Garten+Landschaft 1/2022
Ikonen der 90er Jahren
Ikonen der 90er Jahren
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<strong>2022</strong><br />
Magazin für<br />
Landschaftsarchitektur<br />
und Stadtplanung<br />
„Manchmal würde<br />
ich der ‚Work-Life-<br />
Balance‘-Generation<br />
ein paar Wochen in<br />
den 90ern wünschen.<br />
Sie hätten viel Spaß.<br />
Und kurze Nächte.“<br />
– Stefan Bernard<br />
Ikonen der 90er-Jahre
EDITORIAL<br />
„Manchmal würde<br />
ich der ‚Work-Life-<br />
Balance‘-Generation<br />
ein paar Wochen in<br />
den 90ern wünschen.<br />
Sie hätten viel Spaß.<br />
Und kurze Nächte.“<br />
– Stefan Bernard<br />
Back to the 90ies! Haben Sie das<br />
ehemalige G+L-Cover-Layout aus den<br />
90er-Jahren erkannt? So bzw. so ähnlich<br />
sahen unsere Hefte zwischen 1990 und<br />
2000 aus. Wir haben das vorliegende<br />
Heft zum Anlass genommen, auch<br />
grafisch – zumindest beim Cover –<br />
zurückzureisen. Aber keine Sorge: Die<br />
kommenden G+L sehen dann wieder<br />
<strong>2022</strong>-mäßig aus. Ach ja und mehr zum<br />
Zitat von Stefan Bernard lesen Sie ab<br />
Seite 38!<br />
Ikonen der 90er-Jahre<br />
Ja, liebe Leser*innen, tatsächlich! Wir beginnen das neue Jahr mit<br />
der Vergangenheit. Wir beginnen <strong>2022</strong> mit einem Blick zurück –<br />
mit einem Blick zurück auf ein beeindruckendes Jahrzehnt, das<br />
aufgrund zahlreicher Ereignisse in die Geschichtsbücher einging,<br />
ABER AUCH FÜR DIE PROFESSIONEN DER LANDSCHAFTSARCHITEKTUR<br />
UND STADTPLANUNG WEGWEISEND WAR.<br />
So ein Heft, eine solch umfassende Retrospektive haben wir in<br />
knapp 132 Jahren G+L – zumindest soweit ich weiß – noch nie<br />
gemacht. Und ja, wir sind so frech, das Heft „Ikonen der 90er“ zu<br />
nennen. Die Schelte hierfür haben wir schon vorab von vielen<br />
Stimmen aus der Profession kassiert. Der Begriff „Ikone“ sei<br />
schwierig, man möge ihn nicht. Die Landschafts architektur ist<br />
zu bescheiden, um ihre ikonischen Meisterwerke und Meister*innen<br />
anzuerkennen. Understatement ist so 2021, lassen<br />
wir es also krachen.<br />
Dieter Kienast, Martha Schwartz, West 8, Peter Latz, Hans J. Loidl,<br />
Duisburg-Nord, Schouwburgplein, Mauerpark, die EXPO 2000 –<br />
sind das echt alles keine Ikonen? Sollte man diese nicht als solche<br />
feiern? Wir finden doch. Und vor allem kann und sollte man weiter<br />
von ihnen lernen wollen. Das Spannende: Die Ikonen selbst tun es<br />
quasi auch, sie lernen und gehen weiter. So wurden (oder werden<br />
noch) zum Beispiel die Projekte MAUERPARK, SCHOUWBURGPLEIN<br />
ODER AUCH DER MVRDV-PAVILLON AUF DEM EXPO-2000-GELÄNDE im<br />
Zuge heutiger Anforderungen weiterentwickelt. Aber mehr dazu auf<br />
den folgenden Seiten!<br />
Fest steht: Vor rund 30 Jahren standen unsere Professionen ähnlich<br />
großen Herausforderungen wie heute gegenüber. Vielleicht ist es<br />
meine Millennial-Sicht, aber ich habe das Gefühl: In den 90er-<br />
Jahren war der Spirit in der Planung ein anderer, man ist diese<br />
Herausforderungen anders angegangen – mutiger und lauter. FAST<br />
ALLE, DIE ICH HIERZU BEFRAGT HABE, die die Zeit hautnah erleben<br />
durften, haben mir diesen Eindruck bestätigt. Was ist also passiert?<br />
Und wie kriegen wir das wieder gedreht?<br />
Erinnern Sie sich noch an unsere Neujahrsvorsätze vom<br />
vergangenen Jahr? Wir wollten mit der G+L noch lauter, mutiger<br />
sein und den Finger noch stärker in die richtigen Wunden legen.<br />
Gut: Ich muss mir für <strong>2022</strong> keine neuen Vorsätze merken. Aber:<br />
Ist uns das eigentlich gelungen? Was denken Sie?<br />
Schreiben Sie uns, wir freuen uns.<br />
Ab Seite 12 wirft<br />
Philipp Sattler für<br />
uns einen<br />
umfassenden Blick<br />
zurück auf die<br />
Planung in den<br />
90er-Jahren.<br />
Mehr zu den<br />
Projektikonen<br />
finden Sie hier:<br />
Mauerpark (Seite<br />
16), Schouwburgplein<br />
(Seite 30)<br />
und EXPO 2000<br />
(Seite 44).<br />
Danke an dieser<br />
Stelle an das<br />
zahlreiche und<br />
wirklich tolle<br />
Feedback aus der<br />
Profession zu den<br />
90ern. Es war uns<br />
ein Fest – und das<br />
Ergebnis lesen Sie<br />
ab Seite 38.<br />
THERESA RAMISCH<br />
CHEFREDAKTION<br />
t.ramisch@georg-media.de<br />
Layout: Maria Bieler, Alexander Weiss<br />
3<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
INHALT<br />
AKTUELLES<br />
06 SNAPSHOTS<br />
11 MOMENTAUFNAHME<br />
Das Usambaraveilchen<br />
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
12 DON'T LOOK BACK IN ANGER<br />
War früher vielleicht doch alles besser? – Nein, sagt Philipp Sattler und erklärt,<br />
warum die Profession in den 90ies auch mit Herausforderungen kämpfte<br />
16 BAHN FREI FÜR RUNDE ZWEI<br />
Der Berliner Mauerpark feierte letztes Jahr erneut seine Eröffnung. Über die<br />
Geschichte eines besonderen Parks: einst Todesstreifen, heute Liebling der Stadt<br />
