Jörg
Friedrich
pfp archi
tek
turen
works
1986 – 2022
Herausgegeben
von Ivana Paonessa
Vorwort
Ivana Paonessa 7
Museo Immaginario 9
SECA, Hamburg 10
BMZ, Bonn 12
Gästehaus der Oberpostdirektion, Neuss 14
Spiegel-Gebäude „Ericusspitze“, Hamburg 16
Lohmann-Haus, Münster 18
Die bebaute Elbe, Hamburg 20
Gedenkstätte, Torgau 22
Biosphäre, Potsdam 24
Theatersaal Elementtyp, Hamburg 26
Dreifachsporthalle, Münster 28
Handelskammer, Hamburg 30
Hans-Sachs-Haus, Gelsenkirchen 32
Wohnbebauung Bavaria-Gelände, Hamburg 34
Hochhaus, Shanghai 36
Philharmonie, Nürnberg 38
Kuppelsaal, Hannover 40
Kunst der Spannung Die Kunst der Spannung 43
Horst Bredekamp
Justizakademie, Recklinghausen 48
Gästehaus der Oberpostdirektion, Neuss 58
Zentrale Hauptverwaltung der Stadtwerke,
Witten an der Ruhr 64
Neues Theater, Erfurt 74
Schauspielhaus und Kammerspiele,
Staatstheater, Nürnberg 86
Centro Congressi, Padua 94
Poesie und Ratio Die Träume der Vernunft – Poesie und Ratio 105
Dieter Bartetzko
Offizierschule des Heeres, Dresden 110
Mensa und Auditorium Maximum, Flensburg 120
Museo Nazionale dell’Audiovisivo, Rom 130
Dreifachsporthalle, Münster 132
Landesgymnasium St. Afra, Meißen 138
Schulzentrum Garaventa-Don Gallo, Genua 144
Angemessenheit Die Kunst der Angemessenheit 156
Dirk Meyhöfer
Wohnungsbau am Kaiserkai, Hamburg 162
Elbcampus, Kompetenzzentrum der Handwerkskammer, Hamburg 168
Wohnbebauung Bavaria-Gelände, Hamburg 180
Theater, Gütersloh 184
Schauspielhaus, Düsseldorf 196
Baakenhafen, Hamburg 206
Mainfrankentheater, Würzburg 212
2 Inhalt
Die soziale Moderne Hommage an das Alter – und die Moderne 215
Niklas Maak
Altenpflegezentrum,
Kindergarten und Altenwohnanlage in St. Loyen, Lemgo 218
Eweiterung einer Wohnanlage in der Jarrestadt, Hamburg 230
Altenpflegezentrum, Sangerhausen 238
Klinikum mit Erinnerungsstätte der ehemaligen liberalen Synagoge,
Darmstadt 242
Rebstockschule, Frankfurt am Main 252
Refugee Islands, vor Lampedusa 266
Post-Covid-City, Hamburg 268
Das Maschinenherz Das Maschinenherz schlägt wieder 273
schlägt wieder
Falk Jaeger
Konzertraum Ensemble Resonanz, Hamburg 278
Kraftwerk Mitte, Dresden 284
Volkstheater, München 296
Konzerthaus, München 300
Planetarium, Hamburg 308
Laboratorio Laboratorio 313
Ivana Paonessa
Stadthalle im Stadtpark, Hamburg 316
Generalsanierung Staatstheater, Karlsruhe 317
Wohntürme HafenCity, Hamburg 318
Kuppelsaal, Hannover 320
Wohnen im Baakenhafen 90a, Hamburg 322
Quartier Elbbrücken, Hamburg 323
Stadtische Bühnen und Erweiterung Werkstattgebäude,
Frankfurt am Main 324
Historische Reithalle und Konzerthaus, Eutin 326
Zentrum für Ressourcen und Energie, Hamburg 328
Stadttheater, Amberg 332
Haus des Wissens, Bochum 333
Volkstheater, Rostock 334
Hörsaal und Veranstaltungszentrum, Bremen 336
Theaterhaus, Stuttgart 337
Campus Charité, Berlin 340
Junge Bühne, Dortmund 341
Quartier 65, Nördliche Hafeninsel, Stralsund 342
Komische Oper, Berlin 343
Anhang Dank 346
Preise und Auszeichnungen 347
Literatur 348
Abbildungsverzeichnis 348
Biografien 350
Impressum 352
3
Vorwort
von Ivana Paonessa
„Was aus der Erfahrung im Leben in Italien, im Süden, weiterwirkt, ist die
Freude am Zulassen der Andersartigkeit, der Individualität. Erst dann bekommt
das rationale Konzept von Architektur und Raum seine Dialektik
