Februar_2022
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24. Jahrgang<br />
<strong>Februar</strong> <strong>2022</strong><br />
2,10 €, davon 1,- €<br />
für den Verkäufer<br />
UNABHÄNGIGE STRASSENZEITUNG FÜR FREIBURG UND DAS UMLAND<br />
ZUR UNTERSTÜTZUNG VON MENSCHEN IN SOZIALEN NOTLAGEN<br />
STREETPEOPLE – BENJAMIN<br />
Homeless-Freiburg<br />
900 JAHRE ARMUT IN FREIBURG<br />
Armenwesen und Pflege in Freiburg (Teil 13)<br />
TRÜBE TAGE, RAUE NÄCHTE<br />
Obdachlos im November – ein Selbstversuch
INHALT<br />
3<br />
VORWORT<br />
23<br />
DIE MITMACHSEITE<br />
4<br />
RECHT AUF STADT<br />
24<br />
BUCHTIPP VON UTASCH<br />
6<br />
STREETPEOPLE<br />
25<br />
KOCHEN<br />
10<br />
900 JAHRE ARMUT IN FREIBURG<br />
26<br />
SPORT<br />
14<br />
IM GESPRÄCH MIT...<br />
28<br />
KRIMI 22. FOLGE<br />
18<br />
TRÜBE TAGE, RAUE NÄCHTE<br />
30<br />
RÄTSEL<br />
22<br />
VERKÄUFERVORSTELLUNG<br />
31<br />
ÜBER UNS<br />
OHNE IHRE UNTERSTÜTZUNG<br />
GEHT ES NICHT<br />
Liebe LeserInnen,<br />
um weiterhin eine<br />
interessante Straßenzeitung<br />
produzieren und Menschen<br />
durch ihren Verkauf einen<br />
Zuverdienst ermöglichen<br />
zu können, benötigen<br />
wir Ihre Hilfe.<br />
Vielen Dank!<br />
Spendenkonto:<br />
DER FREIeBÜRGER e. V.<br />
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und Ihre Anschrift für eine Spendenbescheinigung anzugeben.<br />
2<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
Liebe LeserInnen,<br />
ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe so<br />
langsam die Nase voll von dieser Pandemie. Dabei ist es<br />
ja nicht mal COVID an sich, es ist das ganze Drumherum,<br />
was mich so nervt. Der Virus ist nun mal da, da kann<br />
keiner hier etwas dafür, kein Politiker, keine Virologen<br />
und schon gar keine Ärzte! Die einzige Devise ist, sich und<br />
andere bestmöglich zu schützen. Und da im Moment das<br />
Impfen das wohl einzig einleuchtende Gegenmittel ist,<br />
sollten wir auch darauf zurückgreifen! Seit über einem<br />
Jahr werden in Deutschland nun Coronaimpfungen<br />
durchgeführt und seitdem ist zumindest die Anzahl der<br />
an Corona gestorbenen Menschen sehr niedrig gehalten<br />
worden. Das sagt doch eigentlich genug über Sinn oder<br />
Unsinn der Impfungen aus. Im Bundestag wird jetzt<br />
gerade über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert, doch<br />
ich bin mir nach wie vor sicher, dass Menschen, die klar<br />
denken und sich nicht von irgendwelchen Verschwörern<br />
und Panikmachern aufhetzen lassen, sich auch ohne<br />
Zwang impfen lassen.<br />
Doch ich kann nicht nachvollziehen, dass jeden Tag von<br />
neuem darüber diskutiert wird, was zu tun ist und was<br />
nicht und vor allem wenn jeden Tag etwas anderes bei<br />
den Überlegungen herauskommt. Sei es der Impfstoff an<br />
sich, die Impfpflicht oder wie lange eine Impfung denn<br />
nun schützt. Wenn man abends schlafen geht, weiß<br />
man nicht mit welchen Regeln und Bestimmungen man<br />
morgens aufwacht. Das alles nervt schrecklich und ganz<br />
nebenbei trägt es auch nicht wirklich zur Vertrauensbildung<br />
bei. Ich selbst bin dreimal geimpft und hoffe nun,<br />
dass ich meine Ruhe haben werde und ich wünsche mir,<br />
dass es jedem anderen auch so geht.<br />
Schlimm finde ich aber, dass es Menschen gibt, die gegen<br />
jede Vernunft alles (!) anzweifeln oder schlimmer, alles als<br />
Lüge darstellen. Von mir aus darf echt jeder seine Meinung<br />
haben und die darf er auch gern der Öffentlichkeit<br />
präsentieren, solange er damit niemandem wehtut oder<br />
sie mit Macht anderen aufzwingt. Denn das verstößt<br />
dann wirklich gegen Meinungs- und Redefreiheit und ist<br />
ein deutlich diktatorisches Verhalten! Und diese Queroder<br />
Leerdenker, Verschwörer und Flacherdler ziehen<br />
mit Schildern durch die Straßen, auf denen sie vor der<br />
Corona- und Impfdiktatur warnen, sämtliche öffentlichen<br />
Medien als Lügenpresse darstellen und die absurdesten<br />
Theorien über Gott und die Welt vorstellen. Die tun nicht<br />
einfach ihre Meinung kund, sie wollen bewusst mit Halbwahrheiten<br />
oder Lügen die Menschen verunsichern und<br />
in Angst versetzen.<br />
Ganz schlimm wird es dann, wenn sie alles was anders ist<br />
mit den Nazis und ihren Konzentrationslagern gleichstellen.<br />
Sich einen Stern auf die Jacke zu kleben, der denen<br />
der Judensterne im Nationalsozialismus fast gleicht,<br />
ist eine offene Verhöhnung all der jüdischen Opfer des<br />
deutschen Rassenwahnsinns! Wahrscheinlich wissen<br />
die meisten gar nicht, was auf ihren Plakaten steht, die<br />
hat ihnen vielleicht irgendein „Organisator“ in die Hand<br />
gedrückt und los gehts?!<br />
Auf jedem zweiten Plakat wird festgestellt, dass wir in<br />
einer Diktatur leben, in welcher, das wird unterschiedlich<br />
dargestellt. Da bin ich mir dann sicher, dass ein Großteil<br />
derer nicht wirklich weiß, was eine Diktatur ist und was<br />
es bedeutet, in einer zu leben. Gäbe es hier wirklich eine<br />
Diktatur, würde keiner von denen auf der Straße stehen<br />
und lautstark protestieren, da würde ein Polizeieinsatz<br />
völlig anders aussehen als das was momentan passiert.<br />
In einer Diktatur würde ein erheblicher Teil an Querdenkern<br />
für eine Weile inhaftiert und das einfach nur, weil<br />
sie mitgelaufen sind. Danach würden die meisten von<br />
ihnen nie wieder demonstrieren. In einer Diktatur gäbe es<br />
auch nicht die Möglichkeit, sich via Internet mit Gleichgesinnten<br />
zu verbünden. Und in einer Diktatur wären<br />
wahrscheinlich alle schon geimpft! An all das sollten die<br />
„friedlichen“ DemonstrantInnen doch bitte einmal denken,<br />
bevor sie den Begriff „Diktatur“ so inflationär benutzen!<br />
Traurig stimmt mich dabei, dass vor allem im Osten<br />
Deutschlands so viele mit den „Diktaturschildern“ auf die<br />
Straße gehen und „Wir sind das Volk“ skandieren. Wenn<br />
diese Menschen mal ein paar Minuten Zeit haben, sollten<br />
sie doch einmal die Diktatur, gegen die sie 1989 auf die<br />
Straße gegangen sind, mit der heutigen Regierung vergleichen.<br />
Wollen die das etwa wirklich gleichsetzen?<br />
Ein anderer Fall, der die Welt gerade beschäftigt, ist der<br />
von Julian Assange, den die Briten an die USA ausliefern<br />
sollen, damit er dann dort für 700 Jahre im Knast verschwindet.<br />
Was hat der noch verbrochen? Ach ja, der hat<br />
die Wahrheit über US-Militäreinsätze an die Öffentlichkeit<br />
gebracht. Doch wie der Fall Snowden schon zeigte,<br />
interessieren derartige Nachrichten in Berlin niemanden.<br />
Dabei hat Snowden sogar offengelegt, dass ein amerikanischer<br />
Geheimdienst uns Deutsche großflächig bespitzelt<br />
und das schon seit vielen Jahren. Damals sagte die<br />
Kanzlerin lapidar, das machen Freunde nicht untereinander<br />
und das war es dann auch schon. Ein Asylantrag von<br />
Snowden wurde abgelehnt. Jetzt geht es um Assange und<br />
wieder bleibt Berlin tatenlos. Warum schreitet unsere Regierung<br />
da nicht ein und hilft? Bei Nawalny haben sie es<br />
getan, der wurde hergeholt und hätte sogar noch länger<br />
hierbleiben dürfen...<br />
Für heute war es das mal wieder, wir wünschen Ihnen viel<br />
Spaß mit dem FREIeBÜRGER und bleiben Sie bitte gesund!<br />
Carsten<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 3
FREIBURG – STADT FÜR ALLE?!<br />
BAUT AUSSCHLIESSLICH SOZIALEN<br />
MIETWOHNUNGSRAUM!<br />
In ganz Deutschland haben zahlreiche Menschen Anspruch<br />
auf einen Wohnberechtigungsschein. Aber nur<br />
jedeR Zehnte bekommt auch eine Sozialwohnung. Das ist<br />
das Ergebnis einer Studie des Pestel Instituts.<br />
Bereits vor der Pandemie hätten die Wohnkosten vieler<br />
Haushalte bei mehr als 30 % des Nettoeinkommens gelegen.<br />
Gerade wenn man die aktuell stark steigenden Energiepreise<br />
als Teil der zweiten Miete und die Kurzarbeit<br />
während der Pandemie berücksichtigt, dürfte der Anteil,<br />
der vom verfügbaren Einkommen für das Grundbedürfnis<br />
Wohnen ausgegeben werden muss, weiter stark angestiegen<br />
sein. Zudem sind die VerbraucherInnenpreise von<br />
März 2012 bis Juli 2020 um 9,3 % gestiegen, die aktuell<br />
stark steigenden Preise sind noch gar nicht berücksichtigt.<br />
Die Mieten für Wohnungen mit einfachen Standards<br />
haben in diesem Zeitraum zwischen 25 % in Düsseldorf<br />
und 77 % in München zugenommen. Freiburg liegt bei<br />
über 50 % Steigerung. Die Sanierung in der Knopfhäuslesiedlung<br />
in der Wiehre, oder auch die anstehende Sanierung<br />
in der Sulzburger Straße in Weingarten, deren<br />
Verkauf zum Glück erst einmal verhindert werden konnte,<br />
oder der geplante Abriss im Metzgergrün in Haslach erhöhen<br />
deren bisher niedrigeres Preisniveau auf verheerende<br />
Weise.<br />
„Unter Berücksichtigung der regional unterschiedlichen<br />
Preisentwicklung im unteren Marktsegment des Mietwohnungsmarktes<br />
scheinen die über die vergangenen<br />
gut 20 Jahre erfolgten Verkäufe von mehr als 700.000<br />
Wohnungen durch Bund, Bundesunternehmen, Länder<br />
und Kommunen mehr denn je fragwürdig, denn die<br />
Kosten der Unterkunft sind aus öffentlichen Haushalten<br />
zu bestreiten“, so das Pestel Institut. Auch der fatale<br />
Einfluss des Staates auf die Wohnraumpolitik lässt sich in<br />
Freiburg gut mitverfolgen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben<br />
(BImA) will z. B. ihre Häuser im Stühlinger<br />
nahe dem Bahnhof in der Colmarer Straße abreißen und<br />
damit eine gewachsene BewohnerInnengemeinschaft<br />
zerstören, die Mieten von gut 7 Euro pro m² auf 10 Euro<br />
pro m² erhöhen und keine Sozialwohnungen bauen. Im<br />
Behördenareal verschwendet sie das alte Kreiswehrersatzamt<br />
als BImA-Verwaltung und lässt die zahlreichen<br />
Parkplätze ungenutzt, statt mit Wohnungen nachzuverdichten.<br />
Im Baugebiet Kleineschholz im Stühlinger wollen<br />
RECHT-AUF-STADT-NEWSLETTER<br />
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über„Recht auf Stadt“-Themen.<br />
info@rechtaufstadt-freiburg.de<br />
Homepage: www.rechtaufstadt-freiburg.de<br />
Weitere Infos: tacker.fr<br />
sich BImA und Bundesagentur für Arbeit nicht mit dem<br />
vom Gutachterausschuss ermittelten Grundstückswert<br />
zufriedengeben und verteuern damit schon mal präventiv<br />
das dortige Wohnen. Neubau kann nur für bezahlbaren<br />
Wohnraum sorgen, wenn er reguliert stattfindet, jenseits<br />
des Marktes und staatlichen Geldabschöpfens über hohe<br />
Erbpacht bzw. Grundstückspreise. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
für zeitgemäßes Bauen e. V. (ARGE) kam schon im<br />
Dezember 2020 zum Ergebnis, dass der Median der Erstellungskosten<br />
für Wohnraum in deutschen Großstädten bei<br />
ca. 3.800 Euro pro m² liege. Ein „frei finanziert“ errichteter<br />
Wohnungsbau ließe eine Kaltmiete von unter ca. 12,50<br />
Euro nicht mehr zu. Die stark gestiegenen Baupreise dürften<br />
den Wert noch einmal verteuert haben.<br />
Hauptsache bauen? Jede Wohnung hilft? – Nein! Auch<br />
die ARGE macht noch einmal klar, dass es den Sickereffekt<br />
nicht gibt. In der Theorie zieht ein wohlhabender Haushalt<br />
in den teuren Neubau und macht dafür eine größere<br />
Altbauwohnung im mittleren Preissegment frei, wo dann<br />
eine Familie einziehen kann, die zuvor beengt in einer<br />
billigen Wohnung gewohnt hat. Eine Studie des Bundesinstituts<br />
für Bau-, Stadt- und Raumforschung zeigt, dass<br />
gerade in angespannten Wohnungsmärkten die durch<br />
Neubau ausgelösten Umzugsketten schnell abreißen oder<br />
sich nur in einem Preissegment abspielen. Ein Umzug<br />
und kurzfristiger Leerstand sei zudem häufig mit einer<br />
Modernisierung verbunden, der die Miete in den ehemals<br />
preisgünstigen Wohnungen verteuere.<br />
Die Studie kommt zu der Bewertung, dass gerade auf angespannten<br />
Märkten der (sozial) geförderte Wohnungsbau<br />
ein effektives Instrument bleibt, um Haushalte mit<br />
geringen Einkünften mit Wohnraum zu versorgen.<br />
Für Freiburg muss es also heißen: 100 % statt 50 %<br />
sozialer Mietwohnungsbau in Neubau- und Nachverdichtungsgebieten.<br />
4<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
STADT-FÜR-ALLE-NACHRICHTEN ( RÜCKBLICK VOM 15. DEZ. BIS 15. JAN. )<br />
HARTZ IV: HEIZKOSTENZUSCHUSS AUCH FÜRS ZELTEN<br />
Obdach- bzw. Wohnungslose, die Hartz IV beziehen,<br />