22 MARTHA SCHWARTZ – DAS MASTERMIND UND IHRE TALENTS<br />
Wer tritt in Martha Schwartz' Fußstapfen?<br />
24 DER RUHRPOTT UND SEIN MEISTERWERK<br />
Gesa Loschwitz-Himmel über die Ästhetik des Landschaftsparks<br />
Duisburg-Nord von Peter Latz<br />
30 FÄLLT DURCH JEDES RASTER<br />
Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn – den Schouwburgplein, die<br />
polarisierendste Landschaftsarchitektur-Ikone der 90er-Jahre<br />
34 (GARTEN)SCHAUEN WIR ZURÜCK<br />
Die BUGAs der 90er-Jahre mit ihren Erfolgen und Misserfolgen im Überblick<br />
38 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT<br />
Landschaftsarchitekt*innen (damals junge Hüpfer, heute erfahrere Planungshasen)<br />
über die wichtigsten Planungsfiguren und größten Planungsfails der 90er-Jahre<br />
44 MVRDV UND KIENAST REVISITED<br />
Über die erste und letzte EXPO in Deutschland und was von ihr übrig blieb<br />
50 DER FORMALIST<br />
Dieter Kienast im Porträt<br />
STUDIO<br />
54 LÖSUNGEN<br />
Produkte und Innovationen <strong>2022</strong><br />
58 REFERENZ<br />
Im Zickzack durch Odense<br />
60 REFERENZ<br />
Albertslund leuchtet wieder für Skagen<br />
RUBRIKEN<br />
62 Lieferquellen<br />
62 Impressum<br />
63 Stellenmarkt<br />
64 DGGL<br />
66 Sichtachse<br />
66 Vorschau<br />
Herausgeber:<br />
Deutsche Gesellschaft<br />
für Gartenkunst und<br />
Landschaftskultur e.V.<br />
(DGGL)<br />
Pariser Platz 6<br />
Allianz Forum<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
www.dggl.org<br />
5<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
JULIA TREICHEL ÜBER DEN FILM ...<br />
„SPEER GOES TO HOLLYWOOD“<br />
AUTORIN<br />
Julia Treichel<br />
ab solvierte an der<br />
TU München den<br />
Bachelor und Master in<br />
Landschafts architektur.<br />
Sie ist seitdem bei<br />
Valentien+Valentien<br />
tätig und engagiert<br />
sich nebenbei in<br />
Theorie und Praxis zu<br />
sozialen und<br />
gestalterischen Fragen<br />
der Umwelt.<br />
Albert Speer war unter Adolf Hitler<br />
hauptverantwortlich für die Architektur im<br />
Nationalsozialismus. Als Architekt und<br />
Rüstungsminister verantwortete er die<br />
Planung und den Bau von Konzentrationslagern<br />
im Dritten Reich. In den<br />
Nürn berger Prozessen nach Kriegsende<br />
positionierte er sich dann als unglücklicher<br />
Mitläufer, der nichts vom Völkermord an<br />
den euro päischen Jüd*innen gewusst haben<br />
wollte. Auf die Aussagen vor Gericht folgte<br />
eine 20-jährige Haftstrafe im Kriegsverbrechergefängnis<br />
Spandau. Er erhielt für<br />
seine Taten nicht das Todesurteil. Diese<br />
Strafe ereilte Fritz Sauckel, den Generalbevollmächtigten<br />
für den Arbeitseinsatz.<br />
Albert Speer sprach ihm diskret alle<br />
Schuld zu. Sauckel konnte sich der<br />
Strafvollstreckung nicht entziehen.<br />
Noch in der Haftanstalt verfasste Albert<br />
Speer seine Memoiren. Eine Autobiografie<br />
seiner eigenen Version der Geschichte, in<br />
der er sich von jedem Vergehen selbst<br />
freisprach. Das Buch wurde zum Bestseller<br />
mit mehr als einer Million verkaufter<br />
Exemplare weltweit. Es wurde in<br />
14 Sprachen übersetzt. Frisch aus der Haft<br />
entlassen, wurde Albert Speer auf einer<br />
Pressekonferenz Aufmerksamkeit zuteil.<br />
Die Erfindung der eigenen Person als<br />
„Guter Nazi“ machten Speer zuerst zum<br />
Medienstar – und einige Jahre später<br />
wieder zu einem gemachten Mann.<br />
Es dauerte nicht lange, und Hollywood<br />
bekundete Interesse an den „Erinnerungen“<br />
von Albert Speer. Der junge britische<br />
Drehbuchautor Andrew Birkin wurde von<br />
den Paramount-Studios mit der filmischen<br />
Umsetzung beauftragt. Dieser traf Albert<br />
Speer daraufhin im Jahre 1971 persönlich<br />
in seiner Villa in Heidelberg. Dort lebte er<br />
drei Monate und führte lange Gespräche<br />
mit Albert Speer. Die davon vorliegenden<br />
Tonaufnahmen waren es schließlich, die<br />
Vanessa Lapa als Tonspur und roten Faden<br />
ihres Dokumentarfilms „Speer goes to<br />
Hollywood“ wählte. Vanessa Lapas Film<br />
erhielt 2021 überwiegend positive Kritiken<br />
und einige internationale Nominierungen<br />
sowie mehrere Auszeichnungen. So etwa<br />
den Award als bester Dokumentarfilm<br />
2021 der Israeli Television Academy und<br />
den Diamond Award für die beste Regie<br />
beim Jerusalem Film Festival.<br />
Der Dokumentarfilm<br />
„Speer goes to<br />
Hollywood“ zeigt<br />
bislang<br />
unveröffentlichte<br />
Filmaufnahmen, die der<br />
britische Drehbuchautor<br />
Andrew Birkin vor<br />
rund 50 Jahren über<br />
den Architekten Albert<br />
Speer produzierte. Sie<br />
rütteln an Speers<br />
öffentlicher<br />
Inszenierung des<br />
„Guten Nazis“.<br />
Fotos: Salzgeber Film; Salzberger<br />
8<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
AKTUELLES<br />
SNAPSHOTS<br />
Vanessa Lapa, in Belgien geboren, ist eine<br />
israelische Journalistin und Dokumentarfilm-Regisseurin.<br />
Bereits in ihrem Werk<br />
