farben sind dem<br />

„Druck“ gewachsen<br />

Strategie und Unternehmensführung<br />

62 Leadership und Mitgefühl Wim Wenders, der<br />

Papst und Franz von Assisi<br />

68 Global denken Die B.A.U.M.-Preisträgerinnen und<br />

Preisträger <strong>2018</strong><br />

70 Holz + Metall Eine nachhaltige Philosophie<br />

77 Jetzt sparen Innovative Effizienznetzwerke<br />

schreiben Zukunft!<br />

4 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


INHALT<br />

Wunderkraut Hanf Eine Pflanze mit<br />

84 vielen Möglichkeiten 116<br />

Kollege Roboter Was machen wir,<br />

während er für uns arbeitet?<br />

80 Flasche gegen Dose Licht und Schatten bei der<br />

Getränkeverpackung<br />

Hanf – Rohstoff mit Zukunft<br />

84 Hanf Mehr als Rausch<br />

88 Grüne Geschäfte Hanf auf dem Weg zum Rohstoff<br />

für die Industrie<br />

90 Vom Banker zum Hanfkönig Mit Vision und<br />

Enthusiasmus<br />

94 Universalgenie Hanf Bestandteile und<br />

Nutzungsmöglichkeiten<br />

96 Der Stoff, aus dem die Träume sind Baumwolle<br />

und Hanf im Vergleich<br />

Arbeiten in und an der Zukunft<br />

100 Eine Frau mit Leidenschaft Akzente für die Zukunft<br />

setzen<br />

104 Gesundheit am Arbeitsplatz Von der Haltung zur<br />

Bewegung<br />

106 Moderne Büros Keimzellen der Kreativität?<br />

116 Berufsleben 4.0 Digitalisierung verändert unsere<br />

Arbeit<br />

120 Wertschätzung ist Wertschöpfung Chancen für die<br />

Unternehmenskultur<br />

<strong>Bildung</strong><br />

122 WeQ Learning Die Neuerfindung von Lernen und<br />

Arbeiten<br />

126 Radikal anders <strong>Bildung</strong> für das 21. Jahrhundert<br />

128 Die Sudbury-Schulen Lernen in völliger Freiheit<br />

132 Manfred Spitzer warnt Digitale Demenz droht<br />

134 Wildnisschulen Lernen in und von der Wildnis<br />

138 Der Weltzukunftsrat empfiehlt <strong>Bildung</strong> für<br />

Erdenbürger<br />

Gesellschaft und Konsum<br />

142 Spieglein, Spieglein an der Wand Wer verhält sich<br />

wie im deutschen Land?<br />

146 <strong>forum</strong> Lifestyle Für Sie entdeckt<br />

148 Das kleine Schwarze ist jetzt fair Was kam nach<br />

Rana Plaza?<br />

152 We are all-One or None Deshalb machen wir Seife<br />

SERVICE<br />

156 Bücher und Filme für den Wandel<br />

Die <strong>forum</strong> Medientipps<br />

158 Events in der Vorschau Veranstaltungen im<br />

Kurz-Portrait<br />

160 B.A.U.M. informiert Nachrichten aus dem<br />

Unternehmernetzwerk<br />

161 Marktplatz Anbieter stellen sich vor<br />

162 Impressum, Nachwort und Ausblick<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

5


BRENNPUNKT<br />

6 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BRENNPUNKT<br />

Fotos: © Klaus Leidorf<br />

Spurensuche<br />

Der Luftbildfotograf Klaus Leidorf filmt die Welt von oben und entdeckt<br />

dabei moderne „Bauernmalerei“. Sie ist Sinnbild für die Nitratbelastung<br />

<strong>des</strong> Grundwassers durch die Landwirtschaft. Auch der<br />

Ausverkauf unserer Landschaft und die dramatische Geschwindigkeit<br />

der Flächenversiegelung erschließt sich Leidorf durch seinen<br />

Blick „von oben“. Siehe dazu auch unser Interview „Spurensuche“<br />

mit Regisseur Lorenz Knauer über die Grundwasserverseuchung in<br />

Bayern und Deutschland.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

7


GUTE NACHRICHTEN<br />

Print Pool GmbH „Drucker <strong>des</strong> Jahres 2017“ in <strong>Nachhaltig</strong>keit!<br />

© Print Pool<br />

Von den Lesern der Fachzeitschrift „Druck & Medien“ ist Matthias Simon von Print Pool in<br />

Taunusstein zum nachhaltigsten Drucker <strong>des</strong> Jahres gewählt worden.<br />

Ressourcen schonen ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit. Der Einsatz von FSC- und<br />

Recyclingpapieren sowie mineralölfreien Biodruckfarben auf Pflanzenölbasis und lösungsmittelfreien<br />

Reinigungsmitteln, isopropylfreier Druck, prozesslose Druckplattenherstellung<br />

und klimaneutraler Versand mit GoGreen sorgen für eine umweltfreundliche und nachhaltige<br />

Printmedienproduktion. „Das passt perfekt in die Umweltbilanzen unserer Kunden“, erklärt<br />

Geschäftsführer Matthias Simon.<br />

www.printpool.de<br />

© Speick<br />

Sonderausstellung „90 Jahre SPEICK Naturkosmetik“<br />

Vom Feinseifenwerk zum Naturkosmetik-Spezialisten: 1928 beginnt die überschäumende Erfolgsgeschichte<br />

von SPEICK Naturkosmetik mit dem Aushängeschild <strong>des</strong> Stuttgarter Familienunternehmens,<br />

der klassischen Speick Seife. Die lachsfarbene Seife mit dem charakteristischen Duft und Wirkstoff der<br />

Speick-Pflanze aus den Kärntner Nockbergen ist damals eine kosmetische Revolution, gilt sie doch der<br />

Körperpflege und nicht nur der Reinigung. <strong>2018</strong> ist das Sortiment auf ca. 130 Produkte angewachsen.<br />

Ab dem 13. September <strong>2018</strong> erhalten Besucher einer fünfwöchigen Sonderausstellung im Stadtpalais<br />

Stuttgart spannende Einblicke in die Unternehmensgeschichte und die Seifenproduktion. Besonderes<br />

Highlight: An den Aktionstagen wird die Seifenproduktion ins Museum verlagert, so dass jeder Besucher seine selbst geschnittene<br />

und gestempelte Speick Natural Seife mit nach Hause nehmen kann.<br />

www.speick.de<br />

© PAPACKS®<br />

Plastikverpackungen werden in Zukunft teuer<br />

Ursachen dafür sind Plastiksteuer, hohe Entsorgungskosten, teurere Rohstoffkosten und anstehende<br />

bzw. bereits existierende Importverbote mit Plastikverpackungen in viele Länder.<br />

Logistik- oder Transport-Verpackungen aus umweltfreundlichen, recycelbaren und nachwachsenden<br />

Rohstoffen erfreuen sich heute großer Nachfrage und lösen Plastik oder Polystyrol<br />

ohne deren Nachteile ab. PAPACKS® Faserguss ist ein Material aus natürlichen Fasern, das in jede<br />

gewünschte Form gebracht werden kann, um verschiedenste Produkte sicher zu transportieren<br />

und zu verpacken. PAPACKS® Faserguss bietet gegenüber Plastik oder Polystyrol entscheidende Vorteile beim Brandschutz,<br />

ist flammhemmend, einfach nest- und stapelbar und benötigt dadurch ein Vielfaches weniger Platz bei der Lagerung.<br />

www.papacks.com<br />

© nu organics GmbH<br />

nucao setzt grünes Zeichen: Ein Baum pro Riegel!<br />

Das Start-up hinter dem smarten Schokoriegel nucao setzt ein deutliches Zeichen<br />

für nachhaltiges <strong>Wirtschaften</strong>. Seit März <strong>2018</strong> wird pro verkauftem Riegel ein Baum<br />

in Zusammenarbeit mit der Aufforstungs-Organisation Eden Projects gepflanzt. „Es<br />

reicht nicht mehr nur ressourcenschonend und ökologisch zu wirtschaften”, so der Mitgründer<br />

von nu organics, Christian Fenner. „Wir müssen proaktiv handeln, um CO 2<br />

aus<br />

der Luft zu holen und Mensch und Tier in den Rodungsgebieten die <strong>Lebens</strong>grundlage<br />

zurückzugeben.” Durch das rasante Wachstum in der deutschen Bio-Branche konnte<br />

nucao bisher schon über 100.000 Mangroven in Madagaskar pflanzen. Die Folgen sind<br />

vielfältig: Mehr Biodiversität, weniger Erosion, mehr Artenvielfalt, fruchtbare Böden<br />

für Landwirtschaft und Jobs für die lokale Bevölkerung. nucao setzt auch in weiteren<br />

Bereichen auf ganzheitliche <strong>Nachhaltig</strong>keit. Der vegane Powerriegel ist in kompostierbarer Folie aus Zellulose verpackt und<br />

besteht aus direkt gehandeltem Rohkakao aus Peru sowie einer Handvoll weiteren Bio-Zutaten.<br />

www.nucao.de/projekt<br />

8 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GUTE NACHRICHTEN<br />

© Back Market<br />

Ein zweites Leben für Elektrogeräte<br />

Back Market ist einer der ersten<br />

Marktplätze für wiederaufbereitete<br />

Elektrogeräte in Europa. Über seine<br />

E-Commerce-Seite verkauft das<br />

Unternehmen ausschließlich von<br />

zertifizierten Partnerwerkstätten<br />

generalüberholte Produkte, unter<br />

anderem auch exklusiv von Apple<br />

selbst wiederaufbereitete iPhones.<br />

Jährlich landen weltweit etwa 45<br />

Millionen Tonnen Elektroschrott<br />

im Müll. Laut Global E-Waste Monitor 2017 wurden in Deutschland 2016 pro<br />

Kopf 22,8 kg und insgesamt 1,9 Mio. Tonnen Elektromüll produziert. Genau hier<br />

setzt Back Market an und will Kunden davon überzeugen, statt eines Neugerätes<br />

ein gleichwertiges, wiederaufbereitetes Produkt zu kaufen und damit sowohl<br />

CO 2<br />

-Emissionen als auch Elektroschrottmengen zu reduzieren.<br />

www.backmarket.de<br />

Abfallvermeidung durch Wiederverwendung<br />

© Müä<br />

© Etiket Schiller<br />

Content-Managerin Claudia Fenzl von der<br />

Firma MÜÄ ist davon überzeugt – <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

beginnt bereits beim Versand.<br />

Das Konzept, gebrauchte Kartonagen<br />

anzukaufen und diese dem Kunden aufbereitet<br />

weiterzugeben trägt dazu bei, die<br />

Menge der täglich entsorgten Kartons zu<br />

reduzieren. Mit dem „Reseller-Prinzip“<br />

Kartonagen wiederzuverwenden unterstützt<br />

das Unternehmen den Umweltschutz und hilft somit täglich, CO 2<br />

und<br />

Müll einzusparen. MÜÄ ist ständig auf der Suche nach neuen Lieferanten, die<br />

ungenutzte oder gute gebrauchte Kartonagen zur Verfügung stellen und somit<br />

das Prinzip unterstützen.<br />

www.mueae.de<br />

Etiket Schiller: Kompostierbare Etiketten<br />

Etiket Schiller bietet biologisch abbaubare<br />

Etiketten aus nachwachsenden<br />

Rohstoffen an. Markeninhaber können<br />

damit hochwertige Produkte wie Bio-<strong>Lebens</strong>mittel<br />

oder Getränke mit einer vollständig<br />

kompostierbaren Verpackung<br />

anbieten. Die nachhaltigen Selbstklebeetiketten<br />

sind für den Kontakt mit trockenen,<br />

nicht fetthaltigen <strong>Lebens</strong>mitteln<br />

zugelassen und lassen sich direkt auf Obst oder Gemüse kleben. Das Etikettenmaterial<br />

und der Klebstoff sind biologisch abbaubar, kompostierbar und tragen<br />

das „OK Compost“-Zertifikat der EU-Verordnung EN 13432. Etiket Schiller berät<br />

Kunden individuell zu jeweiligen Anwendungsfällen.<br />

www.etiket-schiller.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Auf die Farbe kommt es an<br />

Schimmel mit<br />

Kalk vorbeugen!<br />

■ frei von Konservierern<br />

■ schimmelvorbeugend<br />

■ atmungsaktiv<br />

■ ideal für Allergiker<br />

Jetzt auf<br />

www.LEINOS.de<br />

informieren!<br />

Von NATUR aus GUT<br />

Reincke Naturfarben GmbH<br />

Industriestraße 3 / 21640 Horneburg<br />

Tel.: +49 (0) 41 63 - 86 74 7-0<br />

9


WASSER<br />

<strong>Grundlage</strong> <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong><br />

Bis 2050 werden die Menschen auf der Erde 55<br />

Prozent mehr Trinkwasser benötigen als wir heute<br />

haben. Ein Drittel der Weltbevölkerung lebt bereits<br />

in Gegenden, in denen <strong>Wasser</strong> knapp ist, und fast<br />

eine Milliarde Menschen hat keinen Zugang zu<br />

sauberem Trinkwasser. Zudem herrschen in einigen<br />

der fruchtbarsten Anbaugegenden der Welt zunehmend<br />

Dürreperioden. Zu diesen ernüchternden<br />

Erkenntnissen kam der „Global Risks Report 2015“<br />

<strong>des</strong> Weltwirtschafts<strong>forum</strong>s. <strong>Wasser</strong>knappheit stand<br />

damit zum vierten Mal auf der jährlichen Liste der<br />

bedrohlichsten Risiken für Volkswirtschaften, Umwelt<br />

und Menschen und zum ersten Mal auf dem<br />

Spitzenplatz. Doch nicht nur für uns – auch für die<br />

Bewohner der Ozeane wird es eng, denn auch hier<br />

hinterlässt der Mensch seine dramatischen Spuren.<br />

Grund genug, dem kostbaren Nass ein Special zu<br />

widmen.<br />

In wie vielen Ländern kann man noch <strong>Wasser</strong> aus Flüssen trinken?<br />

In wie vielen Ländern kann man noch <strong>Wasser</strong> aus dem <strong>Wasser</strong>hahn<br />

trinken? Wann hören auch wir auf, unser Grundwasser immer weiter<br />

zu verschmutzen? Antworten auf diese Fragen finden Sie auf den<br />

kommenden Seiten.<br />

Foto: © Fotolia, arttim<br />

10 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

11


DER DURST DER WELT<br />

Verschwendet, verschmutzt und verramscht: <strong>Wasser</strong> wird weltweit immer knapper. Schon warnen Experten<br />

vor lebensbedrohenden Engpässen. Dabei könnten innovative Verfahren helfen, die Misere zu entschärfen.<br />

Eine Spurensuche.<br />

Von Stefan Schmortte<br />

Kalifornien im Mai 2013<br />

Im Sonnenstaat Amerikas herrscht die schlimmste Dürre seit<br />

1.200 Jahren. Der einst so mächtige Colorado River, an <strong>des</strong>sen<br />

Tropf die Metropolen Las Vegas, Los Angeles und San Diego<br />

hängen, vertrocknet, noch bevor er seine Mündung in Mexiko<br />

erreicht. Die Regierung ordnet drastische Maßnahmen<br />

an. Erst im April 2017 erklärt Gouverneur Jerry Brown den<br />

Notfall für beendet. Um gleich danach die Warnung hinterherzuschicken,<br />

dass die nächste Dürre schon sehr bald folgen<br />

könne. Hundert Millionen Bäume hat die Katastrophe binnen<br />

fünf Jahren das Leben gekostet.<br />

China im April 2014<br />

Nach drei Jahrzehnten ungebremsten Wachstums leidet das<br />

Reich der Mitte unter akutem <strong>Wasser</strong>mangel. Die amtliche<br />

Nachrichtenagentur Xinhua muss erstmals einräumen, dass<br />

inzwischen 60 Prozent <strong>des</strong> Grundwassers so hoffnungslos verseucht<br />

sind, dass es nicht mehr zum Trinken taugt. Von den<br />

einst 50.000 Flüssen im Land der Morgenröte ist die Hälfte<br />

verschwunden – leergesaugt vom unstillbaren <strong>Wasser</strong>durst<br />

einer beispiellosen Industrialisierungswelle, die den Fernost-Staat<br />

in Rekordzeit in den Stand einer wirtschaftlichen<br />

Supermacht katapultiert hat.<br />

Foto: © DERtours<br />

12 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

Italien im August 2017<br />

Die Regierung in Rom ruft für die Provinzen Parma und Piacenza,<br />

Latium und Umbrien den Notstand aus. Auch in der<br />

südlichen Toskana hat es seit März nur ein paar Tropfen geregnet,<br />

in Teilen Kampaniens seit anderthalb Jahren gar nicht<br />

mehr. Die Menschen im Stiefelstaat sitzen so dermaßen auf<br />

dem Trockenen, dass ihnen mancherorts jeglicher <strong>Wasser</strong>verbrauch,<br />

der nicht unbedingt haushaltsnotwendig ist, zwischen<br />

8 und 21 Uhr verboten wird. Selbst die Spülmaschinen<br />

in den Küchen, so wollen es die kaum zu kontrollierenden<br />

Notstandsverordnungen der Provinzen und Kommunen,<br />

sollen nur noch randvoll betrieben werden.<br />

„Denn die Verfügbarkeit von sauberem<br />

<strong>Wasser</strong> ist kein einzelstaatliches<br />

Problem, sondern stellt eine globale<br />

Herausforderung dar.“<br />

Stefan Rummel, Messe München<br />

Was klingt wie der Auftakt eines Katastrophenfilms made in<br />

Hollywood, ist alles andere als übertriebene Panikmache.<br />

<strong>Wasser</strong>, der Grundstoff allen <strong>Lebens</strong> und nach neuesten<br />

wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar älter als das Sonnensystem<br />

selbst, wird immer knapper. In Afrika sowieso,<br />

aber zunehmend auch in Ländern wie den USA, in China<br />

und sogar in Europa. Für Spanien und Griechenland etwa<br />

taxieren Experten <strong>des</strong> World Ressources Institute das <strong>Wasser</strong>mangel-Risiko<br />

inzwischen als „extrem hoch“.<br />

Weltweit werden nach Prognosen der Organisation für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon<br />

im Jahr 2<strong>03</strong>0 fast 50 Prozent der Bevölkerung in sogenannten<br />

High-Water-Stress-Regionen leben. Also in Gegenden,<br />

in denen mehr <strong>Wasser</strong> verbraucht wird, als zur Verfügung<br />

steht. „Zu meinem Amtsantritt vor gut zehn Jahren“, sagt<br />

OECD-Generalsekretär Angel José Gurría, „hat keiner verstanden,<br />

warum ich unbedingt über <strong>Wasser</strong> reden wollte.<br />

Heute versteht das jeder.“<br />

Das Thema gilt unter Experten mittlerweile als dermaßen<br />

brisant, dass es auf mittlere Sicht sogar die CO 2<br />

-Problematik<br />

in den Schatten stellen könnte. Kein Wunder <strong>des</strong>halb, dass<br />

Technologien zur Ressourcenschonung, zum <strong>Wasser</strong>schutz<br />

und seiner Wiederaufbereitung heute mehr denn je im Fokus<br />

<strong>des</strong> öffentlichen Interesses stehen – so vor allem auf der<br />

Ifat, der weltweit führenden Messe für <strong>Wasser</strong>-, Abwasser-,<br />

Abfall- und Rohstoffwirtschaft.<br />

„Mit unseren Partnerveranstaltungen in China, Indien, der<br />

Türkei und Südafrika sind wir mit der Ifat heute weltweit<br />

unterwegs“, sagt Messe-München-Geschäftsführer Stefan<br />

Rummel. „Denn die Verfügbarkeit von sauberem <strong>Wasser</strong> ist<br />

kein einzelstaatliches Problem, sondern stellt eine globale<br />

Herausforderung dar.“<br />

Zwar hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />

das Recht auf <strong>Wasser</strong> in ihrer Resolution 64/292 im Juli<br />

2010 als Menschenrecht anerkannt, aber das ist in vielen<br />

Teilen der Welt auch sieben Jahre danach noch immer mehr<br />

Wunsch denn Wirklichkeit. Nach Angaben der Caritas beziehen<br />

aktuell 768 Millionen Menschen ihr Trinkwasser aus<br />

verunreinigten Quellen.<br />

„3.600 Kinder sterben täglich, weil ihnen sauberes <strong>Wasser</strong><br />

und eine sanitäre Grundversorgung fehlen“, sagt Peter Neher,<br />

Präsident <strong>des</strong> deutschen Caritas-Verban<strong>des</strong>. Und es sieht<br />

ganz so aus, als würde sich die Misere eher noch verschlimmern<br />

als verbessern. Zum Beispiel in Lima, Hauptstadt Perus<br />

und mit ihren zehn Millionen Einwohnern die trockenste<br />

Mega-City der Welt. In der Hoffnung auf ein besseres Leben<br />

strömen je<strong>des</strong> Jahr Tausende Menschen aus den anliegenden<br />

Bergen und Provinzen in die Metropole, in der im Jahresschnitt<br />

nur neun Liter Regen pro Quadratmeter fallen. Zum<br />

Vergleich: In München sind es etwa 1.000 Liter.<br />

Vier Fünftel <strong>des</strong> Abwassers fließen ungeklärt in den Pazifik<br />

und die Flüsse <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>. Eine Million Siedler in den wild<br />

wuchernden Außenbezirken Limas sind weder an die <strong>Wasser</strong>versorgung<br />

noch an die Kanalisation angeschlossen. „Aguateros“,<br />

die Tankwasserfahrer, versorgen die Bevölkerung dort<br />

mit dem Nötigsten.<br />

Verglichen damit, befindet sich Deutschland in einer überaus<br />

komfortablen Situation. Nur 25,1 Milliarden Kubikmeter<br />

der jährlich von der Natur zur Verfügung gestellten 188 Milliarden<br />

Kubikmeter Frischwasser werden nach der Statistik<br />

<strong>des</strong> Umweltbun<strong>des</strong>amtes hierzulande von Landwirtschaft,<br />

Industrie und Haushalten verbraucht. Und auch der Privatkonsum<br />

liegt mit 123 Litern pro Kopf und Tag dank sparsamer<br />

Armaturen und Haushaltsgeräte rekordverdächtig niedrig.<br />

Doch das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit.<br />

„Unser tatsächlicher <strong>Wasser</strong>verbrauch beträgt pro Kopf<br />

und Tag ungefähr 5.300 Liter, also ein Vielfaches davon“,<br />

sagt Martin Geiger, Leiter der Abteilung <strong>Nachhaltig</strong>keit bei<br />

der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft<br />

(DEG), die als Tochter der KfW-Bankengruppe Investitionen<br />

privater Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern<br />

finanziert.<br />

5.300 Liter pro Kopf und Tag, diese Menge ist erforderlich,<br />

um alle jene Waren zu produzieren, die wir täglich konsumieren<br />

– von der Tasse Kaffee bis hin zum Mikrochip in<br />

unseren Smartphones. Allein die Produktion eines Baumwoll-T-Shirts<br />

verschlingt nach Berechnungen der Organisation<br />

Water Footprint Network knapp 2.500 Liter <strong>Wasser</strong>,<br />

ein Kilo Rindfleisch mehr als 15.000 Liter und vier Tafeln<br />

Schokolade gleichen Gewichts sogar gut 17.000 Liter. „Es<br />

ist dieser virtuelle <strong>Wasser</strong>abdruck, der Deutschland heute<br />

zu einem der größten <strong>Wasser</strong>importeure der Welt macht“,<br />

sagt DEG-Experte Geiger.<br />

Die Verlandung <strong>des</strong> Aralsees in Usbekistan, noch vor 50<br />

Jahren mit 67.000 Quadratkilometern das viertgrößte Binnengewässer<br />

der Welt, wo die Schiffe mittlerweile vielerorts<br />

auf dem Trockenen liegen, hat mit unseren <strong>Lebens</strong>gewohnheiten<br />

<strong>des</strong>halb sehr viel mehr zu tun, als uns lieb sein kann.<br />

„Ein Teil der Baumwolle für unsere Jeans, die in China oder<br />

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13


Grafik: © MM Messe München Magazin <strong>02</strong>/2017<br />

14 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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15


SCHWERPUNKT | WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS<br />

Bangla<strong>des</strong>ch weiterverarbeitet wird, kommt aus eben dieser<br />

Region“, sagt Geiger.<br />

„Ein Beispiel, das zeigt, wie durch den globalen Handel<br />

mit wasserintensiven Agrarprodukten das kostbare Nass<br />

in die falsche Richtung fließt. Von den wasserarmen in die<br />

wasserreichen Regionen. Die DEG prüft bei jedem von ihr<br />

finanzierten Investitionsvorhaben unter Anwendung eines<br />

mit der Umweltschutzorganisation WWF entwickelten <strong>Wasser</strong>risiko-Filters<br />

<strong>des</strong>halb sehr genau, ob die wasserbezogenen<br />

Risiken ausreichend berücksichtigt sind und inwieweit das<br />

<strong>Wasser</strong>management verbessert werden kann.“<br />

In ihren eigenen Werken haben die deutschen Unternehmen<br />

das Problem ziemlich gut im Griff, sowohl im In- als auch im<br />

Ausland. Kein Dax-Unternehmen, das dem Thema im Rahmen<br />

seiner Corporate-Social-Responsibility-Strategie (CSR) nicht<br />

große Aufmerksamkeit schenken würde. Der Gesamtwassereinsatz<br />

im Bayer-Konzern etwa sank 2016 weltweit um 4,8<br />

Prozent auf 330 Millionen Kubikmeter, gegenüber 2012 eine<br />

Einsparung von gut 14 Prozent. Und Henkel meldet für das<br />

abgelaufene Geschäftsjahr sogar eine Reduktion <strong>des</strong> <strong>Wasser</strong>verbrauchs<br />

um 23 Prozent – berechnet auf das Basisjahr<br />

2010 – für eine Tonne Produkt.<br />

Es liegt in unser aller Verantwortung,<br />

mit den Ressourcen <strong>Wasser</strong> und Energie<br />

verantwortungsvoll umzugehen.<br />

Michael Rauterkus, CEO Grohe AG<br />

„Entscheidend ist für uns dabei nicht nur die Frage, wie<br />

viel <strong>Wasser</strong> wir insgesamt einsparen, sondern an welchen<br />

Standorten uns das gelingt“, sagt Uwe Bergmann, Head of<br />

Substainability Management beim Düsseldorfer Konsumgüterkonzern.<br />

„Denn anders als bei der Verringerung von<br />

CO 2<br />

-Emissionen, die dem Klimaschutz insgesamt zugutekommt,<br />

ist <strong>Wasser</strong>management immer eine lokale und auch<br />

saisonale Herausforderung. Wir müssen <strong>Wasser</strong> vor allem<br />

dort einsparen, wo die Ressource schon heute besonders<br />

knapp ist.“ Zum Beispiel in Ägypten. Dort wird Henkel nahe<br />

Kairo bald eine neue „Smart Factory“ für Flüssigwaschmittel<br />

in Betrieb nehmen, die über die klassische Verfahrenstechnik<br />

hinaus (minus 47 Prozent Frischwassereinsatz pro<br />

Tonne Produkt innerhalb von zehn Jahren) jetzt noch weitere<br />

Einsparpotenziale heben soll. „Durch die Implementierung<br />

neuester Messsysteme können wir den <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

dort in Echtzeit kontrollieren“, sagt Bergmann. „Das garantiert<br />

uns eine noch kleinteiligere Sicht auf die Dinge, um etwa<br />

die unterschiedlichen Produktionsstandorte noch besser<br />

miteinander zu vergleichen und künftig noch mehr <strong>Wasser</strong><br />

einzusparen.“ An der Technik dafür mangelt es nicht – auch<br />

wenn das kostbare Nass vielerorts noch immer verschwendet,<br />

verschmutzt und verramscht wird. Auf der Ifat, die als<br />

weltweit größtes Schaufenster der Branche die innovativsten<br />

Konzepte vorstellt, präsentieren die Aussteller für fast je<strong>des</strong><br />

Problem eine Lösung.<br />

Zum Beispiel der Abwasserspezialist Huber aus Berching in<br />

der Oberpfalz. Mit mehr als 40.000 installierten Anlagen<br />

weltweit zählt das Unternehmen heute zu einem der international<br />

führenden Anbieter für die <strong>Wasser</strong>aufbereitung,<br />

Abwasserreinigung und Schlammbehandlung. Gut 700 Mitarbeiter<br />

entwickeln am Firmenstammsitz maßgeschneiderte<br />

Produkte und Systemlösungen für Industriebetriebe und<br />

auch Kommunen.<br />

So entsteht in der kolumbianischen Millionenmetropole<br />

Medellin unter Führung von Huber zurzeit eine der größten<br />

Klärschlammverwertungsanlagen weltweit. Mit einer Kapazität<br />

von 400 Tonnen täglich. Und in Regensburg baut das<br />

Unternehmen für das Museum der Bayerischen Geschichte<br />

gerade ein „ThermWinR“ genanntes System auf, das es künftig<br />

ermöglichen wird, das Gebäude im Herzen der Stadt mit<br />

Abwasser zu heizen und auch zu kühlen.<br />

„Uns geht es immer um eine intelligente Gesamtlösung“,<br />

sagt Firmenchef Georg Huber. „Wir müssen Klärschlämme<br />

thermisch verwerten und die dabei erzeugte Energie für die<br />

Schlammtrocknung selbst nutzen, also möglichst energieautark<br />

arbeiten. Und wir müssen Abwässer so weit aufbereiten,<br />

dass sie als hochwertiges Brauchwasser erneute Verwendung<br />

finden können.“<br />

„Close the Loop“ heißt die Herausforderung, der sich nicht<br />

nur die Manager in Berching stellen. Denn die kluge Wiederverwertung<br />

von Abwasser spart kostbares Trinkwasser und<br />

spielt <strong>des</strong>halb eine Schlüsselrolle bei der Lösung der weltweiten<br />

Probleme. „Abwasser ist eine wertvolle Ressource<br />

in einer Welt, in der das <strong>Wasser</strong> endlich ist und der Bedarf<br />

an Trinkwasser wächst“, sagt Guy Ryder, Vorsitzender der<br />

UN-<strong>Wasser</strong>kommission.<br />

Weil Abwasser wertvolle thermische und chemische Energie<br />

in Form von Kohlenstoffverbindungen enthält, ist sein<br />

Recycling mehr als nur sinnvoll – auch hier in Deutschland.<br />

„Abwasser ist kein Abfall“, sagt etwa Witold-Roger Poganietz,<br />

Forschungsbereichsleiter am Karlsruher Institut für Technologie<br />

(KIT). „Das warme Abwasser aus Waschmaschine und<br />

Bad lässt sich im Haus nutzen, um etwa frisches <strong>Wasser</strong> zum<br />

Duschen vorzuwärmen.“<br />

Nur ein kleines Beispiel dafür, wie kluge Technologien helfen,<br />

verantwortungsvoll mit der knappen Ressource umzugehen.<br />

Und auch ein Beispiel dafür, warum die Nachfrage nach entsprechenden<br />

Lösungen weltweit wächst. So hat China nach<br />

Jahrzehnten eines rücksichtslosen Raubbaus an der Natur<br />

bereits 2015 sein sogenanntes Sponge-City- Programm gestartet<br />

– das Schwammstadt- Programm. Die Idee dahinter:<br />

Statt die Metropolen noch weiter zu verdichten, investiert<br />

der Staat bis <strong>2018</strong> nun knapp fünf Milliarden Euro in die<br />

wassersensible Stadtentwicklung. Mit Reservoirs, Filtrationsbecken<br />

und Straßen, die mit wasserdurchlässigen Belägen<br />

ausgestattet werden sollen.<br />

Ähnlich einsichtig zeigen sich die Politiker in Indien. Eines<br />

ihrer aktuell wichtigsten Projekte firmiert unter dem Namen<br />

„Namami Gange“ – „Ehrerbietung an den Ganges“. Der mit<br />

gut 2.600 Kilometern längste Strom <strong>des</strong> Subkontinents nimmt<br />

16 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

täglich Milliarden Liter nicht oder nur unzureichend geklärte<br />

Abwässer auf und zählt zu den schmutzigsten Gewässern der<br />

Welt. Insgesamt 2,8 Milliarden Euro stellt die Regierung jetzt<br />

bereit, um den heiligen Fluss der Hindus zu säubern – mit<br />

neuen Kläranlagen und dem Ausbau bestehender Betriebe.<br />

„Wir schätzen den Investitionsbedarf auf dem Weltwassermarkt<br />

auf etwa 400 bis 500 Milliarden Euro pro Jahr“, sagt Eric<br />

Heymann, Umwelt- und Klimaexperte im Research-Team der<br />

Deutschen Bank. „Für die Hersteller von <strong>Wasser</strong>technologien<br />

besteht in den nächsten Jahrzehnten <strong>des</strong>halb ein enormes<br />

Absatzpotenzial.“<br />

Ein Trend, von dem der Dortmunder Maschinenbauer Wilo,<br />

weltweit führend im Bereich Pumpentechnik und ein echtes<br />

Vorzeigeunternehmen unter den deutschen Hidden Champions,<br />

schon heute stark profitiert. Die Hocheffizienzpumpen<br />

aus dem Ruhrgebiet sind überall dort im Einsatz, wo <strong>Wasser</strong><br />

bewegt werden muss. Im Ein- und Mehrfamilienhaus, in der<br />

industriellen Fertigung oder im Kühlkreislauf von Kraftwerken.<br />

Die kleinste Pumpe misst gerade mal dreißig Zentimeter,<br />

die größte kommt auf 15 Meter. Gut 1,3 Milliarden Euro<br />

setzte das Unternehmen in seinen Geschäftsfeldern „Building<br />

Services“, „Water Management“ und „Industry“ 2016 um,<br />

fremdwährungs- bereinigt ein Plus von knapp vier Prozent<br />

gegenüber dem Vorjahr. Doch damit ist die Erfolgsgeschichte<br />

für Wilo-Vorstandschef Oliver Hermes noch lange nicht beendet.<br />

Bis 2<strong>02</strong>0 will er die Erlöse mit seinen 7.600 Mit- Arbeitern<br />

weltweit auf über zwei Milliarden Euro steigern.<br />

Nicht zuletzt aufgrund der deutlich steigenden Nachfrage<br />

aus dem asiatisch- pazifischen Raum, insbesondere aus<br />

China – schon im abgelaufenen Geschäftsjahr mit einem<br />

währungsbereinigten Umsatzplus von 13,2 Prozent der<br />

größte Wachstumstreiber.<br />

Aus München in die Welt<br />

Ein Porträt der Weltleitmesse für <strong>Wasser</strong>-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft<br />

Fotos: © Messe München<br />

Einst nur von einer kleinen Familie von Abwasserspezialisten besucht,<br />

ist die IFAT heute der weltweit wichtigste Treff der Umweltbranche.<br />

Und ein Beispiel dafür, wie die Messe München auch<br />

inter national Verantwortung übernimmt.<br />

Begonnen hat alles 1966, seinerzeit noch unter dem Titel „Internationale<br />

Fachmesse für Abwassertechnik“. 147 Aussteller aus neun Ländern<br />

präsentierten vor gut 50 Jahren zum ersten Mal ihre Lösungen<br />

für eine ressourcenschonende <strong>Wasser</strong>wirtschaft. Zu einer Zeit, als<br />

die Grünen noch in die Grundschule gingen und Umweltschutz ungefähr<br />

so populär war wie Windkrafträder und Müsliriegel. Gerade mal<br />

10.000 Besucher interessierten sich 1966 für das Thema, eine kleine<br />

Familie von deutschen Abwasserfachleuten. Heute kommen die gut<br />

3.300 Aussteller der IFAT in München aus knapp 60 Ländern weltweit,<br />

und auch die Besucherzahlen haben sich seitdem weit mehr als<br />

verzehnfacht. Eine Bilanz, die zeigt, wie visionär die Messegründung<br />

vor gut 50 Jahren war. Und auch ein Beleg dafür, dass die <strong>Wasser</strong>wirtschaftsprobleme<br />

heute mehr denn je im Fokus <strong>des</strong> öffentlichen<br />

Interesses stehen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.<br />

Die Messe München hat die IFAT in den vergangenen Jahren <strong>des</strong>halb<br />

konsequent internationalisiert – mit Auslandsveranstaltungen<br />

in der Türkei, in Südafrika, Indien und China, wo mittlerweile sogar<br />

zwei Messetermine im Kalender stehen – in Shanghai und im 1.500<br />

Kilometer südlich gelegenen Guangzhou nahe Hongkong.<br />

„Seit die Regierung in Peking dem Gewässerschutz eine immer größere<br />

Bedeutung einräumt und mit ihrem Sponge-City-Programm bis<br />

<strong>2018</strong> nun knapp fünf Milliarden Euro in die wassersensible Stadtentwicklung<br />

investieren will, wächst das Geschäftspotenzial auch für<br />

ausländische Lösungsanbieter enorm“, sagt Xu Jia, Deputy Managing<br />

Director der Messe München am Standort Shanghai. „Für internationale<br />

Unternehmen, die den chinesischen Markt erobern wollen, sind<br />

unsere Messen <strong>des</strong>halb ein Muss.“ Gleiches gilt für die Veranstaltung<br />

in Indien und auch für die Messe im afrikanischen Johannesburg, auf<br />

der Aussteller und Besucher Antworten auf die drängendsten Umweltprobleme<br />

<strong>des</strong> Kontinents suchten. „Die IFAT Africa hat sich zum<br />

Treffpunkt für alle entwickelt, die zur Bewältigung der <strong>Wasser</strong>krise<br />

beitragen wollen. Lösungen für ein ressourcenschonen<strong>des</strong> <strong>Wasser</strong>management<br />

und die <strong>Wasser</strong>aufbereitung sind in Südafrika aktuell<br />

besonders gefragt und notwendig“, sagt Katharina Schlegel, Projektleiterin<br />

der IFAT Auslandsmessen bei der Messe München.<br />

So ist die IFAT alles in allem heute ein weltweit immer wichtigerer<br />

Branchentreff – mit dem Ziel, die <strong>Lebens</strong>- und Umweltqualität zu<br />

wahren und zu steigern. Für die Zukunft unseres Planeten.<br />

Hinweis: Die nächste IFAT findet vom 4. bis 8. Mai 2<strong>02</strong>0 in München<br />

statt, die nächsten Auslandsveranstaltungen vom 18. bis 20. September<br />

<strong>2018</strong> in Guangzhou (IE expo Guangzhou) sowie vom 15. bis 17. Oktober<br />

<strong>2018</strong> in Mumbai (IFAT India).<br />

www.ifat-worldwide.com<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

17


SCHWERPUNKT | WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS<br />

„Im Fünfjahresplan bis 2<strong>02</strong>0, der ein Bevölkerungsplus von<br />

45 Millionen Einwohnern unterstellt, hat die Regierung in<br />

Peking ehrgeizige Umweltschutzziele verankert“, sagt Hermes.<br />

„Dabei soll unter anderem der <strong>Wasser</strong>verbrauch in<br />

Relation zum Bruttoinlandsprodukt um 23 Prozent sinken.<br />

Das erfordert effiziente Technologien und eröffnet einem<br />

Pumpenhersteller wie uns großes Potenzial.“<br />

„Wilo, the water solution leader for a smart and resource-efficient<br />

world.“ So formuliert der Geschäftsbericht die Vision<br />

<strong>des</strong> Unternehmens. Um daraus die Mission abzuleiten:<br />

„Inventing and managing responsible water solutions that<br />

benefit everyone, everywhere.“<br />

Das klingt ambitioniert und vielleicht auch etwas werbebroschürenmäßig,<br />

ist aber keineswegs unmöglich. Selbst in Deutschland<br />

könnte der Austausch veralteter Pumpen durch hocheffiziente<br />

Systeme und Anlagen nach Wilo-Schätzungen die Stromleistung<br />

in Gebäuden von vier mittelgroßen Kohlekraftwerken einsparen.<br />

Und auch weltweit ist in Sachen Energie- und Ressourcenschonung<br />

noch sehr viel mehr drin als bislang.<br />

Dank Umkehrosmose und Ionenaustausch verfügen Spezialisten<br />

heute über Verfahren, mit denen es technisch möglich ist,<br />

selbst stark kontaminierte Industrieabwässer in Brauch- oder<br />

sogar Trinkwasser umzuwandeln. Doch vielerorts fehlen noch<br />

immer die Anreize dafür. Vor allem, weil <strong>Wasser</strong> viel zu billig<br />

ist, paradoxerweise ausgerechnet in jenen Staaten, wo das<br />

blaue Gold schon heute absolute Mangelware ist.<br />

Mit enormem Energieaufwand gewinnen die Golfstaaten<br />

ihr Trinkwasser mit Entsalzungsanlagen aus dem Persischen<br />

Golf und dem Roten Meer. In Saudi-Arabien beträgt die<br />

Quote bereits 70 Prozent. Allein in Dubai, mit dem Dschabal-Ali-Komplex<br />

Standort der größten Entsalzungsanlage der<br />

Welt, werden jeden Tag zwei Milliarden Liter Meerwasser in<br />

sauberes Trinkwasser verwandelt. Chemikalien sind dabei<br />

zwar nicht im Spiel, aber brachiale Hitze in Form verbrannten<br />

<strong>Wasser</strong>sparen mag in Deutschland (noch) kein drängen<strong>des</strong> Thema sein. In vielen Gebieten der Welt liegt bereits eine andere Situation vor:<br />

Im <strong>Wasser</strong>stressgebiet Kalifornien zum Beispiel beträgt der <strong>Wasser</strong>verbrauch am Waschtisch in einem 2-Personen-Haushalt über 120 Liter<br />

pro Tag. Armaturen mit Durchflussbegrenzern können diesen <strong>Wasser</strong>verbrauch um bis zu 50 Prozent reduzieren. Auch in anderen Bereichen<br />

gibt es vielfältige Handlungsmöglichkeiten.<br />

Grafik: GROHE AG<br />

18 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

Erdöls, um das Salzwasser zu verdampfen. Die Technologie<br />

gilt <strong>des</strong>halb als die mit Abstand kostspieligste Methode, um<br />

Trinkwasser zu gewinnen.<br />

Aus diesem Grund müsste <strong>Wasser</strong> in den Golfstaaten eigentlich<br />

besonders teuer sein. Doch das Gegenteil ist der Fall.<br />

Das <strong>Wasser</strong> wird aus politischen Erwägungen staatlich hoch<br />

subventioniert und quasi verschenkt. Nirgends auf der Welt<br />

zahlen die Bürger weniger dafür, und fast nirgends auf der<br />

Welt ist der Pro-Kopf-Verbrauch höher.<br />

„Was nichts kostet, ist auch nichts wert“, warnte Ex-Nestlé-Chef<br />

Peter Brabeck- Letmathe <strong>des</strong>halb schon vor Jahren.<br />

„Weil <strong>Wasser</strong> viel zu wenig kostet, verschwenden wir es.“<br />

Nicht nur in den Golfstaaten, sondern auch in Ländern wie<br />

Großbritannien oder den USA, wo <strong>Wasser</strong>zähler für Millionen<br />

Haushalte bis heute völlig unbekannt sind. Bezahlt wird nicht<br />

der tatsächliche Verbrauch, sondern pauschal – und das ist<br />

oft nicht mehr als ein bloßes Trinkgeld.<br />

Hinzu kommen die maroden Leitungssysteme, in denen das<br />

kostbare Nass versiegt, noch bevor es die Menschen überhaupt<br />

er- reicht. Während in Deutschland nur etwa sieben<br />

Prozent <strong>des</strong> Trinkwassers im öffentlichen Netz durch Leckagen<br />

verloren gehen, sind es in Spanien, Frankreich und Italien<br />

zwischen 20 und 30 Prozent, in vielen Entwicklungsländern<br />

sogar weit mehr als 60 Prozent.<br />

33 Milliarden Kubikmeter kostbares Leitungswasser gehen<br />

nach Schätzungen der Weltbank allein in den Städten der<br />

Erde je<strong>des</strong> Jahr durch Leckagen verloren – genug, um den<br />

Verbrauch von New York City über 20 Jahre hinweg decken<br />

zu können.<br />

STEFAN SCHMORTTE<br />

arbeitete als Journalist und Chefredakteur für namhafte Zeitschriften.<br />

Diesen Beitrag hat er in seiner Originalversion für das MM Messe<br />

München Magazin erstellt.<br />

Meerwasserentsalzung<br />

Perspektive für eine versorgungssichere Zukunft<br />

Die erste große Meerwasserentsalzungsanlage an Land ging 1965 in<br />

Kuwait in Betrieb. Heute stehen die größten Anlagen im Königreich<br />

Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Länder<br />

wie Ägypten, Israel und Spanien betreiben an mehreren Standorten<br />

Entsalzungsanlagen mit Tageskapazitäten von bis 100.000 Kubikmeter.<br />

In London wird eine Entsalzungsanlage betrieben, die die<br />

Grundbedürfnisse der Bevölkerung mit Trinkwasser übernimmt, weil<br />

die natürlichen Quellen für die wachsende Bevölkerung nicht mehr<br />

ausreichend sind. Auch in Deutschland betreiben erste kommunale<br />

Versorger Anlagen, die salziges oder mit Nitrat belastetes Grundwasser<br />

aus Küstennähe zu Trinkwasser aufbereiten.<br />

Entsalzungsanlagen ahmen die in der Natur vorkommenden Prozesse<br />

nach. Die Anforderungen an technische Verfahren sind unterschiedlich,<br />

je nach Rohwasserqualität, produzierten Brauchwassermengen,<br />

geforderten Reinwasserqualitäten und Verfügbarkeiten<br />

von Energie.<br />

Wie kommt das Salz aus der Suppe?<br />

Meerwasserentsalzungsanlagen zur Trinkwassergewinnung werden<br />

nach dem Prinzip der Verdampfungs- oder Membrantrennverfahren<br />

gebaut. Verdampfungsanlagen benötigen große Mengen an thermischer<br />

Energie und sind in der Vergangenheit in Regionen mit eigenen<br />

Ölvorkommen gebaut worden. Doch die Ölreserven schwinden<br />

und damit die kostengünstige Dampferzeugung. Die Zukunft gehört<br />

den Membranverfahren, die mit elektrischer Energie zur Druckerzeugung<br />

als treibender Kraft <strong>des</strong> Verfahrens betrieben werden. Doch<br />

auch elektrische Energie wird aus fossilen Brennstoffen oder gar nuklear<br />

erzeugt. Deshalb ist die Nutzung von Energie aus erneuerbaren<br />

Quellen das Gebot der Stunde.<br />

Membranverfahren und erneuerbare Energien<br />

Speziell für die Versorgung von Urlaubsregionen mit <strong>Wasser</strong> und<br />

Energie werden Konzepte entwickelt, um die Membranverfahren<br />

in Kombination mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Die besondere<br />

Herausforderung dabei besteht in der Kontinuität der<br />

Energieversorgung. Windkraft- oder Photovoltaikanlagen produzieren<br />

nur, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Entsalzungsanlagen<br />

können aber nicht nach Belieben an- und abgeschaltet<br />

werden. In Membrananlagen werden abhängig vom Salzgehalt<br />

Arbeitsdrücke von 30 - 80 Bar aufgebaut. Aus verfahrenstechnischer<br />

Sicht sollten die Anlagen <strong>des</strong>halb im 24-Stunden-Betrieb<br />

arbeiten. Die Herausforderung besteht darin, die zu günstigen<br />

Tageszeiten produzierte Energie effizient zu speichern, um diese<br />

dann kontinuierlich in die Entsalzungsanlage einzuspeisen. Bislang<br />

sind Speichermedien noch teuer. Aber die Entwicklung macht<br />

Fortschritte.<br />

Eine Entsalzungsanlage besteht im Wesentlichen aus folgenden Baugruppen:<br />

• Brunnengalerie oder offene Einlaufbauwerke (open intake)<br />

zur Entnahme von Seewasser<br />

• Filtration zur Entfernung von Schwebstoffen<br />

• Puffertanks zwischen den einzelnen Verfahrensschritten<br />

• Hochdruckmembrananlage zur Entsalzung von Meerwasser<br />

• Lagertanks für Trinkwasser mit einer Kapazität von ein bis<br />

zwei Tagen<br />

• Druckerhöhungsstation zur Einspeisung von Trinkwasser in das<br />

Leitungsnetz<br />

Off-Shore-Entsalzungsanlagen – wenn man an Land nicht bauen kann<br />

Wenn sich an Land kein geeigneter Standort für eine Entsalzungsanlage<br />

findet, sind maritime Systeme eine Alternative. Der gemeinnützige<br />

Verein DME e.V. (Deutsche Meerwasserentsalzung) hat erstmals in<br />

der Literatur eine systematische Beschreibung der bekannten Entsalzungstechniken<br />

erarbeitet. Die Veröffentlichung <strong>des</strong> umfangreichen<br />

Kompendiums „Entsalzungswissen“ ist für Ende <strong>2018</strong> geplant. Das<br />

Kompendium wird als Datenbank und in Buchform erhältlich sein.<br />

Der Verein ist die zentrale Plattform in Deutschland zum Thema<br />

Meerwasserentsalzung.<br />

www.dme-ev.de<br />

Hinweis: Den ausführlichen Beitrag zur Meerwasserentsalzung<br />

von Dipl.-Ing. Hans-Ulrich Bal<strong>des</strong>, Sobek-<br />

Tec GmbH, und Dipl.-Ing. Wolfgang Kiebert, Kiebert<br />

Industrie- und Verfahrenstechnik, und zu den gängi gen<br />

Technologien sowie viele weitere Beiträge rund um<br />

das Thema <strong>Wasser</strong> finden Sie auf www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

sowie über diesen QR Code.<br />

Grafik: © MM Messe München Magazin <strong>02</strong>/2017<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

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SCHWERPUNKT | WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS<br />

Der <strong>Wasser</strong>mann<br />

Die IFAT ist die größte internationale Messe im Bereich <strong>Wasser</strong><br />

und Abwasser. <strong>forum</strong> sprach am Rande der Veranstaltung mit<br />

dem Geschäftsführer der Messe München GmbH, dem Innovationsspezialisten<br />

Stefan Rummel.<br />

Ein Interview von Fritz Lietsch<br />

Stefan Rummel arbeitet seit Januar<br />

2015 innerhalb der Geschäftsführung<br />

der Messe München GmbH an<br />

den Themen Strategie, Innovation<br />

und Internationalisierung.<br />

Er verantwortet die Investitionsgütermessen<br />

bauma, IFAT, EXPO REAL,<br />

transport logistic, und ceramitec.<br />

Außerdem leitet er das Auslandsgeschäft,<br />

die Abteilung Mergers & Acquisitions<br />

und den Zentralbereich IT.<br />

Herr Rummel, wo sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme in der<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaft?<br />

Weltweit zählen der steigende <strong>Wasser</strong>bedarf und die zurückgehende<br />

Verfügbarkeit von <strong>Wasser</strong> – bedingt durch den Klimawandel – zu den<br />

größten Herausforderungen in der <strong>Wasser</strong>wirtschaft. Auch die Urbanisierung<br />

spielt eine Rolle: Der Ausbau der <strong>Wasser</strong>infrastruktur konnte<br />

mit dem raschen Bevölkerungswachstum in den Millionenstädten<br />

nicht mithalten. Hier besteht dringender Nachholbedarf.<br />

Beginnen wir beim Trinkwasser. Woher kommt es, dass es so große<br />

Leitungsverluste gibt und woher kommen diese?<br />

<strong>Wasser</strong>verluste kommen zum Beispiel durch Rohrbrüche und Undichtigkeiten<br />

zustande – oft bedingt durch veraltete Leitungen. Es<br />

ist wichtig, diese regelmäßig zu kontrollieren und gegebenenfalls zu<br />

sanieren. Durch die Anstrengungen der öffentlichen <strong>Wasser</strong>versorger<br />

ist die Verlustrate in Deutschland in den letzten Jahrzehnten jedoch<br />

bereits deutlich gesunken.<br />

Produktion dagegen lohnt sich der Ausbau viel mehr. Hier wird <strong>Wasser</strong><br />

in großen Mengen zur Fertigung und Verarbeitung, für Waschvorgänge,<br />

zur Verdünnung oder zur Kühlung genutzt.<br />

Sie sammeln in den neuen Messehallen das <strong>Wasser</strong> in Rigolen.<br />

Verwenden Sie es auch für die Toilettenspülung – und wenn nein<br />

warum nicht?<br />

Rigolen sind unterirdische Pufferspeicher, die Regenwasser aufnehmen<br />

und im Untergrund versickern lassen. Das Regenwasser wird<br />

also natürlich in die Erde abgeleitet und nicht zum weiteren Gebrauch<br />

gespeichert. Genauso verhält es sich bei den Rigolen, die wir<br />

beim Bau der zwei neuen Messehallen installiert haben. Unabhängig<br />

davon verfügt unser Messegelände auch über Regenwasserzwischenspeicher.<br />

Das gesammelte <strong>Wasser</strong> nutzen wir auch und speisen damit<br />

unsere Messeseen.<br />

Kommen wir zum Abwasser: Wo sind hier die großen Problemfelder?<br />

Ähnlich wie beim Trinkwasser liegen die großen Problemfelder <strong>des</strong><br />

Abwassers bei den Spurenstoffen, die vom Menschen gemacht sind.<br />

Besonders diskutiert wird aktuell der Umgang mit multiresistenten<br />

Keimen und mit Mikroplastik, also unter 5 mm kleinen Kunststoffteilchen.<br />

Auf welchen Wegen gelangen diese in unser Abwasser?<br />

Mit welchen Messmethoden können sie zuverlässig nachgewiesen<br />

werden? Und wie kann verhindert werden, dass sie unbeeinflusst die<br />

Abwasserbehandlung passieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich<br />

die Abwasserwirtschaft.<br />

Setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass sich im Abwasser<br />

Schätze befinden, die es zu heben gilt?<br />

Definitiv. Unternehmen und Kommunen zeigen immer größeres Interesse<br />

daran, Ressourcen stärker zu nutzen. Dem Abwasser kommt<br />

eine wichtige Rolle zu, daraus lassen sich viele Rohstoffe zurückgewinnen,<br />

die wieder in den Produktionskreislauf eingespeist werden<br />

können.<br />

Wenn ja: Welche Schätze gilt es zu heben?<br />

Da wären Rohstoffe wie Phosphor und Stickstoff, die zur Herstellung<br />

von Dünger genutzt werden. Abwasser dient zudem als Energiequelle:<br />

Aus Klärschlamm lässt sich Klärgas gewinnen, aus dem organischen<br />

Material in Kläranlagen Biomasse. Auch die Wärmerückgewinnung<br />

aus Abwasser ist in vielen Industrien bereits ein nachhaltiger und<br />

kostenschonender Energielieferant.<br />

Wie hat sich die Qualität von Trinkwasser in Deutschland verändert?<br />

Die Qualität unseres Trinkwassers ist nach wie vor sehr gut, das haben<br />

Untersuchungen jüngst bestätigt. Nitrate aus der Landwirtschaft<br />

– aus Gülle und Düngemitteln – entwickeln sich jedoch zunehmend<br />

zum Problem. Es braucht zum Teil teure, aufwendige Reinigungsstufen,<br />

damit sich die Belastung <strong>des</strong> Grundwassers nicht auf das Trinkwasser<br />

überträgt. Dasselbe gilt für andere Stoffe wie Arzneimittel<br />

oder Chemikalien.<br />

Warum verwenden wir in Deutschland noch immer wertvolles<br />

Trinkwasser für Brauchwasser, als Kühlwasser und für die Toilettenspülung?<br />

Oft ist der Anschluss an die bereits bestehende Trinkwasserversorgung<br />

einfacher und erspart den Aufbau einer zweiten Infrastruktur.<br />

Beispielsweise müssen Zisternen, Rohr- und Filtersysteme und Pumpen<br />

installiert werden. Das <strong>Wasser</strong> muss kontrolliert, gesteuert und<br />

geregelt werden. Für viele eine zu kosten- und wartungsintensive<br />

Maßnahme, besonders für private Haushalte. In der industriellen<br />

Was war auf der diesjährigen IFAT für Sie der spannendste Trend?<br />

Mich hat besonders beeindruckt, wie viele Aussteller sich bereits<br />

dem Thema Mikroplastik angenommen und gar erste technologische<br />

Lösungsansätze präsentiert haben: Zum Beispiel einen<br />

Straßenablauffilter, der direkt am Gully angebracht wird. Der Filter<br />

verhindert, dass Reifenabriebe – die übrigens den größten Anteil<br />

am Mikroplastik haben – in den <strong>Wasser</strong>kreislauf gelangen. Das unterstreicht,<br />

wie vorausschauend die Umwelttechnologiebranche<br />

ist.<br />

Was ist Ihnen persönlich das wichtigste Anliegen, wenn Sie an <strong>Wasser</strong><br />

denken?<br />

Dass <strong>Wasser</strong> nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Gerade<br />

in Mitteleuropa neigen wir dazu, das zu vergessen. Aber noch immer<br />

leidet knapp ein Drittel der Weltbevölkerung an permanenter <strong>Wasser</strong>armut.<br />

Herr Rummel, wir danken für das Gespräch.<br />

Foto: © Messe München<br />

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Papier GmbH.


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

GUT ZU WISSEN<br />

Der Zugang zu sauberem <strong>Wasser</strong> ist ein Menschenrecht!<br />

Bei uns die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser eine Selbstverständlichkeit. In anderen Ländern<br />

schaut es dagegen düster aus. Dabei können sauberes <strong>Wasser</strong> und Klimaschutz Hand in Hand gehen.<br />

Von Stefan Baumeister<br />

In unseren Breiten ist die Verfügbarkeit von (Trink-)<strong>Wasser</strong><br />

kaum eine Überlegung wert. Es ist (noch) im Überfluss<br />

vorhanden. Aber auch nicht mehr zu jeder Zeit, wenn wir<br />

die diesjährige Rekorddürre in vielen Teilen Deutschlands<br />

mit potenziellen Milliardenschäden für die Landwirtschaft<br />

betrachten.<br />

Auch sonst scheint alles im grünen Bereich: <strong>Wasser</strong> ist in<br />

Deutschland das am besten kontrollierte Nahrungsmittel.<br />

Bei uns hat Leitungswasser meist eine min<strong>des</strong>tens gleich<br />

gute Qualität wie oft teure, abgefüllte Mineralwässer, die<br />

wir teils per LKW durch ganz Europa karren.<br />

Sauberes <strong>Wasser</strong> ist nicht selbstverständlich<br />

Schon paradox, wenn laut WHO das Menschenrecht auf<br />

<strong>Wasser</strong> für 2,1 Mrd. Menschen weltweit bisher lediglich ein<br />

Wunschtraum ist. Sie haben keinen Zugang zu sauberem<br />

Trinkwasser, weder in ihrem Umkreis, geschweige denn zu<br />

Hause. Eng damit verbunden ist auch eine ungenügende<br />

sanitäre Grundversorgung. Die Hauptfolge sind Durchfallerkrankungen,<br />

vor allem Kinder sind davon betroffen. Viele Millionen<br />

können <strong>des</strong>wegen nicht regelmäßig zur Schule gehen.<br />

Als SDG 6.1 (<strong>Nachhaltig</strong>keitsziele der Vereinten Nationen)<br />

ist festgehalten, dass bis 2<strong>03</strong>0 alle Menschen Zugang zu<br />

sauberem und bezahlbarem Trinkwasser haben sollen. In<br />

den nächsten 12 Jahren also noch eine Herkulesaufgabe. Wie<br />

können wir zur Erreichung <strong>des</strong> Ziels beitragen?<br />

Mit der Initiative „Sauberes Trinkwasser für Uganda“ unterstützt<br />

die DER Touristik Foundation in Kooperation mit myclimate<br />

ein Klimaschutzprojekt in Afrika. In rund 500 DER Reisebüros<br />

in ganz Deutschland können Kunden – unabhängig von<br />

der Buchung einer Reise – durch eine Spende die Versorgung<br />

von sozial benachteiligten Menschen mit sauberem Trinkwasser<br />

in Uganda sicherstellen und damit gleichzeitig zum<br />

Klimaschutz beitragen. Mit den Spenden werden <strong>Wasser</strong>filter<br />

für ärmere Privathaushalte und Schulen finanziert.<br />

Durch den Einsatz der Filter entfällt das traditionelle Abkochen<br />

<strong>des</strong> <strong>Wasser</strong>s auf Feuerstellen, das zahlreiche negative<br />

Auswirkungen, unter anderem auf das Klima, hat. Ein kleiner<br />

Filter kann zwei bis sechs Liter <strong>Wasser</strong> pro Stunde aufbereiten.<br />

Bereits mit 10 Euro können drei Kinder in Uganda für<br />

ein ganzes Jahr mit sauberem Trinkwasser versorgt werden.<br />

Ein kleiner Beitrag mit großer Wirkung!<br />

PERFEKT<br />

ZUM SONNE<br />

TANKEN!<br />

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Die Zukunft kommt sowieso. Wie sie aussehen wird, liegt an uns.<br />

Kompensieren Sie Ihre Reiseemissionen mit myclimate.de<br />

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21


AUS DEUTSCHEN HÄHNEN<br />

Vom Grundwasser zum Trinkwasser<br />

Sauberes Trinkwasser ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Doch die Kosten dafür könnten schon bald<br />

dramatisch steigen. Unter <strong>Wasser</strong>mangel leidet Deutschland zwar nicht, aber völlig unproblematisch ist<br />

die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung auch hierzulande nicht. Zu viel Nitrat im Grundwasser lautet<br />

der Vorwurf, weshalb die EU im November vorigen Jahres vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen<br />

die Bun<strong>des</strong>republik einreichte.<br />

Laut EU-Richtlinie 91/676/EWG sind die Mitgliedstaaten<br />

zum Gewässerschutz verpflichtet. 50 mg Nitrat, mehr darf<br />

ein Liter Grundwasser nicht enthalten. Doch dieser Grenzwert<br />

wird vielerorts überschritten. Denn Deutschland ist<br />

nicht nur eine der führenden Industrienationen, sondern<br />

nach den USA und den Niederlanden auch der drittgrößte<br />

Agrarexporteur der Welt.<br />

Gut 200 Millionen Rinder, Schweine und Geflügel werden<br />

in den landwirtschaftlichen Betrieben zwischen Flensburg<br />

und Garmisch-Partenkirchen gehalten Und erzeugen dort<br />

nicht nur Eier, Milch und Schnitzel, sondern auch jede Menge<br />

Gülle. Eigentlich ein wertvoller Wirtschaftsdünger mit<br />

hohen Gehalten an Stickstoff, Phosphor und Kalium, aber in<br />

der ausgebrachten Menge sehr viel mehr, als die Pflanzen<br />

auf den Feldern zum Wachsen brauchen und aufnehmen<br />

können. Die Folge: Die Rückstände sickern ins Erdreich und<br />

verunreinigen das Grundwasser.<br />

Laut aktuellem Nitratbericht der Bun<strong>des</strong>ministerien für Umwelt<br />

und Landwirtschaft weisen 50 Prozent der Messstellen<br />

Foto: © GROHE AG<br />

22 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

eine erhöhte Konzentration auf, bei fast einem Drittel lag sie<br />

sogar über dem zulässigen Grenzwert. „Übermäßiges Düngen<br />

bedroht seit Jahren die Ressourcen für unser Trinkwasser“,<br />

sagt Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender <strong>des</strong> Deutschen<br />

Vereins <strong>des</strong> Gas- und <strong>Wasser</strong>faches (DVGW). „Es besteht<br />

größter Handlungsbedarf, um unser <strong>Lebens</strong>mittel Nummer<br />

eins endlich ausreichend zu schützen.“<br />

Gesundheitliche Bedenken, das <strong>Wasser</strong> aus dem Hahn zu trinken,<br />

muss kein Bun<strong>des</strong>bürger haben. <strong>Wasser</strong> ist in Deutschland<br />

eines der am besten kontrollierten <strong>Lebens</strong>mittel überhaupt.<br />

Aber der Aufwand, den die <strong>Wasser</strong>versorger treiben müssen,<br />

um sauberes Trinkwasser anzuliefern, steigt von Jahr zu Jahr.<br />

Zum Beispiel bei Gelsenwasser, einem der großen Versorger<br />

im Land. Musste das Unternehmen 2015 nur 124 Tonnen<br />

Aktivkohle einsetzen, um das Grundwasser zu reinigen, waren<br />

es 2016 schon 514 Tonnen. Ein Kostenfaktor, der alle <strong>Wasser</strong>versorger<br />

zunehmend und gleichermaßen schmerzt.<br />

Eine aktuelle Studie <strong>des</strong> Umweltbun<strong>des</strong>amtes (UBA) beziffert<br />

die Kosten für die Reinigung <strong>des</strong> mit Nitrat belasteten Grundwassers<br />

auf 580 bis 767 Millionen Euro pro Jahr. Wer im<br />

niedersächsischen Schweinegürtel wohnt, zwischen Meppen<br />

und Oldenburg, wo vergleichsweise wenige Menschen leben,<br />

aber min<strong>des</strong>tens acht Millionen Schweine, spürt das bereits<br />

im eigenen Portemonnaie. Und auch andernorts könnten die<br />

<strong>Wasser</strong>preise bald deutlich steigen – nach Einschätzung <strong>des</strong><br />

UBA um bis zu 45 Prozent oder 76 Cent pro Kubikmeter. Es sei<br />

denn, die Kehrtwende gelingt und auch die Landwirtschaft trägt<br />

ihren Teil zum Gewässerschutz bei. Unmöglich ist das nicht. Das<br />

beweist eine Initiative der Stadtwerke München (SWM), die<br />

bereits 1992 unter dem Titel „Öko-Bauern“ ins Leben gerufen<br />

wurde. Weil wichtige Quellen für die Trinkwasserversorgung<br />

der Isar-Metropole im Voralpenland liegen, haben die Stadtwerke<br />

dort frühzeitig Land aufgekauft, das sie heute an ökologisch<br />

wirtschaftende Landwirte verpachten. Mehr als 165<br />

Landwirte haben sich dem Programm seit Start angeschlossen.<br />

Gemeinsam beackern sie eine Fläche von rund 3.900 Hektar<br />

und damit eines der größten ökologisch bewirtschafte ten Gebiete<br />

Deutschlands. Bis zu 310 Euro Prämie pro Hektar und<br />

Jahr stellt das Förderprogramm dafür bereit. Mit Erfolg: Die<br />

Qualität <strong>des</strong> Münchner Trinkwassers zählt zu den besten in ganz<br />

Deutschland – bei vergleichsweise moderaten Preisen. „Unser<br />

Förderprogramm verteuert den Trinkwasserpreis um rund 0,9<br />

Cent pro Kubikmeter“, sagt Helge-Uve Braun, Geschäftsführer<br />

Technik der SWM. „Viel ist das nicht. Denn als Alternative bliebe<br />

früher oder später nur die <strong>Wasser</strong>aufbereitung, die mit weitaus<br />

höheren Kosten verbunden wäre. Unsere Devise lautet<br />

<strong>des</strong>halb: Vorausschauende <strong>Wasser</strong>schutz-Politik ist sinnvoller<br />

und günstiger als teure Aufbereitung.“<br />

Quelle: <strong>Wasser</strong>BLicK / BfG 2017<br />

Welches <strong>Wasser</strong> passt zu Ihnen<br />

„<strong>Wasser</strong> schmecken“ mit dem Sensorik-Test<br />

Ein bayerisches Unternehmen setzt auf Artenvielfalt im <strong>Wasser</strong>bereich<br />

und bietet neun Wässer aus sechs unterschiedlichen<br />

Quellen. Das gibt jedem Menschen die Möglichkeit, das<br />

für seine momentanen Bedürfnisse richtige <strong>Wasser</strong> zu entdecken.<br />

Denn <strong>Wasser</strong> ist nicht gleich <strong>Wasser</strong>! Alle Wässer schmecken<br />

unterschiedlich. Die bayerischen St. Leonhardsquellen<br />

laden <strong>des</strong>halb zum Sensorik-Test ein. Hier kristallisiert sich das<br />

bevorzugte <strong>Wasser</strong> heraus. Denn je<strong>des</strong> Quellwasser hat seinen<br />

eigenen Charakter, der u.a. durch eine unterschiedliche Mineralienzusammensetzung<br />

entsteht. Und der Geschmack, die<br />

persönliche Wahrnehmung, signalisiert, was Körper und Seele<br />

gerade brauchen. Während Kinder noch instinktiv wissen,<br />

was ihnen guttut, lässt diese Fähigkeit im Laufe <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> oft<br />

nach. Das liegt auch daran, dass Genussmittel und vor allem<br />

industriell hergestellte <strong>Lebens</strong>mittel die Geschmackswahrnehmung<br />

negativ beeinflussen.<br />

Foto: © Leonhardsquellen<br />

Mit Hilfe <strong>des</strong> Sensorik-Tests kann jeder herausfinden, welches <strong>Wasser</strong> zurzeit am besten zu ihm passt. Der Begriff „Sensorik“ leitet sich vom<br />

lateinischen „sentire“ – fühlen, empfinden – ab und bezeichnet alle Bestandteile eines Systems, die die Wahrnehmung betreffen. Spricht man<br />

im Zusammenhang mit <strong>Lebens</strong>mitteln über einen Sensorik-Test, geht es darum, deren Eigenschaften mit den Sinnesorganen zu bewerten.<br />

<strong>Wasser</strong> ist das <strong>Lebens</strong>mittel Nummer Eins. Wir bestehen zu rund 70 Prozent aus <strong>Wasser</strong>. Deshalb ist es so wichtig, unser tägliches Trinkwasser<br />

bewusst zu wählen. Denn spätestens seit den Forschungsergebnissen von Professor Emoto wissen wir: <strong>Wasser</strong> speichert und überträgt Informationen.<br />

Auch unser Körperwasser.<br />

www.st-leonhards-quellen.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

23


SCHWERPUNKT | WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS<br />

SPURENSUCHE<br />

Der Münchner Filmemacher Lorenz Knauer hat sich in einer Reportage für das Bayerische Fernsehen auf<br />

den Weg gemacht, dem <strong>Wasser</strong> auf den Grund zu gehen.<br />

Ein Interview von Fritz Lietsch<br />

Immer mehr Biogasanlagen, immer mehr Massentierhaltung, immer größere Mengen an<br />

Gülle sowie der Einsatz von Pflanzengiften und Kunstdünger haben in den letzten Jahren<br />

dazu geführt, dass sich die <strong>Wasser</strong>versorger immer häufiger gezwungen sehen, Brunnen zu<br />

schließen, weil die gesetzlichen Grenzwerte für Nitrat und Rückstände von Spritzmitteln<br />

überschritten wurden:<br />

Beinahe 40 Prozent der Grundwasservorkommen in Deutschland sind bereits belastet – kein<br />

gutes Omen für die Zukunft, angesichts der Tatsache, dass es zwanzig Jahre dauern kann,<br />

bis die Gifte von heute im Grund- und damit im Trinkwasser von morgen angekommen sind.<br />

Die Folge: Brunnenbauer haben Hochkonjunktur, weil die <strong>Wasser</strong>versorger immer neue<br />

Bohrungen in Auftrag geben – sie hoffen, in großer Tiefe auf noch unbelastetes Grundwasser<br />

zu stoßen, das sie mit dem bereits vorhandenen, belasteten <strong>Wasser</strong> mischen können, um<br />

die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten.<br />

Lorenz Knauer, Filmautor,<br />

Regisseur und freier Dokumentarfilmer<br />

ist Mitarbeiter<br />

renommierter Sendereihen<br />

wie „37 Grad“<br />

<strong>des</strong> ZDF oder „Unter<br />

unserem Himmel“ <strong>des</strong> BR.<br />

Knauer erhielt für seine<br />

Filme diverse Auszeichnungen<br />

auf internatio nalen<br />

Festivals. Von 2004<br />

bis 2011 arbeitete er an<br />

der Kino-Dokumentation<br />

„Jane's Journey“ über<br />

Dr. Jane Goodall, die<br />

weltberühmte britische<br />

Primatologin, UN-Friedensbotschafterin<br />

und<br />

Umweltaktivistin. Dafür<br />

erhielt er unter anderem<br />

den „Grünen Oscar“, den<br />

„International Green Film<br />

Award“, den Hauptpreis<br />

beim „Cinema for Peace“<br />

und kam auf die Oscar­<br />

Shortlist 2012. Nicht zuletzt<br />

angeregt von Jane<br />

Goodall, legt er seit 2011<br />

ein besonderes Gewicht<br />

auf Umwelt-Themen.<br />

Herr Knauer, dies war nicht Ihr erster Dokumentarfilm<br />

zu Umweltproblemen – was hat<br />

Sie bei der Arbeit an diesem Film am meisten<br />

beeindruckt?<br />

Die Frage kann ich so nicht beantworten,<br />

denn sie müsste eigentlich heißen: „Was<br />

hat Sie am meisten verstört?“ Und da gibt<br />

es gleich mehrere Dinge beziehungsweise<br />

Erkenntnisse – die schwerwiegendste ist<br />

sicherlich, dass der Staat bei uns weitgehend<br />

in seiner Pflicht versagt, die Bürger<br />

umfassend und nachhaltig vor den Folgen<br />

der Verseuchung der Böden und damit <strong>des</strong><br />

Grundwassers durch Gift und Gülle zu schützen.<br />

Einerseits schreibt er extrem strenge<br />

Grenzwerte für die Reinheit unseres Trinkwassers<br />

vor, andererseits tut der Staat aber<br />

viel zu wenig, um die Böden und damit das<br />

Grundwasser langfristig mit sehr strengen<br />

Richtlinien zu schützen und diese dann auch<br />

konsequent durchzusetzen, wie das zum Beispiel<br />

in Holland der Fall ist – nicht umsonst<br />

hat die EU ja Deutschland wegen Nichteinhaltung<br />

der Nitratgrenzwerte verklagt. Nur<br />

Malta steht in der EU noch schlechter da<br />

als wir! Die Bun<strong>des</strong>regierung beruft sich<br />

zwar jetzt auf die neue Düngeverordnung<br />

von 2017, aber nach Ansicht vieler Experten<br />

reicht die bei weitem nicht aus, um die Situation<br />

grundlegend zu verbessern.<br />

Wo sehen Sie die Hauptursachen für das<br />

Problem?<br />

Gerne wird pauschal „die konventionelle<br />

Landwirtschaft“ als Hauptverursacher <strong>des</strong><br />

Problems genannt – der Einsatz von Kunstdünger<br />

und Pestiziden im Übermaß, die<br />

Millionen Tonnen Gülle, die ausgebracht<br />

werden etc. Das stimmt natürlich, aber es ist<br />

nicht alles, es kommen noch weitere, gravierende<br />

Faktoren hinzu, wie zum Beispiel die<br />

Folgen <strong>des</strong> Biogas-Booms der letzten zehn<br />

Jahre: Die Gärreste aus abertausenden Biogasanlagen<br />

landen ja am Ende auch auf den<br />

Böden und letztendlich im Grundwasser.<br />

Und nicht zuletzt die Betreiber von zahllosen<br />

Golf- und Sportplätzen, aber auch Millionen<br />

von Hobbygärtnern tragen zu dem Problem<br />

bei, indem sie oft vollkommen unkontrolliert<br />

Pflanzengifte in ihren Gärten einsetzen, die<br />

man im Baumarkt kaufen kann – nach dem<br />

Motto: Viel hilft viel! Das offensichtlichste und<br />

gravierendste Problem ist aber aus meiner<br />

Sicht die Massentierhaltung – seit Jahren<br />

unterstützt die Politik mit Subventionen für<br />

immer neue Ställe eine vollkommen verfehlte<br />

Entwicklung, nämlich Deutschland zu einer<br />

fleischexportierenden Nation zu machen.<br />

Wir haben doch in Deutschland gar nicht<br />

den Platz, um die Gülle dieser Millionen von<br />

Tieren zu entsorgen, es gibt mittlerweile<br />

Foto: © privat<br />

24 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

eine ganze Industrie, die darauf spezialisiert ist, Gülle über<br />

hunderte von Kilometern durchs Land zu karren – und obendrein<br />

importieren wir aus Holland weitere Millionen Tonnen<br />

Gülle – das kann es doch nicht sein! Und hier schließt sich<br />

der Kreis zur ersten Frage: Die Politik sollte hier den Bürger<br />

schützen anstatt immer weiter dem Druck der Agrar- und<br />

Fleischlobby nachzugeben.<br />

Wo sehen Sie Lösungsmöglichkeiten für diese Dilemmata?<br />

Lösungsmöglichkeiten gibt es aus meiner Sicht etliche! An<br />

allererster Stelle würde ich sofort mit der Subventionierung<br />

von Stallneubauten aufhören, und mit allen anderen Anreizen,<br />

die zur Verlängerung <strong>des</strong> Elends der Massentierhaltung<br />

und der Produktion von Millionen Tonnen Gülle führen.<br />

Zweitens würde ich die Gesetzgebung in Sachen Düngung<br />

und Pestizideinsatz in der Landwirtschaft drastisch verschärfen<br />

und auch entsprechend durchsetzen – jeder findet<br />

es normal, dass die Polizei saftige Bußgelder austeilt, wenn<br />

jemand schneller fährt als erlaubt. Warum kann das in Sachen<br />

Grundwasserschutz nicht ähnlich funktionieren? Die Holländer<br />

zum Beispiel machen uns das auch hier vor.<br />

Drittens muss mittel- bis langfristig der ökologische Landbau<br />

in Deutschland massiv ausgeweitet werden, denn der<br />

verwendet keine Chemiegifte und keinen Kunstdünger, er<br />

geht viel behutsamer mit unseren kostbaren Böden um. Wir<br />

sind in Deutschland erst bei sieben Prozent Ökolandbau,<br />

die Österreicher sind da schon viel, viel weiter als wir – bei<br />

knapp 20 Prozent!<br />

Und dann gibt es zum Glück auch schon etliche gute Ansätze<br />

auf regionaler Ebene, wie zum Beispiel das innovative <strong>Wasser</strong>schutzbrot-Projekt<br />

in Franken, über das ich in meinem<br />

Film berichtet habe – oder auch Initiativen von Unternehmen<br />

wie Hipp oder Lammsbräu, die längst erkannt haben, dass<br />

die vorhandenen gesetzlichen Regeln bei weitem nicht ausreichen<br />

und <strong>des</strong>halb mit Erfolg eigene, wesentlich strengere<br />

Standards gesetzt haben.<br />

Nicht zuletzt sehe ich das Thema <strong>Bildung</strong> als enorm wichtig<br />

für diesen Bereich an, angefangen im Kindergarten, über die<br />

Schulen und Ausbildungsstätten für Landwirte…<br />

Wie hat der Film Ihr eigenes Verhalten verändert?<br />

Verändert hat er mein Verhalten eigentlich nicht, denn ich<br />

versuche sowieso schon seit vielen Jahren, durch bewusstes<br />

Konsumverhalten meinen Beitrag zur ökologischen Wende zu<br />

leisten, also weitgehend Bio- und regionale <strong>Lebens</strong>mittel zu<br />

kaufen, sehr wenig Fleisch und… ich habe schon vor 30 Jahren<br />

mein Auto abgeschafft, aber mein Bewusstsein für die Kostbarkeit<br />

dieses wunderbaren <strong>Lebens</strong>mittels <strong>Wasser</strong> ist durch<br />

die Arbeit an dem Film nochmal deutlich geschärft worden.<br />

Sehr problematisch ist bei dem Grundwasserthema die Tatsache,<br />

dass es schon mal 20 Jahre dauern kann, bis Pflanzengifte,<br />

Gülle, oder Arzneimittelrückstände von heute in den<br />

tieferen Lagen <strong>des</strong> Grundwassers ankommen. Mit den Folgen<br />

müssen dann unsere Kinder und Enkel fertig werden. Und<br />

nun frage ich: Welchen Politiker, der heute auf diesem Gebiet<br />

versagt, kann ich in 20 Jahren noch zur Rechenschaft ziehen?<br />

Zugegeben eine schwierige Frage … doch zurück zum Film:<br />

Wie und wo können unsere Leser den Film noch sehen?<br />

In der Mediathek <strong>des</strong> Bayerischen Fernsehens: „Dem <strong>Wasser</strong><br />

auf den Grund gehen – Schutz für unser kostbarstes <strong>Lebens</strong>mittel“<br />

(https://goo.gl/Xc1uqS).<br />

Herr Knauer, wir bedanken uns für das Gespräch.<br />

www.lorenzknauer.com<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

25


Was bitte ist<br />

BIO-MINERALWASSER?<br />

Abwarten und hoffen, dass es besser wird, war nie sein Ding. Schon seit den Siebzigerjahren ist Franz<br />

Ehrnsperger Vorkämpfer in Sachen Bio und Umweltschutz. Wenn es sein muss auch bis vor den Bun<strong>des</strong>gerichtshof.<br />

Jüngstes Projekt ist das Bio-Mineralwasser-Siegel, mit dem Ehrnsperger und seine Mitstreiter<br />

der zunehmenden <strong>Wasser</strong>verschmutzung etwas entgegensetzen wollen. Was verbirgt sich dahinter, und<br />

was kann an <strong>Wasser</strong> eigentlich Bio sein? Eine Spurensuche.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

Pestizide und ihre Abbauprodukte, Nitrat sowie Rückstände<br />

von Chemikalien und Medikamenten belasten das Grundwasser,<br />

aus dem unser Leitungswasser gewonnen wird. Laut<br />

Umweltbun<strong>des</strong>amt sind bereits 36 Prozent der deutschen<br />

Grundwasservorkommen als „chemisch bedenklich“ einzustufen.<br />

Die EU-Kommission sieht das deutsche Grundwasser<br />

in Sachen Nitrat gar auf dem vorletzten Platz in Europa – nur<br />

Malta ist noch schlechter. Und an Nachschub an wasservergiftenden<br />

Substanzen mangelt es in Deutschland wahrlich<br />

nicht: Allein 2015 wurden 49.000 Tonnen Pestizide auf<br />

deutschen Äckern ausgebracht. Bei Kunstdünger und Co.<br />

sieht es kaum anders aus.<br />

Foto: © Bad Dürrheimer<br />

26 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Gemeinsam für das <strong>Wasser</strong>: Bio-Mineralbrunnen wie Bad Dürrheimer aus Baden-Württemberg kämpfen für höchste <strong>Lebens</strong>mittel-Qualität<br />

in Zeiten von Nitrat und Co.<br />

Es sind Zahlen wie diese, die Dr. Franz Ehrnsperger keine Ruhe<br />

ließen. „Mir wollte einfach nicht in den Kopf, dass gerade<br />

wir als eigentlich wasserreiches Land einen solchen Raubbau<br />

an unserem wichtigsten <strong>Lebens</strong>mittel betreiben. Und<br />

wenn man sich die Entwicklungen anschaut, war klar, dass<br />

schnell etwas passieren musste, um zumin<strong>des</strong>t die letzten<br />

wirklich reinen Quellen auch für zukünftige Generationen<br />

zu erhalten“, so Ehrnsperger. Der Bio-Pionier der ersten<br />

Stunde, der – auf der Suche nach den besten Rohstoffen<br />

für sein Bier – schon in den Siebzigern begann, seine knapp<br />

380 Jahre alte Familienbrauerei Neumarkter Lammsbräu<br />

komplett ökologisch aufzustellen, handelte. Seine Folgerung:<br />

„Es musste beim <strong>Wasser</strong> ganz offensichtlich wieder so laufen<br />

wie zuvor schon bei Obst, Gemüse und nicht zuletzt auch<br />

beim Bier. Abwarten und darauf hoffen, dass sich in Sachen<br />

<strong>Lebens</strong>mittelqualität und Umweltschutz von alleine etwas in<br />

die richtige Richtung bewegt, hilft einfach nichts. Um Dinge<br />

zum Besseren zu wenden, muss man vorangehen und zeigen,<br />

dass es konkrete Wege gibt, mit und nicht gegen die Natur<br />

zu wirtschaften.“ Also machte sich Ehrnsperger gemeinsam<br />

mit <strong>Wasser</strong>experten und anderen Mitstreitern ans Werk. Das<br />

Ergebnis: die Qualitätsgemeinschaft Bio-Mineralwasser, der<br />

mittlerweile alle großen Bio-Verbände von Demeter, Naturland<br />

und Bioland über Biokreis bis hin zum Bun<strong>des</strong>verband<br />

Naturkost Naturwaren BNN angehören. Das Ziel ist die<br />

Bekämpfung der <strong>Wasser</strong>verschmutzung durch den Übertrag<br />

der in anderen Bereichen seit Jahrzehnten bewährten<br />

Bio-Idee auf das <strong>Wasser</strong>, unser wichtigstes <strong>Lebens</strong>mittel.<br />

Franz Ehrnsperger: „Die Bio-Idee allgemein baut auf zwei<br />

Kerngedanken auf, die auch auf die Herausforderungen im<br />

<strong>Wasser</strong>bereich anwendbar sind: Erstens, bei <strong>Lebens</strong>mitteln<br />

immer ganz genau hinzuschauen, damit die Verbraucher trotz<br />

aller menschengemachter Umweltverschmutzung verlässlich<br />

höchste Qualität auf den Teller oder ins Glas bekommen;<br />

zweitens, die <strong>Lebens</strong>mittel so nachhaltig und umweltschützend<br />

zu erzeugen, dass auch zukünftige Generationen noch<br />

diese höchste Qualität bekommen können. Mit unserem<br />

Bio-Mineralwasser-Siegel haben wir bei<strong>des</strong> direkt auf das<br />

<strong>Wasser</strong> übertragen.“<br />

Zwei glänzende Seiten der Medaille<br />

Konkret verbirgt sich hinter dem Bio-Mineralwasser-Siegel<br />

auf der einen Seite ein zeitgemäßes Reinheitsgebot für<br />

<strong>Wasser</strong>. Basierend auf ständigem Monitoring sowie der<br />

Auswertung aktuellster amtlicher Daten und wissenschaftlicher<br />

Studien, z.B. im regelmäßig erstellten „Schwarzbuch<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

27


SCHWERPUNKT | TEXT<br />

Grafik: © Qualitätsgemeinschaft Bio-Mineralwasser e.V.<br />

Foto: © ?????????????????<br />

28 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Der Verzicht auf Ackergifte freut auch Tiere, Blumen und Ackerwildkräuter: Sichtbare Resultate der Förderung <strong>des</strong> Ökolandbaus und der<br />

Biodiversität bei zwei Projekten der Bio-Mineralbrunnen Ensinger und Lammsbräu.<br />

Fotos v.l.n.r: © Ensinger | © Lammsbräu<br />

<strong>Wasser</strong>“ (siehe Übersichtsgrafik für <strong>des</strong>sen zentrale Ergebnisse),<br />

setzten die <strong>Wasser</strong>experten der Qualitätsgemeinschaft<br />

für Bio-Mineralwasser strenge Grenzwerte fest, die<br />

den Menschen wirksamen Schutz vor Schadstoffen wie<br />

Nitrat, Pestiziden und ihren Metaboliten, Rückständen aus<br />

Anti-Babypillen und Schmerzmitteln sowie anderen Stoffen<br />

aus dem chemischen Arsenal der Landwirtschaft, Industrie<br />

und Medizin bieten. Möchte ein Mineralbrunnen das Bio-Mineralwasser-Siegel<br />

tragen, muss er dauerhaft gegenüber<br />

einer unabhängigen Kontrollstelle nachweisen, dass sein<br />

<strong>Wasser</strong> diese strengen Grenzwerte immer einhält. Damit soll<br />

Bio-Mineralwasser die Sicherheitslücken der teils noch auf<br />

dem Stand der Siebzigerjahre befindlichen Vorschriften für<br />

konventionelles Mineral- oder gar Leitungswasser schließen.<br />

Trotz einer seit damals völlig veränderten Gefährdungslage<br />

erfolgten nämlich nur zögerliche Anpassungen der Rahmenbedingungen<br />

für das Inverkehrbringen von <strong>Wasser</strong> (siehe<br />

Kasten für einen Vergleich der Vorschriften für Bio-Mineralwasser,<br />

konventionelles Mineralwasser und Leitungswasser).<br />

Auf der anderen Seite ist das Bio-Mineralwasser-Siegel auch<br />

ein pro-aktives <strong>Wasser</strong>schutzkonzept. Wer Bio-Mineralwasser-Brunnen<br />

sein möchte, verpflichtet sich zum aktiven<br />

Einsatz für unser wichtigstes <strong>Lebens</strong>mittel und dazu, dieses<br />

Engagement sowie die damit erzielten Fortschritte in regelmäßigen<br />

Audits nachzuweisen. Konkret müssen sich die<br />

Bio-Mineralwasser-Brunnen vom Einsickern <strong>des</strong> Regens in<br />

den Boden bis zur Abfüllung in die Flasche um ihr <strong>Wasser</strong><br />

kümmern und die Risiken von Verunreinigungen auch für die<br />

Zukunft minimieren. Zum weiteren Pflichtprogramm gehört<br />

der <strong>Wasser</strong>schutz auch über das eigene Quelleinzugsgebiet<br />

hinaus. Dies erfolgt insbesondere über die nachhaltige<br />

Förderung <strong>des</strong> Ökolandbaus, der durch den konsequenten<br />

Verzicht auf Pestizide und Co. den Schadstoffeintrag in das<br />

<strong>Wasser</strong> wirkungsvoll unterbindet. Außerdem sind die Bio-Mineralwasser-Quellen<br />

absolut nachhaltig zu bewirtschaften<br />

und die Getränke so ressourcen- und umweltschonend wie<br />

möglich herzustellen. Last but not least unterstützen die<br />

Mitglieder die Umweltbildung z.B. in Schulen. Bei<strong>des</strong>, die<br />

Einhaltung der Grenzwerte und das Engagement in Sachen<br />

<strong>Wasser</strong>schutz, ist von den Bio-Mineralbrunnen in absoluter<br />

Konsequenz und Transparenz gegenüber den Verbrauchern<br />

nachzuweisen. So sind die Etiketten von Bio-Mineralwasser<br />

umfangreicher als bei konventionellem Mineralwasser. Der<br />

aktuelle Stand der Bio-Mineralwasser-Richtlinien und die<br />

aktuellen Prüfergebnisse der Wässer sind stets auf der Website<br />

der Qualitätsgemeinschaft und auf den Websites der<br />

Mineralbrunnen downloadbar. „Wir wollten einfach, dass die<br />

Menschen immer ganz genau wissen, was sie trinken und ob<br />

die Brunnen tatsächlich so nachhaltig sind, wie sie sagen. Das<br />

war bis jetzt weder beim Mineral- noch beim Leitungswasser<br />

der Fall“, so Ehrnsperger.<br />

Die Branche wacht auf<br />

Gerade diese ungewohnte Konsequenz schien aber manchem<br />

in der bis dahin komplett konventionell aufgestellten<br />

Mineralbrunnenbranche Angst zu machen. Zeitweiliger<br />

Widerstand regte sich, der sogar in der oben angeführten<br />

Klage vor dem BGH gipfelte. Bio-Mineralwasser sei auch<br />

nichts anderes als konventionelles Mineralwasser, so der<br />

Tenor. Die Richter am BGH sahen das allerdings anders.<br />

Auch sie überzeugten das Bio-Mineralwasser-Konzept und<br />

seine strengen Richtlinien. Sie urteilten letztinstanzlich für<br />

Ehrnsperger und seine Mitstreiter. Und auch in der Branche<br />

selbst fand und findet das Konzept immer mehr Anhänger.<br />

Mittlerweile tragen Getränke von neun Mineralbrunnenbetrieben<br />

aus ganz Deutschland das Bio-Mineralwasser-Siegel<br />

der Qualitätsgemeinschaft. Neben Ehrnspergers Neumarkter<br />

Lammsbräu gehören dazu Bad Dürrheimer und Ensinger aus<br />

Baden-Württemberg, Labertaler Heil- und Mineralquellen<br />

aus Bayern, die PreussenQuelle Rheinsberg aus Brandenburg,<br />

Voelkel aus Niedersachsen sowie Carolinen, Gehring-Bunte<br />

und Landpark Bio-Quelle aus Nordrhein-Westfalen, , sowie<br />

, .. Was beispielsweise Bad Dürrheimer dazu bewegt, sich<br />

den strengen Bio-Mineralwasser-Richtlinien zu stellen, fasst<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

29


SCHWERPUNKT | WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS<br />

Einsatz für den ganzen <strong>Wasser</strong>kreislauf: Weil nicht nur die Quellen, sondern auch die Oberflächengewässer Schutz brauchen, macht sich die<br />

PreussenQuelle aus Rheinsberg u.a. auch für den Schulzensee im Naturpark Stechlin Ruppiner-Land stark.<br />

BIO-MINERALWASSER VERSUS KONVENTIONELLES MINERAL- UND LEITUNGSWASSER<br />

REINHEIT<br />

Bio-Mineralwasser<br />

bestmöglicher Schutz vor<br />

Schadstoffen durch strenge, 4<br />

zeitgemäße Grenzwertsetzung<br />

nach dem Vorsichtsprinzip<br />

• z.B. für Nitrat<br />

5 mg/l<br />

• z.B. für wichtige Rückstände 3 0,<strong>02</strong> µg/l<br />

Konventionelles<br />

Mineralwasser<br />

8<br />

50 mg/l<br />

kein Grenzwert,<br />

keine Untersuchungspflicht<br />

Leitungswasser<br />

8<br />

50 mg/l<br />

kein Grenzwert,<br />

keine Untersuchungspflicht<br />

kein Einsatz von Chemie oder<br />

Radioaktivität zur Aufbereitung 4 8 1 8<br />

TRANSPARENZ UND UNABHÄNGIGKEIT<br />

Richtlinien und Prüfergebnisse<br />

der einzelnen Wässer im Internet<br />

leicht einsehbar<br />

Deklaration auf jeder einzelnen<br />

Flasche umfangreicher als<br />

gesetzlich vorgeschrieben und<br />

zudem aktuell<br />

Überwachung und Zertifizierung<br />

durch unabhängige Ökokontrollstelle<br />

NACHHALTIGER WASSER- UND UMWELTSCHUTZ<br />

absolut nachhaltige und schonende<br />

Bewirtschaftung der<br />

Quellen/<strong>Wasser</strong>vorkommen<br />

aktiver <strong>Wasser</strong>schutz durch<br />

verpflichtende Förderung <strong>des</strong><br />

Ökolandbaus und sonstiger<br />

Umweltschutzprojekte<br />

4 8 8<br />

4 8 8 2<br />

4 8 8<br />

4 8 8<br />

4 8 8<br />

1 Darf weniger stark behandelt werden als Leitungswasser. Aber: Einsatz von Ozon und Aluminiumoxid erlaubt; keine Regelung bezüglich radioaktiver Bestrahlung.<br />

2 keine Deklaration, da nicht in Flaschen abgefüllt.<br />

3 Betrifft nichtrelevante Metabolite von Pflanzenschutzmitteln, Arzneimittelrückstände, perfluorierte Tenside und andere.<br />

Foto: © PreussenQuelle<br />

30 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

Papier GmbH.


Er bekämpft den Raubbau an unserem wichtigsten <strong>Lebens</strong>mittel:<br />

Der sanfte Bio-Rebell Dr. Franz Ehrnsperger.<br />

Foto: © Lammsbräu<br />

Ulrich Lössl, Geschäftsführer <strong>des</strong> Mineralbrunnens aus dem<br />

süddeutschen Kurort, folgendermaßen zusammen: „Für uns<br />

stellt ein verantwortungsvoller Umgang mit natürlichen Ressourcen<br />

die Basis unseres <strong>Wirtschaften</strong>s dar. Die Bio-Mineralwasser-Zertifizierung<br />

unterstreicht unseren Anspruch auf<br />

eine ausgewogene Verknüpfung von wirtschaftlichem und<br />

umweltbewusstem Handeln sowie gesellschaftlicher Verantwortung.“<br />

Was das genau heißt, erklärt Lössl am Beispiel<br />

der eigenen Quelle: „Unser <strong>Wasser</strong> ist durch mächtige Deckschichten<br />

und die intakte Natur im Kurort Bad Dürrheim bestens<br />

gegen schädliche Umwelteinflüsse geschützt. Damit das<br />

aber auch so bleibt, beobachten wir unsere Region genau,<br />

fördern den Ökolandbau und bringen uns auch über unser<br />

Quelleinzugsgebiet hinaus aktiv zu Themen <strong>des</strong> <strong>Wasser</strong>schutzes<br />

ein.“ Konkret wird dieses Engagement unter anderem<br />

in der Zusammenarbeit <strong>des</strong> Bio-Mineralbrunnens mit der<br />

solidarischen Landwirtschaft Baarfood in Villingen-Schwenningen<br />

oder dem Umweltzentrum Schwarzwald-Baar-Neckar<br />

sowie der Naturschutzstiftung <strong>des</strong> Schwarzwaldvereins. Als<br />

Mitinitiator setzt sich Bad Dürrheimer in einem aktuellen<br />

Projekt durch das Anlegen von Blühwiesen zudem für die Förderung<br />

der Artenvielfalt und den Bodenschutz ein. Projekte,<br />

deren nachhaltiges Gelingen Franz Ehrnsperger freuen: „Was<br />

durch die Bio-Mineralwasser-Brunnen und ihr aktives Engagement<br />

in ihren Regionen vielerorts gerade entsteht, könnte<br />

man lokale Reservate reinen <strong>Wasser</strong>s nennen. Netzwerke<br />

bilden sich, in denen man sich gegenseitig bei einer wirklich<br />

nachhaltigen und auf Pestizide und Co. verzichtenden<br />

Wirtschaftsweise unterstützt. Je mehr Bio-Mineralwasser-<br />

Brunnen es werden, <strong>des</strong>to großflächiger wird der Schutz <strong>des</strong><br />

<strong>Wasser</strong>s. Und genau das ist unser Ziel.“<br />

www.bio-mineralwasser.de<br />

www.umweltbun<strong>des</strong>amt.de<br />

www.bad-duerrheimer.de<br />

www.lammsbraeu.de<br />

Unsere Überzeugung<br />

können Sie trinken.<br />

Frei von<br />

künstlichen Süßstoffen,<br />

Medikamentenrückständen,<br />

Pflanzenschutzmitteln,<br />

Uran und Abbauprodukten<br />

von Pestiziden.<br />

www.biokristall.de<br />

BioKristall ist eine Marke<br />

der Neumarkter Lammsbräu.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

31


Die <strong>Wasser</strong>retentionslandschaft von Tamera – auch im Sommer bleibt das Grundstück in Südportugal ganzjährig grün.<br />

Eine Ausnahmeerscheinung in der staubtrockenen Gegend.<br />

VERSICKERN<br />

UND VERDUNSTEN<br />

Das neue <strong>Wasser</strong>-Paradigma<br />

Lokale Beispiele weltweit zeigen, wie ein anderer Umgang mit dem <strong>Wasser</strong> Wüstenbildung, Klimawandel<br />

und Kriege aufhalten könnte.<br />

Von Leila Dregger<br />

„Ich kenne die Ursache <strong>des</strong> Syrien-Krieges“, sagt der Mann<br />

mit der weißen Kutte. Es ist Rajendra Singh, in seinem Land<br />

auch der „<strong>Wasser</strong>-Gandhi“ genannt. In Rajasthan/Indien<br />

initiierte der Doktor der Medizin eine Volksbewegung, die<br />

durch mehrere tausend traditionelle, einfache, dezentrale<br />

Stauanlagen, so genannte Yohads, den Regenwasserabfluss<br />

verlangsamen konnte. Das Ergebnis dieser schlichten Technik<br />

ist beeindruckend: Ein Gebiet von 6.500 Quadratkilometern<br />

in der Nähe der Thar-Wüste wurde wieder fruchtbar, der<br />

Grundwasserspiegel stieg von 100 auf 13 Meter, 1.000<br />

Dörfer haben wieder <strong>Wasser</strong>, fünf versiegte Flüsse fließen<br />

wieder ganzjährig. Die landwirtschaftliche Ernte hat sich<br />

verfünffacht, die Männer müssen nicht mehr weggehen, um<br />

Einkommen zu generieren, und um <strong>Wasser</strong> zu holen, müssen<br />

die Frauen nur noch bis zum Dorfbrunnen gehen. Die Einwohner<br />

schlossen sich zu Flussparlamenten zusammen und<br />

treffen alle Entscheidungen über <strong>Wasser</strong> und Abwasser gemeinsam.<br />

Bergbau und Abholzungsfirmen haben hier keine<br />

Chance mehr. Für seine Errungenschaften wurde Rajendra<br />

der renommierte Stockholm-<strong>Wasser</strong>preis verliehen, und die<br />

britische Zeitung „Guardian“ wählte ihn zu einem der fünfzig<br />

einflussreichsten Menschen der Erde. Seit Jahren bereist<br />

Foto: © Simon du Vinage<br />

32 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


WASSER – GRUNDLAGE DES LEBENS | SCHWERPUNKT<br />

er die Welt und berät Menschen, Dörfer und Regionen in<br />

ähnlichen Situationen. Mit Blick auf Syrien ist er sicher: „Die<br />

Ursache <strong>des</strong> Krieges ist nicht Religion und nicht Terrorismus,<br />

es sind die Staudämme <strong>des</strong> Euphrat in der Türkei.“<br />

Kampf um das <strong>Wasser</strong><br />

Tatsächlich gibt es seit über vierzig Jahren Auseinandersetzungen<br />

um die Flüsse, die aus der Türkei nach Syrien und in den<br />

Irak fließen. In Trockenzeiten versiegen Euphrat und Tigris fast<br />

– mit dramatischen Folgen für die ältesten Agrarkulturen im<br />

Zweistromland. Die daraus folgende Not und Verunsicherung<br />

– so ist Rajendra sicher – führten zur zunehmenden Radikalisierung<br />

der Bevölkerung, zu Diktatur, Extremismus – und Krieg.<br />

Medien berichten fast nie über die seit Jahren anhaltende<br />

Dürre im ehemals „fruchtbaren Halbmond“, die den Ländern<br />

ihre ökonomische Stabilität entzieht. Sie ist dabei nicht das<br />

Ergebnis einer Naturkatastrophe, sondern menschengemacht:<br />

Folge eines falschen <strong>Wasser</strong>- und Landmanagements.<br />

Doch der geschieht weltweit. Syrien ist dafür nur ein Beispiel.<br />

Weltweit haben fast eine Milliarde Menschen nicht ausreichend<br />

Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der ehemalige<br />

UN-Generalsekretär Ban KiMoon sagte: „Die Kriege <strong>des</strong> 21.<br />

Jahrhunderts werden um <strong>Wasser</strong> geführt.“ Die Weltbank teilt<br />

bereits die Länder der Erde in wasserarme und wasserreiche<br />

Länder ein, wobei die einen in Zukunft völlig von den anderen<br />

abhängig sein werden.<br />

In einem gesunden Kreislauf zirkuliert das <strong>Wasser</strong> innerhalb der<br />

Region – wenn der Kreislauf aus Verdunstung und Vegetation nicht<br />

durch Flächenversiegelung, Waldzerstörung und Monokulturen<br />

unterbrochen wird.<br />

Grafik: © Rain for Climate<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

33


Check-Dams in der Slowakei – der Abfluss <strong>des</strong> Regenwassers wird aufgehalten und gebremst, damit es einsickern kann.<br />

Das verhindert Bodenerosion und Überschwemmung.<br />

<strong>Wasser</strong>kreisläufe als Perpetuum Mobile<br />

Falsch und unnötig, meint Rajendra Singh. „Jede Region hat<br />

die Möglichkeit, ihre Bewohner mit ausreichend <strong>Wasser</strong><br />

zu versorgen.“ Rajendra ist Teil einer noch kleinen, aber<br />

global vernetzten Bewegung, die ein anderes Paradigma im<br />

Umgang mit <strong>Wasser</strong> propagiert und anwendet. <strong>Wasser</strong>bauingenieur<br />

Michal Kravcik aus der Slowakei bringt es auf den<br />

Punkt: „Es geht bei einem gesunden <strong>Wasser</strong>management<br />

nicht darum, <strong>Wasser</strong> zu speichern, sondern den Regen<br />

zurückzubringen.“<br />

Vor allem die kleinen oder lokalen Regenwasserkreisläufe<br />

sind wichtig: Das <strong>Wasser</strong>, das immer wieder abregnet, versickert,<br />

wird von Pflanzen aufgenommen und verdunstet.<br />

Kleine Regenwasserkreisläufe sind ein Perpetuum Mobile,<br />

sie erhalten und erneuern sich immer wieder selbst – vorausgesetzt,<br />

sie finden ausreichende Vegetation und offene<br />

Böden vor. Ursprünglich wurde diese „biotische Pumpe“<br />

durch Wälder in Gang gehalten. Heute, angesichts von Entwaldung<br />

und Flächenversiegelung, verlangt es einfache,<br />

aber vielfach wiederholte Maßnahmen, um sie wieder zu<br />

regenerieren: <strong>Wasser</strong> muss dort in den Boden eindringen<br />

können, wo es abregnet.<br />

Der Meteorologe Prof. Millan Millan aus Valencia bestätigt<br />

durch jahrzehntelange meteorologische Datenerhebungen<br />

die Erkenntnisse <strong>des</strong> neuen <strong>Wasser</strong>-Paradigmas: Auf der<br />

Suche nach den Gründen für veränderte Regenmuster Südeuropas<br />

stieß er auf den Verlust der kleinen <strong>Wasser</strong>kreisläufe<br />

– durch Flächenversiegelung, Städtebau, Erosion, industrielle<br />

Landwirtschaft, Überweidung und Entwaldung. Geschieht<br />

dies in Schlüsselregionen wie etwa in Küstennähe, wird ein<br />

Regenwasserkreislauf, der zuvor sein <strong>Wasser</strong> viele hundert,<br />

sogar tausend Kilometer weit getragen hat, gleich an seiner<br />

Entstehung gehindert.<br />

Spanien wird verwüstet …<br />

„Entwaldung und betonierte Touristenburgen an den Küsten<br />

Spaniens und Portugals sind die Ursache dafür, dass der Regen<br />

nicht mehr gleichmäßig auf der Iberischen Halbinsel fällt,<br />

sondern die Wolken statt<strong>des</strong>sen zurück aufs Meer getrieben<br />

werden“, sagt Prof. Millan. Damit sind sie auch eine der<br />

Ursachen für das Aufgeben von Tausenden von Kleinbauern<br />

im ganzen Land und damit für Arbeitslosigkeit aber auch für<br />

das Austrocknen von Quellen und Flüssen, das Ansteigen<br />

<strong>des</strong> Meeresspiegels im Mittelmeer und die Veränderung<br />

von Regenmustern bis hin nach England und Deutschland.<br />

Die große Erkenntnis lautet: Um <strong>Wasser</strong>sicherheit zu haben,<br />

nützt es nicht, das <strong>Wasser</strong> zu stauen, einzusperren und zu<br />

kontrollieren. Im Gegenteil: Die größte <strong>Wasser</strong>sicherheit<br />

erhalten wir, wenn wir es freigeben, das heißt verdunsten<br />

und versickern lassen. Das regeneriert die kleinen <strong>Wasser</strong>kreisläufe<br />

und damit unsere wichtigste Versorgung mit dem<br />

Stoff, auf den kein Lebewesen verzichten kann.<br />

Es ist kein Wunder, dass diese Erkenntnis bei Landbesitzern,<br />

Regierungen, Staudammbetreibern oder <strong>Wasser</strong>konzernen<br />

auf Ablehnung stößt. Worte wie „loslassen“ und „freigeben“<br />

gehören nun mal nicht ins Vokabular der üblichen Sicherheitskonzepte.<br />

Das Speichern von <strong>Wasser</strong> in immer größeren<br />

Einheiten, die Privatisierung von Flüssen und <strong>Wasser</strong>rechten<br />

und der Verkauf von <strong>Wasser</strong> an Industrie und industrialisierte<br />

Landwirtschaft ist dagegen ein global einträgliches Geschäft.<br />

Doch viele Millionen Menschen leiden darunter, große Regionen<br />

werden zur Wüste.<br />

Es geht auch anders<br />

Dabei gibt es viele Beispiele für gelungenes ganzheitliches<br />

<strong>Wasser</strong>management.<br />

Michal Kravcik gelang es, ein großräumiges Beispielprojekt<br />

in der Slowakei zu initiieren: Mit der Bürgerinitiative „People<br />

and Water“ bauten Tausende von Menschen in 18 Monaten<br />

in 488 Dörfern und Städten in einer degradierten Landschaft<br />

rund 100.000 kleine „Checkdams“ aus Steinen und Holz. Die<br />

Aktion wurde von der damaligen Regierung finanziert und<br />

wurde als großer Erfolg verbucht. Die <strong>Wasser</strong>haltekraft der<br />

Region wurde auf zehn Millionen Kubikmeter erhöht. Der<br />

Fotos: © Rain for Climate<br />

34 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Foto: © Ludwig Schramm<br />

Water is Life – <strong>Wasser</strong> ist Leben – war der Slogan der Standing<br />

Rock-Proteste durch eine Aerial Art-Aktion gegen Ölbohrungen<br />

in Portugal im August <strong>2018</strong>.<br />

geplante Großstaudamm musste nicht gebaut werden. Eine<br />

Fortsetzung <strong>des</strong> Programms auf lan<strong>des</strong>weiter Ebene wurde<br />

allerdings von der neuen Regierung der Slowakei im Jahre 2007<br />

verhindert: Immer noch scheint die Staudammlobby stärker.<br />

Ein weiteres Beispiel stammt aus Australien, wo bereits in<br />

den 1950er Jahren der Bauer und Ingenieur P. A. Yeomans<br />

das Keyline-System erfand: Durch das Anlegen vieler kleiner,<br />

parallel verlaufender Gräben auf den Höhenlinien eines<br />

Gelän<strong>des</strong> mit Hilfe eines Spezialpfluges (Yeomans-Pflug)<br />

kann <strong>des</strong>sen natürlicher <strong>Wasser</strong>haushalt außerordentlich<br />

Regen für das Klima<br />

Strategie für den Wandel<br />

Eine noch kleine, aber global vernetzte Gruppe von Praktikern und<br />

Wissenschaftlern propagiert ein neues <strong>Wasser</strong>-Paradigma: Nicht<br />

das Speichern von <strong>Wasser</strong> in großen Staudämmen und die Privatisierung<br />

von Waasserrechten, sondern einfachste, dezentrale Anlagen<br />

zur Verlangsamung und Versickerung <strong>des</strong> Regenwassers sind<br />

die beste Garantie für <strong>Wasser</strong>sicherheit. Denn sie können die lokalen<br />

Regenwasserkreisläufe und damit die natürliche <strong>Wasser</strong>versorgung<br />

für Mensch, Tier und Natur wieder in Gang bringen. Zahlreiche<br />

erfolgreiche Fallbeispiele deuten darauf hin, dass das neue<br />

<strong>Wasser</strong>-Paradigma, weltweit angewendet, der wichtigste Beitrag<br />

für Friedenssicherung und den Klimaschutz wäre. Die Kernthesen<br />

lauten:<br />

• <strong>Wasser</strong> ist ein zu wenig beachteter Faktor für den Klimaschutz.<br />

• Jeder Bewohner <strong>des</strong> Planeten sollte dafür sorgt, dass 100 Kubikmeter<br />

Regenwasser nicht mehr ungenutzt abfließen, sondern in<br />

den Erdboden einsickern. Damit können der Klimawandel aufgehalten<br />

und Ökosysteme restauriert werden.<br />

• Dezentral handeln: Nicht Regierungen, sondern Gemeinden und<br />

Dörfer sind die Protagonisten dieser Strategie. Das Label „<strong>Wasser</strong>verantwortliches<br />

Dorf“ sollte eingeführt werden.<br />

• Die vielen Fallbeispiele verschiedener Regionen sollten zu ganzheitlichen<br />

Vorzeigemodellen gelungener <strong>Wasser</strong>retention aufgewertet<br />

und global verfügbar gemacht werden.<br />

www.rainforclimate.com<br />

verbessert werden. Selbst Starkregen fließt nicht mehr vollständig<br />

ab, sondern wird vom Boden aufgenommen. Das<br />

verringert die Erosion erheblich, in den Gräben bildet sich<br />

darüber hinaus neue, wertvolle Muttererde. Das System wird<br />

heute von Permakultur-Aktivisten und Landbesitzern weltweit<br />

angewandt, vor allem in von Wüstenbildung bedrohten<br />

Gebieten verspricht es großen Erfolg.<br />

Eine ganz andere, aber noch effektivere Idee kommt aus<br />

Afrika: Alan Savory, aufgewachsen in Zimbabwe, studierte<br />

die Weidemuster von durchziehenden Wildtierherden und<br />

ihren positiven Effekt auf die <strong>Wasser</strong>speicherkraft von Grasland.<br />

Die vielen Nutztierherden hatten diesen Effekt nicht,<br />

im Gegenteil: Sie verhärten die Erde, und Regenwasser<br />

konnte nicht mehr eindringen. Savory entwickelte das Holistic<br />

Grazing Management (ganzheitliches Weidemanagement),<br />

ein durch flexible Zäune gesteuertes Wei<strong>des</strong>ystem, das<br />

dem Weidemuster von Wildtierherden folgt: intensiv, aber<br />

kurzfristig. Da 40 Prozent der Landmasse <strong>des</strong> Planeten aus<br />

Grasland bestehen, könnte solch ein Weidemanagement eine<br />

äußerst effiziente und kostengünstige Art sein, die globale<br />

<strong>Wasser</strong>situation zu verbessern.<br />

Regen für das Klima<br />

Ingenieur Bernd Müller aus Tamera/Portugal berät Landbesitzer<br />

und Hilfsorganisationen in Krisengebieten wie Haiti,<br />

Bolivien oder Kenia, sein Bruder tut dasselbe im südlichen<br />

Portugal. Ihre Erfahrung zeigt: Durch Waldaufbau, Terrassierung,<br />

Seen, Teiche oder Gräben kann der Abfluss <strong>des</strong> Regenwassers<br />

verlangsamt werden und erhält damit Zeit, in den<br />

Erdboden einzusickern. Müller: „Wenn wir diese Erfahrung<br />

auf ein größeres Gebiet hochrechnen, werden wir erfahren,<br />

dass es sich auch auf die Regenentwicklung auswirken wird.“<br />

Genau das haben die Vertreter <strong>des</strong> neuen <strong>Wasser</strong>-Paradigmas<br />

vor. Sie arbeiten an einer „globalen Strategie für die<br />

Restaurierung der kleinen <strong>Wasser</strong>kreisläufe und <strong>des</strong> Klimas“<br />

und nennen sie kurz „Rain for Climate“.<br />

Bernd Müller: „Die Umsetzung eines ganzheitlichen <strong>Wasser</strong>konzeptes<br />

mit <strong>Wasser</strong>retention und Mischwaldaufbau könnte<br />

auch krisengeschüttelten Regionen wieder Erleichterung<br />

bringen. Wenn Flüsse, Bäche und Quellen einer Region wieder<br />

fließen, wenn Regen wieder häufiger und gleichmäßiger<br />

fällt, dann wird sich auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft<br />

wieder lohnen. Andere Produktionsbereiche leben auf und<br />

die Dörfer können sich wieder bevölkern.“<br />

Auch für Syrien wäre dieses Vorgehen eine Rettung, meint Bernd<br />

Müller, ein wirksames und natürliches <strong>Wasser</strong>management<br />

ist in seinen Augen die wirkungsvollste Weise, Fluchtursachen<br />

zu bekämpfen: „Der <strong>Wasser</strong>haushalt <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> ist nicht nur<br />

vom Flusslauf abhängig, sondern ebenso von der Landnutzung<br />

der Region, vom Wald, von der Landwirtschaft, vom <strong>Wasser</strong>management.<br />

Wenn die Menschen auf lokaler Ebene in Syrien<br />

ähnlich handeln wie die in Rajasthan, wenn sie an tausend Orten<br />

einfache Retentionsanlagen installieren und den Wald erneuern,<br />

dann kommt der kleine <strong>Wasser</strong>kreislauf wieder in Gang und der<br />

<strong>Wasser</strong>verlust <strong>des</strong> Euphrat kann ausgeglichen werden.“<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

35


WASH in Kamerun: Ingenieure ohne Grenzen setzen auf nachhaltige und langfristige Entwicklungszusammenarbeit zur Verbesserung der ...<br />

KAMERUN BRAUCHT „WASH“<br />

Ingenieure ohne Grenzen verbessern <strong>Wasser</strong>- und Sanitärversorgung<br />

Während wir in Deutschland sauberes Leitungswasser trinken und nahezu überall öffentliche Toiletten vorfinden<br />

können, ist dies in anderen Regionen der Welt keine Selbstverständlichkeit. Verunreinigtes Trinkwasser<br />

und notdürftig errichtete Sanitäranlagen können Krankheitserreger beherbergen und beeinflussen<br />

ganz elementar die <strong>Lebens</strong>qualität der Menschen.<br />

Von Daniel Schröder und Eva Weingärtner<br />

Die Vereinten Nationen wollen den Zugang zu <strong>Wasser</strong>, Sanitär,<br />

Hygiene (WASH) im Rahmen ihrer Agenda 2<strong>03</strong>0 für<br />

nachhaltige Entwicklung weltweit verbessern. Die Hilfsorganisation<br />

Ingenieure ohne Grenzen e.V. leistet seit 2011 in dem<br />

zentralafrikanischen Land Kamerun einen aktiven Beitrag<br />

zum Erreichen dieses Ziels. Um möglichst vielen Menschen<br />

die Chance auf verbesserte <strong>Wasser</strong>- und Sanitärversorgung zu<br />

geben, unterstützt die Organisation gemeinsam mit lokalen<br />

Partnern und unter Einbeziehung der Menschen vor Ort den<br />

Auf- und Ausbau grundlegender Infrastruktur. Mit Materialien<br />

aus der Region wird angepasste Technik aufgebaut und<br />

eingesetzt, um die Bedürfnisse der Menschen vor allem in<br />

den ländlichen Regionen Kameruns zu erfüllen.<br />

Hilfe zur Selbsthilfe<br />

Konkret sind es vier Projekte, mit denen die Regionalgruppen<br />

Köln, Kassel, Gießen und Aachen von Ingenieure ohne<br />

Grenzen in Kamerun Hilfe zur Selbsthilfe leisten oder bereits<br />

geleistet haben:<br />

Im Mai 2015 wurde ein neues <strong>Wasser</strong>versorgungssystem im<br />

Bergdorf Bandiangseu errichtet. Ein erster Schritt, um den<br />

Zugang zu sauberem <strong>Wasser</strong> zu ermöglichen. Auch im Dorf<br />

Nkoumissé Sud im tropischen Regenwald haben die Menschen<br />

keinen Zugang zu sauberem <strong>Wasser</strong>. Trotz der Nähe<br />

zur Hauptstadt Yaoundé ist kaum staatliche Infrastruktur<br />

vorhanden. Deswegen wird dort in Zusammenarbeit mit<br />

den Dorfbewohnern derzeit die <strong>Wasser</strong>versorgung erneuert.<br />

Fotos: © Ingenieure ohne Grenzen<br />

36 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


... <strong>Wasser</strong>versorgung, der Sanitäranlagen und der Hygiene-Schulung in ländlichen Regionen Kameruns.<br />

Zudem soll ein Bewusstsein für Hygiene geschaffen werden.<br />

Neben der Versorgung mit sauberem <strong>Wasser</strong> ist auch der<br />

Aufbau von Sanitäranlagen ein wichtiges Thema.<br />

An einer schwer zu erreichenden Grundschule im Bergdorf<br />

Ebendi existiert derzeit nur eine Latrine mit Sickergrube für<br />

circa 200 NutzerInnen. Mit dem Aufbau von hygienischeren<br />

Trenntoiletten soll die <strong>Lebens</strong>qualität verbessert werden.<br />

Am „Institut le Levant“ in Bertoua, einer Sekundarschule<br />

im Osten <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, läuft derzeit die Projektierung eines<br />

Technik für Menschen<br />

Ingenieure ohne Grenzen e.V. ist eine 20<strong>03</strong> gegründete, gemeinnützig<br />

anerkannte private Hilfsorganisation mit 3.500 Fördermitgliedern,<br />

wovon sich circa 1.000 aktiv engagieren. Die ehrenamtlichen<br />

Mitarbeiter kommen aus dem ganzen Bun<strong>des</strong>gebiet und werden<br />

von hauptamtlichen Mitarbeitern in der Berliner Geschäftsstelle<br />

unterstützt. Die Ingenieure ohne Grenzen agieren unabhängig von<br />

politischen, religiösen oder ethnischen Gesichtspunkten und waren<br />

in den letzten Jahren in über 30 Ländern im Einsatz.<br />

Ziel der Organisation ist es, die <strong>Lebens</strong>bedingungen notleidender<br />

und benachteiligter Menschen langfristig und nachhaltig zu verbessern<br />

– stets basierend auf partnerschaftlicher Unterstützung<br />

im Rahmen einer grundbedürfnisorientierten Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Ingenieure ohne Grenzen lebt von dem Engagement seiner vielen<br />

ehrenamtlichen Unterstützer. Durch ein breites Mitmachangebot<br />

können Menschen unterschiedlichster Hintergründe und beruflicher<br />

Ausbildung in ganz Deutschland im Feld der Entwicklungszusammenarbeit<br />

aktiv werden. Jede Spende unterstützt das Engagement<br />

in Kamerun langfristig (Spendenstichwort: WASH-Kamerun).<br />

ausreichend großen Toilettenhauses in Kooperation mit<br />

der Schulleitung auf Hochtouren. Zurzeit müssen sich circa<br />

1.300 Schüler und Schülerinnen sowie das Lehrpersonal acht<br />

Toiletten teilen.<br />

In allen Projekten von Ingenieure ohne Grenzen in Kamerun<br />

zeigt sich: Wissensaustausch ist eine wesentliche Voraussetzung<br />

dafür, dass die ehrenamtliche Arbeit gelingt und ihre<br />

erwünschte Wirkung erzielt. Ein tiefgehen<strong>des</strong> Verständnis der<br />

lokalen sozialen Gefüge vor Ort sowie die gemeinsame Arbeit<br />

mit der Bevölkerung und lokalen Hilfsorganisationen sind<br />

wichtige Bedingungen für das Erreichen der gesetzten Ziele<br />

im Rahmen <strong>des</strong> Programms <strong>Wasser</strong> und Sanitär für Kamerun.<br />

Und wer kein Ingenieur, sondern „nur“ Manager ist, muss<br />

<strong>des</strong>halb nicht verzweifeln: Die Stiftung Manager ohne Grenzen<br />

bietet ebenfalls Einsatzmöglichkeiten für ein Engagement<br />

in der Entwicklungszusammenarbeit.<br />

www.ingenieure-ohne-grenzen.org<br />

www.stiftung-managerohnegrenzen.de<br />

DANIEL SCHRÖDER<br />

ist Ingenieur für Verfahrenstechnik und engagiert sich seit 2016<br />

aktiv in der Regionalgruppe Gießen von Ingenieure ohne Grenzen<br />

im Projekt Verbesserung der <strong>Wasser</strong>- und Sanitärversorgung am<br />

„Institut le Levant“.<br />

EVA WEINGÄRTNER<br />

ist Wirtschaftsingenieurin und unterstützt das Programm <strong>Wasser</strong> und<br />

Sanitär für Kamerun im Bereich Kommunikation und Budgetplanung.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

37


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

Ein Leitfaden für<br />

ETHISCH-NACHHALTIGE<br />

IMMOBILIENINVESTMENTS<br />

Bevölkerungswachstum, Migration und das Anwachsen der Städte erfordern dringend, dem Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

im Wohnungsbau mehr Aufmerksamkeit zu schenken. <strong>forum</strong> sprach mit Gesa Vögele und<br />

Markus Zeilinger über ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments und hilfreiche Leitfäden zur Bewertung.<br />

Gesa Vögele ist Mitglied<br />

der Geschäftsführung <strong>des</strong><br />

Corporate Responsibility<br />

Interface Center (CRIC)<br />

e. V., eines gemeinnützigen<br />

Vereins zur Förderung<br />

von Ethik und <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

bei der Geldanlage.<br />

CRIC verfügt über ca.<br />

100 Mitglieder vor allem<br />

in Deutschland, Österreich<br />

und der Schweiz.<br />

Markus Zeilinger ist Gründer<br />

und Vorstandsvorsitzender<br />

der fair-finance<br />

Vorsorgekasse in Wien und<br />

betreibt mit dem fair-finance<br />

real estate sustainable<br />

Fonds den einzigen<br />

zertifizierten nachhaltigen<br />

Immobilienfonds.<br />

Frau Vögele, warum Ihr Engagement im Bereich<br />

Immobilien?<br />

Wohnimmobilien spielen im Kontext von<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit eine große Rolle. Dies kommt<br />

beispielsweise in der Agenda 2<strong>03</strong>0 zum<br />

Ausdruck. „Städte und Siedlungen inklusiv,<br />

sicher, widerstandsfähig und nachhaltig<br />

gestalten“ lautet eines der 17 UN-<strong>Nachhaltig</strong>keitsziele,<br />

zu dem unter anderem<br />

zählt, für angemessenen und bezahlbaren<br />

Wohnraum zu sorgen, die von Städten ausgehende<br />

Umweltbelastung zu minimieren<br />

und auf eine partizipatorische, integrierte<br />

und nachhaltige Planung und Steuerung von<br />

Siedlungen hinzuwirken. Immobilien bergen<br />

ein enormes soziokulturelles, ökologisches<br />

und ökonomisches Wirkungspotenzial, das<br />

damit auch Investierende, die sozial verantwortlich<br />

und ökologisch nachhaltig handeln<br />

möchten, vor große Herausforderungen<br />

stellt: Welche Kriterien sind relevant, wie<br />

können sie berücksichtigt werden und was<br />

folgt aus dem Umstand, dass <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

bei Immobilien oftmals noch mit Energieeffizienz<br />

und Bauökologie gleichgesetzt<br />

wird und die bisherige Praxis soziokulturelle<br />

Aspekte meist vernachlässigt? Außerdem:<br />

Welche Informationen bieten gängige<br />

Instrumente, die Immobilien im Hinblick<br />

auf ihre <strong>Nachhaltig</strong>keit bewerten, und wie<br />

umfassend sind die zugrunde liegenden<br />

Ansätze? Derartige Fragen beschäftigen<br />

verstärkt auch Mitglieder von CRIC, einem<br />

im deutschsprachigen Raum tätigen Verein<br />

zur Förderung von Ethik und <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

bei der Geldanlage. Schnell erklärte sich ein<br />

CRIC-Mitglied, die KlimaGut Immobilien AG,<br />

mit Gründer und Vorstand Fabian Tacke, dazu<br />

bereit, eine erste Skizze für einen Leitfaden<br />

zu entwerfen. Diese zielte nicht nur darauf<br />

ab, bestehende Instrumente zur <strong>Nachhaltig</strong>keitsbewertung<br />

von Immobilien zu analysieren,<br />

sondern wollte auch Anforderungen an<br />

eine umfassend nachhaltige Ausrichtung von<br />

Immobilienprojekten formulieren.<br />

… und was genau steht da drin?<br />

Im Frühjahr dieses Jahres war es dann so weit:<br />

Der Leitfaden für ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments.<br />

Ein Überblick zu Kriterien<br />

und Bewertungsinstrumenten in Deutschland<br />

konnte veröffentlicht werden. Die 52-seitige<br />

Publikation, die kostenlos verfügbar ist, besteht<br />

aus zwei Teilen: Der erste identifiziert<br />

und beschreibt die relevanten <strong>Nachhaltig</strong>keitskriterien<br />

für alle zehn Perioden <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong>zyklus‘<br />

von Immobilien (siehe Grafik). Im<br />

Anschluss daran stellt der Ratgeber zunächst<br />

Instrumente für die Bewertung der <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

von Immobilien dar, etwa Siegel oder<br />

Zertifizierungen, um sie dann auf die Frage<br />

hin zu untersuchen, ob und bis zu welchem<br />

Grad die im ersten Abschnitt entwickelten<br />

Kriterien abgedeckt werden. Als Analyseraster<br />

liegt dem Leitfaden das Dreisäulen-Konzept<br />

der <strong>Nachhaltig</strong>keit zugrunde, was bedeutet,<br />

dass jeweils soziokulturelle, ökologische und<br />

ökonomische Aspekte einbezogen werden.<br />

Bei der Analyse der Bewertungsinstrumente<br />

für die <strong>Nachhaltig</strong>keit von Immobilien hat sich<br />

gezeigt, dass es noch eine Reihe von blinden<br />

Flecken beispielsweise bei den Aspekten<br />

Sozialverträglichkeit, Gemeinwohl und Integration<br />

gibt. Aber auch ökologische Themen,<br />

etwa die Boden- und Flächeneffizienz, finden<br />

bislang in gängigen Bewertungsinstrumenten<br />

wenig Berücksichtigung. Keines der untersuchten<br />

Bewertungsinstrumente deckt alle<br />

im Leitfaden enthaltenen Kriterien ab. Es gibt<br />

also noch Luft nach oben.<br />

38 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

Wird der Ratgeber weiter aktualisiert?<br />

Einschlägigen Marktdaten zufolge gewinnen nachhaltige<br />

Immobilieninvestments zumin<strong>des</strong>t quantitativ weiter an<br />

Bedeutung. Anliegen <strong>des</strong> Leitfadens für ethisch-nachhaltige<br />

Immobilieninvestments ist es, die Entwicklung von Qualität<br />

in einem umfassenden Sinne zu unterstützen. Nach ersten<br />

Diskussionen, die zu dem Leitfaden geführt wurden, könnten<br />

sich hierfür zwei unterschiedliche Strategien gegenseitig<br />

ergänzen und befruchten: Die großen Investitionen mit<br />

standardisierten und detaillierten Kriterien adressieren und<br />

zugleich mit kleineren Akteuren, etwa Stiftungen, Experimente<br />

wagen und Good Practice-Projekte umsetzen. Die<br />

gezielte Arbeit an bestimmten Kriterien – beispielsweise<br />

an der Gemeinwohlorientierung oder der Flächeneffizienz<br />

– und Perioden im Immobilienzyklus könnte ein weiterer<br />

Ansatzpunkt sein. Denn Investoren halten eine Immobilie<br />

häufig nur während der Bewirtschaftung, was es sinnvoll<br />

erscheinen lässt, speziell die Möglichkeiten <strong>des</strong> Einflusses für<br />

diese Periode genauer für sie auszuarbeiten. Der Leitfaden<br />

will sich als einen Beitrag verstanden wissen, die Debatte<br />

um das Thema ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments<br />

voranzutreiben und praktische Hilfe zu bieten. Die Arbeiten<br />

am Leitfaden sind somit keineswegs abgeschlossen. Vielmehr<br />

soll er im Austausch mit Investierenden, Finanzakteuren und<br />

Praktikern aus dem Immobilienbereich sowie Fachleuten aus<br />

Wissenschaft und Zivilgesellschaft weiterentwickelt werden.<br />

Die Planungen hierfür laufen. Weitere Debattenbeiträge sind<br />

herzlich willkommen.<br />

Herr Zeilinger, die fair-finance gibt ebenfalls einen Immobilien-Leitfaden<br />

heraus. Wie unterscheidet sich dieser vom<br />

Leitfaden von CRIC.<br />

fair-finance setzt ein konkret anwendbares Rating- und<br />

Bewertungssystem, vergleichbar den Systemen von Green<br />

Building, Leed, Breeam oder DGNB ein. Wobei diese genannten<br />

Systeme nur für Neubauten geeignet und stark<br />

auf Energieeffizienz ausgerichtet sind. Der Leitfaden von<br />

CRIC ist ein ideelles Konzept, dem wir uns zu 100 Prozent<br />

anschließen können. Sollte daraus ein konkretes Bewertungs-<br />

und Ratingsystem entstehen, könnte das fair-finance<br />

System die Basis dazu sein. Es wäre jedenfalls wünschenswert,<br />

jeder Immobilie einen transparenten und möglichst<br />

vergleichbaren <strong>Nachhaltig</strong>keitswert zuordnen zu können.<br />

Dazu ist ein einheitliches System notwendig, welches CRIC<br />

entwickeln könnte.<br />

Wo liegen Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich<br />

und könnte es zukünftig gemeinsame Bewertungsmaßstäbe<br />

geben?<br />

Mit der Beteiligung an der KlimaGut Immobilien AG sind<br />

wir Anfang dieses Jahres den Schritt von Österreich nach<br />

Deutschland gegangen. Als nächstes müssen wir das fair-fi-<br />

Ihr Projekt ist nachhaltig<br />

– Ihre Finanzierung auch?<br />

Ganz gleich ob Sie ein ökologisches Projekt umsetzen<br />

wollen oder eine soziale Einrichtung planen, als<br />

Kreditspezialistin unterstützen wir Sie gerne. Seit<br />

mehr als 40 Jahren finanzieren wir Unternehmen<br />

und Projekte aus nachhaltigen Zukunftsbranchen.<br />

Nutzen auch Sie diese langjährige Expertise.<br />

Telefon +49 234 5797 300<br />

gls.de/finanzieren<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

39


Leitfaden für ethisch-nachhaltige<br />

Immobilieninvestments<br />

nance Rating- und Bewertungssystem adaptieren und für<br />

Deutschland anpassen. Erst dann können wir auch Immobilien<br />

in Deutschland für unsere Eigenveranlagung sinnvoll<br />

erwerben. Mit Herrn Tacke, dem Gründer und Vorstand der<br />

KlimaGut haben wir einen ausgewiesenen <strong>Nachhaltig</strong>keitsexperten<br />

hinzugewonnen und mit der GLS Immowert GmbH in<br />

Nürnberg steht uns ein spezialisiertes und kompetentes Team<br />

in der erweiterten Unternehmensgruppe zur Verfügung.<br />

Wir werden jedenfalls versuchen, vorhandenes Know-how<br />

zu nutzen und das Rad nicht nochmals erfinden. Ob gemeinsame<br />

Bewertungsmaßstäbe möglich sind, muss sich<br />

erst zeigen. Unser Immobilienfonds muss die Vorgaben <strong>des</strong><br />

Österreichischen Umweltzeichens für Finanzprodukte erfüllen,<br />

welche stark auf österreichische Gegebenheiten zugeschnitten<br />

sind. Als Beispiel darf ich den unterschiedlichen<br />

Zugang zum Thema Atomenergie nennen.<br />

Erlangen nachhaltige Immobilien größere Bedeu tung?<br />

Die aktuell sehr starke Nachfrage nach Immobilien wird meiner<br />

Meinung nach anhalten, auch wenn viele voraussagen,<br />

dass sich dies bei steigenden Zinsen ändern wird. Und <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

ist kein Trend mehr, sondern bereits Ausdruck eines<br />

Wertewandels. In einigen Jahren wird die <strong>Nachhaltig</strong>keit von<br />

Immobilien ein standardisiertes Thema und für jedermann<br />

verständlich sein, vergleichbar dem Kraftstoffverbrauch und<br />

den Emissionen der Kraftfahrzeuge.<br />

Was war der Grund für die Beteiligung/den Erwerb der<br />

KlimaGut AG in Berlin?<br />

Uns wurde ein vorbildlich nachhaltiges und wirtschaftlich<br />

attraktives Immobilienprojekt in Berlin zum Erwerb für<br />

unsere Eigenveranlagung angeboten. Da wir damals Objekte<br />

in Deutschland noch nicht im Anlageuniversum sahen, löste<br />

dies einen Nachdenkprozess aus. Wir kamen mit den Aktionären<br />

der KlimaGut überein, zukünftig einen gemeinsamen<br />

Weg gehen zu wollen.<br />

Möchten Sie mit dieser Beteiligung zukünftig verstärkt am<br />

deutschen Markt aktiv werden?<br />

Die KlimaGut entwickelt aktuell mehrere Wohnbauprojekte<br />

in Berlin bzw. im Großraum Berlin. Einige dieser Projekte sind<br />

als Einzelprojekte zu groß für das fair-finance Portfolio, so dass<br />

wir bald Co-Investoren und Partner und auch als Dienstleister<br />

in der nachhaltigen Immobilienentwicklung aktiv werden.<br />

www.cric-online.org<br />

www.fair-finance.at<br />

www.gls-immowert.de<br />

Grafik: © CRIC e.V./Klimagut Immobilien AG<br />

40 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

Papier GmbH.


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

ALLIANZEN DER<br />

KLIMARETTER<br />

Wer will<br />

schon Plastik<br />

im Mund.<br />

NEUe<br />

Borsten<br />

Rohstoffen<br />

Dieser Sommer hat es erneut gezeigt: Das Klima schlägt immer mehr<br />

Kapriolen und es wird Zeit, dass sich Kräfte zusammenschließen, um<br />

die Begrenzung der Erderwärmung beherzt anzugehen.<br />

<strong>forum</strong> startet dazu eine neue Serie: Die Klimaretter<br />

Immer mehr Menschen machen sich Sorgen um das Klima. Neue Allianzen entstehen,<br />

NGOs und Firmen ziehen gemeinsam an einem Strick und die Bereitschaft<br />

zur Aktion wächst. Ein gutes Beispiel: Die europäische Klimaklage einer Gruppe<br />

von Umweltorganisationen nimmt immer mehr Fahrt auf und auch in anderen Bereichen,<br />

national wie international, regt sich der Kampfgeist bei vielen Menschen<br />

und Organisationen. Dabei überrascht die Vielfalt der Akteure und zum Teil auch<br />

die Zusammensetzung der Bündnisse. Erfreulich ist auch, dass sich immer mehr<br />

Wirtschaftsvereinigungen den Klimaherausforderungen stellen. Deshalb stellen<br />

wir in <strong>forum</strong> ab der kommenden Ausgabe wichtige Akteure und Projekte vor und<br />

unterstützen aktiv deren Vernetzung. Als erstes Beispiel zeigen wir Ihnen die WWF<br />

Climate Saver und die Aktivitäten eines ausgewählten Teilnehmers aus Italien.<br />

www.climatesavers.org<br />

www.sciencebasedtargets.org<br />

Borsten aus<br />

nachwachsenden<br />

Rohstoffen<br />

nachwachsenden<br />

aus<br />

Sofidel – Ein WWF Climate Saver<br />

Die Sofidel-Gruppe mit Sitz in Porcari in der Provinz Lucca ist einer der weltweit führenden<br />

Hersteller von Hygiene- und Haushaltspapier und der erste italienische Hersteller, der sich dem<br />

Projekt WWF Climate Savers anschließt. Das Unternehmen verpflichtet sich darin bis 2<strong>02</strong>0:<br />

• die direkten CO 2<br />

-Emissionen pro Tonne produziertem Papier im Vergleich zu 2009 um 23<br />

Prozent zu reduzieren. Das bedeutet die Reduzierung von ca. 900.000 Tonnen CO 2<br />

, was den<br />

Emissionen einer Flotte von 10.000 Sattelzugmaschinen entspricht, die 10.000 km pro Jahr<br />

über einen Zeitraum von 10 Jahren fahren.<br />

• Begrenzung der indirekten CO 2<br />

-Emissionen, die von Dritten innerhalb der Wertschöpfungskette<br />

verursacht werden, um 13 Prozent, bezogen auf die Werte von 2010 pro Tonne produziertem<br />

Papier.<br />

• 8 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen auf die jährlich verbrauchte Kraftstoffmenge<br />

zu erreichen.<br />

Mit diesen Aktivitäten hat Sofidel die direkten CO 2<br />

-Emissionen in die Atmosphäre im Zeitraum<br />

von 2009-2016 um 19,1 Prozent reduziert. Die Maßnahmen umfassen Investitionen in Energieeffizienz,<br />

die Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und die Nutzung erneuerbarer<br />

Energiequellen. Ein weiteres wesentliches Handlungsfeld ist die Beschaffung von 100 Prozent<br />

Zellstoff mit Zertifizierung (FSC®, FSC Controlled Wood, SFI®, PEFC). Darüber hinaus arbeitet<br />

Sofidel daran, die <strong>Wasser</strong>ressourcen zu schützen und den Verbrauch innerhalb der Produktionsprozesse<br />

zu begrenzen (die <strong>Wasser</strong>menge, die in die Produktionsprozesse gelangt, ist deutlich<br />

geringer als der Branchenstandard: 7,0 l/kg gegenüber 15-25 l/kg).<br />

www.sofidel.com<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

hydrophil.com 41


HOT<br />

IN THE CITY<br />

Dieser Sommer hat es gezeigt: Steigende Temperaturen<br />

in Ballungszentren führen Menschen, Tiere<br />

und Pflanzen an ihre Belastungsgrenzen. Wir<br />

zeigen Ursachen, Konsequenzen und vor allem<br />

innovative Lösungsansätze<br />

Von Julia Knittel<br />

Urbane Ballungszentren unterscheiden sich klimatisch stark<br />

von ihrer ländlichen Umgebung. Die dichte Bebauung hat<br />

zahlreiche Auswirkungen, sowohl auf das Klima in kleinen<br />

Strukturen, das sogenannte Mikroklima, als auch auf das<br />

Klima im gesamten Stadtbereich. Oft entstehen sogenannte<br />

„Urban Heat Islands“, Hitzeinseln, über dicht bebauten Gebieten.<br />

Die Temperaturunterschiede zwischen Stadt und<br />

Land können am Abend in Extremfällen bis zu 12°C betragen,<br />

auch innerhalb der Stadtstruktur selbst kann es zu regionalen<br />

Unterschieden von bis zu 7°C kommen. Am größten sind diese<br />

Unterschiede in den Nachtstunden und auch im Laufe der<br />

Jahreszeiten machen sich immer mehr klimatische Unterschiede<br />

bemerkbar.<br />

Dieser Sommer hat es gezeigt: Es wird immer heißer und<br />

Städte sind besonders betroffen. Stadtbegrünung und<br />

offene <strong>Wasser</strong>stellen reichen nicht mehr, auch technische<br />

Lösungen sind jetzt gefragt. Die nachfolgenden Beiträge<br />

<strong>des</strong> BMVIT zeigen Hintergründe und Lösungen.<br />

Foto: © fotolia<br />

42<br />

Die Beiträge auf den Seiten 42 bis 53 sind mit der freundlichen Unterstützung<br />

<strong>des</strong> Österreichischen Bun<strong>des</strong>ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie<br />

entstanden. Entgeltliche Einschaltung.<br />

<strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

43


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

Die Hauptursachen dafür sind in der Struktur und Oberflächencharakteristik<br />

von Städten zu finden. Durch die<br />

Bebauung werden nicht nur Flächen versiegelt, es werden<br />

auch neue geschaffen. Die Stadt hat aufgrund ihrer vertikalen<br />

Ausdehnung eine vielfach größere Oberfläche als eine naturbelassene<br />

Fläche gleicher Ausdehnung.<br />

Und diese städtischen Oberflächen haben verhältnismäßig<br />

ungünstige thermische Eigenschaften. Wärme wird stärker<br />

absorbiert, die Flächen heizen sich auf. Wärme wird gespeichert<br />

und nur langsam wieder abgegeben. Zusätzlich<br />

wird Strahlung reflektiert, die Flächen beeinflussen sich<br />

gegenseitig.<br />

Die versiegelten Bodenoberflächen können weniger <strong>Wasser</strong><br />

aufnehmen, auch das beeinflusst ihre Wärmeaufnahmefähigkeit.<br />

Das <strong>Wasser</strong> wird zusätzlich oft unterirdisch abgeführt<br />

und kann so weniger Wärme aufnehmen und abführen, auch<br />

der kühlende Effekt der Verdunstung fällt aus.<br />

Durch die Stadtstruktur verändern sich auch die Windverhältnisse.<br />

Generell sinkt die Windgeschwindigkeit in<br />

Bodennähe in der Stadt, langsamere Windgeschwindigkeiten<br />

verschlechtern den Abtransport von Wärme. An<br />

aufgeheizten Fassaden können Mikrozirkulationen und<br />

Verwirbelungen lokal unangenehm böigen Wind verursachen.<br />

In hoch bebauten, schmalen Straßenzügen<br />

staut sich die Wärme, die nächtliche Abstrahlung wird<br />

behindert.<br />

Im Brennglas: Klimafolgen in der Stadt<br />

Diese Veränderung <strong>des</strong> Stadtklimas hin zu höheren Temperaturen<br />

und längeren Hitzeperioden hat Einfluss auf<br />

Fauna und Flora. Jahreszeitliche Ereignisse verschieben<br />

sich, es verändert sich auch die Artenzusammensetzung.<br />

So muss beispielsweise in Wien bei der Neupflanzung von<br />

Bäumen auf hitzeresistentere Arten, wie den europäischen<br />

Zürgelbaum oder den Ginko, zurückgegriffen werden, da<br />

sich heimische Baumsorten unter diesen Bedingungen<br />

nicht mehr wohl fühlen, nicht gedeihen oder kürzer leben.<br />

Weiters wird die Verbreitung von wärmeliebenden Tierarten<br />

und Krankheitserregern aus wärmeren Regionen, z.B.<br />

Malaria, beobachtet.<br />

Hitzestress, der auftreten kann, wenn die Temperaturen auch<br />

über Nacht nicht unter 25 °C fallen, führt zu Schlafstörungen<br />

und Herz-Kreislauf-Beschwerden. Das beeinträchtigt auch<br />

das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit untertags.<br />

Für all die oben genannten Ursachen gibt es stadtplanerische<br />

Maßnahmen, die der <strong>Bildung</strong> von Hitzeinseln entgegenwirken.<br />

Die Begrünung von Dächern und Fassaden, sowie<br />

Schaffung von durchgängigen Grünzonen und offenen Gewässern<br />

steht dabei an erster Stelle.<br />

Wir heizen die Stadt – besonders im Sommer<br />

Eine weitere, entscheidende Ursache für die erhöhten Temperaturen<br />

in der Stadt ist die zusätzliche Wärmeproduktion,<br />

verursacht durch ihre Bewohner, Verkehr, Industrie und<br />

Gewerbe, die sogenannte anthropogene Wärme.<br />

Während sich für die Industrie aufgrund der Menge und<br />

der Temperaturniveaus oft Möglichkeiten zur Nutzung der<br />

Abwärme ergeben, wird die Abwärme, die in Wohnungen<br />

oder Büros entsteht, meist ungenutzt in die Umgebung<br />

abgeführt. Allgemein steigende Temperaturen und die<br />

Abbildung 1: Urban Heat Island<br />

Grafik: © BOKU-Institut für Landschaftsplanung<br />

44


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

Häufung von extremen Wetterlagen durch die Veränderung<br />

<strong>des</strong> Weltklimas, Zuzug in urbane Zentren sowie das<br />

gestiegene Komfortbedürfnis in Wohnung und Arbeitsplatz<br />

verursachen einen immerzu steigenden Kühlbedarf. Dabei<br />

wird die Wärme nicht nur nach außen verlagert, sondern es<br />

entsteht zusätzliche Abwärme durch die Klimageräte selbst.<br />

So bildet sich ein mikroklimatischer Teufelskreis – höhere<br />

Temperaturen führen zu vermehrter Klimatisierung, bei der<br />

das Mikroklima wiederum erwärmt wird.<br />

Stadtteile von Anfang an vernetzt zu planen. Obwohl die<br />

Wichtigkeit der integralen Planung und der Zusammenarbeit<br />

über einzelne Planungsphasen und Gewerke in<br />

der Baubranche mittlerweile wohlbekannt ist, wird diese<br />

Strategie oft nicht ausreichend umgesetzt. Stadtplanung,<br />

Architektur, Statik, Bauphysik und Gebäudetechnik müssen<br />

auf einander abgestimmte Lösungen mit demselben<br />

Ziel erarbeiten, um vorhandene Potenziale bestmöglich<br />

zu nutzen.<br />

Interdisziplinär vernetzte Planung<br />

unter Berücksichtigung <strong>des</strong> gesamten <strong>Lebens</strong>zyklus‘<br />

ermöglicht die Ausarbeitung und Umsetzung<br />

ausgereifter, zukunftsfähiger Konzepte.<br />

Da die Stadttemperaturen auch in der Nacht nur wenig<br />

absinken, ist das Abkühlen der Speichermassen nicht<br />

möglich. Die Klimageräte müssen in Hitzeperioden häufig<br />

auch nachts weiterlaufen, eine „freie“ Kühlung über<br />

die Außenluft, die Wohnungen oder Büros über Nacht<br />

für den nächsten Tag vorkühlt, ist kaum noch möglich.<br />

Das Ausmaß dieser Abwärme und ihre Auswirkungen,<br />

sowie die dafür benötigte elektrische Energie, werden<br />

oft unterschätzt.<br />

Städte besser planen<br />

Um dieser Situation bestmöglich gegenzuwirken, ist<br />

es essenziell, bei der Konzeption neuer Gebäude und<br />

Auch wenn es, wie zuvor erwähnt, schon diverse Maßnahmen,<br />

wie Stadt-, Dach- und Fassadenbegrünung gibt, bleibt<br />

ein steigender Kühlbedarf, der gedeckt werden muss.<br />

Um diesen niedrig zu halten, sind sowohl bauliche als auch<br />

bauphysikalische Maßnahmen nötig. Neben architektonischen<br />

Möglichkeiten, wie die Anzahl, Platzierung und Größe<br />

von Fensterflächen oder die Orientierung und Form von<br />

Gebäuden, hat auch die Wahl und Ausführung der Verschattung,<br />

sowie die Wahl der Baumaterialien mit verschiedenen<br />

Speichermassen und Dämmstärken einen Einfluss auf die<br />

Innentemperaturen im Sommer.<br />

Um den dann noch verbleibenden Kühlbedarf zu decken,<br />

ohne das städtische Klima weiter negativ zu beeinflussen und<br />

Grafik: © www.Obkircher.at<br />

Saisonale Wärmespeicherung<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

45


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

Energieverbrauch sowie Betriebskosten niedrig zu halten,<br />

sind innovative Kühlsysteme vonnöten.<br />

Wärme nutzen statt Abwärme in die Umwelt blasen<br />

Eine Möglichkeit bietet hier zum Beispiel die Nutzung der Abwärme<br />

zur Warmwasserbereitung in Wohngebäuden. Über<br />

eine Wärmepumpe kann die Abwärme trotz ihres verhältnismäßig<br />

niedrigen Temperaturniveaus zum Erwärmen <strong>des</strong><br />

Brauchwassers verwendet werden. Eine andere Möglichkeit<br />

ist die Speicherung der Abwärme in saisonalen Speichern.<br />

Hier gibt es unter anderem Möglichkeiten, wie die Regenerierung<br />

von Erdfeldern nach dem Wärmeentzug zum Heizen<br />

im Winter, Betonkernaktivierung oder Latentwärmespeicher.<br />

Auch wächst das Fernkältenetz der Stadt Wien, diese erzeugt<br />

Kälte über die auch im Sommer vorhandene Fernwärme mit<br />

Absorptionskältemaschinen.<br />

Bei all diesen Systemen gelangt weder Abwärme in die unmittelbare<br />

Umgebung, noch entstehen Schallemissionen wie<br />

bei klassischen Split-Geräten.<br />

Dass diese Systeme gut umsetzbar sind, zeigen zahlreiche<br />

Projekte, wie beispielsweise ein 2017 fertiggestelltes Bauvorhaben<br />

auf der Hohen Warte im 19. Bezirk in Wien. Dort<br />

werden 23 Wohnungen in 5 Gebäuden vollständig über ein<br />

Wärmepumpensystem gekühlt. Die den Wohnungen entzogenen<br />

Wärme wird erst zur Warmwasserbereitung verwendet,<br />

überschüssige Wärme wird in das Erdreich geführt.<br />

Da die Gebäude im Winter auch über dieses System geheizt<br />

werden, trägt diese Wärmezufuhr zur Regeneration <strong>des</strong><br />

Erdreichs und einer zusätzlichen und beinahe kostenfreien<br />

Effizienzsteigerung bei. Beim Bau der Wohngebäude wurde<br />

zusätzlich darauf geachtet, den gewachsenen Baumbestand<br />

zu erhalten, da auch dieser einen wertvollen Beitrag zu einem<br />

angenehmen Mikroklima leistet.<br />

Ungenutztes Potenzial: Industrieabwärme<br />

Zur Nutzung von Abwärme aus der Industrie bieten sich mehrere<br />

Möglichkeiten an. Potenzial ist nachweislich da, wie eine<br />

Erhebung <strong>des</strong> Austrian Institute of Technology (AIT) zeigt, die<br />

GrünStattGrau<br />

Das Innovationslabor für die grüne Stadt der Zukunft<br />

GrünStattGrau ist die österreichische Netzwerkstelle für Begrü nungsvorhaben<br />

aus dem öffentlichen und privaten Bereich und vernetzt<br />

über 300 PartnerInnen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung.<br />

Träger ist der Verband für Bauwerksbegrünung. GrünstattGrau<br />

wurde als erstes Innovationslabor im Rahmen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministerium<br />

für Verkehr, Innovation und Technologie-Programms „Stadt der<br />

Zukunft“ initiiert, um Kooperation und Synergien im Forschungsbereich<br />

„Grüne Stadt“ zu forcieren und die Umsetzung von zukunftsweisenden<br />

Projekten zu unterstützen. Durch die Vernetzung und Zusammenarbeit<br />

von Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand<br />

wird die Realisierung von Bauwerksbegrünungen und begrünten<br />

Stadtteilen in ganz Öster reich vorangetrieben.<br />

www.gruenstattgrau.org<br />

Abbildung 2: Abwärmepotenziale in Wien<br />

Grafik: © AIT, 2016<br />

46


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

2015 durchgeführt wurde. Mit Abwärme hoher Temperaturniveaus<br />

kann relativ konstant Strom erzeugt werden, das ist<br />

der Stabilisierung <strong>des</strong> Netzes zuträglich. Die Nutzung von<br />

niedrigeren Temperaturniveaus bietet sich vor allem dort<br />

an, wo in die bestehende Fernwärmestruktur eingespeist<br />

werden kann. Hier gibt es auch einige Vorzeigeprojekte,<br />

beispielsweise in Wien, wo die für ihre Schokoladenerzeugnisse<br />

bekannte Firma Manner seit Oktober 2016 mit einer<br />

Abwärmeleistung von einem Megawatt einspeist – das reicht<br />

Innovationen für kühle Stadtoasen<br />

Smarte Konzepte für grüne Infrastruktur und<br />

gegen urbane Überhitzung<br />

energy innovation austria 3/<strong>2018</strong><br />

Städte tragen aufgrund ihres Energieund<br />

Ressourcenverbrauchs sowie der<br />

hohen Schadstoffemissionen erheblich<br />

zum Klimawandel bei. Gleichzeitig<br />

sind sie auch am stärksten von seinen<br />

Auswirkungen betroffen. Neben<br />

Luftverschmutzung, Staub- und Lärmbelastung<br />

beeinträchtigen steigende<br />

Temperaturen und extreme Wetterereignisse,<br />

wie z.B. Starkregen, die<br />

Le bens qualität und Gesundheit der<br />

BewohnerInnen in der Stadt. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken,<br />

werden in Österreich innovative Konzepte und Technologien<br />

für Bauwerksbegrünungen und grüne Freiräume in der Stadt<br />

erforscht und in der Praxis getestet.<br />

Herausgeber: BMVIT und Klima- und Energiefonds<br />

Deutsch, 8 Seiten energy innovation austria 3/<strong>2018</strong><br />

aus, um ca. 600 Haushalte zu versorgen. Weitere, ähnliche<br />

Projekte sind in Planung oder werden gerade umgesetzt.<br />

Weiters sind in einigen Städten, so auch in Wien, sogenannte<br />

„Anergienetze“ in Planung. Die Funktionsweise ähnelt einen<br />

Fernwärmenetz, jedoch auf einem niedrigeren Temperaturniveau,<br />

um die Nutzung von Abwärme mit niedrigen Temperaturen<br />

(in der Abbildung gelb dargestellt) zum Beispiel aus<br />

Klimaanlagen oder Rechenzentren nutzbar zu machen. Wie<br />

in der Abbildung gut sichtbar, fallen auch im Stadtzentrum<br />

und direkt in der Innenstadt große Mengen an Abwärme<br />

an. So gibt es in Wien beispielsweise Rechenzentren hinter<br />

historischer Fassade in der Altstadt, die Abwärme von mehreren<br />

tausend Megawattstunden ungenutzt abführen – das<br />

befeuert das städtische Klima immens.<br />

Fazit: Hitze nutzen, statt unter der Hitze zu leiden<br />

Das Phänomen der städtischen Überhitzung birgt viele<br />

Herausforderungen; reduzieren und rückgewinnen ist das<br />

Gebot der Stunde. Um die vorhandenen Potenziale optimal<br />

auszunützen sind fachübergreifende Zusammenarbeit der<br />

Gewerke und langfristige Strukturplanung essenziell.<br />

JULIA KNITTEL<br />

ist Projektmitarbeiterin im Technischen Büro Obkircher OG. Das<br />

Ingenieurbüro für Energie- und Umwelttechnik mit dem Schwerpunkt<br />

Gebäudeplanung bietet seit 2010 Konzeptionierung, Beratung,<br />

Planung aller Stufen bis zur Überwachung der Bau-Ausführung.<br />

Grafik: © www.Obkircher.at<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

47


DER COMPUTER<br />

ALS HEIZKÖRPER?<br />

Moderne Rechenzentren können mehr als rechnen<br />

Rechenzentren sind wahre Monster: Sie verbrauchen Unmengen von Strom, produzieren jede Menge Abwärme<br />

und die Klimaanlagen zur Kühlung der sensiblen Rechner setzen beim Stromverbrauch noch eins<br />

drauf. Da aber der Bedarf an Rechnerkapazitäten weltweit dramatisch steigt, ist Handlung dringend geboten.<br />

<strong>forum</strong> zeigt, was geht.<br />

Von Jörg Walter<br />

Die Digitalisierung und damit der Bedarf an Rechenleistung<br />

steigt exponentiell und bereits 1,6 Prozent <strong>des</strong> globalen<br />

Stromverbrauchs gehen auf Rechenzentren zurück – mit steigender<br />

Tendenz. Zwar wird der Betrieb der IT-Services immer<br />

effizienter und energiesparender, doch unterm Strich nimmt<br />

der Energieverbrauch trotzdem stetig zu. Das liegt nicht zuletzt<br />

am Erfolg der digitalen Ökonomie. Die Verfügbarkeit<br />

der Rechenleistung (CPU, GPUs), der Speicherkapazität<br />

(Festplatten, SSD) und der Kommunikationsbandbreite (Breitbandkabel,<br />

Glasfaser, WLAN, Mobilfunk) ist massiv gestiegen<br />

– bei einer gleichzeitig dramatischen Preisreduktion pro<br />

Leistungseinheit. Dadurch sind heute Anwendungsprozesse<br />

wie „maschinelles Lernen“ – Stichwort „künstliche Intelligenz“,<br />

(AI, KI) oder „deep learning“ möglich. Obwohl diese<br />

Lernverfahren seit über 30 Jahren bekannt sind, wurden erst<br />

2006 wichtige Tricks entdeckt, um mit riesigen Datenmengen<br />

noch deutlich besser lernen zu können. So kann künstliche<br />

Intelligenz in neue Wirkungsbereiche vordringen, die lange<br />

undenkbar waren und Effekte erzielen, die gelegentlich als<br />

„disruptiv“ beschrieben werden.<br />

Foto: © Bosch<br />

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Daten Daten Daten<br />

Die „teuersten Firmen der Welt wurden innerhalb kürzester<br />

Zeit von IT-Unternehmen überholt. Google, Alphabet, Facebook,<br />

Amazon und Co. haben Assets, die immer wertvoller<br />

werden: Daten. Sie werden <strong>des</strong>halb schon als „Datenbarone”<br />

bezeichnet, was nicht nur ihre neue gesellschaftliche Machtstellung<br />

andeutet, sondern auch auf die gigantischen Datenmengen<br />

hinweist, die sie von Anfang an wohlstrukturiert<br />

gesammelt und auszuwerten gelernt haben.<br />

Neue Entwicklungen wie IoT (Internet of Things), Video-on-Demand,<br />

Industrie 4.0, selbstfahrende Autos oder<br />

Smart Home beschleunigen das Anwachsen der Datenmengen,<br />

die von Rechenzentren in Höchstgeschwindigkeit verarbeitet<br />

werden müssen. Und diese Rechenzentren arbeiten<br />

wie unser eigenes Gehirn nur mit ausreichend Nahrung –<br />

Strom. Technologische Innovationen wie Miniaturisierung<br />

und Verdichtung auf Ebene der Hardware kompensieren<br />

diesen Leistungshunger teilweise. Weiteres Potenzial steckt<br />

in der Daten- und Lastverteilung in die sogenannte „Cloud“.<br />

Der physische Ort der Rechen- und Speicherleistung ist<br />

zweitrangig und wird dynamisch in der „Wolke“ auf freie,<br />

günstige Kapazitäten verschoben. Diese können sich an Orten<br />

mit besonders billigem Strom oder besonderen Betriebsbedingungen<br />

befinden. Doch eines ist klar: -Der weltweite<br />

Leistungshunger in Sachen Datenverarbeitung ist riesig und<br />

wächst rasant, und die Rechnerleistung ist mit zunehmendem<br />

Stromverbrauch und einer riesigen Abwärmeproduktion<br />

verbunden. Neue Lösungen sind also gefragt.<br />

Rechnen lassen, wo der Strom fließt<br />

Es gibt bereits eine Reihe von Vorschlägen zur Optimierung<br />

von Rechenzentren. Der erste besagt: „Stromverbrauch aus<br />

regenerativen Quellen“. Gut!<br />

Ökostrom ist das Verkaufsargument von „grünen” Rechenzentren,<br />

doch das ist vielen noch zu wenig. Da sich Daten im<br />

Gegensatz zu Energie effizient und verlustlos transportieren<br />

lassen, soll das umweltoptimierte Rechenzentrum so nahe<br />

wie möglich dorthin, wo der Ökostrom entsteht. Also in die<br />

Nähe von Sonnen-, Wind- oder <strong>Wasser</strong>kraftwerken – mit<br />

schneller breitbandiger Datenanbindung. Leitungsverluste<br />

beim Stromtransport werden damit vermieden. Besser!<br />

Apple, Microsoft, Google & Co. bauen riesige Rechenzentren<br />

<strong>des</strong>halb genau an die Schnittstellen von billigem (und manchmal<br />

auch grünem) Strom und guter Internetanbindung.<br />

Unterirdisches Rechenzentrum mit Ökostrom und<br />

<strong>Wasser</strong>kühlung<br />

Inzwischen ist das nicht nur den Großen vorbehalten. Wer<br />

heute ein modulares Rechenzentrum selbst aufbauen und<br />

nachhaltig betreiben möchte, packt einen Iso-Container<br />

und mietet sich einen geeigneten Stellplatz. Zum Beispiel in<br />

Norwegen, wo Ökostrom aus zuverlässiger <strong>Wasser</strong>kraft im<br />

Überfluss vorhanden ist. Etwa in der Lefdal Mine in Norwegen.<br />

In dieser alten Eisenerzmine werden die Stollen in einer<br />

Kooperation mit IBM und Rittal abschnittsweise zu einem<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

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Ein gigantisches, unterirdisches Rechenzentrum im Stollen. Die ehemalige Lefdal Mine bieten ideale Voraussetzungen: Öko-Strom aus <strong>Wasser</strong>kraft<br />

im Überfluss, starke Internetanbindung, Bomben und Terrorsicherheit, einfache Kühlung. Eine Nutzung der Abwärme erfolgt jedoch nicht.<br />

riesigen Datacenter ausgebaut, betrieben und vermarktet.<br />

Die Betriebskosten sind günstig, dank <strong>des</strong> reichen Angebotes<br />

nachhaltiger Energiequellen und einfacher Kühlung durch<br />

Meerwasser in der Nähe. Zudem wird auch die hohe Resilienz<br />

und physikalische Datensicherheit, inklusive Bomben- und<br />

Zutrittssicherheit beworben. Eine schnelle und redundante<br />

Internetanbindung ist sichergestellt. Dieses Konzept ist interessant,<br />

wenn die Übertragungsgeschwindigkeit unkritisch<br />

und die Bandbreitenanforderung nicht allzu hoch sind. Die<br />

Container werden zum Beispiel in Deutschland mit der benötigten<br />

IT-Hardware und Software bestückt und gehen nach<br />

ausführlichen Tests auf die Reise nach Norwegen. Dort verbringt<br />

man Sie teilautomatisch in die unterirdischen Regale<br />

im Stollen. Die Überwachung und Wartung erfolgt aus der<br />

Ferne, in der Regel rein digital und bei Bedarf mit einer Bilderbuchanwendung<br />

der „Augmented Reality“: Vor-Ort-Personal<br />

wird mit Unterstützung einer AR-Brille zur Problemquelle<br />

gelotst, etwa zur Inspektion oder zum Komponententausch.<br />

So weit so gut, aber…<br />

Wie kann man Rechner kühlen?<br />

Prinzipiell werden bei der Datenverarbeitung exakt 100 Prozent<br />

der elektrischen Energie in Wärme umgewandelt und<br />

diese müssen zu 100 Prozent abgeführt werden, um ein<br />

Temperaturgleichgewicht zu erhalten. Im einfachsten Fall wird<br />

Elektronik durch Umgebungsluft gekühlt. Kühlkörper unterstützen<br />

den Wärmeübergang vom Rechner in die Umgebung,<br />

bei höheren Leistungsdichten wird mit starken Ventilatoren<br />

nachgeholfen, um „Hot Spots“ zu vermeiden. Bei noch höheren<br />

Leistungsdichten reicht die Luftkühlung nicht mehr aus<br />

und man verwendet <strong>Wasser</strong> oder andere Kühlflüssigkeiten<br />

statt Luft als Wärmetransportmedium. Die Kühlkörper auf den<br />

Serverchips werden dabei von <strong>Wasser</strong> durchströmt. Der Bau<br />

eines solches Server-Racks ist eine bislang ungewohnte Herausforderung<br />

an gute Ingenieursarbeit: Alle <strong>Wasser</strong>leitungen<br />

müssen absolut dicht sein (Kurzschlussgefahr) und gleichzeitig<br />

sollen die Module leicht wartbar, d.h. auch austauschbar sein.<br />

Tatsächlich gibt es seit langem erprobte Komponenten, beispielsweise<br />

tropffreie Schnellkopplungssysteme, die beim Bau<br />

modularer Hydraulikmaschinen unverzichtbar sind. Flüster-PCs<br />

für akustisch anspruchsvolle Umgebungen nutzen gerne<br />

spezielle Flüssigkeitskühlungen unmittelbar auf der Leistungselektronik:<br />

Mit diesen sogenannten „Heatpipes“ vermeiden<br />

sie störende Lüftergeräusche.<br />

Wieviel Energie schluckt die Kühlung?<br />

Generell muss die Kühlung bzw. das Wärmemanagement<br />

von Rechnern überall unkritische Temperaturen gewährleisten.<br />

Zu heiße Stellen in der Elektronik, Hot Spots, beeinträchtigen<br />

die <strong>Lebens</strong>dauer oder können im Extremfall zum<br />

Brandrisiko werden. Bisher sind <strong>des</strong>halb Lufttemperaturen<br />

von 15° bis 30° C im Serverbetrieb üblich. Dies enthält sehr<br />

große Sicherheitsreserven und verlangt weniger detaillierte<br />

Wärmeplanungen beim Elektronik<strong>des</strong>ign. Aber dies hat<br />

Nachteile: Ist die Umgebungsluft z.B. im Sommer nicht kalt<br />

genug, muss noch mal erhebliche Energie in Wärmepumpen<br />

gesteckt werden, um die Wärme genügend schnell abzuführen,<br />

um sie dann, wie heute üblich, in die Umwelt zu<br />

blasen. Die Wärmepumpenenergie (=Kühlungsenergie) eines<br />

konventionellen Rechenzentrums kann dabei in wärmeren<br />

Gegenden mit 30-100 Prozent zusätzlicher Energie zu Buche<br />

schlagen. In kälteren Gebieten sind 12-30 Prozent üblich. Das<br />

Verhältnis von Gesamtenergie inklusive Kühlung, Pumpen<br />

etc. zu reiner IT-Energie (Server, Switches) wird in der gemittelten<br />

Größe „Power Usage Effectiveness“ (PUE), abgebildet<br />

(z.B. besagt ein Wert von 1,2, dass für jede kWh IT-Leistung<br />

1,2 kWh Strom, also extra 20 Prozent für Kühlung etc. aufgewendet<br />

werden müssen). Seit langem nutzt man – wenn<br />

immer möglich – „freie Kühlung“, d.h. Umgebungsluftkühlung<br />

ohne energieaufwendige Wärmepumpen. Google baute<br />

Rechenzentren mit Servern in Spezialcontainern mit großen<br />

Kühlrippen, um im Freien stehend so viel Pumpenergie zu<br />

sparen wie möglich. Das Nixdorf Data Center in Erding zielt<br />

beispielsweise auf einen sportlichen PUE Wert von 1,07 dank<br />

Fotos v.l.n.r.: © www.lefdalmine.com | © Cloud and Heat<br />

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VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

einer effizienten <strong>Wasser</strong>kühlung – allerdings bisher (auch)<br />

ohne Wärmezweitnutzung.<br />

Wie kann man Abwärme sinnvoll nutzen?<br />

Will man die Abwärme von Rechenzentren sinnvoll nutzen,<br />

ist dies ohne Umwege selten möglich: Mit Abluft oder Kühlwasser<br />

auf dem Temperaturniveau von 30° C lassen sich im<br />

Winter gerade eben Gewächshaus-, Schwimmbad- oder Fußbodenheizungen<br />

speisen. Mit Wärmepumpen (= „Kältemaschine“)<br />

lässt sich die Temperatur auf das benötigte Niveau<br />

heben, um als Heizungsenergie aller Art zu dienen. Wie kann<br />

man den Extrastrom für die Wärmepumpen einsparen? Kurz<br />

gesagt, indem man die Elektronik heißer betreibt. Nach vielen<br />

Evolutionsschritten vom Kühlhaus zu 30° C-Luftsystemen<br />

gibt es nun einen Sprung zu „Hochtemperatursystemen“ mit<br />

Flüssigmedien. Sie sind präziser geplant und schaffen durch<br />

kluge Bauteilauswahl und geeignete Konstruktion eine Vorlauftemperatur<br />

von derzeit 60° C.<br />

Ein Innovationstreiber kommt aus Sachsen<br />

Das Dresdner Startup „Cloud and Heat“ kühlt die Hochleistungschips<br />

der verbauten Rechner mit 55° C „kaltem“<br />

<strong>Wasser</strong>, welches dabei auf 60° C aufgeheizt wird. Mit diesem<br />

bemerkenswerten Temperaturniveau ist nicht nur die direkte<br />

Nutzbarkeit der Abwärme, sondern auch eine wesentliche<br />

Einsparung der Kühlungsenergie und –kosten verbunden.<br />

Hier kann die Wärme zur Brauchwasser- und Gebäudeheizung<br />

direkt oder via Fernwärmeleitungen genutzt werden.<br />

Hochtemperatur-Systeme sind daher eine spannende Entwicklung,<br />

die es ermöglicht, Server-Abwärme energetisch<br />

optimal zu nutzen. Noch sind es Kleinserien für Rechner und<br />

Einschubsysteme, die nicht für alle Anwender interessant<br />

sind. Idealerweise würden große Hardwareabnehmer und<br />

Rechenserviceanbieter wie Google, Facebook, Amazon,<br />

Microsoft, etc. dies erkennen und Hochtemperatur-Systeme<br />

zum preiswerten Standard machen.<br />

Doch es gibt auch hier immer noch das sommerliche Hitzeproblem:<br />

Finden sich zu dieser Jahreszeit nicht genügend<br />

Wärmeabnehmer, muss der Überschuss mittels einfacher<br />

Dachkühler in die Luft geblasen werden. Das ist wenig sinnvoll<br />

und heizt die Umwelt zusätzlich auf. Es stellt sich daher<br />

die Frage, wie kann die anfallende Abfallwärme ganzjährig<br />

besser genutzt werden?<br />

Wärmeverteilung im Netz<br />

Unsere skandinavischen Nachbarn sind uns da beispielgebend<br />

voraus: Dänemark hat seit vielen Jahren das welt-größte<br />

Fernwärmenetz und ein Energieeinspeisungsgesetz, das es<br />

unkompliziert erlaubt, überschüssige Wärmeenergie ins Netz<br />

zu speisen. Speziell in dichtem Siedlungsgebiet ist Fernwärme<br />

auch im wärmeren Deutschland sinnvoll und wettbewerbsfähig.<br />

Doch die Netzbetreiber sind oft selbst Wärmeanbieter<br />

(Heizkraftwerke, Biogasanlagen) und weitere Wärmelieferanten<br />

werden als potenzielle Konkurrenzanbieter betrachtet.<br />

Daher könnte ein entsprechen<strong>des</strong> Einspeisegesetz auch bei<br />

uns die Optimierung der Zweitnutzung von Wärme voranbringen<br />

und helfen, riesige Mengen an fossilen Brennstoffen<br />

einzusparen. Ein erster Schritt wurde durch die vielerorts<br />

geförderten kommunalen „Wärmekataster“ getan. Wenn<br />

auch bislang noch wenig genutzt, machen sie potenzielle<br />

Wärmeanbieter und Nachfrager sichtbar und vereinfachen<br />

es, eine reale Nutzung anzubahnen.<br />

Wo kein passender großer Wärmeabnehmer vorhanden ist,<br />

ist die dezentrale Nahwärme eine gute Small-Scale-Strategie.<br />

Cloud-and-Heat bietet <strong>des</strong>halb kompakte Hochtemperatur-Serversysteme<br />

(vom Schrank bis zum Iso-Container) als<br />

zukunftsweisende Wärmequelle für Wohnhäuser oder zur<br />

gewerblichen Nutzung an. Das Start-up aus Dresden hatte<br />

aber anfangs nicht nur Schwierigkeiten, die IT- und Wärmekapazitäten<br />

getrennt zu vermarkten, sondern kämpfte auch<br />

mit dem generellen Problem <strong>des</strong> saisonalen Wärmebedarfs.<br />

Das Wiener Start-up „Blue Marble“ setzt <strong>des</strong>halb auf Erdwärmespeicherung.<br />

Ein riesiges Erdvolumen wird über 100-150<br />

m tiefe Erdsonden als Ganzjahres-Wärmepuffer genutzt. Im<br />

Sommer wird die Abwärme in der Erde deponiert und im<br />

Winter über Wärmepumpen wieder (zu geschätzten 70 Prozent<br />

genutzt. Das vermeidet sommerliche Umwelterhitzung<br />

und optimiert in der Heizperiode die Erdwärmepumpen-<br />

Effizienz (siehe Interview auf Seite 55).<br />

Wer ist jetzt am Zug?<br />

Angesichts der riesigen ungenutzten Energiemengen ist es<br />

geboten, den Wärme(zweit)nutzungsmöglichkeiten von Rechenzentren<br />

viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aspekte<br />

wie verantwortungsvoller Energieeinsatz, unnötiger Ressourcenverschleiß<br />

und Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen<br />

inklusive deren versteckten, oft blutigen, geostrategischen<br />

Konflikten, kommen in viel zu wenigen Abwägungen vor.<br />

Was kann der Einzelne tun? Zunächst gilt es ein „no-freelunch“<br />

Bewusstsein zu etablieren, dass hinter jedem digitalen<br />

Service – auch den kostenlosen – hinter jeder Suchanfrage,<br />

jedem Internetmedium, jedem target-Werbebanner, jedem<br />

Sprachkommando, jeder Nachricht, jeder Bitcoin ein realer<br />

Ressourcenverbrauch woanders versteckt ist. Ein unscheinbarer,<br />

aber in Summe erheblicher. Sie sollten <strong>des</strong>halb u.a. bei<br />

ihrem IT-Dienstanbieter nachfragen, ob und wie er Energie<br />

spart und Abwärme nutzt. Das beschleunigt die Aufmerksamkeitsbildung<br />

bei den Planern und Entscheidern.<br />

Denkt man in größeren als in rein ökonomischen Zusammenhängen,<br />

wird klar: Das Feld der smarten Energie-Zweitnutzung<br />

ist eine sektorübergreifende Industrieaufgabe, die wir<br />

besser heute als morgen anpacken.<br />

DR. JÖRG WALTER<br />

studierte Physik in München und USA, promovierte und habilitierte<br />

über naturwissenschaftliche Informatik in den Gebieten angewandtes<br />

neuronales Lernen, Datamining und Visualisierung. Neben langjähriger<br />

wissenschaftlicher und Dozententätigkeit in diesen Gebieten<br />

arbeitet er u.a. an <strong>Nachhaltig</strong>keitsthemen. Er berät Unternehmen in<br />

IT-Fragen und interessiert sich für komplexe gesellschaftliche Fragen.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

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SCHWERPUNKT | TEXT<br />

Digitalisierung klimaverträglich gestalten<br />

Integration der digitalen Infrastruktur in den urbanen Raum<br />

Problem: Physikalische Grenzen der Digitalisierung<br />

Bandbreite - Geschwindigkeit - Datenschutz - Energieeffizienz<br />

Exponentielles Wachstum<br />

datenbasierter Dienstleistungen<br />

Überlastung der Dateninfrastruktur<br />

Explosion der Datenmengen:<br />

z.B. Video on Demand, Internet of Things<br />

Exponentielle Zunahme <strong>des</strong><br />

Energergieverbrauchs<br />

Rechenzentren in der DACH Region<br />

ca. +25% 2010-2016<br />

(Borderstep 2016)<br />

5G<br />

5G läutet „Niedrig-Latenz-Epoche“ ein<br />

5G Anwendungen bedingen minimale<br />

Antwortzeiten: Autonomous-Driving, Virtual<br />

Reality, Augmented Reality<br />

2% der weltweiten C0 2<br />

-Emissionen<br />

Klimabilanz der weltweiten Datencenter:<br />

soviel wie Flugverkehr<br />

(The Guardian 2015)<br />

Lichtgeschwindigkeit als Bottleneck:<br />

Viele Verteilpunkte und geographische Distanz<br />

verzögern den Transport zum Endpunkt<br />

Serverleistung = Wärmeenergie<br />

Die 5 größten Datencenter in Wien produzieren<br />

Abwärme um 2% der Haushalte heizen zu<br />

können<br />

Edge-Computing - Rennen zur Kante:<br />

Datenverarbeitung rückt näher an Enduser<br />

Gartner (2017) z.B. erwartet, dass bis 2<strong>02</strong>1<br />

1/3 <strong>des</strong> gesamten Daten-Aufkommens<br />

Latenz- oder Bandbreiten-kritisch wird<br />

1/3 der großen Unternehmen Edge-<br />

Rechenzentren bauen oder nutzen werden<br />

Datencenter heizen die schon überhitzte<br />

Stadt weiter auf.<br />

Gleichzeitig ist z.B. in Österreich Wärmeenergie für<br />

20% der CO2 Emissionen verantwortlich<br />

(TU-Wien <strong>2018</strong>)<br />

Real-Estate Problem:<br />

Immobilienfläche im urbanen Raum<br />

ist wertvoll und limitiert<br />

Saisonales Problem:<br />

Abwärme fällt konstant an,<br />

geheizt wird nur im Winter<br />

Datenschutz Problem:<br />

Zunehmende Bewusstseinsentwicklung:<br />

Wo genau stehen die Server mit den Daten?<br />

52 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


TEXT | SCHWERPUNKT<br />

Lösung: Dezentralisierungswelle von 5G für Sector-Coupling nutzen<br />

Intelligente Verschränkung der Infrastruktur für Daten und Heizen<br />

Edge-Rechenzentren als Heizsysteme<br />

Die Abwärme fällt an wo sie gebraucht wird<br />

+ Kosteneffizienter Zugriff auf Innenstadt-Fläche<br />

+ Basis für 5G Applikationen<br />

+ Sicherheit durch Dezentralisierung<br />

+ Minimale Latenz durch physische Nähe<br />

+ Entlastung der Hauptdatenwege<br />

Spezieller thermischer Erdspeicher<br />

Speichern der Abwärme bis sie genutzt wird<br />

+ Ausfallsichere und wartungsarme Kühlung<br />

+ Kosteneffizienz durch höchste Lade-Agilität<br />

+ Saisonale Speicherung der Abwärme<br />

+ Doppelnutzung der Energie statt Rückkühlen<br />

Emerging-Solution: Edge-Computing<br />

Rennen zur „Netzwerk-Kante“:<br />

+ Massiver Kapitalfluss in Entwicklung von<br />

Mikro-Datencenter Lösungen<br />

+ Rennen: Edge-Datencenter im 5G Netz<br />

Mikrodatencenter neben 5G Masten<br />

+ Edge-Computing ist Teil der 5G-Strategie der<br />

europäischen 5G Infrastructure Public Private<br />

Partnerships (5G-PPP)<br />

+ Die 5G-PPP ist eine Initiative von EU-Kommission<br />

und IKT-Industrie um Standards für 5G zu setzen<br />

Funktionsprinzip<br />

Ein heizen<strong>des</strong> Netzwerk - Dank Zwischenspeicherung der Abwärme<br />

Rechenzentren als Heizsysteme ermöglichen<br />

kosteneffizienten und klimafreundlichen<br />

Zugriff auf „Inner-City“ Locations.<br />

5G<br />

z.B.: Netzwerk an Multi-Access-Edge<br />

Rechenzentren direkt mit 5G-Sendemasten<br />

verbunden.<br />

Oder Serverhosting für die umliegenden Büros in<br />

der Form einer „Nachbarschafts-Cloud“<br />

Skalierbare Lösung: Von kleinen Edge-No<strong>des</strong> zu Quartiers Lösung im Megawatt Bereich<br />

Anwendungsbeispiele:<br />

Multi-Acess Edge-Computing (MEC)<br />

+ MEC ist Teil <strong>des</strong> 5G Plans der europäischen<br />

5G Infrastructure Public Private Partnership<br />

+ Vorgelagerte Mikrodatencenter<br />

+ Verbund mit 5G-Masten<br />

+ Sorgen für niedrige Latenz und Ausfallsicherheit<br />

+ Multi-Redundanz durch Multi-Spiegelung<br />

+ Content Distribution, IoT, Autonomes Fahren uvm.<br />

Verbund zu „Nachbarschafts-Cloud“<br />

+ Bauträger der umliegenden Büros vertreiben<br />

Serverhousing als Gesamtpaket mit Mietvertrag<br />

+ Büros können komfortabel mit vorhandener<br />

IT-Infrastruktur bezogen werden<br />

+ Daten sind sicher: die Server sind quasi on-premise<br />

im gleichen Viertel und nicht weit weg<br />

+ Green-IT: Server Energie-neutral<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

53


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

VOM HOCHLEISTUNGS-<br />

RECHNER ZUM HEIZKÖRPER<br />

Ein junges Start-up-Team in Wien möchte das Problem der Kühlung von Rechenzentrum so lösen, dass<br />

aus dem Problem eine Chance zur Lösung eines ganzen Bündels von Problemen entsteht. <strong>forum</strong> wollte<br />

genau wissen, was das findige deutsch-österreichische Team plant und traf sich mit den Jungunternehmern<br />