haben im Winter Anspruch auf Beihilfen für Heizmaterial<br />
vom Jobcenter, auch wenn sie kein festes Dach über<br />
dem Kopf haben, sondern im Zelt übernachten. Das hat<br />
das Freiburger Sozialgericht entschieden. Das Jobcenter<br />
Emmendingen hatte dem Betroffenen den Zuschuss<br />
versagt, mit der Begründung, dass ein Zuschuss nur<br />
für die Beheizung einer Unterkunft im Sinne des Sozialgesetzbuches<br />
gezahlt werden könne. Ein Zelt sei keine<br />
solche Unterkunft. Das Sozialgericht sah das anders. Das<br />
physische Existenzminimum dürfe auch im Zelt übernachtenden<br />
Menschen nicht versagt werden. Nun muss<br />
das Jobcenter dem Kläger voraussichtlich bis Ende März<br />
monatlich einen Heizkostenzuschuss zahlen.<br />
[FR] STADT WILL GEGEN MIETWUCHER VORGEHEN<br />
Seit Anfang des Jahres kooperiert die Stadt Freiburg mit<br />
der Firma Mietenmonitor, um überhöhten Mieten auf<br />
die Schliche zu kommen. Die Mietpreisbremse greift bei<br />
Mieten, die 10 % über dem Mietspiegel liegen, hat aber<br />
viele Schwächen. So sind Neubauwohnungen, umfassend<br />
modernisierte Wohnungen und auch Wohnungen ausgenommen,<br />
bei denen die VormieterInnen schon die zu<br />
hohe Miete gezahlt hatten. Ab 20 % über dem Mietspiegel<br />
liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, ab 50 % ist es strafbarer<br />
Mietwucher. Die Stadtverwaltung hat angekündigt,<br />
mit den Informationen, die sie vom Mietenmonitor erhält,<br />
die betroffenen VermieterInnen zunächst anzuschreiben,<br />
um auf eine Senkung der Miete hinzuwirken. Gelingt dies<br />
nicht, werde die Stadt in geeigneten Fällen ein Bußgeldverfahren<br />
einleiten, wie es schon bei illegal vermieteten<br />
Ferienwohnungen der Fall sei. Im Falle von Mietwucher<br />
wollen man die verfügbaren Informationen an die<br />
Staatsanwaltschaft weiterleiten. In Freiburg sollen etwa<br />
die Hälfte der Wohnungen gegen die Mietpreisbremse<br />
verstoßen.<br />
[FR] PARKEN OHNE TICKET LOHNT SICH<br />
In Freiburg lohnt es sich finanziell, kein Parkticket zu<br />
lösen. Zu diesem Ergebnis kommen Mobilitätsforscher.<br />
Untersucht wurde das Verhältnis von Parkverstößen,<br />
Kontrolldichte, Ticketpreisen und Bußgeldern. Selbst in<br />
der relativ stark kontrollierten Innenstadt lohnt es sich in<br />
61,3 % der Gebiete, kein Ticket zu ziehen.<br />
In der Parkzone 2 lohnt es sich demnach in 95 % der Fälle.<br />
Wer im ÖPNV ohne Ticket fährt, landet hingegen über<br />
Ersatzfreiheitsstrafen im Knast.<br />
Die Aktion freiheitsfonds.de kauft bei Hinweisen gerade<br />
solche „Häftlinge“ aus dem Knast frei. Wie wär's, beim<br />
Parken statt mit mehr Kontrollen und höheren Bußgeldern<br />
mit deutlich weniger Parkplätzen und damit mehr<br />
Platz für Fuß- und Radverkehr und mit einem kostenlosen<br />
ÖPNV in Richtung Verkehrswende zu regulieren?<br />
LEBEN WIRD IMMER TEURER<br />
Um sage und schreibe 40 % könnten <strong>2022</strong> die Strompreise<br />
laut CHECK24 für 3,5 Millionen Haushalte in der Grundversorgung<br />
steigen. Der Anteil für Strom, der im Hartz<br />
IV-Satz für Wohnen und Energie vorgesehen ist, würde<br />
um 37 % überstiegen. 2021 stiegen die durchschnittlichen<br />
Stromkosten um 18,4 %. Hartz IV wurde zum Jahreswechsel<br />
21/22 um 3 Euro erhöht. Eine aktuelle Kampagne<br />
fordert eine Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV-EmpfängerInnen<br />
um 100 Euro im Monat sofort. Menschen mit<br />
wenig Geld wurden bis jetzt konsequent in der Pandemie<br />
ignoriert. Das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre<br />
hat sich zwischen März 2020 und November 2021 hingegen<br />
verdoppelt.<br />
[FR] WOHNUNGEN STATT GARAGEN<br />
Stuttgarter Investoren wollen auf einem Garagendeck in<br />
der Laufener Straße in Freiburg-Weingarten ein Haus mit<br />
19 Studierendenappartements errichten. Obwohl eine<br />
Bauanfrage an die Stadt schon 2014 gestellt worden sein<br />
soll, geht nichts voran. Das kritisiert Freiburg Lebenswert<br />
e. V. Wir sagen: Garagendeck bebauen ja, aber nur mit<br />
100 % Sozialwohnungen.<br />
[FR] MIETSTEIGERUNGEN IN DER KNOPFHÄUSLE-<br />
SIEDLUNG<br />
Obwohl „Soziale Stadt“-Gelder in die Sanierung geflossen<br />
sind und die MieterInnen nichts für die zuvor versäumte<br />
Instandhaltung können, erwartet die MieterInnen der<br />
denkmalgeschützten Knopfhäuslesiedlung in der Wiehre<br />
beim Rückzug eine ordentliche Mietsteigerung. So sollte<br />
die Miete für sie nach dem sogenannten Freiburger<br />
Modell in den ersten drei Jahren um 1,28 Euro pro m²<br />
steigen, nach vier Jahren dann noch mal um über 1,60<br />
Euro pro m². Aus der 6,45 Euro pro m²-Miete könnte dann<br />
eine Miete von über 8 Euro pro m² geworden sein.<br />
Höhere Sanierungskosten, u. a. wegen Unwägbarkeiten<br />
und höheren Baukosten, könnten die Miete über eine<br />
Umlage der sogenannten Modernisierungskosten weiter<br />
steigen lassen. Wirklich billige Wohnungen, wie hier mit<br />
45 m² Wohnfläche, werden immer weniger.<br />
[BER] BESETZUNG DURCH OBDACHLOSE<br />
Aus einer Hausbesetzung ist in Berlin eine längerfristige<br />
Bleibe für Obdach- und Wohnungslose, Geflüchtete und<br />
Menschen mit Migrationsgeschichte geworden. Erst die<br />
Besetzung Mitte Dezember hat dazu geführt, dass der zuständige<br />
Bezirk die schon lange leerstehenden Wohnungen<br />
in der Habersaathstraße auf Basis des Polizeigesetzes<br />
beschlagnahmte und etwas später u. a. zuvor obdachlose<br />
BesetzerInnen einziehen konnten. Der Investor will aber<br />
weiterhin abreißen und luxuriös neu bauen.<br />
Weiterführende Links zu den Meldungen finden Sie wie immer auf der Homepage<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 5
StreetPeople<br />
Auf der Straße zu überleben<br />
ist kein Problem. Auf dieser zu<br />
leben ist nichts, was man will.<br />
Benjamin<br />
Eine Reportage<br />
über die Menschen<br />
auf der Straße
BENJAMIN<br />
Homeless-Freiburg<br />
Heute möchte ich Ihnen gerne Eimer und Keks vorstellen.<br />
Eimer ist Benjamin und wie der zu seinem Spitznamen<br />
gekommen ist, das werde ich Ihnen noch erzählen. Keks<br />
wiederum ist der Hund seiner Lebensgefährtin Nadine<br />
und der trägt eine ziemlich stylische Sonnenbrille auf der<br />
Schnauze. Was es mit dieser auf sich hat? Auch das werde<br />
ich Ihnen noch verraten...<br />
Vielleicht kennen Sie Eimer und Keks bereits, denn die<br />
zwei sitzen fast täglich vor der Fielmann-Filiale in Freiburg,<br />
direkt an der Kaiser-Joseph-Straße 193, und zumindest<br />
Eimer verkauft dort den FREIeBÜRGER.<br />
Einigen wir uns darauf, dass ich ab jetzt Eimer bei seinem<br />
richtigen Namen Benjamin nenne, da ich ihn mittlerweile<br />
ganz gut kenne und auch weiß, wie er zu diesem Spitznamen<br />
gekommen ist. Eine absolut abstrakte und gleichzeitig<br />
unglaublich logische Geschichte, wie ich finde.<br />
Schlafplatz hatten, bot ich ihnen an, bei mir zu übernachten.”<br />
Vor allem Müll, dessen bürgerlicher Name unbekannt<br />
ist, und Benjamin schienen gut miteinander auszukommen<br />
und hingen dementsprechend miteinander ab.<br />
Daraus folgte sodann, dass das Duo als Müll und Eimer<br />
berüchtigt wurde und Benjamin seinen Spitznamen nie<br />
wieder ablegen konnte. So simpel wie er zu seinem Spitznamen<br />
kam, so simpel ist eben auch die Geschichte dazu.<br />
Eine Tatsache, die man von seinem bisherigen Lebensweg<br />
allerdings nicht behaupten kann. Seit seinem 18. Lebensjahr<br />
erlebte Benjamin einen rauen Wechsel zwischen der<br />
Platte und dem Wohnen auf Zeit und Wohlgefallen.<br />
Benjamin ist ein klassischer Punker, obwohl man ihm<br />
das heute nicht auf den ersten Blick ansehen kann. Seine<br />
Punk-Montur, zu dieser ebenfalls die obligatorische Irokesenfrisur<br />
gehört, hängt mittlerweile im Schrank. Längere<br />
Haare, großer Bart und sportliche Kleidung; exakt so begegnet<br />
Ihnen Benjamin im alltäglichen Leben. Dies habe<br />
ganz einfache und pragmatische Gründe, fügt er lächelnd<br />
hinzu. Punkmusik höre er jedoch immer noch sehr gerne<br />
und auch manchmal etwas lauter.<br />
In seinen Jugendzeiten, als er noch bei seinen Eltern gelebt<br />
hatte, sei der Punk-Look für ihn und seine Freunde<br />
prägend gewesen. ,,Eines Tages lernte ich im damaligen<br />
Atlantis in Herbolzheim das Pärchen Nora und Müll<br />
kennen”, erzählt mir Benjamin, ,,da sie keinen festen<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 7
Seit etwa vier Jahren jedoch lebt er mit Nadine zusammen<br />
in einer Wohnung in Freiburg und ist damit sehr<br />
glücklich. Sie ist seit ca. 14 Jahren seine feste Lebensgefährtin,<br />
die er in Berlin kennengelernt hatte.<br />
,,Bereits zuvor standen wir in Kontakt miteinander”,<br />
schwärmt mir Benjamin vor, ,,und zwar bei ‚Abgefuckt<br />
liebt Dich‘, einer Plattform ähnlich wie Facebook, nur<br />
eben für Punks gemacht. Als ich es in Freiburg nicht mehr<br />
ausgehalten habe, bin ich mit meinen zwei Hunden Rocky<br />
und Mozzarella nach Berlin gegangen. Dort hatte ich<br />
einen Kumpel, bei dem ich zunächst untergekommen<br />
bin. Allerdings ging das nicht lange gut, da er selbst nur<br />
bei seiner Freundin gewohnt hatte. Nach einer weiteren<br />
Zeit auf Platte in Berlin konnte ich sodann im Georg-von-<br />
Rauch-Haus unterkommen.”<br />
Ich unterbreche Benjamin kurz, da mich die Geschichte<br />
dieses Hauses interessiert, denn das Georg-von-Rauch-<br />
Haus ist das im Dezember 1971 besetzte ehemalige<br />
Schwesternwohnheim des Bethanien-Krankenhauses<br />
an der Nord-West-Seite des Mariannenplatzes in Berlin-Kreuzberg.<br />
Das Haus wurde von den Besetzern nach<br />
dem Berliner Stadtguerillero Georg von Rauch benannt,<br />
der wenige Tage zuvor nach einem Schusswechsel mit der<br />
Polizei gestorben war. Seither wird das Rauch-Haus als<br />
„selbstverwaltetes Wohnkollektiv“ genutzt. Es war mehrere<br />
Jahre vom Berliner Senat als Anlaufstelle für obdachlose<br />
Jugendliche anerkannt. ,,Ton Steine Scherben” haben<br />
sogar ein Lied über das Rauch-Haus geschrieben. Ein interessanter<br />
historischer Hintergrund, wie ich finde.<br />
Nach einem kurzen Ausflug in die Berliner Stadtgeschichte<br />
widme ich mich wieder ganz den Worten von Benjamin.<br />
,,Im Grunde habe ich in Berlin mal hier, mal dort<br />
gewohnt und zwischendurch auf Platte. Später hatte<br />
ich das Glück, in einer Art Wohnheim einen dauerhaften<br />
Aufenthalt zu bekommen. Dann irgendwann hat Nadine<br />
bei mir angerufen und da sie ebenfalls zufällig in Berlin<br />
war und auch keinen festen Schlafplatz hatte, haben wir<br />
uns getroffen und sie durfte auch bei mir übernachten.<br />
Seither sind wir ein Paar.”<br />
Ich beobachte Benjamin, als er mir diese Geschichte erzählt<br />
und sehe deutlich, wie gerne er sich daran zurückerinnert.<br />
Ich nehme an, dass diese Zeit für ihn trotz aller<br />
Schwierigkeiten eine dennoch angenehme gewesen sein<br />
muss. Insgesamt fällt mir auf, dass mein Gegenüber sehr<br />
gerne lacht; sowohl aus der Tiefe seines Herzens heraus<br />
als auch aus reiner Verunsicherung. Er ist einfach ein äußerst<br />
sympathischer Zeitgenosse und ich unterhalte mich<br />
sehr gerne mit ihm.<br />
8<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
Und wieder fängt Benjamin an zu lachen. ,,Weißt Du, was<br />
echt komisch war”, fragt er mich, ,,als Nadine und ich uns<br />
kurze Zeit kennengelernt hatten und sie bei mir in der<br />
Unterkunft schlief, was übrigens noch keiner vom Wohnheim<br />
wusste, da bin ich von der Polizei festgenommen<br />
worden; einfach so. In Freiburg wurde ein Strafbefehl wegen<br />
Schwarzfahrens gegen mich ausgestellt. Eigentlich,<br />
so dachte ich, sei die Sache erledigt gewesen und dann<br />
das. Jetzt musste ich in Berlin für zwei Wochen meine<br />
Geldstrafe absitzen und Nadine war bei mir in der Wohnung,<br />
allein, mit den Hunden, und das auch noch unangemeldet.<br />
Was für ein Chaos.”<br />
Am Ende sei jedoch alles gutgegangen und nach ungefähr<br />
acht Jahren in Berlin zog es die zwei in den Süden<br />
Deutschlands, nach Freiburg. Während es für Benjamin<br />
ein Weg zurück in die altgewohnte Heimat war, so war es<br />
für Nadine ein Neuanfang, den sie sich bisher nur aus den<br />
Erzählungen ihres Partners vorstellen konnte. Und dieser<br />
Neubeginn war im ersten Anlauf gar nicht so einfach für<br />