„Der Anständige“ aus dem Jahre 2014<br />
setzte sie sich mit den Verbrechen und<br />
Verbrecher*innen des Nationalsozialismus<br />
auseinander. Damals anhand von Tagebüchern,<br />
Fotos und Briefen mit dem<br />
SS-Führer Heinrich Himmler. In ihrem<br />
neuen Film nun also mit Albert Speer. In<br />
97 Minuten ergründet Lapas Film die<br />
Person Albert Speer und seine Rolle im<br />
Dritten Reich. Sowie die Entwicklungen<br />
nach Ende der Haftstrafe. Bei den<br />
Kolleg*innen von germanic.news beschreibt<br />
sie den Film mit eigenen Worten: „Für<br />
mich ist ‚Speer goes to Hollywood‘ eine<br />
warnende Geschichte darüber, wie Medien,<br />
wie der Film leicht manipuliert werden<br />
können, um die Art und Weise, wie<br />
Geschichte erinnert wird, zu formen. Es ist<br />
auch eine entscheidende Erinnerung an die<br />
Bedeutung der persönlichen und kollektiven<br />
Entscheidungen und das Nachdenken<br />
über die persönliche und bürgerliche<br />
Verant wortung gegenüber der Gesellschaft<br />
und der Menschheit insgesamt.“ Seit 11.<br />
November 2021 ist er nicht mehr alleinig<br />
auf Film festivals zu sehen, sondern läuft<br />
deutschlandweit in den Programmkinos.<br />
Vanessa Lapa ist eine<br />
israelische Journalistin.<br />
Ihr preisgekrönter<br />
Dokumentarfilm „Der<br />
Anständige“ (2014)<br />
rekonstruiert auf<br />
Grundlage privater<br />
Schriften und Bilder<br />
Heinrich Himmlers<br />
Leben. In ihrem neuen<br />
Film „Speer goes to<br />
Hollywood“ ergründet<br />
sie die Person Albert<br />
Speer und seine Rolle<br />
im Dritten Reich.<br />
Albert Speer bei seiner<br />
Entlassung aus dem<br />
Kriegsverbrechergefängnis<br />
Spandau 1966.<br />
+Weitere Informationen<br />
zum Film finden Sie auf<br />
garten-landschaft.de/<br />
albert-speer-film<br />
9<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
DON’T LOOK<br />
BACK IN<br />
ANGER<br />
Die Landschaftsarchitektur im 21. Jahrhundert in fünf Worten?<br />
Urbanisierung, gesellschaftliche Spaltungstendenzen, Artensterben<br />
und Klimakrise. War früher vielleicht doch alles<br />
besser? Nein. Auch in den guten alten 90ies kämpfte die<br />
Profession mit ihren Herausforderungen. Ein Blick zurück für<br />
den Blick nach vorn.<br />
PHILIPP SATTLER<br />
12<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
ARTIKEL ZUM TITELTHEMA<br />
AUTOR<br />
Philipp Sattler ist<br />
Landschaftsarchitekt<br />
und ausgebildeter<br />
Gärtner. Er ist<br />
Geschäftsführer der<br />
Stiftung die Grüne<br />
Stadt sowie des<br />
Initiativbündnisses<br />
Historische Gärten im<br />
Klimawandel. Philipp<br />
Sattler ist zudem<br />
Vorsitzender der DGGL<br />
Berlin-Brandenburg<br />
und stellvertretender<br />
Vorsitzender im bdla<br />
Landes verband Berlin/<br />
Brandenburg.<br />
Die Ereignisse vom Herbst 1989 und ihre<br />
Folgen lösten in der deutschen Landschaftsarchitekturszene,<br />
insbesondere in<br />
Berlin, eine Aufbruchstimmung aus, die<br />
man sich heute nicht mehr so leicht<br />
vorstellen kann. Berlin als Ort des Mauerfalls<br />
und neue Hauptstadt war zugleich<br />
place to be und internationales Schaufenster<br />
der Ereignisse. Und schon damals gefühlte<br />
„Zukunftshauptstadt“ Europas.<br />
Auch mir öffnete der Fall der Mauer eine<br />
neue Perspektive: Der Studienplatz für<br />
Landespflege an der TU Weihenstephan<br />
wurde kurzfristig gegen einen der<br />
Landschaftsplanung an der TU Berlin<br />
eingetauscht. Zu verlockend war die<br />
Perspektive, in der neuen Ost-West-Weltstadt<br />
zu leben und zu lernen.<br />
BOOM UND BAUEN<br />
Der Planungs- und Bauboom im Zuge der<br />
Wiedervereinigung bescherte auch der<br />
Landschaftsarchitektur einen neuen Fokus auf<br />
städtische Freiräume. Berlin wurde zum<br />
Freiraumlabor, insbesondere im alten<br />
Zentrum sowie im Bereich des Mauerstreifens<br />
entstand eine Fülle von Neubaumaß nahmen.<br />
Die Hauptstadtplanung generierte weitere<br />
Großprojekte. Dazu kamen im Weiteren<br />
Nachholbedarfe bei innerstädtischen Grünanlagen<br />
und Plätzen wie auch beim<br />
Freiraum der großen Plattenbausiedlungen an<br />
der Peripherie.<br />
In den Städten Ostdeutschlands war die<br />
Situation nicht viel anders. Das<br />
wiederver einigte Deutschland durchwehte<br />
ein Boom in allen Baudisziplinen:<br />
blühende Geschäfts felder.<br />
SELBSTBILD UND STUDIENGÄNGE<br />
Entwerfen und Bauen von Stadträumen<br />
traten Anfang der 90er in den Fokus des<br />
Interesses bei Studierenden wie auch<br />
zahlreichen jungen Büros. Landschaftsarchitektur<br />
verstand sich nach dem Primat<br />
ökologischer und soziologischer Fragestellungen<br />
in den 70er- und der behutsamen<br />
Stadterneuerung der 80er-Jahre als<br />
explizit urbanistische Disziplin.<br />
Der Namen des Berufsstands waren zu<br />
Beginn des ersten gesamtdeutschen<br />
Jahrzehnts jedoch traditionell noch<br />
unübersichtlich. Im Januar 1991 erschien<br />
