„AYIP! DAS GEHÖRTSICH NICHT!“ANSTAND UND SCHANDE IN DER TÜRKISCHENUND KURDISCHEN COMMUNITY48 / EMPOWERMENT SPECIAL /
„Das kannst du machen, wenn du verheiratet bist!“ „Da kannst du dann mit deinem Mannhin!“ – Was, wenn eine junge Frau gar nicht heiraten möchte? Was, wenn sie nicht aufeinen Mann angewiesen sein will, um vom Elternhaus unabhängig zu werden? „Ayıp!“Autorin Şeyda Gün hat es satt, die „vorbildliche“ Tochter in der kurdischen Communityzu sein, auch auf die Gefahr hin, als „eine Schande“ abgestempelt zu werden.Von Şeyda Gün, Fotos: Zoe OpratkoAyıp!“ (übersetzt: eine Schande).Dieser Begriff ist für vieleFrauen aus der türkischenoder türkischsprachigenkurdischen Community kein Fremdwort.Denn wir alle haben zumindest einmal inunserem Leben etwas gesagt, getragenoder geglaubt, dass „ayıp“ für unsereFamilie, Bekannte oder sogar Freundeist. Einmal war ich auf der Suche nacheinem Outfit für eine kurdische Hochzeitin Wien. Meine Mamawollte, dass ich mich derCommunity entsprechendkleide: Das Kleid dürfe aufkeinen Fall zu kurz seinoder einen Ausschnitthaben, denn es wäre„ayıp“, wenn ich nichtangemessen gekleidetwäre. Obwohl meine Familiesich niemals in meinäußeres Erscheinungsbildeinmischte und mich sorespektierte, wie ich bin,ging es hier darum, wasandere Menschen in derCommunity über michdenken oder gar redenwürden, wenn ich mirein etwas „freizügigeres“Outfit für den anstehenden Anlassaussuchen würde. Im Endeffekt habe ichdann getragen, was mir gefallen hat – obdie „Leute reden“ ist mir egal.Denn: Wer bestimmt, wann waswarum „ayıp“ ist? Sowohl in der türkischenals auch in der kurdischenCommunity können viele Dinge eine„Schande“ für Frauen sein. Mütter undVäter sind beispielsweise besonders stolzauf ihre Söhne, wenn die feste Freundinvorgestellt wird. Wenn die Tochter denfesten Freund aber vorstellen möchte,herrscht Ausnahmezustand unter denvier Wänden. Das ist doch ayıp! Frauenkönnen doch nur den Mann vorstellen,den sie auch später heiraten, dasbesagt der imaginäre Gesetzeskodex derCommunity. Bereits in jungen Jahrenwerden Mädchen darauf aufmerksamgemacht, sich „vorbildlich“ innerhalb derCommunity zeigen zu müssen. Vorbildlichsein heißt, in die Schule zu gehenund dann sofort wieder nachhause,Den Lästereien in ihrer Community dreht die Autorin den Rücken zu.nicht bei Freundinnen am Wochenendeübernachten, denn Pyjamapartys sindein Tabu. Vorbildlich sein heißt, nicht aufPartys gehen, nicht im Club zu tanzen.Auch ich kenne das nur zu gut. Als ichmeiner Mama im Teenageralter sagte,ich möchte auf Pyjamapartys, dachte sie,ich scherze. Sie hatte kein Verständnisdafür, wieso ich bei meinen Freundinnenzu Hause übernachten sollte. Fürsie war das „ayıp“. Was würden dennandere dazu denken? Ich erklärte ihr,dass es das normalste auf dieser Weltsei und es nur in unserer Kultur einfachkein Verständnis dafür gebe. Siehat sich im Endeffekt mit der Tatsacheangefreundet und akzeptiert, dass eseine Welt außerhalb unserer Kultur auchgibt und nichts dagegenspricht, wennich mit meinen Freunden meinen Spaßhabe. Die Pyjamapartys aka Homepartyswaren somit kein Problem mehr. Hätteich dieses Gespräch nie gesucht undversucht, ihr eine Welt außerhalb unsererKultur zu erklären, wärenie etwas aus den Partysgeworden. Ich kann michin dieser Hinsicht glücklichschätzen, dass diesesVerständnis entstand.Heute denke ich an meineZeit im Gymnasium zurückund liebe die Erinnerungen.Die schönste Zeit,die lustigsten Erlebnisse,mit den besten Leuten. Alldas, weil ICH mich durchgesetzthabe.In unserer Communityheißt „vorbildlich sein“vor allem, dem Weltbildder Community gemäß zuleben, ohne die eigenenBedürfnisse jemalsausleben zu dürfen. Wenn du als Fraunicht den „vorbildlichen“ Funktionen derGesellschaft entsprichst, beginnt deineCommunity über dich zu sprechen. Gibtes Gossip in deiner Community überdich? Uff, ayıp. Es ist ein Weltuntergangfür Familien, wenn schlecht über dieTochter gesprochen wird, es ist eineSchande. Heute frage ich mich, werüberhaupt das Recht hat, mir und allenanderen Frauen vorschreiben zu dürfen,was ayıp ist oder nicht. Ich bestimme fürmich, du bestimmst für dich. Punkt./ EMPOWERMENT SPECIAL / 49
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