das junge Paar. Angekommen, mit dem nötigsten Hab<br />
und Gut, einem kleinen Zelt und ihren drei Hunden Keks,<br />
Mozzarella und Rocky, gestaltete sich ihr Aufenthalt zunächst<br />
wechselhaft zwischen Platte und Notunterkunft.<br />
Doch vor ca. vier Jahren ergab sich für die beiden die Möglichkeit,<br />
an einem Wohnprojekt teilzunehmen, das sie mit<br />
Erfolg meisterten. Seither leben sie gemeinsam in einer<br />
kleinen Wohnung zusammen mit ihrem Keks, denn Rocky<br />
und Mozzarella gibt es heute leider nicht mehr.<br />
Auf diese Weise ist er auch zum FREIeBÜRGER gekommen.<br />
Zunächst hatten er und Nadine auf Facebook einen<br />
Kanal mit Namen ,,Homeless-Freiburg”. Die Redaktion<br />
wurde darauf aufmerksam und interviewte die zwei.<br />
Seither verkaufen sie die Zeitung. Er regelmäßig und<br />
Nadine aufgrund körperlicher Schwierigkeiten nur noch<br />
gelegentlich.<br />
Ich frage Benjamin, ob es etwas gebe, was er in diesem<br />
Artikel gerne wiederfinden würde und er verweist<br />
sogleich auf lediglich zwei Dinge. Zum einen sei ihm<br />
wichtig, dass die Menschen wissen sollten, dass die<br />
stylische Erscheinung von Keks kein Modesyndrom ist,<br />
sondern eine von mehreren notwendigen medizinischen<br />
Maßnahmen. Denn Keks leidet seit einiger Zeit an der sog.<br />
Schäferhundkeratitis. Einer Augenerkrankung, die den<br />
Hund durch die UV-Strahlen des Sonnenlichts erblinden<br />
lassen. Die Sonnenbrille ist somit lediglich ein Schutz<br />
seiner Augen vor dieser Strahlung. Zum anderen möchte<br />
sich Benjamin auf diesem Wege sehr gerne bei den<br />
Menschen bedanken, die ihm sein momentanes Leben<br />
ermöglichen. Sei es durch den Kauf der Zeitung, eine gelegentliche<br />
Spende oder einfach nur durch ein angenehmes<br />
Gespräch. Denn ohne Sie würde es auch ihn nicht geben.<br />
Text: Harry Bejol<br />
Fotos: Felix Groteloh<br />
Ungefähr die gleiche Zeit lang hat Benjamin seinen<br />
Stammplatz bei Fielmann und verkauft dort regelmäßig<br />
den FREIeBÜRGER. Von einem wechselhaften Lebensstil in<br />
ein Leben, das man umgangssprachlich als ,,gutbürgerlich”<br />
bezeichnet. Ich selbst bin beeindruckt, denn das ist<br />
in der Tat eine Leistung, die nicht jeder hinbekommt und<br />
zu der auch nicht jeder die Möglichkeiten hat.<br />
Vielleicht hat das auch einfach etwas damit zu tun, wie<br />
man Benjamin erlebt. Als er mir von seiner tragischen<br />
Vergangenheit erzählte und von der Tatsache, dass er<br />
seit seinem 18. Lebensjahr auf der Straße lebt, konnte<br />
ich deutlich spüren, wie sehr ihn das auch heute noch<br />
beschäftigt. Ebenfalls die Tatsache, dass sein Vater seither<br />
keinen Kontakt mit ihm haben möchte und Benjamin<br />
keinerlei Ahnung davon hat, warum das so ist. Und dennoch<br />
hat dieser Mann immer ein sympathisches Lächeln<br />
im Gesicht, welches man nicht nur mit den Augen allein<br />
wahrnehmen kann. Zumindest ich fühle mich in seiner<br />
Gegenwart immer sehr willkommen.<br />
Und ebenso willkommen begrüßt Benjamin auch die<br />
Möglichkeiten, die sich ihm bieten. Er geht nicht einfach<br />
so an diesen vorbei, sondern nimmt sie wahr und greift zu.<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 9
900 JAHRE ARMUT IN FREIBURG<br />
Armenwesen und Pflege in Freiburg (Teil 13)<br />
Foto: wikipedia commons<br />
In den letzten beiden Ausgaben habe ich über den Beginn<br />
der Neuzeit berichtet, vor allem über die gravierenden<br />
Veränderungen, die sich im wirtschaftlichen und religiösen<br />
Leben für die Menschen dieser Zeit ergaben. Wie<br />
passten sich die Menschen den Neuerungen an und wie<br />
reagierte die weltliche und die geistliche Obrigkeit auf<br />
das neue Zeitalter? Vor allem aber, was brachte die Neuzeit<br />
für Freiburg?<br />
DAS LEBEN IN DER STADT DER FRÜHEN NEUZEIT<br />
Wie bereits geschildert konnte die Reformationsbewegung<br />
zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Freiburg keinen<br />
Fuß fassen. Zwar gab es ein paar kleine, zaghafte Versuche,<br />
Luthers Lehren auch hier in der Stadt zu etablieren,<br />
doch die waren allesamt schnell wieder beendet. Auch<br />
einzelne Bemühungen an der Universität, die Kirche zu<br />
reformieren, wurden von den Stadtoberen und dem Klerus<br />
unterdrückt. Jegliche Art, sich gegen Kirche, Glauben<br />
oder Papsttum aufzulehnen, wurde streng verfolgt und<br />
bestraft. So lief das Leben in der Stadt religiös gesehen so<br />
weiter wie bisher, doch im wirtschaftlichen und sozialen<br />
Bereich mussten die BewohnerInnen sich mit Veränderungen<br />
abfinden.<br />
Durch die rasante Entwicklung von Wissenschaft und<br />
Technik sowie durch neue Handelswaren aus den neu<br />
entdeckten Ländern veränderten sich Handel und Gewerbe<br />
nun ständig. Es gab immer mehr und immer neuere<br />
Produkte, neue Herstellungsmethoden und sogar ganz<br />
neue Gewerbe. Natürlich machte diese Entwicklung<br />
auch vor den Toren Freiburgs nicht einfach so halt und so<br />
musste sich die Stadt etwas einfallen lassen, wollte sie die<br />
eigenen BürgerInnen, Händler und Handwerker schützen.<br />
Denn im Laufe der Zeit versuchten immer mehr Gewerbetreibende<br />
und Händler aus anderen Städten, in Freiburg<br />
Geschäfte abzuschließen bzw. in der Stadt Fuß zu fassen.<br />
Um die Ordnung aufrechtzuerhalten und dafür zu<br />
sorgen, dass den BürgerInnen Freiburgs kein Schaden<br />
entsteht, begaben sich der Stadtrat und die Zünfte in eine<br />
Art gegenseitige Abhängigkeit. Ein Ziel der Stadt musste<br />
es sein, die BürgerInnen und EinwohnerInnen der Stadt<br />
mit Lebensmitteln und anderen Dingen für den täglichen<br />
Bedarf zu versorgen. Die Zünfte halfen dem Rat dabei, das<br />
auch einzuhalten. Im Gegenzug räumte der Rat den Zünften<br />
das eine oder andere Problem aus dem Weg, indem es<br />
Gesetze oder Verordnungen im Sinne der Zünfte erließ.<br />
10<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
So erging zum Beispiel an die Metzger die Auflage, sämtliche<br />
Tierhäute und Felle zuerst den einheimischen Gerbern<br />
zum Kauf anzubieten, bevor man sie an Auswärtige<br />
verkaufen durfte. Im Jahr 1477 verbot der Rat die Ausfuhr<br />
von Gerberrinde aus der Stadt, um die einheimischen<br />
Gerber zu schützen. Und zum Schutz des Textilgewerbes<br />
kam zwischen 1500 und 1530 keine Rohwolle aus Freiburg<br />
heraus. Zur Unterstützung der Müller durfte lange kein<br />
Mehl in die Stadt eingeführt werden, was allerdings bei<br />
großen Hungersnöten außer Kraft gesetzt wurde.<br />
Allerdings blieben die großen Jahrmärkte auch weiterhin<br />
für fremde Händler offen, sodass man sich zumindest<br />
„befristet“ der auswärtigen Konkurrenz erwehren musste.<br />
Markt und Handel zu regulieren, lag im ureigenen Interesse<br />
der Stadt, schließlich waren die Steuereinnahmen<br />
ein fester Bestandteil des Stadthaushaltes. Dass die Stadt<br />
schon damals penibel genau Buch führte über sämtliche<br />
Einnahmen und Ausgaben, ist belegt. Aus der Zeit von<br />
1535 bis ca. 1700 sind solche Jahresrechnungen erhalten<br />
geblieben und werden im Stadtarchiv aufbewahrt. Der<br />
jährliche Haushaltsabschluss wurde immer zu Johanni erstellt,<br />
also dem Fest für Johannes den Täufer am 24. Juni.<br />
An diesem Tag wurde auch in jedem Jahr der Stadtrat neu<br />
besetzt, sodass der alte Rat dem neuen eine genaue Aufstellung<br />
der städtischen Finanzen übergeben konnte.<br />
Doch das sollten im 16. Jahrhundert nicht die einzigen<br />
Sorgen der Stadt, des Rates, der BürgerInnen und EinwohnerInnen<br />
bleiben! In späteren Berichten und Chroniken<br />
wird dieses Jahrhundert auch als Jahrhundert der Katastrophen,<br />
des Hungers und des Elends und der damit<br />
verbundenen großen Preissteigerungen bezeichnet.<br />
ARMUT, HUNGER UND ELEND IM FREIBURG DER<br />
NEUZEIT<br />
Im frühneuzeitlichen Freiburg wurden den BürgerInnen<br />
eine Reihe von Vorteilen geboten. Dazu gehörten u. a. die<br />
äußere Sicherheit, die bürgerliche Rechtsgleichheit und<br />
Freiheit und die soziale Fürsorge. Es hatte jeder Handwerker<br />
oder Kaufmann die Chance, es in Freiburg zu<br />
Wohlstand zu bringen. Die Karrieren einzelner Bürger der<br />
Stadt, ihre prächtigen Bürgerhäuser oder große Hinterlassenschaften<br />
künden noch in der heutigen Zeit vom Erfolg<br />
und Reichtum der Freiburger Bürgerschaft.<br />
Doch der Schein trügt, dieses Glück und der Wohlstand<br />
blieben nur wenigen vergönnt. Für den weitaus größeren<br />
Teil der Bevölkerung bedeuteten auch in der Neuzeit Not,<br />
Hunger und Elend den Alltag, und der verschlimmerte<br />
sich zusehends. Durch den ständig wachsenden Zustrom<br />
der Menschen in die Städte und die damit verbundene<br />
Dichte in den Armenvierteln wurde die Not hier sogar<br />
noch deutlich sichtbarer als in den Städten selbst.<br />
Foto: wikipedia commons<br />
Abb.: Die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen<br />
Lettern durch Johannes Gutenberg revolutionierte die<br />
Kommunikation<br />
Armut war und ist bis heute ein vielschichtiges Phänomen,<br />
bei dem wirtschaftliche und soziale Defizite zusammentreffen.<br />
In einem Buch fand ich eine treffende Definition:<br />
„Dem Armen fehlen Geld, Beziehungen, Einfluss,<br />
Macht, Bildung...! Er lebt von einem Tag in den anderen,<br />
ohne die Möglichkeit, sich ohne Hilfe aus dieser Situation<br />
zu befreien!“<br />
Man unterscheidet die Armut in primäre und sekundäre<br />
Armut. Primäre Armut bezeichnet das Leben am<br />
Existenzminimum und darunter. Im Freiburg der damaligen<br />
Zeit waren das die Menschen, die ein Vermögen<br />
von weniger als 50 Gulden besaßen. Von sekundärer<br />
Armut spricht man, wenn die eigenen Mittel zwar für<br />
das Notwendigste reichen, man sich aber darüber hinaus<br />
nichts leisten kann, das heißt, man hat auch keine<br />
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Auch daran hat sich<br />
bis heute nicht viel geändert! Für das frühneuzeitliche<br />
Freiburg galt man als sekundär arm, wenn das Vermögen<br />
unter 100 Gulden lag.<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 11
Foto: wikipedia commons<br />
Abb.: Die Folgen der Kleinen Eiszeit von Anfang des 15. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein waren u. a.<br />
Missernten und explodierende Preise für Nahrungsmittel, verbunden mit Hunger und Elend der Menschen.<br />
In der Freiburger Steuerordnung von 1476 wird die Steuergruppe<br />
der Armen sogar definiert. Die unterste Grenze<br />
für Steuerzahler betrug hier 25 Gulden Vermögen. Wer<br />
darunter lag, galt als wirklich arm und bedürftig und<br />
wurde von der Steuerpflicht ausgenommen. Allerdings<br />
gab es auch arme Handwerker, Tagelöhner u. a., die trotz<br />
Arbeit nur auf ein Einkommen von 25 Gulden oder darunter<br />
kamen. Diese wurden dann trotzdem besteuert, wenn<br />
auch verhältnismäßig gering. Das betraf z. B. Handwerker,<br />
die in keiner Zunft organisiert waren und dadurch auch<br />
keine geregelte Arbeit hatten. Auch wenn der Geselle<br />
noch so gut war in seinem Fach, war er nicht in einer<br />
Zunft, dann fand er auch kaum eine Anstellung. Und logischerweise<br />
bekam er auch keine Unterstützung von den<br />
Zünften. Daran kann man ersehen, dass es relativ schnell<br />
gehen kann, dass man trotz erlerntem Beruf und einer<br />
Arbeit auf der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Werteskala abfallen kann. Geringverdiener liefen jederzeit<br />
Gefahr, in die Schicht der Armen abzusinken.<br />
In der Freiburger Steuerordnung von 1476 werden Bettler,<br />
Tagelöhner, Dienstboten, die „unehrlichen Berufe“ sowie<br />
die „Arbeitsunwilligen“ zu den Armen gezählt. Ursachen,<br />
die zu Armut führten, gab es viele. Alter, Krankheit,<br />
Behinderung, Kinderreichtum, Tod des Ehepartners, ein<br />
geringes Einkommen oder Arbeitslosigkeit waren alles<br />
Möglichkeiten, durch die man sozial absteigen konnte.<br />
Jeder Schicksalsschlag konnte gleichbedeutend sein mit<br />
dem Sturz in die Armut. Anhand von Steuerbüchern kann<br />
man sehen, dass zwischen 1480 und 1540 60 % der zünftischen<br />
Bevölkerung als arm bezeichnet werden konnte.<br />
HistorikerInnen sind heute der Meinung, dass die immense<br />
Kluft zwischen Arm und Reich in dieser Zeit mit zum<br />
wirtschaftlichen Abstieg Freiburgs im 15. und 16. Jahrhundert<br />