die erste Ausgabe der bdla-Mitgliederzeitschrift<br />
„Landschaftsarchitekten“ im<br />
Callwey Verlag, dem früheren Verlagshaus<br />
der G+L, heute Georg Media – als Teil<br />
einer Imagekampagne. Ziel war es, den<br />
Berufsstand zu fördern und bekannter<br />
zu machen.<br />
Auch an den Hochschulen rang man um<br />
die Bezeichnung der Ausbildung: Landespflege,<br />
Landschaftsplanung, Freiraumplanung<br />
– von Landschaftsarchitektur war<br />
noch selten die Rede.<br />
AUSEINANDERSETZUNG UND<br />
AUSBILDUNG<br />
An der Berliner TU war der interdisziplinäre<br />
Projektstudiengang Landschaftsplanung von<br />
Richtungsstreitigkeiten zwischen zwei<br />
Lagern geprägt:<br />
Landschaftsarchitekt*innen einerseits und<br />
Umwelt- und Sozialwissenschaftler*innen<br />
andererseits kämpften um Ausrichtung,<br />
Ausstattung und Absolvent*innen.<br />
Landschaftsarchitektonischer Entwurf vs.<br />
szientifische Landschaftsplanung. Viel<br />
Kampf, wenig Kooperation.<br />
Derweil formulierte Helga Fassbinder auf<br />
einer Sitzung des Berliner Stadtforums<br />
zur „Grünflächenpolitik – Kultur der<br />
städtischen Freiräume“ im Dezember<br />
1991: „Die Karriere des städtischen Grüns<br />
verläuft offensichtlich umgekehrt<br />
pro portional zu seiner naturwissenschaftlich<br />
nachweisbaren Bedeutung für<br />
die städtische Lebens qualität.“<br />
Die studentische Zeitung „Grün der Zeit“<br />
warnte 1992 vor einem „Rollback in Pocket<br />
Parks“: Die Landschaftsarchitektur drohe<br />
– mangels eigener Haltung – vom Stadtentwicklungsboom<br />
überrollt zu werden.<br />
BARCELONA, ROTTERDAM, PARIS<br />
Angesichts der oft schwer greifbaren<br />
landschaftsarchitektonischen Positionen<br />
im eigenen Land ging der Blick in andere<br />
europäische Metropolen.<br />
Das Stadtgestaltungsprogramm von<br />
Barcelona im Zuge der Olympiade 1992<br />
wurde zum oft zitierten Vorbild, die<br />
katalanische Metropole zum Pilgerort für<br />
alle, die attraktive urbane Freiräume<br />
erleben wollten. Die „architektonische“<br />
Gestaltung durch Büros wie Martorell,<br />
Bohigas, Mackay (Masterplan Olympia<br />
1992), Bet Figueras ( Jardi Botanico,<br />
Barcelona, 1991 – 99) oder Battle i Roig<br />
(Parc de la Trinitat, Barcelona, 1993)<br />
setzten ästhetische Maßstäbe. 1999 fand<br />
in Barcelona die 1. Bienal de Paisaje statt.<br />
13<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
16<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT<br />
BAHN FREI FÜR<br />
RUNDE ZWEI
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
MAUERPARK, BERLIN<br />
Foto: KarachoBerlin / Volker Gehrmann<br />
Der Mauerpark blickt auf eine lange, konfliktreiche Geschichte zurück: vom<br />
Exerzierplatz und Todesstreifen zu einer belebten Grünfläche. Die erste<br />
Eröffnung des östlichen Teils fand bereits 1994 als ein Kind des Mauerfalls<br />
statt. Inzwischen ist das „Kind“ größer geworden: Im Sommer 2020 eröffnete<br />
der Mauerpark erneut und zählt zu den beliebtesten Parkflächen<br />
der Hauptstadt. Das beschert allerdings nicht nur Vorteile.<br />
UWE RADA<br />
Mauerpark:<br />
Vorbe reitungen für<br />
das Eröffnungsfest im<br />
Jahr 2020 auf der<br />
Multifunktionsfläche im<br />
südlichen Teil des Parks<br />
– die ganze „Mauerpark-<br />
Familie“ war<br />
willkommen.<br />
17<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
DER RUHRPOTT<br />
UND SEIN<br />
MEISTERWERK<br />
Der Landschaftspark Duisburg-Nord war eine Revolution in der<br />
Landschaftsarchitektur. Das Büro Latz entwarf ungewohnte<br />
Landschaftsbilder aus den industriellen Altlasten und wilder<br />
Vegetation. Der Park stand wegen dieser Gestaltung unter<br />
starker Kritik. Heute ist davon wenig übrig: Die ganze Welt<br />
besucht den Landschaftspark in Duisburg und erfreut sich an<br />
den Mauerpfeffern auf den schwarzen Schlackefelsen. Doch<br />
Autobahnausbau und Einsparungen in der Pflege gefährden das<br />
Sinnbild des Strukturwandels. Der Denkmalschutzstatus für den<br />
Landschaftspark Duisburg-Nord lässt aber auf sich warten.<br />
Blick über den<br />
Landschaftspark<br />
Duisburg-Nord: Peter<br />
Latz schuf einen Ort aus<br />
Industriebrachen und<br />
wild gewachsener<br />
Vegetation, der zwischen<br />
Vergangheit und neuen<br />
Nutzungen vermittelt.<br />
GESA LOSCHWITZ-HIMMEL<br />
24<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
LANDSCHAFTSPARK DUISBURG-NORD<br />
Foto: Michael Latz<br />
AUTORIN<br />
Gesa Loschwitz-Himmel<br />
ist Landschaftsarchitektin<br />
und<br />
freiberufliche Autorin.<br />
Die farbig angestrahlten Hochöfen des<br />
Landschaftsparks Duisburg-Nord, einst das<br />
Symbol für den Roheisenproduktion-<br />
Standort Duisburg, sind heute Sinnbild für<br />
die ge wandelte Sicht auf die Industriekultur<br />
im Ruhrgebiet schlechthin. Die Silhouette<br />
des einstigen Hüttenwerks ist Kulisse von<br />
unzähligen Filmdrehs und Live-Shows: Aus<br />