über den Dächern von Wien.<br />

Benedikt Göhmann und Ferdinand Glück im Interview mit Fritz Lietsch<br />

Ferdinand Glück (links)<br />

studierte urbane erneuerbare<br />

Energietechnologien<br />

und im Master digitale<br />

Medientechnologien.<br />

Benedikt Göhmann studierte<br />

Volkswirtschaft in<br />

Wien, London und Paris.<br />

Durch die Inspiration von<br />

Leo Obkircher, der ein<br />

Ingenieurbüro für Energietechnik<br />

betreibt, haben<br />

sie es sich zum Ziel<br />

gesetzt, Rechnerleistung,<br />

Klimaschutz und Profit zu<br />

verbinden. In Wien arbeitet<br />

das Start-up an seiner<br />

ersten Pilotanlage in der<br />

Zukunftsstadt Aspern.<br />

Warum stehen Rechenzentren vor neuen<br />

Herausforderungen?<br />

Die fortschreitende Digitalisierung sorgt für<br />

explosionsartiges Wachstum. In Deutschland<br />

und Österreich hat sich z.B. der Stromverbrauch<br />

der Rechenzentren von 2010 bis 2016<br />

um ca. 25 Prozent gesteigert. Zusammengenommen<br />

verbrauchen alle weltweiten<br />

Rechenzentren so viel Strom wie Großbritannien.<br />

In Zeiten <strong>des</strong> Klimawandels hat sich die<br />

Branche zu überlegen, wie mit dem massiven<br />

Energieverbrauch umzugehen ist.<br />

Was man thermodynamisch nicht vergessen<br />

darf, ist, dass Server im Endeffekt kleine<br />

Stromheizungen sind, die wir momentan mit<br />

energiehungrigen Klimageräten kühlen müssen.<br />

Das erhöht den Stromverbrauch weiter.<br />

Zusätzlich heizen wir damit die Umwelt rund<br />

um das Rechenzentrum auf. Auch Datensouveränität<br />

und Sicherheit werden immer mehr<br />

zum Thema und Unternehmen wollen heute<br />

wissen, wo genau ihre Daten liegen.<br />

Wofür brauchen wir immer mehr Rechenleistung?<br />

Die Digitalisierung durchdringt mehr und mehr<br />

alle <strong>Lebens</strong>bereiche. Das beste Beispiel ist Fernsehen,<br />

wo Inhalte mehr und mehr gestreamt<br />

werden. Und während man vor zwei Jahren<br />

noch HD als den Standard sah, ist es heute mit<br />

4K bereits die vierfache Auflösung. Damit vervielfacht<br />

sich die Datenmenge. Datentransfer<br />

und -speicherung in der Cloud fallen ebenso<br />

ins Gewicht, wer benutzt schon noch USB-Sticks<br />

und Festplatten? Neue Laptops haben nicht<br />

mal mehr USB-Buchsen. Und dann kommen<br />

noch die ganzen zukünftigen Anwendungen wie<br />

autonomes Fahren, Virtual Reality, Objekterkennung,<br />

Blockchain oder digitale Währungen, die<br />

wirklich massive Rechenpower benötigen.<br />

Warum brauchen wir eine immer schnellere<br />

Rechenleistung?<br />

Dienste wie autonomes Fahren oder Virtual<br />

Reality müssen quasi in Echtzeit funktionieren.<br />

Für selbstfahrende Autos z.B. darf die<br />

Verzögerung (Latenz), mit welcher die Daten<br />

vom Rechenzentrum im Auto ankommen,<br />

maximal 5ms betragen, sonst gibt es Unfälle.<br />

Bei Virtual Reality beträgt diese Zeit 7-15ms,<br />

sonst wird vielen Menschen schlecht. Auch<br />

an den internationalen Börsen geht es um<br />

Millisekunden. Deshalb ist einer der größten<br />

Punkte der 5G-Entwicklung die Reduzierung<br />

von Latenz.<br />

Wie kann man Latenz reduzieren?<br />

Stellt man sich eine Datenleitung wie ein<br />

<strong>Wasser</strong>ohr vor, wird schnell klar, wie sich die<br />

Zusammenhänge darstellen. Wenn ich das<br />

Rohr mit größerem Durchmesser baue, kann<br />

ich zwar mehr <strong>Wasser</strong> von A nach B schicken,<br />

aber das Mehr an <strong>Wasser</strong> baucht dennoch die<br />

gleiche Zeit, um die Strecke zurückzulegen.<br />

Dieses Geschwindigkeitslimit für Daten ist die<br />

Lichtgeschwindigkeit. Zusätzlich verliere ich<br />

an jedem zentralen Verteilpunkt, an dem entschieden<br />

werden muss, wohin mit den Daten,<br />

nochmals wertvolle Zeit. Wenn ich meine<br />

Rechenzentren also im kalten Skandinavien<br />

baue, bräuchten meine Daten mehr als die<br />

5ms, um durch das Datenrohr zu reisen, egal<br />

wie breit ich es baue. Das Datenrohr muss<br />

kürzer werden und am besten ohne Umwege<br />

und Verteilpunkte direkt ans Ziel gelangen.<br />

Müssen die Rechner also wieder näher dorthin,<br />

wo das Rechenergebnis gebraucht wird?<br />

Diese Entwicklung wird unter dem Namen<br />

„Edge Computing“ gerade heiß diskutiert<br />

und sammelt sehr viel Venture-Capital-Ak-<br />

Foto: © privat<br />

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VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

tivität. „Edge“ steht hier für „Kante“, also die Kante <strong>des</strong><br />

Netzwerkes zum Datennutzer. In den USA gibt es bereits<br />

ein Rennen an die Kante unter Start-ups, die Container<br />

mit Servern neben 5G-Funktmasten verteilen. Das 5G<br />

Infrastructure Public Private Partnership der Europäischen<br />

Kommission und der IKT-Industrie (5G PPP), ein<br />

Forschungsprojekt, welches die europäischen Standards<br />

für 5G setzen soll, sieht Edge-Computing als zentralen<br />

Teil von 5G. Auch dank der EU-Datenschutzverordnung<br />

(DSGVO) wird zunehmend diskutiert, wo genau unsere<br />

Daten eigentlich liegen …<br />

Die Rechner rücken also wieder näher zu uns, und Rechenzentren<br />

müssen folglich in die Städte?<br />

Genau da setzen wir an. Die Rechenleistung muss aus<br />

Gründen der Verfügbarkeit und Sicherheit wieder in den<br />

urbanen Raum.<br />

Aber die Innenstädte sind doch ohnehin schon viel zu<br />

warm. Wohin also mit der vorhin erwähnten Abwärme der<br />

Rechenzentren?<br />

Wie platzieren die Rechner genau dort, wo die Abwärme gebraucht<br />

werden kann und sehen die Server als Wärmequellen<br />

zur Warmwasseraufbereitung und zum Heizen.<br />

OK: Sie nutzen also die Abwärme zum Heizen. Aber was tun<br />

sie im Sommer, wenn kein Mensch heizen will?<br />

Ein Teil der Abwärme wird auch im Sommer für Warmwasser<br />

gebraucht. Die restliche Wärme speichern wir über ein<br />

Erdspeichersystem im Boden, aus dem wir sie im Winter mit<br />

einer Wärmepumpe wieder extrahieren.<br />

Und was passiert in Spitzenlastzeiten der Rechner an einem<br />

heißen Sommertag. Können Sie die Abwärme überhaupt<br />

schnell genug abführen und damit eine ausreichende Kühlung<br />

garantieren?<br />

Hier kommt unsere Innovation ins Spiel: Ein Erdspeichersystem,<br />

dass die Wärmemenge, welche abgeführt und<br />

gespeichert werden kann, im Vergleich zu konventionellen<br />

Erdspeichern massiv steigert. Unser spitzenlast-optimiertes<br />

Erdspeichersystem reduziert damit die nötigen Investitionskosten,<br />

denn wir können auf Rückkühler und Kältemaschinen<br />

verzichten, ohne die Sicherheit der Kühlung und damit der<br />

Rechner zu gefährden.<br />

Klingt gut. Aber wo in den Innenstädten sollen bitte bei<br />

diesen Immobilienpreisen Rechenzentren platziert werden?<br />

Dies ist ein weiterer Innovationsaspekt. Wir denken die<br />

Rechenzentren als „rechnende Heizräume“, die sich perfekt<br />

in Gebäude oder als Quartierslösung in Gebäudeverbunde<br />

einfügen. Damit bieten wir eine Real Estate-Lösung für Edge-Computing<br />

in europäischen Städten, denn im Gegensatz<br />

zu den USA haben wir hier nicht den Platz, um Container mit<br />

Mikrodatencentern in der Stadt zu verteilen. Und wir wollen<br />

ja auch die Wärme „ernten“.<br />

Das klingt einleuchtend und perfekt. Warum gibt es diese<br />

Lösung nicht schon längst?<br />

Bisher war vor allem die Ausfallsicherheit höchstes Gebot<br />

von Rechenzentren. Energieeffizienz und Latenz spielten eine<br />

untergeordnete Rolle. Risikominimierung steht in diesem<br />

Geschäft über allem. Das Geld wird mit Ausfallssicherheit<br />

verdient. Bislang werden alle möglichen Daten bereitwillig<br />

weit weg in zentrale Rechenzentren ausgelagert. In Zeiten<br />

von Klimawandel, EU-Datenschutzverordnung und 5G ändert<br />

sich das. Plötzlich wird wieder diskutiert, wo Daten eigentlich<br />

liegen. Der Edge-Computing Trend und der Wunsch nach<br />

Datensouveränität bieten das Momentum der Veränderung<br />

und damit die Chance, die Abwärmenutzung wirtschaftlich<br />

sinnvoll zu gestalten. Unser Motto lautet <strong>des</strong>halb „die Digitalisierung<br />

klimaverträglich gestalten“.<br />

Wie sieht dabei Ihr Geschäftsmodell aus?<br />

Einerseits verkaufen wir die Abwärme im Rahmen von<br />

Contracting-Modellen an Immobilienbetreiber oder auch<br />

bestehende Wärmenetze. Auf der anderen Seite verkaufen<br />

wir Edge-Colocation Dienstleistungen. Colocation kann man<br />

sich als eine Art Hochsicherheitshotel für Server vorstellen.<br />

Wir wenden uns also an Unternehmen, die Server an der<br />

Kante zum End User platzieren möchten.<br />

Einen zweiten Vertriebskanal sehen wir in der „Grätzel-Cloud“<br />

(„Grätzel“ österreichisch für Kiez oder Stadtviertel). In Neubaugebieten<br />

können die Bauträger von Büroflächen unser<br />

Serverhosting plus Heizung als Gesamtpaket direkt im Vertrieb<br />

anbieten. Das Büro kann also ganz komfortabel mit<br />

Server z.B. für Backup- und E-Maildienste oder auch das LAN-<br />

Netz bezogen werden. Der Server steht damit im gleichen<br />

Viertel quasi „on-premises“ und nicht irgendwo weit weg.<br />

Wir sehen das als unkompliziertes Angebot, Datensouveränität<br />

zurückzugewinnen und Energie zu sparen, da der Server<br />

als Heizung fungiert. Mit unserem Geschäftsmodell wollen<br />

wir es schaffen, die Synergie <strong>des</strong> Sector Couplings, also der<br />

Verschränkung von Daten- und Heizinfrastruktur zu einem<br />

integrierten System, wirtschaftlich abzuschöpfen.<br />

Das klingt einleuchtend. Wie sehen die nächsten Schritte aus?<br />

Wir arbeiten mit Hochdruck an der ersten Umsetzung unseres<br />

Systems als Pilotprojekt in der Seestadt Aspern in Wien.<br />

Nächsten Sommer wird hier ein Wohn- und Bürogebäude<br />

errichtet, in welches wir unseren ersten „rechnenden Heizraum“<br />

einbauen. Zudem sind wir in intensiven Gesprächen<br />

mit einem Forschungsprojekt von Wien Energie und Siemens,<br />

wie wir unsere Wärmeüberschüsse in das dort geplante<br />

Niedertemperatur-Netz einbinden können. Nach dieser<br />

Feuertaufe unseres Gesamtsystems und <strong>des</strong> Erdspeichers<br />

möchten wir so schnell wie möglich skalieren.<br />

Herr Glück und Herr Göhmann, wir wünschen Ihnen und<br />

Ihrem Start-up-Team viel Erfolg.<br />

www.bluemarbel.eu<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

55


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

DEN ÖKOLOGISCHEN FUSS-<br />

ABDRUCK REDUZIEREN<br />

Grüner drucken<br />

Trotz Digitalisierung verbrauchen wir mehr Papier denn je. Gedruckte Kommunikation empfinden immer<br />

noch viele Menschen als glaubwürdig und wertig. Print funktioniert. Daher sollten ökologische Aspekte<br />

bei der Planung und Produktion haptischer Kommunikation zunehmend eine wichtige Rolle einnehmen.<br />

Das macht Sinn, denn mit nur wenig Aufwand lässt sich die Umweltbilanz von Printobjekten erheblich<br />

verbessern.<br />

Von Marko Hanecke<br />

Aber Vorsicht: Auch die grafische Industrie kennt Greenwashing.<br />

Vielen Entscheidern fehlt schlicht das Wissen, um Druckprodukte<br />

umweltschonend konzipieren und beauftragen<br />

zu können. Dabei ist das alles kein Buch mit sieben Siegeln.<br />

Wer ein paar Grundregeln befolgt, der kann schon eine<br />

Menge bewirken. Und dieses Vorgehen kann durchaus neben<br />

einer „nachhaltigen“ Visitenkarte auch wirtschaftliche Vorteile<br />

mit sich bringen. Wer möchte nicht ökologisch agieren<br />

und gleichzeitig Kosten sparen?<br />

Die Relevanz von Papier<br />

Papier macht häufig den Großteil der Umweltbelastungen<br />

einer Drucksache aus. Im ungünstigsten Fall kann das<br />

eingesetzte Papier bis zu 80 Prozent aller entstehenden<br />

Emissionen verursachen. Nutzen Sie, wann immer möglich,<br />

Recyclingpapiere. Diese sind in ihren Eigenschaften kaum<br />

noch von Papieren aus Frischfasern zu unterscheiden und<br />

auch aus technischer und ästhetischer Sicht spricht nur<br />

selten etwas gegen deren Einsatz. Mit der Papierzertifizierung<br />

Blauer Engel stellen Sie zusätzlich sicher, dass bei der<br />

Produktion keine giftigen Chemikalien oder Zusatzstoffe<br />

eingesetzt werden.<br />

Die Herstellung einer Tonne Frischfaserpapier benötigt in etwa<br />

genauso viel Energie wie die Produktion einer Tonne Stahl. Recyclingpapier<br />

aus 100 Prozent Altpapier dagegen benötigt bei der<br />

Herstellung rund 60 Prozent weniger Energie, 70 Prozent weniger<br />

<strong>Wasser</strong> und es werden über 63 Prozent CO 2<br />

-Emissionen eingespart.<br />

Papierfasern können eine Vielzahl von Recyclingzyklen durchlaufen,<br />

wodurch Wald ressourcen entlastet und Biodiversität erhalten<br />

wird. Wenn es denn unbedingt ein Papier aus Frischfasern sein<br />

muss, dann achten Sie darauf, dass dieses aus nachhaltiger Forstwirtschaft<br />

stammt und FSC-zertifiziert ist.<br />

Foto: © Fotolia, imacture<br />

56 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Ermitteln Sie Ihre Auflage also gewissenhaft und lassen Sie<br />

sich nicht dazu verleiten, deutlich mehr zu bestellen, als<br />

benötigt wird.<br />

Technische Optimierungen sparen Kosten und Emissionen<br />

Bereits bei der Planung können Sie ökologische Faktoren<br />

mit in Ihre Überlegungen einbeziehen. Denn auch hier gibt<br />

es einige Stellschrauben, die viel Sinn ergeben und in der<br />

Praxis ohne großen Aufwand umzusetzen sind.<br />

Je kleiner das Format, <strong>des</strong>to weniger Papier, <strong>des</strong>to besser für<br />

die Umwelt. Gedruckt wird oft im A4-Format. Diese 21,0 x<br />

29,7 cm wurden uns quasi schon in der Schulzeit beigebracht.<br />

Viele Werber und Verleger glauben, dass die Werbewirkung<br />

bei einer Formatreduzierung sinkt. Ganz im Gegenteil – ein<br />

unkonventionelles Format erregt mitunter eine größere Aufmerksamkeit<br />

und damit auch eine größere Werbewirkung.<br />

Auch die Optimierung von Seitenzahlen und Formaten<br />

besprechen Sie vorab unbedingt mit Ihrem Druckpartner.<br />

Das Bogenformat hat einen großen Einfluss auf sinnvolle<br />

Optimierungsmaßnahmen.<br />

Ebenso kann die genaue Einhaltung der Seitenzahlen im<br />

Bogen ein guter Weg sein, um Einsparungspotenziale zu entfalten.<br />

Vermeiden Sie, dass für beispielsweise nur zwei oder<br />

vier zusätzliche Seiten ein ganzer zusätzlicher Druckgang, mit<br />

entsprechender Plattenbelichtung, geleistet werden muss.<br />

Im Digitaldruck ist dies weniger tragisch, da dieses Verfahren<br />

komplett ohne Platten auskommt.<br />

Auch Herstellung und Vertrieb der Publikationen haben eine<br />

große Umwelt- und damit zunehmend auch Kostenrelevanz.<br />

Je niedriger das Papiergewicht, <strong>des</strong>to weniger Rohstoffe,<br />

<strong>Wasser</strong> und Energie wird für die Produktion sowie auch<br />

für die Distribution (Porto, Logistikkosten) benötigt. Es gibt<br />

so genannte Volumenpapiere aus Altpapier. Diese tragen<br />

bei identischem Stoffverbrauch wesentlich dicker auf und<br />

verfügen über eine hohe Opazität, scheinen also nicht beziehungsweise<br />

nur geringfügig durch. 135 g/m² Offsetpapiere<br />

mit einem 1,0-fachen Volumen beispielsweise sind kaum<br />

von einem 115 g/m² Recyclingpapier mit einem 1,3-fachen<br />

Volumen zu unterscheiden.<br />

Ungenutzte Auflagen sind ökologischer und ökonomischer<br />

Unsinn<br />

Es ist verlockend, einfach 5.000 anstatt, wie ursprünglich<br />

geplant, 2.500 Exemplare einer Drucksache zu bestellen. Die<br />

Mehrkosten sind insbesondere bei den Onlinedruckereien<br />

ja marginal.<br />

Bei der Planung einer Auflage sollte gewissenhaft vorgegangen<br />

werden. Jede neue Produktion kann ein Anlass dafür<br />

sein, die eigene Kundendatenbank zu analysieren. Sind<br />

Dubletten vorhanden? Muss der Kunde immer noch mit<br />

einem Katalog beschickt werden, obwohl dieser seit Jahren<br />

nicht mehr bestellt hat? Kann ich diesen Kunden anderweitig<br />

kontaktieren, um herauszufinden, ob er den Katalog überhaupt<br />

noch haben möchte?<br />

Verträgliche Veredelungen sind vorteilhaft<br />

Der Einsatz von Lacken und Folien verursacht materialund<br />

verfahrensbedingt zusätzliche CO 2<br />

-Emissionen und<br />

Ressourcenverbräuche. Das größere Problem ist aber, dass<br />

veredelte Produkte den Recyclingprozess erschweren oder<br />

verhindern können. Die Herstellung von recyceltem Papier<br />

setzt voraus, dass das eingesetzte Altpapier für den Prozess<br />

geeignet ist. Der zunehmende Einsatz von Veredelungen und<br />

neuen Druck- sowie Trocknungsverfahren gefährdet leider<br />

das reibungslose Papierrecycling zunehmend.<br />

In Deutschland wird aktuell eine<br />

Papierrecyclingquote von rund<br />

80 Prozent realisiert.<br />

UV-Lackierungen und beidseitige Folienkaschierungen bereiten<br />

Probleme. Die wertvollen Papierfasern gehen eine<br />

feste Bindung mit der Druckveredelung ein und lassen sich<br />

beim Papierrecycling nicht mehr voneinander trennen.<br />

Blindprägungen und Stanzungen hingegen sind für den<br />

Recyclingprozess völlig unbedenklich. Mit diesen Veredelungen<br />

lassen sich ebenfalls eindrucksvolle Effekte erzielen,<br />

die ohnehin deutlich besser zum Image eines nachhaltigen<br />

Printproduktes passen. Unterm Strich bedeutet der Verzicht<br />

auf Druck veredelungen immer eine bessere Ökobilanz.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

57


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

Voraussetzung für Glaubwürdigkeit<br />

Wie bereits erwähnt lässt sich alleine bei der Planung schon<br />

sehr viel unternehmen, um eine Produktion möglichst ökologisch<br />

zu gestalten. Es braucht zwar nicht zwingend eine<br />

umweltfreundliche Druckerei, doch ist die Zusammenarbeit<br />

mit speziell ausgerichteten Anbietern die richtige Wahl, da<br />

diese Betriebe mit einer geringeren Umweltbelastung arbeiten,<br />

was letztlich auch der Ökobilanz Ihres Druckjobs und<br />

Ihrer Organisation zugute kommt. Solche Unternehmen sind<br />

zu unterstützen, da diese einen nicht unerheblichen Einsatz<br />

bringen, um ihre Leistungen bezüglich Ökologie und Ressourceneffizienz<br />

stetig zu verbessern. Zusätzlich signalisieren Sie<br />

Mit diesen Indikatoren können Sie umweltfreundliche<br />

Druckereien identifizieren:<br />

• regelmäßige Veröffentlichung einer Umwelterklärung<br />

• Zertifizierung nach EMAS III und / oder ISO 14001<br />

• Möglichkeit, Druckprodukte mit dem Blauen Engel zertifizieren<br />

zu lassen<br />

• Verzicht auf UV-Trocknung<br />

• Einsatz mineralölfreier Druckfarben, Farben auf Pflanzenölbasis<br />

• Überwiegender Einsatz von Recyclingpapieren<br />

• Umsetzung diverser Maßnahmen, wie Photovoltaik- und<br />

Wärmerückgewinnungsanlagen etc.<br />

• ganzheitliches Ökomanagement, Gemeinwohl-Ökonomie<br />

Zunehmend ist zu beobachten, dass Druckereien aus wirtschaftlichen<br />

und/oder organisatorischen Gründen auf entsprechende<br />

Zertifizierungen verzichten. Diese Betriebe müssen jedoch nicht<br />

zwingend weniger umweltfreundlich agieren. Das macht die Auswahl<br />

an aufrichtig dem Umweltschutz verpflichteten Druckereien<br />

nicht einfacher. Tipp: Sprechen Sie mit den Verantwortlichen. Erkundigen<br />

Sie sich, welche ökologischen Maßnahmen tatsächlich<br />

umgesetzt wurden und welche für die Zukunft geplant sind.<br />

als Kunde durch die Zusammenarbeit mit solch ausgewählten<br />

Unternehmen auch anderen Marktteilnehmern die Relevanz<br />

betrieblicher Umweltschutzmaßnahmen.<br />

Klimaneutral<br />

Unabhängig davon, wie engagiert Sie Ihre Druckproduktion<br />

realisieren – klimaschädliche Emissionen entstehen immer.<br />

Wenn diese unvermeidbaren Emissionen von ihrer Druckerei<br />

(relativ) genau berechnet und die berechneten CO 2<br />

-Werte<br />

über den Ankauf von CO 2<br />

-Zertifikaten „kompensiert“ werden,<br />

spricht man über das klimaneutrale Drucken.<br />

Gelder, die über diese Zertifikate eingenommen werden, fließen<br />

in Klimaschutzprojekte, die geeignet sind, um an anderer<br />

Stelle und zu einer anderen Zeit entsprechende Emissionen<br />

einzusparen. Über den Nutzen solcher Maßnahmen wird viel<br />

diskutiert. Letztlich ist es ein moderner Ablasshandel. Aber<br />

dennoch macht es Sinn, die verbliebenen Emissionen über<br />

diese Maßnahme zu „neutralisieren“. Die Kosten hierfür sind<br />

moderat und der Prozess ist transparent.<br />

Um glaubwürdig zu sein, sollte eine Drucksache möglichst<br />

umweltfreundlich hergestellt werden, bevor diese über den<br />

Ankauf von CO 2<br />

-Zertifikaten „klimaneutral“ gestellt wird.<br />

Reduzieren geht vor Kompensieren!<br />

MARKO HANECKE<br />

ist ausgebildeter Drucker, Industriemeister für Printmedien und<br />

Ingenieur der Drucktechnik. Er arbeitet seit vielen Jahren als Print<br />

Produktioner und neuerdings auch als Autor.<br />

Weiterführende Informationen finden Sie in seinem Onlinemagazin<br />

unter printelligent.de. Dort können Sie ihn auch bei der Entstehung<br />

seines Buches über umweltfreundliches Drucken begleiten.<br />

Leidenschaft für Grün<br />

Wir drucken immer nach höchsten Qualitäts- und Umweltstandards.<br />

Mit Farben auf Pflanzenölbasis und Ökostrom<br />

auf nachhaltigen Papieren. Die Zertifizierungen garantieren<br />

Transparenz und Glaubwürdigkeit.<br />

by oeding-print.de<br />

www.blauer-engel.de/uz195<br />

REG.NO. DE-111-00<strong>03</strong>4<br />

58 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

999 ZEICHEN<br />

… zu überzeugenden Printlösungen<br />

„Green Printing“ ist für uns Strategie und <strong>Grundlage</strong> für Zukunftsfähigkeit. Umweltbelastung<br />

und Treibhausemissionen sollen nicht nachträglich „grün gewaschen“, sondern<br />

von Anfang an aktiv und gezielt vermieden werden. Deshalb fokussieren wir uns nicht<br />

auf Einzelmaßnahmen, sondern folgen einem ganzheitlichen Ansatz, der alle Aspekte<br />

der Druckherstellung berücksichtigt. Dazu ein Beispiel: Ein FSC®-Logo oder die reine<br />

Aussage „gedruckt auf 100 % Recyclingpapier“ bezieht sich nur auf die Papierherkunft.<br />

Konkrete Rückschlüsse wie „sauber“ oder „schmutzig“ das Papier letztendlich bedruckt<br />

wurde, können daraus nicht gezogen werden. Hier lohnt es sich, gezielt nachzufragen,<br />

und eine Druckerei zu finden, die ihre Druckprodukte mit dem Blauen Engel nach RAL UZ<br />

195 zertifizieren kann. Zusätzlich garantiert ein betriebliches Umweltmanagement nach<br />

EMAS oder ISO14001 Transparenz und Glaubwürdigkeit und differenziert Trittbrettfahrer<br />

von echten Überzeugungstätern, die auch „tun, was sie sagen“.<br />

Frauke Oeding­Blumenberg, geschäftsführende Gesellschafterin oeding print GmbH<br />

Am Anfang steht die Leidenschaft! Als Pionier der grünen Druckbranche, mit einem klaren<br />

Bekenntnis zu gemeinwohlfördernden Werten und einem fast unsichtbaren ökologischen<br />

Fußabdruck, entstehen bei uns Druckprodukte mit Mehrwert. Wir verfolgen konsequent<br />

den Weg einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft, die immer weniger Abfälle erzeugt<br />

und wertvolle Rohstoffe erhält. Die enge Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten ist<br />

dabei unerlässlich. Nur so können wir sie davon überzeugen, vermehrt in geschlossenen<br />

Kreisläufen zu denken und ihre Produkte dahingehend zu <strong>des</strong>ignen. Speziell Druckfarben<br />

spielen hierbei eine wichtige Rolle. Wir verwenden ausschließlich kobaltfreie Farben auf<br />

Pflanzenölbasis, drucken am liebsten auf Recyclingpapier und verwirklichen Ideen gerne<br />

nach den Kriterien <strong>des</strong> „blauen Umweltengel“. So entstehen bei uns Printmedien, die<br />

hohe Ansprüche an Umwelt-, Gesundheits- und Gebrauchseigenschaften erfüllen und<br />

uneingeschränkt mit dem vertrauenswürdigsten Ökolabel „Blauer Engel“ gekennzeichnet<br />

werden können.<br />

Ralf Lokay, Inhaber Druckerei Lokay e.K. Reinheim<br />

Fotos v.o.n.u.: © Peter Sierigk | © Benjamin-Schenk, FotoStudio HHirch<br />

Ökologisch<br />

online drucken –<br />

und das aus Prin(t)zip.<br />

Printzipia, die ökologisch arbeitende Onlinedruckerei:<br />

ausschließlich umweltfreundliche Papiersorten | alkoholfreie Druckprozesse |<br />

mineralölfreie Druckfarben | Lacke auf Basis nachwachsender Rohstoffe |<br />

durchgängige Produktionskette zur Vermeidung transportbedingter Emissionen |<br />

Nutzung der Abwärme der Druckmaschinen sowie der Druckluftversorgung |<br />

Druckmaschinentechnik mit geringer Anlaufmakulatur | Strom aus 100 % er neuer barer<br />

Energie | hauseigene Photovoltaik-Anlage | Eleektro- und Erdgasfahrzeuge | uvam.<br />

Printzipia ® eine Marke der bonitasprint gmbh . Telefon +49 (0) 931 3543870<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

59


THEMEN | VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN<br />

Cradle to Cradle<br />

OPTIMIERTE FARBEN SIND<br />

DEM „DRUCK“ GEWACHSEN<br />

Verunreinigungen im Papierrecycling sowie Schadstoffe aus Druckprodukten sind große Herausforderungen<br />

für die Papierindustrie. Druckfarben und deren Bestandteile, die zwar oft nur 2-4 Gewichtsprozent <strong>des</strong><br />

Druckproduktes stellen, beeinflussen die Recyclingfähigkeit und die sich daraus ergebende Qualität <strong>des</strong><br />

Papiers entscheidend.<br />

Von Katja Hansen<br />

Im Recyclingprozess wird Altpapier<br />

deinkt, d.h. die Papierfaser wird von<br />

den restlichen Bestandteilen getrennt,<br />

um daraus Zeitungsdruck-,<br />

Kopier- und Hygienepapiere herzustellen.<br />

Verpackungen werden<br />

nicht deinkt. Damit bleiben Druckfarben<br />

Bestandteil <strong>des</strong> recycelten<br />

Materials, aus dem dann wieder<br />

neue Verpackungen oder andere<br />

Produkte hergestellt werden.<br />

Grundsätzlich ist es daher relevant,<br />

dass Druckfarben unbedenklich<br />

und für die nächste Verwendungsstufe<br />

geeignet sind. Diese enthalten<br />

eine Reihe chemischer, fossiler,<br />

metallischer oder nachwachsender<br />

Bestandteile. Hinzu kommen im<br />

Herstellungsprozess Trockenstoffe<br />

oder Veredelungsmaterialien wie<br />

Folien und Klebstoffe.<br />

Eine hochwertige Kaskadennutzung<br />

von Papier setzt voraus, dass die dafür<br />

geeigneten Druckprodukte entwickelt<br />

und benutzt werden<br />

Quelle: NL Agency, Position paper –<br />

Usability of Life Cycle Assessment for<br />

Cradle to Cradle purposes (2011)<br />

Illustration: © Paper cascade DE<br />

60 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


VISIONEN, AKTIONEN, INNOVATIONEN | THEMEN<br />

Während Standardprodukte für Rollen- und Bogenoffset prinzipiell<br />

gut deinkbar sind, lassen sich UV-trocknende Farbsysteme,<br />

die wegen ihrer schnellen Trocknung für Druckereien<br />

attraktiv sind, von der Papierfaser nur schwer trennen. Und<br />

das ist nur einer von mehreren Aspekten, warum UV-Druckobjekte<br />

der Umwelt keinen Gefallen tun.<br />

All diese Faktoren beeinflussen den Recyclingprozess, ob<br />

positiv oder negativ. Sie können zu einer gesundheitlichen<br />

Belastung werden. Im Recyclingpapier, wenn nicht alles deinkt<br />

werden konnte – und im Deinkingschlamm, in dem sich<br />

diese Stoffe ansammeln.<br />

Dieser Schlamm wird bei der Ziegelherstellung und im<br />

Straßenbau eingesetzt. Eine Verwendung beispielsweise als<br />

Bodendünger ist wegen der undefinierten bzw. schädlichen<br />

Zusammensetzung in Europa verboten, wäre aber im Sinne<br />

einer nachhaltigen Wertschöpfung erstrebenswert und auch<br />

möglich.<br />

Optimierte Druckprodukte für eine zirkuläre Wertschöpfung<br />

Papier, Druckfarben und Zusatzstoffe können mit dem Cradle<br />

to Cradle (C2C) Konzept so optimiert werden, dass eine<br />

sichere und kontinuierliche Zirkulation von gesunden Materialien<br />

und Nährstoffen im biologischen oder technischen<br />

Kreislauf möglich wird (www.epea.com). Die nach dem<br />

Cradle to Cradle Certified Produktstandard zertifizierten<br />

Farben für den Papierdruck unterscheiden sich von konventionellen<br />

Druckfarben häufig in der Zusammensetzung,<br />

denn alle Inhaltsstoffe werden daraufhin überprüft, ob sie<br />

für den biologischen Kreislauf geeignet sind. Problematische<br />

Inhaltsstoffe, wie beispielsweise bestimmte schwermetallhaltige<br />

oder organohalogen-haltige Pigmente, bedenkliche<br />

Bindemittel oder Hilfsstoffe, werden zunächst identifiziert<br />

und toxikologisch in dem betreffenden Szenario bewertet.<br />

Ziel ist es, diese in einem stetigen Verbesserungsprozess<br />

zu optimieren. Die C2C Zertifizierung auf dem Gold Level<br />

bescheinigt, dass eine Druckfarbe für den biologischen<br />

Kreislauf optimiert und damit biokompatibel ist. Die Level<br />

Bronze und Silber reflektieren Produkte, deren Hersteller<br />

sich auf den Weg begeben haben und die C2C-Methodik<br />

anwenden.<br />

Wie kann ich aktiv werden?<br />

Die Healthy Printing Initiative (www.healthyprinting.eu) ist<br />

eine Netzwerkinitiative, die Angebot und Nachfrage für solche<br />

positiven Druckprodukte fördert und bereits verfügbare<br />

saubere Druckprozesse und definierte Produkte im Markt<br />

stärker verankern will.<br />

Das Healthy Printing Symposium<br />

am 14.9.<strong>2018</strong> in Lüneburg<br />

Spannende neue Pilotprojekte demonstrieren gesun<strong>des</strong> Drucken<br />

am Markt. Geschäftsideen und praktische Herausforderungen<br />

austauschen und sich an Healthy Printing Projekten beteiligen.<br />

Mehr Informationen sind im Bericht „Druckprodukte zukunftsfähig<br />

gestalten“ enthalten, der auf den Webseiten www.epea.com und<br />

www.baumev.de kostenfrei heruntergeladen werden kann.<br />

KATJA HANSEN<br />

ist Expertin für Produkt- und Prozessinnovationen auf <strong>Grundlage</strong> <strong>des</strong><br />

Cradle to Cradle (C2C) Designkonzeptes mit jahrzehntelanger Projekterfahrung<br />

im In-und Ausland. Sie leitet die Healthy Printing Initaitive.<br />

Wir drucken Ihre individuellen Flyer, Plakate, Postkarten, Visitenkarten und vieles mehr!<br />

Einfach.<br />

<strong>Nachhaltig</strong>.<br />

100 % Recyclingpapier<br />

Bio-Farben<br />

Ökostrom<br />

Klimaneutral<br />

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Ihre ökologische Online-Druckerei<br />

61<br />

www.dieUmweltDruckerei.de


Mitgefühl bedeutet nicht Mitleid, sondern Verbundenheit.<br />

Dies zählt in allen <strong>Lebens</strong>situationen und ist <strong>Grundlage</strong> für<br />

nachhaltiges Leadership.<br />

62 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

Foto: © <strong>2018</strong> CTV, Célestes, Solares, Neue Road Movies, Decia, PTS ART’s Factory


STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG | THEMEN<br />

DIE KRAFT DES MITGEFÜHLS<br />

Modernes Leadership im Geist <strong>des</strong> Franz von Assisi<br />

Ein Mann seines Wortes – Papst Franziskus. Der gleichnamige Dokumentarfilm von Wim Wenders portraitiert<br />

den charismatischen Führer der katholischen Kirche und zeigt die Führungskraft franziskanischer Werte.<br />

Nicht ohne Grund hat der Papst den heiligen Franziskus von Assisi als Namenspatron gewählt und damit<br />

Zeichen für Veränderungen im Vatikan und in der Welt gesetzt. Dies gilt auch für Wirtschaft und Politik …<br />

Wir gingen auf Spurensuche in einem aktuellen Buch mit Beiträgen von Fritz Lietsch und Claus Hipp<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

63


Nicht ohne Grund hat Papst Franziskus den Heiligen Franz von Assisi als seinen Namenspatron gewählt. Demut, Bescheidenheit sowie der<br />

Einsatz für die Armen und Schwachen sind seine Leitmotive.<br />

Mitgefühl unterscheidet sich sehr stark von Mitleid und sollte<br />

nicht verwechselt werden mit diesem in unserem Sprachgebrauch<br />

so häufig verwendeten Begriff. Beim Mitgefühl geht<br />

es um die Fähigkeit, Zugang zu erlangen zu seinen Gefühlen,<br />

zu seinen Emotionen gegenüber der Mitwelt, aber vor allem<br />

auch zu sich selbst.<br />

Nur wer in Verbindung zu sich und seiner Umgebung steht,<br />

kann mitfühlend handeln. Eine Fähigkeit, die gerade für<br />

Führungskräfte immer wichtiger wird und in der heutigen<br />

Zeit und vor allem in der westlichen Welt vielen Menschen<br />

abhanden gekommen ist.<br />

So sehr in dem Hamsterrad verfangen, sich selbst und seine<br />

Wünsche zu realisieren, es dabei allen recht zu machen und<br />

möglichst schnell die Karriereleiter zu erklimmen, ist die Verbindung<br />

mit der Umwelt bzw. der Mitwelt in den Hintergrund<br />

getreten. Abgelenkt von einem Bombardement äußerer<br />

Einflüsse und bestürmt von einer inneren Gedankenflut ist<br />

kein Raum mehr für Aufmerksamkeit.<br />

Dabei sind diese Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, auch<br />

leise Signale wahrzunehmen, von höchster Bedeutung. In<br />

Zeiten <strong>des</strong> disruptiven Wandels müssen gerade Führungskräfte<br />

intuitiv erfassen können, wo die eigenen Mitarbeiter<br />

stehen, was Kunden und Märkte brauchen und wie sich<br />

unsere Gesellschaft verändert. Sie müssen ein Gespür entwickeln<br />

für das, was wirklich zählt.<br />

Wir Führungskräfte tragen Verantwortung für die Gestaltung<br />

der Zukunft und so sollten und dürfen wir diese Gestaltung<br />

nicht mehr dem alten Paradigma der Egozentrierung und<br />

Profitmaximierung unterwerfen. Wir müssen uns der Folgen<br />

unseres Handelns gewahr werden – und dabei hilft Mitgefühl<br />

ganz entscheidend. Es öffnet uns die Augen und Ohren und<br />

alle Sinne für ein sinnvolles Handeln und ein bewusstes,<br />

freies Leben. Hier kann der heilige Franz von Assisi wertvolle<br />

Inspirationen liefern: für eine neue Führungskultur – aber<br />

auch für Wege in ein erfüllteres, genussvolles Leben.Immer<br />

mehr Führungskräfte hinterfragen den Wert ihres Handelns<br />

und kommen damit zur Einsicht, dass sich etwas an unserem<br />

Wirtschaftssystem ändern muss. Die zunehmende Belastung<br />

der Umwelt, z.B. durch Plastikabfälle, schwindende Ressourcen,<br />

die wachsende Erdbevölkerung und Herausforderungen<br />

wie der Klimawandel rufen nach einer globalen Verhaltensänderung<br />

und damit nach Vorbildern und Führungskräften,<br />

die diesen globalen Wandel einleiten können. Wenn selbst<br />

der ehemalige Präsident der Bun<strong>des</strong>republik Horst Köhler<br />

eindringlich die „große Transformation“ fordert und der<br />

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnt „es gibt keinen Planeten<br />

B“, dann möchten wir mit diesem Buch dazu beitragen,<br />

dass Sie als Leser einen Plan B für Ihr Führungsverhalten und<br />

vielleicht auch für Ihr Leben finden. Nicht in der Radikalität,<br />

wie sie Franz von Assisi vorlebte, sondern in kleinen, aufmerksamen<br />

Schritten hin zu einem gefühlvolleren, mit Ihrer<br />

Umwelt und Ihrer Seele verbundenen Handeln.<br />

Fritz Lietsch<br />

Die wichtigsten Prinzipien unternehmerischen Handelns<br />

Bei HiPP haben wir eine ganze Reihe organisatorischer<br />

Vorkehrungen getroffen, die moralische und professionelle<br />

Standards betreffen, wie Leitwerte, zertifizierte Qualitätsund<br />

Umweltmanagementsysteme und unter anderem auch<br />

einen Verhaltenskodex für Führungskräfte. Auf dieser Basis<br />

erwarten wir die Selbstverpflichtung eines jeden Mitarbeiters<br />

zu einer gemeinsamen Unternehmenskultur <strong>des</strong> fairen<br />

Miteinanders und auf eine Wert- und Sinnschöpfung für die<br />

Allgemeinheit.<br />

Jeder Mensch – egal, ob Christ, Moslem, Jude oder Angehöriger<br />

einer anderen Religion – wird sein irdisches Handeln<br />

unter einem höheren Gesichtspunkt betrachten. Denn<br />

was bliebe, wenn wir nur an so genannte irdische Dinge<br />

glaubten? Möglichst glücklich auf Erden zu werden, möglichst<br />

mächtig oder möglichst reich? Oder ist der Ruhm, die<br />

„historische Unsterblichkeit“, der Motor meines Strebens?<br />

Aber was geschieht dann, wenn sich mein Nachruhm als<br />

überaus vergänglich erweist? Wenn die Nachfolgenden<br />

meine <strong>Lebens</strong>leistungen gar negativ bewerten? War dann<br />

Fotos: © <strong>2018</strong> CTV, Célestes, Solares, Neue Road Movies, Decia, PTS ART’s Factory<br />

64 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Wim Wenders hat es auf wundervolle Weise verstanden, ein Filmportrait <strong>des</strong> Papstes zu realisieren, das unter die Haut geht. Die „Sorge um<br />

das gemeinsame Haus“ ist ein Weckruf an uns alle.<br />

Foto rechts: © <strong>2018</strong> CTV, Célestes, Solares, Neue Road Movies, Decia, PTS ART’s Factory/ photograph by Francesco Sforza<br />

alles umsonst? Und was ist mit den Vielen, an deren Leben<br />

sich außer Kindern, Enkeln oder ein paar jüngeren Freunden<br />

niemand mehr erinnert?<br />

Gerade wer hauptsächlich nach Macht, Geld oder materiellem<br />

Wohlstand als Selbstzweck strebt, wird viel nehmen und<br />

eher weniger geben. Und selbst wer als Politiker, Erfinder,<br />

Unternehmer oder Künstler seinen Absatz in den Geschichtsbüchern<br />

bekommt, läuft zumin<strong>des</strong>t Gefahr, dass er sich sehr<br />

abhängig macht von dem Bild, das er von sich selbst gemalt<br />

sehen will. Statt zum Herrn seines <strong>Lebens</strong> macht er sich so<br />

zum Sklaven seines Nachruhms.<br />

Wer hohe Türme bauen will,<br />

muss lange beim Fundament verweilen.<br />

Anton Bruckner, Komponist, 1824-1896<br />

Der Gläubige kann ebenfalls erfolgreich sein. Er kann Werte<br />

schaffen für die Menschheit, die sein eigenes Ego und Wirken<br />

überdauern. Aber er wird nicht so abhängig sein von<br />

seinem Tun, weil es für ihn etwas Wichtigeres gibt, nämlich<br />

eine Instanz, die irdische Werte und Maßstäbe transzendiert<br />

und im Angesicht <strong>des</strong>sen das Geringste ebenso viel zählen<br />

kann wie das Größte.<br />

Dadurch, dass ich mich als gläubiger Mensch anders orientiere,<br />

verlieren die irdischen Dinge nicht ihren Wert, aber<br />

sie rücken in die richtige Relation. Einfachheit schafft mehr<br />

Freiheit im Tun und Lassen. Mein Glaube ist nicht nur für<br />

die Sonnenseiten <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> zuständig. Gerade auch die<br />

dunklen Tage und die weniger guten Ereignisse <strong>des</strong> Daseins<br />

haben dort Platz. Mehr noch: Im Gegensatz zu rein innerweltlichen<br />

Glückserwartungen hat der Glaube überhaupt<br />

keine geringschätzige Meinung von Sorge, Angst, Not oder<br />

Scheitern. Der Gestrauchelte kann wieder aufstehen und<br />

selbst eine übel stehende Sache, lässt sich wieder zum<br />

Guten wenden. In jedem Fall wird sich ein wirklich Glaubender<br />

nie zum Richter machen, er begreift all die dunklen<br />

Momente vielmehr als integrale Bestandteile menschlicher<br />

<strong>Lebens</strong>erfahrung.<br />

Macht und Autorität<br />

Die <strong>Lebens</strong>haltung, die ich als gläubiger Mensch einnehme,<br />

ist durchaus von Demut geprägt. „Demut“ kommt von<br />

„Dien-Mut“, der Bereitschaft zum Dienen. So sehe ich mich<br />

in Bezug auf das Unternehmen auch im Wesentlichen als<br />

„Service-Station“ für die Belegschaft.<br />

Eine dienende Haltung fördert die Zusammenarbeit. Natürlich<br />

könnte ich als ein Eigentümer und Unternehmer meine<br />

Definitionsmacht beanspruchen. Schließlich „gehört“ mir,<br />

beziehungsweise unserer Familie, „das Unternehmen“. Aber<br />

was heißt das eigentlich? Wir setzen als Familienunternehmer<br />

privates Kapital ein, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,<br />

Maschinen, Gebäude, Rohstoffe und vieles andere mehr zu<br />

einem wirkenden Organismus zu formen, eben zu einem<br />

Unternehmen. Auf Basis teils meiner Ideen, ganz überwiegend<br />

aber auf der Basis der Ideen vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,<br />

bringt unser Unternehmen dann Produkte hervor,<br />

deren Nutzen sich auf dem Markt erweisen muss. Gelingt dies,<br />

haben wir Erfolg; misslingt es – womöglich gar dauerhaft – ist<br />

das Unternehmen gefährdet oder geht gar unter.<br />

Zwar „gehören“ dem Unternehmen im juristischen Sinne<br />

Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge und vieles<br />

andere mehr. Wir als Eigentümer <strong>des</strong> Unternehmens haben<br />

darüber insofern „Macht“, als wir diese verkaufen, verschenken<br />

oder anderweitig einsetzen könnten. Aber ohne die<br />

Menschen, die diese Dinge produktiv nutzen und einsetzen,<br />

wäre alles im Grunde nur leblose Materie.<br />

Verantwortliche unternehmerische Macht gründet also<br />

gerade nicht auf Besitz. Auch durch die Bezahlung der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter „erwerbe“ ich lediglich einen<br />

Anspruch, dass jemand für das Unternehmen tätig wird. Wie,<br />

das heißt, mit welchem Engagement, welcher Einsicht und<br />

welchem Erfolg sie oder er das tut, darauf habe ich jedenfalls<br />

mittels Gehaltsabrechnung keinen Einfluss.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

65


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

Aus ganz ähnlichen Gründen schätze ich auch den Begriff<br />

der „abhängigen Beschäftigung“ nicht. Denn entweder ist<br />

er Ausdruck einer Banalität: In einem Unternehmen sind<br />

letztlich alle von allen abhängig. Oder er sagt das Gegenteil<br />

von dem aus, was eine gute Mitarbeiterin oder einen guten<br />

Mitarbeiter ausmacht, dass er nämlich eigenständig mit<br />

anderen Menschen zusammenarbeitet, aus eigener Einsicht,<br />

mit Verantwortung und Empathie für sein Gegenüber handelt.<br />

Und dass er selbst in seinem Tätigwerden für andere<br />

Sinn sieht und folglich auch Freude an der Arbeit hat.<br />

Hierfür muss ein Unternehmen die Rahmenbedingungen<br />

schaffen und ein klares Profil entwickeln, das jeder Mitarbeiterin<br />

und jedem Mitarbeiter den Raum gibt, sich mit seinen<br />

ganz persönlichen, individuellen Talenten zu entfalten und<br />

trotzdem eine Orientierung durch allgemeinverbindliche Regeln<br />

zu bekommen. Ziele sind gemeinsam zu definieren und<br />

wir werden sie zusammen nur dann erfolgreich erreichen,<br />

wenn wir unsere Macht nicht auf materielle Abhängigkeit<br />

zu gründen versuchen. „Macht“, wie ich sie verstehe, ist<br />

eigentlich nur ein anderer Begriff für „Autorität“. Und die<br />

kann keiner sich selbst zusprechen. Autorität wird einem<br />

ausschließlich von anderen zuerkannt. Im Gegensatz zur<br />

Macht basiert diese auch auf Verantwortungsübernahme<br />

und Vertrauen, das einem entgegengebracht wird – zum<br />

Beispiel von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.<br />

Claus Hipp<br />

Das Buch Die Kraft <strong>des</strong> Mitgefühls – Leadership im Geist<br />

<strong>des</strong> Franz von Assisi ist 2017 im ALTOP Verlag erschienen.<br />

24,80 €<br />

ie Wirtschaft wandelt sich global und erfordert eine neue Form der<br />

DFührung. Bisherige Führungsqualitäten, basierend auf Verstand und<br />

Machtausübung, sind unzureichend. Moderne Führungskräfte vertrauen <strong>des</strong>halb<br />

verstärkt auf Qualitäten wie Selbsterkenntnis, Bescheidenheit und Mitgefühl,<br />

um Mitarbeiter bewegen und begeistern zu können. Die neue und immer<br />

wichtigere Herausforderung für heutige Führungskräfte: Ihr Engagement<br />

soll nicht mehr nur dem Unternehmen, sondern der gesamten Gemeinschaft<br />

dienen.<br />

Hier können die alten Mystiker als inspirierende und innovative Vorbilder dienen.<br />

Einer von ihnen war der heilige Franz von Assisi. Aus dem Nichts erschuf<br />

er mit Liebe und Mitgefühl eine weltweite Organisation, die er mit extremer<br />

Einfachheit anführte. Er zeigte der Welt, wie viel Macht in „sanften Werten“<br />

versteckt ist, wenn man diese beispielhaft vorlebt. Mehr denn je können uns<br />

die „soft skills“ <strong>des</strong> heiligen Franziskus heute inspirieren! Die Allgemeingültigkeit<br />

und Aktualität seines Führungsstils ist dem Zen-Buddhismus ähnlich<br />

und spiegelt sich in der <strong>Lebens</strong>führung moderner Vorbilder wie Dag Hammarskjöld<br />

oder Papst Franziskus wider.<br />

Wer Achtsamkeit lebt, entscheidet sich unmittelbar für ein tolerantes und<br />

Service-orientiertes Verhalten. Diese Ansicht vertreten auch prominente Führungskräfte<br />

in ihren Beiträgen für dieses Buch: Ein ehemaliger Premierminister<br />

kommt dabei ebenso zu Wort wie ein Franziskanermönch, ein CEO und<br />

zwei erfolgreiche Unternehmer.<br />

„Ein Buch das mich tief beeindruckt und inspiriert hat.“<br />

Prof. Dr. Maximilian Gege, Vorstandsvorsitzender <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>deutschen Arbeitskreises<br />

für umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e.V.)<br />

„In der Geschäftswelt gelten allzu oft Prinzipien wie unendliches Wachstum,<br />

ständige Verfügbarkeit, streng definierte Kennzahlen… Das Anliegen dieses<br />

ISBN 978-3925646690<br />

Buches, zu einem Innehalten gerade in Organisationen<br />

anzuleiten, kann daher nicht hoch genug<br />

geschätzt werden.“ Stefan Hipp, Gesellschafter HiPP<br />

ALTOP Verlag DIE KRAFT DES Mitgefühls BRIGITTE VAN BAREN<br />

Leadership im Geist <strong>des</strong><br />

Franz von Assisi<br />

DIE KRAFT DES<br />

Mitgefühls<br />

BRIGITTE VAN BAREN<br />

FRITZ LIETSCH<br />

ALTOP Verlag<br />

BB_Umschlag_jk_Print.indd 1 04.10.2017 15:34:57<br />

Leadership im Geist <strong>des</strong><br />

Franz von Assisi<br />

Die Kraft <strong>des</strong> Mitgefühls<br />

Brigitte van Baren, Fritz Lietsch<br />

ALTOP Verlag, 1. Auflage 2017<br />

ISBN 978-3925646690<br />

Ab Oktober als DVD im Handel.<br />

Die Kraft der Bilder und die Kraft <strong>des</strong> Wortes:<br />

Wim Wenders lässt uns am Leben <strong>des</strong> Papstes teilhaben<br />

und übermittelt uns damit seine Botschaften,<br />

die es an Klarheit nicht fehlen lassen.<br />

Wie empfehlen die Vorführung <strong>des</strong> Films als Kick<br />

off für Change Management Prozesse. Mehr dazu<br />

unter nebenstehendem QR-Code.<br />

Die Wirtschaft wandelt sich global und erfordert eine neue Form<br />

der Führung. Bisherige Führungsqualitäten, basierend auf Verstand<br />

und Machtausübung, sind unzureichend. Moderne Führungskräfte<br />

vertrauen <strong>des</strong>halb verstärkt auf Qualitäten wie Selbsterkenntnis,<br />

Bescheidenheit und Mitgefühl, um Mitarbeiter bewegen und begeistern<br />

zu können. Die neue und immer wichtigere Herausforderung für heutige<br />

Führungskräfte: Ihr Engagement soll nicht mehr nur dem Unternehmen,<br />

sondern der gesamten Gemeinschaft dienen.<br />

Hier können die alten Mystiker als inspirierende und innovative<br />

Vorbilder dienen. Einer von ihnen war der heilige Franz von Assisi.<br />

Aus dem Nichts erschuf er mit Liebe und Mitgefühl eine weltweite<br />

Organisation, die er mit extremer Einfachheit anführte. Er zeigte der<br />

Welt, wie viel Macht in „sanften Werten“ versteckt ist, wenn man<br />

diese beispielhaft vorlebt. Mehr denn je können uns die „soft skills“<br />

<strong>des</strong> heiligen Franziskus heute inspirieren! Die Allgemeingültigkeit<br />

und Aktualität seines Führungsstils ist dem Zen-Buddhismus ähnlich<br />

und spiegelt sich in der <strong>Lebens</strong>führung moderner Vorbilder wie Dag<br />

Hammarskjöld oder Papst Franziskus wider.<br />

Wer Achtsamkeit lebt, entscheidet sich unmittelbar für ein tolerantes<br />

und Service-orientiertes Verhalten. Diese Ansicht vertreten auch<br />

prominente Führungskräfte in ihren Beiträgen für dieses Buch: Ein<br />

ehemaliger Premierminister kommt dabei ebenso zu Wort wie ein<br />

Franziskanermönch, ein CEO und zwei erfolgreiche Unternehmer.<br />

Plakatmotiv: © <strong>2018</strong> Focus Features<br />

66 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


25 PREISVERLEIHUNG<br />

TEXT | THEMEN<br />

B.A.U.M.-Jahrestagung und<br />

25./26. September <strong>2018</strong><br />

darmstadtium, Darmstadt<br />

MEHR NACHHALTIGKEIT IST MACHBAR!<br />

NACHHALTIGKEIT KOMMUNIZIERBAR? ENTERTAINMENT<br />

FOREN DEEP GREEN FINANCE #SOGEHTNACHHALTIGKEIT<br />

SDGS & UNTERNEHMEN HERAUSRAGENDE PREISTRÄGER #BAUMPREIS18<br />

ZUKUNFTSSTRATEGIE nachhaltig.digital<br />

VORTRÄGE<br />

NETWORKING<br />

INTERVIEWS JUNGE IDEEN & NACHHALTIGKEIT<br />

Presenting Partner<br />

@BAUMeV<br />

#Sogeht<strong>Nachhaltig</strong>keit #BAUMPreis18<br />

Anmeldung und Informationen:<br />

https://baumev.de/Jahrestagung<br />

Unterstützer<br />

Spender<br />

ENTEGA NATURpur<br />

Institut gGmbH<br />

HEAG Holding AG<br />

Stadt- und Kreis-Sparkasse<br />

Darmstadt<br />

Medienpartner<br />

Sachsponsoren<br />

ART OF CHANGE<br />

Businesstheater<br />

Change Management<br />

Kooperationspartner<br />

Die Veranstaltung ist klimaneutral durch<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

67


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

GLOBAL DENKEN<br />

<strong>Nachhaltig</strong> handeln heißt, das Ganze im Blick zu haben, global zu denken. Die<br />

diesjährigen B.A.U.M.-Preisträgerinnen und Preisträger zeichnen sich durch vielfältiges<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keitsengagement aus. Ihr Hauptanliegen lässt sich aber gut<br />

durch jeweils eines der SDG, der globalen <strong>Nachhaltig</strong> keitsziele abbilden. Die<br />

B.A.U.M.-Umweltpreise und der Internationale B.A.U.M.-Sonderpreis werden im<br />

Rahmen der B.A.U.M.-Jahrestagung am 25. und 26. September in Darmstadt<br />

verliehen.<br />

www.baumev.de/Jahrestagung<br />

Marie Nasemann<br />

Internationaler B.A.U.M.-Sonderpreis<br />

Marie Nasemann spricht mit ihrem Blog „fairknallt“ vor allem junge Frauen an, um<br />

sie für <strong>Nachhaltig</strong>keit in der Mode und einen bewussten Konsum zu interessieren.<br />

Ihr Ziel ist, das Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit in den Mainstream zu tragen und über kritischen<br />

Konsum in der Modeindustrie eine Transformation zu mehr <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

zu fördern.<br />

Dr. Frank Appel<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Großunternehmen“<br />

Die Deutsche Post DHL Group engagiert sich unter ihrem Vorstandsvorsitzenden<br />

Dr. Frank Appel in vorbildlicher Weise für den Klimaschutz und zeigt, wie sich ein<br />

Unternehmen der Logistikbranche nachhaltig aufstellen kann.<br />

Bena Würth<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Großunternehmen“<br />

Bettina Würth hat das Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit in der Würth-Gruppe vorangetrieben.<br />

Das Familienunternehmen setzt als Großhändler für Handwerk, Bau und<br />

Industrie gerade im Bereich Ressourcen auch durch Cradle to Cradle® Maßstäbe<br />

für die Branche.<br />

Hans Hermann Münchmeyer und<br />

Florian Hammerstein<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Kleine und mittelständische Unternehmen“<br />

Hans Hermann Münchmeyer und Florian Hammerstein verbinden bei Original<br />

Food in ihrem Hauptprojekt in Äthiopien den Schutz <strong>des</strong> Regenwal<strong>des</strong> mit der<br />

Schaffung von fairen Wirtschaftsstrukturen und guten <strong>Lebens</strong>bedingungen für<br />

einheimische Kleinbauern.<br />

Fotos: v.o.n.u.: © Muriel Liebmann | © Andreas Kühlken | © Wolfgang Uhlig | © Rainer Kant, B.A.U.M.<br />

68 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG | THEMEN<br />

Jörg Hoffmann<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Kleine und mittelständische Unternehmen“<br />

Wilkhahn hat früh begonnen, das gesamte Unternehmen konsequent nachhaltig<br />

auszurichten und ist besonders beim Produkt<strong>des</strong>ign ein Pionier für nachhaltig konzipierte<br />

Büromöbel. Jörg Hoffmann hat diese Entwicklung <strong>des</strong> Unternehmens aufgenommen,<br />

mit großem Engagement vorangetrieben und für die Zukunft übersetzt.<br />

Christine Miedl<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Kleine und mittelständische Unternehmen“<br />

Christine Miedl war entscheidend an der Erstellung der ersten Gemeinwohl-Bilanz<br />

der Sparda-Bank München beteiligt und hat so dazu beigetragen, dass die Genossenschaftsbank<br />

ein zukunftsweisen<strong>des</strong> Vorbild für nachhaltiges <strong>Wirtschaften</strong> ist.<br />

Gerry Hungbauer und Meibrit Ahrens<br />

für das Team von „Rote Rosen“<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Medien“<br />

In der Telenovela „Rote Rosen“ will die Hauptfigur, Oberbürgermeister Thomas<br />

Jansen, seine Stadt zu einem Vorzeigeprojekt in Sachen <strong>Nachhaltig</strong>keit machen.<br />

Durch Aufgreifen umweltrelevanter Themen zeigt die Serie, dass auch ein Unterhaltungsformat<br />

einen Beitrag zur Umweltbildung leisten kann.<br />

Fotos: v.o.n.u.: © Wilkhahn | © Sparda-Bank München | © NDR | © Jan Steffen, GEOMAR | © privat<br />

Prof. Dr. Mojib Latif<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Wissenschaft“<br />

Prof. Dr. Mojib Latif setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Ergebnisse der Klimaund<br />

Meeresforschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und durch<br />

diese Informationen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer umweltverträglicheren,<br />

nachhaltigeren <strong>Lebens</strong>weise zu schaffen.<br />

Dr. Lutz Fähser und Knut Sturm<br />

B.A.U.M.-Umweltpreis, Kategorie „Institutionen“<br />

Dr. Lutz Fähser und Knut Sturm haben mit dem Lübecker Konzept ein einzigartiges,<br />

naturnahes Waldkonzept mit umfassenden <strong>Nachhaltig</strong>keitskriterien entwickelt,<br />

das für die Bewirtschaftung von Wäldern wegweisend ist und weltweit Nachahmer<br />

findet.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

69


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

Massive Eiche plus alte Druckpresse = Bartisch. „Das lebendige Haus“, Dresden<br />

HOLZ + METALL<br />

Eine nachhaltige Philosophie<br />

Der Raum- und Objekt<strong>des</strong>igner Michael Mai verbindet Bodenständigkeit mit Kreativität. Liebe zur Natur<br />

mit Fernweh. <strong>Nachhaltig</strong>keit mit konsequenter <strong>Lebens</strong>einstellung. Portrait über einen, der Werte lebt und<br />

wertvolle Anregungen gibt.<br />

Von Dagmar Walser<br />

Alle Fotos dieses Beitrages: © dsignSolutions<br />

70 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

Papier GmbH.


November 2017. Frau W. auf der Suche nach einer neuen<br />

Küche. Kann ja nicht so schwer sein.<br />

Ist sehr schwer, Frau W. will keine „Trend-Design-Mainstream-Marken-Küche“,<br />

mit „pflegeleichter Arbeitsplatte<br />

und praktischen Hochschränken“. Sondern eine, die individuell<br />

ist, unkonventionell, quergedacht. Und nachhaltig.<br />

Mit Bar-Atmosphäre. Also zieht Frau W. um die Häuser, um<br />

Bars anzugucken.<br />

Frühjahr <strong>2018</strong>. Ein letzter Versuch in einem Küchenstudio.<br />

Der nette Verkäufer zeigt „echte Traum-Küchen, so praktisch<br />

und so pflegeleicht“, und nach einer halben Stunde sagte<br />

Frau W. „Seien Sie mir nicht böse, dann möchte ich lieber<br />

gar keine Küche.“<br />

Der Verkäufer ist von der empathischen Sorte. Gießt Kaffee<br />

nach. „Was möchten Sie denn?“ „Eisen, Holz, Nieten, auf<br />

Rollen, einfach anders.“ Und dann ist der nette Verkäufer<br />

supernett und notiert einen Namen. Anders gibt es woanders.<br />

„Das ist der, den Sie suchen“.<br />

… Da geht’s lang …<br />

DOWNTOWN BAD TÖLZ<br />

Das geht ja gut los, die Adresse stimmt nicht. Trotzdem nett,<br />

downtown Bad Tölz, im bayerischen Voralpenland, nur wo<br />

bitte soll hier einer sein, der andere Küchen entwirft. Ach, Sie<br />

suchen den Mike, der ist jetzt da drüben, in der ehemaligen<br />

Fernmelde-Zentrale.<br />

Auf dem Hinterhof blaue Recycling-Container, nach Metallen<br />

getrennt, hohe Stapel mit massiven Holzbrettern, ein paar<br />

rote Firmen-Transporter. Mit einem Logo, das gut aussieht<br />

und kurz irritiert, ohne sofort zu wissen, warum, dsignSolutions.<br />

„Das war eine intuitive Entscheidung, mich hat das e<br />

von <strong>des</strong>ign irgendwie gestört, kann ich nicht erklären.“<br />

Fröhliche Typen schleppen Stahlplatten in die Werkstatt, in<br />

der nicht nur Maschinen stehen, sondern auch ein Klavier.<br />

Und Lautsprecher, ganz besondere, Outdoor-Speaker, solitär<br />

einsetzbar mit 360 Grad Sound, wind- und wetterfest im<br />

Schnee oder auf hoher See. Entwickelt wurden sie zusammen<br />

mit Sound-Technikern, die Gehäuse wurden u.a. aus Fassadenbrettern<br />

eines alten Holzstadls geschreinert.<br />

Jim Morrison singt von den Riders on the Storm, gute Laune<br />

haben sie in der Werkstatt. Wo bitte ist der Eingang zum<br />

Büro? Da geht’s lang, ums Eck, gehen Sie dann einfach durch<br />

die Eisentüre.<br />

Die Eisentüre ist nicht irgendeine Eisentüre. Die Eisentüre<br />

ist eine knallrote Eisentüre, in einem grauen Hinterhof, das<br />

Namensschild winzig. Kein e, wo es hingehört, ein Namensschild,<br />

das man fast übersieht, The Doors zum Arbeiten in<br />

der Werkstatt. Das gefällt Frau W.<br />

Und dann steht da oben im 2. Stock in einem coolen Industrie-Treppenhaus<br />

einer mit knallorangenen Turnschuhen und<br />

guckt runter und grinst, „Hi! Servus!“. Da wusste Frau W.,<br />

jetzt hat sie ihn gefunden, ihren Küchen<strong>des</strong>igner.<br />

Ohne Metalldetektor und Motorsäge geht gar nichts. Bevor aus<br />

einem großen Stamm Bretter werden, müssen eingewachsene<br />

Metallteile entfernt werden. Und nicht selten Granatsplitter aus<br />

Kriegszeiten.<br />

… Individualität geht gut ...<br />

DSIGN + DESIGN<br />

Was für ein Ambiente. Was für ein Showroom. Was für eine<br />

besondere Ausstrahlung. Stahlplatten auf dem Fußboden,<br />

aneinander geschweißt, in Kombination mit geölten Holzdielen,<br />

das wirkt reizvoll, warm, gekonnt. Und gemütlich.<br />

Eine tolle Stahl-Büro-Küche mit mauvefarbenen Gläsern,<br />

grauen Kaffeetassen, schwarzem Kühlschrank, es sieht hier<br />

schon eher aus wie in einer Bar. Nebenan, im großen Büro mit<br />

großen Fenstern, an den Wänden ausdrucksstarke Gemälde<br />

von der Mutter seines Geschäftspartners Fabrizio Bruno. Und<br />

ein fünf Meter langer Buchenholz-Tisch, aus einem einzigen<br />

Stamm gefertigt; der Baum stand gefährlich nahe an einer<br />

Straße, abgestorben, drohte umzufallen. „Dann kamen die<br />

Jungs und haben aus 600 kg Holz noch was Schönes gemacht“.<br />

Eine „nachhaltige“ Gemeinschaftsarbeit war das,<br />

die auch oft nachhaltig genutzt wird, zum konzeptionellen<br />

Brainstormen – und als Brotzeittisch.<br />

Wenn Bäume im Tölzer Wald oder in naher und ferner Umgebung<br />

gefällt werden müssen oder vom Sturm umgeworfen<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

71


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

Der Preis für eine Afrika-Stiftung: Die filigrane Handarbeit aus heimischen Hölzern symbolisiert den afrikanischen Kontinent.<br />

werden, klingelt bei Michael Mai das Telefon. Das passiert so<br />

ein bis zwei Mal pro Monat, dann rufen der Förster an, oder<br />

Bauern, oder Privatleute, und sie haben wieder zu tun, wer<br />

hat Zeit, den Baum zu holen? Eigentlich keiner, das Auftragsbuch<br />

ist voll. Ok, trotzdem, der Kumpel mit dem Tieflader<br />

wird informiert, und das Sägewerk, das aus dem Baum dann<br />

die Bretter genau so schneidet, wie Michael Mai sie haben<br />

möchte, <strong>des</strong>halb ist er bei diesem Prozess auch oft dabei.<br />

Circa vier Jahre später, nach Trocknungsprozess und Trockenkammer,<br />

können die Bretter weiter verarbeitet werden. Wie<br />

z.B. das, aus dem der Brotzeittisch wurde. Bis es soweit ist,<br />

dass aus einem gefällten Baum ein Möbelstück wird, müssen<br />

die Jungs den Baum allerdings erst bergen, und so machen<br />

sie auch mal samstags einen gemeinsamen Ausflug in den<br />

Wald. Teambuilding der anderen Art.<br />

… <strong>Nachhaltig</strong> geht immer …<br />

HOLZ + METALL<br />

Holz als überirdisches Naturmaterial und Eisen als unterirdisches<br />

sind die Basis-Materialien, mit denen die Firma<br />

arbeitet, einzeln, oder in Kombination. Die „Gang“, wie<br />

Michael Mai sein Team nennt und in der alle 18 Mitarbeiter<br />

dem echten Hand-Werk verpflichtet und Könner ihres Faches<br />

sind, macht aus altem und neuem Holz und altem und neuem<br />

Metall alles, was machbar ist, und das so nachhaltig wie<br />

möglich: vom hochseetauglichen Outdoor-Speaker bis zum<br />

stylishen Holztisch auf Eisensäulen, von der Geschäftsausstattung<br />

bis zu einem multifunktionalen Bewegungsraum für<br />

eMotion Base, für das Jugendherbergswerk Bad Tölz, in dem<br />

keiner in der Ecke steht – es gibt keine Ecken, die Bauform<br />

ist rund. Und auch coole Restaurant-Einrichtungen und ungewöhnliche<br />

Hotelzimmer werden konzipiert und umgesetzt,<br />

wie etwa im „Lebendigen Haus“ in Dresden und Leipzig.<br />

Das meiste Holz, das in der Werkstatt verarbeitet wird,<br />

stammt von Bäumen direkt aus der Region. „Das ist der<br />

Schatz der Firma“, und da leuchten die Augen von Michael<br />

Mai, für den Holz das Schönste überhaupt ist. „Jeder Baum<br />

ist doch ein Lebewesen und hat Charakter“, und schon<br />

lange bevor Bestseller geschrieben wurden, warum man<br />

unbedingt mal einen Baum umarmen soll, hat er das getan,<br />

und tut es immer noch, auf 1300 Metern Höhe, wenn er mit<br />

einem Freund oder allein an seinem Lieblingsbaum, einer<br />

riesigen Gebirgstanne auf dem Weg zum Roß- und Buchstein<br />

vorbeikommt. Dann umarmt er „seinen“ Baum. „Und<br />

dann geht’s ma sauguad.“ Ein Ritual. Er mag Rituale, z.B.<br />

„als erstes morgens im Büro einen Ginseng-Tee. Und gegen<br />

9h, 10h dann ‘nen Cappu.“ Dass „man“ eigentlich entweder<br />

Ginseng-Tee oder Kaffee trinken soll, ist ihm völlig egal, er ist<br />

kein Gesundheitsapostel. Allerdings isst er sehr wenig Fleisch,<br />

seit er den Jagdschein gemacht hat, aus Interesse, was man<br />

über den Wald und die Tiere lernt. Er wollte es mal wieder<br />

wissen. Sein Bewusstsein schärfen.<br />

Für die Möbel verwenden sie fast ausschließlich Massivholz,<br />

und zu 95 Prozent wird auch sonst mit „reinen“ Materialien<br />

gearbeitet, Stahl, Aluminium, Kupfer, Bronze, Edelstahl.<br />

Cradle-2-Cradle ergibt sich so von selbst, die alleinige Verarbeitung<br />

von heimischem Holz und die Zusammenarbeit<br />

mit ortsansässigen Partnern ist dabei ein wichtiger Punkt. Sie<br />

fahren zudem ressourcenoptimierte Herstellungsprozesse, in<br />

der Schreinerei wird je<strong>des</strong> Abfallprodukt weiterverarbeitet<br />

zu Brennholz, Brotzeitbrettchen, Stapelleisten oder Bastelklötzen<br />

für Kinder, und aus den Spänen werden Briketts zur<br />

thermischen Weiterverwendung gemacht. Alle Holzarbeiten<br />

werden ausschließlich mit Naturoberflächen gearbeitet und<br />

endbehandelt, und durch den Verzicht auf Lacke trägt man<br />

zur Reduktion von Lösemittel-Emissionen bei. Und es gibt so<br />

gut wie keine Umverpackungen im Zukauf, da zu 80 Prozent<br />

Rohware eingekauft wird. Selbst Späne und Abschnitte in<br />

der Metallwerkstatt gehen, nach Metall getrennt, in extra<br />

Abfallbehältern in den Recycling-Kreislauf und werden nahezu<br />

zu 100 Prozent wiederverwendet, und bei Lieferungen zu<br />

72 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG | THEMEN<br />

Foto: © Michael Mai<br />

den Kunden werden Verpackungsmaterialien eingesetzt, die<br />

man ebenfalls wiederverwenden kann: Decken, Holzleisten,<br />

dünne Holzplatten. Auf Kunststoffe wie Styropor oder Folien<br />

verzichtet die Firma ausdrücklich.<br />

Nagelneue, extrem effiziente und stromsparende Maschinen<br />

mit wirkungsgrad-optimierter<br />

Motorisierung<br />

gehören genauso zur<br />

nachhaltigen Arbeitsweise<br />

wie LED-Lichter<br />

in der gesamten Werkstatt,<br />

die sich in einem<br />

überdurchschnittlich gut<br />

gedämmten Gebäude<br />

befindet. Und auch wenn<br />

Maschinen viel können,<br />

sie können nicht alles,<br />

und so wird auf manche<br />

maschinelle Anwendung<br />

verzichtet, die auch von<br />

Hand gemacht werden<br />

kann. „Form follows Ökologie“.<br />

Und das meint<br />

Michael Mai auch so. Und<br />

handelt danach.<br />

Nur die Transporter, die sind noch nicht als E-Mobile erhältlich.<br />

Die Chassis haben für die tonnenschweren Maschinen<br />

oder Materialien zu kleine Ladeflächen, die Zuladung ist zu<br />

gering; und je höher das Gewicht, <strong>des</strong>to geringer die Reichweite,<br />

sie wären nur für begrenzten Einsatz in der näheren<br />

Umgebung geeignet. Damit kommt man nicht nach Sylt oder<br />

nach Malta oder nach Leipzig oder wo eben gerade eines<br />

der großen Projekte ansteht. Michael Mai steht ständig in<br />

Kontakt mit Autoherstellern, eine Freundin arbeitet in einer<br />

Entwicklungs-Abteilung, er ist am Ball.<br />

Dafür macht die Firma das, was heute als Upcycling und hip<br />

angesagt ist, sowieso und zwar mit Altmetall und mit Holz. „Ja<br />

klar verwenden wir auch altes Holz, ist doch super, da sieht<br />

man lebendige Spuren. Und auch die Möbel aus neuem Holz<br />

behandelt man am besten traditionell, nur mit Kernseife und<br />

Wurzelbürste – alte Wirtshaustische hat man auch immer<br />

nur damit geschrubbt, <strong>des</strong>wegen sind die immer so schön.“<br />

… Da geht was …<br />

TEAM + SOLUTIONS<br />

Michael Mai mag seine „Gang“. Seine tollen Jungs, und, große<br />

Freude, endlich auch eine junge Frau, die ihre Schreiner-Ausbildung<br />

hier macht. „Die weibliche Sicht auf die Dinge tut<br />

allen gut“. Zu dieser „Gang“ und zu einer anderen Sicht gehören<br />

auch Menschen, die, betreut von ReAL Isarwinkel, in<br />

das Team integriert werden. „Wenn es so gut läuft, wie bei<br />

dem letzten Praktikanten, der inzwischen fest übernommen<br />

wurde, freuen sich alle mit!“. Fest zum Team gehört auch ein<br />

junger Bootsflüchtling aus Eritrea, für den alle Mitarbeiter<br />

einen Teil der Reisekosten in seine Heimat übernommen und<br />

ihm hier eine Wohnung für die Familie eingerichtet haben.<br />

„Organisiert haben das mein Vater und Sebastian Bolligs,<br />

unser Projekt- und Marketingmanager“. Soziales Engagement<br />

ist für Michael Mai so selbstverständlich, dass er gar nicht<br />

darüber redet. Er macht<br />

einfach, und so bekommen<br />

z.B. Kindergärten<br />

immer wieder Spielzeug<br />

aus Holz geschenkt. Und<br />

auch Leadership und<br />

Teambuilding sind für<br />

ihn längst umgesetzte<br />

Schlagworte, auch der<br />

In-Begriff Achtsamkeit,<br />

das ist einfach seine <strong>Lebens</strong>philosophie,<br />

damit<br />

ist er aufgewachsen, er<br />

muss sich dafür nicht anstrengen.<br />

Trotzdem ist er<br />

neugierig auf das, was er<br />

optimieren kann, liest viel<br />

zum Thema nachhaltige<br />

Unternehmenskultur und<br />

Fachliteratur über Materialien, Kunst, Umwelt. Und wenn er<br />

sich die Zeit nimmt, die er zu wenig hat, liest er ‚Der Schwarm‘<br />

von Frank Schätzing, ein Umwelt-Horrorszenario. Oder die<br />

Biographie von Jean-Jacques Rousseau ‚Der Mensch ist frei<br />

geboren und überall liegt er in Ketten‘. „Aus dem 18. Jahrhundert,<br />

und aktueller denn je. Leider.“ Und weil die Lektüre<br />

etwas mit ihm macht, macht er auch etwas damit, schreibt<br />

den Titel auf ein Foto, das er bei einer Bergtour im Trentino<br />

gemacht hat, und drückt damit aus, was ihn bedrückt. Unfreiheit<br />

z.B..<br />

Ein Team zu inspirieren, zu begeistern, mitzuziehen, das hat<br />

er im Blut, schon als potenzieller „leader of the gang“ im<br />

Kindergarten. Sein Umfeld nennt ihn einfühlsam und empfindsam,<br />

kollegial und gutmütig, manchmal zu sehr, intuitiv<br />

und optimistisch. Und manchmal auch viel zu ordentlich. Ja,<br />

die äußere Ordnung braucht er für sein inneres Gedankenfeuerwerk,<br />

„sonst zareißt‘s mi“. Er spürt, dass er Zeit braucht,<br />

um alles zu verarbeiten, was in ihm brodelt, und so trägt er<br />

z.B. keine Armbanduhr, „Ich mag das Gefühl nicht, wenn mir<br />

ständig jemand sagt, dass i eh scho z‘spät bin“. Auch wenn<br />

er das Gefühl hat, die Zeit ist knapp, in einem Gespräch oder<br />

mit Kunden, vermittelt er das Gegenteil. Er nimmt sich dann<br />

die Zeit. Schlechte Laune, die auch ein Michael Mai kennt,<br />

zum Glück selten, lässt er nicht am Team aus, sagt sein Team.<br />

Da läuft er lieber mal eben den Blomberg hoch. Das tut er<br />

allerdings auch mit guter Laune und Begeisterung, so zwei<br />

bis drei Mal pro Woche, egal bei welchem Wetter und zu<br />

welcher Jahreszeit. Laufen wohlgemerkt. Nicht gemütlich<br />

gehen. Gemütlich mag er schon auch. Neben seiner beruflichen<br />

Herausforderung weiß er das Leben zu genießen, mit<br />

Freunden „griabig zammsitzen“, am Lagerfeuer oder in den<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

73


Auf Tischplatten aus Kupfer, Eichenholz, Beton, Edelstahl und Stahl tafeln – auf Kaffeesack-Bezügen sitzen – auf den Dresdner Zwinger gucken.<br />

Im „Lebendigen Haus“, Dresden werden alte Leitungsrohre zu Barhockern.<br />

Bergen, einfach unterwegs sein, die Welt erkunden, reisen. Er<br />

lacht gern und ist im nächsten Moment nachdenklich, wenn<br />

ihn ein Thema berührt. Und wenn es um einen schwierigen<br />

Auftrag geht oder um die Erkenntnis, dass Ehrlichkeit bei<br />

anderen nicht immer das Maß aller Dinge ist, dann kann er<br />

schon mal nachts um 2 Uhr wachliegen. Auch für solche Erfahrungen<br />

ist er dankbar und auch dafür, was er bisher aus<br />

seinem Leben zu machen im Stande war.<br />

Michael Mai weiß sehr genau, was er will. Er ist zielstrebig,<br />

fordert sich selbst genauso wie seine „Gang“, also auch seinen<br />

Vater, der als Allrounder zum fröhlichen Team gehört.<br />

Und sie haben durchaus ihre Dispute, Sohn und Vater. Und<br />

doch sagt Horst Mai mit einem verschmitzten Lächeln, das er<br />

seinem Sohn vererbt hat: „Mei. Der Michael. Der is halt ein<br />

guter Kerl“. Der eben auch verdammt stur sein kann und den<br />

Dingen immer auf den Grund gehen will, schon als kleiner<br />

Bub, wie auch heute als Unternehmer, in einem Gespräch,<br />

wie auch im Umgang mit Materialien. So ist er eben. Der gute<br />

Kerl kümmert sich ja auch. Als ein neuer Mitarbeiter trotz<br />

strengster Sicherheits-Vorschriften an der Kreissäge zwei<br />

Finger zur Hälfte verliert, trifft Michael Mai das im Innersten.<br />

Er besucht den jungen Mitarbeiter im Krankenhaus, fährt zu<br />

den Eltern, organisiert einen Teambesuch, tröstet. Und ist<br />

selbst untröstlich, fühlt sich verantwortlich, obwohl alles in<br />

der Werkstatt den Vorschriften entspricht. Eine Erfahrung,<br />

die ihn auch demütig macht, wie schnell kann von jetzt auf<br />

gleich alles anders sein. Umso größer seine Freude und die<br />

<strong>des</strong> gesamten Teams, als der Mitarbeiter wieder dabei ist –<br />

ein Grund zum gemeinsamen Feiern.<br />

… Geht immer mehr ...<br />

DSIGN + FERNE LÄNDER<br />

„Geht nicht“ gibt’s für Michael Mai und seine Crew nicht.<br />

Abgesehen von höchster handwerklicher Qualität aller<br />

Objekte wie Fingerzinken-Technik, handgeschweißten Verbindungen<br />

oder Verarbeitung unterschiedlichster heimischer<br />

Massivhölzer steht die Firma „für zeitloses und puristisches<br />

exklusives Möbel- und Innen<strong>des</strong>ign.“ So steht es auf der<br />

Website, die auch schon anders aussieht, individuell, mit<br />

coolen Fotos und einem Blog. „Exklusiv. Das trifft es eigentlich<br />

gar nicht so. Wir machen halt keine seriellen Möbel,<br />

wir machen individuelle, eher ungewöhnliche Möbel. Nicht<br />

abgehoben, sondern bodenständig. Bei uns werden Werte<br />

gelebt, bei uns geht es nicht um „sales first“,sondern um<br />

„sustainability first“, sagt Michael Mai. Und auch das meint<br />

er, wie er es sagt. Das kann man durchaus exklusiv nennen,<br />

mit Kreativität und traditionellem Handwerk außergewöhnliche<br />

Möbel zu schaffen. Sie machen das alles mit sehr viel<br />

Können, mit sehr viel Leidenschaft, mit sehr viel Herz. Das<br />

spürt man in jeder Arbeit, bei jedem Objekt, ob groß, ob<br />

klein, die Objekte haben eine Seele. Das ist auf spezielle Art<br />

exklusiv, und nachhaltig. Und das spricht sich herum, dsign<br />

follows the world. Die Aufträge kommen inzwischen nicht nur<br />

aus dem europäischen Ausland, für dieses Jahr sind Aufträge<br />

z.B. in Afrika im Gespräch.<br />

Innerhalb Deutschlands werden u.a. gerade ausgediente<br />

Schiffscontainer als Teil-Interieur eines Restaurants in Leipzig<br />

umgebaut; ein Familienunternehmen möchte für diverse<br />

internationale Wohnorte Bäder und Sauna, Salon und<br />

Spielzimmer, Küche und Bar, und der Kindergarten von Bad<br />

Tölz bekam gerade liebevoll gestaltete Wipptiere aus Stahl<br />

und Holz und eine neue Holzwippe. Und Frau W. bekommt<br />

Gardinenstangen. Aus Eisen. Eckig. Anders.<br />

… Geht ans Eingemachte ...<br />

SINNLICHKEIT + SINN<br />

Weiter hinten, an der Wand im Büro, steht ein Regal mit<br />

eigenartig zerknittert-strukturierter bräunlicher Oberfläche.<br />

„Ich hab mal in einem alten Haus mit Bad ohne Fenster gewohnt.<br />

Der ständig beschlagene Spiegel hat mich genervt.<br />

Da hab‘ ich dieses Regal entworfen. Es nimmt Feuchtigkeit<br />

auf, wenn es trocken ist. Auf dem Trägermaterial Holz ist eine<br />

74 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Die Handwerker setzen auf alte Werte und moderne Technik. Härtetest für den Outdoor-Speaker-Cube aus Rauriser Kristallmarmor, von<br />

Hermann Lohninger, nach einem Entwurf von Michael Mai.<br />

15 cm dicke Lehmschicht.“<br />

Und dann redet Michael Mai über Lehm und Lehmspuren<br />

und was und wie man Spuren hinterlässt, im Job und im<br />

Leben oder auf Reisen, und da ist er neben seinem Beruf<br />

oder seiner Berufung als Designer und Möbelschreiner bei<br />

seinem Thema, reisen und über den Tellerrand gucken. Und<br />

da Frau W. auch so gerne reist und die Wüste liebt, möchte<br />

sie auf ihren Küchenfronten Motorradreifenwüstenspuren.<br />

Und Strass-Klunker als Griffe. Michael Mai grinst sein freches<br />

Grinsen „Des kriag ma scho. Aber <strong>des</strong> mit dem Strass, <strong>des</strong><br />

find ich ja ned guad. Naa, <strong>des</strong> mach ma ned.“<br />

Samstagmorgen im Büro. Die rote Eisentüre ist zu, keiner<br />

stört seinen Blick aus dem Fenster auf das noch verschlafene<br />

Bad Tölz. Das liebt Michael Mai und ganz besonders wenn es<br />

schneit und klirrend kalt ist. Er bringt dann Ordnung in vorhandene<br />

Unordnung, spürt seinem Gefühl nach, hat Ruhe<br />

und Ideen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Z.B.<br />

einen dotierten Preis zu entwerfen und umzusetzen für eine<br />

Stiftung in Afrika, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Welt ein<br />

Stück besser zu machen. In filigraner Handarbeit ist aus den<br />

heimischen Hölzern Eiche, Nussbaum, Zwetschge, Ahorn und<br />

Kirsche der afrikanische Kontinent auf einer der Erdkrümmung<br />

analog gebogenen Holzschale in einer Bronze-Schatulle entstanden.<br />

Michael Mai hat diese Arbeit unter der Bedingung<br />

hergestellt, dass der Gegenwert in dem Projekt „verbaut“<br />

wird. Wenn alles klappt wie geplant, wird er dafür dieses Jahr<br />

selbst vor Ort in Afrika sein und mit Hand anlegen. Die Firma<br />

tritt auch als Sponsor auf, sie hat z.B. ihren Marketing-Leiter<br />

bei seiner Fundriding-Tour unterstützt: Sebastian Bolligs ist<br />

2016 mit einem Roller 1.200 km quer durch Kambodscha gefahren,<br />

um damit für soziale Projekte der „Kleinen Hilfsaktion<br />

e.V.“ Spendengelder zu akquirieren, die vor Ort betroffenen<br />

Menschen neue Chancen ermöglichen. "Auch seine Tour im<br />

Dezember <strong>2018</strong> sponsern wir, Ehrensache!"<br />

Wenn es dann immer noch schneit, vor dem großen Büro-Fenster<br />

in Bad Tölz oder die Wolken vorbeiziehen, dann<br />

träumt Michael Mai auch mal vor sich hin. Von Patagonien und<br />

Feuerland. Das wär’s. Das wird es auch, eines Tages. Vielleicht<br />

schon nächstes Jahr. Oder Kamtschatka. Oder der Karakorum<br />

Highway. Oder einfach mit den Fahrrädern nach Griechenland.<br />

Und irgendwann die Weltumseglung. Das dauert noch ein bisschen,<br />

Michael Mai segelt viel auf dem Chiemsee, allerdings<br />

noch ohne Segelschein. Noch. Wenn er sich etwas in den<br />

Kopf gesetzt hat, dann macht er es. Auch die Weltumseglung.<br />

… Geht doch!!!<br />

KÜCHE IST EINE KÜCHE IST EINE KÜCHE<br />

IST – EINE BAR!<br />

Und Frau W.?<br />

Frau W. ist superglücklich. Sie hat inzwischen eine offene<br />

Küche, die anders ist, viel mehr Bar als Küche, mit gebürsteter<br />

Eichenholz-Arbeitsplatte und es kocht sich ganz wunderbar,<br />

da außer anders auch pflegeleicht und praktisch, und zum<br />

Glück hat Michael Mai ihr die Motorradreifenspuren auf den<br />

Fronten ausgeredet und sie von angelaufenen Stahlfronten<br />

überzeugt, die alles andere als kalt wirken und auch nicht<br />

kalt sind, und vor lauter Begeisterung hat Frau W. auf ihre<br />

Strass-Klunker als Griffe verzichtet. Die hängt sie sich dann<br />

eben an die Ohren und hat gute Laune. Nur hat ja nicht jeder<br />

das Glück wie Frau W., nach einem halben Jahr vergeblicher<br />

Suche nach einer anderen Küche auf einen netten Mitarbeiter<br />

eines Küchenstudios zu treffen, der ihr eine Adresse in Bad<br />

Tölz in die Hand drückt. Woher kommen denn die Kunden,<br />

die hier alles bekommen, was man aus Holz und Metall hochwertig,<br />

individuell und handwerklich erstklassig gearbeitet,<br />

herstellen kann? „Na ja, ca. 80 Prozent über Empfehlungen.“<br />

Wenn das mal nicht untertrieben ist.<br />

Wird Frau W. ihm sagen. Wenn sie mit ihm auf ihren Barhockern<br />

an dem mobilen Küchen-Theken-Block sitzt und so froh<br />

ist, diesen Freigeist und Querdenker, diesen Handschlagtyp,<br />

der immer eine Lösung für unlösbare Dinge hat, getroffen<br />

zu haben. Wenn sie dann über die Dinge <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> reden.<br />

Über nachhaltige Projekte. Über nächste Reisepläne. Und<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

75


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

ob er eine Idee hat, wie man eine Badewannenverkleidung<br />

gestalten kann. Anders.<br />

PS: Frau W. hat jetzt nicht nur eine andere Küche, sondern<br />

auch einen upcycling-Waschtisch. Aus den 60 Jahre alten<br />

Eichen-Treppenstufen ihres Elternhauses. Auf einem filigranen<br />

Eisengestell. Sieht klasse aus.<br />

PPS: Und statt vieler Flaschen Reinigungsmittel hat Frau<br />

W. jetzt für ihre Holzoberflächen echte Kernseife und eine<br />

Wurzelbürste. … Besser geht’s nicht!<br />

FRAU W., ALIAS DAGMAR WALSER<br />

ist Kunstpädagogin, Filmemacherin und Autorin. Sie glaubt an Humor<br />

und das Gute im Menschen und dennoch nicht alles, was man ihr<br />

sagt. Sie guckt lieber selbst nach. Vor Ort und in der weiten Welt. Und<br />

bemüht sich, nachhaltigökosexybiodynamisch zu leben. Gelingt nicht<br />

immer, aber immer öfter ...<br />

www.dsignsolutions.de<br />

www.fundriding.de<br />

www.real-isarwinkel.de<br />

Hinweis: Ein Interview mit Michael Mai finden<br />

Sie unter nebenstehendem QR-Code.<br />

Mehr Sein als Schein<br />

Aufgewachsen ist Michael Mai, 36, am Fuße <strong>des</strong> Brauneck/Benediktenwand. Seine Mutter leitet als Erzieherin einen Kindergarten und ist Sozialreferentin<br />

für den Caritas-Verband, sein Vater ist Spezialist für Sicherheitstechnik und examinierter Krankenpfleger, ein Allrounder. So etwas<br />

färbt ab.<br />

Michael Mai will früh weit weg. Mit 15 nach Indonesien und Thailand, die Eltern finden Schule besser. Ok, dann eben hoch hinaus. So entdeckt<br />

er die Berge für sich, zwischen 17 und 31 Jahren seine absolute Leidenschaft. Die Schule macht er irgendwann irgendwie fertig, ab 2000 dann<br />

Schreinerlehre. Seine Liebe zu Bäumen gibt den Ausschlag, er will reinsehen können, in den Baum, was steckt drin und was dahinter.<br />

Seine Freizeit verbringt er mit Klettern, Ski- und Eistouren, er ist ein Wilder. An der Südwand der Roßsteinnadel stürzt er ab. Kaputtes Sprunggelenk,<br />

Operation, 5 Tage vor dem letzten Teil seiner Meisterprüfung. Jetzt aufzugeben ist nicht sein Ding, er holt die Prüfung 2006 nach und schneidet<br />

als einer der besten Absolventen dieses Jahrganges ab und erhält für seine Meisterarbeit den Designpreis der Lan<strong>des</strong>hauptstadt München.<br />

Er möchte studieren, irgendwas mit Architektur, Design, Gestaltung. Bei den Alternativen: Architekturstudium an der HFT Stuttgart oder Studium<br />

für Raum- und Objekt<strong>des</strong>ign an der FAK Garmisch-Partenkirchen geben letztlich die Garmischer Berge den Ausschlag. Nach dem Studium<br />

arbeitet Michael Mai als Freelancer in Entwurf und Konstruktion, u.a. für Prof. Sven-Anwar Bibi und Dirk Schellberg() und entwickelt Produkte<br />

für eine Firma, die Robotersysteme für die automatisierte Probenvorbereitung herstellt.<br />

Immer mehr spürt er, dass etwas fehlt. Der technische Part reizt ihn, nur der ästhetische Part kommt zu kurz. Er will mehr. Erfinden, entwerfen,<br />

konstruieren, seine eigenen Ideen verwirklichen und am besten auch selber bauen. Mit seinem heutigen Geschäftspartner, Metallbaumeister<br />

Fabrizio Bruno startet er 2010 durch, die Garage von seinem Vater wird erste Werkstatt für einen ersten Auftrag. Und dabei spüren sie, dass sie<br />

ein super Team sind. Die Aufträge werden schnell mehr, sie ziehen in eine LKW-Garage ohne Heizung. 2014 gründen sie dann dsignSolutions<br />

als Start-up, bauen eine Metallbauwerkstatt in Bad Tölz auf, und Michael Mai stellt einen ersten Mitarbeiter ein: seinen Vater. 2015 kommt eine<br />

Schreinerei dazu. Sie haben jetzt 2 Standorte, brauchen weitere Mitarbeiter, das Team wächst. 2016/17 vergrößern sie sich flächenmäßig und<br />

personell. Sie finden eine alte Fernmeldehalle und verlegen beide Werkstätten, die Ausstellung und das Büro an einen Standort.<br />

„Mittlerweile sind hier 18 tolle Menschen in unserer eingeschworenen Gang. Des gfreit mi!“<br />

Für Michael Mai (links) ist ein gutes Betriebsklima Voraussetzung für Freude an der Arbeit. Das funktioniert ganz offensichtlich ...<br />

76 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Von der Abwärmenutzung über die Beleuchtung bis hin zur Druckluft: In einem Unternehmen gibt es zahlreiche Quellen,<br />

um Ressourcen und Geld zu sparen. Effizienznetzwerke helfen dabei.<br />

INNOVATIVE<br />

EFFIZIENZNETZWERKE<br />

SCHREIBEN ZUKUNFT!<br />

Klimawandel, Ressourcenknappheit und CSR-Berichtspflicht: Kleine und mittelständische Unternehmen stehen<br />

stetig wachsenden Herausforderungen gegenüber. Um diese zu meistern, bieten zahlreiche Initiativen<br />

und Projekte Unterstützung an – dabei lässt sich neben Ressourcen und Energie auch bares Geld sparen.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

Foto: © Continental<br />

Der Mittelstand ist die tragende Säule der Volkswirtschaften<br />

weltweit. So auch in Deutschland: Hierzulande<br />

umfassen laut dem Institut für Mittelstandsforschung die<br />

kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 99,6 Prozent<br />

aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen, haben knapp<br />

60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten<br />

angestellt und erwirtschaften etwa 36 Prozent aller Umsätze.<br />

Beeindruckende Zahlen, die darlegen, wie wichtig<br />

die etwa 3,6 Millionen deutschen KMU für unser aller<br />

Wohlstand und das Angebot an attraktiven Arbeitsplätzen<br />

sind. Es wundert daher nicht, dass die Bun<strong>des</strong>regierung sie<br />

intensiv unterstützt und fördert. So hat das Bun<strong>des</strong>wirtschaftsministerium<br />

speziell für diese Unternehmensgruppe<br />

ein Programm entwickelt, um ihnen bei Maßnahmen zur<br />

Reduzierung ihrer Energiekosten unter die Arme zu greifen.<br />

Es fördert 80 Prozent der entstehenden Beratungskosten<br />

sowie die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen. Damit<br />

winken den Unternehmen immense Kosteneinsparungen<br />

– die Deutsche Energieagentur (dena) berichtet über<br />

Einsparpotenziale von bis zu 70 Prozent der Stromkosten,<br />

beispielsweise bei der Beleuchtung, und immerhin 30<br />

Prozent bei Wärme. In Kombination mit den genannten<br />

Fördergeldern werden Energieeffizienzmaßnahmen so<br />

zum profit-center für KMU. Gregor Weber beschäftigt sich<br />

mit seinem Beratungs- und Forschungsinstituts schon seit<br />

Jahren mit dieser Thematik und sieht in innovativen Effizienznetzwerken<br />

die Zukunft betriebswirtschaftlicher Wertschöpfung.<br />

Sein Projekt ecoistics EffNaNet eignet sich für<br />

alle Branchen und wurde mehrfach ausgezeichnet; unter<br />

anderem vom <strong>Nachhaltig</strong>keitsrat der Bun<strong>des</strong>regierung<br />

(RNE) als „Projekt <strong>Nachhaltig</strong>keit 2017“ sowie zuletzt mit<br />

dem „Deutschen Industriepreis 2017“.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

77


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

Gemeinsam sind Unternehmen stärker<br />

Verschiedene Initiativen und Projekte haben sich bislang<br />

das Ziel gesetzt, Unternehmen besser über die Möglichkeiten<br />

der Effizienzmaßnahmen und deren Förderung aufzuklären.<br />

Lernende Energieeffizienz-Netzwerke (LEEN) sind<br />

ein solches Werkzeug. Entwickelt in der Schweiz und vom<br />

Fraunhofer-Institut in Deutschland salonfähig gemacht,<br />

organisieren sich in solchen Netzwerken Unternehmen, um<br />

ihre Herausforderungen gemeinsam anzupacken – getreu<br />

dem Motto „gemeinsam sind wir stärker“. Vorausschauende<br />

Unternehmer nutzen dies als Chance zur Innovation und<br />

steigern ihre Wettbewerbssituation durch Steigerung ihrer<br />

Energieeffizienz und andere nachhaltige Maßnahmen. Im<br />

Durchschnitt führt beim LEEN-Konzept je<strong>des</strong> Unternehmen<br />

zehn Energieeffizienzmaßnahmen durch, wobei Anregungen<br />

aus dem Netzwerk einen sehr großen Anteil haben – viele der<br />

Maßnahmen hätten die Teilnehmer ohne das Netzwerk gar<br />

nicht erst erkannt. Die erfolgreiche Reduzierung der Energiekosten<br />

in den ersten Jahren stellt oft Investitionsmittel für<br />

weitere Energieeffizienzmaßnahmen bereit, denn sinkende<br />

Energiekosten erhöhen den Gewinn.<br />

Die bisherigen Teilnehmer bestätigen: Der finanzielle Aufwand<br />

lohnt sich, da die Energiekosteneinsparungen die<br />

anfallenden Kosten in der Regel signifikant übersteigen.<br />

Für 94 Prozent der bisher am Netzwerk teilgenommenen<br />

Unternehmen haben sich die Erwartungen damit mehr als<br />

erfüllt. Diese Erfolge sind auch bei KMU möglich. In einem<br />

deutschen Autohaus mit Stromkosten von etwa 30.000 Euro<br />

im Jahr hat sich beispielsweise nach Umsetzung weniger<br />

Effizienzmaßnahmen eine Einsparung bei den Energiekosten<br />

von 30 Prozent, also 9.000 Euro im Jahr, eingestellt.<br />

(Siehe Infokasten).<br />

Gesellschaftliche Verantwortung wird auch für KMU<br />

immer wichtiger<br />

Neben dem Thema Energieeffizienz entsteht aktuell jedoch<br />

noch eine weitere Herausforderung für Unternehmen:<br />

der Umgang mit dem Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit und der Berichterstattung.<br />

Mit den aktuellen Skandalen um Bio-Eier,<br />

die keine sind, um Autos, die mehr Schadstoffe ausstoßen<br />

als erlaubt, und um katastrophale Arbeitsbedingungen in<br />

der Herstellung unserer Bekleidung rücken Unternehmen<br />

zunehmend in den Fokus der kritischen Gesellschaft. Die<br />

Verbraucher sind mündig geworden und über die sozialen<br />

Medien bestens informiert.<br />

Unterstützt wird dieser Trend durch den Gesetzgeber und die<br />

CSR-Berichtspflicht: Seit 2017 sind bestimmte Unternehmen<br />

in Deutschland dazu verpflichtet, sogenannte nichtfinanzielle<br />

Informationen zu Themen wie Achtung der Menschenrechte,<br />

Umweltstrategie oder soziale Belange öffentlich zu machen.<br />

Dies hat zur Folge, dass sich künftig auch alle KMU, die eine<br />

Geschäftsverbindung zu einem Großunternehmen unterhalten,<br />

inhaltlich mit dieser gesellschaftlichen Verantwortung<br />

und den berichtspflichtigen Themen beschäftigen müssen.<br />

Hier fühlen sich die meisten KMU, bedingt durch die steigende<br />

Komplexität dieser externen Rahmenbedingungen, nicht<br />

ausreichend informiert und somit nicht gerüstet. Sie suchen<br />

nach Lösungen, die sie beim Bewältigen dieser zusätzlichen<br />

Herausforderungen unterstützen, ohne dafür viel Zeit und<br />

Geld aufwenden zu müssen.<br />

Auf den Mittelstand zugeschnittenes Beratungskonzept<br />

Hier setzt das Projekt ecoistics EffNaNet (Effizienz- und<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keits-Netzwerke) an. Das bun<strong>des</strong>weite Beratungsund<br />

Forschungsprojekt ist so konzipiert, dass der Zeit- und<br />

Ein Autohersteller handelt<br />

Die Ford-Werke GmbH, die sustainable natives eG, der Senat der Wirtschaft, das ecoistics.institute und der Ford Partner Verband haben<br />

gemeinsam die Umsetzung <strong>des</strong> „EffNaNet“-Konzeptes für den gesamten Ford Handel in die Wege geleitet. <strong>Grundlage</strong> dafür war die aktive<br />

Unterstützung der Ford Geschäftsführung. Bis Ende <strong>des</strong> Jahres sollen so bun<strong>des</strong>weit EffNaNet-Netzwerke im Ford Handel umgesetzt werden.<br />

„Ford ist von Anfang an mit Herzblut und Pragmatismus dabei. Es freut mich ganz besonders, dass wir so schnell und unkompliziert in die<br />

Umsetzung gehen“, so EffNaNet-Initiator Weber.<br />

Die Handlungsmöglichkeiten zeigen sich an nachfolgendem exemplarischen Autohaus mit folgenden Ausgangsdaten:<br />

• 30 MitarbeiterInnen, Büros, Verkaufsraum, Lager, Werkstatt, Waschstraße, Showroom<br />

• Leistungen: Verkauf, Inspektion, Wartung, Unfallinstandsetzung<br />

• Stromkosten:30.000 Euro/Jahr<br />

• Kosteneinsparung: 8.990 Euro/Jahr = Senkung der Energiekosten um 30 Prozent pro Jahr<br />

Maßnahme Invest in € Kosteneinsparung in € Amortisation<br />

Beleuchtung 2.250 1.100 2 Jahre<br />

Druckluftsystem 500 5.590 < 1 Monat<br />

E-Motor Lastenaufzug 18.000 1.500 12 Jahre<br />

Neues Rolltor 4.500 800 5,6 Jahre<br />

Quelle: Effcheck Rheinland-Pfalz<br />

78 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG | THEMEN<br />

Geldaufwand seitens der teilnehmenden Unternehmen<br />

minimal ist. Die Erfolgsstory der vorgenannten LEEN-Netzwerke<br />

aufgreifend wurde das Konzept auf die Bedürfnisse<br />

und Voraussetzungen der KMU zugeschnitten. In einem<br />

ersten Schritt werden die Energieeinsparpotenziale der<br />

teilnehmenden Unternehmen identifiziert. Diese staatlich<br />

geförderten Audits führen staatlich akkreditierte Energieexperten<br />

durch. Auch Audits nach dem EDL-G (Energie-<br />

DienstLeistungs-Gesetz, für Nicht-KMU seit 2015 gesetzlich<br />

verpflichtend) sind Bestandteil <strong>des</strong> Konzepts. Anschließend<br />

werden Maßnahmen geplant, budgetiert und durchgeführt,<br />

die helfen Schwachstellen zu beseitigen und Einsparpotenziale<br />

zu nutzen. Darüber hinaus unterstützt das Projekt in<br />

Zusammenarbeit mit dem Deutschen <strong>Nachhaltig</strong>keitskodex<br />

(DNK) die Berichterstattung <strong>des</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keitsmanagements.<br />

Um die interne Fachkompetenz der teilnehmenden<br />

Unternehmen zu stärken, bietet „EffNaNet“ zusätzlich die<br />

Möglichkeit, in speziell entwickelten Zertifikatslehrgängen<br />

eigene Energie-und <strong>Nachhaltig</strong>keitsexperten auszubilden.<br />

So können sich speziell auch kleine Unternehmen „virtuell“<br />

zusammenschließen, um die MitarbeiterInnen gezielt und<br />

kostensparend weiterzubilden. Insgesamt kann das Projekt<br />

Wertschöpfung Image <strong>des</strong> Unternehmens und Zufriedenheit<br />

und Loyalität der Mitarbeiter steigern. Grund genug selbst<br />

ein Knotenpunkt im Effizienz- und <strong>Nachhaltig</strong>keits-Netzwerk<br />

zu werden.<br />

<strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>, BAUM e.V., der Verband für<br />

Wirtschaft und Umwelt (VWU e.V.) und der Bun<strong>des</strong>verband<br />

mittelständische Wirtschaft (BVMW e.V.) unterstützen <strong>des</strong>halb<br />

EffNaNet als Partner und empfehlen ihren Mitgliedern<br />

und Lesern eine aktive Teilnahme für mehr Wertschöpfung<br />

und Effizienz.<br />

www.EffNaNet.de<br />

www.leen.de<br />

www.ecoistics.institute<br />

www.machts-effizient.de<br />

Hinweis:<br />

Siehe hierzu auch unseren Beitrag über lernende<br />

Energieeffizienz-Netzwerke (LEEN)<br />

Reibung schafft Werte?<br />

<strong>Nachhaltig</strong>e Unternehmensführung<br />

in der Digitalisierung<br />

Instrumente –<br />

Erfolgsfaktoren –<br />

Praxisbeispiele<br />

Herausgegeben von Prof. Dr. Stefan Vieweg,<br />

Prof. Dr. Matthias Müller-Wiegand und<br />

Prof. Dr. Harald Meisner<br />

Mit Beiträgen von Uwe Bergmann, Prof. Dr. Henning Friege,<br />

Prof. Dr. Matthias Groß, Prof. Dr. Werner Krämer,<br />

Dr. Bernd M. Lindenberg, Prof. Dr. Harald Meisner,<br />

Prof. Dr. Matthias Müller-Wiegand, Prof. Dr. Klaus Schweinsberg,<br />

Prof. Dr. Stefan Vieweg<br />

<strong>2018</strong>, 199 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen,<br />

€ (D) 39,95, ISBN 978-3-5<strong>03</strong>-17786-8<br />

Auch als eBook erhältlich<br />

Online informieren und bestellen:<br />

www.ESV.info/17786<br />

Erich Schmidt www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Verlag GmbH & Co. KG · Genthiner Str. 30 G · 10785 Berlin · Tel. (<strong>03</strong>0) 25 00 85-265 · Fax (<strong>03</strong>0) 25 00 85-275 · ESV@ESVmedien.de · www.ESV.info<br />

79


THEMEN | STRATEGIE UND UNTERNEHMENSFÜHRUNG<br />

Licht und Schatten bei der Getränkeverpackung<br />

<strong>forum</strong> fragt Stephan Rösgen nach Pro und Contra von Flaschen gegenüber Dosen.<br />

Auch hier liegt die Lösung in der Schließung von Kreisläufen.<br />

Stephan Rösgen studierte Jura in Passau und Köln und<br />

erreichte ein MBA Degree der Universität Toronto. Er<br />

war am Aufbau der Duales System Deutschland GmbH<br />

beteiligt, baute das Europabüro <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verbands<br />

der Deutschen Entsorgungswirtschaft in Brüssel auf<br />

und ist seit März <strong>2018</strong> Geschäftsführer und Sprecher<br />

<strong>des</strong> Forum Getränkedose.<br />

Grundsätzlich sind Getränkeverpackungen positiv zu sehen – aber<br />

nur dann, wenn die Kreisläufe auch funktionieren. Problematisch<br />

kann es werden, wenn beispielsweise Mehrwegflaschen zu selten<br />

wieder befüllt werden. Bei nur vier bis acht Befüllungen ist die Ökobilanz<br />

einer Mehrwegflasche nicht besonders gut. Dem gegenüber<br />

steht die Getränkedose aus Aluminium oder Stahl: Zwei Materialien<br />

für deren Herstellung zwar viel Energie gebraucht wird, die sich aber<br />

umso ökologischer zeigen, je öfter sie recycelt werden. Für die Getränkedose<br />

kommt es <strong>des</strong>halb entscheidend darauf an, dass sie wieder<br />

in den Recyclingkreislauf zurückgebracht wird – eine Tatsache,<br />

die in Deutschland bereits ganz gut funktioniert.<br />

Oft heißt es: Wenn Flasche, dann am besten regional trinken. Wieso?<br />

Der Begriff Mehrwegflasche stammt aus einer Zeit, als es in Deutschland<br />

tatsächlich nur wenige Flaschentypen gab, die in Pool-Systemen<br />

von zahlreichen Abfüllern gemeinsam verwendet werden konnten. So<br />

füllte etwa der Mineralwasserproduzent aus Bayern sein <strong>Wasser</strong> in die<br />

Perlkranzflasche, die dann vom Konsumenten mit nach Frankfurt genommen<br />

wurde. Dort konnte sie von einem hessischen Abfüller gleichfalls<br />

genutzt werden. Diese Pool-Systematik hat natürlich eine hohe<br />

Rate an Befüllungen ermöglicht. Sehr viele Getränke werden mittlerweile<br />

aber in firmenspezifischen Flaschen, sogenannten Individualflaschen<br />

abgefüllt – und da ist eine Übernahme der von „A“ gefüllten<br />

Flasche durch „B“ nicht mehr möglich. Wenn also ein Bier aus dem<br />

Norden Deutschlands in einem Individualgebinde nach Bayern transportiert<br />

und dort konsumiert wird, dann kann eine bayrische Brauerei<br />

nicht einfach ihr Bier in diese Flasche abfüllen – sie muss in der Regel<br />

zunächst sortiert und im Anschluss zurück zum ursprünglichen Abfüller<br />

gebracht werden. Das erschwert die Kreislaufführung erheblich und<br />

hat insbesondere erheblich niedrigere Wiederbefüllungsraten zur Konsequenz,<br />

was sich entsprechend auf die Ökologie auswirkt.<br />

Wo liegen die Probleme bei Aluminuimdosen?<br />

Auch bei Aluminium geht es zwingend darum, die Kreisläufe weiter<br />

zu schließen. Im Gegensatz zu anderen Materialien ist die Industrie<br />

hier jedoch schon einen Schritt weiter. Da der Rohstoff nahezu unendlich<br />

oft recycelbar ist – wir sprechen auch von permanentem Material<br />

– finden wir bei Aluminium bereits heute eine in weiten Teilen<br />

gut funktionierende Kreislaufwirtschaft vor. Problematisch ist natürlich<br />

der Energieverbrauch bei der Herstellung von Primäraluminium.<br />

Hierbei muss man aber berücksichtigen, dass die verwendete Energie<br />

im Metall enthalten bleibt und sich im Recycling auszahlt, da man nur<br />

noch 5 Prozent der ursprünglichen Energie braucht, um Aluminium<br />

zu recyclieren.<br />

Wo und wann ist Aluminium im Vorteil?<br />

Es gibt heute für fast alle Materialien gute Recyclingtechnologien,<br />

die nur noch nicht im erforderlichen Maß genutzt werden. Für Metall<br />

wurden die dafür notwendigen Schritte bereits sehr früh umgesetzt.<br />

Bezogen auf Getränkeverpackungen aus Aluminium kann man also<br />

sagen, dass Innovationen und Investitionen in die Dose eine Vorreiterrolle<br />

eingebracht haben.<br />

Aber gerade hier in Bayern: Wer trinkt schon gerne Bier aus der Dose?<br />

Im Restaurant oder der Wirtschaft trinkt man Bier regelmäßig aus<br />

Metallbehältern, denn nur noch ganz selten steht dort ein Holzfass,<br />

aus dem gezapft wird. Der Vorbehalt gegen Metall als Behälter ist<br />

also gänzlich unbegründet.<br />

Wo sehen Sie die Zukunft der Getränkeverpackung?<br />

Alle im Markt etablierten Verpackungen haben ihre Daseinsberechtigung<br />

und werden sie auch behalten, so lange – und das ist die<br />

Schlüsselfrage – der Verbraucher zugreift. Dieser Markt lebt schließlich<br />

von der Vielfalt. Die Getränkedose hat sicherlich den großen,<br />

unbestritte nen Vorteil, aus Aluminium oder auch Stahl zu sein. Sie<br />

ist leicht und unzerbrechlich, einfach zu kühlen, handlich und nimmt<br />

nicht viel Platz weg. Das weiß der Endverbraucher zu schätzen und<br />

greift zu. Mit einer Quote von 99 Prozent aller Getränkedosen, die<br />

dem Wieder verwertungsprozess zugeführt werden, erfüllt die Dose<br />

zudem bereits heute die Anforderungen der Verbraucher an <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

und Umweltverträglichkeit. Sie ist also als absolut zukunftsfähig<br />

einzuschätzen.<br />

Foto: © Forum Getränkedose<br />

80 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

Papier GmbH.