führte. Der Freiburger Rat versuchte zwar, dagegenzusteuern,<br />
doch allzu viel konnte auch er nicht abwehren.<br />
1546 erließ der Rat eine Verordnung, wonach die Zünfte<br />
keine fremden Handwerker mehr einstellen dürfen, wenn<br />
deren Vermögen unter 50 Gulden liegt. Damit wollte man<br />
zum einen die hiesigen Handwerker schützen, zum anderen<br />
wollte man verhindern, zukünftige Almosenbezieher<br />
aufzunehmen.<br />
Das Steigen oder Sinken von Armut war auch von der Versorgung<br />
mit Lebensmitteln abhängig. Denn kam es durch<br />
irgendwelche Umstände zu einer Lebensmittelknappheit<br />
und damit verbunden zu einer Teuerung, dann eskalierte<br />
die Armut in der Stadt schnell zu einem Notzustand.<br />
Je länger der Mangel anhielt, umso mehr steigerten sich<br />
Armut und Elend. Da im 15. und im 16. Jahrhundert schon<br />
12<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
mehr als die Hälfte des Lohns für Nahrungsmittel ausgegeben<br />
wurde, betraf die Armut nicht mehr nur die Armen,<br />
denn die Teuerung bei den Lebensmitteln traf jeden. So<br />
konnte in echten Notjahren der Preis für Brot schnell um<br />
das Dreifache steigen und es war somit nicht mehr für<br />
jeden Menschen zu erstehen. Dadurch geriet aber auch<br />
ein Großteil der übrigen Bevölkerung in Schwierigkeiten,<br />
denn da die BürgerInnen jetzt so viel Geld für Grundnahrungsmittel<br />
ausgaben, blieb kaum Geld, um anderes<br />
zu kaufen. Dadurch stockte der Verkauf handwerklicher<br />
Erzeugnisse, was wiederum zum Sinken der Beschäftigtenzahlen<br />
und der Löhne führte. Mit der Zeit erreichte<br />
die Versorgungskrise einen immer größer werdenden<br />
Kreis, man konnte auch sagen, das Heer der Armen war<br />
gewachsen.<br />
Doch Armut konnte man damals nicht nur anhand von<br />
Vermögen oder sinkenden Löhnen bestimmen, auch<br />
die Natur und Krankheiten spielten eine gewichtige<br />
Rolle. Nachdem die Ernährungslage in und um Freiburg<br />
über viele Jahrzehnte entspannt war, begannen ab 1480<br />
die „schlechten Jahre“. In diesem Sommer hatte es den<br />
gesamten Sommer über sehr heftig geregnet, die Dreisam<br />
trat über ihre Ufer, zerstörte beide Brücken und riss viele<br />
Häuser, Menschen und Vieh mit sich. Der überwiegende<br />
Teil der landwirtschaftlichen Nutzflächen wurde<br />
überflutet, Korn, Gemüse und Wein wurden vernichtet.<br />
Der Winter im selben Jahr war extrem kalt und auch die<br />
folgenden beiden Sommer waren verregnet und stürmisch.<br />
Dadurch kam es dreimal in Folge zu Missernten<br />
und dadurch explodierten die Preise für Nahrungsmittel<br />
regelrecht. Der Rat erließ eine Verordnung, die es untersagte<br />
Lebensmittel anzukaufen und zu horten, um<br />
damit zu spekulieren. Im Jahr 1484 stellte der Rat bei der<br />
Jahresrechnung fest, dass sich die Stadt durch „Krieg,<br />
Wassernot, Hunger, Sterbet und große Thüri“ hoch verschuldet<br />
hat.<br />
Doch die Jahre 1480 bis 1483 waren nur ein Anfang. Zu<br />
Beginn der Neuzeit sollten noch viele Versorgungskrisen<br />
und Hungersnöte die Stadt heimsuchen. In den Jahren<br />
1490-1492, 1500-1502 und 1516-1518 zum Beispiel gab es<br />
große Überschwemmungen, die dann meist noch mit extrem<br />
kalten Wintern verbunden waren.<br />
Im Jahr 1501 beschloss der Stadtrat, 1.000 Viertel Korn in<br />
Straßburg anzukaufen, um damit die heimische Bevölkerung<br />
zu versorgen. Dieses Korn wurde dann in Freiburg<br />
zum Einkaufspreis an die Menschen verkauft, wobei darauf<br />
geachtet wurde, dass die Menschen nur zum eigenen<br />
Bedarf kauften. Als 1511 das gesamte Jahr kalt und verregnet<br />
war und dadurch die Nahrungsmittel wieder knapp<br />
wurden, befahl der Rat, alle BettlerInnen aus der Stadt zu<br />
jagen.<br />
Abb.: Die Mahlwerke von Mühlen standen oft still<br />
In den folgenden Jahren legte die Stadt dann Kornvorräte<br />
an, um auf diese Weise Missernten begegnen zu können.<br />
Doch der Freiburger Rat konnte sich auch solidarisch und<br />
hilfsbereit anderen gegenüber zeigen. Am 20. Januar 1514<br />
herrschte eine sehr grimmige Kälte, der Rhein bei Breisach<br />
war zugefroren, die Mühlen standen still und es gab<br />
kein Mehl mehr. „Damit die Breysacher vor Hunger nit<br />
sterbet“ schickte der Freiburger Rat sechs Lastfuhrwerke<br />
mit Mehl nach Breisach und linderte damit die größte Not<br />
dort.<br />
Wie es weiterging und ob man die Lebensmittelknappheit<br />
und Armut in den Griff bekam, den Fortgang bis zum<br />
30-jährigen Krieg und die Pestjahre in Freiburg erfahren<br />
Sie in der nächsten Ausgabe.<br />
Ich bedanke mich beim Stadtarchiv und Herrn Thalheimer,<br />
der Waisenhausstiftung, Gerlinde Kurzbach, Bernadette<br />
Kuner, Prof. Pompey, Peter Kalchtaler und Dr. Hans-Peter<br />
Widmann.<br />
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mill_in_Malbork,_part_2.jpg<br />
Foto: DerHexer / wikipedia / CC BY-SA 3.0<br />
Carsten<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 13
all diesen Jahren leider nichts grundlegend gebessert hat.<br />
Die Wohnungsknappheit ist nach wie vor da, die Mieten<br />
steigen und steigen, obwohl wir im Gemeinderat einiges<br />
versucht haben, auf den Weg zu bringen. Aber es reicht offenbar<br />
alles nicht aus, da sind unsere Arme hier als Stadt<br />
wahrscheinlich auch zu kurz und wir benötigen hier viel<br />
mehr Unterstützung von Bund und Land.<br />
Wohnungslosigkeit hat mehrere Gesichter. Die Menschen,<br />
die Platte machen, die entweder draußen bleiben oder auf<br />
Notunterkünfte angewiesen sind – das sind die, die man<br />
sieht. Aber es gibt auch einen nicht unbeträchtlichen Anteil<br />
Menschen, die auch keine Wohnung haben, die insofern<br />
Glück gehabt haben, als sie bei Freunden oder Verwandten<br />
untergekommen sind. Auf die Gruppe der Wohnungslosen<br />
schlägt die Wohnungsknappheit besonders durch. Wir<br />
müssen es schaffen, genügend bezahlbaren Wohnraum<br />
vorzuhalten. Ich bin der Meinung, dass da auch noch wesentlich<br />
mehr privates Geld eingebracht werden könnte.<br />
Foto: E. Peters<br />
IM GESPRÄCH MIT...<br />
Walter Krögner<br />
Walter Krögner ist eine vielfältige Persönlichkeit. Es ist<br />
nicht einfach, ihn in Kürze zu skizzieren. Bekannt ist er<br />
den meisten wohl durch seine Arbeit als Stadtrat. Er ist in<br />
verschiedenen gemeinderätlichen Gremien tätig: im Personalausschuss,<br />
im Umwelt- und Klimaausschuss, in der<br />
Stiftung WaldHaus etc. Außerdem ist er im Vorstand des<br />
Mieterverein Regio Freiburg e.V., der Schutzgemeinschaft<br />
Deutscher Wald e. V., der AIDS-Hilfe Freiburg e. V. und<br />
dem Ortsverband der IG Bauen, Agrar, Umwelt.<br />
Herzlich willkommen, Walter! Freut uns, dass Du Dir Zeit<br />
genommen hast. Wie geht es Dir?<br />
Mir geht es gut. Ich freue mich, dass ich jetzt hier bin.<br />
Du bist seit langem in verschiedenen Bereichen aktiv tätig.<br />
Was würdest Du rückblickend sagen? Hat es sich gelohnt,<br />
was hat sich verändert?<br />
Was mich am meisten geprägt hat sind die bald 23 Jahre im<br />
Gemeinderat. Da hat sich sehr viel geändert. Mein Thema<br />
ist ja immer die Wohnungspolitik gewesen. Was mich sehr<br />
bekümmert ist, dass sich an der Wohnungssituation hier in<br />
Durch den ersten Bürgerentscheid in Freiburg 2006<br />
wurde der Verkauf der Freiburger Stadtbau GmbH (FSB)<br />
verhindert. Glaubst Du, dass ein Entscheid heute anders<br />
ausfallen würde?<br />
Ich höre auch von Seiten derer, die damals für den Verkauf<br />
gewesen sind, dass ein städtisches Wohnungsbauunternehmen<br />
und gemeinnütziger Wohnungsbau einfach unerlässlich<br />
sind. Ich gehe nicht davon aus, dass es heute eine<br />
andere Mehrheit gäbe – nicht in der Stadtbevölkerung und<br />
anders als 2006 auch nicht im Gemeinderat.<br />
Worin siehst Du die eigentlichen Aufgaben der FSB?<br />
Ihre zentrale Aufgabe ist die Versorgung breiter Schichten<br />
der Bevölkerung mit Wohnraum. Da fallen einerseits die<br />
Menschen drunter, die wenig Geld im Beutel haben, aber<br />
auch Menschen, die nicht so wenig Geld haben, damit es<br />
eine gemischte Zusammensetzung der MieterInnenschaft<br />
gibt. In der Regel ist es so, dass die FSB mit günstigeren Mieten<br />
die Leute versorgen muss, die sich auf dem freien Wohnungsmarkt<br />
schwertun. Und das ist in zunehmendem Maß<br />
notwendig, weil die Mieten nach wie vor steigen.<br />
Bezahlbaren Wohnraum gibt es in Freiburg so gut wie<br />
keinen mehr. Hast Du Ideen für neue Wohnformen, die<br />
schnell und unbürokratisch umsetzbar wären?<br />
Was ich für ein vorbildliches Modell halte sind die Containerbauten<br />
oben nach Zähringen raus, die ursprünglich<br />
als Flüchtlingsunterkünfte gedacht waren. Es gab eine Zwischennutzung:<br />
einerseits Geflüchtete und andererseits Studierende,<br />
die sich gegenseitig unterstützten. Ein vergleichbares<br />
Modell gibt es jetzt in der Hammerschmiedstraße, wo<br />
die FSB was neues gebaut hat. Auf der einen Seite für geflüchtete<br />
Menschen, auf der anderen Seite für Studierende<br />
und andere, die dann, wenn sie Unterstützung geben, einen<br />
günstigeren Mietpreis bekommen. Das finde ich einen<br />
14<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
ganz guten Ansatz. Womit ich fremdle sind Sachen in Richtung<br />
Mobile Home oder Mikrowohnungen. Es ist ein Trugschluss,<br />
wenn man meint, damit viele Menschen versorgen<br />
zu können. Wir haben auch Verantwortung für die Flächen,<br />
die zur Verfügung stehen. Ich bin Naturschützer. Insofern<br />
mache ich mir natürlich auch immer Sorgen: Was machen<br />
wir mit der Fläche? Nutzen wir die extensiv, indem wir<br />
überall Reihenhaussiedlungen bauen? Ich bin der Meinung,<br />
das können wir uns hier in der Stadt, in dem Ballungsraum<br />
mit wenig Fläche, nicht mehr leisten. Wir müssen uns auf<br />
eine intensivere Flächenausnutzung konzentrieren. Und<br />
da wiederum gibt es unterschiedliche Organisationsformen<br />
und Formen des Zusammenlebens. Unerlässlich für<br />
die Bereitstellung bezahlbaren Mietwohnraums aber ist<br />
die Umsetzung unseres 50 %-Beschlusses, mit dem für alle<br />
neu ausgewiesenen Bauflächen vorgeschrieben ist, dass die<br />
Hälfte des neuen Wohnraums geförderte Mietwohnungen<br />
sein müssen. Unser Oberbürgermeister Horn setzt sich aktiv<br />
für die Umsetzung des Beschlusses ein und hat auch die<br />
Verwaltung so umgestaltet, dass dem Wohnungsbau wesentlich<br />
mehr Gewicht zukommt.<br />
Was sind Deine drei wichtigsten politischen Anliegen?<br />
Das eine ist ein sorgsamer Umgang mit unserer natürlichen<br />
Umwelt, dem Boden, der Luft, dem Wasser. Das Ziel<br />
ist ein ausgeglichener Naturhaushalt, damit wir der Natur<br />
nicht mehr nehmen, als von ihr gegeben wird. Das zweite<br />
ist mein wichtigstes Thema: der Wohnungsbau. Wohnen ist<br />
ein Menschenrecht! Das ist die Basis für ein soziales Leben.<br />
Alle müssen an einem Strang ziehen, damit es für alle Menschen<br />
möglich ist, ein Dach über dem Kopf zu haben. Aus<br />
meiner Sicht braucht ein jeder (nach Haut und Kleidung)<br />
als dritte Haut eine Wohnung, einen Rückzugsort. Das<br />
dritte ist eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und Vorurteile.<br />
Die nicht unbedingt alles gutheißt, aber in der eine<br />
große Akzeptanz vorherrscht. „Meine Freiheit endet da, wo<br />
die Freiheit des anderen beginnt.“ (Rosa Luxemburg)<br />
Du hast 2019 rassistische Drohbriefe erhalten. Begegnet<br />
Dir „Hate Speech“ in Deinem Alltag, bist Du davon betroffen?<br />
Wie gehst Du damit um?<br />
Auslöser war damals eine Einbürgerungkampagne, an der<br />
ich mich beteiligt hatte. Die Karte wurde verfremdet mit<br />
irgendwelchen blöden Sprüchen. Das letzte mal habe ich so<br />
einen Post-Einwurf vor einem Jahr oder so erhalten. Es ist<br />
ja immer anonym und da kann einer sagen, was er will...<br />
Es beunruhigt auf jeden Fall, weil das Signal natürlich ist:<br />
Wir wissen, wo du wohnst. Wir wissen, wer du bist. Menschen,<br />
die so feige sind und auf Anonymität zurückgreifen,<br />
die sind halt so. Es wäre schön, wenn es so was nicht<br />
mehr gäbe, aber die Dummheit hält sich lange und deshalb<br />
gibt es solche Leute wahrscheinlich auch sehr lange. Wenn<br />
mich öffentlich jemand anmachen würde, könnte er/sie<br />
sich dann auf eine entsprechende verbale Antwort gefasst<br />