der ehemaligen industriellen Infrastruktur<br />
entstand ein beliebtes Freizeit-Dorado. In<br />
Werkshallen finden Konzerte statt, in einem<br />
Gasometer gibt es ein künstliches<br />
Tauchsportzentrum, ein Hochseilparcours<br />
durchzieht eine Gießhalle und in Erzlagerbunkern<br />
klettern Alpinisten. Auf einen der<br />
Hochöfen kann man sogar emporsteigen.<br />
Von dort überblickt man dann die kom-<br />
pletten 200 Quadratmeter des Parks, in den<br />
die Anlagen des 1985 still gelegten Hüttenwerks<br />
eingebunden sind.<br />
LATZ‘ MEISTERWERK – BIS HEUTE<br />
UNVERGLEICHBAR<br />
Das Industriegelände mit Hochöfen,<br />
Gleisen, Altlasten, Natur wurde damals an<br />
das Land Nordrhein-Westfalen übergeben.<br />
Was aus der industriellen Wildnis werden<br />
sollte, darüber gab es sehr unterschiedliche<br />
Meinungen: Die Stadt Duisburg wollte<br />
eine einfache Grünfläche, die nicht mehr<br />
als zehn Mark pro Quadratmeter kosten<br />
sollte. Die in der Region sehr mächtige<br />
Firma Thyssen, die Alteigentümerin, wollte<br />
25<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
FÄLLT DURCH<br />
JEDES RASTER<br />
Kaum ein Platz in den Niederlanden polarisiert so wie der Schouwburgplein in Rotterdam. Man<br />
liebt ihn, oder man hasst ihn – wobei Architekt*innen und Planer*innen meist zu Ersterem, die<br />
Mehrheit der Rotterdamer*innen aber eher zu Zweiterem tendieren. Kritische Stimmen gab es<br />
von Anfang an, und immer noch werkelt man an dem Platz, um seine Schwächen auszumerzen.<br />
ANNEKE BOKERN<br />
AUTORIN<br />
Anneke Bokern schreibt<br />
als freie Journalistin<br />
über Architektur und<br />
Design – oft, aber nicht<br />
immer aus den<br />
Niederlanden, wo sie<br />
seit 2000 lebt. Daneben<br />
organisiert sie mit ihrer<br />
Firma architour<br />
Architekturführungen in<br />
Amsterdam und<br />
Rotterdam. 2021<br />
erschien ihr<br />
Architectural Guide<br />
Rotterdam bei DOM<br />
Publishers.<br />
Als man den Schouwburgplein 1996<br />
fertigstellte, war er eines der Vorzeigeprojekte<br />
der SuperDutch-Generation der niederländischen<br />
Architekt*innen, die mit ebenso<br />
Aufsehen erregenden wie pragmatischen<br />
Bauten international Furore machten. Der<br />
Platz im Stadtzentrum von Rotterdam wird<br />
vom Stadttheater und einem Konzerthaus<br />
flankiert, auf seiner Westseite steht ein Kino,<br />
den Ostrand säumen Caféterrassen. Rundherum<br />
stapeln sich die Hochhäuser wie<br />
Kulissen. Dazwischen schufen West 8 einen<br />
Platz, der keinem klassischen Vorbild<br />
folgte, sondern dem Charakter der Hafenstadt<br />
Rechnung tragen und als interaktive<br />
Stadtbühne dienen sollte.<br />
MECHANISCHES BALLETT<br />
AUF EINEM LEEREN PLATZ<br />
Dementsprechend wurde der Schouwburgplein<br />
um 35 Zentimeter erhöht angelegt.<br />
Wie schon das umlaufende Leuchtband<br />
zeigt, sind Licht und Interaktivität die<br />
beiden großen Themen des Entwurfs. Da<br />
sich unter dem Schouwburgplein eine<br />
Tiefgarage befindet, musste der Aufbau<br />
leicht bleiben, was eine Bepflanzung<br />
ausschloss. West 8 entschieden sich, das<br />
Potenzial der Leere auszuloten, und<br />
möblierten den Platz nur mit einer Reihe<br />
von Bänken auf der Ostseite, den mit<br />
LED-Anzeigen versehenen, 15 Meter hohen<br />
Ventilationsröhren der Tiefgarage, deren<br />
Gestaltung ein wenig an Industrieschornsteine<br />
erinnert, und mit vier knallroten,<br />
hydraulischen Lichtmasten, deren Form von<br />
Hafenkränen inspiriert ist und die auf<br />
Knopfdruck ein mechanisches Ballett<br />
vorführen. Auch das Pathé-Kino, entworfen<br />
von Koen van Velsen, fügt sich in die<br />
Platzgestaltung ein. Es verwandelt sich dank<br />
seiner hinterleuchteten Kunststofffassade<br />
abends in eine riesige Lichtinsel.<br />
WAS DEM PLATZ NICHT GUT GETAN HAT<br />
Kritik an dem Platzensemble gab es schnell.<br />
Zunächst galt sie dem Bodenbelag: ein<br />
Patchwork aus Lochblech, Holzbohlen und<br />
Epoxidharz, in das Ankerpunkte und<br />
Steckdosen für Veranstaltungen integriert<br />
wurden – und das sich bei Regen als<br />
Rutschbahn erwies. Bereits 2010 ersetzten<br />
West 8 daher den ursprünglichen schwarzen<br />
Harzbelag vor dem Kino durch eine rauere,<br />
flaschengrüne Harzschicht mit weißen<br />
Motiven, die Seemannstätowierungen<br />
darstellen sollen. Allerdings bleibt der Bezug<br />
der grünen Farbe zum Gesamtkonzept<br />
rätselhaft, und die Zeichnungen sind seltsam<br />
ungelenk geraten. Dem Platz hat das nicht<br />
gut getan.<br />
DAS LANGLEBIGE PROVISORIUM<br />
Gleichzeitig wurden einige Rampen angelegt,<br />
um den Zugang zur erhöhten Plattform zu<br />
30<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
SCHOUWBURGPLEIN, ROTTERDAM<br />
Fotos: Kian Lem via Unsplash<br />
erleichtern. Viel gebracht hat das nicht. Noch<br />
immer wird der Platz als zu unzugänglich,<br />
unwirtlich und rutschgefährlich empfunden,<br />