und seinen Bezug zur Realität. Wirklichkeit, das ist dann auch: die Lust
am Leben zuzulassen genauso wie in der Architektur, die Freude am Licht,
die Freude an der Farbe, die Freude am Raum, die Freude am Material, die
Freude am spielerischen Herantasten an architektonische Prozesse. Die
Freude an der Begegnung, am Einbeziehen des Andersartigen, davon zu
lernen, als Stimulans: den Anderen als Bereicherung und nicht als Konkurrenz
zu sehen. Daraus resultiert die Begeisterung für die Architektur.“ 1
Jörg Friedrichs Architektur hat ihren Ursprung in der analogen Zeit, in der
die Architekturentwurfsprozesse und die mit ihr einhergehende idealistische
Sicht auf die Welt noch mit Bleistift auf dem Papier − per Hand − visualisiert
wurden. Die digitale Revolution brachte neue Formen der Kommunikation
einschließlich neuer Perspektiven in die Welt. Eine kopernikanische
Revolution, in der sich der Bleistift zu einer virtuellen Darstellung der Realität
entwickelt, die als Interaktion verschiedener Orientierungen erlebt
wird. In Jörg Friedrichs Werken werden beide Entwurfsmethoden und ihre
Mittel, das Alte und das Neue, miteinander vereint, ohne dass ein Widerspruch
daraus entsteht.
Ziel dieses Buches ist der Versuch, einen Überblick über Jörg Friedrichs
architektonische Erfahrungen zu geben, keine Bilanz seines Werkes. Es
geht mehr darum, seine Haltung in der Auseinandersetzung mit der nachmodernen
Architektur zu beschreiben, die sich oft zwanghaft dazu verpflichtet,
sich um jeden Preis neu zu erfinden und immerzu spektakulär
zu sein sucht. In dieser Atmosphäre des Drangs, der im Wesentlichen auf
Staunen und Exzess beruht, entfaltet sich die Essenz vieler moderner Gebäude,
die sich der Logik des Marktes und des Konsums unterordnen müssen,
oft in dissonanter Beziehung zum genius loci. In der Tat führt die zunehmende
Selbstreferenzialität der gegenwärtigen architektonischen
Szene dazu, dass gesellschaftliche Fragen bei der Errichtung von Gebäuden
in den Hintergrund treten.
In Jörg Friedrichs Architektur jedoch zählt nicht nur der ästhetische Wert.
In seiner Vision versucht er, die soziale Kraft zu beachten, die als Beitrag
notwendig ist, um mit planerischen Mitteln die vorherrschende Ungleichheit
in der Gesellschaft zu verringern.
Inspiriert vom italienischen Rationalismus hat Jörg Friedrich seinen wesentlichen
Bezugspunkt in der Tradition der Moderne gefunden. Seine
Werke transportieren bei aller Ernsthaftigkeit stets auch eine gewisse
Leichtigkeit und vor allem ein historisches Bewusstsein für den Ursprungsort,
an welchem sie entstanden sind. Seine Devise ist, dem Raum eine Individualität
zuzugestehen und etwas Neues hinzuzufügen, ohne das Alte zu
besetzen. In seinen Entwürfen ist die kontinuierliche Spannung zwischen
einer linearen Architektur und dem Drang spürbar, sich der Starrheit einer
vorgegebenen Ordnung oder Typologie zu widersetzen. Permanent wird
der Versuch erkennbar, im Entwerfen ein Gleichgewicht zwischen einer stilistischen
Strenge und einer Leichtigkeit im materialen Raum, am atmosphärisch
aufgeladenen Ort herzustellen. Das Streben nach einer formalen
Eleganz, die Verweigerung des Ornaments und die fließenden Übergänge
zwischen dem Innen und dem Außen sind allgegenwärtig.
5
Auf der Spur der architektonischen Linien des Rationalismus kreiert Jörg
Friedrich humane Orte, an denen Sozialisierung und Begegnung möglich
sind. Dabei bezieht er sich auf die italienische piazza, auf das Forum Romanum.
Er sucht den Ort der Begegnung im Inneren, entlang der Weite von
Foyers, in breiten Korridoren, die sich wie Straßen anfühlen, in Wintergärten
und Gängen. All dies sind architektonische Typologien, die Begegnun-
Justizakademie des Landes Nordrhein-West falen
Gustav-Heinemann-Haus Recklinghausen 1990
Kurz nach dem Studium – voller Elan, jedoch unerfahren – einen Wettbewerb
zu gewinnen und eine große öffentliche Akademie im Ruhrgebiet
planen und bauen zu können, ist der Traum eines jeden jungen
Architekten. Inmitten der damaligen Leere der umgebenden grünen
Wiesen gelegen, mit weitem Blick über die Schornsteine der Industrieruinen,
hat Jörg Friedrich die Justizakademie in Recklinghausen als
eine Art italienisches „Landschaftsschlösschen der Moderne“ konzipiert.
Streng komponiert und geometrisch gefasst werden die einzelnen
Nutzungsbereiche wie Säle, Mensa, Bibliothek und Wohnungen durch
die genau einhundert Meter lange Erschließungsdiagonale, die das quadratische
Bauwerk prägt: eine Utopie autonomer Architektur in endloser
Landschaft. Dreißig Jahre später ist die freie Fläche mit hässlichen
Nutzbauten zugestellt. Der einst in die Leere der Umgebung sorgsam
hineinkomponierte Bausolitär verschwindet heute im Teil einer „zeitgenössischen
Stadterweiterung“, ohne Landschaft, ohne alles.
48
Die Kunst der Spannung
49
Justizakademie des Landes Nordrhein-West falen
Gästehaus der Oberpostdirektion Neuss 1991
Der Neubau des Studentenwohnheims der Oberpostdirektion steht auf
geschichtsträchtigem Boden, auf den Fundamenten des alten römischen
Legionslagers in Neuss. Das Wohnheim ist − parallel zur denkmalgeschützten
„Fernmeldeschule“ von Hans Schwippert − in zwei viergeschossige
Gebäudeteile gegliedert und in eine großzügig gestaltete
Gartenlandschaft eingebettet. Zusammenfassendes Element der beiden
Gebäudeteile ist die intime, beinahe südländisch anmutende lichtdurchflutete
Wohngasse. Sie ist überglast und zeichnet den Verlauf
der alten römischen Lagerstraße nach. Links und rechts davon liegen
die Studentenappartements, mit vielfältigen Blicken hinunter in den neu
überformten antiken römischen Gassenraum.
Lageplan des Neubaus in Bezug zum antiken Castrum Romanorum
58
Die Kunst der Spannung
59 Gästehaus der Oberpostdirektion
70
Die Kunst der Spannung
76
Die Kunst der Spannung
77
Neues Theater
88
Die Kunst der Spannung
89
Schauspielhaus und Kammerspiele
98
Die Kunst der Spannung
99
Centro Congressi
Die Träume der Vernunft –
Poesie und Ratio
Dieter Bartetzko
Der Architekt Jörg Friedrich
Den noch immer von Mussolinis Schatten verdunkelten Giuseppe Terragni
als Leitbild eigenen Schaffens zu wählen, ist für einen Architekten
heute noch nicht selbstverständlich, aber immerhin denkbar. Doch Goya?
Was hätten dessen Spätbarock und frühromantisch überbordende Realismen
und Schreckensvisionen mit heutiger Architektur zu schaffen? Wie
Jörg Friedrich diese beiden Gegensätze in sich vereinen und sogar in Bauwerke
umsetzen kann, ahnt man beim Begutachten seiner Zeichnungen
und Computersimulationen. Rubinrot glüht da der Kubus des Stadttheaters
Gütersloh (1995), vergittert mit grazil- unnachgiebigen Stahlstreben
scheint er und lässt die mörderischen Nächte der Lady Macbeth assoziieren
oder Goyas nachtschwarze Cappriccios. Einen Terragni, in dem noch
Sant’Elias Futurismen nachfiebern, meint man in der Entwurfsskizze (1991)
der Zentralredaktion und Hauptverwaltung des SPIEGEL in Hamburg zu erkennen,
den gläsernen Zylindern, in denen Rampenspiralen förmlich vor
Höhendrang vibrieren.
Die Utopie des Opernhauses Linz (2001) – ein nächtliches Werkmassiv,
gekrönt von einer selbstleuchtenden, scharf umrissenen Gralsburg,
unten öffnet sich, mit rotviolett flackernder Rückwand, ein moderner
Einfall zu Wagners Venusgrotte oder wie eine kolorierte und
transparente Variante von Terragnis numinosem Entwurf eines Danteums.
Linz, wo Jörg Friedrich die Besucher durch den Berg – eine
suggestive Inszenierung schon vor der eigentlichen Vorstellung –
hinauf in die Oper geschickt hätte, ist ein Traum geblieben. Er bedauert es
noch heute. Und auch die für dergleichen Magie unempfindliche Jury des
Wettbewerbs müsste diese Entscheidung inzwischen bedauern. Einen anderen
Traum hat er verwirklichen können. Eigentlich sind es zwei, die jeder
Architekt träumt, den vom Hochhaus nämlich und den vom Bauen in transkontinentalen
Ländern: Jörg Friedrich gewann 1999 einen Wettbewerb für
ein Hochhaus in Shanghai. Wie eine Skulptur türmt es sich im Modell, ein
Röhrensystem, nach oben gestemmt und in der Schwebe gehalten von rasant
einwärts gebogenen Trägern, gepresst gegen eine Hochhausscheibe,
die wie eine giganteske Ausnüchterungszelle den Exaltationen ringsum
Einhalt gebietet und Halt gibt.
106 Poesie und Ratio
Rauschhaftes also, Goya als ein Grundelement der Architektur von Jörg
Friedrich, die wiederum gebändigt wird durch eine Rationalität, wie sie
sich der Schwärmer Terragni selbst auferlegte. Davon zeugen die Bilder,
die Visionen, die Computerillusionen. Doch dann steht man vor Friedrichs
funkelnagelneuem Sportzentrum in Münster, sieht einen gläsernen, spiegelnden,
längsrechteckigen Kubus, in den sich ein Zinkblechdach erst einund
dann nach oben auswölbt wie eine gigantische Amöbe – und tippt
spontan auf zweite Moderne, die mit dem aktuellen Biomorphismus kokettiert.
Poesie oder Prosa? Hier die Träume, scheinexistent dank Virtualität,
da die raue Wirklichkeit realen Bauens für knapp kalkulierende Bauherren?
Die Gedanken sind frei, die Bauherren nicht? Es wäre ein Wunder,
spielte dies im Schaffen Jörg Friedrichs nicht auch eine Rolle. Doch sein
Vermögen, Ideale in die Realität hinüberzuretten, offenbart sich im Detail.
Münster zum Beispiel: Die Großform folgt – und warum auch nicht?
– dem derzeit Gängigen, wie es die Messe- und Flughafenhallen eines Nicholas
Grimshaw oder von Bothe Richter Teherani kennzeichnet. Über die
außergewöhnliche individuelle Qualität entscheiden die Einzelheiten: die
perfekten Maße und Proportionen des Sprossengerüsts am Außenkörper,
das spannungsvolle Gleichgewicht von Lasten und Schweben der Dachkonstruktion,
das Innere, in dem die Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit von
Turnhallen aus denselben Materialien und Konstruktionen erwachsen, die
in anderen Verwaltungs- und Aufenthaltsräumen eine bergende, fast japoneske
Atmosphäre von Gediegenheit und Eleganz entfalten. Wie die
Pioniere der Moderne – Behrens, der in seiner Berliner Turbinenhalle mittels
industrieller Materialien Tempel und Fabrik vereinte; Gropius, dessen
Bauhaus Montage- und Festhalle zugleich ist – beherrscht Friedrich
die Kunst, Zweck- und Sachform, Funktion und Dekoration auseinander
hervorwachsen zu lassen und sie, je nach Bedarf, auch zu vereinen oder
zu scheiden. Damit geht dieser Architekt jenen funktionsästhetischen
Schleichpfad der klassischen Moderne, den ihre Gegner, von den Traditionalisten
der 1920er Jahre bis zu den heutigen Fanatikern der sogenannten
Retroarchitektur, als Sackgasse diffamieren. Vom „Spannungsbogen
zwischen Rationalität und Irrationalität“, unter dem Terragni gestanden
habe, hat Jörg Friedrich 1999 geschrieben. Für sein eigenes Bauen gilt das
Prinzip der reinen Rationalität, die, wo es nötig und angemessen ist, Poesie
schafft. Was beim eben erwähnten Münsteraner Sportzentrum sich
auf den zweiten Blick erschließt, springt beim 2001 vollendeten Ensemble
aus Audimax und Mensa der Universität in Flensburg ins Auge: Ein
weit vorkragender Baldachin vor einer konvexen Glasfront, getragen von
waghalsigen schlanken und hohen Rundpfeilern, bildet dort eine veritable
Schaufront. Konditioniert vom Medienrummel, der uns die Bauten und stilistischen
Eigenarten einiger weniger Stararchitekten einbläut, assoziieren
wir bei den Flensburger Pfeilern unwillkürlich die Capricen des Bonner
Kunstmuseums von Axel Schultes oder seine Loggien am Berliner Kanzleramt.
Doch eingehender betrachtet beweist das Audimax, dass Friedrich
Manns genug ist, dem populären Motiv eigene Akzente abzuringen.
Zwanglos, leger fast sind bei ihm die Stützen verteilt, die in Bonn einen exaltierten
Ausdruckstanz vollführen. So vertragen die disziplinierten und
doch entspannten Flensburger Bauten auch die untergründig dramatischen
Effekte, die, sichtlich von Terragni inspiriert, von abschnittsweise
angeordneten Stufenfolgen und Podesten ausgehen, mit denen Friedrich
die leichte Hanglage der Baugruppe ausgeglichen hat.
Im Internat St. Afra in Meißen hat er 1998 dem Bauhaus seine Reverenz erwiesen:
Kuben, die sich trotz rechtwinkliger Starre fügsam einem Hang anschmieden,
Mondrian-Farbquadrate, Wandflächen und -öffnungen, die
willig dem Stand der Sonne folgen und doch eigenwillige architektonische
Kompositionen sind, lichte weite und intim bergende Räume. Es ist, als
seien Dessaus Meisterhäuser nach Meißen transloziert, näher zusammengerückt
und in ihrer Öffnung für die Jugend aus der Isolation der eigenbrötlerischen
Bauhäusler erlöst worden.
Das respektvolle und doch selbstbewusste Anknüpfen an die Klassiker der
Moderne prägt schon die frühen Bauten Friedrichs wie beispielsweise das
Gästehaus der Oberpostdirektion Düsseldorf in Neuss. 1985 gewann er den
Wettbewerb, zu einer Zeit, als die Postmoderne in Hochblüte stand. Das
„Herstellen eines geschichtlichen Spannungsbogens“ nannte der 34-Jährige
sein Hauptziel. Doch da war nichts von jenen überschwänglichen Zitaten,
die seine architektonischen Zeit-und Altersgenossen so oft anwandten.
Dabei war die Versuchung groß: Das Baugelände erstreckt sich auf
dem Areal eines römisch-antiken Castrums, von dem stattliche Überreste
ausgegraben und konserviert wurden. Anderen hätte dies damals den Freibrief
für antikisierende Ziegelverbände, Zinnen und Türme bedeutet. Friedrich
dagegen betonte, ohne das römische Erbe außer Betracht zu lassen,
die gestalterische Verantwortung, die ihm die benachbarte pädagogische
Hochschule von Hans Schwippert auferlegte.
Dessen Ordnungsprinzipien und die des Legionärslagers aufgreifend,
reihte Friedrich zwei Längstrakte, die, die Stirn einander zugewandt, dem
Lauf römischer Straßen und dem Axialsystem des Castrums folgten. Römisches
klingt auch in der klaren Fassadengliederung mit ihren exakt gereihten,
je nach Bedeutung und Aufgabe unterschiedlich großen Fenstern
an, die über rhythmisch wechselnden Öffnungen und pfeilartigen Wandabschnitten
aufsteigen. Mit weiten Panoramafenstern, Terrassen und Innenhöfen
mit Außenkontakt wiederum griff Friedrich Schwipperts Gewohnheit
auf, Architektur in die umgebende Landschaft ausgreifen zu lassen.
107 Die Träume der Vernunft
Die unbeirrbar schnurgerade Straße, der Schlüsselbegriff römisch- antiken
Bauens, verbunden mit Schwipperts Ideal der lichten Weite schier unbegrenzter
Räume prägen den Innenausbau. Langgestreckte Flure, dank
durchlaufender gläserner Satteldächer wie unter freiem Himmel, stehen
für Ersteres, zwangslos daran anschließende Hallen, Treffpunkte, Plätze
prolongieren die Schwippertschen Prinzipien.
Offizierschule des Heeres Dresden 1998
„‚Architektur der Wege‘ nannte Jörg Friedrich 1995 seinen Entwurf für
die ‚Offizierschule des Heeres‘ in Dresden. Ein maßlos untertreibender
Name. Denn es ging darum, inmitten einer fast vollständig erhaltenen
Kasernenstadt des Spätklassizismus – eine Kostbarkeit im entsetzlich
kriegsversehrten Dresden – neue Bauten aufzurichten, die, bei gleichzeitig
ausgeprägter Individualität, sich nicht nur dem Altbaubestand
unterwerfen; eine ‚Stadt in der Stadt‘ entsteht, offen im Gegensatz zu
den historischen; transparent, ja fast verletzbar durch weitgespannte
Glasflächen, im Äußeren dominiert von warmtonig-hölzernen Paneelen
und Lamellen, deren haptische und taktile Freundlichkeit das architektonischen
Äquivalent zum Bild vom ‚Bürger in Uniform‘ ist. Die Grundfigur
der Neubauten beruht auf dem vorgefundenen bipolaren Verhältnis
von freier Landschaft und geformter Bauwelt. In bewusster Abgrenzung
zur Großstadt Dresden nannte Friedrich seine Zweiergruppe aus Lehrund
Sportbauten eine ‚Akademie im Grünen‘. Wie das historische Quartier
– die Albertstadt – geprägt ist vom strengen Gegensatz gerasterter
Bauten und zwanglos terrassierter Heidelandschaft, ist auch das neue
Ensemble klar strukturiert und gleitet dennoch gleichsam rastend in die
umgebende Natur.“ 13
110
Poesie und Ratio
111
Offizierschule des Heeres
126
Poesie und Ratio
127
Zentraler Hochschulbereich, Mensa und Auditorium Maximum
Museo Nazionale dell’Audiovisivo Rom 2002
Der Palazzo della Civiltà Italiana ist ein Wahrzeichen des italienischen
Rationalismus. Er gilt seit 1941 als Ikone der Architektur des Novecento
Romano im Esposizione Universale di Roma (EUR), einem Neubauviertel
aus der Zeit der faschistischen Stadterweiterungen in Rom. Der
denkmalgeschütze Bau sollte zu einem Museo Nazionale dell’Audiovisivoumgebaut
werden. Außen wurde die charakteristische Fassade mit
Bögen und Arkaden behutsam und erhaltend saniert. Im Inneren erlebt
der Besucher im neuen fünfzig Meter hohen Vertical Tube das kühle, rationalistische
Architekturdenkmal über völlig neu konzipierte, zerrissene
Bewegungsabläufe nunmehr irrational, wild, bewegt, bildhaft. Dem mit
einer fragilen Schale überwölbten Sockel werden alle Stützen, sozusagen
das Fundament genommen: für den Besucher eine Zeitreise.
130
Poesie und Ratio
131
Museo Nazionale dell’Audiovisivo
148
Poesie und Ratio
BA
BA
BA
Wohnbebauung Bavaria-Gelände in St. Pauli Hamburg 2008
EG
RG
4. OG
180
Angemessenheit
6. OG
Genossenschaftliches Wohnen an der Hamburger Reeperbahn kann
zum Zukunftsmodell für bezahlbaren Mietwohnungsbau werden: Vier
schlanke Baukörper definieren skulpturenartig Freiraum und Gebäude
zum Straßenbereich, führen hinein ins ruhige, neue Bavaria-Viertel und
differenzieren sich in den Obergeschossen zu Wohnungen mit vielen
geschützten Dachterrassen. Unterschiedliche Wohnungsmischungen
von Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen in den vier Häusern ist das Konzept,
innerstädtisches Wohnen mit größtmöglichem privaten Freiflächenanteil
ist das Ziel. Holz als Baustoff für die Fassade steht für ein Experiment
im kostengünstigen innerstädtischen Geschosswohnungsbau – und
für bezahlbare Mieten in neuer Architektur.
181
Bavaria-Gelände in St. Pauli
Schauspielhaus Düsseldorf, Sanierung Großes Haus und Foyer
Düsseldorf 2011
EG Foyer
PFP PLANUNGS GMBH HAMBURG
DSH2010 Düsseldorfer Schauspielhaus
1 : 500 15.04.2011
1. OG
PFP PLANUNGS GMBH HAMBURG
DSH2010 Düsseldorfer Schauspielhaus
1 : 500 15.04.2011
196
Angemessenheit
2. OG
Die Kritik am asbestverseuchten Großen Saal und am Foyer des denkmalgeschützten
Düsseldorfer Schauspielhauses von Bernhard Pfau aus den
Siebzigerjahren ist bekannt: Schönes Haus, aber ökologisch, akustisch
und theatertechnisch heute leider nicht mehr funktionsfähig − also Abriss.
Dieser wird der Stadt jedoch erspart durch die Entwicklung von neuen
mehrschaligen Raumsystemen für die Aufrüstung und Sanierung des
Großen Theatersaales. Das Sanierungskonzept für das Schauspielhaus
ist im „Laboratorio“ entstanden: eine durch Schalen erzielte Trennung der
wohlproportioniert gestaltbaren optischen Wahrnehmungsräume von
den physikalisch notwendigen, aber ungestaltbaren akustisch erforderlichen
Hörräumen großer Theatersäle. Jahrelange akustische Experimente
von pfp mit mehrschaligen Raumsystemen führten schließlich zur
Düsseldorfer Lösung.
PFP PLANUNGS GMB
DSH2010 Düsseldorfer Sc
1 : 500
248
Die soziale Moderne
260
Die soziale Moderne
261
Rebstockschule
Kraftwerk Mitte Dresden 2016
EG
1.OG
1:600 KKM13_Kulturkraftwerk 1:600
Dresden
KKM13_Kulturkraftwerk Dresden
EG und 1. OG
Die Industriebrache im zentrumsnahen Bereich: Ein riesiges, stillgelegtes
Kraftwerkareal mit nunmehr denkmalgeschützten Maschinenhallen und
Turbinen häusern wurde städtebaulich saniert, umgebaut und erweitert
zu einer hoch modernen Theaterspielstätte. Vier neue Theater mit Probebühnen
und Werk stätten konnten in den alten Fabrikhallen entstehen. Das
Kraftwerk Mitte ist ein einmaliges Theaterprojekt, in dem die Theatergeschichte
der DDR- Kultur mit der „Staatsoperette“ und dem „Theater
Junge Generation“ sichtbar weiter geführt wird: Ein großer Saal entsteht
für 750 Zuschauer der Staatsoperette, in zwei weiteren Sälen und
einem Puppentheater für über 600 Zuschauer wird Theater für Kinder
und Jugendliche gespielt. Parallel dazu wurde von pfp in Dresden- Cotta
ein neues Werkstatt- und Probenzentrum entworfen, für beide Häuser
gemeinsam.
Das Kraftwerk Mitte ist als generationenübergreifender Theater neubau
in Europa ein spannendes Sanierungsexperiment, das über Dresden hinaus
wirkt. Alte und junge neue Publikumsschichten zu erreichen und
bereits frühzeitig gemeinsam an Theaterkultur zu binden, ist der Wunsch.
Der Theaterneubau in einem sanierten Kraftwerksareal im Zentrum von
Dresden ist im baulichen Experiment des räumlichen Neben- und Übereinanders
von Altem und Neuem eine städtebauliche, architektonische und
künstlerische Herausforderung.
284
Das Maschinen herz schlägt wieder
285
288
Das Maschinen herz schlägt wieder
289
Kraftwerk Mitte
302
Das Maschinen herz schlägt wieder
303
Konzerthaus München
Campus der Charité Berlin 2020
Der Krankenhausbetrieb der Charité zeigt sich zur Stadt hin in einem
zukunftweisenden, medizinischen Forschungsbau, der sich über einem
neuen Eingangsplatz erhebt. Die urbane Baulücke an der Invalidenstraße
wird zu einem weithin sichtbaren Zugangsportal zum verzweigten Charité-
Gelände entwickelt. Sie wird als Straßen- und Platzraum öffentlich durchgängig
gemacht und als markanter Baustein in einen stadtseitigen Zugang
für Besucher, Patienten, Studenten, Wissenschaftler und das Personal
transformiert.
340
Laboratorio
Junge Bühne Dortmund 2020
Der Neubau der Jungen Bühne komplettiert den Gedanken der Vernetzung
spartenübergreifender Konzepte vom modernen Theater, indem
alle Theaterformen nah beieinander gelegen in einem einzigen, lange
gewachsenen Gebäudeensemble erlebbar gemacht werden: Einmalig
ist der zentrale Standort in der Innenstadt von Dortmund gelegen, eingebunden
in den öffentlichen Nahverkehr − Theaterkultur für alle inmitten
der bestehenden Stadt. Der neue Kopfbau formuliert zur Hövelstraße hin –
nach Westen über das neue „Theaterschaufenster zur Stadt“ (ähnlich dem
Opernfoyer im Osten) – einen deutlich sichtbaren Beginn oder Abschluss
des Theaterensembles, bestehend aus Junger Bühne, Schauspielhaus,
Oper und dem Probenzentrum. Das auskragende Theaterschaufenster
wird zum neuen Zeichen der Jungen Bühne im Stadtbild. Es könnte, völlig
unabhängig vom Theaterbetrieb, zusätzlich als neue Performancefläche
für eine neue Generation von Theaterbesuchern nutzbar gemacht werden.
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Anhang