machen. Die, die mich kennen, halten sich wahrscheinlich<br />
deshalb auch zurück. (lacht) Ich bin an sich ein friedliebender<br />
Mensch, aber wenn es über die Grenzen des Respekts<br />
hinweggeht, dann gibt es kein Federlesen.<br />
Du hast einen Schrebergarten. Was pflanzt Du an? Was<br />
gibt Dir das Gärtnern, außer einer eigenen Ernte?<br />
Für mich ist der Garten ein Rückzugsbereich. Ich wohne in<br />
einem Mietshaus mit wenig Grün und genieße es, ein Stück<br />
Land zu haben, das ich selbst gestalten kann. Es ist schön,<br />
etwas auszusäen, zu pflegen und dann zu ernten. Ich mag<br />
auch wahnsinnig gerne Blumen. Erdbeeren mag ich – da<br />
gehen die Schnecken aber leider auch sehr gerne rein und<br />
mit ihnen teile ich nicht so gerne. Mohrrüben, Bohnen,<br />
Erbsen, Kraut, Zwiebeln, Kartoffeln sind auch immer gern<br />
gesehen.<br />
HIV / AIDS früher und heute – was kannst Du uns dazu<br />
erzählen?<br />
Vor 25 Jahren war ein positives Testergebnis fast gleichbedeutend<br />
mit dem Todesurteil. Heute ist es eine chronische<br />
Krankheit, die man wunderbar medikamentieren kann.<br />
Alle, die sich das eingefangen haben, können ein ganz<br />
normales Leben führen und haben eine normale Lebenserwartung.<br />
Das ist ein großer Erfolg der Medizinwissenschaften<br />
in Zusammenarbeit mit der starken Lobbyarbeit,<br />
die jahrelang durch die Aids-Hilfen, großteils auch unterstützt<br />
durch die Politik, geleistet wurde. Das Tätigkeitsfeld<br />
der Aids-Hilfe hier in Freiburg aber auch woanders ändert<br />
sich. HIV und AIDS sind behandelbar geworden. Wir haben<br />
uns der sexuellen Gesundheit generell verschrieben, es gibt<br />
ja viele andere sexuell übertragbare Krankheiten, die stark<br />
zugenommen haben. Deshalb haben wir uns in Checkpoint<br />
Aidshilfe Freiburg e. V. (CPAHF) umbenannt und haben den<br />
Anspruch, Zentrum für sexuelle Gesundheit zu sein. Was<br />
sich durchzieht ist die Arbeit gegen Diskriminierung.<br />
Was ist für Dich der schönste Ort in Freiburg?<br />
Und welcher der hässlichste?<br />
Der schönste ist für mich der Schauinslandturm, weil<br />
ich da den Blick in die Stadt runter hab, zum Kaiserstuhl,<br />
wenn gute Sicht ist zu den Vogesen und in den herrlichen<br />
Schwarzwald. Der hässlichste ist für mich da, wo die B 31<br />
aus dem Tunnel rauskommt und du im Prinzip nur Verkehr<br />
und schlechte Luft hast.<br />
Was wünschst Du Freiburg?<br />
Mehr Gemeinsinn.<br />
Lieber Walter, vielen Dank für das spannende Gespräch.<br />
Wir wünschen Dir für all Deine Aufgaben viel Kraft und<br />
Freude. Bleib gesund!<br />
Oliver, Conny & Ekki<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 15
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FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 17
Abb.: Für viele Wohnungslose ist Sicherheit nur flüchtig und die Intimsphäre prekär.<br />
TRÜBE TAGE, RAUE NÄCHTE<br />
Obdachlos im November – ein Selbstversuch<br />
Meine Finger sind taub, bleich und spröde. Die Handschuhe?<br />
Klamm durch das ewige Nieseln. Ich reibe die<br />
Hände, aber warm werden sie nicht. Eher noch rissiger.<br />
Die Kälte schlägt eben nicht nur auf die Lunge, sondern<br />
schadet auch Haut, Knochen und Gelenken – schneller,<br />
als ich dachte. Immerhin sind meine Hände noch nicht<br />
entzündet oder blutig; schließlich bin ich erst eine Nacht<br />
lang auf der Straße. Ich kann auch wieder heim, anders<br />
als Notleidende, die hier überleben müssen.<br />
Diogenes, der Philosoph in der Tonne, lief über einen<br />
taghellen Marktplatz mit der Lampe, leuchtete die Athener<br />
an und rief: „Ich suche einen Menschen!“ Heute<br />
bräuchte sich ein sozialkritischer Diogenes kaum anzustrengen;<br />
unter den Straßenlaternen schimmert auch<br />
in der Nacht viel Menschlichkeit, schauen wir nur genau<br />
hin: Trauer, Sehnsucht und auch Stärke.<br />
Hinschauen und lernen will ich – was es für meine ca.<br />
50.000 Mitmenschen hier in Deutschland bedeutet, auf<br />
der Straße zu leben. Später bin ich zerschlagen, humple<br />
und habe einen humanen Gedanken leiblich nachvollzogen:<br />
Jeder Mensch sollte eine Bleibe haben.<br />
ICH RÜSTE MICH MIT FUNKTIONSPULLI, PARKA – UND<br />
MACHE GLEICH DEN ERSTEN FEHLER<br />
Um eine kalte Nacht zu überstehen, muss ich mich nur<br />
warm anziehen, denke ich. Doch das ist naiv; auf der<br />
Straße ist alles komplizierter. Nach den ersten Schritten<br />
durch das abendliche Gewühl der Königsstraße überhitze<br />
ich und verstehe meine erste Lektion: Wer draußen<br />
lebt, muss ständig schwitzen oder frieren, nämlich Kleidung<br />
für die Nacht auch durch den Tag tragen – damit<br />
sie nicht geklaut wird und da Taschen immer zu voll sind.<br />
„Die musst Du zu jedem Sozialtermin mitschleppen, auch<br />
mehrmals durch die ganze Stadt. Mit der Bahn fahren<br />
darfst Du ja nicht“, erklärte mir zu Herbstbeginn eine Notleidende<br />
im Interview, „das macht Dich fertig. Und Du<br />
kannst Dich auch nicht einfach frisch machen, wenn Du<br />
dann aussiehst wie nach fünf Stunden Sport!“<br />
18<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
Abb.: Bin ich schlecht gekleidet? Wer nicht glänzt, droht ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden. Das ist ein Problem,<br />
sind wir doch alle Menschen und nicht Puppen.<br />
Seine Kleidung nicht ablegen zu können, ist also kein kleines<br />
Problem. Die eigene Temperatur nicht regulieren zu<br />
können, tötet sogar: Ein Körper unter schwitziger Kleidung<br />
kühlt schnell aus. Wie ertragen Menschen solche<br />
Zumutungen? Ich schaue mich um. Vor den strahlenden<br />
Schaufenstern sammelt ein junger Mann Spenden; er ist<br />
aber dünner angezogen als ich und scheint sich auf die<br />
Nacht vorbereiten zu müssen. Müde, aber lächelnd teilt<br />
er seine Straßenkompetenz mit mir: „Für mich ist überlebenswichtig,<br />
einige Sachen versteckt zu lagern. Sonst<br />
könnte ich mich nicht vernünftig anziehen. Nur habe ich<br />
Angst, dass sie wieder gefunden werden und wieder im<br />
Müll landen.“ Diogenes würde diese Angst verstehen –<br />
und einen Menschen treffen, der sich um seine einfachsten<br />
Bedürfnisse sorgt.<br />
WIR WOLLEN UNS AUF EINE BANK SETZEN; ABER SO<br />
LEICHT IST AUF DER STRASSE NICHTS<br />
Das Riesenrad auf dem Schlossplatz leuchtet in die Nacht<br />
wie ein elektrifiziertes Rad der Fortuna. „The Länd“, eine<br />
Werbung Baden-Württembergs, bringt uns aber kein<br />
Glück. Vor den Bänken, wo die Schuhe Mulden eindrückten,<br />
glänzen nach dem Regen kleine Seen. Meine zweite<br />
Lektion: Wer auf der Straße lebt, kommt kaum zur Ruhe,<br />
geplagt von äußeren Faktoren wie dem Wetter.<br />
„Einmal hat mich der Schnee fast erledigt“, lacht mein<br />
Bekannter freudlos, „das Wasser hier ist noch harmlos.<br />
Du darfst aber nicht reintreten. Die Nässe macht Deine<br />
Füße wund.“ Also suchen wir einen besseren Rastplatz.<br />
Stadtarbeiter beschneiden die Bäume. Ein Bagger scheint<br />
geparkt, wir legen die Rucksäcke ab und lehnen unsere<br />
steifen Schultern an seine Reifen. Die Welt fühlt sich<br />
gleich besser an!<br />
Doch plötzlich jault es, dass ich nach vorne springe. Ein<br />
Alarm: Wir dürfen uns hier nicht anlehnen. „Das ist<br />
heute wieder ein Spießrutenlauf“, brummt der Bekannte<br />
namens Sven. Wir suchen uns also zwei Metallsitze. Die<br />
sind kalt, lassen keine Entspannung zu und durch strömende<br />
Feiernde auf eine Wand blicken. Sven stöhnt; seine<br />
Kopfschmerzen würden stärker werden, weil er nirgends<br />
Frieden finde. „Die Stadt besteht aus Wänden. Die sperren<br />
einen von der Wärme aus, aber die freundlicheren<br />
Mauern haben auch Nischen, in die man sich legen kann.“<br />
Dann fröstelt er und will sich für die Nacht vorbereiten. Er<br />
wünscht mir Glück und hastet ins Dunkle. Sein Versteck<br />
kann er mir natürlich nicht zeigen; er kennt mich kaum.<br />
Abb.: Schon der Herbst ist auf der Straße nicht gemütlich,<br />
sondern brutal. Auch das bunte Laub verliert an Schönheit,<br />
weht es einem beim Aufwachen feucht ins Gesicht.<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 19
Ich erinnere mich an eine Vorstellung von Molières „Der<br />
Geizige“. Das Publikum lachte an den falschen Stellen;<br />
immer dann, wenn eine Figur geschlagen wurde. Während<br />
der Pause entdeckte ich einige Wohnungslose in der<br />
benachbarten Bankfiliale. Sie schliefen neben den Heizungen<br />
– wer Geld abheben wollte, stand direkt neben ihren<br />
Gesichtern. Dieses Bild, von außen durch das Schaufenster<br />
betrachtet, schien mir das eigentliche sozialkritische<br />
Stück. Jetzt selbst der Mensch im Schaufenster zu sein,<br />
ändert die Optik. Überall sehe ich Notleidende, scheinbar<br />
gute oder gefährliche Plätze. Ein Schwarm Vögel fliegt<br />
über den Nachthimmel, Passanten bleiben stehen und<br />
rufen: „Wunderschön!“ Graue Schemen kreisen vor der<br />
Schwärze. Ich gehe weiter.<br />
Abb.: Das Riesenrad soll Optimismus symbolisieren.<br />
Kann es das? Jedenfalls macht es Wohnungslosen die<br />
feuchtkalte Nacht nicht angenehmer.<br />
ICH WANDERE VOM BAHNHOF ZUR BRÜCKE ZUR<br />
KIRCHE ZUM BAHNHOF ZUR KIRCHE<br />
Meine dritte Lektion: Gute Schlafplätze sind selten. Zuerst<br />
branden Gruppen feierwütiger Männer um mich,<br />
so aufgedreht wie ihre Bluetooth-Boxen. Dann ist ein<br />
Platz zwar ruhiger, aber zugig. Der Windchill-Effekt bläst<br />
mir die warme Luft von der Haut weg. Er macht frostiges<br />
Wetter beißend; wohnungslose Menschen bringt er<br />
um. Unter der Brücke warnt mich die Notleidende Sarah:<br />
„Hier kannst Du nicht bleiben. Du holst Dir den Tod!“ Sie<br />
will hier nur eine Weile „verschnaufen“, bevor sie wieder<br />
Spenden sammelt. „Ich weiß nur nicht, was ich machen<br />
soll, wenn Corona schlimmer wird“, fährt sie beunruhigt<br />
fort, „Münzen brauchst Du für alles, auch für das Klo. Als<br />
Frau kann ich nicht draußen pinkeln, sonst sind Männer<br />
hinter mir her. Es ist so schon gefährlich.“ Zur Erholung<br />
versucht sie, gleichmäßig ein- und auszuatmen. Traurig<br />
suche ich weiter. Später drücke ich mich in eine Ecke;<br />
doch dann kommt einer. Die Ecke gehöre ihm. Verhandeln<br />
will er nicht.<br />
BISHER DACHTE ICH, MEINE SCHUHE WÜRDEN PASSEN<br />
Unter den Bedingungen der Straße erweisen sie sich als<br />
zu eng. Mein Alltag scheint mir plötzlich so komfortabel<br />
wie naiv; nun mit einem gequetschten Vorfuß, Blasen<br />
und humpelndem Fehlgang.<br />
Verwundert sehe ich, schon fünfzehn Stunden lang herumzuirren.<br />
Durch Stress vergeht die Zeit schnell. Die<br />
Gegenwart ist schmal, wenn einen die dringendsten<br />
Bedürfnisse drücken. Dann verschwinden Vergangenheit<br />
und Zukunft. Seine Schuhe tagelang nicht von den Füßen<br />
zu bekommen, begreife ich jetzt als eine besondere Qual.<br />
Müsste ich länger so unterwegs sein, wären bleibende<br />
Schäden unvermeidlich. Die Schuhe kann ich kaum ausziehen.<br />
Wer will auch in Unterführungen barfuß sein? Es<br />
ist feucht und kalt und überall liegen Scherben.<br />
Es geht aber noch schlimmer! Einige Meter durch den<br />
Park gehumpelt, klebt an Tretern und Hose viel Matsch.<br />
Abb.: Psychische Gewalt ist auf der Straße häufig.<br />
Wohnungslose sind besonders gefährdet – auch durch<br />
Mord und Sexualverbrechen.<br />
20
Abb.: Wir Menschen denken in Rollenbildern. Schon nach ein paar Stunden als Wohnungsloser ändert sich alles.<br />
Schon bin ich verschmutzt. Das Rollenmuster „obdachlos“<br />
nimmt Gestalt an, die Stigmatisierung beginnt. Ich<br />
meine, die Feierlustigen werfen mir Blicke zu; so abgekämpft<br />
wie ich in Parka und mit Rucksack aussehe – vielleicht<br />
bilde ich mir das aber auch nur ein? Meine vierte<br />
Lektion: Die Straße greift das Selbstvertrauen an. Kälte,<br />
Einsamkeit und Angst bedeuten dann, allein in dunklen<br />
Ecken einen Schlafplatz zu suchen, mit einem Kloß im<br />
Hals und flau im Bauch. Sehnsüchtig träume ich von meiner<br />
Wohnung.<br />
DIE EIGENE WOHNUNG IST DAS VERHEISSENE LAND,<br />
WO WASSER UND STROM FLIESSEN<br />
Hier, im heimischen Paradies, plätschert heißes Wasser<br />
mit einer Handbewegung direkt aus der Wand. Mit einem<br />
Griff habe ich Nahrung in Fülle. Auch die Wände hier sind<br />
so freundlich wie Beton nur sein kann; in jede Richtung<br />
sperren sie die bösen Dinge aus. Wer sein Paradies besitzt,<br />
kann nestwarm dösen und seine Gedanken mit dem<br />
beruhigenden Summen des Kühlschranks synchronisieren.<br />
Natürlich müssen auch die stolzen Paradies-Besitzenden<br />
raus in die Kälte, doch dürfen sie auf ihre gelobten<br />
Quadratmeter heimkehren, können sich nach einem Tag<br />
unter Menschen vom Lärm entspannen! Auf der Straße<br />
wiederholt sich der Lärm des Tages aber im Lärm der<br />
Nacht und wieder im Lärm des Tages; endlos so fort – bis<br />
ein Mensch vor Stress krank wird, erfriert oder schlimme<br />
Gewalt erfährt.<br />
NACH EINIGEN STUNDEN IN KLAMMEM HALBSCHLAF<br />
SCHRECKE ICH VOM PFLASTER AUF<br />
Mein Rücken sticht. Meine Lippen sind rissig, aber ich<br />
habe kein Wasser mehr. Nach einer Brezel ist mein Kleingeld<br />
alle; wo bekomme ich die Münze für eine Toilette her?<br />
Ich schneide mich am Papier und blute auf den Parka.<br />
Durch den restlichen Tag werde ich immer schlapper<br />
und begegne noch einigen Armen, die mit jeweils eigenen<br />
Strategien überleben. Für mich ist das noch leicht. Ich<br />
war ausgeruht – nach einem Monat hier wäre ich anders<br />
angeschlagen. Dann begänne der wirkliche Schrecken.<br />
Meine wichtigste Lehre: Wir sollten jedem Menschen zu<br />
einer Wohnung verhelfen. Housing first!<br />
Artikel & Fotos: Daniel Knaus<br />
Mit freundlicher Genehmigung von Trott-war e. V.<br />
Abb.: Ein Mensch ohne Heim weiß nie, wo sich eine<br />
Zuflucht bietet oder Gefahren lauern. Das verursacht<br />
ständigen Stress.<br />
21
Sonntagstreff im <strong>Februar</strong> <strong>2022</strong><br />
27.02.<strong>2022</strong><br />
13:00 - 14:30<br />
Evangelische Melanchthongemeinde<br />
Freiburg-Haslach / Melanchthonweg 9<br />
Straßenbahn 5 Richtung Rieselfeld<br />
Halt Dorfbrunnen<br />
oder<br />
Bus 14 Richtung Haid<br />
Halt Scherrerplatz<br />
Die Gemeinde plant die Ausgabe von Vespertüten<br />
sowie ein warmes Vesper auf die Hand.<br />
Foto: E. Peters<br />
VERKÄUFER ZEKKKE<br />
Es wird gebeten, sich an die Regeln der aktuellen<br />
Corona-Situation zu halten und den Bitten<br />
der GemeindehelferInnen zu entsprechen.<br />
Anzeige<br />
Hi, ich bin Zekkke, einige von Ihnen kennen mich wahrscheinlich<br />
noch aus der Zeit vor der Pandemie, als ich<br />
nachts in den Freiburger Bars und Kneipen die Straßenzeitung<br />
verkauft habe. Nachdem dies aufgrund von<br />
Corona nicht mehr möglich war, hatte ich einen festen<br />
Verkaufsplatz vor dem „Bis Späti“, bevor dieser, ich kann<br />
es nicht anders sagen, der nachtlebenfeindlichen Stadtpolitik<br />
zum Opfer gefallen ist. Seitdem bin ich auf der<br />
Suche nach einem neuen Verkaufsplatz. Bis dahin verkaufe<br />
ich hin und wieder, meist am späten Nachmittag, vor<br />
dem Netto im Freiburger Stadtteil Stühlinger. Durch den<br />
Verkauf kann ich mir nicht nur etwas dazuverdienen, ich<br />
lerne auch des Öfteren interessante Leute kennen und<br />
man quatscht ein wenig. In meiner Freizeit reise ich sehr<br />
gerne, sofern es die momentane Situation zulässt. Außerdem<br />
gehe ich gerne auf Konzerte und musiziere selbst.<br />
Mal auf dem Schlagzeug, aber auch auf dem Akkordeon,<br />
oder ich spiele auf meiner Cigarbox-Gitarre. Ich nähe und<br />
zeichne gerne. Und ich schaue sehr gerne Fußball, vor<br />
allem die Spiele von meinem Lieblingsverein FC St. Pauli,<br />
aber natürlich auch die vom SC Freiburg.<br />
Für die Zukunft wünsche ich uns allen, dass die Pandemie<br />
schnell vorbei ist und es wieder möglich ist all die Dinge<br />
zu machen, die vorher selbstverständlich waren. Ich sage<br />
Danke, bleiben Sie gesund und bis ganz bald!<br />
Ihr Zekkke<br />
es ist zeit,<br />
dass der stein<br />
sich zu blühen bequemt<br />
VEREIN FÜR NOTWENDIGE KULTURELLE MASSNAHMEN e.V.<br />
HASLACHER STRASSE 25 | 79115 FREIBURG<br />
WWW.SLOWCLUB-FREIBURG.DE<br />
ES IST ZEIT,<br />
22<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
MITMACHSEITE<br />
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Sagen Sie es weiter!<br />
Wir freuen uns auf Sie...<br />
Ihr FREIeBÜRGER-Team<br />
Engelbergerstraße 3 – 0761/3196525 – info@frei-e-buerger.de<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 23
Illustrationen: Manuele Fior / avant-verlag<br />
CELESTIA<br />
Buchbesprechung von utasch<br />
Die große Invasion kam über das Meer.<br />
Über das Festland zog sie gen Norden.<br />
Viele sind geflohen, einige fanden Zuflucht auf einer<br />
kleinen Insel in der Lagune.<br />
Einer steinernen Insel,<br />
vor über tausend Jahren auf Wasser gebaut.<br />
Ihr Name ist Celestia.<br />
Über die große Invasion erfahren wir in der Science-Fiction<br />
Graphic Novel des Autors und Illustrators Manuele Fior<br />
nichts Genaueres. Doch ein Teil der Welt scheint nur noch<br />
dünn besiedelt zu sein und auf der von Wasserstraßen<br />
durchzogenen Insel Celestia, die an Venedig erinnert, leben<br />
anscheinend nur einige seltsame MaskenträgerInnen<br />
und TelepathInnen. Dort begegnen wir dem Einzelgänger<br />
und Freigeist Pierrot mit seiner charakteristischen Träne<br />
auf der Wange, der seine Vorahnungen in poetischen<br />
Versen verkündet. Dora hat ihre telepathische Veranlagung<br />
nicht unter Kontrolle und wird von quälenden<br />
Déjà-vus heimgesucht. Nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung<br />
mit Honk, der zu einer kriminellen Bande<br />
gehört, müssen Pierrot und Dora aufs Festland fliehen.<br />
Dort treffen sie auf eine neue Generation von TelepathInnen.<br />
Die Kinder können sich auch auf weite Entfernungen<br />
miteinander verständigen, sind im Einklang mit ihren<br />
Fähigkeiten und verkörpern eine neue Zukunftsperspektive.<br />
Sie sorgen für die hinterbliebenen Erwachsenen, die in<br />
einem Zustand der Realitätsverweigerung verharren. Als<br />
Pierrot und Dora schließlich nach Celestia zurückkehren,<br />
lauert die kriminelle Bande bereits auf Rache. Das Ende<br />
der Geschichte verrate ich Ihnen nicht.<br />
Die Story erscheint wie ein kleiner Ausschnitt aus einer<br />
viel größeren Fantasiewelt und lässt reichlich Raum für<br />
Spekulationen. Gerne hätte ich die nächsten Bücher über<br />
die große Invasion, die telepathischen Kinder, die MaskenträgerInnen<br />
und die weiteren Abenteuer von Pierrot<br />
und Dora aufgeschlagen. Fiors spärliche Texte fördern die<br />
Konzentration auf seine Bildsprache, die in leuchtenden<br />
Aquarellfarben dem Zukunftsszenario eine harmonische<br />
Atmosphäre verleiht. Visuell überzeugend ist die ausdrucksstarke<br />
Dynamik jedes einzelnen Bildes, mit der<br />
Situationen, Bewegungen und Gefühle veranschaulicht<br />
werden. Da gibt es auch auf den zweiten und dritten<br />
Blick wirklich viel zu entdecken. Wer sich für das Genre<br />
interessiert, wird viel Freude an „Celestia“ haben, obwohl<br />
die Geschichte vieles ungesagt und offen lässt.<br />
Manuele Fior<br />
„CELESTIA“<br />
avant-verlag<br />
ISBN: 978-3-96445-057-9<br />
272 Seiten | 29 €<br />
24<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
GEFÜLLTE KARTOFFELN MIT GRÜNKOHL<br />
Foto: E. Peters<br />
Herzlich willkommen auf unserer Kochseite!<br />
Die Grünkohlsaison ist schon seit einer Weile eröffnet.<br />
Traditionell sollte Grünkohl nach dem ersten Frost geerntet<br />
werden, weil er da einfach noch besser schmeckt. Wir<br />
raten, Grünkohl in der kalten Jahreszeit öfter zu essen,<br />
denn er enthält viel Vitamin C, E und K, unterstützt das<br />
Immunsystem, stärkt die Abwehrkräfte und ist fett- und<br />
kalorienarm. Also genau das Richtige, um gesund und fit<br />
durch den Winter zu kommen. Das sind gute Gründe, ihn<br />
mehrmals auf den Speiseplan zu setzen, was wir beim<br />
FREIeBÜRGER ja schon öfter getan haben, letztes Mal<br />
klassisch mit Kohlwurst, Kasseler und Kartoffeln. Dieses<br />
Mal gibt es eine vegetarische Variation: gefüllte Kartoffeln<br />
mit Grünkohl. Als Beilage haben wir uns für einen der<br />
gesündesten aller Salatarten entschieden: den Feldsalat,<br />
mit einem Honig-Senf-Dressing.<br />
Zutaten für 4 Personen:<br />
250 g Grünkohl<br />
4 große Kartoffeln<br />
4 kleine Zwiebeln<br />
60 ml Gemüsebrühe<br />
50 g Frischkäse<br />
30 g halbfester Schnittkäse<br />
200 g Feldsalat (Beilage)<br />
1 EL Pflanzenöl<br />
1 TL Dijonsenf<br />
5 EL Balsamico-Essig<br />
4 EL Olivenöl<br />
1 TL Honig<br />
Muskat<br />
Salz & Pfeffer<br />
Zubereitung:<br />
Grünkohl waschen, von den harten Rippen befreien und<br />
in kochendem Salzwasser kurz blanchieren, herausnehmen,<br />
abschrecken und kleinschneiden. Zwiebeln schälen,<br />
fein würfeln und in einer Pfanne mit Pflanzenöl andünsten.<br />
Grünkohl und Gemüsebrühe hinzugeben und eine<br />
halbe Stunde lang garen. Mit Salz, Pfeffer und Muskat<br />
abschmecken. Dann den Backofen auf 200 °C vorheizen.<br />
Kartoffeln säubern und eine Viertelstunde kochen. Danach<br />
die Kartoffeln längs halbieren und bis auf einen zentimeterdicken<br />
Rand aushöhlen. Frischkäse, Grünkohl und<br />
200 g des Kartoffelinneren mischen. Mit Salz und Pfeffer<br />
abschmecken. Die Kartoffelhälften damit befüllen und in<br />
einer gefetteten Auflaufform im Backofen bei 200 °C (mit<br />
einer gefetteten Alufolie bedeckt) eine halbe Stunde lang<br />
backen. Alufolie entfernen, den geriebenen Schnittkäse<br />
auf die Kartoffeln verteilen und kurz überbacken, bis der<br />
Käse schmilzt. Den Feldsalat mehrmals im Spülbecken<br />
in kaltem Wasser gründlich waschen, herausnehmen,<br />
abtropfen lassen und trockenschleudern. Für das Dressing<br />
den Senf mit dem Honig, Balsamico, Olivenöl, etwas Salz<br />
und 4 EL kaltem Wasser in eine Salatschüssel geben. Den<br />
Feldsalat hinzufügen und vorsichtig unterheben.<br />
Guten Appetit!<br />
Oliver & Ekki<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 25
Hallöchen, liebe Sportfreunde,<br />
nun ist schon der erste Monat des neuen Jahres vergangen<br />
und so nähert sich das nächste Weihnachtsfest schon<br />
wieder beängstigend schnell. Aber ganz so weit ist es zum<br />
Glück noch nicht, vorher stehen uns erstmal Olympia und<br />
dann noch die Fußball-WM ins Haus.<br />
Bis zu den Olympischen Winterspielen brauchen wir jetzt<br />
nicht mehr lange zu warten, denn die beginnen bereits<br />
am Ende diesen Monats. Meine Erwartungen auf deutsche<br />
Medaillen habe ich allerdings im Verlauf der letzten<br />
Wochen schon erheblich zurückschrauben müssen, denn<br />
irgendwas haben unsere Wintersportler wohl falsch verstanden.<br />
Statt zum Saisonhöhepunkt, also den Olympischen<br />
Spielen, in Topform zu sein, waren es die deutschen<br />
AthletInnen zum Saisonbeginn und laufen nun den anderen<br />
SportlerInnen ein wenig hinterher.<br />
Zumindest bei den Alpinen RennfahrerInnen und bei den<br />
BiathletInnen sieht es in diesem Jahr so aus, als würden<br />
sie bei der Medaillenvergabe daneben stehen und höflich<br />
gratulieren. Vor allem die Biathletinnen machen dem<br />
deutschen Olympiakomitee Sorgen, denn die ehemals so<br />
erfolgreichen Skijägerinnen haben in dieser Saison noch<br />
kein Rennen gewinnen können, weder im Einzel noch in<br />
der Staffel, selbst Podiumsplatzierungen waren in diesem<br />
Winter bislang rar. Vielleicht sollten sich die Verantwortlichen<br />
mal wieder auf die früher so erfolgreiche Nachwuchsförderung<br />
besinnen, um in zwei oder drei Jahren<br />
wieder eine erfolgreiche Mannschaft aufstellen zu können.<br />
Denn schließlich sind da her überaus erfolgreiche<br />
Biathletinnen wie Magdalena Neuner, Laura Dahlmeier<br />
oder Katrin Wilhelm gekommen, die unzählige Olympiaund<br />
WM-Medaillen gewonnen haben. In diesem Jahr stehen<br />
zwar auch ein paar junge Sportlerinnen im Aufgebot,<br />
allerdings haben sie noch zu viele Fehler im Repertoire,<br />
um erfolgreich zu sein. Die einen können unerhört schnell<br />
laufen und die anderen sind sehr gut am Schießstand.<br />
Aber beides zusammen kann man momentan nur bei den<br />
Norwegerinnen, den Schwedinnen und den Französinnen<br />
finden. Aber vielleicht belehren mich die Damen bei<br />
Olympia eines Besseren?!<br />
Bei den Biathlonherren gab es im Januar schon mehr<br />
Grund zum Hoffen, die konnten schon zwei Rennen gewinnen<br />
und auch bei der letzten Staffel sind sie auf Platz<br />
drei gelandet und das sogar nur mit der B-Mannschaft.<br />
Vor allem für den Schwarzwälder Benedikt Doll hat es<br />
mich gefreut, dass er mal wieder einen Sieg einfahren<br />
konnte. Zwar ist der Junge immer einer der schnellsten<br />
in der Loipe, aber am Schießstand geht er selten mal mit<br />
fünf Treffern weg. Und jetzt gewinnt er ausgerechnet ein<br />
Massenstartrennen, bei dem viermal geschossen wird!<br />
Ich würde es ihm gönnen, wenn er das in China noch mal<br />
schafft...<br />
Auch die Alpinen RennfahrerInnen sind eigentlich ganz<br />
erfolgreich in den Winter gestartet und haben sowohl<br />
bei den Frauen als auch bei den Männern Platzierungen<br />
unter den ersten dreien erreicht. In den letzten Wochen<br />
blieben die allerdings aus, vor allem in der Abfahrt<br />
sind die deutschen Cracks deutlich hinter den Spitzenläufern.<br />
Aber es ist ja egal, schließlich ist ja Olympia! Und<br />
laut dem olympischen Gedanken darf es dabei nicht ausschließlich<br />
um Sieg oder Niederlage gehen, das Dabeisein<br />
ist alles – Ha, das sollte mal jemand den alten Griechen<br />
erzählen...<br />
Wesentlich mehr Spaß machen da die Skispringer um<br />
Karl Geiger und Marcus Eisenbichler, die schon seit Saisonbeginn<br />
gut in Schuss sind und die Spiele von Peking<br />
gar nicht mehr erwarten können. Vor allem Geiger, der<br />
auch im Gesamtweltcup führt, hat mit vier Saisonsiegen<br />
seine Ansprüche auf die eine oder andere Olympiamedaille<br />
angemeldet. Das hat er auch am vergangenen Wochenende<br />
unter Beweis gestellt, als er in Titisee-Neustadt<br />
gleich beide Wettkämpfe gewann, zumal er die Schanze<br />
hier um die Ecke bisher gar nicht mochte. Zumindest<br />
taucht sein Name in den Ergebnislisten der letzten Jahre<br />
erst weit hinten auf. Sei es wie es sei, mit den beiden Siegen<br />
im Schwarzwald ist er in der Favoritenliste ganz nach<br />
vorn gesprungen. Allerdings war der Bundestrainer nach<br />
Neustadt nicht zu beneiden. Zwar war das Wochenende<br />
mit sieben Springern sehr erfolgreich in den Finaldurchgängen,<br />
doch der Coach durfte nur fünf Springer für den<br />
Olympiastart benennen. Nach einer Nacht mit viel Grübeln<br />
entschied er sich dafür, die beiden Ex-Olympiasieger<br />
Freund und Wellinger daheim zu lassen und ich denke<br />
auch, das war richtig so, die waren nach Verletzungen<br />
noch nicht ganz auf der Höhe.<br />
Bei den Springern sehe ich jedenfalls die größten Medaillenchancen,<br />
die Nordischen Kombinierer werden auch ein<br />
paar davon holen und natürlich sind die deutschen SportlerInnen<br />
auch wieder in den Bob- und Schlittenrennen<br />
26<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
Abb.: Karl Geiger – seine bisher größten Erfolge sind die Weltmeister-Titel im Skifliegen 2020 in Planica, sowie im<br />
Mannschaftswettbewerb und im Mixed-Wettbewerb bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 2019<br />
Foto: Kai Pfaffenbach / REUTERS<br />
die großen Favoriten. Also, in zwei Wochen geht es los. Ich<br />
habe auf meiner Couch schon ein „Besetzt“-Schild“ aufgestellt<br />
– von mir aus kann es losgehen!<br />
Fußball gespielt wurde im Januar natürlich auch schon<br />
wieder, schließlich muss die Saison wegen der WM diesmal<br />
früher beendet werden. In der ersten Liga ist nach<br />
zwei Spielen alles beim Alten geblieben. Die Bayern und<br />
das Schwarzgelbe stehen oben und Union Berlin und der<br />
SC Freiburg liegen lauernd dahinter und befassen sich<br />
gedanklich wohl schon so langsam mit der Champions<br />
League. So unrealistisch ist das gar nicht mal, denn die<br />
Mannschaften, die sonst da oben stehen, haben in dieser<br />
Saison ziemlich große Probleme und hangeln sich von<br />
Spiel zu Spiel. Der hiesige Sportclub liefert überzeugende<br />
Leistungen ab, fährt regelmäßig Punkte ein und steht<br />
nicht unverdient so weit oben. Das wäre doch sensationell,<br />
wenn Real Madrid oder der FC Liverpool hier zum Kicken<br />
auftauchen würden!<br />
In der besten 2. Liga aller Zeiten ist es inzwischen zum<br />
erwarteten Neunkampf um die Aufstiegsplätze gekommen<br />
und das Erfreuliche daran ist, meine Schalker spielen<br />
gar keine so schlechte Rolle dabei. Der 5:0 Sieg in Aue war<br />
ziemlich überzeugend! Ja, wer ist schon Aue, werdet ihr<br />
sagen, doch fahrt da erst mal hin, das ist ein heißes Pflaster<br />
dort, da haben schon ganz andere verloren!<br />
Aber es sind ja noch ein paar Spiele Zeit, bis die Aufsteiger<br />
gekürt werden. Ich für meinen Teil hoffe aber, dass die<br />
Blau-Weißen dabei sein werden.<br />
Für einen Zweitligisten begann das Jahr allerdings denkbar<br />
schlecht. Dynamo Dresden musste den Tod seines<br />
langjährigen Mannschaftskapitäns, Ausnahmespielers<br />
und seiner Vereinsikone Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner betrauern.<br />
Wieder einer meiner Fußballhelden aus der Kindheit,<br />
der gehen musste. Natürlich war ich nie ein Dresdenfan<br />
und werde auch nie einer sein, aber ein „Dixie“<br />
Dörner-Fan war ich schon. Es war schon toll, ihn spielen<br />
zu sehen, der hat der Liberoposition erst richtiges Leben<br />
gegeben. Journalisten bezeichneten ihn immer als Beckenbauer<br />
des Ostens, doch das wird ihm nicht gerecht.<br />
Eher war der Kaiser der Dixie des Westens, nur halt mit<br />
Skandalen! Ich werde nie die Olympischen Spiele 1976 in<br />
Montreal vergessen, als Dörner in seiner unvergleichbaren<br />
Art die DDR-Mannschaft zum Olympiasieg führte. Ich<br />
habe jedes Spiel mit meinem Vater auf der Couch gesehen<br />
und wir konnten am Ende den einzigen (!) Olympiasieg<br />
einer deutschen Mannschaft bejubeln. Lass es Dir gut<br />
gehen, Dixie!<br />
Das war es mal wieder, viel Spaß bei Olympia und bleibt<br />
gesund!<br />
Carsten<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 27
Kontakt: www.schemske.com<br />
FOLGE 22<br />
Miriam wollte gerade ihre Arbeit in ihrer Computer-Software-Firma<br />
beenden und ihr Penthouse in der Freytagstraße<br />
beim Freiburger Seepark verlassen. Aber etwas<br />
hielt sie zurück. Sie ging zum Firmensafe und holte den<br />
USB-Stick mit dem Dossier heraus, das sie über den Sektenführer<br />
Alois Rubac angelegt hatte. Der Mann, der sich<br />
‚Ihre Heiligkeit‘ nennen ließ, war wegen sexuellem Missbrauch<br />
von Jugendlichen zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe<br />
verurteilt worden.<br />
Miriam hatte mit ihren Spezialkenntnissen dabei geholfen,<br />
den Mann bankrottgehen zu lassen. Was also beunruhigte<br />
sie, der Mann war doch fertig? Sie beschloss,<br />
nachzurecherchieren. Sie loggte sich mit einer fiktiven<br />
Internetadresse aus den USA ein und suchte seinen<br />
Wohnort. Die 360°-Fotos und die Luftbilder zeigten sein<br />
Refugium in der Kybfelsenstraße in Freiburg-Günterstal,<br />
gegenüber dem Weiher.<br />
Aber etwas war anders. Wo früher eine Wiese gewesen<br />
war, erstreckte sich ein ausgedehnter Parkplatz, daneben<br />
ein großes, weißes Zelt. Der Parkplatz war fast voll. Sie<br />
erkannte die Kleinbusse und Familienwagen, die von der<br />
Anhängerschaft des Sektenführers bevorzugt wurden.<br />
Sollte sie sich die Finanzen von Alois Rubac noch einmal<br />
ansehen? Später, beschloss sie. Sie legte den Stick zurück.<br />
Dann verschloss sie den Safe. Sie sperrte die große Eingangstüre<br />
aus Sicherheitsglas ab und nahm den Lift in die<br />
Tiefgarage. Sie ging über einen der Seiteneingänge hinaus<br />
zur Freytagstraße und bewegte sich langsam in Richtung<br />
Seepark. Als sie an einer Apotheke vorbeikam, ging<br />
sie in den Eingangsbereich, aber dann drehte sie ab und<br />
verließ das Gebäude durch den Hinterausgang. Wurde sie<br />
verfolgt?<br />
Beim Überqueren der Sundgauallee nahm sie keine verdächtigen<br />
Gestalten wahr. Ruhig betrat sie den Japanischen<br />
Garten am Seepark und setzte sich auf eine Bank.<br />
Eigentlich sollte sie nicht allein meditieren, aber es war ja<br />
niemand da. Nach einer Weile war sie eingenickt.<br />
Als sie erwachte, saß ihr jemand gegenüber. Die schwarze<br />
Gestalt erschreckte sie, aber dann erkannte sie eine ältere<br />
Japanerin, die sie schon öfters im Garten gesehen hatte.<br />
Jetzt verneigte sich die Frau mit einer fast unmerklichen<br />
Geste. Erleichtert neigte auch Miriam den Kopf um einige<br />
Millimeter. Die Frau stellte sich vor. „Ich heiße Hiroko, Sie<br />
sind ebenfalls öfters hier?“ Sie wies mit der Hand auf den<br />
Platz neben ihr.<br />
Miriam ging zu ihr hinüber und setzte sich. „Miriam“,<br />
sagte sie. „Sie sehen aus wie jemand, der auf der Suche<br />
nach etwas ist“, sagte die schmale, aber aufrechte Gestalt.<br />
Miriam nickte. Woher wusste die Frau das? Aber Hiroko<br />
sprach weiter, ohne auf eine Antwort zu warten: „Ich<br />
stamme aus einer alten Familie, mein Großvater war<br />
einer der letzten Samurai.“ Sie vergewisserte sich, dass<br />
Miriam zuhörte. Dann fuhr sie fort: „Aber das nützt uns<br />
Frauen nichts. In Wahrheit stammen wir von den Müttern<br />
ab. Diese Linie – die wahre Blutlinie – ist es, die für uns<br />
wichtig ist, aber sie ist verschüttet.“<br />
Völlig unüberlegt antwortete Miriam. Sie hatte das noch<br />
niemandem erzählt, nicht einmal dem Duft-Michel, ihrem<br />
Vater. „Aber das stimmt nicht, ich sehe meine Mütter, bis<br />
in ferne, längst vergangene Zeiten, wie lebendig vor mir!“<br />
Hiroko überlegte. Dann sagte sie: „Das ist die spirituelle<br />
Linie. Der weibliche Stammbaum ist noch nicht<br />
geschrieben, nirgends.“ Energisch sagte sie: „Sie sind eine<br />
28<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
Ausnahme, das sehe ich jetzt. Wir müssen uns einmal<br />
unterhalten, wenn wir uns wieder hier treffen.“ Hiroko<br />
erhob sich und griff in ihre Handtasche. Sie gab Miriam<br />
eine Visitenkarte, wandte sich um und ging langsam über<br />
die kleine, rechtwinklig gebogene Holzbrücke. Unschlüssig<br />
drehte Miriam die Karte um. Nur der Name, Hiroko<br />
von Weißenberg, stand darauf, und eine Handynummer.<br />
„Hey“, rief Miriam, „könnten wir einen Cappuccino trinken,<br />
ich meine jetzt gleich?“<br />
Hiroko kam zurück. „Wenn ich das Angebot in einen Grüntee<br />
umwandeln darf, gern!“ Sie gingen hinüber in das<br />
Café am Seepark und setzten sich an einen Fensterplatz.<br />
Der Blick ging hinaus auf den See, der ruhig und breit vor<br />
ihnen lag. Die Wiesen, die Bäume und das oberste Spitzlein<br />
des Münsterturmes wurden gekrönt vom Panorama<br />
der grünen Hügel des Schwarzwaldes.<br />
Jetzt fehlt nur noch das Alpenglühen, dachte Miriam, als<br />
sie den Becher mit der Milchschaumkrone erhob. Hiroko<br />
legte die Hand um ihre Tasse, wie um die Temperatur zu<br />
prüfen. „In Japan sind die Tassen vorgewärmt“, sagte sie.<br />
Miriam drehte die Visitenkarte in ihren Händen. Hiroko<br />
verstand den Hinweis und sagte: „Das ist natürlich nicht<br />
mein Mädchenname, der ist Kokubu, es ist der Name meines<br />
verstorbenen Mannes.“<br />
„Das tut mir leid“, sagte Miriam. Hiroko nickte. „Wir lernten<br />
uns im Studium der Germanistik kennen. Mein Mann<br />
war Professor in Tokio, sein Name lautet übersetzt ins<br />
Japanische 不 死 , fushi, Berg der Unsterblichkeit“. Sie malte<br />
die Zeichen auf die Serviette. Dann malte sie ein paar<br />
andere Zeichen darunter. Dieses Zeichen 不 二 heißt fudschi,<br />
was so viel bedeutet wie einmalig.<br />
Miriam verstand nichts. Hiroko sagte triumphierend:<br />
„Aber Fuji heißt im alten Japanisch ‚Der Weiße Berg‘, wie<br />
mir meine Mutter erzählte, und das war der Name des<br />
deutschen Professors, den ich heiratete. Jetzt ist es mein<br />
Name.“<br />
mich einfach Hiroko!“ Miriam winkte der Bedienung und<br />
zahlte. Sie erhoben sich. Während Hiroko sich wieder dem<br />
Japanischen Garten zuwandte, ging Miriam zurück in<br />
ihre Firma.<br />
Sie schob den USB-Stick in ihren großen Computer. Dann<br />
versuchte sie nachzuverfolgen, was Ravi, einer ihrer führenden<br />
Mitarbeiter, damals gemacht hatte. Sie vernebelte<br />
wiederum ihre Herkunft, indem sie scheinbar von den<br />
USA aus im Netz surfte. Was hatte sie herausgefunden?<br />
Zwei Namen, Andy und Herbie, kamen zum Vorschein. Sie<br />
arbeiteten für den Sektenführer, Ihre Heiligkeit Alois.<br />
Die beiden waren allerdings auch die Verfolger von<br />
Annabell, der Fernseh-Ansagerin aus Baden-Baden.<br />
Jetzt schaute sie nach den Kontobewegungen, die von<br />
den Cayman Inseln zu einem Geheimkonto in der Schweiz<br />
führten, dem Konto von Alois Rubac. Sie hatte eine Überweisung<br />
in Millionenhöhe veranlasst, die sie allerdings<br />
zurückgezogen hatte, sobald der Sektenführer das Geld,<br />
das eigentlich seiner Sekte gehörte, ausgegeben hatte.<br />
Jetzt war er bankrott.<br />
Oder nicht? Sie schaute in sein Schweizer Konto. Weil<br />
sie es ihm eingerichtet hatten, besaß sie den Code. Aber<br />
keine gähnende Leere oder gar ein großes Minus tauchte<br />
auf, sondern mehrere Millionen US-Dollar, denn darauf<br />
lief das Konto. Dann stutzte sie. Die Mütter meldeten sich.<br />
Sie sagten: „Du musst aufpassen!“ Ihre Schutzengel wiederholten<br />
leise, aber eindringlich: „Du wirst verfolgt!“<br />
Sie runzelte die Stirn. Dann prüfte sie ihren großen Computer.<br />
Nach einer Weile war klar, dass kein Angriff erfolgt<br />
war, weder von Viren noch sonstigen Verfolger- oder<br />
Schadprogrammen. Sie setzte den Namen der Japanerin<br />
in das Suchfeld ein und drückte auf ENTER. Die Suche<br />
zeigte auch einige Fotos. Auf einem sah man sie mit einer<br />
flachen Rahmentrommel. War die Japanerin etwa eine<br />
Schamanin?<br />
- Fortsetzung folgt -<br />
Miriam überlegte. „Meine Erinnerungen – eigentlich<br />
sind es keine Visionen, sondern sehr klare Bilder – stammen<br />
von den Müttern. Ich bin eine Tochter meiner Mutter,<br />
und diese ist die Tochter einer Mutter, und so fort, bis an<br />
den Anfang. Sie sind meine Schutzengel, alle zusammen,<br />
wenn auch meistens nur eine um mich ist.“<br />
Die Tassen beider Frauen waren leer, sie schauten beide<br />
hinaus auf den See, aber die Blicke gingen ins Leere. Sie<br />
schauten nach innen. Miriam brach den Bann: „Ich melde<br />
mich bei Ihnen, Frau von Weißenberg“, aber die Japanerin<br />
unterbrach: „Wir waren doch schon beim Du, nenne<br />
NEU!<br />
www.schemske.de<br />
Wolf-Hammer-Krimi<br />
als audiobook<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 29
WIR WERDEN DIE NUSS SCHON KNACKEN!<br />
WORTSPIELRÄTSEL<br />
von Carina<br />
Fett umrandete Kästchen stellen den jeweiligen Lösungsbuchstaben des endgültigen<br />
Lösungswortes dar und zwar von oben nach unten gelesen. Sind pro Einzellösung mehrere<br />
Kästchen fett umrandet, sind diese Buchstaben identisch! Alles klar? Na dann viel Spaß!<br />
Zur Beachtung: Ä/Ö/Ü = AE/OE/UE und ß = SS<br />
Na, Ihr Hirnakrobaten!<br />
Wir leben in einer Zeit, in der sich manche auf den Social-Media-Plattformen auch mal<br />
gegenseitig was an den Kopf werfen, wenn Diskussionen hochkochen. Dabei kommt es<br />
manchmal zu Beleidigungen. Wenn mir sowas passiert, dann ignoriere ich das und blocke<br />
denjenigen, damit es erst gar nicht ausartet. Im Gegensatz dazu waren früher viele Beschimpfungen<br />
doch eher harmlos anstatt bösartig. Die hab’ ich mir diesmal rausgepickt<br />
zum Thema Schimpfwörter. Entschuldigt bitte den Fehlerteufel beim letzten Rätsel!<br />
1. Blödsinn-Schädel<br />
2. Fischfett-Tasche<br />
3. Erdtrabanten-Rinderjunges<br />
4. Kümmernis-Teigspeise<br />
5. Arbeitsunwilliges Fell<br />
6. Belästigungs-Gesichtsteil<br />
7. Essbesteck mit Schleimsekret<br />
8. Achtbeiner eines Bäckerei-Erzeugnisses<br />
9. Weibliches Feuchtgebiets-Geflügel<br />
10. Voluminöser Hirnkasten<br />
Lösungswort:<br />
Zu gewinnen für das korrekte Lösungswort:<br />
1.- 3. Preis je ein Gutschein unserer Wahl<br />
UND:<br />
Im Dezember <strong>2022</strong> wird von ALLEN korrekten<br />
Einsendungen ein zusätzlicher Gewinner gezogen,<br />
der eine besondere Überraschung erhält!<br />
Einsendeschluss<br />
ist der 27. <strong>Februar</strong> <strong>2022</strong><br />
(es gilt das Datum des Poststempels bzw. der E-Mail)<br />
E-Mails NUR mit Adressen-Angabe. Unsere Postanschrift findet Ihr<br />
im Impressum auf Seite 31. Teilnahmeberechtigt sind alle, außer die<br />
Mitglieder des Redaktionsteams. Wenn es mehr richtige Einsendungen als<br />
Gewinne gibt, entscheidet das Los. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Lösungswort der letzten Ausgabe: TEMPOLIMIT<br />
bestehend aus den folgenden Einzellösungen:<br />
1. SATTELZUG 2. HANNELORE 3. BLUMENAMPEL<br />
4. PILOTPROJEKT 5. NOTHAMMER 6. ROLLFELD<br />
7. SEILBAHN 8. RADMUTTER<br />
9. SCHULTERBLICK 10. NOTRUFSAEULE<br />
Gewonnen haben (aus 43 korrekten Einsendungen):<br />
L. Scharfenberg, Freiburg<br />
C. Behrens, Freiburg<br />
S. Faghiri, Freiburg<br />
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH !<br />
Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.<br />
30<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong>
ÜBER UNS<br />
Seit Jahren geht in unserer Gesellschaft die Schere zwischen<br />
Arm und Reich weiter auseinander. Besonders durch die<br />
Agenda 2010 und die damit verbundenen Hartz IV-Gesetze<br />
wurden Sozialleistungen abgesenkt. Die Lebenshaltungskosten<br />
steigen jedoch von Jahr zu Jahr. Viele Menschen kommen<br />
mit den Sozialleistungen nicht mehr aus oder fallen schon<br />
längst durch das ziemlich löchrig gewordene soziale Netz.<br />
Und heute kann jeder von Arbeitslosigkeit bedroht sein.<br />
Vereine und private Initiativen versuchen die Not, in welche<br />
immer mehr Menschen kommen, zu lindern und die Lücken<br />
im System zu schließen. Es gibt unterschiedliche nichtstaatliche<br />
Einrichtungen wie z. B. die Tafeln, welche sich um diese<br />
ständig wachsende Bevölkerungsgruppe kümmern. Oder<br />
eben die Straßenzeitungen wie der FREIeBÜRGER.<br />
In unserer Straßenzeitung möchten wir Themen aufgreifen,<br />
welche in den meisten Presseerzeugnissen oft zu kurz oder<br />
gar nicht auftauchen. Wir wollen mit dem Finger auf Missstände<br />
zeigen, interessante Initiativen vorstellen und kritisch<br />
die Entwicklung unserer Stadt begleiten. Wir schauen aus<br />
einer Perspektive von unten auf Sachverhalte und Probleme<br />
und kommen so zu ungewöhnlichen Einblicken und<br />
Ansichten. Damit tragen wir auch zur Vielfalt in der lokalen<br />
Presselandschaft bei.<br />
Gegründet wurde der Verein im Jahr 1998 von ehemaligen<br />
Wohnungslosen und deren Umfeld, deshalb kennen die<br />
MitarbeiterInnen die Probleme und Schwierigkeiten der<br />
VerkäuferInnen aus erster Hand. Ziel des Vereins ist es, dass<br />
Menschen durch den Verkauf der Straßenzeitung sich etwas<br />
hinzuverdienen können, sie durch den Verkauf ihren Tag<br />
strukturieren und beim Verkaufen neue Kontakte finden<br />
können. Wir sind eine klassische Straßenzeitung und geben<br />
unseren VerkäuferInnen die Möglichkeit, ihre knappen finanziellen<br />
Mittel durch den Verkauf unserer Straßenzeitung<br />
aufzubessern. 1 Euro (Verkaufspreis 2,10 Euro) pro Ausgabe<br />
und das Trinkgeld dürfen unsere VerkäuferInnen behalten.<br />
Es freut uns zum Beispiel sehr, dass sich einige wohnungslose<br />
Menschen über den Verkauf der Straßenzeitung eine neue<br />
Existenz aufbauen konnten. Heute haben diese Menschen<br />
einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz und eine<br />
Wohnung. Der FREIeBÜRGER unterstützt also Menschen<br />
in sozialen Notlagen. Zu unseren VerkäuferInnen gehören<br />
(ehemalige) Obdachlose, Arbeitslose, GeringverdienerInnen,<br />
RentnerInnen mit kleiner Rente, Menschen mit gesundheitlichen<br />
Problemen, BürgerInnen mit Handicap u. a. Unser Team<br />
besteht derzeit aus fünf MitarbeiterInnen. Die Entlohnung<br />
unserer MitarbeiterInnen ist äußerst knapp bemessen und<br />
unterscheidet sich aufgrund der geleisteten Arbeitszeit und<br />
Tätigkeit. Dazu kommt die Unterstützung durch ehrenamtliche<br />
HelferInnen. Leider können wir durch unsere Einnahmen<br />
die Kosten für unseren Verein, die Straßenzeitung und Löhne<br />
unserer MitarbeiterInnen nicht stemmen. Daher sind wir<br />
auch in Zukunft auf Unterstützung angewiesen.<br />
SIE KÖNNEN UNS UNTERSTÜTZEN:<br />
• durch den Kauf einer Straßenzeitung oder<br />
die Schaltung einer Werbeanzeige<br />
• durch eine Spende oder eine Fördermitgliedschaft<br />
• durch (langfristige) Förderung eines Arbeitsplatzes<br />
• durch Schreiben eines Artikels<br />
• indem Sie die Werbetrommel für unser<br />
Sozialprojekt rühren<br />
Helfen Sie mit, unser Sozialprojekt zu erhalten und weiter<br />
auszubauen. Helfen Sie uns, damit wir auch in Zukunft<br />
anderen Menschen helfen können.<br />
Impressum<br />
Herausgeber: DER FREIeBÜRGER e. V.<br />
V.i.S.d.P: Oliver Matthes<br />
Chefredakteur: Uli Herrmann († 08.03.2013)<br />
Titelbild: Felix Groteloh<br />
Layout: Ekkehard Peters<br />
An dieser Ausgabe haben mitgearbeitet:<br />
Carsten, Carina, Conny, Ekki, Felix, Harry,<br />
H. M. Schemske, Karsten, Oliver, Recht auf Stadt,<br />
utasch und Gastschreiber<br />
Druck: Freiburger Druck GmbH & Co. KG<br />
Auflage: 5.000 | Erscheinung: monatlich<br />
Vereinsregister: Amtsgericht Freiburg | VR 3146<br />
Kontakt:<br />
DER FREIeBÜRGER e. V.<br />
Engelbergerstraße 3<br />
79106 Freiburg<br />
Tel.: 0761 / 319 65 25<br />
E-Mail: info@frei-e-buerger.de<br />
Website: www.frei-e-buerger.de<br />
Öffnungszeiten: Mo - Fr: 12 - 16 Uhr<br />
Mitglied im Internationalen Netzwerk<br />
der Straßenzeitungen<br />
Der Nachdruck von Text und Bild (auch nur in Auszügen) sowie<br />
die Veröffentlichung im Internet sind nur nach Rücksprache<br />
und mit der Genehmigung der Redaktion erlaubt. Namentlich<br />
gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung<br />
der Redaktion wieder.<br />
Die nächste Ausgabe des FREIeBÜRGER erscheint am:<br />
1. März <strong>2022</strong><br />
Aus gegebenem Anlass finden zurzeit keine<br />
öffentlichen Redaktionssitzungen statt!<br />
FREIeBÜRGER 02 | <strong>2022</strong> 31
Verkauf von FSB-Wohnungen in Weingarten<br />
immer noch nicht vom Tisch<br />
Die verhinderte Vernichtung von 120 bezahlbaren<br />
Stadtbauwohnungen in der Sulzburger<br />
Straße 15-19 in Weingarten war ein goßer<br />
Erfolg für die MieterInnenbewegung. Die<br />
Grünen akzeptieren ihre Niederlage aber<br />
offensichtlich nicht und wollen das Thema<br />
im <strong>Februar</strong> erneut im Stadtbauaufsichtsrat<br />
diskutieren. Sie bringen u.a. einen Verkauf<br />
an eine Genossenschaft, z.B. an den Bauverein<br />
Breisgau, ins Spiel. Die großen Freiburger<br />
Genossenschaften passen ständig ihre<br />
Mieten an den Mieterhöhungsspiegel an und<br />
sind auch ansonsten schon lange keine Garanten<br />
mehr für die Wohnversorgung von<br />
Menschen mit weniger Geld. Wir werden<br />
die Diskussionen rund um die Sulzburger<br />
Straße und auch um die stets<br />
zurückgehende Zahl an Sozialwohnungen<br />
und etwaige Gegennmaßnahmen weiter<br />
verfolgen und Euch stets aktuell informieren.<br />
rdl.de/tag/sozialer-wohnungsbau<br />
Interessiert sich noch jemand für die Grundrechte im Freiburger<br />
Erstaufnahmelager?<br />
Sechs Geflüchtete haben bereits im Dezember<br />
2020 Klage vor dem baden-württembergischen<br />
Verwaltungsgerichtshof gegen<br />
die Hausordnung der LEA Freiburg<br />
eingereicht. Diese schränkt die Grundrechte<br />
der Schutzsuchenden massiv ein.<br />
Am 2. <strong>Februar</strong> entscheidet der VGH über<br />
die Klage. Im Freiburger Gemeinderat<br />
hatten die Fraktionen Eine Stadt für Alle<br />
und JUPI gefordert, dass zukünftig eine<br />
unabhängige Evaluierung der Lebensbedingungen<br />
und -qualität stattfinden soll. Alle anderen Fraktionen<br />
lehnten das ab. LEA-Watch kommentierte<br />
bissig: "Das Freizeitangebot in der LEA? Großartig!<br />
Das Kantinenessen? Wie bei Oma! Die<br />
Kleiderkammer? Außergewöhnlich! Es sind die<br />
zentralen Aspekte eines Massenlagers, die in der<br />
Evaluation der Landeserstaufnahmeeinrichtung zur<br />
Sprache kamen. Wer braucht schon über das<br />
Kochverbot reden, wenn es eine neue Salatbar<br />
gibt. Wer muss tägliche Grundrechtsverletzungen<br />
thematisieren, wenn Verwaltungsrichter*innen im<br />
Lager Einführungskurse in das deutsche Grundgesetz<br />
geben. Arbeitsverbot, Residenzpflicht,<br />
Wohnverpflichtung neuerdings in Containern bis<br />
zu 18 Monate – geschenkt, angesichts Gitarrenunterricht<br />
durch European Homecare, die am<br />
Lager saftig Profit machen." Wir bleiben an der<br />
juristischen und politischen Auseinandersetzung<br />
dran.<br />
rdl.de/tag/lea-freiburg<br />
Jeden 1. Mittwoch des Monats:<br />
12-13 Uhr<br />
FREIeBÜRGER im<br />
Mittagsmagazin 'Punkt 12'<br />
Hört, Macht, Unterstützt Radio Dreyeckland: 102,3 Mhz - Stream: rdl.de/live