sodass vor ein paar Jahren der Entschluss zu<br />
tiefergreifenden Veränderungen fiel. Zunächst<br />
bedeckte man im Frühjahr 2018 beinahe den<br />
gesamten Platz mit einem riesigen, bunten<br />
Kunstrasenteppich, der von Bambuskübeln<br />
umringt war. Dieser etwas verzweifelte<br />
Versuch, Wohnlichkeit zu erzeugen, sollte<br />
ursprünglich nur neun Monate erhalten<br />
bleiben – aber entsprechend dem ungeschriebenen<br />
Gesetz, dass nichts so langlebig<br />
wie ein Provisorium ist, zieren Kunstrasen und<br />
Kübel den Platz noch immer. Gleich zeitig ist<br />
das Bedienpaneel für die hydraulischen<br />
Lichtmasten bereits seit einigen Jahren<br />
„zeitweise außer Betrieb“.<br />
DAS LANGLEBIGE PROVISORIUM<br />
2020 hat die Stadt Rotterdam schließlich 233<br />
Millionen Euro für sieben große Außenraumprojekte<br />
reserviert, darunter auch die Aufwertung<br />
des Schouwburgpleins. Da das Dach<br />
der Tiefgarage ohnehin einer Sanierung<br />
bedarf, will man die gesamte Platz gestaltung<br />
überarbeiten. Dabei sollen die Ventilationsröhren<br />
verschwinden und die Straßen<br />
zwischen Platz und Bebauung entfernt<br />
werden, sodass sich der Platz in Zukunft bis<br />
an die Fassaden der umliegenden Gebäude<br />
erstreckt. Auch will man die Tiefgarageneinfahrt<br />
vor dem Theater schließen und dort<br />
eine Fahrradgarage in Kombination mit<br />
einem unterirdischen Regenwasserrückhaltebecken<br />
ansiedeln. Mehrere Pflanzbeete<br />
sollen für mehr Grün auf dem Platz sorgen.<br />
Laut der Zeitung NRC Handelsblad stammt<br />
der Entwurf für die Überarbeitung wiederum<br />
von West 8.<br />
„Stadtbewohner sind keine bedauernswerten<br />
Opfer der Stadt mehr, die man behüten und<br />
mittels einer sanften, grünen Umgebung<br />
beschützen muss“, schrieb der Historiker und<br />
Architekturkritiker Bart Lootsma 2000 in<br />
seinem Buch SuperDutch über den Schouwburgplein.<br />
Vielleicht war diese Einschätzung<br />
etwas zu optimistisch. Am Schouwburgplein<br />
manifestiert sich ein grundlegendes Dilemma<br />
Rotterdams, das noch immer mit seiner<br />
Identität ringt. Denn in der modernen, teils<br />
recht ruppigen Nachkriegsstadt mit einer<br />
Vorliebe für das Experimentelle herrscht<br />
gleichzeitig eine ausgeprägte Sehnsucht nach<br />
Gemütlichkeit und Kleinmaßstäblichkeit. In<br />
diesem Sinne ist der Schouwburgplein ein<br />
echter Rotterdamer Platz.<br />
Der Schouwburgplein<br />
liegt im Herzen der Stadt<br />
Rotterdam. Trotz<br />
zahlreicher Anpassungen<br />
wird der Platz weiterhin<br />
als unzugänglich,<br />
unwirtlich und<br />
rutschgefährlich<br />
empfunden.<br />
+ West 8 gelten selber als Ikonen der 90er-Jahre.<br />
Unser Schwestermagazin topos hat nun eine<br />
Ausgabe zusammen mit dem Büro gemacht.<br />
Mehr dazu hier:<br />
garten-landschaft.de/west-8-topos-curated/<br />
31<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
(GARTEN)SCHAUEN<br />
WIR ZURÜCK<br />
In den 90er-Jahren fanden vier BUGAs und eine IGA statt. Zu den besonderen Gartenschau-<br />
Highlights aus dem Jahrzehnt zählt sicherlich die BUGA 1995 in Cottbus: Nur fünf Jahre nach der<br />
Wiedervereinigung war sie die erste BUGA der neuen Bundesländer. Zwei Jahre später feierte<br />
die BUGA in Gelsenkirchen einen Erfolg, der bis heute anhält: Dank ihr wurde die alte Zeche<br />
Nordstern zu einem der berühmtesten Landschafts- und Gewerbeparks. Aber nicht jede Schau in<br />
den 90er-Jahren konnte solchen Erfolg verbuchen. Hier nochmal die 90er-Schauen im Überblick.<br />
MAGDALENA SCHMIDKUNZ<br />
AUTORIN<br />
Magdalena Schmidkunz<br />
studierte Landschaftsarchitektur<br />
und<br />
Urbanistik. Sie ist<br />
Redakteurin der G+L.<br />
BUGA 91, DORTMUND – REVIVAL 2.0<br />
Die BUGA 1991 war die dritte BUGA in<br />
Dortmund und die dritte im Westfalenpark.<br />
Der Park entstand im Rahmen der Gartenschau<br />
im Jahr 1959. Zehn Jahre später diente<br />
er erneut als Ausrichtungsort. Damals<br />
brauchte man auf die Schnelle ein BUGA-<br />
Gelände, weil Frankfurt absprang. Es<br />
kamen trotzdem um die fünf Millionen<br />
Besucher*innen, gut doppelt so viel wie 1991.<br />
Die BUGA 91 war eine Gartenschau, die mit<br />
dem Bestand arbeitete und nur wenige<br />
bauliche Eingriffe durchführte. Der Schwerpunkt<br />
lag eher auf ökologischen Themen und<br />
umfasste zum Beispiel den Rückbau der<br />
breiten Promenade und das Vergrößern des<br />
vorhandenen Naturschutzgebietes.<br />
Seerosenteich des<br />
Westfalenparks im<br />
Vordergrund und das<br />
Wahrzeichen der BUGA<br />
1959 im Hintergrund:<br />
der Florian-Turm<br />
BUGA 91, DORTMUND<br />
GELÄNDE Westfalenpark FLÄCHE<br />
70 Hektar DAUER 178 Tage vom<br />
26. April bis 20. Oktober 1991<br />
BESUCHER*INNEN 2,1 Millionen<br />
34<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
ÜBERSICHT GARTENSCHAUEN<br />
IGA 1993, STUTTGART – VON VIELEN<br />
SEITEN KRITISIERT<br />
Das Stuttgarter Grüne U von Hans Luz ist<br />