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

EIN ZWEITES LEBEN<br />

FÜR KAFFEEKAPSELN<br />

So einfach geht’s<br />

Wie Nespresso Kapseln tatsächlich wiederverwertet werden.<br />

© Kay Herschelmann | © Emmanuel Nguyen Ngoc<br />

Müll ist aktuell ein heiß diskutiertes<br />

Thema. Wir Deutschen gelten in Europa als<br />

Spitzenreiter unter den Müllverursachern.<br />

Dabei haben wir hierzulande einen großen<br />

Vorteil: Unser Abfall wird immer häufiger<br />

recycelt, auch dank einer gut funktionierenden<br />

Infrastruktur. Entscheidend bleibt,<br />

dass diese genutzt wird und Hersteller ihre<br />

Produkte so gestalten, dass sie möglichst<br />

gut wiederverwertet werden können.<br />

Der weltweite Konsum hat unübersehbar<br />

direkte Auswirkungen auf den Planeten: Die<br />

Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikverpackungen,<br />

Mikroplastik in Kosmetika<br />

und hitzige Debatten rund um Kaffeekapseln<br />

und Coffee-to-Go-Becher. Insbesondere<br />

Verpackungen, die nicht recycelt werden,<br />

haben langfristige Folgen auf die Umweltbilanz.<br />

Laut Statistischem Bun<strong>des</strong>amt fielen<br />

in Deutschland durchschnittlich rund 617<br />

Kilogramm Siedlungsabfall je Einwohner an.<br />

Das liegt deutlich über dem europäischen<br />

Durchschnitt von 481 Kilogramm 1 . Umso<br />

bedeutender ist es, dass Verpackungen<br />

konsequent mehrfach genutzt werden.<br />

Nespresso hat diese Notwendigkeit bereits<br />

vor 25 Jahren erkannt und seine Kapseln<br />

1993 freiwillig beim Grünen Punkt (Duales<br />

System Deutschland) lizenziert. Die Kapseln<br />

können daher nach Gebrauch ganz einfach<br />

samt Kaffeesatz über den Gelben Sack, die<br />

Gelbe Tonne, die Wertstofftonne oder über<br />

Wertstoffsammelstellen dem Recyclingkreislauf<br />

zugeführt werden. Das Unternehmen<br />

setzt bewusst auf Aluminium als Verpackungsmaterial,<br />

um seine Qualitätskaffees<br />

optimal vor äußeren Einflüssen zu schützen.<br />

Ein weiterer Vorteil: Der Wertstoff Aluminium<br />

lässt sich besonders gut und auch mehrfach<br />

recyceln. Das gilt nicht für je<strong>des</strong> Verpackungsmaterial.<br />

Vor allem Ver packungen, die aus<br />

verschiedenen Materialien zusammengesetzt<br />

sind, lassen sich schwerer oder zum Teil<br />

gar nicht wiederverwerten.So sind Produkthersteller<br />

in der Pflicht, ihre Verpackungen so<br />

zu gestalten, dass diese möglichst gut recycelt<br />

werden können.<br />

Das unabhängige Institut cyclos-HTP hat<br />

im vergangenen Jahr verschiedene Kaffee­<br />

Kapseln auf ihre Recyclingfähigkeit hin<br />

untersucht. Es kommt in seiner Studie zu<br />

dem Ergebnis, dass der Sortierprozess eine<br />

entscheidende Rolle beim Recycling einnimmt.<br />

Nur wenn Verpackungen und das<br />

Material, aus dem sie bestehen, richtig erkannt<br />

und dem jeweils richtigen Kreislauf für<br />

ein bestimmtes Material zugeführt werden,<br />

ist eine erfolgreiche Wiederverwertung<br />

möglich. Aluminium-Kapseln von Nespresso<br />

werden laut Studie besonders gut erkannt.<br />

Denn Aluminium wird von den Sortieranlagen<br />

klar identifiziert und mit hoher Sicherheit<br />

aussortiert. Aus den recycelten Kapseln<br />

entsteht Sekundäraluminium, das in einer<br />

Vielzahl von Produkten wie Fensterrahmen<br />

oder Fahrräder, aber auch in der Bau- und<br />

Automobilbranche neue Anwendung findet.<br />

Welche Formen das Recycling der Nespresso<br />

Kapseln noch annehmen kann, zeigt eine<br />

Zusammenarbeit mit zwei Schweizer Traditionsunternehmen.<br />

Bereits im dritten Jahr<br />

wurde <strong>2018</strong> die Kooperation mit Victorinox<br />

weitergeführt. Das Ergebnis: ein Taschenmesser<br />

mit einer Schale aus recycelten<br />

Nespresso Kapseln – ein praktisches und<br />

nachhaltiges Werkzeug zugleich. Ein besonderes<br />

Design-Accessoire ist wiederrum das<br />

Ergebnis der Zusammenarbeit Nespressos<br />

mit dem Schreibwarenhersteller Caran<br />

d´Ache geworden. Der klassische 849 Kugelschreiber<br />

gilt als Wahrzeichen <strong>des</strong> Maison<br />

Caran d´Ache und ist <strong>2018</strong> nun auch in einer<br />

limitierten Auflage aus re cycelten Nespresso<br />

Kapseln verfügbar.<br />

Mehr zum Recycling und zum umfassenden<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keitsengagement von Nespresso<br />

unter<br />

www.nespresso.com/de/de/thepositivecup<br />

Ein Taschenmesser mit einer Schale aus recycelten<br />

Nespresso Kapseln<br />

1) Statistisches Bun<strong>des</strong>amt, „617 Kilogramm Abfall pro Kopf: Deutschland deutlich über dem EU-Durchschnitt“, 2013<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

81


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

INSEKTEN UNTER DIE<br />

FLÜGEL GREIFEN<br />

Um Bienen und andere bestäubende Insekten anzulocken, werden beim PRO PLANET-Apfelprojekt auf den Obstplantagen zusätzliche Nahrungs- und<br />

Nistangebote für sie geschaffen.<br />

Was haben Äpfel, Kürbisse, Kakao und<br />

weißer Senf gemeinsam? Klar, sie alle sind<br />

<strong>Lebens</strong>mittel. Aber es gibt noch etwas, was<br />

sie verbindet: Ohne Insekten als fleißige<br />

Bestäuber würden ihre Früchte sehr viel<br />

magerer ausfallen. Im schlimmsten Fall<br />

gäbe es überhaupt keine Früchte. Denn<br />

dann müssten sie sich bei der Fortpflanzung<br />

im Wesentlichen auf die Dienste <strong>des</strong><br />

Win<strong>des</strong> verlassen – was allenfalls bei Getrei<strong>des</strong>orten<br />

wie Weizen, Reis oder Mais<br />

funktioniert.<br />

Bis zu 75 Prozent unserer Nahrungsmittel<br />

sind auf die Bestäubung durch Bienen und<br />

andere Insekten angewiesen. Aber dieser<br />

gut funktionierende Kreislauf ist in Gefahr. In<br />

den vergangenen Jahrzehnten ist die Masse<br />

der Fluginsekten in Schutzgebieten um bis<br />

zu 75 Prozent zurückgegangen. Jede dritte<br />

Insektenart ist nach der roten Liste <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes<br />

für Naturschutz gefährdet oder<br />

bereits ausgestorben. Das hat vor allem zwei<br />

Gründe: den Mangel an vielfältigen strukturreichen<br />

Landschaften und den Einsatz von<br />

Pestiziden in unseren Agrarlandschaften. Intensiv<br />

bewirtschaftete Monokulturen bieten<br />

widrige <strong>Lebens</strong>bedingungen, in denen notwendige<br />

Nahrungs- und Nistmöglichkeiten<br />

für die Insekten großflächig fehlen.<br />

„Insekten sind unersetzbar. Sie bestäuben<br />

Wild- und Kulturpflanzen und sind so für<br />

eine intakte Natur und die Erzeugung vieler<br />

<strong>Lebens</strong>mittel unerlässlich. Sie sind zudem<br />

Nahrungsgrundlage unzähliger Tierarten und<br />

dienen dem biologischen Pflanzenschutz in<br />

der Landwirtschaft“, betont Leif Miller, Bun<strong>des</strong>geschäftsführer<br />

<strong>des</strong> Naturschutzbund<br />

Deutschland e.V. (NABU). Ohne bestäubende<br />

Insekten sähen die Regale im <strong>Lebens</strong>mittelhandel<br />

bald so aus wie die Filiale von PENNY<br />

im niedersächsischen Langenhagen an einem<br />

Tag im Mai. Der zur REWE Group gehörende<br />

Discounter hatte alle Artikel aus dem Markt<br />

geräumt, die von Bestäuberleistungen abhängig<br />

sind. Das waren etwa 60 Prozent <strong>des</strong> rund<br />

2.500 Produkte umfassenden Sortiments.<br />

Kein Kern- oder Steinobst, allenfalls Bananen<br />

oder Weintrauben. Kein Fruchtgemüse wie<br />

Gurken oder Auberginen, nur verschiedene<br />

Salate und Kohlsorten. Kein Kakao, kein Kaffee,<br />

kein Sonnenblumenöl, weniger Gewürze.<br />

Honig sowieso nicht.<br />

Gemeinsam für mehr Artenvielfalt<br />

Es ist noch nicht zu spät: Wir brauchen das<br />

Insektensterben nicht einfach so hinzunehmen,<br />

sondern können gemeinsam etwas<br />

dagegen tun.<br />

REWE und PENNY helfen seit Langem, die<br />

biologische Vielfalt zu sichern und Wildbienen<br />

und anderen bestäubenden Insekten<br />

<strong>Lebens</strong>räume zu schaffen. Los ging es 2010<br />

mit einem Gemeinschaftsprojekt von REWE<br />

Group, regionalen Imkern, der Obst vom<br />

Bodensee Vertriebsgesellschaft mbH sowie<br />

der Bodensee-Stiftung. Im Rahmen <strong>des</strong> PRO<br />

PLANET Apfelprojekts wurden Nisthilfen aufgestellt,<br />

für blühende Hecken gesorgt und<br />

so innerhalb und rund um die Anbauflächen<br />

der Apfelbauern zusätzliche Nahrungs- und<br />

Nistangebote für blütensuchende Insekten<br />

geschaffen.<br />

Die regelmäßigen Erfolgskontrollen der<br />

Bodensee-Stiftung belegen, dass sich das<br />

Engagement auszahlt. „Mit unseren Maßnahmen<br />

haben wir dazu beigetragen, dass<br />

sich die Wildbienenpopulation deutlich verbessert<br />

hat“, betont Patrick Trötschler, der<br />

das Apfel projekt in der Bodensee-Region<br />

betreut. Im Jahr 2017 wurden in und um<br />

die Anbauflächen 117 Wildbienen-Arten<br />

ermittelt. Darunter befanden sich 25 Arten,<br />

die lan<strong>des</strong>weit als bedroht oder als<br />

nicht ungefährdet eingestuft sind. „Auf<br />

den Ansaaten wurden oft hohe Individuenzahlen<br />

und mit bis zu 34 Wildbienen-Arten<br />

mancherorts auch eine große Vielfalt festgestellt.<br />

Bei einigen Hilfsmaßnahmen wie<br />

den Wildbienen-Nisthilfen kam es seit der<br />

letzten Erhebung vor vier Jahren sogar zu<br />

einer Verdopplung der Artenzahlen“, meint<br />

der Tierökologe Mike Herrmann, der das<br />

Wildbienen-Monitoring durchgeführt hat.<br />

Sichtbar für Verbraucher<br />

Das Projekt zeigt, dass sich Naturschutz<br />

und Landwirtschaft ergänzen können. „Der<br />

Naturschutz sorgt dafür, dass die Obstplantagen<br />

langfristig genutzt werden können –<br />

indem sie von den Bienen bestäubt werden“,<br />

sagt Johannes von Eerde, Geschäftsführer<br />

der Obst vom Bodensee Vertriebsgesellschaft<br />

mbh. „So schließt sich der Kreis zwischen<br />

Naturschutz und Wirtschaftlichkeit.“<br />

Der unabhängige PRO PLANET-Beirat der<br />

REWE Group belohnt den Einsatz der Bodensee-Obstbauern<br />

für den Erhalt der biologischen<br />

Vielfalt mit dem PRO PLANET-Label.<br />

© NABU<br />

82 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Das PRO PLANET Label dient als Orientierungshilfe<br />

für einen nachhaltigeren Einkauf<br />

bei den Vertriebslinien der REWE Group.<br />

Damit wird das Engagement auch für die<br />

Verbraucher sichtbar. „Unser Apfelprojekt<br />

belegt, dass der Dialog und die praktische<br />

Zusammenarbeit zwischen Naturschützern<br />

und Landwirten einen wertvollen Mehrwert<br />

für die Natur, die Anbauregion und alle Beteiligten<br />

liefern“, stellt Dr. Florian Schäfer<br />

als verantwortlicher Betreuer für die REWE<br />

Group fest. Die gute Zusammenarbeit der<br />

Projektbeteiligten wurde 2016 mit dem<br />

deutschen CSR-Preis in der Kategorie „Vorbildliche<br />

Kooperation eines Unternehmens<br />

mit NGO/NPOs“ ausgezeichnet.<br />

Überlebenshelfer<br />

Die Erfolgsgeschichte vom Bodensee zieht<br />

Kreise: Mit Unterstützung der REWE Group<br />

und NABU wurde das Projekt auf ganz<br />

Deutschland ausgeweitet. Aktuell helfen<br />

bun<strong>des</strong>weit mehr als 250 Betriebe in zwölf<br />

Anbaugebieten, die biologische Vielfalt im<br />

Rahmen <strong>des</strong> PRO PLANET-Apfelprojekts<br />

zu stärken. Insgesamt wurden bereits fast<br />

300 Hektar Blühflächen angelegt – das entspricht<br />

einer Fläche von 420 Fußballfeldern<br />

– und mehr als 5.500 blühende Büsche,<br />

Hecken, Sträucher und Bäume gepflanzt.<br />

Zudem stellten die „Überlebenshelfer“<br />

mehr als 2.000 Nisthilfen für Insekten sowie<br />

über 6.000 Nistkästen für Vögel und Fledermäuse<br />

auf.<br />

Was im Apfelanbau funktioniert, wird nun<br />

auch auf den Gemüse- und Kartoffelanbau<br />

ausgedehnt. Seit 2016 in der Pilotphase,<br />

gibt es seit diesem Jahr nun auch bereits<br />

Kartoffeln und verschiedene Gemüse aus<br />

artenvielfaltschützendem Anbau. So soll das<br />

Angebot an naturverträglicher produzierten<br />

frischen Produkten kontinuierlich weiter<br />

ausgebaut werden.<br />

Gähnende Leere im Backwarenregal <strong>des</strong> PENNY-<br />

Markts, nachdem alle von der Bienenbestäubung<br />

abhängigen Produkte für einen aufklärerischen<br />

Aktionstag entfernt wurden.<br />

„Mit REWE haben wir einen wichtigen Partner<br />

an unserer Seite, um dem Ziel zur Schaffung<br />

flächendeckender insektenfreundlicher<br />

<strong>Lebens</strong>räume ein Stück näher zu kommen“,<br />

sagt Leif Miller. Vor Kurzem haben der NABU<br />

und sein langjähriger strategischer Partner<br />

REWE als weitere Maßnahme einen Insektenschutzfonds<br />

mit einer Startsumme von<br />

300.000 Euro gegründet. Mit den bereitgestellten<br />

Mitteln sollen unter anderem in<br />

Nachbarschaft zu intensiv bewirtschafteten<br />

Agrarlandschaften Maßnahmen gefördert<br />

werden, die Flächen in artenreiche, vielfältig<br />

blühende und naturnahe Biotope<br />

verwandeln.<br />

REWE Group<br />

Unternehmenskommunikation<br />

Tel.: +49 (0)221 / 1 49 - 10 50<br />

E-Mail: Presse@Rewe-Group.com<br />

www.Rewe-Group.com<br />

© REWE Group<br />

Seit 2010 setzt sich die REWE Group mit dem PRO PLANET-Apfelprojekt mit Erfolg für den<br />

<strong>Lebens</strong>raum von Bienen und anderen bestäubenden Insekten ein.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

83


THEMEN | HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT<br />

HANF: MEHR ALS RAUSCH<br />

Von der Droge zum Musterknaben der Bioökonomie<br />

Die Forschung will uns mit neuen Technologien das Leben erleichtern und mit neuen Wirkstoffen jünger,<br />

gesünder und länger am Leben erhalten. Doch neben Hightech-Lösungen und Wunderpräparaten übersehen<br />

wir eine naheliegende Lösung: die vielfach gescholtene Superpflanze Hanf.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

84 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT | THEMEN<br />

wegen <strong>des</strong> möglichen Missbrauchs als Rauschmittel verteufelt.<br />

Der Anbau ist in Deutschland und vielen anderen<br />

Ländern streng reglementiert.“ Das soll sich ändern: Mit ihrer<br />

Berliner Agentur sens media will Takats durch Aufklärung<br />

und Beratung Konsumenten, Produzenten und die Politik für<br />

das Thema Hanf sensibilisieren und der Pflanze wieder den<br />

Stellenwert verschaffen, den sie verdient.<br />

Janika Takats hat eine besondere Liebe: Hanf – oder lateinisch<br />

Cannabis. Ihr Herz schlägt so sehr für diese besondere<br />

Pflanze, dass sie dem Hanf ihren Berufsalltag verschrieben<br />

hat. Wer dabei nun aber an Kifferklischees denkt, liegt<br />

weit daneben. Denn Takats hat sich zum Ziel gesetzt, die<br />

Superpflanze aus der Nische zu holen. Sie will zeigen, welch<br />

unglaubliche Vorteile sie für Mensch und Wirtschaft haben<br />

kann: „Hanf ist sehr nachhaltig, denn er ist komplett verwertbar,<br />

genügsam im Anbau, schädlingsresistent, enorm<br />

vielseitig und sehr gesund. Bereits jetzt können min<strong>des</strong>tens<br />

50.000 Produkte daraus hergestellt werden“, schwärmt die<br />

Hanfaktivistin. „Die Pflanze hat weltweit eine jahrtausendelange<br />

Kulturgeschichte hinter sich – und dennoch wird sie<br />

Foto: © pixabay, herbalhemp<br />

Strenge Verbote sind nicht zielführend<br />

Nach einer Schätzung <strong>des</strong> Deutschen Hanfverban<strong>des</strong> kostet<br />

die Umsetzung der Prohibition von Cannabis als Rauschund<br />

Genussmittel den deutschen Staat jährlich circa 1,4<br />

Milliarden Euro. Gleichzeitig nimmt die Konsumentenzahl<br />

weiter zu. Eine weitere Schätzung besagt, dass im Falle einer<br />

Legalisierung die Cannabissteuer ein Volumen von circa 1,87<br />

Milliarden Euro erbringen könnte.<br />

Andere Länder gehen hier entschlossen voraus. In den Niederlanden<br />

wird der Besitz von geringen Mengen Cannabis<br />

bereits seit den 1970er Jahren toleriert. Auch in Portugal wurde<br />

vor 16 Jahren der Drogenkonsum völlig entkriminalisiert.<br />

Im Jahr 2012 wagten zwei US-Bun<strong>des</strong>staaten, den Genuss<br />

von Cannabis zu legalisieren. Im Rückblick war eine Politik,<br />

die auf Prävention und Aufklärung setzt, sehr erfolgreich.<br />

Seit der Entkriminalisierung ist der Drogenkonsum allgemein<br />

und besonders bei jungen Menschen stark gesunken. „Es ist<br />

notwendig“, so Mathias Bröckers, ein gesellschaftskritischer<br />

Journalist, „dass die vielseitige Verwendung der Nutzpflanze<br />

in den Fokus gerückt wird, denn sie ist so viel mehr als einfach<br />

nur Rausch.“<br />

Die Droge als wertvolle Medizin<br />

Der Schritt von der Medizin zur Droge und umgekehrt ist<br />

bekanntlich nicht weit. Und so können sich schwerkranke<br />

Menschen seit März 2017 nicht nur ihre Cannabismedizin<br />

vom Arzt verschreiben lassen, die Krankenkassen wollen<br />

zukünftig auch die Kosten tragen, um die bislang noch sehr<br />

kostspielige medizinische Versorgung der Patienten zu<br />

sichern. Cannabis bekommt damit die Chance, endlich als<br />

anerkannte Heilpflanze wieder Wurzeln zu schlagen. Auch<br />

als Rohstoff wird Hanf langsam wiederentdeckt, doch durch<br />

das jahrzehntelange Verbot von Cannabis ist das Wissen über<br />

die vielseitige Nutzung der Kulturpflanze verschütt gegangen.<br />

Hier bedarf es der Aufklärung, denn mit Hanf können<br />

unzählige Bereiche <strong>des</strong> täglichen <strong>Lebens</strong> abgedeckt werden<br />

– und die Pflanze ist komplett verwertbar: von den Samen,<br />

über die Fasern, auch die Schäben, bis hin zu den Blättern.<br />

Die Verwendungszwecke sind fast grenzenlos: sowohl in<br />

der Automobil-, Papier-, Textil-, oder Chemieindustrie als<br />

auch in der Bau- und Landwirtschaft und der Kosmetik- und<br />

<strong>Lebens</strong>mittelbranche findet die Pflanze Verwendung (Siehe<br />

auch die nachfolgenden Beiträge).<br />

Aber damit nicht genug: Hanf ist ein nachhaltiges Universalgenie,<br />

wächst schnell und verhält sich auch sonst recht<br />

anspruchslos. Hanf ist im Anbau ressourcenschonender<br />

und umweltverträglicher als viele andere Nutzpflanzen und<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

85


Die Verwendungszwecke von Hanf sind fast grenzenlos: Die Automobil-, Papier-, Textil-, oder Chemieindustrie nutzt sie ebenso wie die Bau-,<br />

Kosmetik- und <strong>Lebens</strong>mittelbranche.<br />

bahnt sich so Schritt für Schritt den Weg zurück auf die Felder,<br />

zurück in die Industrie und zurück in das Bewusstsein<br />

der Menschen. Damit dieser Prozess vorangeht, müssen<br />

Forschung und Entwicklung vorangetrieben und die Gesetzeslage<br />

angepasst werden. Denn bislang gestaltet es sich für<br />

viele Produzenten von Hanfprodukten immer noch schwer,<br />

hierzulande an den Rohstoff zu gelangen. Im internationalen<br />

Wettbewerbsvergleich, vor allem zu Frankreich, wo Hanf in<br />

der Champagne traditionell von Kooperativen angebaut wird,<br />

aber auch zu den Niederlanden, wo Firmen auf unterschiedlichen<br />

Wegen sehr erfolgreich sind, hatten die deutschen<br />

Erstaufbereiter kaum Chancen.<br />

vergrößert wird, damit der Hanf sein volles Potenzial entfalten<br />

kann. Mehr und mehr Initiativen haben es sich daher<br />

zur Aufgabe gemacht, den geschädigten Ruf der Kulturpflanze<br />

wiederherzustellen. Der Deutsche Hanfverband stellt mit<br />

knapp 2.400 Privatleuten und zahlreichen Unternehmen der<br />

Hanfbranche die größte Hanflobby in Deutschland dar. Der<br />

Geschäftsführer Georg Wurth sieht der Zukunft der Hanfpflanze<br />

in Deutschland positiv entgegen: „Ich glaube die<br />

Gesellschaft wird bald viel entspannter mit Hanf umgehen<br />

als heute. Die vollständige Legalisierung sollte in zehn Jahren<br />

erledigt sein. Vor allem in Sachen Nutzhanf gibt es neue Ansätze<br />

für innovative Werkstoffe.“<br />

Wachstumschancen für die regionale Wirtschaft<br />

Immerhin kann Nutzhanf mit einem THC-Gehalt von unter<br />

0,2 Prozent in Deutschland seit 1996 wieder legal angebaut<br />

werden. Der Anbau muss bei der Bun<strong>des</strong>anstalt für Landwirtschaft<br />

und Ernährung (BLE) gemeldet werden. Ebenso<br />

die Blüte der Pflanzen, damit die BLE während der Blütezeit<br />

vor Ort den THC-Gehalt der Pflanze prüfen kann. Mittlerweile<br />

liegt die Anbaufläche bei 1.500 Hektar in Deutschland, was<br />

im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, zum Beispiel<br />

Frankreich mit 11.210 Hektar, noch verhältnismäßig gering<br />

ist. Auch in den USA boomt das Hanfgeschäft: 2015 haben Investoren<br />

215,2 Millionen US-Dollar in nicht-börsenorientierte<br />

Cannabis-Unternehmen gesteckt. Eine Investition die sich in<br />

Zeiten von Ressourcenmangel und Umweltverschmutzung<br />

doppelt lohnen wird.<br />

Hanf genießt zunehmende Aufmerksamkeit<br />

Die Nachfrage nach Hanfprodukten steigt kontinuierlich,<br />

doch wegen der geringen Stückzahlen sind die Herstellungs-<br />

und Verkaufspreise oft noch sehr hoch. Das spiegelt<br />

auch deren Präsenz im Einzelhandel wieder. Ist man auf der<br />

Suche nach kosmetischen oder textilen Produkten, wird man<br />

in erster Linie online fündig. Deshalb wird es Zeit, dass die<br />

Produktivität angekurbelt und die Auswahl an Herstellern<br />

Vielversprechende Ansätze und auch der Staat ist dabei<br />

20<strong>02</strong> wurde der Deutsche Hanfverband (DHV) gegründet<br />

und spielt seitdem eine wichtige Rolle in der Cannabislegalisierung.<br />

Er strebt eine legale, verbraucherfreundliche<br />

Marktregelung für das Genussmittel Cannabis an – von<br />

der Produktion, über den Verkauf unter klaren Jugendschutzauflagen<br />

bis zum Eigenanbau. Der DHV arbeitet eng<br />

zusammen mit anderen internationalen und nationalen<br />

Verbänden, wie auch auf regionaler Ebene in Form von<br />

offiziellen DHV-Ortsgruppen, die weitere Initiativen und Vereine<br />

unterstützen. Denn für viele, die sich der nachhaltigen<br />

Landwirtschaft verschrieben haben, ist der Nutzhanf nicht<br />

mehr wegzudenken. Ein ambitioniertes Beispiel hierfür ist<br />

der in 2015 gegründete Verein Allerhand am Alpenrand.<br />

Durch die Erprobung autarker, ökologisch fundierter, ganzheitlicher<br />

und gemeinschaftlicher Landwirtschaftsformen<br />

will der Verein ein nachhaltiges Leben und <strong>Wirtschaften</strong><br />

fördern. Dabei setzt er auch auf Hanf und organisiert dazu<br />

einen Hanfkongress. Die Hanfinitiative Bayern, ein Netzwerk<br />

aus Landwirten, Abnehmern in der Produktion und Endverbrauchern<br />

arbeitet an dem Projekt „100 ha für Bayern“. Das<br />

Business-Netzwerk cannafem will insbesondere Frauen in<br />

der Hanfbranche dabei helfen, sich zu vernetzen, Chancen<br />

zu besprechen und Ideen auszutauschen. Janika Takats<br />

Fotos v.l.n.r.: © BLE Bonn, Thomas Stephan | © Thermo Natur<br />

86 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT | THEMEN<br />

kämpft mit Formaten wie der Hanf-Kochshow sens cuisine<br />

und dem Premium Lifestyle Magazin in.fused für die Aufklärung<br />

über den unglaublichen Nutzen der Hanfpflanze.<br />

Und es gibt weitere Fachmagazine und auch -messen. Um<br />

jedoch die Pflanze aus ihrem alten Drogenimage herauszuholen,<br />

ist es wichtig, hanfbasierte Produkte in einem<br />

anderen Rahmen zu etablieren. Ob auf einer Modemesse<br />

wie der Ethical Fashion Show, oder aber der Biofach, der<br />

Weltleitmesse für Bio-<strong>Lebens</strong>mittel.<br />

Auch von Seiten der Regierung gibt es Unterstützung. So<br />

befasst sich das Bun<strong>des</strong>ministerium für Ernährung und<br />

Landwirtschaft im Rahmen <strong>des</strong> 2012 gestarteten Förderprogramms<br />

„Nachwachsende Rohstoffe“ immer wieder mit<br />

dem Thema Nutzhanf. Marktanalysen schreiben Hanffasern<br />

ein hohes Potenzial als Dämmstoff sowie bei der Verwendung<br />

in der Textil- und Automobilindustrie zu. Untersucht<br />

wird unter anderem die Möglichkeit, den anspruchslosen<br />

Hanf als Winterzwischenfrucht anzubauen und so für eine<br />

ganzjährige Bodenbedeckung und damit einen nachhaltigen<br />

Bodenschutz zu sorgen.<br />

Das Bun<strong>des</strong>institut für Arzneimittel hat eine Stelle für die<br />

medizinische Nutzung eingerichtet, auch „Cannabis-Agentur“<br />

genannt. Sie soll künftig die Vergabe von medizinischem<br />

Cannabis kontrollieren – von Anbau, Ernte, Verarbeitung,<br />

Qualitätsprüfung, Lagerung und Verpackung bis hin zur Abgabe<br />

an Großhändler wie Apotheken und Pharma-Hersteller.<br />

Da zurzeit noch kein Cannabis für medizinische Zwecke aus<br />

deutschem Anbau zur Verfügung steht, wird der Bedarf über<br />

Importe gedeckt, die von der Bun<strong>des</strong>opiumstelle abgewickelt<br />

und überprüft werden.<br />

Bis Cannabis für medizinische Anwendungen auf deutschem<br />

Boden wächst, müssen allerdings noch einige Wissenslücken<br />

geschlossen und Standards geklärt werden. An der Hochschule<br />

Merseburg will die Soziologin Gundula Barsch daher ein<br />

interdisziplinäres Forschungsinstitut zum Medizinhanf einrichten.<br />

Inspiriert wurde sie dabei vom „Marihuana Research<br />

Institute“ an der kalifornischen Humboldt State University.<br />

In Kalifornien ist die medizinische Anwendung von Cannabis<br />

seit 1996 legal, 2016 folgte eine vollständige Legalisierung.<br />

Ein Weg, der laut Janika Takats auch in Deutschland denkbar<br />

ist. „Die kontrollierte medizinische Nutzung ist eine wirkliche<br />

Chance, um das Image der Hanfpflanze in den Köpfen der<br />

Menschen zu verbessern.“<br />

www.allerhand-am-alpenrand.de | www.fnr.de<br />

www.hanfverband.de | www.sens-media.com<br />

www.hanffarm.com<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

www.hempro.com<br />

87


THEMEN | HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT<br />

GRÜNE GESCHÄFTE<br />

Der Rohstoff Hanf beginnt sich nach einem langen Nischendasein den Weg zurück in die Industrie zu<br />

bahnen. Dies belegt auch die „International Conference of the European Industrial Hemp Association<br />

(EIHA)“, die als weltgrößte Hanfkonferenz der industriellen Nutzung von Hanf einen Weg bahnen möchte.<br />

<strong>forum</strong> sprach mit Michael Carus, dem Geschäftsführer der EIHA über die unglaublichen Potenziale der<br />

Nutzpflanze.<br />

Michael Carus ist Physiker<br />

und Gründer <strong>des</strong><br />

nova-Instituts, einem<br />

Forschungs- und Beratungsinstitut<br />

für Biotechnologie,<br />

nachhaltige<br />

Rohstoffversorgung und<br />

eine bio- und CO 2<br />

-basierte<br />

Ökonomie. Seit<br />

über zehn Jahren ist er<br />

Geschäftsführer der European<br />

Industrial Hemp<br />

Association (EIHA).<br />

Herr Carus, auf der EIHA-Konferenz in Köln<br />

unterschrieben letztes Jahr 191 Teilnehmer<br />

die „Cologne Declaration of Industrial Hemp“.<br />

Was wollen Sie mit dieser erreichen?<br />

Diese Erklärung soll ein deutliches Zeichen<br />

an die Politik senden. Es müssen Rahmenbedingungen<br />

geschaffen werden, um nicht<br />

berauschende Stoffe aus der Hanfpflanze wie<br />

Cannabidiol und Hanfextrakte als Nahrungsergänzungs-<br />

und Arzneimittel zu legalisieren.<br />

Zudem soll der in der EU für Nutzhanf erlaubte<br />

THC-Wert von 0,2 Prozent auf 0,3 Prozent<br />

angehoben werden, denn nur so können wir<br />

mit den Märkten in Kanada und den USA<br />

konkurrieren, wo weniger strenge Vorgaben<br />

herrschen. Dadurch werden in der Hanfindustrie<br />

weitere Jobs geschaffen und zweistellige<br />

Wachstumsraten beibehalten – bei gleichzeitig<br />

sicheren Produkten für die Verbraucher.<br />

Schon in den 1930er-Jahren wurde in den<br />

USA mit Hanf als Rohstoff in der Automobilindustrie<br />

experimentiert. Warum hat sich das<br />

Material nie durchgesetzt?<br />

Erdöl war sehr billig und somit auch die entsprechenden<br />

Kunststoffe. Naturmaterialien<br />

wurden verdrängt. Beim Hanf kamen Anbauverbote<br />

hinzu, die dem Drogenhanf galten,<br />

aber auch den Anbau von Industriehanf mit<br />

einbezogen.<br />

Die Nachfrage nach Hanfprodukten steigt<br />

und in Europa auch die Fläche an kultiviertem<br />

Nutzhanf, jedoch nicht in Deutschland. Sind<br />

die Vorgaben für Nutzhanf hier zu restriktiv?<br />

In Europa ist die Anbaufläche von Hanf von<br />

8000 Hektar im Jahr 2011 auf 43.000 Hektar<br />

in <strong>2018</strong> angewachsen. In Deutschland<br />

gibt es für Hanf oder andere Naturfasern<br />

oder bio- basierte Produkte insgesamt keine<br />

Marktanreize – ganz im Gegenteil zum Biokraftstoffbereich.<br />

Landwirte verdienen mit<br />

Mais, Weizen oder Zuckerrübe mehr als mit<br />

Hanf. In anderen Ländern sind die Rahmenbedingungen<br />

günstiger.<br />

Die Größenordnung der<br />

industriellen Hanfproduktion<br />

ist beeindruckend.<br />

Wie groß ist der Markt für Nutzhanf in<br />

Europa? Wie hoch das Marktpotenzial in<br />

Deutschland?<br />

Das hängt von vielen Faktoren ab, wie z.B.<br />

vom Erdölpreis. Grundsätzlich könnten für<br />

Verbundwerkstoffe und Dämmstoffe einige<br />

100.000 Hektar Hanf in Europa angebaut werden.<br />

Mit cottonisiertem, also zu feinen Baumwollfasern<br />

verarbeitetem Hanf für die Textilindustrie<br />

könnten weitere 100.000 Hektar<br />

genutzt werden. 2016 wurden in Deutschland<br />

1.472 Hektar Hanf angebaut, knapp die Hälfte<br />

davon für Fasern und der Rest für Hanfsamen.<br />

Zum Teil fand auch eine Koppelnutzung statt,<br />

das heißt, dass auch die Hanfschäben (gebrochener,<br />

innerer Stängel) genutzt wurden.<br />

Das Marktvolumen der Hanffasern schätze<br />

ich auf etwa 800.000 Euro. Hinzu kommen<br />

Foto: © nova Institut<br />

88 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT | THEMEN<br />

die Schäben mit einem ähnlichen Betrag. Dazu noch Hanfsamen<br />

und Pharmazeutika. Insgesamt sind das auf Seiten der<br />

Produzenten 4 bis 5 Millionen Euro im Jahr. Hinzu kommen<br />

Importe aus anderen EU-Ländern und aus China. Natürlich<br />

ist das Marktvolumen der verarbeiteten Hanfprodukte, wie<br />

den <strong>Lebens</strong>mitteln, viel höher. Das schätze ich auf bis zu 20<br />

Millionen Euro (2016) mit einer steigenden Tendenz. Dieses<br />

Jahr dürfte der Umsatz bereits deutlich höher liegen. Gerade<br />

hat Ritter Sport eine Sonderedition Hanfschokolade („Schoko<br />

& Gras“) rausgebracht, die in wenigen Tagen ausverkauft war.<br />

Hanflebensmittel werden Mainstream.<br />

In welchen Bereichen wird Hanf heute in Deutschland eingesetzt?<br />

Welche Anwendungsbereiche gab es früher, die<br />

heute in Vergessenheit geraten sind?<br />

In Europa sind die wichtigsten Anwendungen Spezial-Leichtpapiere,<br />

Verbundwerkstoffe im Automobilbereich und<br />

Dämmstoffe. Die Hanfschäben werden als Tiereinstreu und<br />

für die Bauindustrie genutzt. Hanfsamen und Hanföl werden<br />

für hochwertige <strong>Lebens</strong>mittel verwendet, aus den Blättern<br />

und Blüten werden Pharmazeutika gewonnen. Diese Nutzungsvielfalt<br />

ist einzigartig.<br />

Vor allem China investiert gerade auf großem Niveau in<br />

den Hanfanbau. Droht die EU den Anschluss zu verlieren?<br />

Ja, auf jeden Fall. Das hat aber die europäische Textilindustrie<br />

ohnehin schon in gewissem Maße. In Europa ist es schwer,<br />

entsprechen<strong>des</strong> Kapital und Ressourcen zu bewegen, die<br />

notwendig sind, um in industrielle Maßstäbe zu kommen.<br />

Unsere großen Textilmarken könnten leicht einsteigen, sie<br />

tun es aber nicht. Kleine Firmen können das nicht stemmen.<br />

In China ist es einfacher, solche Projekte zu realisieren.<br />

Gut zu wissen<br />

Im Jahr <strong>2018</strong> wurde in Europa so viel Nutzhanf angebaut wie noch<br />

nie: Auf insgesamt 43.000 Hektar wurde die Pflanze kultiviert.<br />

Vorreiter mit etwa 14.000 Hektar ist Frankreich. Seit 1996 ist der<br />

Anbau von Nutzhanf auch in Deutschland unter bestimmten Vorgaben<br />

wieder erlaubt, nachdem 1982 sogar der Anbau von Faserhanf<br />

ohne berauschende Wirkung verboten wurde. Ende der 90er-Jahre<br />

wurde in Deutschland auf über 4.000 Hektar Nutzhanf angebaut –<br />

gegenwärtig liegen die Anbauflächen unter 2.000 Hektar. Doch das<br />

könnte sich nun ändern und zu einer Renaissance <strong>des</strong> Hanfs auch<br />

bei uns führen.<br />

Welche Innovationen haben Sie bei Ihrem Besuch in der<br />

chinesischen Provinz Heilongjiang am meisten beeindruckt?<br />

Die Größenordnung der industriellen Hanfproduktion ist<br />

beeindruckend. Die Fläche alleine in Heilongjiang stieg von<br />

1.000 Hektar in wenigen Jahren auf heute 30.000 Hektar<br />

– das entspricht der gesamten Anbaufläche in Kanada<br />

oder Europa. In einem großen Forschungsprogramm an<br />

Universitäten in der Provinz Heilongjiang wurden in Zusammenarbeit<br />

mit der Ukraine und Kanada neue, ertragreiche<br />

Hanfsorten entwickelt, Koppelerntemaschinen für Stängel<br />

und Samen optimiert sowie biotechnologische Verfahren<br />

eingeführt, um umweltfreundlich mit Hilfe von Enzymen<br />

feine Hanffasern zu produzieren. Auf der Konferenz wurden<br />

sehr feine Hanfstoffe gezeigt, die es in dieser Qualität<br />

noch nie gegeben hatte. Ein Großabnehmer ist übrigens die<br />

chinesische Armee, die ihre Soldaten mit Hanfuniformen<br />

und -socken versorgt. Auch die Nutzung von Hanffasern in<br />

Verbundwerkstoffen für die Automobilindustrie wird dort<br />

sehr stark vorangetrieben.<br />

Cannabidiol ist im Gegensatz<br />

zum THC der wenig psychoaktive,<br />

also berauschende Wirkstoff<br />

und ermöglich zahlreiche Einsatzgebiete<br />

in der Pharmazie.<br />

In welchen Bereichen wird Nutzhanf Ihrer Meinung nach in<br />

Zukunft vermehrt eingesetzt?<br />

Verbund-, Dämm- und Baustoffe werden in großen Volumina<br />

nachgefragt, da kann Hanf einen relevanten Anteil<br />

erobern. Sollte cottonisierte Hanffaser am Textilmarkt auf<br />

Nachfrage stoßen, so können sich auch hier große Volumina<br />

entwickeln.<br />

Wie stehen Politik und Gesellschaft Ihrer Meinung nach<br />

zum Thema Hanf in fünf bis zehn Jahren? Wird Cannabis<br />

vollständig legalisiert sein?<br />

Der Hanfbereich entwickelt sich kontinuierlich weiter. Fasern,<br />

Schäben und Samen/Öl werden sich weiter am Markt etablieren.<br />

Medizinische Anwendungen sind inzwischen bekannt<br />

und akzeptiert, auch hier entwickelt sich das Volumen weiter<br />

nach oben. Hanf als Medizin wird zunehmend weltweit legalisiert,<br />

alle paar Monate folgt das nächste Land. Auch die<br />

vollständige Legalisierung verfolgen heute mehr Länder als<br />

in den letzten 80 Jahren. Wenn hier positive Erfahrungen<br />

gemacht werden, nimmt dies sicherlich Einfluss auf die<br />

weitere Legalisierung.<br />

Inzwischen werden auch zahlreiche Forschungsprojekte<br />

rund um den Hanf gefördert und das Wissen um die Pflanze<br />

und ihre Nutzungen erweitert sich in großen Schritten.<br />

Größere Investitionen treiben die Technologieentwicklung<br />

voran.<br />

Herr Carus, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen<br />

Ihnen weiterhin viel Erfolg bei der Arbeit mit biobasierten<br />

Rohstoffen.<br />

www.eiha.org<br />

www.nova-institut.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

89


THEMEN | HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT<br />

Foto: © HempConsult GmbH<br />

90 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT | THEMEN<br />

VOM BANKER<br />

ZUM HANFKÖNIG<br />

Lineare <strong>Lebens</strong>läufe waren gestern. Menschen mit Vision und Enthusiasmus gestalten die Welt von<br />

morgen. Ein Hanfpionier zeigt, wie man erfolgreich gegen den Strom schwimmt.<br />

Von Sarah Ullmann<br />

„Ökologie und soziale Gerechtigkeit sind gewiss gute Ideale“,<br />

erklärt mir Daniel Kruse, „aber um sie effektiv und nachhaltig<br />

umzusetzen, bedarf es auch <strong>des</strong> wirtschaftlichen Erfolges.“<br />

So eröffnet Daniel Kruse unser Gespräch auf der Biofach<br />

in Nürnberg. Und er fährt fort: „Aktivismus und öffentlichkeitswirksame<br />

Proteste haben ihren Sinn, doch sie bieten<br />

weder eine ökonomische Perspektive, noch verändern sie<br />

das System langfristig und von innen heraus.“ Recht hat er!<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

91


Eine große Herausforderung stellt die Ernte der Hanfpflanzen dar.<br />

Hier müssen neue Maschinen entwickelt werden.<br />

Auch im <strong>Lebens</strong>mittelbereich ist die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten<br />

von Hanf beeindruckend.<br />

Ökologie und Ökonomie erfolgreich verbinden<br />

Schon früh steckte sich Kruse hohe Ziele: „Ich wollte die Welt<br />

besser, grüner und nachhaltiger gestalten, dabei wirtschaftlichen<br />

Erfolg haben und finanzielle Unabhängigkeit erreichen.“<br />

Dazu absolvierte er erst einmal eine Ausbildung zum Bankkaufmann.<br />

Um sein Wissen über die Mechanismen der Wirtschaft<br />

zu vertiefen, begann er, nach einem kurzen Intermezzo als<br />

Devisenhändler, in Düsseldorf BWL zu studieren. „Nur wenn<br />

man etwas kennt, kann man es verstehen und verändern“, so<br />

seine feste Überzeugung. Neben der Überzeugung und der<br />

Ausbildung fehlte jetzt nur noch eines: die Geschäftsidee.<br />

Doch auch diese ließ nicht lange auf sich warten.<br />

Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er in der Fahrbereitschaft<br />

einer Bank. Während einer Geschäftsreise<br />

drückte ihm der Geschäftsleiter ein Wirtschaftsmagazin mit<br />

einer Reportage über Hanf und seine vielen Verwendungsmöglichkeiten<br />

in die Hand. Kruse war sofort klar: „Das ist<br />

es!“ Er war begeistert von dem ungenutzten Potenzial <strong>des</strong><br />

Multitalentes Hanf und beschloss, sich mit diesem Rohstoff<br />

als Partner selbstständig zu machen.<br />

Mittlerweile blickt Kruse auf über 25 Jahre Erfahrung im<br />

Hanfmarkt zurück, die 1995 mit der Eröffnung der ersten<br />

HanfHaus-Filiale in Düsseldorf seinen Ausgang nahm. Im<br />

Jahre 2001 gründete Kruse die Firma Hempro International<br />

GmbH & Co. KG um die Entwicklung von Hanfprodukten<br />

weiter vorantreiben. Heute ist das Unternehmen Produzent<br />

und Großhändler für eine umfangreiche Produktpalette von<br />

Hanfrohstoffen und Hanfprodukten, wie etwa Hanftextilien,<br />

-accessoires, -kosmetik und -nahrungsmittel, und damit<br />

europaweit eines der größten Anbieter für Hanfprodukte.<br />

„Unsere Zielgruppe sind LOHAS (Lifestyle of Health and<br />

Sustainability), also Menschen, die an <strong>Nachhaltig</strong>keit überdurchschnittlich<br />

interessiert sind“, erklärt er. „Und genau<br />

dafür stehen Produkte aus Hanf! Sie verbinden eine Vielzahl<br />

von Vorteilen für Mensch und Umwelt.“<br />

Wissen teilen, um den Hanf zu fördern<br />

2012 gründete Kruse die HempConsult GmbH. Somit steht<br />

er, zusammen mit seinem Team, nun auch anderen in der<br />

Branche zur Seite. Die Gesellschaft berät in allen Belangen<br />

rund um die Geschäftsneugründung, Sortimentserweiterung,<br />

Produktplatzierung, Marktforschung und Kundenanalyse.<br />

Auch Vertrieb, Zollabwicklung, Behörden- und<br />

Qualitätsmanagement gehören mit zum Beratungsportfolio.<br />

Selbst bei der Entwicklung von Technologien von der Erntemaschine<br />

bis hin zu Produktionsanlagen stehen Kruse und<br />

seine Experten unterstützend zur Verfügung. In Sachen Multitalent<br />

nimmt sich Kruse ein Beispiel an seinem geliebten<br />

Rohstoff in und ist neben seinen Jobs als Geschäftsführer<br />

und Berater noch Vorstandsmitglied der European Industrial<br />

Hemp Association (EIHA), sowie Mitglied der Canadian<br />

Hemp Trade Alliance (CHTA).<br />

Über sein Mitwirken in den Verbänden setzt er sich besonders<br />

für die Wiederanhebung <strong>des</strong> THC-Grenzwertes<br />

von 0,2 auf 0,3 Prozent ein. Er sieht die aktuelle Regelung<br />

als ein wesentliches Hindernis für weitere Marktentwicklungen.<br />

„Es bedarf einer wissenschaftlich fundierten<br />

Überarbeitung der unnötig strikten THC-Richtwerte für<br />

<strong>Lebens</strong>mittel. Hierfür muss dringend eine korrekte und<br />

faire Neuberechnung der maximalen Aufnahmemenge<br />

seitens der Europäischen Behörde für <strong>Lebens</strong>mittelsicherheit<br />

(EFSA) erfolgen“, verlangt Kruse, wohlwissend um das<br />

verschenkte Potenzial.<br />

„Ich glaube, dass meine Aktivitäten die Welt ein wenig<br />

besser machen. Wir bringen einen guten, nachhaltigen<br />

Rohstoff auf den Markt. Ein Rohstoff, der in der Landwirtschaft<br />

je<strong>des</strong> Jahr mehr Beachtung und Verwendung<br />

erfährt, der zur Verbesserung der Böden und der Luft<br />

beiträgt und aus dem vom unteren bis zum obersten Teil<br />

der Pflanze viele tausend nachhaltige Produkte hergestellt<br />

werden können.“<br />

Fotos v.l.n.r.: © HempConsult GmbH, Daniel Kruse | © flickr<br />

92 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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GRÜNE PERSPEKTIVE<br />

Flüssige Energie von morgen<br />

IWO/ Zffoto – Fotolia<br />

Zunehmend treibhausgasreduzierte flüssige<br />

Brenn- und Kraftstoffe könnten künftig die<br />

Vorteile von Heizöl, Benzin, Diesel und<br />

Kerosin mit denen erneuerbarer Energien<br />

vereinen. Einblicke in die Möglichkeiten<br />

von morgen.<br />

Deutschland hat sich ehrgeizige Ziele in<br />

Sachen Klimaschutz gesetzt: Angestrebt<br />

wird beispielsweise ein „nahezu klimaneutraler<br />

Gebäudebestand“ bis zum Jahr<br />

2050. Aber auch im Verkehrsbereich sollen<br />

die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert<br />

werden. Luftfahrt und Schifffahrt<br />

haben sich bereits selbst zur CO 2<br />

-Reduktion<br />

verpflichtet.<br />

All diese Sektoren sind heute im Wesentlichen<br />

auf Mineralölprodukte angewiesen.<br />

Denn: Benzin, Heizöl, Kerosin & Co. haben<br />

eine sehr hohe Energiedichte und lassen<br />

sich unkompliziert transportieren und verlustfrei<br />

über relativ lange Zeiträume lagern.<br />

Pläne, diese vollständig durch die direkte<br />

Nutzung von regenerativ erzeugtem Strom<br />

zu ersetzen, erscheinen aus heutiger Sicht<br />

unrealistisch.<br />

Zum einen stehen Sonne und Wind nicht<br />

kontinuierlich zur Verfügung und große<br />

Speicherkapazitäten sind derzeit nicht in<br />

Sicht. Zum anderen fehlen geeignete Anwendungstechniken<br />

für Flugzeuge und<br />

Schifffahrt sowie eine Infrastruktur, die<br />

Strom in allen Anwendungsbereichen genauso<br />

sicher und an jedem Ort in der benötigten<br />

Menge bereitstellt, wie es bislang<br />

bei konventionellen Energien der Fall ist.<br />

Anstatt sich ausschließlich auf Strom zu konzentrieren,<br />

empfehlen verschiedene Studien<br />

daher, auch bei der Treibhausgasbilanz der<br />

Brenn- und Kraftstoffe anzusetzen.<br />

Grundsätzlich beschäftigt sich die Forschung<br />

mit der Herstellung synthetischer flüssiger<br />

Kohlenwasserstoffe aus den unterschiedlichsten<br />

regenerativen Quellen (X-to-Liquid/<br />

XtL). Dazu gehören auch E-Fuels – das sind<br />

strombasierte synthetische Energieträger.<br />

Ziel ist die Entwicklung marktfähiger, innovativer<br />

Brenn- und Kraftstoffe. Diese könnten<br />

den bisherigen Mineralölprodukten beigemischt<br />

werden und diese langfristig sogar<br />

ganz ersetzen. E-Fuels und weitere neue<br />

Produkte sind vielfältig einsetzbar, etwa in<br />

Flugzeugen, Schiffen sowie im Bestand der<br />

rund 57 Millionen Kraftfahrzeuge und 5,6<br />

Millionen Ölheizungen in Deutschland.<br />

Vor allem aber haben E-Fuels ein hohes<br />

CO 2<br />

-Minderungspotenzial und verleihen so<br />

zum Beispiel Verbrennungsmotoren und<br />

Öl-Brennwertheizungen langfristig eine<br />

klimaneutrale Perspektive. Gleichzeitig<br />

fungieren sie als Energiespeicher – auch für<br />

regenerativ erzeugten Strom – und können<br />

zudem auf die hervorragende Infrastruktur<br />

der heutigen Mineralölprodukte von der<br />

Herstellung über Transport und Logistik bis<br />

hin zum Tank zurückgreifen. Damit würden<br />

die Vorteile der heutigen flüssigen Energieträger<br />

auch für die Zukunft nutzbar werden.<br />

Adrian Willig, Geschäftsführer <strong>des</strong> Instituts<br />

für Wärme und Oeltechnik (IWO) fasst zusammen:<br />

„Die Erkenntnis, dass zunehmend<br />

treibhausgasreduzierte flüssige Energieträger<br />

einen wichtigen Beitrag zur Energiewende<br />

leisten können, setzt sich langsam durch.<br />

Dennoch wird das Potenzial dieser neuen<br />

Brenn- und Kraftstoffe oft noch unterschätzt.<br />

Nicht nur im Mobilitätssektor, auch im Gebäudebereich<br />

könnten sie zukünftig wichtige<br />

Beiträge leisten. Zwar setzt die Entwicklung<br />

und Herstellung strombasierter Brenn- und<br />

Kraftstoffe einen sehr hohen Investitions- und<br />

Energieaufwand voraus, ihr großer Vorteil ist<br />

allerdings die Kompatibilität mit heute verfügbarer<br />

Technik. Das erhöht die Chance auf<br />

eine breitere Akzeptanz der Energiewende.“<br />

www.oel-weiter-denken.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

93


THEMEN | HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT<br />

Hanfgewebe sind äußerst strapazierfähig und daher für viele<br />

Einsatzbereiche geeignet.<br />

Kenner schwören auf die Wirkstoffe naturreiner Kosmetikprodukte<br />

aus Hanf.<br />

UNIVERSALGENIE HANF<br />

Fast jeder Bestandteil der Hanfpflanze findet Verwendung und die Einsatzbereiche sind unglaublich vielfältig.<br />

Um ein genaueres Bild davon zu bekommen, haben wir das „Universalgenie Hanf“ für die <strong>forum</strong>-<br />

Leser in seine fünf Bestandteile zerlegt und Beispiele für die Nutzung angeführt.<br />

Von Sarah Ullmann<br />

Die Faser: von der Unterwäsche bis zum Rucksack<br />

Im Vergleich zur Baumwolle hat die Hanffaser zahlreiche<br />

Eigenschaften, die besonders in der Textilindustrie zunehmend<br />

geschätzt werden. Sie hat besondere feuchtigkeitsregulierende<br />

Eigenschaften. Das ist nicht nur im Outdoorbereich<br />

von Vorteil, sondern auch für die Herstellung von<br />

Unterwäsche sehr interessant. Ein weiterer Grund, warum<br />

Hanf der ideale Stoff für Unterwäsche ist: Durch die flache<br />

Faserstruktur haben Bakterien und Pilze keine Möglichkeit<br />

sich zu vermehren.<br />

Die Hanffaser gehört zu den reißfestesten Pflanzenfasern.<br />

Das machen sich auch Outdoorhersteller zu Nutze und<br />

verwenden Hanf sogar für Rucksäcke. Ein Produkt, das<br />

genau aus diesem Grund bislang meist aus Kunstfaser gefertigt<br />

wird.<br />

Der Samen: Verwendung für Mensch und Tier<br />

Bio-Kosmetik aus Hanfsamen ist ideal für die sanfte Pflege<br />

von Haut und Haaren. Im Hanföl sind Aromastoffe, die<br />

Vitamine der B-Klasse und E, Phytosterole, Carotinoide,<br />

Spurenelemente, Lezithin und Pflanzenfarbstoffe enthalten.<br />

Zudem kann Hanföl von der Haut sehr gut aufgenommen<br />

werden. Hanfmehl ist noch nicht in aller Munde, sollte es<br />

aber! Und als nährstoffbeladenes Kraftpaket ist Hanf in den<br />

verschiedensten Formen inzwischen ein beliebtes Nahrungsergänzungsmittel:<br />

reich an Protein und Ballaststoffen.<br />

Außerdem wirkt es antioxidativ, entzündungshemmend und<br />

verdauungsfördernd.<br />

Auch Bauern, die Hanf als Futtermittel einsetzen, sind von<br />

<strong>des</strong>sen Vorteilen überzeugt: Sie ziehen einen finanziellen<br />

Nutzen aus der Fütterung mit Nutzhanf, die Kühe sind<br />

fruchtbarer und geben mehr Milch, die Schweinezucht ist<br />

ertragreicher und der Einsatz von Chemie im Anbau der<br />

Futtermittel ist sehr gering.<br />

Die Schäben: Hanf in der Bau- und der Papierindustrie<br />

Die Symbiose <strong>des</strong> ältesten Baumaterials der Menschheit<br />

(Kalk) mit der ältesten Kulturpflanze (Hanf) ergibt den Baustoff<br />

der Zukunft. Die zwei Materialien werden in einem Kaltluftverfahren<br />

zu einem Ziegel gepresst. Die Verbindung vom<br />

hohen Siliziumgehalt der Hanfschäben mit dem Magnesitgehalt<br />

<strong>des</strong> Kalkes löst eine Carbonisierung (Versteinerung) aus<br />

und hält dadurch für viele Generationen. Die hervorragenden<br />

thermischen Eigenschaften machen zusätzliche Dämmmaterialien<br />

wie Polystyrol überflüssig. Hanf-Kalk-Verbindungen<br />

haben bezüglich Luftreinigung und Feuchtigkeitsregulierung<br />

ähnlich positive Eigenschaften wie Lehm und sorgen für ein<br />

gesun<strong>des</strong> Wohnklima.<br />

Fotos v.l.n.r.: © Vaude | © Hemp International THL<br />

94 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT | THEMEN<br />

Neuartige Dämmstoffe aus Hanf und sogar Hanfziegel halten Einzug<br />

in der Baubranche.<br />

Der Einsatz von Hanf für medizinische Zwecke war lange Zeit<br />

umstritten. Das ist nun passé.<br />

Fotos v.l.n.r.: © Schönthaler | © Unsplash, James Marsh | unten: ©sashagrunge, stock.adobe.com<br />

Papier aus Hanfschäben wurde vor über 2.000 Jahren in China<br />

erfunden, aber erst im 13. Jahrhundert erreichte es Europa.<br />

500 Jahre lang war es der in der Papierherstellung meist verbreitete<br />

Rohstoff. Auch die 500 Jahre alte Gutenberg-Bibel<br />

wurde auf Hanfpapier geschrieben. Hanfpapier ist wesentlich<br />

stabiler und langlebiger als das heute verwendete Papier.<br />

Außerdem vergilbt es nicht und ist von Natur aus heller als<br />

Holzfaserpapier, muss also nicht gebleicht werden. Ein ein<br />

Hektar großes Cannabisfeld kann in der Papierindustrie 120<br />

Hektar Baumbestand ersetzen.<br />

Die Blüten: Cannabismedizin auf Rezept<br />

Hilfe, wo sonst nichts mehr hilft. In diesem Bereich wird<br />

viel geforscht, aus gutem Grund – denn Cannabis kommt<br />

bei Schmerzpatienten zum Einsatz, bei denen gängige<br />

Mittel nicht vertragen werden oder nicht mehr wirken. Insbesondere<br />

bei Krebspatienten, die unter neuropathischen<br />

Medizin<br />

• Inhalation<br />

• Tee<br />

• Tinktur<br />

• Präparate<br />

Genussmittel / Droge<br />

• Marihuana<br />

• Haschisch<br />

• THC-Öl<br />

Räucherwerk<br />

• Sakrales Mittel<br />

Textilien (Langfaser)<br />

• Stoffe<br />

• Kleidung<br />

Grobe Stoffe (Kurzfaser)<br />

Dämmmaterial (Kurzfaser)<br />

Faserverbundwerkstoff<br />

• Innenverkleidung<br />

• Behälter-Boxenbau<br />

Zellulose<br />

• Schreibpapier<br />

• Pappe<br />

• Verpackung<br />

Anbau<br />

• verbessert Luft<br />

• erneuert Boden (Pfahlwurzel)<br />

Schmerzen nach der Strahlentherapie leiden, und bei Menschen<br />

mit Phantomschmerzen ist der Einsatz von Cannabis<br />

sehr hilfreich.<br />

Der Anbau: verseuchte Böden entgiften und regenerieren<br />

Es wird immer offensichtlicher, dass die Pflanze Cannabis<br />

sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Sie kann aber nicht<br />

nur Personen, sondern auch Böden dabei behilflich sein, sich<br />

zu regenerieren. Speziell bei ausgelaugten Böden kann das<br />

Mulchen mit Hanfstroh den Humusaufbau fördern und damit<br />

den Boden regenerieren. Vor Kurzem haben italienische<br />

Landwirte in der Gegend von Tarent sogar damit begonnen,<br />

Industriehanf anzubauen, um die von einem nahegelegenen<br />

Stahlwerk verseuchten Böden wieder neu zu beleben. Diese<br />

Methode wurde auch in der Nähe von Tschernobyl erfolgreich<br />

eingesetzt, dort pflanzte man Hanfpflanzen an, um den<br />

Boden von radioaktiven Stoffen zu säubern.<br />

Heiz- und Brennmaterial<br />

• Holzbriketts<br />

Zellulose<br />

• Schreibpapier<br />

• Pappe<br />

• Verpackung<br />

Baustoffe<br />

• Kalkbauelemente<br />

• Lehmbausteine<br />

• Pressspanplatten<br />

Dämmmaterial<br />

• Schüttdämmung<br />

Einstreu<br />

• für Kleintiere<br />

<strong>Lebens</strong>mittel<br />

• Mehl<br />

• Gebäck<br />

• Brot<br />

• Brei<br />

Medizin<br />

• Salben<br />

Kosmetik<br />

• Hautöl<br />

• Seife<br />

• Cremes<br />

Speiseöl<br />

• sehr hoher Anteil an<br />

mehrfach ungesättigter<br />

Fettsäuren<br />

Technische Öle<br />

• Biodiesel<br />

• Heizöl<br />

• Pflanzenstoffe<br />

Pressrückstände<br />

• Proteinlieferant<br />

• Futtermittel<br />

Blüten<br />

Fasern<br />

Stängel<br />

Schäben<br />

Samen<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

95


Hanf ist bis dato eine Ausnahmeerscheinung im Textilbereich. Das<br />

könnte sich ändern.<br />

Baumwolle ist die Nutzfaser Nummer eins. Mit zahlreichen<br />

Hypotheken für die Umwelt.<br />

DER STOFF, AUS DEM<br />

DIE TRÄUME SIND<br />

Bei einem Blick in den Kleiderschrank dominiert die Baumwolle. Nicht schlecht, mag man sich denken, ist<br />

ja schließlich eine Naturfaser. Doch ihre Ökobilanz...? Hier kann die Hanffaser einiges bieten, wovon die<br />

konventionelle Baumwolle nur träumen kann.<br />

Von Sarah Ullmann<br />

Der Rohstoff Hanf überbietet mit seiner vorbildlichen Bilanz<br />

die der Baumwolle in fast allen Disziplinen: vom geringeren<br />

Verbrauch an Dünger, Pestizideinsatz und <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

beim Anbau, über die Vorteile für Umwelt und Gesundheit<br />

bis hin zu den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten und<br />

der hohen Widerstandsfähigkeit. Dazu ein paar Fakten:<br />

50 Prozent unserer Kleidungsstücke bestehen aus Baumwolle<br />

und damit steht dieser Rohstoff unangefochten auf Platz 1<br />

der Naturfaserrangliste. Zusammen mit Polyester ist sie der<br />

Inbegriff der „modernen Textilindustrie“. Gleichzeitig ist diese<br />

Branche der zweitgrößte Umweltverschmutzer weltweit und<br />

ein wichtiger Faktor der Globalisierung.<br />

Hanf und Baumwolle in der Landwirtschaft<br />

Im Baumwollanbau werden weltweit circa 25 Prozent der<br />

gesamten Insektizide und etwa 16 Prozent der Pestizide eingesetzt.<br />

Die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation belegen,<br />

dass je<strong>des</strong> Jahr 10.000 To<strong>des</strong>fälle auf die Baumwollindustrie<br />

zurückzuführen sind, weil die Menschen, die auf den Baumwollfeldern<br />

arbeiten, nicht ausreichend geschützt mit den Pestiziden<br />

umgehen. Bio-Baumwolle ist eine Alternative, allerdings nur<br />

in puncto Pestizide und Insektizide. Das Problem <strong>des</strong> enorm<br />

hohen <strong>Wasser</strong>verbrauchs ist auch hier nicht gelöst, denn es<br />

werden bis zu 17.000 Liter <strong>Wasser</strong> pro Kilogramm Baumwolle<br />

verbraucht. Zum Vergleich: In eine Badewanne passen circa 150<br />

Liter! Ein Beispiel für die verheerende Auswirkung <strong>des</strong> exzessiven<br />

Baumwollanbaus ist der bereits ausgetrocknete Aralsee<br />

in Zentralasien. Er war einst das viertgrößte Binnengewässer<br />

der Erde, mit einer Fläche von 67.000 Quadratkilometer fast<br />

so groß wie Bayern, und wurde für die Baumwollbewässerung<br />

innerhalb von wenigen Jahrzehnten leer gepumpt.<br />

Dagegen ist Nutzhanf sehr genügsam, denn es bedarf nur 300<br />

bis 500 Liter <strong>Wasser</strong>, um ein Kilogramm Hanffaser zu produzieren.<br />

Der Nutzhanf gedeiht durchaus in Regionen mit viel<br />

Niederschlag, übersteht aber auch trockenere Phasen, denn<br />

durch seine Eigenschaften als Tiefwurzler kommt er an tiefere<br />

<strong>Wasser</strong>reserven. Baumwolle jedoch wird fast ausschließlich<br />

in sehr warmen und trockenen Regionen angebaut, was dazu<br />

führt, dass die Pflanze in der industriellen Landwirtschaft zusätzlich<br />

stark bewässert werden muss. Ähnlich verhält es sich<br />

mit der Menge an Agrarfläche, die für die Produktion der Fasern<br />

benötigt wird. Auf einem Hektar Land kann zwei bis drei Mal<br />

mehr Hanffaser produziert werden als auf derselben Fläche<br />

Baumwolle.<br />

Fotos v.l.n.r.: © HempAge | © Tania Wachsmuth | © pixabay, Iñigo Ibisate _ Xtip<br />

96 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Die Hanffaser kann mit zahlreichen Vorteilen in Textilien auftrumpfen. Problematisch ist gegenwärtig noch die Verarbeitung in modernen<br />

Spinnmaschinen. Doch der Tragekomfort ist unvergleichlich.<br />

Fotos oben.: © HempAge | unten: © pixabay, Kimberly Vardeman<br />

Hanf in der Textil- und Bekleidungsproduktion<br />

In den USA wurden Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts widerstandsfähige<br />

Arbeitshosen gebraucht, woraufhin Levi &<br />

Strauss die erste Jeans aus Hanf produzierte. Die Belastbarkeit<br />

der Hanffaser ist bemerkenswert, die Scheuerbeständigkeit<br />

ist deutlich besser als die der Baumwolle – ein<br />

Grund, warum Hanf im Schiffsbau früher ein unabdingbarer<br />

Rohstoff für Segel und Seile war. Er war nicht nur<br />

besonders robust, sondern konnte auch in besonderem<br />

Maße Feuchtigkeit regulieren, bedingt durch die Hohlfaser.<br />

Somit nahmen die aus Hanf gewebten Segel zwar<br />

schneller Feuchtigkeit auf, gaben sie aber auch um ein<br />

Vielfaches schneller wieder ab. Die mit Hanfsegeln bestückten<br />

Schiffe lagen dadurch weit vorne, wenn es um<br />

Geschwindigkeit ging. Diese Eigenschaft ist auch für die<br />

„Fibres of Freedom“<br />

Durch unser Konsumverhalten können wir technische Entwicklungen<br />

vorantreiben, regionale Produktionen fördern und für einen<br />

diversifizierten Markt sorgen, der nicht nur von Großkonzernen<br />

regiert wird. Baumwolle als Nutzpflanze zu verteufeln, ist hier<br />

nicht das Ziel, sondern Bewusstsein zu schaffen für die Auswirkung<br />

unserer Entscheidung, in welchen Stoff wir uns hüllen. Für viele<br />

Länder ist die Baumwolle ein entscheidender Wirtschaftsfaktor.<br />

Vandana Shiva, Wissenschaftlerin und Globalisierungskritikerin,<br />

unterstreicht nicht umsonst die Bedeutung der Baumwolle und sie<br />

bricht eine Lanze für Bio-Baumwollanbau, denn damit kann – nicht<br />

nur in Indien – viel bewirkt werden.<br />

Doch der Hanf bietet noch ganz andere Möglichkeiten: Er kann<br />

verlassene Gegenden und zerstörte Böden regenerieren. In zahlreichen<br />

Regionen Europas machen sich Verbände, Vereine und Initiativen<br />

stark für den Nutzhanf, damit Landwirte und Produzenten<br />

von Hanfprodukten regional existenzgesichert sind. Einer davon ist<br />

„Allerhand am Alpenrand“ – ein Verein, der seit ein paar Jahren<br />

durch die Unterstützung von lokalen Initiativen für eine nachhaltige<br />

<strong>Lebens</strong>- und Wirtschaftsform einsteht. Deshalb entscheiden<br />

Sie sich für Fibres of Freedom!<br />

Textil- und Bekleidungsindustrie interessant, besonders<br />

im Bereich der Unterwäsche sowie der Funktions- und<br />

Sportbekleidung. Durch die Feuchtigkeitsregulierung kühlt<br />

die Hanffaser im Sommer und wärmt im Winter. Sie kann<br />

bis zu 30 Prozent der vom Körper abgegebenen Feuchtigkeit<br />

aufnehmen, die während <strong>des</strong> Tragens entsteht, und<br />

fühlt sich dennoch angenehm trocken auf der Haut an.<br />

Das, wie auch die glatte Oberflächenstruktur, trägt dazu<br />

bei, dass Bakterien und Pilze sich gar nicht erst oder nur<br />

sehr schlecht bilden und vermehren können, und wirkt<br />

somit auch der Geruchsbildung entgegen. Doch es geht<br />

noch mehr: Die spezifische mikroelektrische Spannung der<br />

Faser, die genau dem Spannungsklima der menschlichen<br />

Haut entspricht, verhindert die statische Aufladung von<br />

Bekleidungsstücken aus Hanf.<br />

Warum also hat kaum jemand Hanfkleidung in seinem<br />

Kleiderschrank?<br />

Obwohl Hanf durch seine vielen positiven Eigenschaften<br />

glänzt und er sich zunehmenden Interesses erfreut, besetzt<br />

Hanf gegenwärtig nur eine kleine Nische in der Bekleidungsindustrie.<br />

Und das hat Gründe:<br />

Mit der Aufhebung <strong>des</strong> Anbauverbots von Faserhanf Mitte<br />

der 1990er Jahre setzte sofort der Anbau von Nutzhanf<br />

in Deutschland ein. Ein ausufernder Subventionsanbau,<br />

vor allem in Spanien, veranlasste die Brüsseler Behörden<br />

dazu, die üppigen Beihilfen zu stoppen. Diese Entwicklung<br />

traf die sich im Aufbau befindliche deutsche Hanfverarbeitungsbranche<br />

empfindlich. Seitdem hat sich nicht mehr<br />

viel getan, was bedeutet, dass immer noch keine effiziente<br />

Weiterverarbeitungstechnik in Deutschland existiert, um<br />

die Hanffaser zu cottonisieren. Dabei wird die Hanffaser<br />

mit Hilfe einer aufwändigen chemisch-physikalischen Verfahrenstechnik<br />

verfeinert. Dies bewirkt, dass die Faser den<br />

technischen Eigenschaften der Baumwolle so gleicht, dass<br />

sie auf den hochproduktiven Baumwollspinnmaschinen<br />

weiterverarbeitet werden kann. Bei dem Vergleich der<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

97


THEMEN | HANF – ROHSTOFF MIT ZUKUNFT<br />

beiden Fasern darf man nicht außer Acht lassen, dass die<br />

Hanffaser bis zu dem Punkt der Weiterverarbeitung zwar<br />

mit wenig Aufwand und wenig schädlichen Auswirkungen<br />

kultiviert werden kann, aber der Einsatz von Chemikalien<br />

bei der Cottonisierung ist nicht gering.<br />

Fazit: Es fehlt mehr als ein halbes Jahrhundert an Entwicklung,<br />

Forschung und Zucht, um eine Hanfkurzfaser so<br />

kostengünstig und regional zu erzeugen, dass sie preislich<br />

mit der Baumwolle mithalten kann.<br />

Ein immer wiederkehrender Hype<br />

Die Aufmerksamkeit für Nutzhanf bewegt sich in Wellen.<br />

Wir befinden uns gerade inmitten einer Aufwärtsbewegung<br />

der Welle und es gibt zunehmend Start-ups, die sich<br />

begeistert dem Thema widmen. Viele dieser aufstrebenden<br />

kleinen Textilfirmen wenden sich an Institutionen<br />

der Textilforschung, denn sie hadern mit der variierenden<br />

Qualität der Hanffaser, einer geringen Menge an regionalem<br />

Rohstoff und einer unzuverlässigen Infrastruktur.<br />

Ein wirklicher Durchbruch ist nur möglich, wenn der<br />

Impuls aus der Industrie beziehungsweise aus der Nachfrage<br />

kommt und die Entwicklungen mit entsprechenden<br />

finanziellen Mitteln begleitet werden. Es bleibt also abzuwarten,<br />

ob die Welle dieses Mal groß genug ist, um<br />

den Hanf in der Textilbranche zu etablieren. Zum Glück<br />

gibt es ein paar hartgesottene Unternehmen, die den<br />

Glauben an diese Nutzpflanze nicht aufgeben und sich<br />

konstant am Markt halten. Sie begegnen dem Preisdruck<br />

in der Modebranche mit einem bewussten Verzicht auf<br />

kostspielige Marketingmaßnahmen und entziehen sich<br />

dem saisonalen Druck, indem sie zeitlose Schnitte mit<br />

zeitlosen Stoff<strong>des</strong>igns kombinieren.<br />

www.reutlingen-university.de<br />

www.umweltbun<strong>des</strong>amt.de<br />

www.hanfverband.de<br />

www.dtnw.de<br />

Zum Weiterlesen<br />

Baum A., Eitner K. & Tappe S. 2016. Textil-Fibel 5: Gut anziehen<br />

– gesund, umweltfreundlich und fair. Hamburg:<br />

GREENPEACE Media GmbH<br />

Herer J. & Bröckers M. 2017. Die Wiederentdeckung der<br />

Nutzpflanze Hanf. Solothurn: Nachtschatten Verlag<br />

Schenek A. 2000. Naturfaser-Lexikon. Frankfurt am Main:<br />

Deutscher Fachverlag<br />

SARAH ULLMANN<br />

studierte European Studies sowie Globalisation and Development.<br />

Danach zog es sie in die Textilbranche. Zuerst arbeitete Sie für einen<br />

britischen Corporate Wear Hersteller, anschließend in der Geschäftsführung<br />

eines Anbieters für Berufsbekleidung. Als <strong>forum</strong>-Redakteurin<br />

setzt sie sich für eine nachhaltige Textil- und Modewelt ein.<br />

InoCottonGROW – der deutsche<br />

<strong>Wasser</strong>fußabdruck in Pakistan<br />

Pakistan ist weltweit der viertgrößte Baumwollproduzent<br />

und ein wichtiger Textilexporteur<br />

für den deutschen Markt. Das Forschungsprojekt<br />

InoCottonGROW verfolgt<br />

das Ziel, in Pakistan zur nachhaltigen <strong>Wasser</strong>nutzung entlang der<br />

Baumwoll-Textillieferkette „vom Baumwollfeld zum Bügel“ beizutragen.<br />

Unter der Leitung <strong>des</strong> Forschungsinstituts für <strong>Wasser</strong>- und<br />

Abfallwirtschaft?an der RWTH Aachen (FiW) e. V. arbeiten vierzehn<br />

deutsche Forschungs- und Industriepartner mit dreizehn pakistanischen<br />

Partnern zusammen. Sie wollen Wege zur Steigerung der<br />

Effizienz und Produktivität der <strong>Wasser</strong>nutzung entlang der gesamten<br />

Baumwoll-Textil-Wertschöpfungskette in Pakistan aufzuzeigen,<br />

die vor Ort technisch, wirtschaftlich und institutionell umsetzbar<br />

sind. Das Konzept <strong>des</strong> <strong>Wasser</strong>fußabdrucks soll sich zu einem Steuerungsinstrument<br />

weiterentwickeln, um pakistanische Entscheidungsträger<br />

bei der Bewirtschaftung knapper <strong>Wasser</strong>ressourcen zu<br />

unter stützen und deutschen Konsumenten Kriterien für bewusste<br />

Kaufentscheidungen an die Hand zu geben.<br />

www.inocottongrow.net<br />

Die Zukun<br />

selbst in die Hand nehmen<br />

Albert Einstein sagte „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich<br />

die Zukun, denn in ihr gedenke ich zu leben.“<br />

Getreu diesem Moo hat Robert Jungk, dem dieses Buch gewidmet<br />

ist, mehrere Generaonen und unzählige Pioniere entscheidend<br />

inspiriert. Er und seine Wegbegleiter haben in vielen Bereichen dazu<br />

beigetragen, dass wir heute so leben können, wie sie es damals<br />

iniiert haben. Vom Ausseg aus der Atomenergie über Biolandwirtscha,<br />

Solarenergie bis zu Parzipaon, nachhalger Entwicklung<br />

und demokrascher Gestaltung. Geist und Ideen Jungks sind<br />

heute aktueller als je zuvor.<br />

Rolf Kreibich, Fritz Lietsch (Hrsg.)<br />

Zukunft gewinnen!<br />

Die sanfte (R)evolution für das 21. Jahrhundert – inspiriert vom Visionär Robert Jungk<br />

Mit Beiträgen u.a. von Franz Alt; Maximilian Gege; Mathias Greffrath; Bärbel Höhn;<br />

Zukun gewinnen!<br />

Die sane (R)evoluon für das<br />

21. Jahrhundert – inspiriert vom<br />

Visionär Robert Jungk<br />

1. Auflage, Altop-Verlag 2015<br />

260 Seiten, zahlreiche Abbildungen<br />

EUR 24,80, ISBN 978-3-925646-65-2<br />

Bestellen Sie im Buchhandel<br />

oder direkt unter<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net/Zukun_gewinnen<br />

oder telefonisch unter 089 / 74 66 11 - 0<br />

Peter Stephan Jungk; Rolf Kreibich; Fritz Lietsch; Horst W. Opaschowski; Franz<br />

Josef Radermacher; Ortwin Renn; Angelica Schwall-Düren; Ernst-Ulrich von<br />

98 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

Weizsäcker; Sarah Wiener; Ulrike von Wiesenau<br />

Nie zuvor haen wir so viele Möglichkeiten, „Zuküne“ zu gestalten.


www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

99


THEMEN | ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT<br />

MIT LEIDENSCHAFT<br />

Akzente für die Zukunft setzen<br />

Vor einem Vierteljahrhundert waren Umweltschutz und <strong>Nachhaltig</strong>keit für viele eine romantische Spinnerei.<br />

Doch es gab Pioniere, die sich schon damals konsequent dafür einsetzten. Sabine Braun ist seit über 30<br />

Jahren Überzeugungstäterin und feiert nun mit ihrem Beratungsunternehmen akzente 25-jähriges Jubiläum.<br />

Ein Interview von Fritz Lietsch<br />

Sabine Braun hat Kommunikationswissenschaften<br />

studiert und dann als<br />

freie Journalistin und<br />

Autorin zu Umwelt- und<br />

Wirtschaftsthemen gearbeitet.<br />

1993 gründete sie<br />

mit Partnern die Beratungsgesellschaft<br />

akzente<br />

mit Schwerpunkt Umweltschutz<br />

und <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

in Strategie, Reporting<br />

und Kommuni kation.<br />

1995 wurde sie Vorstand<br />

von future e.V. und setzte<br />

sich ab 1996 als Vorsitzende<br />

<strong>des</strong> Beirats zur<br />

Lokalen Agenda 21 in<br />

München für eine nachhaltige<br />

Stadtgesellschaft<br />

ein. Sie ist Dozentin an<br />

der Hochschule Fresenius<br />

München und gibt Lehrgänge<br />

an der Universität<br />

Bayreuth und an der IHK<br />

Akademie Westerham.<br />

25 Jahre akzente. Wie kamen Sie vor 25<br />

Jahren darauf, sich auf das Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

zu fokussieren?<br />

Der erste UN-Gipfel in Rio 1992, bei dem das<br />

Leitbild <strong>Nachhaltig</strong>keit verkündet wurde, hat<br />

mich begeistert. Das war eine Vision, die ich<br />

großartig fand. Zusammen mit den Ansätzen<br />

<strong>des</strong> Umweltcontrollings, die in Deutschland<br />

seit Ende der 1980er-Jahre erprobt wurden,<br />

wies das einen Weg, den ich mitgestalten<br />

wollte.<br />

Hat das auch mit Ihrer Herkunft aus dem<br />

Schwarzwald zu tun?<br />

Dass ich auf einem Bauernhof im Nordschwarzwald<br />

groß geworden bin, hat damit<br />

ganz sicher zu tun: Ich hatte eine Ahnung<br />

vom ökologischen Landbau und nach zwei<br />

evangelischen Kirchentagen wusste ich auch<br />

viel über das Nord-Süd-Gefälle und die globale<br />

soziale Gerechtigkeit. Von meinem Vater<br />

hatte ich den Drang, selbst zu gestalten. Und<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit war dann das, wofür ich mich<br />

mit aller Kraft und allem Können frisch und<br />

überzeugt einsetzen konnte und wollte. Das<br />

war ein großes Glück.<br />

Wie waren Ihre ersten Schritte im Thema<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit?<br />

In Deutschland war Umweltschutz das ganz<br />

große Thema. Tschernobyl, Waldsterben, das<br />

Sandoz-Unglück: Das hat uns geprägt. Deshalb<br />

habe ich auch mit Begeisterung an der zweiten<br />

Ausgabe <strong>des</strong> Alternativen Branchenbuches<br />

mitgearbeitet. Das neue Instrument der<br />

Ökobilanzierung brachte dann die ökologische<br />

und die ökonomische Sichtweise zusammen.<br />

Und genau da wollte ich mich positionieren.<br />

Unser erster großer Auftrag war der Umweltbericht<br />

der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte<br />

GmbH: Das Unternehmen hatte gerade<br />

eine Lösung für den Verzicht auf FCKW und<br />

FKW entwickelt – als Antwort auf das Montreal-Protokoll<br />

1988. Wir haben die BSH dann<br />

über zwanzig Jahre lang begleitet, bis sie Teil<br />

<strong>des</strong> Bosch-Konzerns wurde.<br />

Themen wie Diversity, Menschenrechte<br />

und Antikorruption waren<br />

damals noch weit weg.<br />

Welche Firmen waren damals Pioniere?<br />

Die ersten Ökobilanzen wurden von mittelständischen<br />

Unternehmen wie Wilkhahn,<br />

Kunert, Neumarkter Lammsbräu oder Hofpfisterei<br />

erstellt – echte Pioniere, die davon<br />

überzeugt waren, dass Umwelt ein wichtiges<br />

Kapital ist, das es zu erhalten gilt, und die<br />

<strong>des</strong>halb den „wirtschaftlichen“ Blick darauf<br />

ändern wollten. Themen wie Diversity,<br />

Menschenrechte und Antikorruption waren<br />

damals noch weit weg.<br />

Skandale stärkten den Aspekt der<br />

Unternehmensverantwortung und<br />

machten das Thema salonfähig.<br />

Was hat sich seitdem verändert?<br />

1995 ging einerseits die ganz große Globalisierungswelle<br />

los, andererseits kam es in<br />

Deutschland zu einer Rezession, die viele<br />

ökologische Blütenträume begraben hat.<br />

Wir haben damals erlebt, wie rasch sich<br />

„Agenden“ ändern können. Als dann 2001<br />

das EU-Grünbuch zu Corporate Social Responsibility<br />

kam, stieß es auf eine langsam<br />

wieder wachsende Wirtschaft. Skandale wie<br />

die von Enron oder Siemens stärkten den Aspekt<br />

der Unternehmensverantwortung und<br />

machten das Thema salonfähig. Inzwischen<br />

Foto: © akzente<br />

100 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

Papier GmbH.


ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT | THEMEN<br />

ist „Verantwortung“ ein Standard für die großen Unternehmen.<br />

Und was mich persönlich sehr freut: Seit 2008<br />

hat auch der Begriff <strong>Nachhaltig</strong>keit wieder mehr Auftrieb<br />

bekommen. Vielen gelten <strong>Nachhaltig</strong>keit und CSR, sprich<br />

unternehmerische Verantwortung als Synonyme. Das ist<br />

okay. Aber <strong>Nachhaltig</strong>keit ist mehr. Nicht umsonst tragen die<br />

globalen Ziele den Titel „Sustainable Development Goals“.<br />

Warum haben Sie sich auf das Thema Reporting spezialisiert?<br />

Wir haben uns 1993 als Beratungsunternehmen auf das<br />

Thema Umwelt und <strong>Nachhaltig</strong>keit spezialisiert, nicht auf Reporting.<br />

Aber Berichterstattung, sprich Transparenz, war das,<br />

was zunächst im Vordergrund stand. Unternehmen wollten<br />

eine Bestandsaufnahme und Bewertung ihres Engagements.<br />

Von Strategie durfte man dabei nicht sprechen, so weit war<br />

man noch nicht. Wir sind da einfach sehr journalistisch rangegangen<br />

und haben gefragt: Was und wer, wie oft und warum?<br />

Und wir haben darauf gedrängt, dass ein guter Bericht<br />

Schwerpunkte setzen und Ziele aufzeigen sollte.<br />

Da war der nächste Schritt nur logisch: Strategische Handlungsfelder<br />

zu definieren und eine klare <strong>Nachhaltig</strong>keitspositionierung<br />

für unsere Kunden zu entwickeln. Und seit<br />

geraumer Zeit werden wir dafür nun ganz offiziell und<br />

verstärkt angefragt. Auch die Kommunikation über <strong>Nachhaltig</strong>keitsthemen<br />

ist inzwischen ein wichtiger Teil unserer<br />

Aktivitäten. Das freut mich, denn dafür habe ich mich als<br />

Kommunikationswissenschaftlerin und Ex-Journalistin<br />

immer eingesetzt. Nach dem Motto: Kommunikation ist<br />

nicht alles, aber ohne Kommunikation ist alles nichts. Doch<br />

bis vor wenigen Jahren hieß es noch oft „Wen interessiert<br />

das denn?“<br />

Gab es früher zu wenig Regelwerk, gibt es heute eine Menge<br />

von Reporting Standards. Welche halten Sie für welche<br />

Zielgruppe für besonders geeignet?<br />

Ich kann mich nur für die Standards der Global Reporting<br />

Initiative (GRI) aussprechen. Wir sind seit 2001 Organisational<br />

Stakeholder bei der GRI und haben bei mehreren ihrer Veröffentlichungen<br />

darauf geachtet, dass die Übersetzung ins<br />

Deutsche verständlich ist. Persönlich fand und finde ich viele<br />

Formalismen lästig und oft sinnbefreit. Doch wer einmal in<br />

Amsterdam bei der GRI-Konferenz war und mit Menschen<br />

aus Argentinien, Südkorea oder Kuwait über einen Indikator<br />

diskutiert hat, weiß, welche Kraft die weltweit anerkannten<br />

GRI- Standards entwickeln können. Und gerade jetzt brauchen<br />

wir mehr als alles andere globale Standards, die eine<br />

weltweite Verständigung zu den globalen <strong>Nachhaltig</strong>keitszielen<br />

und die dafür erforderliche Transparenz stärken.<br />

Deshalb bin ich auch kein großer Freund von Rahmenwerken,<br />

die regional oder national fokussiert sind. Das wirkt<br />

350<br />

Berichte<br />

500<br />

Projekte<br />

1.000<br />

schöne Momente<br />

Wir bedanken uns für tolle Zeiten mit<br />

treuen Kunden und spannenden Aufgaben –<br />

und freuen uns auf 1.000 mehr.<br />

www.akzente.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

101


Konsequentes Engagement und langjähriges Know-how zahlen sich aus: Sabine Braun ist gefragt für Seminare, Vorträge und<br />

Podiums diskussionen.<br />

immer wie ein deutscher Sonderweg. Für kleine Unternehmen,<br />

die ausschließlich in Deutschland agieren, ist der<br />

Deutsche <strong>Nachhaltig</strong>keitskodex sicher angemessen. Für<br />

Mittelständler, die viel ins Ausland liefern oder internationale<br />

Großkunden bedienen, passt er schon nicht mehr. Ich<br />

meine, dass gerade wir als Exportweltmeister internationale<br />

Standards in der Berichterstattung nutzen und fördern<br />

sollten. Man kann übrigens sehr wohl dem Ansatz der Gemeinwohlökonomie<br />

folgen, aber dennoch einen Bericht<br />

nach GRI erstellen.<br />

Man kann sehr wohl dem Ansatz der<br />

Gemeinwohlökonomie folgen und<br />

einen Bericht nach GRI erstellen.<br />

Beim Blick zurück: Sehen Sie die Entwicklung bis jetzt insgesamt<br />

positiv oder um mit Hans Joachim Schellnhuber zu<br />

sprechen: Besteht noch Hoffnung?<br />

Natürlich besteht Hoffnung. Denn diese stirbt zuletzt, wie<br />

man so schön sagt. Viele meinen ja, es ginge alles zu langsam.<br />

Aber wenn wir die Perspektive nur etwas erweitern,<br />

wissen wir, dass sich eine unglaubliche Entwicklung vollzogen<br />

hat: Vor etwas über 70 Jahren stand Deutschland am<br />

Abgrund. Das nur zwölfjährige Nazi-Regime hatte Europa<br />

in ein Leichenhaus verwandelt. Die Europäische Union ist<br />

eine Konsequenz dieser Geschehnisse und eine großartige<br />

kulturelle Leistung. Mir persönlich ist mit Blick auf die Zukunft<br />

am meisten bang vor dem Verlust <strong>des</strong>sen, was wir<br />

die letzten 70 Jahre neu entwickelt haben: Menschlichkeit<br />

und Demokratie.<br />

Beim Blick nach vorne: Haben wir noch eine Chance für die<br />

rechtzeitige Transformation?<br />

Ich weiß es nicht. Aber aufgeben darf man nie. Man muss ja<br />

das Unmögliche anstreben, um wenigstens das Mögliche zu<br />

erreichen. Was wir definitiv schaffen müssen, ist, die Kraft<br />

und die Freude an Neuem zu erwecken und zu entdecken.<br />

Wir brauchen wieder mehr Gründer – Gründer, die die Transformation<br />

zu ihrem Geschäft machen. Aber wir brauchen<br />

auch viele und kluge Stimmen, die Verantwortung und <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

über den technischen Fortschritt stellen, damit<br />

dieser nicht zum Selbstzweck wird. Denn jeder Fortschritt<br />

ist nur so gut, wie er den Menschen dient.<br />

Wir brauchen wieder mehr Gründer –<br />

Gründer, die die Transformation<br />

zu ihrem Geschäft machen.<br />

Was motiviert Sie jeden Tag von neuem, in Sachen <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

unterwegs zu sein?<br />

Ich und mein Team sind Berater, die Transparenz, Werte<br />

und <strong>Nachhaltig</strong>keit in Unternehmen stützen und weiterentwickeln.<br />

Das kann manchmal sehr frustrierend und<br />

manchmal auch recht erfolgreich sein. Was jenseits der<br />

Beratungserfolge zählt und für mich persönlich über die<br />

Jahre zur Hauptmotivationsquelle geworden ist: Wir lernen<br />

immer wieder wunderbare Menschen kennen, die über den<br />

Tellerrand hinausdenken und sich für eine bessere Welt und<br />

eine gute Zukunft einsetzen.<br />

Was wünschen Sie sich für die Zukunft – gesellschaftlich<br />

aber auch privat?<br />

Ich wünsche mir ein geeintes Europa, in dem Menschen den<br />

Wert von Freiheit, Gemeinschaft und Respekt vor anderen<br />

erfahren, leben und sich überzeugt dafür einsetzen. Als Dozentin<br />

an der Hochschule Fresenius freue ich mich über den<br />

Austausch mit jungen Menschen, die genauso denken und<br />

handeln. Und als jemand, der wieder mehr reisen möchte,<br />

hoffe ich noch auf viele Begegnungen mit Kunst, Kultur und<br />

Menschen, die dies ebenso verkörpern.<br />

Frau Braun, wir danken für das Gespräch.<br />

Fotos v.l.n.r.: © Peter Himsel | © akzente<br />

1<strong>02</strong> <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


office for motion<br />

ZUKUNFT ??? | THEMEN<br />

ATmotion<br />

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1<strong>03</strong>


VON DER HALTUNG<br />

ZUR BEWEGUNG<br />

Paradigmenwechsel der Arbeitsplatzgestaltung<br />

Die Digitalisierung erfordert ein Umdenken fast aller Parameter, unter denen Büroarbeit bislang geplant,<br />

gestaltet und organisiert wurde – und dazu gehört vor allem auch die Arbeitsplatzgestaltung: Weil die<br />

Bewegungen bei der digitalen Büroarbeit auf zweidimensionale Desktops und Touchdisplays reduziert<br />

sind, führt die bisher praktizierte Entlastungsergonomie schnell zur komatösen Unterforderung.<br />

Von Burkhard Remmers<br />

Erkrankungen <strong>des</strong> Muskel-Skelett-Systems zeichnen für<br />

knapp 22 Prozent aller Ausfalltage verantwortlich. Drei<br />

von vier Versicherten hatten laut DAK-Gesundheitsreport<br />

<strong>2018</strong> innerhalb eines Jahres die Volkskrankheit Rückenschmerzen,<br />

und das, obwohl seit vielen Jahren im Rahmen<br />

<strong>des</strong> „Betrieblichen Gesundheitsmanagements“ vermehrt<br />

in Maßnahmen zur Rückengesundheit investiert wird. Aber<br />

nicht nur „Rücken“, sondern viele weitere Störungen der<br />

Gesundheit werden inzwischen mit besonders bewegungsarmen<br />

<strong>Lebens</strong>- und Arbeitsstilen in Verbindung gebracht.<br />

Ob Herz-Kreislauf-System, positive Gefühle, Lungenfunktion,<br />

Stressresilienz, Immunsystem oder Verdauungssystem – der<br />

komplette Organismus inklusive der Psyche ist auf ausreichende<br />

Bewegung angewiesen. Das aktuelle Fact-Sheet<br />

der WHO geht davon aus, dass sich weltweit ein Viertel<br />

der Erwachsenen und sogar 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen<br />

deutlich zu wenig bewegen – mit verheerenden<br />

Langzeitfolgen.<br />

Maximale Entlastung als Teil <strong>des</strong> Problems<br />

Die bisherigen Strategien zur Bewegungsförderung im Rahmen<br />

<strong>des</strong> Betrieblichen Gesundheitsmanagements müssen als<br />

unzulänglich betrachtet werden: Ganz offensichtlich reicht<br />

es nicht, den Bewegungsmangel während der Arbeit durch<br />

Zusatzangebote zu kompensieren. Statt<strong>des</strong>sen gilt es, wieder<br />

mehr Bewegungen in die Arbeitsabläufe selbst zu integrieren.<br />

Das allerdings erfordert ein komplettes Umdenken: Im<br />

Verständnis der Industrialisierung mit maximierter Arbeitsteiligkeit<br />

und Lean-Management wurden Bewegungen als<br />

unproduktiv systematisch aus den Prozessen eliminiert. Und<br />

auch das Büro ist seit Jahrzehnten auf Cockpit-Organisation,<br />

Greifraumorientierung und Minimierung von Wegezeiten<br />

ausgerichtet. Analog dominiert in der Sitzergonomie die<br />

Haltungsoptimierung. Das Credo: mit zahlreichen Einstellmöglichkeiten<br />

den Körper wie mit einem maßgeschneiderten<br />

Korsett maximal zu entlasten und vor dem Bildschirm<br />

zu fixieren. Damit wird diese Bürostuhlergonomie zum Teil<br />

<strong>des</strong> Problems. Sie schwächt die Muskulatur, sie behindert<br />

Haltungswechsel und sie reduziert die mentale Performance,<br />

weil auch dem Gehirn wesentliche Impulse fehlen, die nur<br />

durch Bewegung gesetzt werden.<br />

Die Bewegungsförderung beginnt beim Sitzen selbst<br />

Sattsam bekannt (und gescheitert) sind die bisherigen<br />

Versuche, den Körper auf Wackelhockern oder ähnlichen<br />

Sitzgelegenheiten wie dem Petzi-Ball zu trainieren. Für ein<br />

Fotos: © Wilkhahn<br />

104 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Die neuen, wissenschaftlich evaluierten und validierten Sitzkonzepte<br />

stellen nicht mehr die Haltung, sondern die dreidimensionale<br />

Beweglichkeit in den Mittelpunkt der Arbeitsplatzgestaltung. Den<br />

Arbeitsplatz als Bewegungssystem begreifen: höhenverstellbarer<br />

Tisch für Steh-Sitz-Dynamik in Verbindung mit einem 3D-Bürostuhl,<br />

der durch eine erhöhte Sitzposition und Vorneigung der Sitzfläche in<br />

einem Bewegungsverlauf zum häufigen Aufstehen einlädt.<br />

paar Minuten durchaus belebend und hilfreich überfordern<br />

diese Konzepte auf Dauer bei der Bildschirmarbeit, weil<br />

die Haltemuskulatur einseitig belastet und die Versorgung<br />

eingeschränkt wird. Auch andere Sitzmöbelkonzepte mit<br />

wackelnden, beispielsweise federnd gelagerten Sitzflächen<br />

oder gar Vibratoren zur Stimulation der Durchblutung<br />

konnten sich nicht in der Breite durchsetzen, weil sie von<br />

Vielen als unsicher oder zu ungewohnt empfunden werden.<br />

Heute stellen Gesundheitswissenschaftler <strong>des</strong>halb die natürliche<br />

Aktivierung und Stimulation in den Mittelpunkt einer<br />

neuen Arbeitsplatzgestaltung. Jede Haltung, die der Körper<br />

schmerzfrei einnehmen, und jede Bewegung, die er ausführen<br />

kann, werden als richtig und wichtig erachtet: vom<br />

aufrechten Sitzen über das Quer-Sitzen bis zum Lümmeln. Je<br />

häufiger die Haltungswechsel und je vielfältiger und natürlicher<br />

die Bewegungen, <strong>des</strong>to besser werden auch im Sitzen<br />

Muskeln, Gelenke und geistige Leistungsfähigkeit aktiviert.<br />

Da der menschliche Organismus für das Laufen optimiert<br />

ist, sind es vor allem die dreidimensionalen Bewegungen<br />

der Hüfte, die den größten Effekt für einen gesunden Stoffwechsel<br />

haben.<br />

Das neue Sitzen: körperkonform, leistungssteigernd,<br />

präventiv – und beliebt<br />

Das „Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung“<br />

der Deutschen Sporthochschule Köln hat <strong>des</strong>halb maßgebliche<br />

Impulse zur Entwicklung einer neuen, dreidimensional-dynamischen<br />

Stuhlbeweglichkeit (Free-to-move-Kinematik)<br />

gesetzt, die beim Sitzen ähnliche Beweglichkeiten<br />

und Muskelgruppen stimuliert wie beim Laufen. Um die<br />

Wirksamkeit zu überprüfen, wurden anschließend die Auswirkungen<br />

auf Gesundheit und Wohlbefinden evaluiert.<br />

Eine Laborstudie untersuchte die Körperkonformität <strong>des</strong><br />

neuen Sitzkonzepts, das die natürliche Beweglichkeit der<br />

Hüfte mobilisiert, die tiefe Rückenmuskulatur stimuliert<br />

und mit flüssigen Bewegungen große Muskelschlingen<br />

von den Fußgelenken bis zum Schultergürtel aktiviert.<br />

Eine zweite, vergleichende Feldstudie belegte, dass dieses<br />

Mehr an Bewegung zu einem signifikant verbesserten<br />

Wohlbefinden und zu einer deutlich verbesserten Konzentrationsleistung<br />

führt. In der jüngsten Vergleichsstudie,<br />

im März <strong>2018</strong> auf der Applied Ergonomics Conference in<br />

Atlanta vorgestellt, wurden anhand von standardisierten<br />

Büroarbeitsprozessen erstmalig die konkreten Stoffwechselaktivitäten<br />

spezifischer Rückenmuskeln untersucht.<br />

Entscheidend für den Stoffwechsel ist der Wechsel zwischen<br />

Anspannung und Entspannung. Das 3D-dynamische<br />

Sitzen führt demnach zu einer besseren Versorgung der<br />

Muskulatur im Lumbalbereich, der besonders häufig von<br />

Rückenschmerzen betroffen ist. Die Bewegungsmöglichkeiten<br />

sind im Vergleich zu einem konventionell beweglichen<br />

Bürostuhl ungleich vielfältiger und werden in der<br />

Büroarbeit auch tatsächlich genutzt. Last but not least<br />

schätzten die Probanden den 3D-dynamischen Bürostuhl<br />

in allen Kriterien für Beweglichkeit und Wohlbefinden<br />

auch subjektiv besser ein. Die Wissenschaftler halten das<br />

Sitzkonzept daher für eine wirksame Prävention gegen<br />

die typischen Rückenschmerzen, die ihre Ursache in der<br />

Lumbalmuskulatur haben.<br />

Der Stoffwechsel als neue Kenngröße der Ergonomie<br />

Reflektierten die bisherigen Ergonomie- und Arbeitsplatzkonzepte<br />

mit den Schwerpunkten Haltung und Biomechanik<br />

den Zeitgeist und wissenschaftlichen Kenntnisstand<br />

<strong>des</strong> späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, so wird jetzt<br />

immer deutlicher, dass Gesundheit und Wohlbefinden vor<br />

allem eine Frage <strong>des</strong> Stoffwechsels sind. Dazu gehört natürlich<br />

die Ernährung, aber vor allem auch die Aktivierung der<br />

Muskulatur als größtem Stoffwechselmotor <strong>des</strong> Körpers. Und<br />

diese Aktivierung zahlt sich aus. Der Produktivitätszuwachs<br />

durch bessere Konzentrationsleistung spielt in kurzer Zeit die<br />

Investitionen in mehr Beweglichkeit ein, von den längerfristigen<br />

Motivations- und den langfristigen Gesundheitseffekten<br />

ganz zu schweigen. Es geht dabei nicht um Fitness oder<br />

Sport, sondern um die Minimalaktivitäten, die ein gesunder<br />

Stoffwechsel benötigt. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich,<br />

nicht nur das Sitzen, sondern auch die Organisation der Büroprozesse<br />

und die Architektur <strong>des</strong> Büroraums insgesamt zu<br />

überdenken. Bewegt Euch, Mitarbeiter, heißt das Gebot der<br />

Stunde in den neuen Arbeitswelten – und das nicht nur im<br />

übertragenen Sinn!<br />

BURKHARD REMMERS<br />

ist Autor zahlreicher internationaler Fachpublikationen und gilt als<br />

Experte für nachhaltige Office-Konzepte. Der Germanist und Historiker<br />

arbeitet seit 1995 für Wilkhahn, das nicht nur mit zahlreichen<br />

Designpreisen, sondern auch mit dem Deutschen Umweltpreis der<br />

DBU ausgezeichnet wurde.<br />

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Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

105


THEMEN | ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT<br />

BÜROS – KEIMZELLEN<br />

DER KREATIVITÄT?<br />

Das Büro als Arbeitsplatz ist einem steten Wandel unterworfen. Wohin führt uns die Reise in Zeiten von<br />

Digitalisierung, Burnout und Home Office?<br />

Eine philosophische Betrachtung von Christoph Quarch<br />

Wenn die Mönche <strong>des</strong> Mittelalters in ihren Schreibstuben<br />

Abschriften ihrer wertvollen Bücher anfertigten, legten sie<br />

die kostbaren Stücke zum Schutz vor Staub und Kratzern<br />

auf ein grobes Filztuch, aus dem auch ihre Kutten gefertigt<br />

waren. Diese Unterlage nannten sie die burra – und von<br />

eben diesem Wort stammt unser Wort Büro. Denn das Büro<br />

ist der Ort, an dem von alters her die Bücher aufbewahrt<br />

und bearbeitet werden: der Ort, an dem die Schreibarbeit<br />

verrichtet wird; oder auch der Papierkram, je nachdem, wie<br />

man es sehen möchte. Doch die Herkunft unseres Wortes<br />

Büro verrät noch mehr darüber, welchen Wesens jener<br />

Raum ist, den wir so zu nennen pflegen. Denn bei näherer<br />

Betrachtung ist das Büro – ganz so wie die alte burra – vornehmlich<br />

ein Schutzraum für das Kostbare und Wertvolle.<br />

Und nicht anders steht es um das Büro noch im 21. Jahrhundert.<br />

Denn auch seine Kernfunktion besteht darin, dem<br />

Kostbaren den Aufenthalt zu geben; nicht, weil im Büro die<br />

Kasse oder der Tresor zu finden wären, sondern weil Büros<br />

die Orte sind für menschliche Arbeit. Der Akzent liegt dabei<br />

freilich auf dem Wörtchen menschlich. Denn <strong>des</strong> Menschen<br />

Arbeit ist in unserer Gegenwart von höchstem Wert; und ihr<br />

Wert wird sich in Zukunft weiter steigern. Denn hier geht es<br />

vorwiegend um jene Form von Arbeit, die so bald nicht auf<br />

Maschinen übertragbar sein wird – eine Art von Arbeit, die<br />

in genau dem Maße an Kostbarkeit gewinnen wird, in dem<br />

die Digitalisierung unserer Arbeitswelt voranschreitet.<br />

Welche Art von Arbeit ist gemeint? Welche Arbeit bleibt das<br />

Privileg <strong>des</strong> Menschen? Nicht diejenige, die über mehr als<br />

hundert Jahre in unseren Bürogebäuden verrichtet wurde;<br />

nicht dasjenige, was man als industrielle Informationsverarbeitung<br />

bezeichnen könnte: Sortieren, Ablegen, Speichern,<br />

Rechnen usw. All das werden uns in absehbarer Zeit „intelligente“<br />

Maschinen der Künstlichen Intelligenz abnehmen können.<br />

Bei allem, was berechnet und gerechnet werden kann,<br />

werden sie den Menschen entlasten – nicht aber bei den<br />

Tätigkeiten, die es mit dem Unberechenbaren zu tun haben:<br />

mit Innovation und Kreativität; mit eben den Ressourcen,<br />

von denen die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen abhängt.<br />

Kreativität ist unberechenbar. Sie ist etwas anderes als kalkulierte<br />

Optimierung. Kreativität erschließt das wirklich Neue<br />

– das, was Kunden nicht allein zufriedenstellt, sondern begeistert.<br />

Sie ist in einem der Generator jener schöpferischen<br />

Energie, die wir Begeisterung nennen, und deren schönste<br />

Frucht. Und sie ist außerdem eine Bekundung echten<br />

Menschseins; hatte doch schon der Renaissance-Philosoph<br />

Pico della Mirandola in seiner Oratio de hominis dignitate<br />

(Rede von der Würde <strong>des</strong> Menschen) von 1486 festgestellt,<br />

dass nichts den Menschen so sehr auszeichnet und adelt,<br />

wie die Fähigkeit, als kreativer Schöpfer eine sinnvolle und<br />

schöne Welt zu schaffen.<br />

Ein Büro als Ort für Wachstum und Lebendigkeit<br />

dürfte zukunftsfähiger sein<br />

als die Toträume technisch optimierter<br />

EDV.<br />

Raum für menschliche Potenzialentfaltung<br />

Nicht viel anderes lehrt die Hirnforschung von heute. Unsere<br />

neuronale Ausstattung, betont der Neurophysiologe Gerald<br />

Hüther, macht uns nicht zu minderwertigen Computern,<br />

sondern zu kreativen Wesen, deren Potenziale unerschöpflich<br />

sind – weshalb wir gut beraten sind, Bedingungen zu<br />

erzeugen, die uns darin unterstützen, diese Potenziale zu<br />

entfalten.<br />

Hier kommt nun das Büro ins Spiel. Denn ein Büro, das<br />

seines Namens würdig ist und sich als Ort <strong>des</strong> Kostbaren<br />

versteht, hat keine andere Aufgabe als eben diese: Raum<br />

für menschliche Potenzialentfaltung sein – ein enabling<br />

space (Ermöglichungsraum), wie das der Wiener Innovationsforscher<br />

Markus F. Peschl nennt. Man könnte auch<br />

sagen: ein Gewächshaus menschlicher Schöpferkraft. Zum<br />

Ermöglichungsraum oder Gewächshaus taugen jedoch die<br />

meisten deutschen Büros und Bürogebäude keineswegs.<br />

Oft scheinen sich Innenarchitekten und Betreiber gar<br />

nichts gedacht zu haben, als sie die Büros ihrer Mitarbeiter<br />

einrichteten. Und wenn doch, dann waren ausschließlich<br />

funktionale oder monetäre Gesichtspunkte ausschlaggebend.<br />

Vorgaben aus Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin<br />

zu Lärmschutz, Ergonomik oder Raumklima werden zwar<br />

meistens zähneknirschend eingehalten – aber das verhin-<br />

106 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT | THEMEN<br />

dert nicht, dass immer noch in vielen Unternehmen am Büro<br />

gespart wird, wo es eben geht. Das ist eine große Dummheit.<br />

Denn Büros, die nur nach Maßgabe von Effizienz und<br />

Funktionalität gestaltet sind, gleichen begradigten Kanälen,<br />

die zwar geradlinig von einem Punkt zum anderen führen,<br />

dabei jedoch kein Leben und Gedeihen zulassen. So etwas<br />

wie Kreativität kann in solchen Toträumen nicht wachsen.<br />

Leben braucht Natur – braucht, um im Bild zu bleiben,<br />

einen naturbelassenen Fluss, der frei mäandert und in<br />

<strong>des</strong>sen Windungen kleine Biotope wachsen, wo etwas<br />

gedeihen und erblühen kann. Nur in freien Spielräumen<br />

wächst Kreativität – nicht in optimierten Betonkanälen. In<br />

nichtfunktionalen Spielräumen entfalten Menschen ihre<br />

Potenziale – und nicht in effizienten Anstalten.<br />

Diese Einsicht sollte sich zu Herzen nehmen, wer sich seine<br />

Innovations- und Zukunftsfähigkeit bewahren möchte. Man<br />

ist gut beraten, heute, an der Schwelle zu einer umfassenden<br />

Digitalisierung der Arbeitswelt, den Menschen ins Zentrum<br />

<strong>des</strong> Büros zu rücken und die Räume seiner Arbeit so zu gestalten,<br />

dass schöpferisches, kreatives, sinnstiften<strong>des</strong> Tun<br />

darin ermöglicht und gefördert wird. Das ist nicht nur die<br />

zuverlässigste Prophylaxe gegen Burnout und Depression,<br />

es ist zugleich die ökonomisch sinnvolle Investition in die<br />

kostbarste Ressource überhaupt: den schöpferischen Geist<br />

<strong>des</strong> Menschen.<br />

Wir wissen aus der heutigen Innovationsforschung, unter<br />

welchen Bedingungen dieser Schöpfergeist am ehesten<br />

erblühen kann – dort, wo es menschlich zugeht: in Gebäuden,<br />

die sowohl die informelle Begegnung von durchaus<br />

unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen<br />

zulassen (Co-Working-Spaces), als auch Rückzugsmöglichkeiten<br />

für konzentriertes Arbeiten bereitstellen; in<br />

Gebäuden, die sowohl dem Wunsch nach Individualität,<br />

Intimität und Persönlichkeit Genüge leisten als auch der<br />

kommunikativen und kooperativen Begegnung mit anderen;<br />

in Gebäuden, die zwar funktionalen Gesichtspunkten<br />

genügen, dabei aber nicht an ästhetischen und poetischen<br />

Qualitäten sparen. Denn nichts – das wussten schon die alten<br />

Griechen – ist der Kreativität so förderlich wie ein Klima der<br />

Schönheit und Stimmigkeit.<br />

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Heute, da die Digitalisierung<br />

bald mit neuer Wucht in die Büros und Arbeitsstätten einfällt,<br />

stehen Unternehmen und Organisationen an einem<br />

Scheideweg, an dem sich ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden<br />

wird: Werden sie die Digitalisierung nutzen, um menschliche<br />

Arbeit nach Kräften wegzurationalisieren und durch<br />

Maschinen künstlicher Intelligenz ersetzen – oder werden<br />

sie in die Ressource Kreativität investieren und den arbeitenden<br />

Menschen mit seinen unveräußerlichen Fähigkeiten<br />

ins Zentrum rücken?<br />

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DIE NEUE<br />

TAZ FUTURZWEI<br />

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11. 9. <strong>2018</strong><br />

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Das Magazin für Zukunft und Politik<br />

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107


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

108 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Große Ideen entstehen<br />

im freien Raum<br />

Sedus Stoll AG – das Unternehmen<br />

Die Sedus Stoll AG mit Sitz in Waldshut ist einer der führenden Komplettanbieter für Büroeinrichtungen<br />

und Arbeitsplatzkonzepte. Sedus entwickelt, produziert und vertreibt hochwertige<br />

Qualitätsmöbel „Made in Germany“. Als etablierte Marke ist Sedus mit acht Tochtergesellschaften<br />

in Europa und weltweit in über 50 Ländern vertreten.<br />

Als Büromöbelexperte und Technikpionier hat Sedus in seiner über 145-jährigen Firmengeschichte<br />

immer wieder Maßstäbe gesetzt ? vor allem in den Bereichen Ergonomie, Design und<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit. Dabei wurden Standards entwickelt, die weltweite Bedeutung erlangten. Sedus<br />

steht als Synonym für Innovation, Technik und Ästhetik und bereichert die „<strong>Lebens</strong>welt Büro”<br />

immer wieder mit neuen Produktideen und zeitgemäßen Konzepten.<br />

Besonderes Augenmerk richtet Sedus auf die aktuellen Trends und Veränderungen in der Bürowelt.<br />

Neue Arbeitsformen und Organisationsstrukturen verlangen nach flexiblen, ästhetischen<br />

Einrichtungen und maßgeschneiderten Lösungen, die die Bewegung und Kommunikation<br />

fördern. Die Gesundheit der Mitarbeiter steht dabei besonders im Fokus.<br />

Die Sedus Stoll Gruppe hat das Geschäftsjahr 2017 mit einem Umsatz von über 191 Mio. EUR<br />

abgeschlossen und beschäftigt rund 900 Mitarbeiter.<br />

Sedus Stoll Aktiengesellschaft<br />

Stammsitz: Brückenstraße 15<br />

D-79761 Waldshut<br />

Telefon: 0 77 51 / 84-0<br />

Telefax: 0 77 51 / 84-3 10<br />

E-Mail: sedus@sedus.com<br />

Internet: www.sedus.com<br />

Gründungsjahr: 1871 (seit 1995 Aktiengesellschaft)<br />

Vorstand:<br />

Produkte:<br />

Showrooms:<br />

Holger Jahnke, Daniel Kittner, Carl-Heinz Osten<br />

Büroeinrichtungen, Bürositzmöbel, Konferenz- und Seminarmöbel, Objektmöbel für<br />

Empfangsbereiche, Kantinen, Pausenzonen, Großräume, Arbeitstische, Schrank und<br />

Schrankwandsysteme, Stellwände und Sichtschutzelemente, Akustikelemente,<br />

Besprechungs- und Konferenztische, Empfangseinrichtungen<br />

Berlin, Cadorago, Brüssel-Erembodegem, Geseke, Hamburg, London, München, Paris,<br />

Rhein-Main, Waldshut, Wien, Zoetermeer<br />

109


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Christof Stoll<br />

Emma Stoll<br />

Ökopionier aus dem Schwarzwald<br />

Verantwortliches Handeln<br />

HERKUNFT UND HERSTELLUNG<br />

Natürliche Rohstoffe<br />

Modernste Fertigungsanlagen<br />

Höchste Verarbeitungsqualität<br />

Strenge Prüfverfahren<br />

Leistungsfähige Logistik<br />

Weltweite Lieferung<br />

110 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Auf Werte verlassen, die rund um den Globus zählen<br />

Als Büromöbelexperte und Technikpionier hat Sedus in seiner über 145-jährigen Firmengeschichte<br />

immer wieder Maßstäbe gesetzt – vor allem in den Bereichen Ergonomie, Design<br />

und <strong>Nachhaltig</strong>keit. Die Marke Sedus steht als Synonym für Innovation, Technik und Ästhetik<br />

und bereichert die „<strong>Lebens</strong>welt Büro” immer wieder mit neuen Produktideen und zeitgemäßen<br />

Konzepten.<br />

<strong>Nachhaltig</strong>es Handeln<br />

Sedus praktizierte aktiven Umweltschutz schon zu einer Zeit, in der es diesen Begriff noch gar<br />

nicht gab. Neben zahlreichen internationalen Auszeichnungen bestand Sedus im Jahr 1995 als<br />

erster deutscher Möbelhersteller das Öko-Audit nach EU-Norm und wurde 2010 als weltweit<br />

erster Büromöbelhersteller nach EMAS III zertifiziert.<br />

Soziale Verantwortung<br />

Die Stoll VITA Stiftung und die Karl Bröcker Stiftung halten als gemeinnützige Stiftungen mit über<br />

90 Prozent die Mehrheitsanteile an der Sedus Stoll Aktiengesellschaft. Auf diesem Weg fließen<br />

die Gewinne fast vollständig in Projekte, die dem Gemeinwohl zugutekommen, hauptsächlich<br />

in den Bereichen <strong>Bildung</strong>, Umwelt, Gesundheit und Prävention.<br />

Leistungsfähig, zuverlässig und immer höchste Qualität<br />

Sedus entwickelt, produziert und vertreibt hochwertige Qualitätsmöbel „Made in Germany“.<br />

An zwei Produktionsstandorten entstehen Sedus-Produkte nach höchsten Qualitäts- und Prüfstandards,<br />

die internationale Normen und Ansprüche sogar übertreffen. Neuentwicklungen<br />

werden vor Markteinführungen von der eigenen Belegschaft getestet und bewertet.<br />

Regional und international<br />

Qualifizierte Einrichtungsberater empfangen in den europäischen Showrooms Kunden aus aller<br />

Welt. Sedus ist mit acht Tochtergesellschaften in Europa und weltweit in über fünfzig Ländern<br />

vertreten. Das internationale Fachhändlernetz bietet professionelle Beratung und zeitnahe,<br />

unkomplizierte Garantieleistungen.<br />

Manuell und industriell<br />

Modernste, vollautomatische Produktions- und Qualitätsprüfmethoden garantieren einen<br />

durchgängigen, hochwertigen Standard. Aufwendige Furnier- und Polsterarbeiten werden mit<br />

sorgfältig ausgesuchten Materialien in liebevoller Handarbeit gefertigt. So arbeiten Menschen<br />

und Maschinen als gleichwertige Partner zusammen.<br />

111


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Vertraulich<br />

Konzentration<br />

Zusammenarbeit<br />

Gruppenarbeit<br />

Präsentation<br />

PORTFOLIO UND LÖSUNGEN<br />

Geprüfte Materialien<br />

Technische und ergonomische Innovationen<br />

Vielfach prämiertes Design<br />

Moderne Arbeitslösungen<br />

Freude an der Arbeit<br />

112 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Anwendung und Einrichtung in perfekter Harmonie<br />

Zukunftssichere Bürolandschaften müssen aktivitäts- und bedarfsgerecht veränderbar sein<br />

und den Nutzern die Entscheidungsfreiheit bieten, wo und wie sie arbeiten wollen. Flexible<br />

und intelligente Einrichtungen unterstützen diesen Ansatz und bieten das perfekte Umfeld für<br />

Konzentration, Kommunikation, Zusammenarbeit oder Entspannung.<br />

Arbeitstile und -methoden<br />

Alleine oder im Team, konzentriert oder entspannt. Welche Büroform für ein Unternehmen die<br />

beste ist, muss man gemeinsam erarbeiten und herausfinden. In den meisten Fällen kommt eine<br />

gesunde Mischung heraus, denn Arbeitsstile und -methoden sind so vielfältig und individuell<br />

wie die Mitarbeiter selbst.<br />

Anforderungen und Erwartungen<br />

Organisationen mit mehreren tausend Mitarbeitern arbeiten anders als ein Start-up-Unternehmen.<br />

Doch eins haben alle gemeinsam: ihren Anspruch an eine gesunde, kreative und effiziente<br />

Arbeit. Moderne Bürostrukturen entwickeln sich immer mehr zu kreativen Lernwelten. Flexible<br />

und modulare Büromöbelsysteme unterstützen sie dabei.<br />

Sedus Future Proof: zukunftssichere Einrichtungen<br />

Mit„Sedus Future Proof“ bietet Sedus ein in der Branche einzigartiges Gesamtpaket, das Unternehmen<br />

dabei hilft, zukunftssichere Investitionen zu tätigen und für die Zukunft nicht nur gut<br />

ein-, sondern auch ausgerichtet zu sein.<br />

Planung und Umsetzung<br />

Eine professionele Beratung setzt sowohl eine Analyse der Arbeitsabläufe und -methoden voraus,<br />

als auch das Verständnis für die Identität und Ziele der jeweiligen Organisation. Erst danach folgt<br />

die maßgeschneiderte Planung – so individuell wie das Unternehmen selbst.<br />

Standard und Sonderanfertigung<br />

Neben ökonomischen Standardlösungen bietet Sedus Sonder- und Maßanfertigung ganz nach<br />

Kundenwünschen an. Darüber hinaus unterstützt Sedus die internationale Kundschaft auch bei<br />

der Umsetzung von Akustik-, Klima- und Beleuchtungskonzepten.<br />

Kundenservice und Support<br />

Neben der Einrichtungsplanung spielen spezielle Dienstleistungen und fundierte Beratungsleistungen<br />

eine immer größere Rolle. So bietet Sedus nicht nur Ergonomie-Schulungen, sondern<br />

auch Nutzereinweisungen, Reparaturservice, Produkt- und Nachkaufgarantien.<br />

113


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Arbeiten früher<br />

Arbeiten heute<br />

Produktentwicklung<br />

Akkreditiertes Prüflabor<br />

ENTWICKLUNG UND VISIONEN<br />

Kooperation mit Universitäten<br />

Entwicklungszentrum<br />

Arbeiten in der Zukunft<br />

se:flex<br />

se:motion<br />

black dot air<br />

114 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Heute entsteht die Arbeitswelt von morgen<br />

Die Arbeitswelten der Zukunft brauchen Einrichtungslösungen, die Wohlbefinden, Zufriedenheit<br />

und Zusammenarbeit fördern und größtmöglichen Raum für kreative Entfaltung bieten.<br />

Evolution und Revolution<br />

Das Streben nach Innovationen ist bei den Sedus-Technikpionieren in der DNA verankert. Schon<br />

1971 gründete Sedus seine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit dem größten und<br />

modernsten Prüflabor der Branche. Kreative Designer und passionierte Ingenieure entwickeln<br />

hier und heute die Büroeinrichtungen von morgen.<br />

Design und Funktion<br />

Für Ihre Bedürfnisse und Gesundheit erforscht, entwirft und entwickelt Sedus Büromöbellösungen<br />

für die Zukunft. Die Formen sind optimal auf Funktion und die Tätigkeiten der Nutzer<br />

ausgerichtet. Die Auswahl hochwertiger Materialien, verbunden mit modernsten Produktionstechniken,<br />

erzeugen langlebige, erstklassige Produkte.<br />

Am Puls der Zeit<br />

Besonderes Augenmerk richtet Sedus auf die aktuellen Trends und Veränderungen in der Bürowelt.<br />

Neue Arbeitsformen und Organisationsstrukturen verlangen nach flexiblen, ästhetischen<br />

Einrichtungen und maßgeschneiderten Lösungen, die Kommunikation und Bewegung fördern.<br />

Die Gesundheit der Mitarbeiter steht dabei besonders im Fokus.<br />

Orgatec <strong>2018</strong>: Sedus bringt zwei Weltpremieren<br />

Mit dem legendären Federdreh, dem ersten gefederten und weltweit patentierten Drehstuhl<br />

(1926), dem ersten Drehstuhl mit Schwenkrollen (1929) und unzähligen richtungsweisenden<br />

Patenten wie der Similarmechanik (1973) und der Similar-Swing-Mechanik (2012) setzte Sedus<br />

Standards, die rund um den Globus Gültigkeit haben. Zur Bürofachmesse Orgatec <strong>2018</strong> bringt<br />

Sedus zwei innovative Drehstuhlkonzepte auf den Markt, welche die Geschichte <strong>des</strong> Drehstuhls<br />

fortschreiben werden.<br />

Drehstuhl se:flex – der beste Sedus seiner Klasse<br />

Unter dem Namen se:flex bringt Sedus seinen ersten Drehstuhl mit automatischer Gewichtsanpassung,<br />

der ergonomisch perfektes Sitzen erstaunlich einfach macht. se:flex erkennt das<br />

Gewicht seiner Nutzer, regelt den Anlehndruck der Rückenlehne und bietet eine völlig neue<br />

Bewegungsfreiheit. Der Drehstuhl se:flex eignet sich hervorragend für den Einsatz an Wechselarbeitsplätzen,<br />

weil er umständliches Einstellen durch eine maximal automatisierte Selbstjustierung<br />

überflüssig macht.<br />

Drehstuhl se:motion – Sitzdynamik neu gedacht<br />

Die heutige Arbeitswelt verlangt nach Flexibilität, Beweglichkeit und Mobilität. Vor allem junge<br />

Start-ups und Digital Natives arbeiten anders. <strong>Lebens</strong>rhythmus und <strong>Lebens</strong>stil passen sich an,<br />

wie auch ihr Anspruch an einfache Lösungen, eine klare Formsprache und puristisches Design.<br />

So ist se:motion wie geschaffen für moderne Büromenschen, für die das Teilen eines Schreibtisches<br />

eine Selbstverständlichkeit und teamorientiertes Miteinander der Normalzustand ist.<br />

Bei der Entwicklung <strong>des</strong> se:motion wurde komplett auf eine herkömmliche Mechanik verzichtet.<br />

Was vor wenigen Jahren noch utopisch schien, haben die Sedus-Designer und Ingenieure jetzt<br />

wahr werden lassen – durch die Entwicklung eines völlig neuen kinematischen Konzeptes.<br />

115


THEMEN | ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT<br />

Die Digitalisierung verändert das Berufsleben radikal. Neue Systemzusammenhänge und Technologien erfordern Flexibilität und Kreativität.<br />

BERUFSLEBEN 4.0<br />

Die Digitalisierung wird unser Berufsleben massiv verändern. Und das Erschreckende daran ist: Sie<br />

beschränkt sich nicht nur auf die vierte industrielle Revolution, bei der Fabrikarbeiter und Hilfskräfte um<br />

ihre Jobs bangen müssen, sondern sie betrifft nahezu jeden Berufszweig. Ein Blick in die Zukunft der<br />

wichtigsten technologischen Trends bis 2<strong>03</strong>0 zeigt, wen es wieso am härtesten treffen wird.<br />

Von Andreas Varesi<br />

Es braucht keinen Blick in die Glaskugel, um zu sehen, wie<br />

es die Autoindustrie treffen wird: Digital Natives kaufen<br />

keine Autos mehr, sie buchen Mobilität. Bereits heute ist<br />

Carsharing auf dem Vormarsch. Im Schnitt teilen sich dann<br />

bis zu zehn Fahrer ein Auto, was zu einem deutlichen Einbruch<br />

bei Neuzulassungen führen wird. Der Klimawandel<br />

zwingt uns auch zum Umstieg auf alternative Antriebe. Es<br />

ist fraglich, ob den deutschen Autobauern dieser Umstieg<br />

gelingt. Vieles deutet darauf hin, dass sich momentan die<br />

Fehler der deutschen Unterhaltungselektronik- und Telekommunikationsindustrie<br />

wiederholen.<br />

Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden dramatisch<br />

sein. Über 800.000 Menschen sind hierzulande in der Automotive-Branche<br />

beschäftigt, hinzu kommen noch etwa eine<br />

Million Arbeitsplätze, die indirekt von der Autoproduktion<br />

abhängig sind. Wenn beispielsweise in den Werken in Wolfsburg<br />

oder Ingolstadt die Lichter ausgehen wird das auch<br />

Fitnessstudios, Shopping Malls, Theater und den gesamten<br />

Immobilienmarkt mit in die Tiefe reißen.<br />

Weniger dramatisch werden die Auswirkungen durch<br />

vollautonome Fahrzeuge auf die Arbeitsplätze von Taxi-,<br />

Bus- und Trambahnfahrern sein. Technologisch könnten<br />

wir bis 2<strong>03</strong>0 zwar komplett auf Fahrer verzichten, doch<br />

ist nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber schnell genug<br />

die nötigen Rahmenbedingungen schafft. Gleiches gilt für<br />

Passagierdrohnen, die zudem nicht als Alternative zum<br />

Auto taugen, da sie viel zu viel Energie benötigen, um sich<br />

in der Luft zu halten.<br />

Simulation der Realität<br />

Wurde einst bei Crashtests das ganze Produktportfolio eines<br />

Fahrzeugbauers an die Wand gefahren, müssen heutzutage<br />

nur noch einzelne Modelle physisch zerstört werden; Varianten<br />

beweisen per Computersimulationen ihre Sicherheit.<br />

Immer leistungsfähigere Computer erlauben in Zukunft die<br />

Simulation aller möglichen Prozesse. Egal ob dies nun chemische<br />

Prozesse, optimierte Fertigungsstraßen oder Eingriffe<br />

ins Erbgut sind. Bis Ende <strong>des</strong> nächsten Jahrzehnts ist davon<br />

Foto: © Fotolia-Weissblick<br />

116 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BIg Data ermöglicht die Analyse immer größerer und komplexerer Zusammenhänge. Ist der Mensch davon überfordert? Werden uns Rechner<br />

und Roboter mit künstlicher Intelligenz <strong>des</strong>halb ablösen?<br />

auszugehen, dass Datenkraken wie Google und Facebook<br />

mithilfe hochparalleler Quantencomputer in der Lage sein<br />

werden, ganze Volkswirtschaften bis aufs Individuum herunter<br />

zu simulieren. Welche Auswirkungen dies haben wird,<br />

ist noch unklar. Sicher ist jedoch, dass Simulationen das übernehmen<br />

werden, was bisher Heerscharen von Laborkräften<br />

und Analysten erledigt haben.<br />

Digitalisierung in Medizin und Gentechnik<br />

In der SciFi-Serie Raumschiff Enterprise half ein nichtinvasives<br />

Analysegerät, der Tricorder, dem Bordarzt Pille bei<br />

der Diagnose von Erkrankungen. Heutige Systeme wie das<br />

DxtER Tricorder Sensor Kit werden die meisten Besuche<br />

beim Hausarzt überflüssig machen. Und auch chirurgische<br />

Eingriffe werden immer häufiger von OP-Robotern wie dem<br />

minimalinvasiven Da Vinci-Operationssystem übernommen.<br />

Aus einem Ärztenotstand kann so schnell eine Ärzteschwemme<br />

werden. Hinzu kommt, dass mittlerweile gentechnische<br />

Methoden wie z.B. das CRISPR-Verfahren Immuntherapien<br />

zur Heilung aussichtsloser Krebserkrankungen ermöglichen.<br />

Schlechte Zeiten für Pharmakonzerne, für die die dauerhafte<br />

Behandlung chronischer Erkrankungen ein zentrales<br />

Geschäftsmodell darstellt.<br />

Augmented Reality (AR)<br />

Die Überlagerung von virtuellen Welten mit der Realität<br />

via AR-Brille eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Auf diese<br />

Weise können Lagerarbeiter über eingeblendete Symbole,<br />

gänzlich ohne Sprach- und Textanweisungen, zum gewünschten<br />

Artikel geführt werden. Leuchtende Schrauben weisen<br />

Monteure drauf hin, wo sie als nächstes den Schraubenschlüssel<br />

ansetzen müssen und Notfallsanitäter bekommen<br />

vom Teledoktor erklärt, auf welche Weise<br />

sie ein Unfallopfer zu versorgen haben. So<br />

können Top-Experten angelernte Hilfskräfte<br />

an jedem Ort der Welt via AR-Brille anleiten,<br />

ohne dabei wie bisher den größten Teil ihrer<br />

Zeit mit An- und Abreise zu verschwenden.<br />

Wo früher Facharbeiter eine Festanstellung<br />

fanden, wird es zu einer „Uberisierung“ von<br />

Wartungs- und Montagejobs kommen.<br />

Foto: © Bosch AG<br />

Entwicklung der Kfz-Neuzulassungen im Szenario „Aufbruch in ein neues Zeitalter“<br />

Quelle: Varesi Consulting<br />

3D-Druck<br />

3D-Druck wird sich auch in der nächsten<br />

Dekade nicht für Massenproduktion eignen,<br />

wenngleich schon Flugzeugteile und<br />

individuelle Sportschuhe in Serie gefertigt<br />

werden. Wer jedoch heute virtuelle Welten<br />

am Computer erzeugt, wird in Zukunft sicherlich<br />

auch Möbel und Accessoires selbst<br />

im Konfigurator gestalten und daheim oder<br />

bei einem Druckdienstleister ausdrucken<br />

lassen. Diese Verfahren schaffen eher neue<br />

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117


THEMEN | ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT<br />

Kollege Roboter wird uns Menschen<br />

viele Aufgaben abnehmen.<br />

Die Frage lautet: Wie gehen wir<br />

mit dieser Situation um?<br />

Geschäftsmodelle und Jobs, als dass sie diese vernichten.<br />

Anders sieht das mit dem 3D-Druck am Bau aus. Wenn die<br />

Entwicklung so weitergeht, wird es im Jahr 2<strong>03</strong>0 möglich sein,<br />

auch Gebäude nach deutschen Baustandards in additiver<br />

Drucktechnik direkt aus der CAD-Software heraus auszudrucken.<br />

Dann wird auch am Bau mit über 100 Jahre Verzug<br />

eine vollautomatische Fertigung Einzug halten. So schön das<br />

für den Bauherrn ist, für einen Großteil der Handwerker und<br />

Bauarbeiter bedeutet das Arbeitslosigkeit.<br />

Humanoide Roboter<br />

Viele Arbeitskräfte fürchten sich davor, ihren Job an humanoide<br />

Roboter wie den saltoschlagenden Atlas oder den<br />

putzigen Serviceroboter Pepper zu verlieren. Doch es wird<br />

noch sehr lange dauern, bis sie tatsächlich die Bedienung im<br />

Café, die Putzfrau oder den Hausmeister ersetzen werden.<br />

Wer will schon seine Latte Macchiato von einem Blechhaufen<br />

serviert bekommen? Zudem stellen Roboter eine erhebliche<br />

Investition dar, die sich nur im Mehrschichtbetrieb rechnet.<br />

Bei unangenehmen und schweren Arbeiten werden sie uns<br />

jedoch bald schon entlasten können, wie z.B. der niedliche,<br />

aber bärenstarke Robear, der Altenpflegern rückenschonend<br />

beim Umbetten von Patienten hilft.<br />

Künstliche Intelligenz<br />

Ganz das Gegenteil ist von künstlicher Intelligenz zu erwarten.<br />

Im März dieses Jahres hat der Onlinehändler<br />

Abbildung 2:<br />

Auswirkung der Digitali sierung<br />

auf einzelne Berufsgruppen<br />

Quelle: Varesi Consulting<br />

Foto: © DLR<br />

118 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT | THEMEN<br />

Zalando 250 Marketingmitarbeiter entlassen, sie wurden<br />

durch Algorithmen ersetzt. Ähnliches wird Mitarbeitern<br />

in der Finanzbranche blühen. Sprach- und Textassistenten<br />

können nicht nur wie Siri und Co. Musik, die Heizung oder<br />

das Licht ein- und ausschalten, sie werden in Kombination<br />

mit Expertensystemen die meisten Assistenz- und<br />

Sekretariatsaufgaben übernehmen. Kern <strong>des</strong> Ganzen ist<br />

das sogenannte Deep Learning, das Maschinen in die Lage<br />

versetzt, aus Fehlern zu lernen. Über die Cloud vernetzte<br />

Computer teilen sich zudem das Wissen und alle Lernerfahrungen<br />

ihrer „Kollegen“. Ist einer Experte, sind sie alle<br />

Experten. Und genau diese Fähigkeiten bedrohen die Jobs<br />

vieler Bürokräfte und Sachbearbeiter.<br />

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt<br />

In der Automotive-Branche stehen die Stellen von 1,8 Mio.<br />

direkt und indirekt Beschäftigten auf dem Spiel. Industrie 4.0<br />

wird Fließband- und Fabrikarbeiter weitgehend überflüssig<br />

machen. KI bedroht Jobs in den Bereichen Sekretariat, Assistenz,<br />

Steuerberatung, Buchhaltung, Finanzwesen, Marketing<br />

und Werbung. Durch 3D-Druck werden viele Arbeitsplätze in<br />

der Baubranche verloren gehen. In der Chemie- und Pharmaindustrie<br />

werden Simulatoren die Arbeit von Laborassistenten,<br />

aber auch von Forschern übernehmen. In Summe sind<br />

über 50 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse bedroht.<br />

Doch Digitalisierung wird nicht nur Stellen vernichten, sondern<br />

es entstehen auch völlig neue Berufe. Dringend benötigt<br />

werden Experten in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Robotik,<br />

3D-Druck, Virtual und Augmented Reality, alternative<br />

Antriebe und Batterietechnologien, Mobilitätsdienstleister,<br />

Big-Data Experten, Digital Influencer, Gentechniker und natürlich<br />

Informatiker und IT-Fachleute. Wie viele das wirklich<br />

sein werden, lässt sich heute nur schwer sagen. Beispielsweise<br />

konnte das Branchensterben von Unterhaltungselektronik<br />

und Telekommunikation mittelfristig durch neue Jobs in<br />

anderen Bereichen kompensiert werden. Am dramatischsten<br />

war der Wandel in der Landwirtschaft. 1950 waren dort 22<br />

Prozent aller Deutschen beschäftigt, 1965 waren es nur noch<br />

10 Prozent. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote in diesen<br />

15 Jahren von 11 auf 0,7 Prozent gefallen.<br />

Grundeinkommen als Lösung?<br />

Doch was soll mit all den Menschen geschehen, die Opfer<br />

der digitalen Revolution werden? Hierüber machen sich auch<br />

Wirtschaftsbosse wie Siemens-Chef Joe Kaeser Gedanken.<br />

Die nächste gewinnmaximierende Personalabbauwelle<br />

kommt bestimmt und da wäre es toll, wenn der Staat mit<br />

einem bedingungslosen Grundeinkommen die soziale Verantwortung<br />

übernehmen würde. Doch wer soll das alles<br />

bezahlen? Aufgrund der sinkenden Beschäftigungsquote ist<br />

die Finanzierung über sozialversicherungspflichtige Arbeit<br />

zum Scheitern verurteilt. Einzige Lösung ist es, in Zukunft<br />

jede Wertschöpfung zur Finanzierung einer möglichen<br />

Grundsicherung heranzuziehen.<br />

Wer sind die Gewinner?<br />

Gewinner der digitalen Revolution werden nicht die Informatiker<br />

und Ingenieure sein, die sie technologisch erst möglich<br />

machen. Wer eine selbstprogrammierende Software entwickelt,<br />

darf sich nicht wundern, wenn anschließend keine<br />

Programmierer mehr benötigt werden. Gewinner sind die<br />

Herren der Plattformen wie Amazon-Gründer Jeff Bezos,<br />

der bereits heute mehr Geld mit Cloud Computing verdient<br />

als mit Online-Handel. Der New-Economy Milliardär Mark<br />

Cuban bringt es auf den Punkt: „Der erste Billionär wird ein<br />

Unternehmer der Künstlichen Intelligenz sein.“<br />

ANDREAS VARESI<br />

ist Unternehmer, Autor, Trend- und Zukunftsforscher sowie als Hochschuldozent<br />

tätig. Er hat sowohl Erfahrung als Konzernstratege als<br />

auch als Gründer mehrerer Start-ups. Als Geschäftsführer der Softwareschmiede<br />

IntelliMess und Inhaber von Varesi Consulting berät<br />

er mittelständische Unternehmen hinsichtlich der Einführung von<br />

KI und Deep Learning.<br />

Compliance auf<br />

höchstem Level.<br />

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119


Technologischer & Demographischer Wandel<br />

Effiziente Ressourcennutzung - Wertschöpfung<br />

Wertschöpfung<br />

durch<br />

Wertschätzung!<br />

Agile Organisationen<br />

Generation Y & Z<br />

Gute Führung & Sinngebung<br />

Konfliktfähigkeit & Gute Lösungen<br />

Sinnhaftigkeit – Achtsamkeit & Wertschätzung<br />

WERTSCHÄTZUNG IST<br />

WERTSCHÖPFUNG<br />

Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt werden einschneidend sein. Aber, wie uns die Geschichte immer<br />

wieder zeigt, birgt der Wandel immer auch Chancen. Chancen für einen Wandel der Unternehmenskulturen.<br />

Einen Wandel, weg von menschenunwürdig anmutenden Firmenkulturen, die sich ausschließlich der<br />

Gewinn-Maximierung verschrieben haben. Hin zu werteorientierten Unternehmenskulturen, die sich eher<br />

mit Sinn-Maximierung beschäftigen. Kulturen, die die besonderen Qualitäten, Eigenschaften und Interessen<br />

der Menschen tatsächlich in den Mittelpunkt stellen. Und dabei humane, ökologische und ökonomische<br />

Bedürfnisse in Einklang bringen. Wie aber kann das gelingen?<br />

Von Bernward Clausing<br />

Foto: © Pixabay<br />

120 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

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ARBEITEN IN UND AN DER ZUKUNFT | THEMEN<br />

Im Jahr 2060 wird es in Deutschland zwischen 23 und 30<br />

Prozent weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen<br />

20 und 64 Jahren geben als heute. Das sind zwischen<br />

11 und 15 Millionen weniger Menschen, die unsere Wirtschaft<br />

am Laufen halten sollen. Und die gleichzeitig die<br />

Pensions- und Rentenansprüche einer stetig wachsenden<br />

Anzahl an immer älter werdenden Menschen tragen soll.<br />

Das heutige System wird das nicht leisten können. Es muss<br />

sich etwas ändern.<br />

Die Generation Y und Z<br />

Die Generationen Y (Jahrgang 1981 - 1998) und Z (ab 1999)<br />

rufen schon heute nach einer Kulturänderung. Sie wollen<br />

Austausch auf Augenhöhe, Kooperation statt Ellenbogen,<br />

selbstbestimmtes Arbeiten und eine sehr gute Führung. Und<br />

darüber hinaus auch Antworten auf die Fragen: „Why? Was<br />

ist der Sinn meiner Arbeit? Was trägt meine tägliche Arbeit<br />

zum besseren Gelingen der Welt bei?“<br />

Salutogenese und die Gallup Studien 2016<br />

Schauen wir uns einen Teil der Ergebnisse der Gallup Studien<br />

2016 an. Die Top 5 Empfehlungen an Arbeitgeber, um ihre<br />

Mitarbeiter emotional zu binden, lauten wie folgt:<br />

1. Gib Deinen Mitarbeitern die Möglichkeit, das zu tun, was<br />

Sie richtig gut können.<br />

2. Wähle die richtigen Führungskräfte aus und fördere diese.<br />

3. Biete Deinen Mitarbeitern herausfordernde und abwechslungsreiche<br />

Tätigkeiten.<br />

4. Sorge für eine harmonische Mannschaft mit passenden<br />

Kolleginnen und Kollegen.<br />

5. Entwickle eine sinnstiftende Unternehmensphilosophie.<br />

Die vorgenannten Empfehlungen sind offensichtlich ganz wesentliche<br />

Faktoren, um gesunde Unternehmen zu gestalten,<br />

die aus gesunden Menschen „bestehen“. Was aber gehört<br />

noch dazu? Aaron Antonovsky, Professor der Soziologie und<br />

Stressforscher hat sich darüber Gedanken gemacht und den<br />

Begriff der Salutogenese geprägt. Antonovsky hat es auf den<br />

Punkt gebracht. „Wer sein (Berufs-)Leben als sinnvoll erlebt,<br />

als eingebettet in ein größeres Ganzes, ist psychisch und<br />

körperlich resistenter.“ Ist es angesichts stetig steigender<br />

Burn-out Raten nicht genau das, was wir in den Unternehmen<br />

brauchen? Sinnhaftigkeit <strong>des</strong> Schaffens als <strong>Grundlage</strong> von<br />

erfüllenden Arbeitstagen?<br />

Achtsamkeit und Wertschätzung<br />

Was also braucht es, um diesen Weg einzuschlagen? Zunächst<br />

einmal Achtsamkeit. Irgendwie spüren wir ja alle,<br />

im Hamsterrad rennen und dieses während <strong>des</strong> Rennens<br />

immer weiter zu beschleunigen führt uns weder zu Glück,<br />

noch zu Gesundheit. Aber das muss uns erst einmal bewusst<br />

werden. Und dazu braucht es eben Achtsamkeit. Achtsamkeit<br />

im Umgang mit sich selbst und im Umgang mit anderen<br />

Menschen. Achtsamkeit wiederum ist die Voraussetzung<br />

für echte Wertschätzung. Denn diese entspringt einer den<br />

Menschen zugewandten Haltung. Wertschätzung ist verbunden<br />

mit Respekt und Wohlwollen, drückt sich in Interesse,<br />

Zugewandtheit und Freundlichkeit aus. Und deckt Stärken,<br />

Qualitäten und Erfolgsfaktoren im Anderen auf. Und wo fängt<br />

das an? Bei uns und in uns.<br />

Appreciative Inquiry – Wertschätzende Erkundung<br />

Mitte der 80er-Jahre entwickelten Dr. Cooperrider und Dr.<br />

Srivastva an der Case Western Reserve University in Ohio<br />

einen Prozess, der die vorgenannten Themen in besonderer<br />

Weise berücksichtigt. Den AI-Prozess (Appreciative Inquiry)<br />

oder „Wertschätzende Erkundung“. AI ist eine werteorientierte<br />

Methode, die darauf ausgerichtet ist, zunächst die<br />

besonderen Stärken, Qualitäten und Erfolgsfaktoren von<br />

einzelnen Menschen, Teams und ganzen Unternehmen zu<br />

entdecken, um anschließend auf Basis dieser bereits vorhandenen<br />

Qualitäten eine sinnhafte Zukunftsausrichtung<br />

zu kreieren. Diese Zukunft wird über gut formulierte Leitsätze<br />

fixiert, um sie dann mit viel positiver Schaffenskraft<br />

tatsächlich entstehen zu lassen. Die Methode stellt all das<br />

Positive, das was alles schon da ist, in den Mittelpunkt der<br />

Betrachtung. Sie verbindet Menschen und richtet sie auf<br />

eine gemeinsame, sinnerfüllte und gesunde Zukunft aus.<br />

Der technologische und demographische Wandel stellt uns<br />

gerade in Deutschland vor ungeheure Herausforderungen.<br />

Ganze Berufe und viele traditionelle Arbeitsplätze werden<br />

wegfallen. Aber auch viele neue entstehen. Die Anzahl<br />

der Menschen im arbeitsfähigen Alter sinkt ständig. Umso<br />

wichtiger wird es, diese wenigen Arbeitskräfte genau dort<br />

einzusetzen, wo sie ihre besonderen Qualitäten und Stärken<br />

einsetzen können. Das erfordert eine andere Art der<br />

Führung. Achtsam und wertschätzend. Und andere Unternehmenskulturen,<br />

die eine umfassendere Sinnhaftigkeit<br />

der täglichen Arbeit beinhalten und leben. Die Methode<br />

der „Wertschätzenden Erkundung“ – Appreciative Inquiry<br />

– dient dazu, genau diese Themen zu adressieren und<br />

humane, ökologische und ökonomische Bedürfnisse in<br />

Einklang zu bringen. Einige Hidden Champions haben den<br />

Wandel bereits erfolgreich vollzogen.<br />

BERNWARD CLAUSING, VDI – Dipl.-Ing (FH)<br />

ist als Berater, Trainer und Coach tätig und hat einen Lehrauftrag<br />

an der TH Ingolstadt. Als Ingenieur und Gründer von bc-quadrat<br />

verbindet er dabei die Faszination für Technik mit seiner Leidenschaft<br />

für die Entfaltung und Entwicklung von Menschen und<br />

Organisationen und deren Potenzialen. Mit dem AI-Prozess als eine<br />

der wesentlichen <strong>Grundlage</strong>n begleitet er Unternehmen in deren<br />

Transformationsprozess.<br />

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121


THEMEN | BILDUNG<br />

WEQ LEARNING<br />

<strong>Bildung</strong> für das 21. Jahrhundert oder die Neuerfindung<br />

von Lernen und Arbeiten<br />

<strong>Bildung</strong> war schon immer der entscheidende Schlüssel zu Wohlstand und Zukunft. Was <strong>Bildung</strong> bewirken<br />

kann, wissen wir aus unserer eigenen Geschichte durch Weichenstellungen wie jene von Humboldt und<br />

Bismarck bis zur dualen Ausbildung. Umso erstaunlicher, wie lahm wir in Deutschland mit der Frage umgehen,<br />

wie sich Lernen und Arbeiten im 21. Jahrhundert verändern werden. Thomas Sattelberger, einer<br />

der erfahrensten und kreativsten Personalchefs unseres Lan<strong>des</strong>, spricht in Bezug auf unsere heutigen<br />

Lernverständnisse und Lernverhältnisse von einem „Failed State“.<br />

Von Peter Spiegel<br />

122 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BILDUNG | THEMEN<br />

Niemals zuvor haben sich genau diese beiden Schlüsselfaktoren<br />

menschlichen <strong>Lebens</strong>, Lernen und Arbeiten, radikaler<br />

verändert als jetzt. Und sie werden dies noch sehr viel<br />

schneller tun, mit exponentieller Geschwindigkeit. Nicht<br />

nur Kalifornien und Israel, auch Singapur, China, Finnland<br />

und andere überholen uns mit höchst kreativen Konzepten.<br />

Singapur zum Beispiel hatte vor 60 Jahren keine Hochschule<br />

und kein Gymnasium. Doch mit der bisher größten <strong>Bildung</strong>soffensive<br />

mutierte das damals bettelarme Land zum Weltmeister<br />

bei Hochschulabschlüssen und Patentanmeldungen<br />

bei einer Steigerung <strong>des</strong> Durchschnittseinkommens um den<br />

Faktor 100. China stellt bis <strong>2018</strong> komplett auf digitale Lernmaterialien<br />

um, Finnland bis 2<strong>02</strong>0 von Fächer- und Frontalunterricht<br />

zu integrierter Themen- und Projektarbeit in<br />

Teams. Und Kalifornien und Israel sind die neuen Weltzentren<br />

für disruptive Innovationen und Unternehmen. Wenn wir<br />

anschlussfähig an die Zukunft bleiben wollen, müssen wir<br />

uns sehr schnell, ergebnisoffen und in hoher Konzentration<br />

diesen vier klassischen W-Fragen zuwenden:<br />

WAS lernen wir im 21. Jahrhundert?<br />

WIE läuft Lernen & Arbeiten im 21. Jahrhundert ab?<br />

WO finden Lernen & Arbeiten <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts statt?<br />

WER lernt und wer lehrt im 21. Jahrhundert?<br />

Von der Wissens- zur Potenzialentfaltungsgesellschaft<br />

Soviel sei gleich vorweggenommen: Wir stehen vor nichts<br />

Geringerem als vor einem nächsten großen Übergang von<br />

der Wissensgesellschaft zu einer Potenzialentfaltungsgesellschaft.<br />

Die Antworten auf die Fragen, was, wie und wo wir im<br />

21. Jahrhundert lernen und arbeiten werden und wer Lehrender,<br />

wer Lernender sein wird, werden sich fundamental<br />

verändern. Die vier W-Fragen helfen uns, die Handlungsfelder<br />

und Schritte auf dem Weg dorthin zu klären und zu verstehen.<br />

WAS lernen wir im 21. Jahrhundert?<br />

Die erste Stufe, was Lernen im digitalen 21. Jahrhundert<br />

selbstredend leisten muss, ist ein selbstsicherer und kreativer<br />

Umgang mit der digitalen Welt. Der erste Schritt dazu ist ein<br />

selbstverständlicher Umgang mit digitalem Lernen, denn<br />

richtig eingesetztes digitales Lernen bedeutet nichts Geringeres<br />

als die Verwirklichung einer radikal neuen Qualität<br />

<strong>des</strong> Menschenrechts auf <strong>Bildung</strong>: dem „Recht auf weltbeste<br />

<strong>Bildung</strong> für alle“ – zu jeder Zeit, in Tausenden von individuell<br />

angepassten Lernweisen und bis zum vollständigen Verstehen<br />

aller Lerninhalte, die man gerade lernt. Das klingt sicher<br />

in nicht wenigen Ohren überzogen. Doch Salman Khan, der<br />

Pionier <strong>des</strong> Online-Learnings, zeigte mit seiner Lernplattform<br />

khanacademy.org, wie durch kluges digitales Lernen jeder<br />

zum Souverän lebenslanger Wissensaneignung werden<br />

kann. In jeweils nur zehnminütigen Lernvideos vermittelt<br />

er dort in mehr als 4.000 Lerneinheiten aus allen wichtigen<br />

Lerngebieten so viel Wissen, wie durchschnittlich in einer<br />

45-minütigen Unterrichtsstunde vermittelt wird. Durch die<br />

Möglichkeit beliebiger Wiederholung solcher Lektionen und<br />

beliebig intensiver Nutzung der ebenfalls digital angebotenen<br />

Übungswelten ist vollständiges Verstehen für je<strong>des</strong> einzelne<br />

Lernthema tatsächlich kein Traum mehr. Analoge Angebote<br />

zur Khan Academy für die schulische Ebene gibt es selbstverständlich<br />

inzwischen ebenfalls – und täglich werden sie mehr<br />

und besser und behandeln mittlerweile auch die universitäre<br />

Ebene, einschließlich aller postgraduierten und beruflichen<br />

Weiterbildung.<br />

Noch wichtiger als die radikal neue Lernintensität und Lerntiefe<br />

bei der Wissensaneignung ist jedoch die Frage, was<br />

wir mit der frei gewordenen Zeit von 35 Minuten pro Unterrichtseinheit<br />

anfangen können und sollten. Die Antwort<br />

ist: WeQualities, der Erwerb von kollektiver Intelligenz und<br />

kollaborativen <strong>Lebens</strong>schlüsselkompetenzen, konkret: Kompetenzen,<br />

die sich auf die Umsetzung von Wissen beziehen,<br />

soziale Kompetenzen, unternehmerische Kompetenzen, Verantwortungskompetenzen,<br />

Kommunikationskompetenzen,<br />

Vernetzungskompetenzen und vieles mehr. Dies sind die<br />

wahren Lernbeschleuniger und -vertiefer, Resilienzverstärker,<br />

Selbständigkeits- und Flexibilitätserhöher, kurz: die umfassenden<br />

Potenzialentfalter. Mit diesen Kompetenzen erlangen<br />

wir zusätzlich zur Souveränität digitaler und kreativer Selbstsicherheit<br />

auch die Souveränität für alle Transformationsprozesse<br />

und Kollaborationsanforderungen, die noch auf uns<br />

zukommen werden. Dazu vier kurze Praxisbeispiele für diese<br />

neue Welt <strong>des</strong> Potenzialentfaltungslernens.<br />

Die SRH Hochschule Heidelberg entwickelte den dualen<br />

<strong>Bildung</strong>sansatz der Verschränkung von praktischem und<br />

theoretischem Wissen mit ihrem CORE-Prinzip auf der Hochschulebene<br />

weiter. Die Studenten können hierbei in den<br />

Organisationen und Unternehmen ihr erworbenes Wissen<br />

sofort realpraktisch anwenden. Das Ergebnis: eine entscheidend<br />

verbesserte Anwendungskompetenz, Praxisfitness und<br />

nicht zuletzt auch deutlich tiefere, leichtere und nachhaltigere<br />

Wissensaufnahme. Ab sofort wird dieser Ansatz auf zehn<br />

weitere Hochschulen in Deutschland übertragen.<br />

Das revolutionäre <strong>Bildung</strong>ssystem von Fundaec in Kolumbien<br />

für die dortigen ländlichen Regionen lässt alles Wissen auf<br />

allen Ebenen immer sofort in Praxisprojekten im Ort umsetzen.<br />

Sie vermitteln Kommunikationskompetenzen in einer<br />

Qualität, dass man sogar meinen könnte, jeder hätte teure<br />

Seminare für die besten Spitzenmanager besucht. Sie erfanden<br />

für die Vermittlung von Mathematik einen neuen Ansatz,<br />

mit dem bei 30.000 Absolventen nicht einer an Mathematik<br />

scheiterte! Und sehr viel mehr. Diesem <strong>Bildung</strong>ssystem für<br />

das – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – „zurückgebliebene“<br />

Landvolk attestierte selbst das <strong>Bildung</strong>sministerium<br />

in Bogota, dass es den staatlichen Einrichtungen haushoch<br />

überlegen sei. Aus Zurückgebliebenen wurden die besten<br />

Hochschulabsolventen Lateinamerikas und serienweise Erfinder,<br />

Unternehmer und Bürgermeister.<br />

Die Townshend School in Tschechien, die weder Wirtschaftsnoch<br />

Eliteschule ist, bot irgendwann als frei wählbares Fach<br />

Unternehmensgründung an. Das Ergebnis: Viele der dabei<br />

gegründeten Schülerunternehmen sind heute Weltmarktführer.<br />

Analoge Erfahrungen mit der Vermittlung von prakti-<br />

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123


THEMEN | BILDUNG<br />

WAS lernen wir im 21. Jahrhundert? WIE läuft Lernen & Arbeiten im 21. Jahrhundert ab? WO finden Lernen & Arbeiten <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts<br />

statt? WER lernt und wer lehrt im 21. Jahrhundert? Fragen, auf die unsere <strong>Bildung</strong>politiker schleunigst Antworten finden sollten.<br />

schen unternehmerischen Kompetenzen machten auch viele<br />

andere Schulen und Hochschulen.<br />

Die Evangelische Schule Berlin-Mitte bietet seit Jahren die<br />

Fächer Verantwortung und Herausforderung an. Die Schüler<br />

stellen sich eine selbstgewählte Herausforderung, meist in<br />

Teams, bereiten sich darauf vor und meistern sie in einem<br />

zwei- bis vierwöchigen Zeitraum, in dem kein normaler Unterricht<br />

stattfindet. Unisono sagen sie, dass sie nie so viel und<br />

intensiv für ihr Leben und <strong>des</strong>sen Meisterung gelernt haben.<br />

Die Schüler dieser Schule sind derart motiviert, dass sie sich<br />

entschlossen, die erste Lehrerfortbildung durch Schüler<br />

anzubieten – mit sensationellem Erfolg: Mehr als 10.000<br />

Lehrerinnen und Lehrer besuchten deren Fortbildungsangebot<br />

und meinten danach, noch nie so viel über gelingende<br />

Schülermotivation gelernt zu haben.<br />

Eine derartig revolutionäre Neuerfindung von Lernen ist<br />

längst kein Einzelfall mehr. Beim EduAction <strong>Bildung</strong>sgipfel,<br />

der erstmals 2016 in Mannheim und Heidelberg als Leitkonferenz<br />

für <strong>Bildung</strong>sinnovationen stattfand, wurden über<br />

100 solcher Projekte allein aus Deutschland präsentiert.<br />

Weltweit können wir bereits auf tausende höchst erstaunliche<br />

Erfahrungswerte dieser Art zurückgreifen, was beim<br />

zweiten EduAction <strong>Bildung</strong>sgipfel am 25. bis 26. Oktober<br />

<strong>2018</strong> in Mannheim mit zahlreichen interaktiven Formaten<br />

der Fall sein wird unter dem Motto „WeQ – More than IQ.<br />

Zukunftskompetenzen gemeinsam gestalten“.<br />

WIE läuft Lernen & Arbeiten im 21. Jahrhundert ab?<br />

Die Kurzantwort: im WeQ Modus! Wenn wir uns fragen,<br />

wo derzeit die größte Innovationspower am Werke ist, so<br />

kommt heute nahezu allen das Silicon Valley in den Sinn.<br />

Wenn wir uns fragen, welcher Lern- und Arbeitsmodus<br />

dort vorherrscht, so stößt man unwillkürlich auf Design<br />

Thinking (<strong>forum</strong> berichtete dazu mehrfach – siehe dazu<br />

diverse Beiträge auf www.<strong>forum</strong>-csr.net). Gemeint ist ein<br />

Prozess kollektiver Innovationsentwicklung in heterogenen<br />

Teams und allgemein offene digitale wie analoge Kollaborationsprozesse<br />

auf gleicher Augenhöhe mit dem gesamten<br />

Weltgehirn, der gesamten Weltkreativität und der gesamten<br />

Weltgestaltungskraft.<br />

Dieser WeQ Modus ist so wirkmächtig, dass der Daimler-Chef<br />

Dieter Zetsche vor einiger Zeit verkündete, innerhalb nur<br />

eines Jahres 20 Prozent seiner Mitarbeiter in diesen neuen<br />

Arbeitsmodus transformieren zu wollen, und zwar dauerhaft.<br />

Immer mehr große und auch immer mehr mittelständische<br />

Unternehmen folgen diesem tiefgreifenden, neuen Transformationsweg<br />

in den WeQ Modus und sehen darin die<br />

einzige Möglichkeit, sich auf die neuen Herausforderungen<br />

und Chancen im 21. Jahrhundert einstellen zu können.<br />

Die Hopp Foundation fördert in Zusammenarbeit mit dem<br />

Berliner Innoki-Team in Deutschland die Einführung und Anwendung<br />

von Design Thinking und WeQ Modus in Schulen.<br />

In Kürze steht dafür auch ein erstes Lehrerhandbuch zur<br />

Verfügung. Das Education Innovation Lab, die Sozialunternehmen<br />

von Robert Greve und immer mehr bildungsinnovative<br />

Einrichtungen in Deutschland revolutionieren <strong>Bildung</strong><br />

in Richtung WeQ Modus.<br />

WO findet Lernen und Arbeiten <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts statt?<br />

Auch hier die Kurzantwort vorweg: in WeQ Spaces! Damit<br />

sind einerseits all die vielen digitalen Lern- und Arbeitsräume<br />

gemeint, die für eine neue Qualität kollaborativen Arbeitens<br />

und Lernens konzipiert und umgesetzt sind. Gleichzeitig<br />

bedarf es aber auch der Entwicklung neuer kollaborativer<br />

Räume und kollaborativer Möbel und damit physischer WeQ<br />

Spaces – in Schulen und Universitäten, in Gründerzentren, in<br />

allen Unternehmen, in Verwaltungseinrichtungen und allen<br />

Arten von öffentlichen Einrichtungen.<br />

Auch hier spielte Design Thinking eine Pionierrolle. Mit und<br />

für die HPI School of Design Thinking wurden völlig neue Möbel<br />

entwickelt für die kollektive Innovationsarbeit in Teams<br />

mit jeweils vier bis acht heterogen zusammengestellten<br />

Personen. Inzwischen arbeitet auch beispielsweise der klassische<br />

Schulmöbelhersteller Hohenloher an kollaborativen<br />

Foto: © EduAction<br />

124 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BILDUNG | THEMEN<br />

Schulmöbeln – für Lehrerzimmer und Klassenräume, die man<br />

vielleicht künftig besser WeQ Lern- und Arbeitsräume nennen<br />

sollte – und innovative Büromöbelhersteller arbeiten an<br />

völlig neuen kollaborativen Raum- und Arbeitsgestaltungen<br />

in Unternehmen und sonstigen Organisationen. Zur Welt der<br />

neuen WeQ Spaces zählen auch unterschiedliche Konzepte<br />

jenseits von Design-Thinking-Labs, wie beispielsweise Maker-Garagen,<br />

Social Impact Labs, Impact Hubs, Zukunftslabs,<br />

3-D-Labs und vieles mehr.<br />

WER lernt und wer lehrt im 21. Jahrhundert?<br />

Auch hier wieder die Kurzantwort: We – All – Together! Alle<br />

werden zu permanent Dazulernenden. Die traditionellen<br />

Grenzen zwischen Lehrenden und Lernenden werden zunehmend<br />

verschwimmen. Lehrende werden zu Lernbegleitern<br />

und Lerncoaches – womit der Lehrberuf wesentlich<br />

attraktiver wird, als er heute ist. Schüler und Studenten<br />

werden zu Teamlernenden, zu Peer-to-Peer-Lernenden und<br />

-Lehrenden, zu Praktikern und Projektteam-Akteuren als<br />

untrennbarem Teil ihrer Lernprozesse. Arbeitende werden<br />

zu Working-Learners-and-Teachers und auch jene, die sich<br />

heute noch irgendwann in einen Ruhestand verabschieden,<br />

werden künftig sehr viel mehr Zeit in neuen Aufgaben, sinnstiftenden,<br />

neuen Lernprozessen sowie der Weitergabe ihrer<br />

Erfahrungen einsetzen wollen.<br />

Doch <strong>Bildung</strong> kann nicht das notwendige Maß an Transformation<br />

erfahren, wenn wir <strong>Bildung</strong> und Reformbedarf<br />

weiter in den heutigen Silokategorien betrachten. Wir<br />

brauchen eine systemische <strong>Grundlage</strong>nforschung über das<br />

„Lernen und Arbeiten im 21. Jahrhundert“ und eine Kultur<br />

für <strong>Bildung</strong>sinnovationen, die für grundlegend disruptive Veränderungen<br />

von Lernen und Arbeiten offen ist. Diese Kultur<br />

sollte getragen sein vom Leitbild einer Potenzialentfaltungsgesellschaft,<br />

in der alle ihre Potenziale um Quantensprünge<br />

weiterentwickeln können.<br />

PETER SPIEGEL<br />

ist Leiter <strong>des</strong> WeQ Institute und Initiator und Kurator <strong>des</strong> EduAction<br />

<strong>Bildung</strong>sgipfels. Er ist Autor und Herausgeber von 30 Publikationen,<br />

darunter „EduAction – Wir machen Schule“ mit der <strong>Bildung</strong>sinnovatorin<br />

Margret Rasfeld sowie „Schmetterlingseffekte – Meine verrückte<br />

<strong>Bildung</strong>sbiografie“. Er ist ferner Beiratsmitglied der Heraeus<br />

<strong>Bildung</strong>sstiftung sowie der <strong>Bildung</strong>skommission beim Senat der<br />

Wirtschaft Deutschland.<br />

25.–26.10.<strong>2018</strong><br />

mehr Informationen unter:<br />

www.edu-action.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

125


THEMEN | BILDUNG<br />

RADIKAL ANDERS: BILDUNG<br />

FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT<br />

Unser gegenwärtiges <strong>Bildung</strong>ssystem ist auf die Bedürfnisse <strong>des</strong> 19. und 20. Jahrhunderts abgestimmt.<br />

Für das 21. Jahrhundert braucht die <strong>Bildung</strong> eine grundlegende Revolution. Die Digitalisierung alleine<br />

reicht dafür noch nicht.<br />

Ein Kommentar von Bettina von Stamm<br />

Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind in der öffentlichen<br />

Darstellung die Helden und Retter bezüglich der<br />

Probleme, denen wir uns heute gegenübersehen. Man feiert<br />

begeistert den Fortschritt der technologischen Entwicklungen<br />

und ignoriert dabei häufig nicht nur deren negative<br />

Konsequenzen. Man übersieht auch völlig, dass all diese Entwicklungen<br />

Veränderungen im weiteren Kontext erforderlich<br />

machen, besonders im <strong>Bildung</strong>ssystem.<br />

Geht es bei Immobilien um „Location, Location, Location”,<br />

so geht es für das Überleben und für die Weiterentwicklung<br />

der Menschheit im 21. Jahrhundert und darüber hinaus um<br />

„<strong>Bildung</strong>, <strong>Bildung</strong>, <strong>Bildung</strong>“. Wie Nelson Mandela sagte:<br />

„<strong>Bildung</strong> ist die mächtigste Waffe, mit der man die Welt<br />

verändern kann.“<br />

Zweifellos gibt es einige Bewegung im aktuellen <strong>Bildung</strong>ssystem.<br />

Doch was bislang getan wird, ist viel zu langsam<br />

und viel zu isoliert, um der Komplexität <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts<br />

gerecht zu werden. Mein dringender Appell ist daher: Wir<br />

brauchen eine <strong>Bildung</strong>, die es heutigen und zukünftigen<br />

Generationen möglich macht, die Herausforderungen <strong>des</strong><br />

21. Jahrhunderts zu bestehen. Diese sind groß und erfordern<br />

Pioniergeist, Unternehmertum, Flexibilität, Teamwork und<br />

Innovationsfähigkeit.<br />

Innovation als treibende Kraft im 21. Jahrhundert<br />

War die Innovation im 20. Jahrhundert eine „Nettigkeit“,<br />

wird sie im 21. Jahrhundert zur absoluten Notwendigkeit.<br />

Wie sonst sollen wir globale Probleme und Herausforderungen<br />

bewältigen, wie die explodierende Digitalisierung und<br />

das Eskalieren von Umwelt- und Sozialproblemen? Was wir<br />

brauchen, ist Innovation, jede Menge Innovation – jedoch<br />

keine langsame, schrittweise Innovation, sondern eine grundlegende,<br />

radikale. Mit einem „weiter so wie bisher“ fahren<br />

wir unweigerlich an die Wand.<br />

„Die Definition von Wahnsinn ist,<br />

immer wieder das Gleiche zu tun<br />

und andere Ergebnisse zu erwarten.”<br />

Albert Einstein<br />

Digitalisierung und Technologie sind nicht genug<br />

Schon jetzt hinterfragen einige den gegenwärtigen <strong>Bildung</strong>sansatz.<br />

CNN meldete zum Beispiel im September 2017: „Neue<br />

Arten von Schule breiten sich aus, viele von ihnen werden von<br />

Tech-Führungskräften unterstützt. Projektbasiertes Lernen<br />

verschiebt den Fokus von Noten auf kreatives Denken.”<br />

Jedoch setzt man bei derartigen Innovationen oft einseitig<br />

auf Technologie und Digitalisierung. So beklagt ein Bericht<br />

der OECD aus dem Jahr 2016, dass trotz <strong>des</strong> enormen Potenzials<br />

der Digitalisierung die Auswirkungen derselben auf die<br />

<strong>Bildung</strong>spraktiken selbst noch gering seien. Kein Wunder: Digitalisierung<br />

und Technologie sind eben bei weitem nicht genug,<br />

um Innovation, Kreativität und Vorstellungskraft zu fördern.<br />

Warum sich so wenig bewegt<br />

Die größte Barriere, um die notwendigen Veränderungen auf<br />

den Weg zu bringen, sind die noch bestehenden Denkweisen<br />

und Weltbilder:<br />

• Der Glaube, Lehrer seien ohne digitale Technologien nicht<br />

in der Lage, Innovationen zu schaffen.<br />

• Der Glaube, dass Innovation mit Kreativität identisch sei –<br />

statt zu verstehen, dass Kreativität der Startpunkt für Innovation<br />

ist.<br />

• Der Glaube, Kreativität beträfe nur eine Elite von extrem<br />

talentierten Studenten – statt zu verstehen, dass es unterschiedlichster<br />

Fähigkeiten bedarf, um eine kreative Idee<br />

erfolgreich umzusetzen und jeder einen Beitrag dazu<br />

leisten kann.<br />

126 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BILDUNG | THEMEN<br />

• Der Glaube, dass wir die Zukunft durch lineare Weiterberechnung<br />

der Vergangenheit vorhersagen könnten – statt<br />

zu akzeptieren, dass die Zukunft nicht-linear, komplex und<br />

unerwartet auftretend ist.<br />

• Der Glaube, dass wir alles einzeln auseinander nehmen,<br />

analysieren und wieder zusammensetzen könnten – statt<br />

zu verstehen, dass alles miteinander verbunden ist.<br />

• Der Glaube, dass es nur eine richtige Lösung gäbe – statt zu<br />

akzeptieren, dass die bestmögliche Lösung vom jeweiligen<br />

Zusammenhang und Zeitpunkt abhängt.<br />

Aus diesen veralteten Denkweisen resultiert das Beharren<br />

darauf, dass Schüler nur nach ihrer nicht-interaktiven, wiederkäuenden<br />

und reproduzierbaren Arbeit beurteilt werden.<br />

Sir Ken Robinson, ein internationaler Berater im <strong>Bildung</strong>sbereich,<br />

wies 2010 eindrücklich darauf hin, dass unser<br />

gegenwärtiges <strong>Bildung</strong>ssystem eigentlich die Bedürfnisse und<br />

Strukturen der Industrialisierung widerspiegelt und damit für<br />

den Kontext <strong>des</strong> 19. und 20. Jahrhunderts angemessen war,<br />

jedoch nicht für das 21. Jahrhundert.<br />

Die Weltanschauung für das 21. Jahrhundert<br />

Die neuen Denkweisen, die wir brauchen, um die notwendigen<br />

Innovationen voranzubringen, lauten wie folgt:<br />

• Offenheit und Flexibilität – wie der Verleger Malcolm Forbes<br />

sagte: „Es ist Zweck der <strong>Bildung</strong>, einen leeren Geist<br />

durch einen offenen zu ersetzen.“<br />

• Resilienz – also die psychische Widerstandsfähigkeit, um<br />

Krisen zu bewältigen.<br />

• Akzeptanz tiefergehender Vernetzung – das heißt, wir<br />

müssen unseren Horizont erweitern, um das Leben in<br />

seiner Ganzheit zu erfassen.<br />

• Mitgefühl – für sich und andere.<br />

Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert<br />

Um diese neuen Denkweisen nicht nur zu haben, sondern<br />

auch umsetzen zu können, bedarf es der folgenden Fähigkeiten,<br />

die uns die <strong>Bildung</strong> vermitteln muss:<br />

• Zwischenmenschliche Fähigkeiten und Kooperationsfähigkeiten<br />

– dies beinhaltet die Wertschätzung für andere<br />

Wissensbereiche und die Fähigkeit, über Unterschiede<br />

hinweg zusammenzuarbeiten.<br />

• Kritisches Denken und die Fähigkeit, Fragen zu stellen –<br />

dazu gehört sowohl die Fähigkeit und Bereitschaft, den<br />

Status quo zu hinterfragen, als auch die Bereitschaft, selbst<br />

hinterfragt zu werden.<br />

• Suche nach Sinn und Synthese – dies beinhaltet die Fähigkeit,<br />

Informationsquellen on- und offline zu hinterfragen<br />

und zu beurteilen.<br />

• Integrative Denkfähigkeit – dies beinhaltet die Fähigkeit,<br />

die zugrundeliegenden Ursachen eines Problems zu identifizieren<br />

und anzugehen und nicht nur die Symptome zu<br />

adressieren.<br />

• Selbstmanagement – dies beinhaltet die Fähigkeit und<br />

Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln und<br />

darüber hinaus zu übernehmen.<br />

Eines ist klar: Diese Fähigkeiten erwirbt man nicht durch Vorträge<br />

und Bücher. Diese Fähigkeiten erlernt man nur durch<br />

Erleben und Experimentieren, durch Neugierde, Interesse<br />

und Courage, Projekte und Coaching, statt durch Klausuren<br />

und Belehrung. Vielleicht lässt sich all das auch so zusammenfassen:<br />

Alles, was man braucht, ob im Leben oder in der<br />

Innovation, sind ein offenes Herz und ein offener Geist.<br />

innovationleadership<strong>forum</strong>.org<br />

thefutureofinnovation.org<br />

DR. BETTINA VON STAMM<br />

ist Autorin zahlreicher Artikel und Bücher zum Thema Innovation.<br />

Als Leiterin <strong>des</strong> Innovation-Leadership-Forums ist sie eine gefragte<br />

Rednerin und Beraterin, die Unternehmen hilft, ihr Innovationspotenzial<br />

zu entwickeln. Die außergewöhnliche Vordenkerin arbeitet<br />

ehrenamtlich als Director of Awards für Katerva, eine NGO, die sich<br />

der Identifizierung, Bewertung und Beschleunigung radikaler, nachhaltiger<br />

Innovation verschrieben hat.<br />

www.katerva.net<br />

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<strong>2018</strong><br />

127


THEMEN | BILDUNG<br />

LERNEN<br />

IN VÖLLIGER FREIHEIT<br />

Sie wollen Schule ganz neu denken; zwischen Lernen und Spielen wird nicht mehr unterschieden:<br />

Die Sudbury-Schulen leben unter den alternativen Schulen das radikalste Konzept von Freiheit.<br />

Von Alrun Vogt<br />

128 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BILDUNG | THEMEN<br />

Foto: © Monika Diop-Wernz<br />

Im Baumhaus abhängen – an Sudbury-Schulen ist es möglich.<br />

Lockeres Beisammensitzen während der Schulzeit ist ganz normal.<br />

In der Schule den ganzen Tag Computerspielen – an Sudbury-Schulen<br />

ist es möglich. Es gibt keine verpflichtenden Lerninhalte<br />

oder Prüfungen, keine festen Unterrichtseinheiten,<br />

keine Klassen und schon gar keine Noten. Sudbury-Schüler<br />

entscheiden frei, was sie an der Schule tun und lassen wollen<br />

und sei es faulenzen – oder eben Computerspielen.<br />

Wo bleibt das Lernen? Wo bleibt die Vorbereitung auf das Leben?<br />

Es stellen sich einem viele zweifelnde Fragen, wenn man<br />

sich diesem Konzept nähert. Und doch wird man mit dem<br />

Erfolg der weltweiten Sudbury-Absolventen konfrontiert:<br />

Sie gehen selbstbestimmt ins Leben, werden Unternehmer,<br />

gehen auf Universitäten. Wie ist das möglich?<br />

Schule als Ort der Selbstbestimmung<br />

Wer lernen will, so die Idee, muss nicht von außen dazu<br />

gedrängt werden, sondern trägt diese Motivation von vornherein<br />

in sich. Kinder sind demnach von Natur aus neugierig.<br />

Sie wollen lernen und sich in der Welt, in der sie leben, zurechtfinden.<br />

Damit diese Lust am Lernen aber zum Tragen<br />

kommen kann, brauchen Menschen dem Sudbury-Konzept<br />

zufolge ein Umfeld, in dem sie frei von Angst und Druck sowie<br />

frei von Vorgaben ihren eigenen Interessen nachgehen<br />

können, Erfahrungen sammeln können und Fehler machen<br />

dürfen. Sie brauchen ferner ein Umfeld, in dem sie Vertrauen<br />

erfahren, ermutigt werden und sich angenommen fühlen,<br />

kurzum, indem sie sie selbst sein können. Unter solchen<br />

Bedingungen, glaubt man, findet das Lernen am effektivsten<br />

statt. Die Konsequenz: Die radikale Freiheit der Schüler, über<br />

ihre Tätigkeiten an der Schule selbst zu bestimmen.<br />

An Montessori-Schulen findet ebenfalls die berühmte „Freiarbeit“<br />

statt. Doch hier möchte man die Kinder über das<br />

Freiarbeiten durchaus an bestimmte Lernziele und letztendlich<br />

an staatliche Abschlüsse heranführen. Das bedeutet<br />

konkret: Wenn ein Kind zu lange nur „spielt“ oder sich zu<br />

lange einseitig mit einer Sache beschäftigt, würde man an<br />

Montessori-Schulen versuchen, es sanft zu anderen Bereichen<br />

hinzulenken. An Sudbury-Schulen hingegen verzichtet<br />

man gänzlich sowohl auf Lernziele als auch auf Bewertungen<br />

der Tätigkeiten, die Schüler ausüben. Ob ein Kind spielt oder<br />

lernt, wird nicht mehr unterschieden.<br />

Die Freiheit im Lernen ist an Sudbury-Schulen aber nur die<br />

eine Seite. Auf der anderen Seite werden hier sehr genaue<br />

Regeln bestimmt. Das menschliche Miteinander, in welchen<br />

Räumen Ruhe geboten ist, wie man den Computer benutzt,<br />

was man tun muss, um ein Buch auszuleihen oder im Labor zu<br />

experimentieren, all dies bestimmen – na klar, die Schüler. Sie<br />

haben gemeinsam mit den Lehrern unabhängig vom Alter eine<br />

gleichberechtigte Stimme in der Schulversammlung. Dieses<br />

kollegiale Miteinander soll Toleranz und Aufgeschlossenheit<br />

fördern und junge Menschen dazu ermutigen, sich aktiv an demokratischen<br />

Prozessen zu beteiligen. Wer eine Regel bricht,<br />

muss sich dafür vor dem Justizkomitee verantworten. Von Fall<br />

zu Fall sind die Konsequenzen andere: Mal muss ein Kuchen<br />

gebacken, mal ein Raum geputzt werden, mal ein demoliertes<br />

Fahrrad selbst repariert werden. Durch diese Regeln geht es<br />

an Sudbury-Schulen durchaus sehr strukturiert zu. „Das Chaos,<br />

das Kritiker dort vermuten, habe ich nirgendwo gefunden!“,<br />

sagt die Münchner Pädagogin Monika Diop-Wernz. Sie wollte<br />

es genau wissen, wie dieses Konzept funktioniert und hat<br />

sich auf die Reise gemacht zu den Sudbury-Schulen der Welt.<br />

Lernen – ganz nebenbei<br />

Sie erlebte in den Schulen, wie die Kinder mehr oder weniger<br />

nebenbei die Grundfähigkeiten erwarben. „Ich habe kein Kind<br />

erlebt“, so Diop-Wernz, „und von keinem einzigen gehört, bei<br />

dem dies anders war – ausnahmslos!“ Der Pädagogik-Professor<br />

und Lernforscher Ulrich Klemm, der sich eingehend mit<br />

Sudbury beschäftigt hat, bestätigt, dass es weltweit keinen be-<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

129


Nur Backen oder Lernen: Hier wird nicht unterschieden. Das ist Projektlernen der feinen Art.<br />

kannten Fall von Analphabetismus bei Sudbury-Schülern gebe.<br />

Warum? Nur wer lesen kann, ist in der Lage, bei bestimmten<br />

Spielen mitzumachen. Nur wer schreiben kann, hat die Chance,<br />

aktiv an der Schulversammlung teilzunehmen, weil er vielleicht<br />

eine Regel ändern möchte. Und wer Backen oder mit Geld<br />

umgehen möchte, muss rechnen können. In dem Moment<br />

also, in dem ein Schüler eine bestimmte Fähigkeit für seinen<br />

Alltag braucht, entsteht ganz von alleine die Motivation, sich<br />

diese anzueignen – so zeigt es die jahrzehntelange Erfahrung.<br />

Und dabei ist es dann nicht mehr entscheidend, ob ein Kind<br />

mit fünf, sechs oder neun Jahren diese Fähigkeiten erwirbt.<br />

Der solcherweise angeeignete Lerninhalt bleibt der Idee nach<br />

letzten En<strong>des</strong> im Menschen ganz anders hängen als ein nur<br />

gepaukter „Stoff“.<br />

Bei den Schülern jedenfalls scheint das Konzept anzukommen:<br />

Diop-Wernz erzählt von Kindern, die mit Begeisterung<br />

in die Schule gehen, die traurig sind, wenn die Ferien beginnen<br />

und die ihre Tische mit Liebesbekundungen an ihre<br />

Schule verzieren.<br />

Jedoch kommt auch klassischer Unterricht an den Sudbury-<br />

Schulen vor, meist in Kleingruppen oder auf Eins-zu-eins-<br />

Basis mit einem Lehrer. Dies ist in der Regel dann der Fall,<br />

wenn ein Schüler einen staatlichen Schulabschluss machen<br />

möchte. Dann wendet er sich an einen Lehrer, hier Mitarbeiter<br />

genannt, und dieser unterstützt ihn anschließend dabei,<br />

sich den erforderlichen Stoff anzueignen.<br />

Von den Absolventen werden manche Handwerker, einige<br />

jobben eine Weile in Cafés, bevor sie sich entscheiden, andere<br />

gehen zur Universität. Eine Sudbury-Absolventin aus<br />

Maryland sagte: „Ich kenne niemanden von meiner Schule,<br />

der es nicht geschafft hat, auf ein ausgewähltes College oder<br />

die Uni zu kommen, wenn er es wirklich wollte.“<br />

Die Freiheit aushalten können<br />

Auch Schüler können an Sudbury-Schulen Unterricht geben.<br />

Diop-Wernz erzählt von einer chinesischen Sudbury-Schülerin,<br />

die auf den Golanhöhen in Israel Chinesisch-Stunden<br />

abgehalten hat; von einem Schüler in Jerusalem, der über<br />

ein Jahr lang einen Theaterkurs gegeben hat, der immer<br />

proppenvoll war; oder von einem Jungen in Fairhaven, der<br />

eine Reptilienshow veranstaltete, nachdem er ein Praktikum<br />

in einem Nationalpark gemacht hatte. „Es war ihm anzusehen,<br />

wie stolz er war.“<br />

Sie erzählt ferner von Sudbury-Schülern, die kleine Unternehmen<br />

gegründet und verschiedenste originelle Projekte<br />

ins Leben gerufen haben. Und sie erzählt auch von dem<br />

Scheitern, das die Schüler dabei oft erleben mussten und<br />

wie viel sie dabei gelernt haben. Der bequemste Weg sei<br />

das freilich nicht, sagt sie. Ganz im Gegenteil: Freiheit könne<br />

ganz schön fordernd sein. Wo einen niemand pusht, müsse<br />

man selbst durch seine Zweifel gehen und auch Langeweile<br />

aushalten. Am schwierigsten sei dies erfahrungsgemäß für<br />

Schüler, die zuvor eine Regelschule besucht haben und es<br />

gewohnt waren, dass andere für sie entscheiden.<br />

Generell sei es keine heile Welt, die man an den Sud bury-<br />

Schulen vorfindet, so Diop-Wernz. Die Gesellschaft mit ihren<br />

Themen dringe auch in diese Schulen ein. Vielleicht sogar<br />

ungefilterter als in andere, weil hier nichts zensiert wird.<br />

Was aber, wenn Schüler den ganzen Tag Computer spielen?<br />

An Sudbury-Schulen ist man überzeugt davon, dass Lernen<br />

immer stattfindet. Egal, ob jemand ein Buch liest, mit anderen<br />

diskutiert, Karten oder Theater spielt – er setzt sich damit<br />

auseinander, macht Erfahrungen. Und das gilt der Idee nach<br />

auch für den Umgang mit den Medien. Indem die Kinder die<br />

Möglichkeit haben, etwas vollkommen frei auszuprobieren,<br />

können sie demnach auch ein Gespür dafür entwickeln, was<br />

ihnen gut tut und was nicht. Sie sollen dadurch ihre eigenen<br />

Kräfte kennenlernen, um später die Herausforderungen <strong>des</strong><br />

<strong>Lebens</strong> besser und selbständiger meistern zu können.<br />

Und wie weit nutzen die Schüler tatsächlich die Möglichkeit,<br />

den Computer uneingeschränkt benutzen zu können? In der<br />

Anfangszeit sehr viel, erzählt Diop-Wernz. Aber mit der Zeit<br />

fände jeder seinen Weg, eigenverantwortlich damit umgehen<br />

zu können. Sucht in jeder Hinsicht, sagt sie, sei die Kompensation<br />

irgendeines Mangels. In einem gesunden sozialen<br />

Umfeld, in dem man sich frei entfalten kann, würden Süchte<br />

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BILDUNG | THEMEN<br />

wie eine Computersucht <strong>des</strong>halb gar nicht erst entstehen.<br />

Dass die Sudbury-Schulen mit ihrem Konzept anecken, ist<br />

verständlich. „Aber später haben die Kinder doch auch nicht<br />

solche Freiheiten!“, wenden Kritiker ein. Monika Diop-Wernz<br />

hält dagegen: „Es ist ja nicht zwingend, dass unser Arbeitsleben<br />

von Stress bestimmt ist! Das Leben muss nicht hart<br />

sein! Auffallend viele Ehemalige sind heute Unternehmer<br />

und bestimmen auch weiterhin über ihren Arbeitstakt und<br />

ihre Arbeitsmethoden selbst. Allgemein sind die Sudbury-<br />

Absolventen, die ich kennengelernt habe, keine Träumer,<br />

sondern sehr realistisch und bodenständig, dabei aber offen<br />

und respektvoll gegenüber verschiedenen Wegen.“<br />

In Deutschland vor Gericht<br />

Die erste Sudbury-Schule wurde vor über 50 Jahren im Sudbury-Valley<br />

in Massachusetts gegründet. Seitdem entstehen<br />

weltweit immer neue Schulen – insgesamt sind es etwa 70. In<br />

Deutschland gibt es in mehreren Städten Initiativen, welche<br />

die Gründungen von Sudbury-Schulen vorbereiten. Eine Genehmigung<br />

zu bekommen, ist schwer. Immerhin: Vor zehn<br />

Jahren wurde die Neue Schule Hamburg als erste deutsche<br />

Schule, die sich an Sudbury orientiert, eröffnet.<br />

2014 erhielt außerdem in Dießen am Ammersee eine Sud bury-<br />

Schule die Genehmigung für zwei Jahre. 2016 wurde diese<br />

jedoch vom bayerischen Kultusministerium nicht verlängert.<br />

Die Begründung <strong>des</strong> Staates: Es sei nicht genug gelernt<br />

worden. Die Schule kontert, sie habe ihre beiden Auflagen,<br />

nämlich wissenschaftliche Begleitung und Dokumentationen<br />

über die Entwicklung der Schüler, erfüllt. Sie hat gegen<br />

ihre Schließung geklagt. Der Prozess läuft noch und hat sich<br />

bereits als äußerst schwierig entpuppt. Wie kann ein Lernerfolg<br />

gemessen und bewertet werden? Dies ist dabei die<br />

Kernfrage. Wenn ein Schüler zuvor Schulverweigerer war<br />

und wieder gerne in die Schule geht; wenn jemand vorher<br />

Ritalin nehmen musste und anschließend wieder konzentriert<br />

seinen Leidenschaften nachgehen kann; oder wenn jemand<br />

das Leben und die Schule als sinnlos ansah und dann wieder<br />

Lernfreude entwickelt – all dies sieht die Schule als großen<br />

Lernerfolg an. Ob dem Gericht und letztlich dem Staat solche<br />

Argumentationen ausreichen, bleibt eine spannende Frage.<br />

Denn wie auch immer man das Sudbury-Konzept in seiner<br />

Radikalität bewertet – die Antwort wird zukunftsweisend für<br />

unsere Schulkultur als Ganzes sein.<br />

sudbury.de | sudbury-schule-ammersee.de<br />

Interviews mit Sudbury-Schülern:<br />

sudbury-schools-interviews.com<br />

ALRUN VOGT<br />

ist fixe Redakteurin seit dieser Ausgabe. Deshalb bei Ihr wie bei mir<br />

keine Autorenangabe.<br />

Kein’ Bock auf<br />

Plastik im Biomüll.<br />

*auch kompostierbare Plastiktüten<br />

dürfen nicht in die biotonne.<br />

www.wirfuerbio.de<br />

Eine Initiative der norddeutschen Abfallwirtschaftsbetriebe.<br />