den meisten ein Begriff. Das U realisierte die<br />
Stadt Stuttgart für die groß angekündigte<br />
IGA 1993. Über acht Kilometer vom<br />
Schlossgarten bis zum Höhenpark Killesberg<br />
erstreckt sich die Grünfläche und umfasst<br />
insgesamt sechs Parkanlagen aus unterschiedlichen<br />
Epochen. Man könnte behaupten, das<br />
Grüne U ist eine landschaftsarchitektonische<br />
Matrjoschka: Die großzügige Parkanlage<br />
beinhaltet kleinere Parks, die wiederum kleine<br />
Parkelemente beinhalten. Mit dem Grünzug<br />
gelang es der Stadt, einen öffentlichen<br />
Grünraum für ihre Bewohner*innen zu<br />
schaffen. Das war damals für Stuttgart eine<br />
Besonderheit. Auch wenn die Landeshauptstadt<br />
grüner ist als ihr Ruf, beschränkte sich<br />
der Naherholungsraum lange Zeit auf die<br />
Gärten der Häuslebauer*innen.<br />
Neben dem gestalteten Grünraum beinhaltete<br />
die IGA zahlreiche, temporäre Aufbauten, in<br />
die die Stadt Millionen investierte. Das<br />
bescherte der IGA aus verschiedenen<br />
Richtungen Kritik: ein viel zu großer<br />
finanzieller Aufwand und alles nur, um es ein<br />
halbes Jahr später wieder abzureißen. Auch<br />
einige Hotelbetreiber*innen, denen die Stadt<br />
ein lukratives Geschäft durch die IGA<br />
ausgemalt hatte, äußerten sich unzufrieden.<br />
Die IGA erreichte trotz 7,3 Millionen<br />
Besucher*innen nicht ihr im Vorfeld<br />
formuliertes Ziel, obwohl man das Event<br />
nicht als Gartenschau, sondern als<br />
EXPO 1993 groß angekündigt hatte.<br />
IGA 93, STUTTGART<br />
GELÄNDE „Grünes U“ FLÄCHE<br />
100 Hektar DAUER 178 Tage vom<br />
23. April bis 17. Oktober 1993<br />
BESUCHER*INNEN 7,3 Millionen<br />
Das Plakat der IGA<br />
1993 in Stuttgart<br />
Fotos: Deutsche Bundesgartenschau Gesellschaft; Stadt Gelsenkirchen/Franz Weiß<br />
BUGA 1995, COTTBUS – DIE<br />
BEDEUTENDSTE BUGA DER 90ER-JAHRE?<br />
Ursprünglich war die BUGA 1995 in<br />
Berlin geplant. Doch der Berliner Senat<br />
entschied sich 1991 für einen Sparkurs,<br />
dem auch die BUGA zum Opfer fiel.<br />
Außerdem wollte man sich auf die<br />
Olympischen Spiele 2000 bewerben und<br />
sich darauf allein fokussieren. Nach<br />
längerem Hin und Her war der Platz für<br />
das Jahr 1995 schließlich wieder frei, und<br />
Cottbus entschloss sich als erste Stadt der<br />
neuen Bundesländer, die BUGA auszurichten,<br />
und das mit viel Zeitdruck. Im<br />
Vergleich zu anderen Gartenschauen mit<br />
acht Jahren Vorlaufszeit hatte die BUGA<br />
1995 nur drei Jahre zur Vorbereitung. Dem<br />
Landschaftsarchitekten Bruno Leipacher,<br />
der mit Heinz Eckebrecht die Planung der<br />
BUGA verantwortete, ging das alles etwas<br />
zu schnell. Er meinte damals in einem<br />
ZEIT-Interview: „Wir haben uns oft<br />
gewünscht, ein Jahr mehr Zeit zu haben.<br />
Man kann die Natur nicht überrumpeln,<br />
und eigentlich ist es schön, wenn alles<br />
eigewachsen ist.“ Der Slogan „In Cottbus<br />
blüht was“ bewahrheitete sich zwar, aber es<br />
waren eben auch keine vollumfänglich<br />
blühenden Landschaften. Auch hatte die<br />
Stadt mit der Finanzierung der BUGA<br />
Probleme. Aus diesem Grund blieb ein Teil<br />
des Parks für Besucher*innen bis heute<br />
entgeltpflichtig. Rückblickend fällt das<br />
Urteil über die BUGA in Cottbus deutlich<br />
besser aus. Die Deutsche Bundesgartenschau-Gesellschaft<br />
ist sogar der Meinung,<br />
dass sie die bedeutendste BUGA der<br />
90er-Jahre war. Zum einen war es die erste<br />
BUGA in den neuen Bundesländern.<br />
Außerdem konnte der Branitzer Park mit<br />
dem Grab des Fürsten Pückler-Muskau<br />
einbezogen werden – auch eine Ikone,<br />
wenn auch nicht aus den 90ern.<br />
BUGA 95, COTTBUS<br />
GELÄNDE Spreeauenpark FLÄCHE<br />
76 Hektar DAUER 164 Tage vom<br />
29. April bis 8. Oktober 1995<br />
BESUCHER*INNEN 2,4 Millionen<br />
Der Spreeauenpark<br />
war das erste<br />
BUGA-Gelände im<br />
Osten nach der<br />
Wiedervereinigung. Bis<br />
heute erfreuen sich die<br />
Besucher*innen an den<br />
Rhododendren.<br />
35<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
ZURÜCK<br />
IN DIE ZUKUNFT<br />
Die Freigeistigkeit der 90er-Jahre, ihre Projekte und Ansätze, hat die Landschaftsarchitektur von<br />
heute maßgeblich geprägt. Aber nicht alles war super – bei Weitem nicht. Um mehr über die Ups<br />
and Downs von damals zu erfahren, haben wir Landschaftsarchitekt*innen, die die Zeit damals<br />
erlebt haben, um Wissen und Einschätzungen angepumpt. „Zeitzeugen“ quasi – damals junge<br />
Hüpfer, heute wissende Planungshasen. Sie haben wir nach den wichtigsten Planungsfiguren der<br />
damaligen Zeit und den größten Planungsfails gefragt.<br />
FRAGEN: THERESA RAMISCH<br />
DIE GRÖSSTE PROJEKTIKONE?<br />
Der Landschaftspark Duisburg-Nord: Aber<br />
nicht nur als Einzelprojekt, sondern als<br />
Leuchtturmprojekt der Transformation<br />
einer Industrielandschaft durch die IBA<br />
Emscher Park. – Eike Richter<br />
Der Landschaftspark Duisburg-Nord.<br />
– Constanze Petrow<br />
Die Internationale Bauausstellung Emscher<br />
Park 1989 – 1999. – Imma Schmidt<br />
Der Landschaftspark Riem, dessen<br />
Entwurf 1995 als Sieger aus einem<br />
Wettbewerb für den ehemaligen Flughafen<br />
München-Riem hervorging und letztendlich<br />
zur BUGA 2005 fertiggestellt<br />
wurde. – Andrea Gebhard<br />
Urs Walser (Herrmannshof Weinheim)<br />
prägte intensiv die Pflanzenverwendung der<br />
1990er-Jahre und bietet wesentliche<br />
Grundlage für landschaftliche Planungskonzepte<br />
im Stadtgrün heute (New<br />
German Style). – Swantje Duthweiler<br />
Der Landschaftspark Duisburg-Nord, und<br />
natürlich Ferropolis. – Thies Schröder<br />
Der Park Duisburg-Nord.<br />
– Karl H. C. Ludwig<br />
Zweifellos der Landschaftspark Duisburg-<br />
Nord von Peter Latz und Partner, weil er<br />
unsere Auffassung von (Brach)Landschaft<br />
grundlegend veränderte und damals schon<br />
vorausschauende Antworten auf drängende<br />
Fragen von heute gab.<br />
– Udo Weilacher<br />
Der Landschaftspark Duisburg-Nord.<br />
– Martin Prominski<br />
Oosterschelde & Schouwburgplein in den<br />
Niederlanden von West 8, der Invalidenpark<br />
in Berlin vom Atelier Pyusis und<br />
Christophe Girot, der Parc André-Citroën<br />
in Paris von Gilles Clément und Alain<br />
Provoust. – Stefan Bernard<br />
Eindeutig der Landschaftspark Duisburg<br />
Nord als Teil der damaligen IBA Emscherpark.<br />
Ich habe in den 90er-Jahren im<br />
Ruhrgebiet studiert und gearbeitet, diese<br />
Projekte der Transformation waren prägend.<br />
– Stephan Lenzen<br />
Frankreich – Niederlande – Barcelona! Die<br />
Promenade de Bord de mer in St. Valéryen-Caux<br />
von Jacques Coulon – so fein, der<br />
Parc André-Citroën von Gilles Clément<br />
und Alain Provost – so fett. Ganz anders<br />
die Niederländer, sie waren einfach sehr<br />
erfrischend. Die Stadtplätze in Barcelona<br />
– der öffentliche Raum wird wieder zur<br />
Bühne, was in Barcelona Ausdruck demokratischer<br />
Befreiung war, war auch maßstabgebend<br />
für viele andere europäische<br />
Städte. Und für mich selbst der Lustgarten<br />
in Berlin, meine eigene Projektarbeit im<br />
Atelier Loidl. – Barbara Hutter<br />
38<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT
IKONEN DER 90ER-JAHRE<br />
FRAGEN AN DIE PROFESSION<br />
Andrea<br />
Gebhard<br />
Imma<br />
Schmidt<br />
Eike Richter<br />
Constanze<br />
Petrow<br />
DIE GRÖSSTEN PLANUNGSFAILS?<br />
Fotos: mahl gebhard konzepte; Andrea Elsper; privat<br />
Peinliche Land-Art-Imitate – nicht nur<br />
auf Gartenschauen –, funktionalistisch<br />
genormte Grünplanung und biederste<br />
Dorferneuerungen. – Udo Weilacher<br />
Falsch verstandener Minimalismus.<br />
– Martin Prominski<br />
Der Parque de la Cartuja der Expo 1992 in<br />
Sevilla: ein Musterbeispiel von „weißen<br />
Elefanten“, die unbenutzt nach Großereignissen<br />
übrigblieben. Hier durch kaum<br />
an das Klima angepasste Landschaftsarchitektur<br />
verstärkt. – Eike Richter<br />
Die „Umweltamnesie“ (Christophe Girot),<br />
die sich vor allem im Verschlafen des<br />
Klimawandels zeigt, trotz der Rio-<br />
Konferenz von 1992 und dem ersten<br />
Klimabericht in Deutschland 1994.<br />
– Thies Schröder<br />
Die Rehistorisierung und damit oft<br />
einhergehende Provinzialisierung unserer<br />
Bausubstanz, auf die kritische<br />
Rekonstruktion folgten oft nur noch<br />
gefällige Plagiate. – Barbara Hutter<br />
Vernachlässigung der Nutzerperspektive und<br />
gesellschaftlicher Wachheit zugunsten der<br />
Ästhetik, Polarisierung zwischen<br />
Expert*innen und Laien. – Constanze Petrow<br />
Anbiederung an die Kunstwelt.<br />
– Stefan Bernard<br />
Viele der unüberlegten, von Aktionismus<br />
geprägten Projekte in Ostdeutschland als<br />
Teil der „blühenden Landschaften“.<br />
– Stephan Lenzen<br />
Oft intensive Flächenversiegelungen für<br />
flächige architektonische Wirkungen,<br />
Artenreduzierung im Gestaltungsgrün für<br />
gleichmäßige Raster- oder Reihenpflanzungen,<br />
Reaktion auf die ökologisch<br />
betonten, gestalterisch oft zurückhaltenden<br />
1980er-Jahren: „Wir müssen auf Augenhöhe<br />
mit den Architekten arbeiten.“<br />
– Swantje Duthweiler<br />
Theorie wurde weiterentwickelt, aber kaum<br />
in Planung umgesetzt. – Karl H. C. Ludwig<br />
Nachdem die Ökologiebewegung der<br />
1970er in den folgenden Jahrzehnten zu<br />
sehr dogmatisiert wurde, fielen die ökologischen<br />
Elemente in den 1990er-Jahren<br />
nicht richtig präsent auf oder wurden<br />
teilweise lediglich mit vordergründiger<br />
Natürlichkeit überspielt. – Andrea Gebhard<br />
„Keine Planungsfails - wir hätten (berufs)<br />
politisch gerade in Fragen von Biodiversität<br />
und Klimaveränderungen viel unbequemer<br />
sein müssen! Mindestens seit den<br />
Neunzigern!“ – Imma Schimdt<br />
39<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT