Hinz&Kunzt 348 Februar 2022
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>348</strong><br />
Feb. 22<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro für<br />
unsere Verkäufer:innen<br />
Jan Georg<br />
Schütte<br />
Auf Tour mit dem Schauspieler,<br />
Regisseur und Fachmann für Improvisation
Editorial<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Seit Jahren steht<br />
das Haus am<br />
Reetwerder 3<br />
leer und verfällt.<br />
Redakteur<br />
Jonas Füllner<br />
hat sich vor Ort<br />
mit Nachbarin<br />
Friederike<br />
getroffen.<br />
Moin,<br />
fällt Ihnen beim Spaziergang durch die Nachbarschaft auch<br />
gelegentlich auf, dass Wohnungen oder ganze Häuser unbewohnt<br />
sind, teilweise seit Jahren? Obwohl die Bezirke immer öfter versuchen,<br />
mit Bußgeldern gegenzusteuern, sind solche Leerstände in<br />
Hamburg leider keine Ausnahme. Wir blicken deshalb auf den<br />
Status Quo und fragen nach, was die politisch Verantwortlichen<br />
gegen Leerstand unternehmen könnten.<br />
In Berlin wollten einige Aktivist:innen und Obdachlose derweil<br />
nicht warten, bis sich die Politik etwas einfallen lässt: Sie haben<br />
kurzerhand ein leer stehendes Haus besetzt – und können erst<br />
mal bleiben: Rund 40 Obdachlose finden dort nun einen<br />
Rückzugsort. Was ich bei meinem Besuch vor Ort erlebt habe,<br />
lesen Sie im Magazin.<br />
Nicht warten, sondern machen: Das will auch Uwe Lübbermann.<br />
Der Unternehmer ist zwar kein Hausbesetzer, sondern ein Hausbesitzer,<br />
doch mit dem Brause-Kollektiv Premium Cola will er die<br />
Wirtschaft revolutionieren. Wie er das anstellen möchte, lesen Sie –<br />
neben vielen weiteren Themen – in unserem Schwerpunkt zum<br />
Wandel der Arbeitswelt.<br />
Unseren Titel ziert in diesem Monat Jan Georg Schütte. Die<br />
Serie „Das Begräbnis“, bei der er Regie führte, ist derzeit in der<br />
ARD zu sehen. Wir haben uns mit dem Autor, Schauspieler und<br />
Regisseur auf einen Spaziergang getroffen und über die Kunst des<br />
Improvisierens gesprochen. <br />
<br />
Viel Spaß beim Lesen!<br />
Ihr Lukas Gilbert<br />
Schreiben Sie uns an: briefe@hinzundkunzt.de<br />
FOTOS SEITE 2: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
TITELFOTO: ANDREAS HORNOFF<br />
2
32<br />
Fördert den<br />
Müßiggang:<br />
Felix Quadflieg<br />
Inhalt <strong>Februar</strong> <strong>2022</strong><br />
Stadtgespräch<br />
06 Gemeinsam gegen Leerstand<br />
Berlin: Ein besetztes Haus bietet Obdachlosen ein Zuhause.<br />
10 Die unendliche Geschichte<br />
In Bergedorf steht ein Haus seit Jahren leer.<br />
13 Streit um einen Zaun auf St. Pauli<br />
Ein Gitter soll Obdachlose von einem Schulgelände vertreiben.<br />
Fotostrecken<br />
16 Wovon träumst du, wenn du schläfst?<br />
Lichtcollagen aus den Träumen obdachloser Menschen<br />
36 Siegeszug eines Plastikstuhls<br />
Der Monobloc ist das meistverkaufte Möbelstück aller Zeiten.<br />
Arbeit<br />
36<br />
Der Stuhl<br />
Monobloc<br />
hilft Gehbehinderten.<br />
24 Provokateur und Angsthase<br />
Uwe Lübbermann will die Wirtschaft verbiegen.<br />
28 Modell für die Zukunft?<br />
Eine Hotelkette probt die Viertagewoche bei vollem Lohn.<br />
30 Gestern, heute, morgen<br />
Zahlen und Daten zum Wandel der Arbeitswelt<br />
32 „Wer nicht will, sollte nicht arbeiten müssen“<br />
Felix Quadflieg und sein Verein zur Förderung des Müßiggangs<br />
Freunde<br />
44 Gute Waren, gut verpackt<br />
Studierende haben den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Onlineshop begutachtet.<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
06<br />
Haus besetzerinnen<br />
in Berlin<br />
16<br />
Lenny träumt<br />
vom Fliegen.<br />
48 „Ich war voll der Nischenheini“<br />
Autor, Schauspieler und Regisseur Jan Georg Schütte<br />
52 Tipps für den <strong>Februar</strong><br />
56 Kolumne: Auf ein Getränk mit Anselm Neft<br />
58 Momentaufnahme: Hinz&Künztler Chamkauer<br />
Rubriken<br />
04 Gut&Schön<br />
14 Zahlen des Monats<br />
22 Meldungen<br />
46 Buh&Beifall<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Endlich ein Zuhause!<br />
Gemeinsam in der Küche sitzen, auf die Pizza im Ofen warten und<br />
Karten spielen – dieser Traum ist für die Hinz&Künztler Daniel,<br />
Markus, Viktor und Olaf (von links) wahrgeworden: Sie bilden eine von<br />
fünf WGs im neuen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus, in einer Wohnung lebt eine<br />
Familie. Schon im September vergangenen Jahres sind wir von den alten<br />
Räumlichkeiten in das neue Haus in der Minenstraße in St. Georg<br />
umge zogen. Dort sind neben der Geschäftsstelle auch Wohnungen für<br />
unsere Verkäu fer:innen entstanden. Begleitet von Sozialarbeiter Jonas<br />
Gengnagel sind die Hinz&Künztler:innen seitdem nach und nach in<br />
die Wohnungen eingezogen – seit Januar sind alle belegt. Jede:r hat<br />
ein eigenes Zimmer, Küche und Wohnzimmer teilen sich die WGs. LG<br />
•
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Gemeinsam gegen<br />
Leerstand<br />
In Berlin haben Obdachlose gemeinsam mit Aktivist:innen ein leer<br />
stehendes Haus besetzt – und so kurzfristig Wohnraum für Menschen<br />
ohne Zuhause geschaffen. Mindestens bis April dürfen sie bleiben.<br />
P<br />
insel sitzt auf ihrem karierten<br />
Sofa und ist glücklich. Zu ihren<br />
Füßen hat es sich ihr Hund<br />
Omiro gemütlich gemacht.<br />
Seit einigen Tagen nennt die 32-Jährige<br />
eine kleine Zweizimmerwohnung in<br />
Berlin-Mitte ihr Zuhause. Jahrelang lebte<br />
sie auf der Straße oder bei Bekannten.<br />
Jetzt hat sie endlich Ruhe und<br />
Privatsphäre. Kann die Tür hinter sich<br />
schließen. Vor allem aber sei es die<br />
Erfahrung, sich die Wohnung selbst erstritten<br />
zu haben, die sie beflügelt: „Das<br />
TEXT: LUKAS GILBERT<br />
FOTOS: FLORIAN BOILLOT<br />
Gefühl ist kaum in Worte zu packen.“<br />
Gemeinsam mit anderen Obdachlosen<br />
und Aktivist:innen hat sie das Haus, in<br />
dem ihre neue Wohnung liegt, besetzt.<br />
Jahrelang stand es so gut wie leer.<br />
Ganz praktisch etwas gegen den<br />
Leerstand in der Stadt tun. Aus diesem<br />
Grund haben sich vor rund zwei Jahren<br />
politische Aktivist:innen und Obdachlose<br />
in Berlin zusammengeschlossen.<br />
Das Besondere: Sie arbeiten gemeinsam<br />
und auf Augenhöhe. „Die Idee<br />
war: Nicht Aktivist:innen machen das<br />
6<br />
für andere, sondern wir machen das zusammen<br />
und erkämpfen uns das Haus<br />
gemeinsam“, ergänzt Valentina (Name<br />
geändert), eine der Aktivist:innen, die<br />
sich auf das Sofa neben Pinsel gesellt<br />
hat: „Das hat gut funktioniert.“ Pinsel<br />
ergänzt: „Wir sind zusammen auf Platten<br />
und in Obdachlosenheime gegangen<br />
und haben Bescheid gesagt, was wir<br />
hier vorhaben.“<br />
Anfangs lief es zwar auch holprig,<br />
schließlich seien doch recht unterschiedliche<br />
Charaktere aufeinander-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rubrik<br />
getroffen. Trotzdem feiert die Gruppe<br />
jetzt ihren größten Erfolg: Die Obdachlosen<br />
dürfen bis auf Weiteres bleiben.<br />
Das hat der zuständige Bezirk Berlin-<br />
Mitte mit dem Eigentümer vereinbart.<br />
Vor einigen Monaten sah das noch anders<br />
aus. Damals hatten sie das Haus in<br />
der Habersaathstraße schon einmal<br />
besetzt, wurden aber direkt wieder<br />
geräumt.<br />
Zu DDR-Zeiten diente der fünfstöckige,<br />
graue Plattenbau der naheliegenden<br />
Charité als Schwesternwohnheim.<br />
Als in Berlin 2006 die Kassen leer und<br />
Privatisierungen im Trend waren, verkaufte<br />
die Stadt unter dem damaligen<br />
SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin das<br />
Haus für zwei Millionen Euro an einen<br />
privaten Investor. 2018 verkaufte der es<br />
an den heutigen Eigentümer weiter.<br />
Laut Medienberichten zum zehnfachen<br />
Preis. Frei werdende Wohnungen lässt<br />
der heutige Eigentümer offensichtlich<br />
leer stehen, nur in einigen wenigen der<br />
rund 100 Wohnungen leben noch alteingesessene<br />
Mieter:innen.<br />
An dem Haus zeigen sich die Absurditäten<br />
des Wohnungsmarktes. Erst<br />
2008 wurde es energetisch saniert. Auf<br />
dem Dach befindet sich sogar eine<br />
Fotovoltaik-Anlage, um das Haus mit<br />
Energie zu versorgen, berichten die<br />
Beset zer :innen. In den leer stehenden<br />
7<br />
Wohnungen funktionieren Strom, Heizung<br />
und Wasser. Sogar möbliert und<br />
mit Fernsehern ausgestattet sind einige<br />
der Apartments. Trotzdem lohnt es sich<br />
für den Eigentümer offensichtlich, die<br />
Endlich ein Rückzugsort:<br />
Bewohnerin Pinsel<br />
mit ihrem Hund Omiro
Pinsel und Aktivistin<br />
Valentina im neuen<br />
Wohnzimmer (oben).<br />
Unten: Valentina vor<br />
dem besetzten Haus<br />
Wohnungen nicht zu vermieten und<br />
stattdessen darauf zu spekulieren, das<br />
Haus abreißen zu können. Wohl um<br />
Luxusapartments an gleicher Stelle<br />
zu errichten. Gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
äußert er sich nicht, doch in Berliner<br />
Medien ist der Plan seit Jahren Thema.<br />
Einzig am Widerstand des Bezirks<br />
8<br />
scheiterte er bislang. Der erteilt nämlich<br />
keine Abrissgenehmigung. Allerdings ist<br />
es dem Bezirk bislang auch nicht gelungen,<br />
den Leerstand zu beenden. Das<br />
haben nun die Besetzer:innen geschafft.<br />
Zeit, sich von den Strapazen auf<br />
der Straße auszuruhen, bleibt Pinsel<br />
und den anderen Bewohner:innen bisher<br />
kaum. Es gibt einiges zu tun im<br />
frisch bezogenen Haus: Zimmer müssen<br />
zugeteilt werden. Ein Gemeinschaftsraum<br />
wird hergerichtet. Einige<br />
Bewoh ner:innen planen zudem, eine<br />
Fahrradwerkstatt aufzubauen. Pinsel<br />
denkt da rüber nach, eine Mediationsgruppe<br />
zu gründen – um mögliche
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Konflikte im Haus gar nicht erst hochkochen<br />
zu lassen. Auch das sogenannte<br />
Kiezbüro, eine zur Hauszentrale umgewandelte<br />
Einzimmerwohnung im<br />
Hochparterre, ist rund um die Uhr besetzt.<br />
Die Bewohner:innen sollen jederzeit<br />
eine:n Ansprechpartner:in haben.<br />
Dort herrscht reges Treiben. Drei<br />
Männer, allesamt frischgebackene Hausbewohner,<br />
schauen gerade eingetroffene<br />
Essensspenden durch: Mehrere Kisten<br />
mit Brötchen hat jemand vorbeigebracht,<br />
jetzt stapeln die sich neben Mandarinen<br />
und anderen Nahrungsmitteln.<br />
Vor dem Haus fahren derweil immer<br />
wieder Autos vor. Aus ganz Berlin<br />
und sogar darüber hinaus kommen<br />
Menschen mit Spenden. Gerade parkt<br />
ein junger Mann seinen Wagen und<br />
bringt Decken und eine Kaffeemaschine.<br />
Er habe im Fernsehen von dem Projekt<br />
erfahren und sich direkt ein paar<br />
Sachen geschnappt. „Vor ein paar Tagen<br />
kam jemand von einem Messeverleih<br />
aus Essen mit seinem Lkw angefahren<br />
und hat Küchen vorbeigebracht“,<br />
erzählt Aktivistin Valentina. Ein Hertha-BSC-Fanclub<br />
habe Rauchmelder<br />
für das gesamte Gebäude gespendet.<br />
Und was sagt die Nachbarschaft<br />
über die Zugezogenen? „Wir hatten<br />
eine Kundgebung zum Einzug. Da<br />
kamen Nachbar:innen und haben spontan<br />
gesprochen, haben sich bedankt<br />
und sich sehr gefreut, dass hier endlich<br />
wieder Leben in der Straße ist“, sagt<br />
Valentina. Die verbliebenen Mieter:innen<br />
würden sich ebenfalls über die neuen<br />
Bewoh ner:innen freuen und mit<br />
anpacken. Und auch Pinsel hat das<br />
Gefühl, gut aufgenommen zu werden.<br />
Maßnahme<br />
gegen Leerstand:<br />
Die<br />
Habersaathstraße<br />
40–48<br />
ist besetzt.<br />
Stadtgespräch<br />
Professionelle Unterstützung in der<br />
neuen Wohnung bekommen die<br />
Bewoh ner:innen durch einen sozialen<br />
Träger, der mit ins Haus eingezogen<br />
ist und den die Gruppe gemeinsam<br />
mit dem Bezirksamt ausgesucht hat.<br />
Mitarbeiter:innen von „Neue Chance<br />
Berlin“ sind in einem Büro im Haus für<br />
die Bewohner:innen erreichbar und<br />
beraten sie, wenn sie das wollen. Der<br />
Träger ist neben der Habersaathstraße<br />
auch am Berliner Housing-First-<br />
Modellprojekt beteiligt. „Für uns war<br />
wichtig, dass die Menschen hier selbstbestimmt<br />
leben können“, sagt Aktivistin<br />
Valentina: „Dass es zwar Unterstützungsangebote<br />
gibt, die aber nicht<br />
verpflichtend sind.“<br />
Wie es in Zukunft weitergeht in der<br />
Habersaathstraße, ist momentan noch<br />
völlig offen. Bezirk und Eigentümer<br />
verhandeln über das weitere Vorgehen<br />
und streiten vor Gericht über den Abriss.<br />
Nach Angaben des Bezirks können<br />
die Obdachlosen mindestens bis Mitte<br />
April bleiben.<br />
Und dann? Für Valentina steht fest:<br />
„Das Ding muss wieder fit gemacht<br />
werden und mit den Leuten, die hier<br />
jetzt wohnen, weiter bewohnt werden.<br />
Es kann nicht sein, dass das Haus abgerissen<br />
wird“, findet sie. „Das wird der<br />
nächste Kampf sein, den wir führen<br />
müssen.“ • Lukas Gilbert war beeindruckt<br />
davon, wie die<br />
Zusammenarbeit auf<br />
Augenhöhe Obdachlose<br />
und Aktivist:innen beflügelt.<br />
lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />
ANKER<br />
DES<br />
LEBENS<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen<br />
Menschen Halt. Eine Art<br />
Anker für diejenigen, deren<br />
Leben aus dem Ruder<br />
gelaufen ist. Möchten Sie<br />
uns dabei unterstützen und<br />
gleichzeitig den Menschen,<br />
die bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und<br />
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Dann hinterlassen Sie etwas<br />
Bleibendes – berücksichtigen<br />
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wird Ihr Name auf Wunsch<br />
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in der Hafencity graviert.<br />
Ein maritimes Symbol für<br />
den Halt, den Sie den sozial<br />
Benachteiligten mit Ihrer<br />
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persönliches Gespräch?<br />
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Geschäfts führer Jörn Sturm.<br />
Tel.: 040/32 10 84 03 oder<br />
E-Mail: joern.sturm@hinzundkunzt.de<br />
9
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Die unendliche<br />
Geschichte<br />
An einem leer stehenden Altbau in Bergedorf beißen sich Stadt<br />
und Justiz die Zähne aus. Dabei könnten hier in zentraler Lage<br />
mehrere Familien ein neues Zuhause finden.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
10
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Das Eckhaus an der<br />
Alten Holstenstraße und<br />
dem Reetwerder verfällt<br />
seit fast vier Jahren.<br />
Blick vom Bahnübergang in die Alte Holstenstraße im Jahr 1935. Vorne links:<br />
das heute leer stehende Geschäfts- und Wohnhaus an der Ecke zum Reetwerder<br />
FOTO S. 11 OBEN: WWW.HAMBURG-BILDARCHIV.DE<br />
Wir haben damals alles<br />
verloren. Möbel, Kleidung<br />
und die Spielsachen<br />
meiner Kinder.<br />
Alles“, sagt Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
Dorel. Genervt winkt er mit der Hand<br />
ab. An die Umstände, unter denen er<br />
seine alte Wohnung in Bergedorf verlor,<br />
möchte er am liebsten nicht mehr zurückdenken.<br />
Nur zwei Tüten mit den<br />
wichtigsten Unterlagen habe er nach<br />
einem Kabelbrand aus dem Gebäude<br />
retten können. Das wurde nach der<br />
überraschenden Räumung umgehend<br />
versiegelt. Dorel und seine Familie landeten<br />
in einer städtischen Wohnunterkunft.<br />
Die Hoffnung, vom Hab und<br />
Gut je etwas wiederzusehen oder eine<br />
Entschädigung zu erhalten, hat der gebürtige<br />
Rumäne längst aufgegeben.<br />
Das alles passierte im Mai 2018.<br />
Seitdem ist es still geworden im und um<br />
den Reetwerder 3. Dabei war der Altbau<br />
einst ein schmuckes Wohn- und<br />
Geschäftshaus. Doch sowohl der Eigentümerin<br />
als auch der Vermieterin war<br />
das offensichtlich egal. Sie hatten einen<br />
Weg gefunden, gut zu verdienen, ohne<br />
sich um die Immobilie zu kümmern:<br />
Viel zu viele, meist aus Rumänien stammende,<br />
Menschen lebten dort und zahlten<br />
horrende Mieten pro Zimmer. Das<br />
zumindest sind die Vorwürfe vor Gericht.<br />
Verfahren wegen Mietwuchers<br />
sind anhängig. Zudem versucht die<br />
Stadt, die Kosten der Ersatzunterbringung<br />
einzuklagen. 160.000 Euro fordert<br />
allein das Jobcenter von der Vermieterin<br />
zurück.<br />
Das Gebäude wiederum gilt seit<br />
dem Kabelbrand als unbewohnbar.<br />
Deswegen falle es auch nicht unter das<br />
Wohnraumschutzgesetz, argumentiert<br />
der Bezirk. Er sieht keinen Handlungsspielraum.<br />
Ein Leerstand, der kein<br />
Leerstand ist? Nach dem Gesetz ist<br />
diese Kuriosität möglich. Die baulichen<br />
Mängel im Reetwerder 3 führen dazu,<br />
dass Wohnraum in diesem Fall nicht<br />
zweckentfremdet wird, sondern nach<br />
Behördenlogik gar nicht existiert.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leserin Friederike<br />
ärgert das. Als Nachbarin beobachtet<br />
sie seit Jahren den Leerstand. Vergangenen<br />
Sommer wandte sie sich an die<br />
Redaktion, als sie Entrümpelungsarbeiten<br />
im Haus beobachtete. Für einen<br />
Moment habe sie gehofft, dass neue<br />
Nachbar:innen einziehen. Aber dann<br />
gingen die Arbeiten nicht weiter. „Ich<br />
dachte wirklich, dass endlich mit der<br />
Sanierung begonnen wird“, sagt sie.<br />
Auch den Bezirk wurmt der Leerstand<br />
in prominenter Lage. „Es wäre in<br />
unserem Interesse, wenn dort wieder<br />
Menschen wohnen könnten“, heißt es<br />
aus dem Bergedorfer Rathaus. Warum<br />
nach knapp vier Jahren immer noch<br />
nicht saniert wird, kann Rechtsanwalt<br />
Marc Meyer von „Mieter helfen Mietern“<br />
nicht nachvollziehen.<br />
Der 60-Jährige ist Experte: Seit<br />
Jahren zeigt er Leerstände in Hamburg<br />
an. Er brachte beispielsweise den Stein<br />
ins Rollen, als ein internationaler<br />
Immo bilienhändler in der Jarrestadt<br />
und in Winterhude rund 100 Wohnungen<br />
leer stehen ließ. Nach Medienberichten<br />
– unter anderem auch von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> – griff das Bezirksamt<br />
durch und verhängte Bußgelder. Jetzt<br />
teilte das Amt auf Anfrage mit, dass<br />
11
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
das „Unternehmen seine Geschäftsaktivitäten<br />
in Hamburg nunmehr aufgegeben<br />
und seinen Bestand an ein<br />
Unternehmen verkauft hat, in dessen<br />
Interesse langfristige Mietverhältnisse<br />
liegen“.<br />
Neue Eigentümer:innen, das wäre<br />
sicherlich auch für das Haus am Reetwerder<br />
die beste Lösung. Daran dürfte<br />
auch der Bezirk Interesse haben,<br />
schließlich sucht der seit Jahren geeignete<br />
Räume für eine Tagesaufenthaltsstätte<br />
für Obdachlose. Im Reetwerder 3<br />
wäre Platz: Neben viel Wohnraum bietet<br />
die Immobilie auch rund 500 Quadratmeter<br />
Gewerbefläche. Anwalt<br />
Meyer hegt große Sympathie für das<br />
Vorgehen der Besetzer:innen eines seit<br />
Jahren leer stehenden Hauses in Berlin<br />
(siehe Seite 6). Am Haus im Reetwerder 3<br />
wären die Sicherheitsmängel derzeit<br />
aber wohl zu groß.<br />
Dass die beseitigt werden, liegt offenbar<br />
nicht mehr in der Hand der<br />
Hauseigentümerin. Eine Zwangsverwaltung<br />
wurde vor dreieinhalb Jahren<br />
durch die Bank eingesetzt, sogar eine<br />
Zwangsversteigerung steht im Raum.<br />
Für den Bezirk ein Hemmnis. Denn<br />
Zwang auf eine Zwangsverwaltung<br />
auszuüben, das sei nun mal nicht möglich,<br />
heißt es aus dem Rathaus.<br />
Leerstand in Hamburg<br />
Seit 40 Jahren besteht in Hamburg ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum.<br />
Wenn Wohnungen unbegründet leer stehen, drohen hohe Bußgelder. Inzwischen<br />
beträgt die Leerstandsquote nur noch 0,5 Prozent. „Einzelfälle des ungerechtfertigten<br />
Wohnungsleerstandes werden wir mit allen Instrumenten des Wohnraumschutzgesetzes<br />
konsequent verfolgen“, teilt die Stadtentwickungsbehörde auf Nachfrage<br />
mit. Trotzdem gibt es Eigentümer:innen, die der Verwaltung geradezu auf der Nase<br />
herum tanzen: 2019 berichtete Hinz&<strong>Kunzt</strong> über einen Leerstand in der Sommerhuder<br />
Straße 4 in Altona. Jahrelang passierte nichts. Erst sieben Tage vor Ablauf der<br />
dreijährigen Baugenehmigung gab der Eigentümer den Baubeginn bekannt.<br />
„Dass sich Eigentümer:innen gegen<br />
Vermietung, Sanierung und Zwangsversteigerung<br />
wehren, ist in diesem<br />
Rechtsstaat trotz bestehender Wohnungsnot<br />
letztlich zähneknirschend<br />
hinzunehmen“, kommentiert Anwalt<br />
Meyer. „Auch das Grundgesetz schützt<br />
Privateigentum, kennt aber leider kein<br />
Grundrecht auf Wohnen.“ Damit sich<br />
die Wiedervermietung dennoch nicht<br />
zu arg in die Länge zieht, sei jetzt ein<br />
konsequentes und schneidiges Vorgehen<br />
der Behörden erforderlich.<br />
Darüber hinaus laufen auch die<br />
Verfahren gegen die Vermieterin. Ein<br />
Hoffnungsschimmer? Eher nicht. Laut<br />
Staatsanwaltschaft ist ein Ende nicht<br />
absehbar. Es habe „immer wieder erhebliche<br />
Zeit in Anspruch genommen“,<br />
von anderen Behörden notwendige<br />
Unterlagen zu erhalten, erklärt eine<br />
Sprecherin auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage.<br />
Akten „konnten teilweise nicht oder erst<br />
mit erheblicher Verzögerung zur Verfügung<br />
gestellt werden“. Zudem sei offen,<br />
„mit welchem Ergebnis die Ermittlungen<br />
abgeschlossen werden können“.<br />
Damals seien sie froh gewesen, ein<br />
Dach über dem Kopf zu haben, sagt<br />
Dorel. Sich rechtlich gegen die Abzocke<br />
zu wehren, wäre ihm nie in den Sinn<br />
gekommen. Dass jetzt, nach so langer<br />
Zeit, noch jemand in das Haus zurückkehrt,<br />
könne er sich nicht vorstellen.<br />
Dank der Hilfe von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
fanden Dorel und seine Familie inzwischen<br />
ein neues Zuhause. Dort fühlt er<br />
sich endlich pudelwohl. Dass sein altes<br />
Wohnhaus immer noch leer steht, will<br />
aber auch ihm nicht in den Kopf. Etwa<br />
zehn Familien könnten dort problemlos<br />
leben. „Es ist ein schönes Haus“, sagt<br />
Dorel. •<br />
jonas.füllner@hinzundkunzt.de<br />
Leichte Sprache:<br />
Nachbarin Friederike im Gespräch mit Redakteur Jonas Füllner.<br />
Es gibt den Text<br />
auch in Leichter<br />
Sprache.<br />
Scannen Sie<br />
den QR-Code<br />
mit dem Handy.<br />
Dann klicken Sie auf den Link.<br />
Der Text in Leichter Sprache öffnet<br />
sich. Oder Sie gehen auf unsere<br />
Webseite www.hinzundkunzt.de und<br />
suchen dort nach „Leichte Sprache“.<br />
www.huklink.de/<strong>348</strong>-leichte-sprache<br />
12
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Stadtgespräch<br />
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Sorgt für Ärger: Ein Zaun<br />
gegen Obdachlose<br />
Streit um einen Zaun<br />
Auf St. Pauli soll ein Zaun Obdachlose vom<br />
Gelände eines Gymnasiums fernhalten.<br />
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A<br />
nwohnerin Isabelle Koppelkamp<br />
ist fassungslos. Mitte Januar<br />
hätten Bauarbeiter damit begonnen,<br />
einen Zaun um einen<br />
Vorbau in der Wohlwillstraße zu bauen,<br />
unter dem sich regelmäßig Obdachlose<br />
aufgehalten haben. Dabei handele es sich<br />
bei dem Stück Gehweg um eine der wenigen<br />
überdachten Flächen auf St. Pauli.<br />
Der Platz liegt auf dem Gelände des<br />
dortigen Gymnasiums. Schulleiter Frank<br />
Berend schildert seine Sicht im Gespräch<br />
mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Seit er 2020 mit seiner<br />
Schule die Räumlichkeiten der ehemaligen<br />
Handelsschule bezogen hat, hätte er mit<br />
den Obdachlosen zu tun gehabt – sie aber<br />
toleriert. Die Lage habe sich aber zugespitzt,<br />
insbesondere weil offen Drogen konsumiert<br />
worden seien. In einem Fall sei es<br />
zu einem Angriff auf den Hausmeister<br />
gekommen. Berend sieht sich vor einem<br />
Dilemma: „Der Zaun ist eine Entscheidung,<br />
die ich nicht gerne treffe.“ Im Sinne der<br />
Schüler:innen und Mitarbeiter:innen habe<br />
er sich aber nicht anders zu helfen gewusst.<br />
Während Obdachlosigkeit und offener<br />
Drogenkonsum auf ganz St. Pauli zunehmen,<br />
fehle es an Anlaufstellen und Hilfsangeboten,<br />
beklagt Berend. „Würde die<br />
TEXT: LUKAS GILBERT; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
13<br />
Politik da mehr Mittel bereitstellen, käme<br />
ich nicht in die Situation, die Menschen<br />
wieder einmal weiterschicken zu müssen.“<br />
„Ein Zaun kann nie eine Lösung sein<br />
und ist ein schlimmes Signal. Obdachlose<br />
zu vertreiben – das geht nicht“, sagt<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.<br />
In dem Zaun sieht er aber auch<br />
einen Hilferuf. „Die Verelendung der Menschen<br />
auf den Straßen nimmt zu. Das führt<br />
immer öfter zu Konflikten. Kein Wunder.“<br />
Er sieht die politisch Verantwortlichen in<br />
der Pflicht, sich dem anzunehmen. Dafür<br />
müssten alle Beteiligten an einen Tisch.<br />
Außerdem müsse die Stadt dezentrale Unterkünfte<br />
schaffen, die so ausgestaltet sind,<br />
dass die Menschen diese auch annehmen.<br />
Gemeinsam an einem Tisch sitzen einige<br />
Beteiligte nun zumindest. Wenige Tage<br />
nachdem der Zaun aufgestellt und von<br />
Unbekannten wieder teilweise demontiert<br />
wurde, trafen sich Schulleiter Berend,<br />
Anwoh ner:innen und Stephan Karrenbauer,<br />
um über den Umgang mit der zunehmenden<br />
Verelendung auf St. Paulis Straßen<br />
zu sprechen. Weitere Gespräche sollen<br />
folgen. Was dabei herauskommt: offen. •<br />
lukas.gilbert@hinzundkunzt.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Zahlen des Monats<br />
Initiative<br />
Helfen<br />
statt Einsperren<br />
149<br />
Menschen hat die Berliner Initiative „Freiheitsfonds“ seit Anfang Dezember bis zum Redaktionsschluss<br />
dieser Ausgabe (20. Januar, die Red.) aus dem Gefängnis geholt. Die Inhaftierten saßen eine<br />
sogenannte Ersatz freiheitsstrafe ab, weil sie wiederholt ohne Fahrschein in Bus oder Bahn<br />
erwischt worden waren und anschließende Geldbußen nicht bezahlen konnten. Weil sie das für<br />
unsinnig hält, sammelte die Initiative bislang mehr als 160.000 Euro Spenden ein und konnte<br />
damit die Geldbußen von 149 Betroffenen übernehmen.<br />
Ohne Fahrschein mit Bus oder Bahn zu fahren gilt in Deutschland als Straftat. Grundlage dafür<br />
ist Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs, „Erschleichen von Leistungen“ – ein 1935 eingeführter<br />
Straftatbestand, mit dem die Nazis einen damals gängigen Automatenbetrug stoppen wollten.<br />
Bestraft wird heutzutage allerdings kein klassischer Betrug, argumentieren die Initiator:innen vom<br />
Freiheitsfonds. Wer kein Geld für ein Ticket habe, der könne auch keine höhere Strafe zahlen.<br />
Im Zuge einer gemeinsamen Recherche des „ZDF Magazin Royale“ des Fernsehsatirikers<br />
Jan Böhmermann und der Onlineplattform „FragdenStaat“ förderte der Freiheitsfonds zutage,<br />
dass im Juli 2021 geschätzt 850 Menschen bundesweit eine derartige Strafe absaßen – aktuellere<br />
und genaue Daten liegen nicht vor. Die Initiative verweist zudem auf eine Studie, der zufolge fast<br />
ausschließlich Menschen mit wenig Geld hinter Gittern landen: 87 Prozent der Inhaftierten<br />
waren arbeitslos, mehr als jede:r Siebte hatte keinen festen Wohnsitz. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Recherchen<br />
zeigen: Weil die Hansestadt aufgrund von Corona Ersatzfreiheitsstrafen aufschiebt, saßen<br />
Mitte Januar nur noch neun Menschen wegen „Erschleichen von Leistungen“ hinter Gittern.<br />
Drei Menschen hatte der Freiheitsfond zuvor aus der Justizvollzugsanstalt „freigekauft“. Von den<br />
verbliebenen neun Insassen waren sieben obdachlos.<br />
Die Absurdität: Ersatzfreiheitsstrafen kommen die Allgemeinheit teuer zu stehen. „Ein Tag Haft<br />
kostet den Steuerzahler um die 150 Euro, von den volkswirtschaftlichen Folgen bei Verlust der<br />
Wohnung oder Arbeit infolge einer Haftstrafe ganz zu schweigen“, kritisierte bereits 2018<br />
Hamburgs damaliger Justizsenator Till Steffen. Der Grünen-Politiker hatte sich zum Ziel gesetzt,<br />
das Fahren ohne Ticket lediglich als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Sein Vorstoß zur bundesweiten<br />
Gesetzesänderung scheiterte damals allerdings am Widerstand der Großen Koalition.<br />
Beim HVV hingegen gehört „Schwarzfahren“ inzwischen der Vergangenheit an. Weil sich<br />
vermehrt Menschen an dem Begriff störten, suchte der Verkehrsverbund vergangenen Sommer<br />
nach Alternativen – allerdings nur bei der Wortwahl: Am Bußgeld fürs „Fahren ohne Fahrschein“<br />
hält das Unternehmen weiterhin fest. •<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Weitere Informationen zur Initiative: www.freiheitsfonds.de<br />
15
Fliegen lernen<br />
Ich kann an zwei Händen abzählen, wie viele gute Träume ich in<br />
30 Jahren hatte. Das waren zwei Stück: ein Sextraum und einmal<br />
bin ich geflogen. Da hatte ich das Gefühl, ich will nie wieder<br />
aufwachen. Das war schöner als Sex. Das war schöner als alles …<br />
Ich lag auf dem Bauch, Arme nach hinten. Ich war vielleicht<br />
einen Meter hoch. Ich musste erst lernen, wie ich fliege. Dann hab<br />
ich’s gecheckt und es gab dieses Gefühl von – wow – ich hab die<br />
Kontrolle. Es war wie echt.<br />
Eigentlich versuche ich seit 20 Jahren, meine Träume zu<br />
unterdrücken. Denn seitdem ich vielleicht fünf Jahre alt bin, habe<br />
ich Albträume. Mich verfolgen irgendwelche Schattenwesen.<br />
Es geht immer um Leben und Tod, ich bin auf der Flucht, es ist<br />
immer Horror. Würdest du schlafen wollen, wenn du jedes Mal<br />
schweißgebadet aufwachst mit Angst? Deshalb hasse ich’s zu<br />
schlafen. Ich will – nicht – schlafen!<br />
Wenn ich einen Joint rauche oder so, träume ich nicht mehr.<br />
Ich weiß zwar, dass es nicht das Problem löst, aber es behebt es<br />
für eine Zeit.<br />
Auf der Straße habe ich gar nicht geträumt. Ich hab neben<br />
Ratten geschlafen, in Kellern … Da betäubst du dich, bis du weg-<br />
fällst und am nächsten Morgen aufwachst.<br />
Lenny, 30, hat zum Glück nur ganz kurz auf der<br />
•<br />
Straße gelebt.
Wovon<br />
träumst du?<br />
Mauricio Bustamante hat Obdachlose gefragt,<br />
wovon sie im Schlaf träumen. Die surrealen Welten<br />
hat der Fotograf in Bilder gegossen.<br />
INTERVIEWS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE
Wärme und blanke Panik<br />
Vor sechs Monaten habe ich meine Wohnung<br />
verloren. Seitdem habe ich diesen Traum:<br />
Ich spüre eine liebevolle Umarmung von hinten,<br />
ich merk auch die Wärme, am Po, an den Beinen,<br />
so wie Löffelchenstellung. Aber dann werde ich<br />
auf einmal … werde ich auf einmal zugedrückt.<br />
Das ist sehr seltsam. Ich bekomme Angst, da<br />
ist Gewalt. Da kommt eine Hand, und die drückt<br />
mir den Mund zu und ich gerate in Panik. Es ist<br />
beides gleichzeitig: Von hinten ist wirklich Wärme,<br />
Geborgenheit. Von vorne kommt mit Karacho<br />
die Gewalt, sodass ich Erstickungsängste kriege.<br />
Und dann wache ich auf, meistens habe ich mich<br />
dann schon gewälzt, und ein Mal hab ich auch<br />
geweint, weil der Traum wirklich sehr heftig war.<br />
Die Wärme war auf jeden Fall weiblich.<br />
Bei der Kälte bin ich mir nicht sicher. Das kann<br />
auch ein Dämon sein.<br />
Ich weiß nicht, wie ich den Traum zuordnen soll.<br />
Mir ist in der Hinsicht nie was passiert, aber ab und<br />
zu habe ich das Gefühl, dass das vielleicht aus der<br />
Kindheit kommt. Das ist so meine Spekulation.<br />
Swen, 47, lebt inzwischen seit eineinhalb Jahren<br />
•<br />
auf der Straße.
Eine Wohnung und großer Stolz<br />
Als ich noch in Berlin Platte gemacht habe, habe ich geträumt, ich hätte eine Wohnung. Meine Freunde sind da. Wir haben Party<br />
gemacht, und alle haben gratuliert, dass ich habe geschafft so was. Meine damalige Freundin war auch dabei. Sie sagte: „Du hast gute<br />
Wohnung und du hast verdient.“ Ich bin richtig stolz auf mich gewesen. In dem Traum kam auch Monti vor. Der Hund gehört einem<br />
Jungen, mit dem ich in Berlin Platte gemacht habe. Der Hund ist so wie mein Schicksal. Er verfolgt mich. Gute und schlechte Dinge<br />
passieren, und er ist immer dabei. Leider bin ich dann plötzlich aufgewacht – und war wieder in meinem Albtraum. Auf der Platte.<br />
•<br />
Viktor, 45, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Poppenbüttel und ist gerade in eine WG im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus eingezogen.<br />
Geldsegen und warme Milch<br />
Ich hab viele Probleme mit Geld. Im Traum wurde mein Omahund krank<br />
und musste zum Tierarzt. Deswegen wollte ich mir von einem Kumpel<br />
5 Euro leihen. Er hat sie mir gegeben. Gerade wollte ich erzählen, warum<br />
ich diese 5 Euro brauche, da sehe ich, dass in einem Zimmer auf dem<br />
Fuß boden 5 Euro liegen. Die hab ich mir genommen. Dann sehe ich:<br />
Da liegen überall 50-Euro- und 10-Euro-Scheine! Ich habe gesagt:<br />
„Janek, nimm schnell alles, was du schaffst!“ Ich hab mir vier oder fünf<br />
Scheine genommen. Er auch. Aber da lag noch mehr. Ich hab mich umgeguckt,<br />
ich wollte aufpassen, vielleicht hatte jemand das Geld verloren<br />
und sucht danach, sodass wir es gleich hätten zurückgeben müssen.<br />
Da waren auch 500-Euro-Scheine. Ich habe Janek das Geld gezeigt und<br />
gesagt: „Das ist deins!“ Aber er wollte nicht. Ich habe noch mal gesagt:<br />
„Das ist deins! Du hast mir 5 Euro geliehen und mir geholfen, das habe<br />
ich nicht vergessen, darum bin ich auch da für dich.“<br />
Dann waren wir bei ihm zu Hause und wollten ein Glas Milch trinken.<br />
Frische Milch von der Kuh. Noch warm. Aber die Milch war schon kaputt<br />
und stank ohne Ende. Da haben wir uns vorgestellt, dass jemand kommt<br />
und sofort den ekligen Geruch riecht. Wir haben so Spaß gehabt! Ja. Wir<br />
haben gelacht.<br />
Als ich aufgewacht bin, dachte ich, ich hätte zehn Stunden geschlafen.<br />
Aber es waren nicht mehr als 20 Minuten.<br />
Piotr war beim Fotoshooting 28 Jahre alt. Er<br />
•<br />
hat mehr als<br />
14 Jahre auf der Straße gelebt und ist dort inzwischen verstorben.<br />
19
D<br />
ie Idee entstand bei einem Fototermin für<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Damals wollten der Künstler<br />
Michael Batz und Hinz&Künztler:innen mit<br />
einer Lichtinstallation in der Hamburger<br />
Innenstadt die Not obdachloser Menschen in den Fokus<br />
rücken (siehe H&K Nr. 313, März 2019). Ein Teilnehmer –<br />
Norbert – berichtete, wie anstrengend es sei, die Nächte im<br />
Freien zu überstehen. Die Kälte setze ihm zu, immer wieder<br />
würden Menschen an der Platte vorbeikommen, er habe<br />
ständig Angst überfallen zu werden. Der Fotograf Mauricio<br />
Bustamante fragte den Mann: „Träumst du anders, seitdem<br />
du auf der Straße schläfst?“ Darauf wusste Norbert keine<br />
Antwort. Er konnte sich an keinen Traum erinnern. Er fühle<br />
sich ständig kaputt und übermüdet, so als würde er gar nicht<br />
schlafen. Die Unruhe raube ihm den Schlaf.<br />
Seitdem stellte Mauricio Obdachlosen die Frage nach<br />
ihren Träumen immer mal wieder. Manche kehrten ihr<br />
Innerstes nach außen und ließen den Fotografen teilhaben an<br />
ihrer Angst, sich dem Schlaf hinzugeben. Sie erzählten von<br />
Albträumen, aber auch von traumhaften Glücksmomenten.<br />
Mauricio überlegte, wie er die Träume der Menschen<br />
visualisieren könnte, und er begann, aus jeder Erzählung<br />
eine fantasiereiche Projektion zu entwickeln. Seine Protagonisten<br />
bat er anschließend in sein Studio. Dort fotografierte<br />
er sie vor der Lichtcollage und ließ sie so mit ihrer Traumwelt<br />
verschmelzen.<br />
20
Unser Rat<br />
zählt.<br />
879 79-0<br />
Beim Strohhause 20<br />
Mieterverein zu Hamburg<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
20097 Hamburg<br />
Fan werden<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
Trauern<br />
ist<br />
heilsam.<br />
Herz, Wolf<br />
und ein langer Weg<br />
In meinem Traum bin ich einen Weg langgegangen.<br />
Der Mond hat geschienen und ist irgendwann zu<br />
einem Herz geworden. Plötzlich hat sich ein Wolf<br />
gezeigt. Ein Comicwolf, in Weiß-Grau. Ich hab nur den<br />
Kopf gesehen. Und über allem ist ein riesiger Regen-<br />
bogen erschienen. Wo das gewesen sein könnte,<br />
kann ich nicht sagen. Dann bin ich aufgewacht.<br />
Ich hatte ein richtig gutes Gefühl! Dieser Traum hat<br />
mich positiv durch den Tag gebracht. Normalerweise<br />
kann ich mich an Träume gar nicht erinnern.<br />
Patrick, 39, hat gelegentlich Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkauft,<br />
•<br />
war aber lange nicht mehr im Vertrieb.<br />
trostwerk.de<br />
andere bestattungen<br />
040 43 27 44 11<br />
Frauen konnte Mauricio nicht für sein Fotoprojekt<br />
gewinnen. „Ich bin ein Mann. Das Thema ist zu intim<br />
und privat“, glaubt der 55-Jährige. Wer von einem<br />
Traum erzählt, müsse ihm vertrauen – und zusätzlich<br />
bereit sein, das Fotostudio zu besuchen.<br />
Wie elementar es ist, einen sicheren und ruhigen<br />
Ort zum Schlafen zu haben – das wurde Mauricio<br />
Bustamante durch sein Traumprojekt einmal mehr<br />
bewusst.<br />
Hinz&Künztler Norbert, der ihn auf die Idee<br />
dazu gebracht hatte, ist inzwischen verstorben. •<br />
annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
21<br />
WIR SIND VON HIER.<br />
BIZ BURALIYIZ.<br />
TÜRKISCH-DEUTSCHES LEBEN 1990.<br />
Fotografien von Ergun Çağatay<br />
TÜRK-ALMAN YAŞAMI 1990.<br />
Ergun Çağatay Fotoğrafları<br />
04.02. – 06.06.<strong>2022</strong><br />
shmh.de
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Omikron-Welle erreicht städtische Unterkünfte<br />
Weiterhin Impfungen für Obdachlose<br />
Obdachlose mit und ohne Papiere haben weiter jeden Mittwoch die Möglichkeit,<br />
sich gegen Corona impfen zu lassen. 2900 Erstimpfungen zählte die Sozialbehörde<br />
allein in der Tagesaufenthaltsstätte Markthalle, hinzu kamen 260 Zweit- und<br />
650 Auffrischungs- oder Optimierungsimpfungen (Stand 20.1.). Letztere gewinnen<br />
an Bedeutung, da viele Obdachlose vergangenes Jahr mit dem Vakzin von<br />
Johnson & Johnson geimpft worden sind. Dieses sollte mit nur einer Dosis vollständigen<br />
Schutz vor einer Corona-Infektion bieten. Doch seit Kurzem gelten Betroffene<br />
ohne zusätzliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff nicht mehr als vollständig<br />
geimpft. Derweil sorgt die vierte Coronawelle auch in den städtischen<br />
Unterkünften für Unruhe: Mitte Januar waren 35 Nutzer:innen des Winternotprogramms<br />
infiziert, in allen Unterkünften für Wohnungslose lag die Zahl der<br />
Infizierten bei insgesamt 558. JOF/UJO<br />
•<br />
Obdachloser tot unter Brücke aufgefunden<br />
Wieder starb ein Mensch auf der Straße<br />
Anfang Januar ist erneut ein Obdachloser auf der Straße in Hamburg verstorben.<br />
Eine Anwohnerin hatte den Mann leblos unter der Eisenbahnbrücke am Schulterblatt<br />
entdeckt. Rettungskräfte konnten nur noch den Tod des 54-Jährigen<br />
feststellen, so die Polizei. Laut Obduktion ist er an einer Lungenentzündung<br />
verstorben. „Alle Menschen brauchen ein festes Dach über dem Kopf“, sagt<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Niemand hat es verdient,<br />
auf der Straße zu sterben.“ Nach Angaben des städ tischen Unterkunftsbetreibers<br />
Fördern & Wohnen nutzten Mitte Januar rund 550 Menschen das Winternotprogramm.<br />
Bei der letzten offiziellen Zählung wurden in Hamburg aber fast 2000<br />
Obdachlose erfasst. Mit anderen Worten: Die meisten Betroffenen nutzen das<br />
Angebot nicht. Fachleute fordern deshalb seit Jahren kleinere Unterkünfte und<br />
mehr Einzelzimmer. Derzeit stehen drei Großunterkünfte bereit, in denen die<br />
Menschen sich mit bis zu drei anderen das Zimmer teilen müssen. JOF/UJO<br />
•<br />
Spendenaktion<br />
Gerichtsbeschluss<br />
Hotelzimmer statt Straße!<br />
Vorbildlicher FC St. Pauli: 75.000<br />
Euro hat der Verein bei seiner Aktion<br />
„Zimmer statt Straße“ gesammelt.<br />
Die Spenden fließen an fünf Hilfsorganisationen,<br />
die obdach- und<br />
wohnungslose Menschen in Hotels<br />
unterbringen. „Den Betroffenen so<br />
eine Zwischenstation zu bieten, kann –<br />
anders als Zäune und Verdrängung –<br />
ein wirksames Mittel gegen Obdachlosigkeit<br />
sein“, so der Club. Genau<br />
das haben vergleichbare Projekte<br />
im vergangenen Winter gezeigt. LG<br />
•<br />
Kein Knast für Knöllchen<br />
Mehr als 7300 Euro Bußgeld: Das<br />
verlangte die Stadt Dortmund von<br />
einem Obdachlosen wegen Bettelns<br />
und Verstößen gegen die Coronaverordnung.<br />
Weil der Mann nicht<br />
zahlte, wollte die Stadt Erzwingungshaft<br />
anordnen lassen. Das wies das<br />
Amtsgericht Dortmund zurück. Der<br />
Obdachlose – ein drogenkranker<br />
Rollstuhlfahrer – sei nicht zahlungsunwillig,<br />
sondern habe nicht das<br />
Geld, die Bußen zu bezahlen. UJO<br />
•<br />
Wortlaut Gerichtsbeschluss: t1p.de/dney<br />
Mindestlohn-Erhöhung<br />
12 Euro schon ab Oktober?<br />
Die von der SPD versprochene Mindestlohnerhöhung<br />
kommt: Ab Oktober<br />
soll die Lohnuntergrenze auf<br />
12 Euro brutto die Stunde steigen, so<br />
ein Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums.<br />
Damit würden rund<br />
6,2 Millionen Geringverdienende<br />
mehr Lohn bekommen als zuvor.<br />
Derzeit liegt die Lohnuntergrenze<br />
in Deutschland bei 9,82 Euro, ab<br />
Juli steigt sie auf 10,45 Euro. Laut<br />
Gesetzentwurf fließen mit den steigenden<br />
Löhnen 700 Millionen Euro<br />
zusätzlich in die Sozialkassen. Auf<br />
Arbeitgeber:innen kämen 1,63 Milliarden<br />
Euro höhere Kosten zu. Die<br />
nächste Mindestlohn-Erhöhung<br />
ist dem Gesetzentwurf zufolge für<br />
Anfang 2024 geplant. UJO<br />
•<br />
Einkommensverteilung<br />
Die Schere geht auseinander<br />
Weltweit sind mehr als 160 Millionen<br />
Menschen zusätzlich seit Beginn der<br />
Coronapandemie in Armut gerutscht.<br />
Derweil haben die Reichsten ihr<br />
Vermögen verdoppelt. Das sind die<br />
Ergebnisse einer neuen Studie der<br />
Hilfsorganisation Oxfam. Auch in<br />
Deutschland habe die „sehr starke<br />
Konzentration der Vermögen“ zugenommen.<br />
Gleichzeitig gelten hierzulande<br />
13 Millionen Menschen als<br />
arm – ein Höchststand. Der Sozialverband<br />
Deutschland fordert eine<br />
einmalige Vermögensabgabe, um<br />
die Kluft zu verringern und Corona-<br />
Mehrausgaben zu stemmen. „Um<br />
den Sozialstaat zu stärken und zu<br />
finanzieren, müssen große Unternehmen,<br />
Digitalkonzerne und sehr reiche<br />
Menschen mehr bezahlen.“ UJO<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
FOTO: ISTOCK/ALVAREZ<br />
22
Arbeit im<br />
Wandel<br />
35 Jahre lang brav den Job machen?<br />
Das ist die Arbeitswelt von gestern!<br />
Doch wie könnten Alternativen<br />
aus sehen? Uwe Lübbermann (S. 24)<br />
lebt mit Premium-Cola den Kollektiv-<br />
Spirit. Ein Hotel in Hamburg bietet<br />
die Viertagewoche bei vollem Lohn<br />
(S. 28). Der Pädagoge Felix Quadflieg<br />
erklärt, warum Müßiggang unterschätzt<br />
wird (S. 32). Dazu: Zahlen zum Thema<br />
Arbeit (S. 30).
Provokateur und<br />
Angsthase<br />
Uwe Lübbermann will die Wirtschaft verbiegen. Mit Cola.<br />
Unter anderem. Seine Vision ist längst zu seiner Mission geworden.<br />
TEXT: REGINE MARXEN<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF (OBEN), PHILIPP MEUSER<br />
24
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Arbeit<br />
Uwe Lübbermann lebt<br />
Kapitalismus anders.<br />
K<br />
ann Limo die Welt verbessern?<br />
Uwe Lübbermann<br />
meint: ja. Vor rund 20 Jahren<br />
hat er das Getränke-<br />
Unternehmen „Premium Cola“ gegründet.<br />
Der Cola folgten schnell weitere<br />
Drinks. So weit, so normal. Wäre da<br />
nicht die Tatsache, dass der Betrieb als<br />
Kollektiv agiert – und so ziemlich alle<br />
gängigen Spielregeln des Arbeitslebens<br />
auf den Kopf stellt. „Die Wirtschaft ist<br />
in meinen Augen unnormal“, sagt der<br />
45-jährige Lübbermann. „Sie dient nur<br />
der Umverteilung von Besitz von Arm<br />
zu Reich.“ Das Premium-Kollektiv soll<br />
beweisen: Kapitalismus könne auch anders<br />
funktionieren.<br />
Zum Kollektiv gehören, nach seiner<br />
Aussage, rund 180 stimmberechtigte<br />
Mitglieder. Alle nehmen Einfluss auf<br />
unter nehmerische Gesamtentscheidungen.<br />
Die werden grundsätzlich konsensdemokratisch<br />
gefällt, über ein Board im<br />
Internet. Jeder und jede Mitarbeitende<br />
erhält einen einheitlichen Stundenlohn<br />
von 18 Euro mit Option auf Zuschläge,<br />
beispielsweise für Menschen mit Kindern.<br />
Arbeitsort und -zeit werden<br />
eigenständig bestimmt. Das gilt auch<br />
für Uwe Lübbermann, der die Rolle<br />
des zentralen Moderators einnimmt.<br />
Viele würden ihn „Chef“ nennen.<br />
Wer das tut, wird von ihm sofort korrigiert.<br />
„Ich bin kein Chef“, sagt er. „Ich<br />
leite von meiner Rolle her nicht das<br />
Recht ab, über andere zu bestimmen.“<br />
Er ist allerdings eine Kontrollinstanz<br />
im Kollektiv, hält die Markenrechte<br />
und hat die Hoheit über Konten und<br />
Zahlungen. Auf dem Papier ist Uwe<br />
Lübbermann Geschäftsführer. Er darf<br />
in einer Notsituation, wie etwa einem<br />
Produktrückruf oder in einer Pattsituation,<br />
in der dem Kollektiv Entscheidungsunfähigkeit<br />
droht, Entscheidungen<br />
alleine fällen. Dreimal, sagt<br />
er, habe er das Recht bisher genutzt.<br />
Selbst Corona habe das Kollektiv bis<br />
jetzt gut überstanden.<br />
Für Sonja Löser, Diplompädagogin<br />
und Coachin aus Hamburg, ist das keine<br />
Überraschung. Sie berät ehrenamtlich<br />
Kollektive und erklärt: „Wenn es<br />
dem Kollektiv darum geht, nachhaltige<br />
Produkte oder Dienstleistungen anzubieten,<br />
die nicht dazu beitragen die Welt<br />
noch kaputter zu machen, als sie ohnehin<br />
schon ist, fühlt sich das gut an.“ Das<br />
erhöhe die Motivation weiterzumachen,<br />
kreativ zu bleiben, auch in Krisen.<br />
Das liest sich schön. Zu schön.<br />
Natürlich gibt es Reibung. Wer ein<br />
Kollektiv gründe, erklären Andrea<br />
Rohrberg und Dorothea Herrmann in<br />
ihrem Buch „Hinter den Kulissen –<br />
kleiner Leitfaden für kollektiv geführte<br />
25<br />
Cola, Festivals und Arabien<br />
Uwe Lübbermann ist in der Nähe von<br />
Münster aufgewachsen, hat Werbekaufmann<br />
gelernt und Wirtschaftspsychologie<br />
an der Universität Lüneburg<br />
studiert. 2001 stieg er in die Getränkebranche<br />
ein und gründete das kollektiv<br />
geführte Unternehmen Premium Cola in<br />
Hamburg. Er ist außerdem als Berater,<br />
Referent und Trainer für Unternehmen<br />
und Organisationen tätig. Zu seinen<br />
Referenzen zählen das Fusionfestival<br />
ebenso wie die Regierung der<br />
Vereinigten Arabischen Emirate.<br />
Mehr Infos unter www.luebbermann.com<br />
Organisationen“, entscheide sich für<br />
einen Weg der Abhängigkeit, des Aufeinanderangewiesenseins<br />
– und zwar<br />
auf Dauer. Wie in jeder Beziehung<br />
kann das auch mal an die Substanz<br />
gehen. Zumal sich, sagt Sonja Löser, in<br />
Kollektiven informelle Machtstrukturen<br />
und Hierarchien entwickeln, die immer<br />
wieder reflektiert und abgebaut werden<br />
müssten. „Das ist die Kunst daran.“<br />
Auch im Premium-Kollektiv habe<br />
es in letzter Zeit einigen Streit gegeben,<br />
sagt Lübbermann. Das würde an ihm<br />
zehren. Sewil Anderson, die seit Anfang<br />
2021 Teil des Kollektivs ist, erinnert sich<br />
daran. „Es ging um alte Unstimmigkeiten,<br />
um liegen gebliebene Aufgaben“,<br />
sagt sie. Ein Mediator wurde zugeschaltet.<br />
„Ich habe Uwe in dieser Zeit sehr<br />
gesprächsbereit und beharrlich erlebt.“<br />
Beharrlich sein kann Lübbermann.<br />
Er arbeitet fokussiert, allerdings nicht<br />
zwingend im Team. Das schreibt er<br />
selbst in seinem Buch „Wirtschaft<br />
hacken“: Uwe Lübbermann funktioniert<br />
demnach am besten, wenn er<br />
alleine konzentriert Lösungen für ein<br />
Problem sucht.<br />
Warum hält er trotzdem ausgerechnet<br />
am Wir im Kollektiv fest? „Ganz<br />
einfach: Ich bin ein Sturkopf. Ich glaube<br />
daran, dass Premium Cola es schafft,<br />
die Wirtschaft zu hacken.“ Wer mit<br />
dem Kollektiv arbeite, werde auto matisch<br />
Teil seines Systems. „Dadurch verbiegen<br />
wir die Wirtschaft von innen.“
Gemeinsam geht’s besser:<br />
Lübbermann (rechts) mit<br />
Premium-Kollektivist:innen<br />
Ihm sei bewusst, dass das Grenzen habe.<br />
„Aber für mich ist das Premium-Kollektiv<br />
ein Beispiel, das es auf die Spitze<br />
treibt – und dadurch andere dazu motivieren<br />
kann, sich zu bewegen.“<br />
Ihn treibt aber noch etwas anderes:<br />
„Ich bin ein Angsthase.“ Uwe Lübbermann<br />
sagt das frei heraus. „Er gilt bei<br />
einigen Kollektivist:innen als Bedenken<br />
träger“, sagt auch Sewil Anderson.<br />
„Manchmal nehme ich ihn auch als zu<br />
vorsichtig wahr, gerade in der Coronazeit.<br />
Aber ich finde es dann auch wieder<br />
gut, weil er vorausschauend denkt und<br />
so Fehler, die Geld und Zeit kosten, gar<br />
nicht entstehen.“<br />
Ja, Uwe Lübbermann geht gerne<br />
auf Nummer sicher. In seinem Buch<br />
schildert der Wahl-Hamburger die von<br />
Armut geprägte Kindheit nahe Münster.<br />
Geblieben aus dieser Zeit sei ihm<br />
die Angst vor dem sozialen Abstieg und<br />
ein Sicherheitsbedürfnis, das gerade<br />
durch die kollektive Arbeit gestillt werde.<br />
„Ist doch logisch: Schaffe ich ein<br />
Klima des Respekts und der Freundlichkeit,<br />
erreiche ich, dass die anderen<br />
„Uwe ist<br />
ein ungemein<br />
freundlicher<br />
Mann.“<br />
FAHAD AL MOSA<br />
auch respektvoll mit mir umgehen.<br />
Wenn ich ein Klima der Angst schaffe<br />
und des Machterhalts, muss ich Angst<br />
haben, dass mir jemand etwas wegnehmen<br />
will.“<br />
Das Premium-Kollektiv ist die<br />
Keimzelle seiner Vision. Parallel aber<br />
arbeitet der 45-Jährige an einem weiteren<br />
Projekt: für seine Altersvor sorge<br />
26<br />
und „weil sich am Wohnungsmarkt<br />
besonders deutlich zeigt, wie unfair das<br />
System ist.“ Vor drei Jahren hat er am<br />
Wandsbeker Markt eine Immobilie mit<br />
zehn Mietparteien erworben. Und auch<br />
dort macht er vieles anders.<br />
Der 25-jährige Mieter Fahad al<br />
Mosa lebt dort in einer Dreizimmerwohnung.<br />
„Uwe ist ein ungemein<br />
freundlicher Mann“, sagt er heute. So<br />
entspannt war die Beziehung zwischen<br />
den beiden Männern nicht immer. Als<br />
sich al Mosa nach dem Auszug von<br />
Freunden bei Lübbermann um deren<br />
Wohnung bewarb, bekam er erst ein<br />
„Nein“ zur Antwort. „Er dachte, ich<br />
würde zu viel trinken und Ärger machen.“<br />
Andere Freunde hätten erfolgreich<br />
vermittelt. „Inzwischen kommen<br />
wir sehr gut aus. Egal was ihn nervt, er<br />
lächelt immer.“<br />
Das ist nicht unwichtig, denn<br />
Lübber mann hat Pläne mit seinen
Arbeit<br />
Jedes Leben ist der Rede wert!<br />
Mieter:innen und für das Haus. An dessen Stelle soll<br />
ein Wohn- und Geschäftskomplex entstehen, der<br />
allen Bewohner:innen flexible Mitspracherechte bieten<br />
soll – zu fairen Bedingungen. Das heißt: „Wir reden<br />
über die Miete und das, was in der Bilanz für die<br />
Gesamtheit der Bewohnerschaft aufgeht“, erläutert<br />
Uwe Lübbermann. „Wer mehr verdient, zahlt mehr<br />
Miete. Wer weniger verdient, weniger.“<br />
Zwischen sechs und neun Euro pro Quadratmeter<br />
würden die Mieten liegen, so Fahad al Mosa.<br />
Das habe Uwe mit ihnen besprochen. Von Beginn an<br />
seien er und die anderen Bewohner:innen in das<br />
Projekt miteinbe zogen worden. „Unsere Wünsche<br />
und Anmerkungen sind in die Pläne eingeflossen. Er<br />
hält mich telefonisch und per Mail immer auf dem<br />
neuesten Stand.“<br />
Der Bauvorantrag für das geplante Gebäude<br />
liegt laut Bauherr zur Genehmigung bei den Behörden.<br />
Ein harter Brocken sei der für die Stadtplaner,<br />
denn er habe alles ausgereizt, was rechtlich ginge –<br />
und ein wenig mehr. Ein Beispiel: „Ich möchte sieben<br />
Stockwerke, obwohl nur sechs erlaubt sind.“ Uwe<br />
Lübbermann sagt es grinsend, ein freundlicher<br />
Provokateur. Er hat sichtlich Spaß an der Rolle.<br />
Aber was erreicht er wirklich mit einem einzelnen<br />
Projekt wie diesem? Auch das Kollektiv müsste,<br />
räumt er ein, lauter nach außen sein, schlagkräftiger<br />
werden, um mehr zu bewegen. Das große Ganze zu<br />
verändern, indem man sich einschleust in das<br />
System, „es hackt“, wie er es nennt, ist eine kleinteilige,<br />
zeitaufwendige Arbeit.<br />
Uwe Lübbermann gibt zu, dass er inzwischen<br />
Phasen der Ermattung erlebt. Aufbauen würden ihn<br />
dann Bilder aus der Zukunft wie dieses: „Ich fahre<br />
mit einem Klappstuhl in der Hand zum Wandsbeker<br />
Markt, das neue Haus steht. Ich setze mich auf die<br />
Straßenseite gegenüber, winke. Aus den Fenstern<br />
winken mir alle Mieterinnen und Mieter zurück. Wir<br />
haben uns dafür verabredet. Das wird ein großer<br />
Moment.“ •<br />
Ausbildung Trauerrede.<br />
Leben aus der Endlichkeitsperspektive<br />
Die nächste Ausbildung bei Annette Rosenfeld<br />
beginnt im April <strong>2022</strong>.<br />
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Anders wirtschaften<br />
Das Buch „Wirtschaft hacken“ von Uwe Lübbermann<br />
ist im Büchner Verlag erschienen (18 Euro). Es ist<br />
zudem als epub sowie kostenlos als PDF oder als<br />
ePDF (13,99 Euro) und auch als Hörbuch erhältlich.<br />
Weiterer Buchtipp: Andrea Rohrberg und Dorothea<br />
Herrmann: „Hinter den Kulissen – kleiner Leitfaden<br />
für kollektiv geführte Organisationen“<br />
(Vandenhoeck & Ruprecht 2019)<br />
27<br />
KONFLIKTE<br />
DIE AUSSTELLUNG<br />
03.11.2021 – 08.05.<strong>2022</strong><br />
shmh.de<br />
Stiftung Historische Museen Hamburg,<br />
Museum der Arbeit<br />
Wiesendamm 3, 22305 Hamburg
Arbeit<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Personalmanagerin<br />
Melanie Argast<br />
Modell für<br />
die Zukunft?<br />
Eine Stunde mehr Arbeit pro Tag. Dafür eine Viertagewoche –<br />
fürs gleiche Geld! So will eine Hotelkette neues Personal gewinnen.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTO: IMKE LASS<br />
M<br />
elanie Argast ist begeistert.<br />
Sie arbeite schon<br />
lange in der Hotellerie<br />
und trotz mancher Überstunde<br />
mit Freude, sagt die 31-jährige<br />
Personalmanagerin der Hotelkette<br />
„25hours“. „Aber ein zusätzlicher freier<br />
Tag ist ein enormer Mehrwert, gerade<br />
wenn man wie ich ein kleines Kind hat.“<br />
Ist die Viertagewoche ein Weg,<br />
mehr Menschen für einen Job in der<br />
Hotellerie zu gewinnen? Antworten soll<br />
ein Modellversuch liefern, der bis Ende<br />
dieses Monats in den Hamburger<br />
25hours-Hotels läuft. Die Idee: Statt<br />
wie bisher an fünf Tagen acht Stunden<br />
arbeiten die Angestellten vier Tage à<br />
neun Stunden – bei gleichem Lohn.<br />
Die vier Stunden, die sie weniger<br />
leisten, wandern idealerweise als Minusstunden<br />
auf ein Arbeitszeitkonto. Fallen<br />
Überstunden an, werden sie mit diesen<br />
28<br />
verrechnet. Das Ziel sei jedoch, Mehrarbeit<br />
zu verhindern und die Konten<br />
nach einem Jahr auf null zu setzen, sagt<br />
Melanie Argast. Gelingt das, müssen<br />
die Hotelangestellten künftig gut 200<br />
Stunden jährlich weniger arbeiten –<br />
und gewinnen einen freien Tag pro<br />
Woche.<br />
Die Zwischenbilanz fällt ermutigend<br />
aus, so die Personalmanagerin:<br />
80 Prozent der Vollzeitkräfte haben sich
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Arbeit<br />
testweise für die Viertagewoche entschieden.<br />
Und bislang seien keine<br />
Überstunden angefallen. Klar, manche<br />
müssen sich an die längeren Arbeitstage<br />
erst einmal gewöhnen, berichtet sie.<br />
„Ein zusätzlicher<br />
freier Tag<br />
ist ein enormer<br />
Mehrwert.“<br />
MELANIE ARGAST<br />
Aber die positiven Rückmeldungen<br />
über wiegen: „Das ist ja wie ein geschenkter<br />
freier Tag.“<br />
Mit dem neuen Modell hofft die<br />
Hotelkette auch, mehr Menschen für<br />
einen Job im Gastgewerbe zu ge winnen.<br />
Immerhin zwölf der 20 freien Stellen in<br />
den Hamburger 25hours-Hotels konnten<br />
dank der attraktiveren Arbeitszeiten<br />
bis Anfang Januar besetzt werden, so<br />
Melanie Argast. Vor allem Küchenund<br />
Reinigungskräfte fehlten aber<br />
noch. „Selbst ein kompletter Quereinstieg<br />
ist möglich.“ Die Haltung der<br />
Personalmanagerin in dieser Frage ist<br />
aber bereits eindeutig: „Ich hoffe, dass<br />
das Modell bei uns Standard wird.“<br />
Sollte das nicht geschehen, müssten<br />
alle zur Fünftagewoche zurückkehren –<br />
ein nur schwer vorstellbares Szenario.<br />
25hours wäre die erste Hotelkette<br />
in Deutschland, die Vollzeitkräften dauerhaft<br />
eine Viertagewoche ermöglicht.<br />
Und vermutlich nicht die letzte: Laut<br />
Hotel- und Gaststättenverband haben<br />
allein 2020 rund 325.000 Beschäftigte<br />
der Branche den Rücken gekehrt.<br />
V erantwortlich dafür sind nicht nur die<br />
Folgen von Corona. Auch un attraktive<br />
Arbeitszeiten, Schichtdienste (ein Hotel<br />
muss sieben Tage die Woche rund<br />
um die Uhr besetzt sein) und niedrige<br />
Löhne tragen dazu bei.<br />
Nach dem Hamburger Tarifvertrag<br />
sind Monatsgehälter von lediglich 1725<br />
Euro brutto für Ungelernte möglich.<br />
Das sind nicht mal 10 Euro die Stunde.<br />
Und nicht jedes Hotel hält sich an den<br />
Tarif. Bei den 25hours-Hotels verdient<br />
niemand weniger als 1800 Euro brutto<br />
im Monat, sagt Melanie Argast. Ihre<br />
Erwartung an die Branche ist eindeutig:<br />
„Langfristig müssen sich die Löhne der<br />
Inflation und den Mietpreisen auf<br />
jeden Fall anpassen.“<br />
Auf Jobsuche?<br />
Jobsuchende können sich unter<br />
Telefon 040 / 257 777 813 melden<br />
oder per E-Mail unter<br />
margast@25hours-hotels.com<br />
Die Hotelkette hofft auch darauf, dass<br />
mit dem neuen Modell die Produktivität<br />
der Angestellten steigt. Studien aus<br />
Skandinavien legten das nahe. Solche<br />
Effekte seien aber schwer zu messen,<br />
räumt die Personalmanagerin ein. Fest<br />
steht: Erst einmal steigen die Kosten,<br />
denn die Hotels brauchen mehr Personal.<br />
Aber: „Wenn das Front Office<br />
(Rezeption, die Red.) eine längere Übergabezeit<br />
hat, können die Kolleg:innen<br />
vielleicht auch noch mal durch die<br />
Lobby wischen, was sonst der outgesourcte<br />
Reinigungsdienst macht –<br />
mit der Folge, dass andere Kosten so<br />
reduziert werden.“ •<br />
Ulrich Jonas glaubt, dass die<br />
Hotellerie um bessere Löhne<br />
und Arbeitsbedingungen<br />
schon sehr bald nicht mehr<br />
herumkommen wird.<br />
ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
Kommt von der Elbe.<br />
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Arbeit<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Gestern, heute,<br />
morgen<br />
Wie sich der Wandel der Arbeit in Zahlen zeigt.<br />
TEXT: LUKAS GILBERT<br />
ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS.DE<br />
Digitalisierung, veränderte Rollenbilder, Arbeits-<br />
kämpfe oder Globalisierung – die Arbeitswelt ist<br />
permanent im Wandel. Einen unerwarteten Schub<br />
bekommt dieser Wandel durch die Coronapan demie.<br />
Wir haben einige zentrale Zahlen und Fakten<br />
zusammen gestellt, die veränderte Strukturen und<br />
Bedingungen der vergangenen Jahre verdeutlichen<br />
und wagen einen Blick in die Zukunft. •<br />
Männer<br />
1991 78,4 %<br />
2020 79,1 %<br />
Frauen<br />
1991 57,0 %<br />
2020 71,9 %<br />
Erwerbstätigkeit von Frauen<br />
und Männern in Deutschland<br />
Obwohl heute deutlich mehr Frauen berufstätig sind<br />
als zu Beginn der 1990er-Jahre, bleibt die Arbeit von<br />
Männern und Frauen ungleich verteilt. Während nur<br />
10,1 Prozent der erwerbstätigen Männer 2020 in Teilzeit<br />
gear beitet haben, waren es bei den Frauen 48 Prozent.<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt 2021/Eurostat 2021<br />
18,4<br />
der Jobs in Deutschland<br />
sind laut OECD akut durch<br />
Automatisierung gefährdet.<br />
Jobs kommen, Jobs gehen<br />
Das Arbeitsministerium prognostiziert, dass unter Berücksichtigung einer<br />
sinkenden Beschäftigtenzahl bis 2040 rund 3,6 Millionen Arbeitsplätze<br />
wegfallen – aber auch genauso viele neue entstehen. Nach Einschätzung<br />
der OECD sind durch zunehmende Automatisierung vor allem Jobs<br />
von gering qualifizierten Arbeitnehmer:innen gefährdet, während neue<br />
Jobs für Hochqualifizierte entstehen. Um das auszugleichen, empfiehlt<br />
die Organisation eine Ausweitung der Erwachsenenbildung.<br />
Quelle: OECD 2019/Arbeitsministerium 2021
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Arbeit<br />
Vor dem ersten Lockdown<br />
2020 arbeiteten 4 % der<br />
deutschen Arbeitnehmer:innen<br />
im Homeoffice.<br />
Im Januar 2021 waren es 24 %<br />
und damit jede:r vierte<br />
Arbeitnehmer:in.<br />
Arbeit von zu Hause<br />
Wie die Coronapandemie die Arbeitswelt<br />
verändert hat, zeigen Zahlen aus der Hamburger<br />
Verwaltung. In der Wissenschaftsbehörde arbeiteten<br />
zwischenzeitlich 100 Prozent der Beschäftigten von<br />
zu Hause. Dafür, dass auch in Zukunft nicht Schluss<br />
ist mit der Arbeit am heimischen Schreibtisch, setzt<br />
sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein.<br />
Er will einen Anspruch auf Homeoffice gesetzlich<br />
festlegen. Nur bei zwingenden Gründen sollen<br />
Arbeitgeber:innen das verwehren dürfen.<br />
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung 2021/Bürgerschaftsdrucksache 2021<br />
9,7der deutschen Arbeitnehmer:innen<br />
arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche.<br />
Langes Arbeiten macht krank!<br />
Eine Analyse von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Internationaler Arbeitsorganisation (ILO)<br />
kommt zu dem Ergebnis, dass zu langes Arbeiten krank macht. Demnach setzen sich Menschen,<br />
die mehr als 35–40 Stunden die Woche arbeiten, einem erhöhten Risiko aus. 2016 seien laut der<br />
Studie 745.000 Menschen weltweit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen gestorben, weil sie zu<br />
viel gearbeitet haben. Besonders häufig seien Männer betroffen. Lange Arbeitszeiten sehen die<br />
Organisationen als den Risikofaktor mit der größten berufsbedingten Krankheitslast.<br />
Quelle: WHO/ILO 2021<br />
1990 hatten 2 %<br />
der deutschen Erwerbstätigen<br />
einen Zweitjob.<br />
2019 lag der Anteil schon<br />
bei 5,4 % beziehungsweise bei<br />
2,9 Millionen Menschen.<br />
Höherer Anteil in Hamburg<br />
Noch höher als der Bundesschnitt liegt der Zweitjob-Anteil<br />
in Hamburg. In der Hansestadt gehen fast 80.000 Menschen<br />
aller Altersklassen und damit 7,8 % einem Zweitjob nach –<br />
bei Weitem nicht nur Geringqualifizierte. Die große Mehrheit<br />
der Menschen, die in Hamburg einen Zweitjob ausüben, haben<br />
einen Berufs- oder (Fach-)Hochschulabschluss. Reinigungsjobs<br />
sind mit einem Anteil von mehr als 20 Prozent mit Abstand die<br />
häufigsten Zweitjobs.<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt <strong>2022</strong>/Bundesagentur für Arbeit<br />
31
Felix Quadflieg arbeitet<br />
als Entwicklungsbegleiter<br />
mit Kindern – schon die<br />
spüren Leistungsdruck.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Arbeit<br />
„Wer nicht will, sollte<br />
nicht arbeiten müssen“<br />
Der Pädagoge Felix Quadflieg hat vor 25 Jahren einen Verein<br />
zur Förderung des Müßiggangs gegründet. Ein Gespräch<br />
über Arbeit und Muße – und warum es für letztere nicht mehr<br />
Selbstoptimierung, sondern vor allem Solidarität braucht.<br />
TEXT: ANNA-ELISA JAKOB<br />
FOTO: KAY MICHALAK<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Quadflieg, wir führen<br />
dieses Gespräch am ersten Montag<br />
des Jahres, viele Menschen starten<br />
heute mit Vorsätzen in ihre Arbeitswoche.<br />
Haben Sie auch einen?<br />
Eigentlich nicht.<br />
Sind Sie so zufrieden?<br />
Das ist natürlich relativ. Aber ja, ich bin<br />
ganz zufrieden mit meinem Leben und<br />
was den Aspekt der Arbeit darin angeht.<br />
Ich konnte mir das zum Glück so<br />
einrichten, dass ich mit so wenig Arbeit<br />
wie nötig möglichst gut über die<br />
Runden komme. Und meine Arbeit<br />
macht mir Spaß.<br />
Das finde ich überraschend. Immerhin<br />
haben Sie neben ihrem Beruf einen<br />
Verein gegründet, der sich „Otium“<br />
nennt, was sich mit „Ruhe vor Berufstätigkeit“<br />
übersetzen lässt. Ihr Ziel ist<br />
die „Förderung des Müßiggangs“.<br />
Wie passt das mit Spaß an der Arbeit<br />
zusammen?<br />
Arbeit und Muße sind kein Widerspruch.<br />
Oft wird das so gesehen: Unter<br />
der Arbeit leidet man, weil man sie machen<br />
muss. Und zum Müßiggehen<br />
bleibt nur die Freizeit. So sieht unser<br />
Verein das nicht. In unserer Gesellschaft<br />
ist es natürlich oft schwierig,<br />
Arbeit mit einer Haltung von Muße zu<br />
verrichten. Weil Arbeit für uns an das<br />
eigene Selbstwertgefühl gekoppelt ist<br />
und wir auch andere über deren Tätigkeit<br />
bewerten.<br />
„Müßiggang<br />
klingt lustig,<br />
ist aber eine<br />
hochpolitische<br />
Angelegenheit.“<br />
Sind Sie frei von solchen Bewertungen?<br />
Nein, auch ich lebe ja in einer Gesellschaft,<br />
die mir einen Rahmen<br />
vorgibt. Schön ist aber, dass ich die<br />
Erfahrung gemacht habe: Meine Arbeit<br />
ist nicht alles.<br />
Der Schriftsteller Siegfried Lenz<br />
beschrieb Müßiggang mal als<br />
„aktives Nichtstun“. Was bedeutet<br />
Müßiggang für Sie?<br />
Also „aktives Nichtstun“ gefällt mir.<br />
Aber in dem Sinne, dass man sich –<br />
man kann ja nicht wirklich nichts tun,<br />
man lebt und atmet ja – von diesem<br />
eifrigen, täglichen Rumgewusel abwendet<br />
und Dinge bewusst unterlässt.<br />
33<br />
Das heißt, Müßiggang ist eigentlich nur<br />
eine persönliche Geisteshaltung?<br />
Natürlich kann jeder erst mal sein Verhalten<br />
hinterfragen, ja. Aber in meinem<br />
Verständnis ist Müßiggang eine hochpolitische<br />
Angelegenheit. Das Wort<br />
kommt immer so ein bisschen lustig<br />
daher, aber es bedarf einer ernsthaften<br />
Diskussion.<br />
Aus einer politischen Diskussion<br />
heraus haben Sie auch Ihren Verein<br />
gegründet.<br />
Das war 1998, als es in Frankreich sehr<br />
lautstarke und militante Proteste von<br />
Arbeitslosen gab. Die wollten sogar<br />
die Börse stürmen, richtig was verändern.<br />
Die Proteste schwappten nach<br />
Deutschland über, und hier wollten wir<br />
etwas mitmischen. In Deutschland hat<br />
sich aber herausgestellt, dass es vor<br />
allem darum ging zu sagen: Wir wollen<br />
Arbeit, wir wollen Arbeit. Und nicht<br />
darum, die Arbeit an sich und den<br />
Arbeitszwang, in dem man lebt, infrage<br />
zu stellen.<br />
Haben Sie das Gefühl, dass sich<br />
diese Haltung gewandelt hat?<br />
Ich denke schon. Ende der 1990er-Jahre<br />
sind wir öfter mit Aussagen konfrontiert<br />
worden wie: „Ihr könnt doch nicht<br />
auf Kosten anderer leben!“ Oder mit
Arbeit<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Ausdrücken wie „Schmarotzer“ oder<br />
so. Heutzutage gibt es mehr Verständnis.<br />
Das liegt vielleicht daran, weil die<br />
Verdichtung von Arbeit zugenommen<br />
hat und immer mehr Menschen merken:<br />
Muss dieses Zwangsverhältnis<br />
mein Leben sein?<br />
„Alle haben das<br />
Gefühl, immer<br />
mehr leisten zu<br />
müssen in immer<br />
weniger Zeit.“<br />
Was arbeiten Sie selbst – und wie viel?<br />
Ich bin selbstständig, deswegen kann<br />
ich nicht exakt sagen, wie viele Stunden<br />
ich in der Woche arbeite. Ich bin Entwicklungsbegleiter<br />
und arbeite mit Kindern,<br />
die von Schulen und durch das<br />
Jugendamt an uns vermittelt werden.<br />
Kinder, deren Verhalten in der Schule<br />
beispielsweise auffällt.<br />
Bei Kindern, die zu uns kommen, ist<br />
Leistungsdruck in der Schule oft mit<br />
Widerstand und einer Art Traurigkeit<br />
verbunden. Bei uns bekommen sie erst<br />
mal einen Freiraum, in dem sie nichts<br />
leisten müssen und lernen, wie sie sich<br />
entfalten können.<br />
Wie bringt man das einem Kind bei?<br />
Kindern muss man das eigentlich gar<br />
nicht beibringen. Oft ist es eine Herausforderung<br />
für uns Erwachsene zu sehen:<br />
Warum verhält sich das Kind so und<br />
was braucht es? Wenn ich vorschlage,<br />
dass wir ein Bild zusammen malen<br />
könnten, antworten viele: „Ich kann<br />
nicht malen.“ Das ist doch traurig, weil<br />
sich schon das Kind danach richtet, wie<br />
ein Bild auszusehen hat. Manche wollen<br />
dann ein Lineal, damit es ganz exakt<br />
wird. Manche werden wütend, wenn sie<br />
es nicht hinbekommen. Der Prozess ist,<br />
die Kinder frei zu machen von diesem<br />
Druck, damit sie Dinge wieder aus der<br />
eigenen Lust heraus machen.<br />
Was ist anders, wenn Sie mit<br />
Erwachsenen über Arbeit sprechen?<br />
Viele haben schon Erfahrungen<br />
gemacht, die mitunter an existenzielle<br />
Sorgen gebunden sind.<br />
Wenn es um das alltägliche Überleben<br />
geht – wie bei vielen prekär Beschäftigten<br />
zum Beispiel –, hat die Angst viel<br />
größere Andockpunkte. Natürlich ist es<br />
dann nicht mehr so leicht zu sagen: Ich<br />
guck einfach mal. Das ist aber auch der<br />
Effekt unserer Erfolgsgesellschaft: Alle<br />
haben das Gefühl, immer mehr in immer<br />
weniger Zeit leisten zu müssen.<br />
Das erschöpft, macht krank, und man<br />
ist weniger in der Lage, Abstand von<br />
der eigenen Arbeit zu finden.<br />
Das heißt aber auch, dass Müßiggang<br />
in unserer Gesellschaft denjenigen<br />
vorbehalten ist, die ihn sich leisten<br />
können.<br />
Ja und nein. Wer nicht jeden Cent umdrehen<br />
muss, hat natürlich mehr Möglichkeiten,<br />
einfach mal nichts zu tun<br />
und sich Dingen zu widmen, die unproduktiv<br />
sind: ein Buch zu lesen oder einfach<br />
in die Luft zu gucken.<br />
Gleichzeitig hat das Potenzial zum<br />
Müßiggang aber jeder Mensch, weil<br />
jeder die Erfahrung in seinem Leben<br />
schon gemacht hat. Kind zu sein ist<br />
eigentlich ständiges Müßiggehen: entdecken,<br />
spielerisch lernen, Erfahrungen<br />
sammeln und sich in überraschende<br />
Situationen begeben. In die Leistungsorientiertheit<br />
wächst man erst hinein.<br />
Es ist in der Regel aber auch schwer,<br />
ihr zu entgehen. Kann es Müßiggang<br />
überhaupt für alle geben?<br />
Wenn es heißt, eine demokratische Gesellschaft<br />
ist eine gerechte Gesellschaft,<br />
34<br />
und dann sieht man unsere Einkommens-<br />
und Vermögensunterschiede,<br />
muss man natürlich fragen: Was ist<br />
denn daran gerecht? Gerecht wäre,<br />
wenn alle die Möglichkeit hätten, in Sicherheit<br />
und Ruhe leben zu können.<br />
Man könnte zum Beispiel sagen, dass<br />
niemand mehr als einen bestimmten<br />
Betrag im Monat braucht. Und dass<br />
der Rest denen zugutekäme, die weniger<br />
erwirtschaften können oder wollen.<br />
Wer nicht will, sollte nicht arbeiten<br />
müssen.<br />
Damit fordern Sie ein hohes Maß<br />
an Umverteilung und Solidarität.<br />
Ja, nach meinem Empfinden verkümmert<br />
die Notwendigkeit von Solidarität<br />
immer mehr. Es gibt viele unterstützende<br />
und solidarische Menschen, aber es<br />
ist nicht der Konsens, das tragende<br />
Prinzip. Für mich geht es darum, dass<br />
wir eine Basis schaffen, in der alle Menschen<br />
gut leben können. Gesellschaftlich<br />
verträglich dürfte ja eigentlich nicht<br />
sein, dass es exorbitante Vermögen gibt.<br />
Genauso sollte auch Müßiggang kein<br />
Privileg von wenigen sein. •<br />
Anna-Elisa Jakob kann bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> sinnhafte Arbeit<br />
verbinden mit privater Lust<br />
auf Müßiggang. Tägliches<br />
Gewusel liebt sie trotzdem!<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Verein zur Förderung<br />
des Müßiggangs:<br />
Vor 30 Jahren gründete Felix Quadflieg<br />
gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten<br />
den Verein „Otium – zur Förderung des<br />
Müßiggangs“ in Bremen. Seitdem veranstalten<br />
dessen Mitglieder regelmäßig<br />
Lesungen und besuchen Schulklassen,<br />
um mit ihnen über Arbeit und die Kunst<br />
des Nicht-Arbeitens zu diskutieren.<br />
Mehr Infos unter www.otium-ev.de
Wie klingt<br />
Hamburg?<br />
Schüler:innenwettbewerb von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> und AUDIYOU<br />
Wie klingt für euch Hamburg?<br />
Welche Menschen und Orte gehören dazu?<br />
Wir sind gespannt darauf, was für Persönlichkeiten,<br />
Geschichten oder auch Klänge ihr findet.<br />
Macht unsere Stadt hörbar!<br />
Gestaltet aus den Ideen einen Hörbeitrag, egal<br />
in welcher Form. Das kann eine kleine Geschichte,<br />
eine Reportage, ein Hörspiel, ein Song, ein Interview<br />
oder etwas anderes sein. Hauptsache, es ist hörbar<br />
und nicht länger als vier Minuten.<br />
Wir sind gespannt darauf! Aus allen Einsendungen<br />
wählt eine Expert:innen-Jury ihre Favoriten und<br />
stellt diese bei einer großen Abschlussveranstaltung<br />
für alle Teilnehmer:innen im Juni <strong>2022</strong> vor.<br />
Dabei gibt es viele Preise zu gewinnen.<br />
Für Lehrer:innen läuft am 15. <strong>Februar</strong> <strong>2022</strong><br />
ein Workshop, in dem die einfachen<br />
Grundlagen der Technik vermittelt und<br />
Fragen beantwortet werden.<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Einsendeschluss:<br />
2. Juni <strong>2022</strong><br />
Mehr Informationen, Teilnahmebedingungen<br />
und das Anmeldeformular gibt es<br />
unter hinzundkunzt@audiyou.de oder<br />
bei Stephanie Landa, Tel. 040 – 46 07 15 38.
„Unding“<br />
und<br />
Hoffnungsträger<br />
Ein Plastikstuhl ist das meistverkaufte<br />
Möbelstück aller Zeiten. Hierzulande gilt er<br />
als hässlich. Anderswo ist er unersetzlich,<br />
wie die Dokumentation „Monobloc“ zeigt.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: BORIS MAHLAU, HAUKE WENDLER UND MARCO GRUNDT
40 Plastikstühle stapeln sich im<br />
Vitra Design Museum in Weil am<br />
Rhein, eingerahmt von teuren<br />
Designerstühlen. 2017 widmete<br />
das Museum dem „Monobloc“<br />
eine eigene Ausstellung.
38
Fotostrecke<br />
Stuhl als Rolli:<br />
„Ich freue mich sehr über den<br />
Stuhl. Vorher musste ich über den<br />
Boden robben. Das war sehr<br />
schwer. Jetzt kann ich überall hin.“<br />
Annet Nnabulime ist eine von rund<br />
einer Million Menschen in Uganda,<br />
die einen Rollstuhl brauchen. Doch<br />
nur die wenigsten können sich das<br />
teure Hilfsmittel leisten. Der<br />
Durchschnittsverdienst liegt bei<br />
einem Dollar pro Tag. Die Sozialorganisation<br />
Free Wheelchair Mission<br />
bietet mit dem „Gen 1“ eine<br />
preisgünstige und dennoch haltbare<br />
Alternative. Seit 2001 konnten<br />
so 1,2 Millionen Roll stühle<br />
verteilt werden, bis 2025 sollen<br />
es 2 Millionen sein.<br />
H<br />
auke Wendler hat in den<br />
vergangenen fünf Jahren<br />
in viele fragende Gesichter<br />
geguckt. „Es hieß immer:<br />
‚Man kann doch nicht einen 90-minütigen<br />
Film über einen Plastikstuhl machen!‘“,<br />
sagt der Hamburger Dokumentarfilmer.<br />
Dass „Monobloc“ nun doch in<br />
den Kinos startet, hat viel mit der Hartnäckigkeit<br />
des 54-Jährigen und ein wenig<br />
wohl auch mit der Faszination des<br />
Hässlichen zu tun, die von diesem Plastikstuhl<br />
ausgeht. Bei uns ab 5,99 Euro<br />
im Baumarkt zu haben, ist der aus<br />
einem Guss gefertigte Monobloc das<br />
meistverkaufte Möbelstück aller Zeiten.<br />
Weltweit soll es eine Milliarde Stück<br />
geben. Hierzulande gilt der Stuhl als<br />
banales Wegwerfprodukt: billig, unästhetisch,<br />
noch dazu umweltschädigend.<br />
„Aus unserer Sicht ist der Plastikstuhl<br />
automatisch böse“, sagt Wendler.<br />
Das hat er oft gehört, als er in Hamburg<br />
eine Straßenumfrage gestartet hat. Mit<br />
einem Megafon in der Hand lockte er<br />
Passant:innen an der Kehrwiederspitze<br />
an und interviewte sie im Inneren eines<br />
Lkw. Dabei saßen sie auf einem Monobloc.<br />
Was sie denn von Plastikstühlen<br />
halten würden? Die Antworten nahezu<br />
unisono: gar nichts. Einer zertrümmerte<br />
den Stuhl spontan. Die Dinger seien<br />
blöd, von schlechter Qualität und man<br />
könne sie nicht recyceln. „Natürlich ist<br />
Plastik ein total problematischer Rohstoff“,<br />
sagt Wendler. „Nur: Unsere Welt<br />
ist heute extrem kompliziert, mit einfachen<br />
Antworten kommt man nicht<br />
weiter. Das gilt auch für diesen Stuhl.“<br />
Bei der Recherche, die Wendler und<br />
sein Team von Hamburg aus auf fünf<br />
Kontinente führte, änderte sich seine<br />
eigene Sichtweise auf den Plastikstuhl<br />
radikal. Der Wendepunkt kam in Uganda.<br />
Das afrikanische Land mit knapp<br />
47 Millionen Einwohner:innen hat in<br />
den vergangenen zwei Jahrzehnten große<br />
wirtschaftliche Fortschritte gemacht.<br />
Dennoch leben bis heute rund 40 Prozent<br />
der Menschen unter der Armutsgrenze.<br />
Betroffen sind vor allem die<br />
Bewohner:innen auf dem Land. So wie<br />
Annet Nnabulime. Die 56-Jährige lebt<br />
mit ihrer Familie in einer Lehmhütte.<br />
Fünf Jahre lang hat die gehbehinderte<br />
Frau auf ihren Rollstuhl gewartet. Aber<br />
39<br />
keinen, wie Europäer:innen ihn kennen.<br />
Der „Gen 1“ ist gefertigt aus Stahlrohr,<br />
Mountainbike-Reifen, als Sitzfläche<br />
dient ein Plastikstuhl. Kosten: nur<br />
20 Dollar. Erfunden hat ihn ein amerikanischer<br />
Ingenieur. Kritiker:innen argumentieren,<br />
es sei zynisch, die von<br />
Armut betroffenen Menschen mit so<br />
einem Billigstuhl abzuspeisen. Im Film<br />
sagt ein Pfarrer aus Uganda dazu:<br />
„Würdest du lieber auf den 2000-Dollar-Stuhl<br />
warten, den du dir nie leisten<br />
kannst, oder würdest du lieber erst mal<br />
vom Boden hochkommen wollen?“<br />
„Was am Ende<br />
zählt, ist,<br />
dass man sitzt.“<br />
HAUKE WENDLER<br />
In Neu-Delhi trifft Wendler zudem auf<br />
einen Unternehmer, der ihm vorrechnet,<br />
dass die weltweite Nachfrage nach<br />
günstigen Stühlen nur mit Plastik umweltverträglich<br />
zu erfüllen ist: „Indiens<br />
Vegetation ist arm an Wäldern. Würde<br />
man bei der Herstellung Holz verarbeiten,<br />
würden wir unsere eigenen<br />
Ressourcen schnell vernichten.“ Der<br />
Monobloc wird aus Polypropylen hergestellt,<br />
das keine Weichmacher enthält<br />
und bis zu 100 Prozent wiederverwertbar<br />
ist. Wendler: „Aus diesem Stuhl,<br />
der bei uns als Wegwerfprodukt gilt,<br />
wird dort mehrfach ein neuer Stuhl<br />
gemacht. Am Ende des Downcyclings<br />
wird ein Blumenkasten daraus.“<br />
Und manchmal landet er sogar im<br />
Museum: 2017 stapelten sich bei<br />
„Monobloc – ein Stuhl für die Welt“<br />
40 Plastikstühle im Vitra Design Museum<br />
in Weil am Rhein inmitten anderer<br />
berühmter Exponate von Designerstühlen.<br />
„Ich möchte diese Stühle nicht<br />
bei mir im Wohnzimmer stehen haben“,<br />
sagt Hauke Wendler lachend,<br />
„aber letztlich ist es ja nicht der Punkt,<br />
an dem sich entscheidet, ob ich ein<br />
glückliches und zufriedenes Leben habe.<br />
Denn was am Ende zählt, ist nicht der<br />
Stuhl, sondern dass man sitzt.“ •<br />
redaktion@hinzundkunzt.de
40<br />
Sicherer Platz:<br />
Am letzten Drehtag trafen die<br />
Dokumentarfilmer auf diese<br />
beiden Fischhändler in Fortaleza/<br />
Brasilien. Es regnete in Strömen,<br />
der halbe Fischmarkt stand bereits<br />
unter Wasser. „Mir gefällt an<br />
dem Bild, wie ernst und würdevoll<br />
die zwei auf ihren Plastikstühlen<br />
sitzen“, sagt Hauke Wendler.
Fotostrecke<br />
Warten auf Kundschaft:<br />
Dieser Schlüsseldienst befindet sich im brasilianischen<br />
Fortaleza, der mit 2,7 Millionen Einwohner:innen fünftgrößten<br />
Stadt des Landes. Auf kleinstem Raum bietet<br />
der Verkäufer hier seine Waren und Dienstleistungen an.<br />
Den weißen Plastikstuhl, auf dem der Mann geduldig<br />
auf Kundschaft wartet, holt er jeden Morgen aus seiner<br />
Verkaufsbude, abends schließt er ihn dort wieder ein.<br />
Hauke Wendler und sein Team kamen täglich vorbei.<br />
Ihr Hotel lag gleich um die Ecke. „Der Mann war einfach<br />
toll. Der saß da ganz viel herum, hatte gar nicht so<br />
viele Kunden, war aber die ganze Zeit gut gelaunt“,<br />
sagt Wendler. Eine Haltung, die der Dokumentarfilmer<br />
in Deutschland manchmal vermisst.<br />
Repariertes Lieblingsstück:<br />
In Mpigi, rund 40 Kilometer von Ugandas Hauptstadt Kampala<br />
entfernt, hat diese lokale Holzhändlerin ihr Unternehmen. Die Chefin<br />
hat 14 Angestellte und einen Lieblingsstuhl aus Plastik. Sie besitzt<br />
ihn schon sehr lange, hegt und pflegt ihn, obwohl das gute Stück<br />
mittlerweile lädiert ist: Auf der Sitzfläche hat es einen kleinen Riss,<br />
denn die Frau ist von ihrer Statur her eigentlich etwas zu groß für den<br />
Stuhl. Doch statt ihn wegzuwerfen, nähte sie den Riss mit Nadel und<br />
starkem Faden wieder zu. „Das sieht man in Afrika häufiger mal, dass<br />
Stühle geflickt werden. Oder wenn ein Bein abbricht, dann wird als<br />
Ersatz ein Holzpflock dran befestigt“, erzählt Hauke Wendler.<br />
41
42<br />
Kleine Pause am See:<br />
Dieses Pärchen hat sich auf zwei<br />
Plastikstühlen vor einer Imbiss bude<br />
nahe des Hohendeicher Sees in<br />
Ochsenwerder niedergelassen,<br />
um eine Zigarette zu rauchen. Sie<br />
kommen in ihren Neoprenanzügen<br />
direkt vom Strand, wo sie ihrem<br />
Hobby nachgegangen sind: mit<br />
Metalldetektoren nach verlorenem<br />
Schmuck suchen.
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Auszeit von der Arbeit:<br />
Der junge Mann ruht sich in Ugandas Hauptstadt Kampala<br />
(1,4 Millionen Einwohner:innen) kurz auf einem Plastikstuhl aus.<br />
„Er hat sich ,The Duke‘ genannt, der Lord. An seinen Fingern<br />
trug er zahlreiche Ringe. Ihm fehlten alle vier Schneidezähne.<br />
Das sah nach einer klassischen Schlägerei aus“, erinnert sich<br />
Hauke Wendler an die Begegnung. Der „Duke“ arbeitet als<br />
Träger auf dem einheimischen Markt und verrichtet dort täglich<br />
harte körperliche Arbeit. Da ist eine kurze Auszeit im Sitzen<br />
höchst willkommen. Sobald der nächste Wagen auf den Markt<br />
rollt, muss er schon wieder aufstehen und ausladen.<br />
Hauke Wendler<br />
ist Dokumentarfilmer und Produzent und lebt<br />
in Hamburg. 2006 gründete er mit Carsten<br />
Rau die „Pier 53 Filmproduktion“. Ihre Dokus<br />
(„Deportation Class“, „Willkommen auf<br />
Deutsch“) wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet.<br />
Monobloc läuft seit 27.1. in den<br />
Kinos. Fotobuch zum Film: „Monobloc“, 192 Seiten, Hatje Cantz,<br />
22 Euro. Podcast zum Film: www.huklink.de/podcast-monobloc<br />
43
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Professorin Sandra Meister hat Studierende bei der Analyse des<br />
Onlineshops von Hinz&<strong>Kunzt</strong> begleitet.<br />
Gute Waren, gut verpackt<br />
Wie kann der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Shop noch fairer handeln? Hamburger Studierende haben<br />
das Angebot im Fair Trade Hochschulwettbewerb unter die Lupe genommen.<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTO: IMKE LASS<br />
44<br />
Halbe Sachen sind nichts für<br />
Professorin Sandra Meister.<br />
„Ich bin Berufsenthusiastin“,<br />
sagt die 48-Jährige<br />
und lacht. „Ich brenne schnell für Themen<br />
– und Hinz&<strong>Kunzt</strong> liegt mir sehr<br />
am Herzen.“ Deshalb freute sich die<br />
Marketingexpertin der Akademie für<br />
Mode & Design (AMD) besonders, dass<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> Kooperationspartner für<br />
ihre Student:innen im Hamburger Fair<br />
Trade Hochschulwettbewerb wurde.<br />
Keine leichte Aufgabe für die Zweitsemester.<br />
„Sie mussten sich ganz schön<br />
an die Decke strecken“, sagt Sandra<br />
Meister. „Normalerweise mache ich so<br />
etwas erst im 6. Semester.“<br />
Die Aufgabe: das Potenzial fair produzierter<br />
Produkte für unseren Onlineshop<br />
analysieren. „Normalerweise heißt<br />
das: Wie viel Umsatz wird gemacht?<br />
Wer kauft ein?“, sagt Sandra Meister.<br />
Diese Daten stehen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
aber nicht im Vordergrund. Eine Analyse<br />
zu den Käufer:innen liegt nicht vor.<br />
Die 17 Studierenden konnten stattdessen<br />
einen Teil des Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreises<br />
befragen. Ein Ergebnis: Sondermagazine<br />
sind besonders gefragt.<br />
Wichtig ist den Nutzer:innen, dass die<br />
Waren fair produziert und gehandelt<br />
sind, Regionalität hat einen hohen Stellenwert,<br />
ebenso gute Qualität. Das alles<br />
bietet der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Shop bereits:<br />
vom Quijote-Kaffee bis zur Schürze aus<br />
recyceltem Meeresplastik.<br />
Unter den Kooperationspart ner:innen<br />
war Hinz&<strong>Kunzt</strong> das einzige soziale<br />
Projekt, eine zusätzliche Herausforderung<br />
für die Student:innen: „Die<br />
Restriktionen bei der Bespielung des<br />
Shops sind gravierend“, findet Sandra<br />
Meister und zählt auf: „Es gibt kein großes<br />
Lager, die Waren dürfen nicht zerbrechlich<br />
und müssen gut verpackt<br />
sein.“ Auch Alkohol sei bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
ein No-Go. Zu viele Verkäufer:innen<br />
kämpfen mit Alkoholproblemen: „Dafür<br />
mussten die Studierenden erst einmal<br />
sensibilisiert werden.“ Auch dass in<br />
einem sozialen Projekt nicht Gewinnmaximierung<br />
die Richtschnur ist, war<br />
für die Studierenden neu.<br />
Für die, von den Freundeskreis-<br />
Mitgliedern genannten, besonders interessanten<br />
Rubriken „Küche“, „Textilien“<br />
und „Deko“ machten die Studie-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
renden konkrete Vorschläge: Neue<br />
Schürzen, Geschirrtücher, Kerzen und<br />
eine Schale und Salatbesteck sind dabei,<br />
alles nachhaltig und fair produziert.<br />
Sich gleichzeitig mit dem Thema<br />
Obdachlosigkeit auseinanderzusetzen,<br />
war für viele Studierende neu, berichtet<br />
Sandra Meister. Auch deshalb schätzt<br />
sie die Idee des Hochschulwettbewerbs.<br />
„Ich finde, der Wettbewerb schafft ein<br />
Bewusstsein für die soziale Schieflage,<br />
grundsätzlich und weltweit.“ Für die<br />
Student:innen sei der direkte Input<br />
durch Unternehmen oder Projekte in<br />
einem Realprojekt besonders wichtig.<br />
„Wenn ich feststelle, dass sie anfangen,<br />
sich für das Thema zu begeistern, kann<br />
ich einen Haken dranmachen“, sagt sie<br />
zufrieden.<br />
Für Hinz&<strong>Kunzt</strong> war die Aktion<br />
jedenfalls eine Bereicherung. Wir sind<br />
Freunde<br />
Teil eines großen Netzwerkes aus<br />
Firmen und Universitäten geworden,<br />
freut sich Fundraiserin Gabriele Koch:<br />
„Wir haben Kontakt hergestellt zu sehr<br />
jungen Menschen und ihnen unsere<br />
Arbeitsweise vorstellen können. Viele<br />
wären sonst nicht mit Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
in Berührung gekommen.“ Die Kapazitäten<br />
für Veränderungen seien zwar<br />
begrenzt, sagt Gabriele Koch. Aber:<br />
„Sicher werden wir darüber nachdenken,<br />
weitere Produkte aufzunehmen<br />
und vielleicht eine neue Sortierung vorzunehmen.“<br />
•<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Mehr Infos zum Hamburger<br />
Fair Trade Hochschulwettbewerb:<br />
www.fairtradestadt-hamburg.de<br />
JA,<br />
ICH WERDE MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler:innen/Student:innen/<br />
Senior:innen)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum, Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im <strong>Februar</strong> des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Wir danken allen unseren Spender:innen,<br />
die uns im Januar unterstützt haben,<br />
sowie allen Mitgliedern im Freundeskreis von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>! Wir freuen uns gleichermaßen<br />
über kleine und große Beträge!<br />
Auch unseren Unterstützer:innen auf<br />
Facebook: ein großes Dankeschön!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• wk it services<br />
• die Hamburger Tafel • Obstmonster GmbH<br />
• Hanseatic Help<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• die Hamburger Kunsthalle<br />
• die St. Pauli Coffee GmbH für Spenden<br />
aus dem Verkauf des Kaffees „Clochard“<br />
• die Landeszentrale für Politische Bildung<br />
Hamburg und die Agentur alphabeta,<br />
die uns geholfen haben, die 8. Auflage<br />
des Kinderbuchs „Ein mittel schönes Leben“<br />
auf den Weg zu bringen.<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Jürgen Allemeyer • Luise Armonies<br />
• André Bagehorn • Katharina Bartsch<br />
Dankeschön<br />
• Firma Behnken, Becker + Partner GbR<br />
• Meike Boldt • Mathias Bonk<br />
• Achim Brenner • Pia Dabelstein<br />
• Anke Dircks • Carsten Dohse<br />
• Sabine Främbs • Tanja Friedemann<br />
• Steffen Geertz • Sabine Geisberger<br />
• Peter Greifenberg<br />
• Sandra und Markus Hahn • Ute Harren<br />
• Jonathan Hass • Torsten Hönisch<br />
• Jens Martin Hoyer • Berit Jessen<br />
• Ute Kenkel • Ute und Jürgen Kielmann<br />
• Thomas Kleiner • Alexander Kleinke<br />
• Rudolf Krank • Nicoline Krup<br />
• Martina Kruse • Hans-Joachim Lau<br />
• Michael Malert • Sabine Meurer<br />
• Rolf Meyer-Kawohl • Birte Müller<br />
• Anna Pillich • Klaus Reese<br />
• Lisa Reudenbach • Gudrun Rinninsland<br />
• Ramona Runge • Ruth Sanio-Metafides<br />
• Ingrid Schmidt • Barbara Schneble<br />
• Christine Schöppl • Ann-Kathrin Sieß<br />
• Michael Steigleder • Dirk Syllwasschy<br />
• Petra von Hoffen • Wiebke von Seth<br />
• Susan Wittke • Heiko Wongel<br />
• Astrid Zander<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />
der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />
Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />
Ja<br />
Nein<br />
Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />
Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />
Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />
Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />
genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />
jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />
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Sie jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer<br />
personenbezogenen Daten widersprechen.<br />
Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />
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Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
45<br />
HK <strong>348</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Was unsere Leser:innen meinen<br />
„Der Krieg gegen Drogen ist längst verloren“<br />
„Die Prohibition beenden!“<br />
H&K online und diese Ausgabe S. 13,<br />
„Streit um Zaun gegen Obdachlose“<br />
Ich bin polytox süchtig, stabil subs tituiert<br />
und trocken. Im Leben wäre<br />
ich nicht auf die Idee gekommen, vor<br />
Schülern meinen Stoff zu spritzen.<br />
Hier haben Staat, Land und Stadt zu<br />
handeln und nicht ein wahrscheinlich<br />
eh schon überforderter Schulleiter.<br />
Was der Staat endlich umsetzen muss:<br />
Housing First konsequent umsetzen,<br />
Obdachlosenhilfe ausbauen, Randgruppen<br />
nicht weiter ausschließen,<br />
also bessere finanzielle Hilfen, Drogenkonsumräume<br />
installieren, Substitution<br />
ausbauen etc. Und vor allem auch die<br />
Prohibition beenden – der Krieg gegen<br />
Drogen ist längst verloren! Solche<br />
Zustände sind untragbar. <br />
<br />
BASTIAN A. VIA FACEBOOK<br />
„Lieber Kalle“<br />
H&K online und S. 22, „Schulterblatt:<br />
Obdachloser tot unter der Brücke gefunden“<br />
Ich bin absolut nicht gläubig – wünsche<br />
ihm aber so sehr, dass er nun an einem<br />
wunderschönen Ort ist … Ruhe in<br />
Frieden, lieber „Kalle“. CARMEN TUSZEWSKI<br />
„Ehrliche und klare Worte“<br />
H&K allgemein<br />
Ich bin noch immer sehr berührt von<br />
dem Stadtrundgang (mit Chris, siehe<br />
Anzeige unten, die Red.). Es waren deine<br />
ehrlichen und klaren Worte, deine<br />
Offenheit und dennoch die vielen<br />
Lacher.<br />
<br />
„Licht der Hoffnung“<br />
H&K 347, Titelbild „Auf zu neuen Ufern!“<br />
Danke für dieses gigantische Titelbild.<br />
Es strahlt aus, was Kunden und sogar<br />
ALEXANDRA BÜSSER<br />
Nichtkäufer anspricht. Wenn der<br />
Himmel, die Wolken und das tiefe<br />
dunkle Meer so harmonisch vereint<br />
sind, wird der nächste Sturm, die raue<br />
See kommen – doch das Licht der<br />
Hoffnung strahlt. HINZ&KÜNZTLER GERRIT<br />
Leser:innenbriefe geben die Meinung der<br />
Verfasser:innen wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Briefe zu kürzen. Über Post<br />
an briefe@hinzundkunzt.de freuen wir uns.<br />
Wir trauern um<br />
Piotr „Jan“ Iwanek<br />
17. Dezember 1950 – 30. November 2021<br />
Piotr ist bei einem Freund<br />
in der Wohnung verstorben.<br />
Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wollen Sie<br />
Hamburgs City<br />
einmal mit<br />
anderen Augen<br />
sehen? Abseits<br />
der glänzenden<br />
Fassaden zeigen wir<br />
Orte, die in keinem<br />
Reiseführer stehen:<br />
Bahnhofsmission<br />
statt Rathaus und<br />
Tagesaufenthaltsstätte<br />
statt Alster.<br />
Sie können mit<br />
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Chris zu Fuß auf<br />
Tour gehen, einzeln<br />
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<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Gelungene Improvisation: Regisseur Jan Georg Schütte arbeitet ohne Drehbuch und Proben (S. 48).<br />
Wohlige Erinnerung: Mit Autor Anselm Neft auf eine Tasse heiße Schokolade (S. 56).<br />
Neue Hoffnung: Hinz&Künztler Chamkauer versucht, mit dem Verkäuferlohn der Familie zu helfen (S. 58).<br />
Die Nachricht erwischt „Harper Regan“<br />
(Schauspielerin Anika Mauer) eiskalt: Ihr Vater<br />
liegt im Sterben. Überstürzt verlässt sie Mann<br />
und Tochter und macht sich auf die Reise.<br />
Doch bei der Ankunft ist ihr Vater schon tot.<br />
Harper droht den Boden unter den Füßen<br />
zu verlieren. Doch sie entdeckt auch neue<br />
Eigenschaften an sich, wagt für sie<br />
ungewöhnliche Bekanntschaften. Nach der<br />
Rückkehr zur Familie ist sie eine andere.<br />
Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-<br />
Platz 1, bis 20.2., unterschiedliche Uhrzeiten,<br />
22–44 Euro. Die Vorstellung am Sa, 12.02.,<br />
19.30 Uhr, wird mit Gebärdensprache und einer<br />
Einführung eine Stunde vor Vorstellungsbeginn<br />
angeboten.Weitere Infos:<br />
www.ernst-deutsch-theater.de<br />
FOTO: TIMMO SCHREIBER
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Ich war voll der<br />
Nischenheini“<br />
Autor, Schauspieler, Regisseur und ein Mann<br />
voller Überraschungen: Jan Georg Schütte hat<br />
Improvisation im Fernsehen salonfähig gemacht.<br />
Manchmal wundert er sich selbst,<br />
wie weit er damit schon gekommen ist.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
Das hat er nun davon: Jan<br />
Georg Schütte gilt seit<br />
seinen Fernseherfolgen<br />
„Altersglühen – Speed<br />
Dating für Senioren“<br />
(2014), „Wellness für Paare“ (2016)<br />
und zuletzt „Kranitz – Bei Trennung<br />
Geld zurück“ (2021) als der Fachmann<br />
für Improvisation im deutschen TV. Er<br />
arbeitet ohne Drehbuch, ohne Texte,<br />
ohne Proben. Schütte drückt seinen<br />
Schauspieler:innen vor Drehbeginn<br />
dafür ein umfangreiches Booklet<br />
in die Hand. Darin: biografische<br />
Daten und Rollenprofile der Figuren.<br />
Der Rest: Improvisationstalent. Man<br />
kann den Mann mutig nennen. Oder<br />
halsbrecherisch.<br />
So einer ist privat sicher auch ein<br />
Gefahrensucher, könnte man meinen.<br />
Beim Fotoshooting fragt man ihn<br />
jedenfalls unverblümt, ob er nicht mal<br />
kurz auf das Kletternetz am Spielplatz<br />
steigen will. Kurz improvisieren. Der<br />
59-Jährige zögert nicht. „Ist ganz<br />
gemütlich hier oben“, sagt er, als er eine<br />
Position gefunden hat, in der er schaukelt,<br />
als läge er in einer Hängematte.<br />
Als Symbol taugt das allerdings<br />
nicht. Schüttes Berufsweg war eher<br />
unbequem, wie er beim Gang durch die<br />
Neue Mitte Altona erzählt. Geboren in<br />
Oldenburg, will er nach dem Zivildienst<br />
Schauspieler werden, kassiert jedoch bei<br />
den bekannten Schulen nur Absagen.<br />
In Hamburg findet er mit 20 Jahren<br />
einen Privatlehrer. Er lebt auf winzigen<br />
acht Quadratmetern in einem WG-<br />
Zimmer und träumt doch wie ein Riese:<br />
„Ich wollte innerhalb von zehn Jahren<br />
einen Oscar gewinnen“, sagt er. Diesen<br />
Größen wahn benötige man als Schauspieler,<br />
findet er. „Wenn du dir denkst:<br />
‚Ich werde so ganz okay‘, dann brauchst<br />
du diesen Beruf erst gar nicht beginnen.“<br />
Bei einem Workshop in New York<br />
trifft er auf seine Mentorin Susan Batson.<br />
Die Schauspiellehrerin, die heute<br />
internationale Stars wie Nicole Kidman<br />
und Juliette Binoche coacht, glaubt an<br />
sein Talent, sagt ihm aber schon damals,<br />
dass er später einmal Regie führen<br />
wird. Davor müsse er aber 25 Jahre<br />
auf der Bühne stehen. Schütte: „Das<br />
Verrückte: Genau so ist es gekommen.“<br />
Bei einem frischen Minz-Ingwer-<br />
Tee („Ich bin leider kein Kaffee trinker.“)<br />
vor dem Nachbarschaftscafé erzählt<br />
Schütte von seinen Theaterjahren:<br />
Köln, Hannover, das Thalia in Hamburg.<br />
Nicht seine glücklichste Zeit. Es<br />
zieht ihn zum Fernsehen. Seit 1995<br />
sieht man ihn in Serien und Filmen<br />
(unter anderem „Großstadtrevier“ und<br />
„Tatort“), meist in Nebenrollen. Dazwischen<br />
immer wieder Theater. Eines<br />
Tages realisiert er mitten auf der Bühne,<br />
wie unzufrieden er ist: „Ich war von<br />
mir selbst gelangweilt. Alles war<br />
so festgelegt. Das, was eigentlich eine<br />
schöne Geschichte ausmacht, die<br />
Überraschung, habe ich fast gar nicht<br />
mehr gesehen. Da wusste ich, ich muss<br />
grundsätzlich etwas ändern“, sagt er.<br />
48
Ein Mann mit vielen<br />
Talenten: Jan Georg<br />
Schüttes Schaffen ist<br />
breit gefächert.
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Mit spontanen Balanceakten, wie hier am Kletternetz, kennt sich Schütte aus.<br />
2006 führt er erstmals Regie („Swinger<br />
Club“), schreibt zudem Hörspiele. Das<br />
Handwerk dazu bringt er sich selbst<br />
bei. Eine gute Entscheidung, sagt er<br />
rückblickend. „Ich musste dadurch<br />
meinen eigenen Weg entwickeln.“<br />
Seine Arbeit läuft anfangs weithin<br />
unter dem Radar: „Ich war der absolute<br />
Nischenheini“, sagt er. „Meine Kinofilme<br />
haben, wenn es hochkommt,<br />
10.000 Leute gesehen. Wenn sie überhaupt<br />
im Fernsehen liefen, dann um<br />
0.50 Uhr.“ Bis ein öffentlich-rechtlicher<br />
Sender anklopft. „Ich hatte ja auch<br />
Hörspiele gemacht. Für ‚Altersglühen‘<br />
habe ich den Hörspielpreis bekommen,<br />
und dann war es der WDR, der gesagt<br />
hat, ‚Komm, das Ding kann man doch<br />
auch drehen!‘“ Es ist ein gewagtes<br />
Experiment, das mit etablierten Sehgewohnheiten<br />
bricht: Senior:innen<br />
sprechen frei Schnauze über ihre Sehnsüchte<br />
und das zur Primetime um<br />
20.15 Uhr. Schütte: „Die Bedingung<br />
war, dass es sehr prominent besetzt sein<br />
muss, damit die Leute das gucken.“<br />
Schütte fährt nach München zu<br />
Senta Berger. „Sie stand da vor ihrer<br />
Villa in einem Stretch-Wollkleid und<br />
sagte zu mir: ‚Kommen sie doch rein,<br />
Herr Schütte!‘ Dann hat sie mir erst mal<br />
Schnittchen vorgesetzt. Ich beiße gerade<br />
in ein dick mit Remoulade belegtes Brot,<br />
als sie mich auffordert: ‚ Jetzt sagen sie<br />
doch mal, worum es geht!‘ (lacht) Dann<br />
habe ich ihr mit Remoulade auf der<br />
Zunge meine Idee erklärt. Nach einer<br />
längeren Pause hat sie mich angeguckt<br />
und gesagt: ‚ Ja, Herr Schütte, das<br />
können wir machen.‘ Ab da wusste ich,<br />
dass es laufen wird.“<br />
Es läuft. Und wie. „Altersglühen“<br />
räumt sowohl bei Zuschauer:innen als<br />
auch in der Kritik ab, bekommt den<br />
Adolf-Grimme-Preis neben vielen anderen<br />
Ehrungen. Schütte hat jetzt einen<br />
Namen als Regisseur. „Nicht gesalbt,<br />
nicht gestelzt, authentisch“, lobt „Der<br />
Spiegel“ das intime Stelldichein von<br />
Deutschlands Schauspiel-Granden.<br />
Schütte erinnert sich, dass selbst der<br />
gestandene Adorf „anfangs ziemlich<br />
bleich um die Nase war“ beim Drehen.<br />
„So ist es beim ersten Mal. Aber die<br />
Schauspieler:innen haben ja auch die<br />
Möglichkeit, Pausen zu machen. Wer<br />
erschöpft ist, kann sich mal in die Ecke<br />
hocken, wie im Leben. Das sind die Momente,<br />
die ich auch dringend brauche.<br />
Wo jemand mal nicht groß was spielt.“<br />
Schüttes Ziel: so lebensnah wie möglich<br />
agieren. Emotionen zeigen, unverstellt.<br />
Nicht immer gelingt das. „Für<br />
meinen ‚Tatort‘ („Das Team“, 2019,<br />
d. Red.) habe ich ordentlich auf die Fresse<br />
bekommen“, sagt Schütte. Ein Krimi<br />
und ein Ensemble bekannter Kommissare,<br />
die drauflos improvisieren, das<br />
ging für viele so gar nicht zusammen.<br />
Was den Regisseur aber „maßlos“ ärgert,<br />
ist der Vorwurf, dass seine Figuren<br />
holzschnittartig seien: „Die können ja<br />
gar nicht holzschnittartig sein. Ich<br />
schreibe denen ja nicht vor, wie sie zu<br />
gucken und zu handeln haben“, sagt er.<br />
FOTOS UNTEN (VON LINKS): ARD DEGETO/NDR/THOMAS LEIDIG,<br />
ARD DEGETO/GEORGES PAULY, WDR/GEORGES PAULY<br />
Dreimal Schüttes Werk: Dreharbeiten zu „Kranitz“ (links), Szene aus „Das Begräbnis“ (Mitte), Senioren-Sehnsucht in „Altersglühen“ (rechts)<br />
50
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
BARES IS NIX RARES<br />
(CASH – UND EWIG RAUSCHEN DIE GELDER)<br />
KOMÖDIE VON MICHAEL COONEY // 27.2. – 23.4.<strong>2022</strong><br />
Schütte im TV & Honduras-Hilfe:<br />
„Das Begräbnis“ ist noch bis 22.2. immer dienstagabends<br />
in der ARD zu sehen, Start zwischen 22.50 und<br />
23 Uhr. Alle Folgen (6) sind in der Mediathek abrufbar.<br />
Hilfe für Straßenkinder in Honduras:<br />
www.accion-humana.com<br />
Genau so hat er es auch in seiner neuesten Arbeit<br />
fürs Fernsehen gehalten: „Das Begräbnis“ erzählt in<br />
sechs Teilen die Geschichte der Beerdigung des<br />
Patriarchen Wolf-Dieter Meurer. Das Wiedersehen<br />
von geladenen und ungebetenen Gästen führt zu<br />
zahlreichen Konflikten, ist zugleich Familiensaga wie<br />
Ost-West-Geschichte. Gedreht wurde am Schalsee.<br />
Mit dabei ist auch Charly Hübner, eine von Schüttes<br />
Geheimwaffen. Der Regisseur ahnt, was ihm und<br />
anderen Schauspieler:innen an der Zusammenarbeit<br />
gefällt: „Normalerweise ist Schauspiel ja sehr technisch.<br />
Du gehst zu einem fixierten Punkt, guckst irgendwo<br />
hin und sagst deinen Text auf. Die Technik<br />
regiert und die Emotionen folgen.“ Bei ihm sei es anders.<br />
„Es ist wie früher: Als Kind hat man Cowboy<br />
gespielt und dann war man einfach den ganzen Tag<br />
über Cowboy.“<br />
Eine Frage drängt sich auf: Kann der Regisseur<br />
privat auch so gut loslassen wie im Beruf ? Schütte<br />
lächelt: „Ich mache ziemlich viele Pläne.“ Sein<br />
Kalender ist Anfang des Jahres schon prall gefüllt.<br />
Eigentlich wollte er etwas kürzer treten: aus Eigenschutz<br />
– aber die zweite Staffel von „Kranitz“, in der<br />
er nicht nur Regie führt, sondern auch in der Hauptrolle<br />
den hemdsärmeligen Paartherapeuten gibt, ist<br />
schon bestellt. „Ich muss ein bisschen aufpassen mit<br />
meinen Ideen, weil die fast alle umgesetzt werden“,<br />
sagt er fast entschuldigend. Und dann ist da ja auch<br />
noch seine Schirmherrschaft für „Acción Humana“,<br />
einer privaten Hamburger Stiftung, die sich für<br />
Straßenkinder in Honduras einsetzt. Über seine<br />
Schwester ist er auf das Thema aufmerksam geworden.<br />
Sie und ihr Mann unterstützen ein ehemaliges<br />
Straßenkind. „Der ist heute Ingenieur“, sagt Schütte.<br />
Was will er selbst noch erreichen? Jan Georg<br />
Schütte überlegt. „Einen Oscar erträume ich mir<br />
nicht mehr, aber ich hätte Bock, auch mal international<br />
zu arbeiten. Eine neue Fassung von<br />
‚Altersglühen‘ mit Meryl Streep und Robert De<br />
Niro, das wäre schon was.“ •<br />
Simone Deckner kann mit Improvisation<br />
eigentlich nur wenig anfangen. Wer es<br />
aber schafft, Schauspieler:innen so<br />
spielerisch aus ihrer Komfortzone zu holen<br />
wie Jan Georg Schütte, verdient Respekt.<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
51<br />
21.3.<strong>2022</strong> bis 3.4.<strong>2022</strong><br />
Levantehaus Hamburg<br />
SHOPPEN<br />
&<br />
SPENDEN<br />
Hinz&Künztler:innen verkaufen<br />
Vintage-Ware und Einzelstücke<br />
von<br />
Der Erlös geht an Hinz&<strong>Kunzt</strong>, das Hamburger Straßenmagazin<br />
Foto: Sinje Hasheider
Kult<br />
Tipps für den<br />
Monat <strong>Februar</strong>:<br />
zum Hinschauen, Hören<br />
und Wegträumen<br />
Planetarium<br />
Wenn einer seinen Träumen folgt<br />
Das Jugendbuch „Das silberne Segel“<br />
von Wolfram Eicke liefert den Stoff für<br />
diese wahrhaft galaktische Planetariumsshow,<br />
ein Musical unterm Sternenhimmel.<br />
Darin folgt Randolf, ein Waisenkind<br />
im Dreißigjährigen Krieg, einer<br />
alten Prophezeiung und begibt sich auf<br />
eine abenteuerliche Suche über die<br />
Weltmeere. „Den Herzen der Menschen<br />
die Dunkelheit nehmen“, das soll<br />
das silberne Segel können. Doch auch<br />
der Piratenkapitän Eisenfuß ist auf der<br />
Jagd nach diesem Schatz. Uwe Ochsenknecht,<br />
Annett Louisan, Naima, Rolf<br />
Reise zu den Sternen in Fulldome-Technik<br />
Zuckowski und andere Prominente<br />
leihen den animierten Figuren ihre<br />
Stimmen. Schöner Titelsong: „Am<br />
Anfang steht immer ein Traum“. •<br />
Planetarium Hamburg, Linnering 1, Fr, 4.2.,<br />
So, 6.2., Sa, 12.2. und Fr, 18.2., Eintritt<br />
12/7,50 Euro, www.planetarium-hamburg.de<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Alternative<br />
Lebensr äume:<br />
Garagen umgestaltet<br />
zu<br />
Fitness tempeln,<br />
Liebesnestern<br />
oder Wachtelfarmen<br />
Konzert, Lesung, Huldigung<br />
Götterdämmerung mit Patti<br />
… Smith. Künstlerin Helene Hegemann<br />
traf die legendäre Musikerin<br />
als Teenager beim Proben, da eröffneten<br />
sich ihr ganz neue Ideenwelten.<br />
Mit Sophie Rois, Marie Rosa Tietjen<br />
und Daniel Zillmann bringt die<br />
inzwischen selbst Berühmte eine<br />
Hommage auf die Bühne. •<br />
Kampnagel, Jarrestr. 20, Sa, 5.2., 20 Uhr,<br />
Eintritt 16/9 Euro, www.kampnagel.de<br />
FOTOS: PLANETARIUM BOCHUM (S. 52), HANNAH HALLERMANN STARTBLOCK 2020 (UNTEN);<br />
FILMSTILL: 2020 MISSINGFILMS – FILMVERLEIH & WELTVERTRIEB<br />
Kino<br />
Wachtelzucht in der Garagensiedlung<br />
In Hamburg gibt’s das wohl noch nicht. Aber um ungewöhnliche Einblicke in<br />
die Lebenswelt anderer Menschen zu bekommen, kann man ja ins Kino gehen.<br />
Beim Dokumentarfilmsalon St. Pauli läuft der Film „Garagenvolk“ von Regisseurin<br />
Natalija Yefimkina, den wir Ihnen aufgrund seiner absurden Kreativität ans<br />
Herz legen. Es geht um Menschen im Norden Russlands, in Städten und Dörfern<br />
hinter dem Polarkreis, und was sie so in ihren Hobbyräumen treiben – wenn die<br />
Nächte lang und kalt sind und die reglementierende Regierung nicht zuguckt.<br />
Wohlgemerkt eine Doku, keine Fiktion. Tragisch, skurril und heiter – hier gibt<br />
es alles, und noch viel mehr scheint möglich. •<br />
B-Movie, Brigittenstraße 5, jeweils am Di, 8.2. und 22.2., 20 Uhr, Eintritt frei,<br />
Spenden willkommen, Karten reservieren auf www.dokumentarfilmsalon.org<br />
Gruppenausstellung<br />
Alles Schöne kommt vom Spiel<br />
Was wären wir Menschen ohne das Spiel? Die Frage liegt der von Jan Kage kuratierten<br />
Ausstellung „Form Spiel“ zugrunde, die vornehmlich plastische Werke von<br />
in Berlin arbeitenden Künstler:innen nach Hamburg bringt. Manchmal kommt<br />
beim Spiel auch etwas Bahnbrechendes<br />
heraus, wie die Erfindung<br />
des Rades: der Form der<br />
Sonne nachgemacht, war etwas<br />
Praktisches zum Transportieren<br />
von Lasten das Resultat. Sieben<br />
Künst ler :innen treiben das Spiel<br />
weiter, setzen die Schönheit<br />
einer Form ihrem Werk voraus<br />
und schauen, was aus Assoziationen<br />
und Farbkonstellationen<br />
werden kann. Zu sehen in den<br />
luftigen Räumen der Galerie in<br />
Rothenburgsort. •<br />
Evelyn Drewes, Brandshofer Deich<br />
52, Fr, 5.2. bis Fr, 18.3., immer Di–Fr<br />
von 14–18 Uhr, Verkaufsausstellung,<br />
Eintritt frei, www.evelyndrewes.de<br />
Das Werk von Hannah Hallermann:<br />
„Startblock“, Kachel und Kohle<br />
Diskussion<br />
Was heißt Sprachsensibilität?<br />
Müssen wir unser Sprechen und<br />
Schreiben verändern, um für mehr<br />
Gerechtigkeit im Umgang miteinander<br />
zu sorgen und Diskriminierungen<br />
zu vermeiden? Darüber reden<br />
die Journalistin Petra Gerster und<br />
die Linguistin Ewa Trutkowski. •<br />
Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />
Di, 22.2.,19.30 Uhr, Eintritt 12/8 Euro,<br />
Streamingticket 5 Euro,<br />
www.literaturhaus-hamburg.de<br />
Kunst<br />
Anita Suhr<br />
Die Werke der weitgehend unbekannten<br />
Hamburger Künstlerin sind<br />
spannende Zeitdokumente. Wegen<br />
„Vorbereitung zum Hochverrat“ war<br />
sie von 1935 bis 1941 in Haft, so im<br />
Frauenschutzhaftlager Moringen und<br />
in den KZs Fuhlsbüttel und Ravensbrück.<br />
Die Stiftung Hamburger Gedenkstätten<br />
zeigt mehr als 30 Werke. •<br />
Forum Alstertal, Kritenbarg 18,<br />
bis So, 27.2., 8–18 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.forum-alstertal.de<br />
Familie<br />
Bento-Box-Workshop<br />
In Japan gehört die Bento Box zum<br />
Alltag vieler Schüler:innen. Sie ist<br />
praktisch und auch optisch ein Genuss.<br />
Im Kinder-Kochkurs im Museum<br />
am Rothenbaum wird die Kunst<br />
der Bento Box praktisch erläutert. •<br />
Markk, Rothenbaumchaussee 64, So,<br />
27.2., 4 Euro (plus Museumseintritt 8,50<br />
Euro für Erw.), www.markk-hamburg.de<br />
53
Wanderung<br />
Expedition Marsch<br />
In und um Hamburg gibt es so manches<br />
Naturhighlight zu entdecken. Der<br />
Regionalpark Wedeler Au zum Beispiel<br />
liegt im Westen Hamburgs und umfasst<br />
12.000 Hektar von der Elbe über die<br />
Marsch bis in die Geest. Ein ideales Ziel<br />
für lange Fahrradausflüge oder Wanderungen.<br />
Letztere bietet auch der Naturschutzbund<br />
Deutschland e. V. (NABU)<br />
an. Jeden Monat führen Expert:innen<br />
vom NABU Halb- und Ganz tages-<br />
Wanderungen in Hamburg und<br />
der näheren Umgebung durch, eine<br />
Ein ladung, die norddeutsche Umwelt<br />
einmal mit den Augen der Fachleute<br />
zu betrachten. Am 19. <strong>Februar</strong> stellt<br />
Ernst Schaumann Naturliebhabenden<br />
die Wedeler Marsch bei einer winterlichen<br />
Wanderung vor. Die Tour ist<br />
neun Kilometer lang, festes Schuhwerk<br />
54<br />
Wedeler Marsch, frostig schön<br />
wird dringend empfohlen. Auch ein<br />
Fernglas kann nicht schaden. •<br />
Wedeler Au, NABU-Vogelstation,<br />
Hetlingen. Hbf. S1 um 9.18 Uhr bis Wedel.<br />
Am Bahnhof Treffen bis 10 Uhr,<br />
Rückkehr nach Wedel 16 Uhr, Sa, 19.2.,<br />
Eintritt frei, gegebenenfalls geteilte<br />
Kosten bei Gruppen-Bahntickets,<br />
Teilnahme nur mit Anmeldung unter<br />
www.huklink.de/nabu-wanderprogramm/
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Kinofilm des Monats<br />
Schule vor der<br />
Leinwand<br />
FOTOS: NABU/FLORIAN BRAUN (S. 54), RIVER CONCERTS GMBH (OBEN), PRIVAT<br />
Konzert und Podcast<br />
„Fabrik“ zum Hören<br />
Historisch<br />
Kann das weg?<br />
Beim Thema Denkmal und Denkmalschutz<br />
scheiden sich mitunter die<br />
Geister. Was für den einen historische<br />
Augenweide und Zeitkunst ist, ist für<br />
den anderen in die Jahre gekommener<br />
Ballast. Die multimediale Wanderausstellung<br />
„Liebe oder Last?! Baustelle<br />
Denkmal“ wirft einen ungewöhnlichen<br />
Blick auf das kontroverse Thema<br />
Denkmalschutz und gibt Antworten<br />
auf viele Fragen, irrtümliche Annahmen<br />
oder gängige Vorurteile. Sechs<br />
interaktive Stationen in Form von<br />
Baugerüsten ergeben eine Baustellen-<br />
Begehung, die sowohl für kleine als<br />
auch große Besucher:innen geeignet<br />
ist. Die Ausstellung ist zweisprachig<br />
kommentiert auf Englisch und<br />
Deutsch. •<br />
Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof<br />
1, täglich bis So, 27.2., 10–17 Uhr,<br />
Eintritt: frei, www.denkmalschutz.de/<br />
ausstellung<br />
US-Band Nada Surf, seit den<br />
frühen 1990er-Jahren fester<br />
Bestandteil im Indie-Rock-Kosmos<br />
Im <strong>Februar</strong> will die US-Indie-Rock-Band Nada Surf endlich ihr wegen Corona<br />
verschobenes Konzert in der Fabrik nachholen – so der Stand zum Redaktionsschluss.<br />
Wir wissen, man weiß nie, deshalb empfehlen wir zur Steigerung der<br />
Vorfreude oder als Cliffhanger bei erneuter Konzertverlegung die Podcastfolge<br />
mit Nada Surf. Ja, die Fabrik hat einen eigenen Podcast. Stephan Maier stellt<br />
darin die Künstler:innen vor, die in der Ottensener Location auftreten. •<br />
Fabrik, Barnerstaße 36, Do, 17.2., 20 Uhr, Eintritt ab 34,20 Euro, www.fabrik.de<br />
Literatur<br />
Sprachzauberei<br />
Axel Hackes Lesungen brillieren mit<br />
Schlagfertigkeit und Witz. Bereits<br />
seit einigen Jahren widmet sich der<br />
Schriftsteller der Kunst des falsch<br />
verstandenen Wortes. Darum geht es<br />
auch in seinem aktuellen Werk „Im<br />
Bann des Eichelhechts und andere<br />
Geschichten aus Sprachland“, in dem<br />
er aus Verhörtem nicht nur neue<br />
Sprachwelten, sondern gleich ein<br />
neues Land mit eigenen Regeln entwirft.<br />
Das Ergebnis ist urkomisch und<br />
zeigt, wie zauberhaft Sprache ist. •<br />
Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee<br />
39, Mi, 16.2., 20 Uhr, 25/10 Euro,<br />
www.schauspielhaus.de<br />
Über Tipps für März freuen sich<br />
Simone Rickert und Regine Marxen.<br />
Bitte bis zum 10.2. schicken an:<br />
kult@hinzundkunzt.de<br />
Regelmäßige Leser:innen<br />
dieser Kolumne kennen die<br />
Begeisterung des Autors für<br />
das 3001 Kino. Denn zwei- bis<br />
dreimal im Jahr stelle ich hier<br />
Teile des 3001-Programms<br />
vor. Ich gebe zu: Ich bin befangen.<br />
Denn für mich ist das<br />
kleine Kino im Hinterhaus so<br />
etwas wie ein gallisches Dorf<br />
inmitten des sich stark verändernden<br />
Schanzenviertels.<br />
Die Macher :innen sichern<br />
mit viel Kreativität ihr Bestehen<br />
– was aktuell nicht gerade<br />
einfacher geworden ist.<br />
Mit einer tollen Aktion<br />
für Kinder bietet das 3001<br />
nun Grundschulklassen Ablenkung<br />
von schnöder Paukerei.<br />
Vom 21. <strong>Februar</strong> bis zum<br />
4. März können sich Schüler:innen<br />
unter dem Motto<br />
„Rabauken-Kino“ zusammen<br />
mit ihren Lehrer:innen<br />
aus zwölf Filmen ihren Lieblingsfilm<br />
aussuchen und<br />
diesen dann in einer covidkonformen<br />
Privatvorführung<br />
ansehen. Alle Filme sind<br />
unterhaltsam und vertiefen<br />
unterschiedliche auf dem Bildungsplan<br />
stehende Themen.<br />
„Checker Tobi“, die „Olchis<br />
in Schmuddelfing“ oder<br />
der „Der kleine Vampir“ –<br />
die Auswahl ist groß und<br />
behandelt altersgerecht Bereiche<br />
wie Freundschaft, Ausgrenzung,<br />
Toleranz oder<br />
auch erste Liebe. Schließlich<br />
ist das, was für Erstklässler<br />
noch brüllend komisch ist,<br />
für Viertklässler oft schon Babykram.<br />
So wird der Klassenausflug<br />
sicher einer, über den<br />
noch länger geredet wird. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit<br />
Jahren für uns<br />
ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
Leselounge<br />
#4<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Auf ein Getränk mit …<br />
Anselm Neft<br />
Der Autor trifft unsere Kolumnistin<br />
Nefeli Kavouras auf eine heiße Schokolade –<br />
wegen der Kindheitserinnerungen.<br />
In einen langen dunklen Mantel gekleidet,<br />
wehte vor etwa drei Jahren Anselm<br />
Neft in mein Leben. Damals wohnte<br />
der in Bonn geborene Autor noch nicht<br />
lange in Hamburg und wurde Teil einer<br />
Schreibgruppe, in der Autor:innen –<br />
und auch ich – über ihre Texte diskutierten.<br />
Es war von Beginn an nicht<br />
möglich, Anselms Fragen auszuweichen,<br />
und neben seiner Souveränität<br />
beim Aufdecken der Textlücken kam<br />
ich mir im Vergleich zu ihm direkt weniger<br />
erwachsen vor.<br />
Mittlerweile führen wir den gemeinsamen<br />
Literaturpodcast „Laxbrunch“,<br />
sehen uns oft und ich kenne durch die<br />
Schreibgruppe viele seiner Textauszüge.<br />
Seine Bücher hatte ich aber noch nicht<br />
FOTOS: IMKE LASS<br />
gelesen. Für diese Kolumne änderte ich<br />
das nun. Sein mittlerweile fünfter Roman<br />
„Späte Kinder“ erschien kürzlich<br />
im Rowohlt Verlag.<br />
Wir treffen uns, auf Anselms Wunsch<br />
hin, im Café Katzentempel, das Heimat<br />
mehrerer Katzen ist – voriges Jahr hatte<br />
er sich während eines Italienurlaubs<br />
urplötzlich in Katzen schockverliebt.<br />
Anselm entscheidet sich für eine heiße<br />
Schokolade mit malerisch schöner<br />
Sahnehaube. Das Getränk steht für ihn<br />
mit einer wohligen Kindheitserinnerung<br />
in Verbindung. Er wollte darin<br />
noch einmal schwelgen. Kein Wunder<br />
also, dass wir schnell auf seine Kindheit<br />
zu sprechen kommen. Damals hegte er<br />
den Traum, später eine Villa am Wald-<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
rand zu be sitzen, dort zurückgezogen<br />
und mit vielen Büchern, einem Diener<br />
und einer Katze zu wohnen. Das, was<br />
er schon als Kind so liebte, sich in<br />
Fantasien zu verlieren, konnte er sich<br />
durch seinen Beruf bewahren.<br />
Auch seine Protagonist:innen in<br />
„Späte Kinder“, Sophia und Thomas,<br />
tauchen in ihre Kindheitserinnerungen<br />
ein. Die Zwillinge treffen sich nach dem<br />
Tod der Mutter in ihrem Elternhaus<br />
wieder und müssen sich mit ihrer Lebensrealität<br />
auseinandersetzen. Der<br />
Roman gleicht einer „Comig of Age“-<br />
Geschichte von Erwachsenen, die<br />
plötzlich der Unerfülltheit der eigenen<br />
Träume und der eigenen Sterblichkeit<br />
gegenüberstehen.<br />
Ich frage Anselm, ob er sich erwachsen<br />
fühlt, er antwortet: „Das habe ich<br />
mich auch oft gefragt. Wann bin ich<br />
eigentlich richtig erwachsen? Wenn ich<br />
den Führerschein habe? Wenn ich 20<br />
bin? Wenn ich 30 bin? Jetzt bin ich bald<br />
50 und …“ – in dem Moment kommt<br />
die Kellnerin, bringt die zweite Fuhre<br />
heiße Schokolade, und ich verpasse<br />
Anselms Antwort. Doch er wiederholt,<br />
was für ihn das Erwachsensein ausmacht:<br />
„Die Verantwortung für das eigene<br />
Leben und die eigenen Gefühle zu<br />
übernehmen und das Beste daraus zu<br />
machen, was in meiner Macht steht.“<br />
Es hat sich während des Treffens<br />
keine Katze zu uns gesellt, vielleicht<br />
war unser Gespräch zu anregend, aber<br />
wir vermissen nichts. Die heiße Schokolade<br />
klebt süß auf meiner Zunge, und<br />
der Autor, der das Kindsein noch in<br />
sich trägt, erzählt mir lachend: „Ich<br />
wollte schon immer ein alter weiser<br />
Mann werden.“ Dann streicht er sich<br />
die Sahne von den Lippen. •<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Lesetipp:<br />
„Die geheime<br />
Geschichte“ von<br />
Donna Tartt. Das<br />
Buch hat Anselm<br />
Neft schon viermal<br />
gelesen, ohne genau<br />
zu wissen warum. Es fesselt ihn einfach<br />
so sehr, dass er sich darin verlieren kann.<br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
schiffbarer<br />
Kanal in<br />
Hamburg<br />
Vergeltung,<br />
Rache<br />
extrem<br />
modisch<br />
gekleideter<br />
Mann<br />
Mähgerät<br />
österr.<br />
Spitzenkoch<br />
(Johann)<br />
Südwind<br />
am Gardasee<br />
Weidmannsrevierpächter<br />
Laubbaum,<br />
Birkengewächs<br />
nachgemachtes<br />
Zahlungsmittel<br />
deutscher<br />
Fußballtorwart<br />
(Manuel)<br />
jetzt<br />
zügelloses<br />
Gelage<br />
4<br />
6<br />
8<br />
1<br />
schwed.<br />
Autorin<br />
† 1940<br />
(Selma)<br />
Zusatz<br />
zum<br />
Ackerboden<br />
lateinisch:<br />
im Jahre<br />
5<br />
1<br />
9<br />
2<br />
6<br />
3<br />
2<br />
6<br />
vor<br />
Kurzem<br />
3<br />
3<br />
2<br />
1<br />
3<br />
Beständigkeit<br />
entscheidende<br />
Situation<br />
4<br />
5<br />
4<br />
5<br />
TV-Moderator<br />
(Johannes<br />
B.)<br />
9<br />
4<br />
2<br />
veraltet:<br />
Wechsel<br />
5<br />
7<br />
2<br />
4<br />
3<br />
Entwicklungsstufe<br />
Ureinwohner<br />
Neuguineas<br />
Herbstblume<br />
Zuckerrohrschnaps<br />
Adriainsel<br />
(Kroatien)<br />
Landstück<br />
für den<br />
Kleinanbau<br />
Laubbaum<br />
Ausruf<br />
des Erstaunens<br />
Hinter-<br />
frühere<br />
lassen-<br />
schaft, d. Druckes<br />
Einheit<br />
Nachlass (Abk.)<br />
6<br />
5<br />
8<br />
AR0909-1219_12sudoku<br />
Hautflüglerfamilie<br />
altrömisches<br />
Obergewand<br />
Roman<br />
von Zola<br />
Präsident<br />
kurz für: Russlands<br />
an das (Wladimir)<br />
Einrichter<br />
eines<br />
Musikstücks<br />
Teil des<br />
Gartens<br />
ausgestorbener<br />
Feuerld.-<br />
Indianer<br />
unbest.<br />
weibl.<br />
franz.<br />
Artikel<br />
griech.<br />
Vorsilbe:<br />
darauf,<br />
darüber<br />
die Unwahrheit<br />
sagen<br />
die Landwirtschaft<br />
betreff.<br />
einsame<br />
Gegend<br />
griech.<br />
Vorsilbe:<br />
auf,<br />
hinauf<br />
Füllen Sie das Gitter<br />
so aus, dass die Zahlen<br />
von 1 bis 9 nur je einmal<br />
in jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die farbig<br />
gerahmte, unterste<br />
Zahlenreihe.<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Minenstraße 9, 20099 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 28. <strong>Februar</strong> <strong>2022</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von<br />
drei Taschenbüchern „Die Stumme Tänzerin“ von Helga Glaesener<br />
(Rowohlt Verlag).<br />
Das Lösungswort des Dezember-Kreuzwort rätsels war: Ankerkette.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe lautete: <strong>348</strong> 579 621.<br />
6<br />
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2 121912 – raetselservice.de<br />
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Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Korten Rechtsanwälte AG),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Karin Schmalriede (ehemals Lawaetz-Stiftung, i.R.),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Spies PPP),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Jörn Sturm<br />
Redaktion Annette Woywode (abi, CvD; V.i.S.d.P. für den Titel,<br />
Gut&Schön, die Fotostrecken, Freunde, Buh&Beifall, <strong>Kunzt</strong>&Kult)<br />
Jonas Füllner (jof, V.i.S.d.P. für die Zahlen des Monats, Momentaufnahme)<br />
Lukas Gilbert (lg, V.i.S.d.P. für den Schwerpunkt Arbeit),<br />
Ulrich Jonas (ujo), Benjamin Laufer (bela),<br />
Simone Deckner (sim), Kirsten Haake (haa), Jochen Harberg (joc),<br />
Anna-Elisa Jakob (aej), Nefeli Kavouras (mnk),<br />
Misha Leuschen (leu), Regine Marxen (rem), Simone Rickert (sr)<br />
Online-Redaktion Benjamin Laufer (CvD), Jonas Füllner, Lukas Gilbert<br />
Korrektorat Christine Mildner, Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Cedric Horbach,<br />
Sonja Conrad, Anja Steinfurth<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Gerald Müller,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 418, g.mueller@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 27 vom 1. Januar <strong>2022</strong><br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Gabor Domokos,<br />
Meike Lehmann, Sergej Machov, Frank Nawatzki,<br />
Sigi Pachan, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Marcel Stein,<br />
Eugenia Streche, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung/Rechnungswesen Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Jonas Gengnagel,<br />
Isabel Kohler, Irina Mortoiu<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Stefan Calin, Fred Houschka, Mandy Schulz<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger,<br />
Klaus Peterstorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2 Hamburg GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck und Verarbeitung A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
QR Code ist ein eingetragenes Warenzeichen von Denso Wave Incorporated<br />
Leichte Sprache capito Hamburg, www.capito-hamburg.de<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid bzw. nach der Anlage zum Körperschaftssteuerbescheid<br />
des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797,<br />
vom 15.3.2021 für das Jahr 2019 nach § 5 Abs.1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes<br />
von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§ 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister beim<br />
Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen.<br />
Wir bestätigen, dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
einsetzen. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte<br />
weitergegeben. Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf<br />
www.hinzundkunzt.de. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das<br />
obdachlosen und ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalist:innen geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter*innen<br />
unterstützen die Verkäufer:innen.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 4. Quartal 2021:<br />
72.333 Exemplare<br />
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Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>348</strong>/FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Von der Hand<br />
in den Mund<br />
Chamkauer, 43, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Steilshoop.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Noch vor einem dreiviertel Jahr schlief<br />
Hinz&Künztler Chamkauer im Freien.<br />
„It was a hard time“, sagt der Inder, der<br />
ein Mischmasch aus Deutsch und Englisch<br />
spricht. Ein anderer Obdachloser<br />
habe ihn schließlich auf Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
aufmerksam gemacht. Ein Glücksgriff.<br />
„Ich liebe meine Arbeit“, sagt Chamkauer<br />
und lächelt.<br />
Er kramt sein Telefon hervor, wischt<br />
über den Bildschirm und startet ein<br />
selbstgedrehtes Video. Die Kamera<br />
schwenkt über einen Supermarkt-Parkplatz.<br />
„Dort gibt es essen. Dort Berliner“,<br />
sagt Chamkauer und zeigt aufgeregt<br />
auf zwei Imbisswagen. Jetzt sieht man<br />
den Supermarkt. Chamkauer stoppt das<br />
Video, zoomt ins Bild und zeigt mit dem<br />
Finger auf den Eingang. „Und da stehe<br />
ich“, sagt der 43-Jährige. Seine Stimme<br />
klingt so stolz, als würde er gerade ein<br />
neues Auto vorführen.<br />
Für den Hinz&Künztler ist das, was<br />
er dort präsentiert, sogar größer. Der<br />
Magazinverkauf hat ihm, der sich mit<br />
Gelegenheitsjobs in Restaurants durchschlug,<br />
Türen geöffnet. Zuvor landete<br />
Chamkauer immer wieder auf der Straße,<br />
wenn er mal wieder kein Geld erhielt.<br />
Einen Arbeitsvertrag besaß er nie.<br />
Mit dem Verkauf des Magazins verdient<br />
er jetzt regelmäßig Geld. Nicht<br />
viel, aber er kann eine kleine Zimmermiete<br />
zahlen. Wenn Geld übrig ist,<br />
schickt Chamkauer es an die Familie.<br />
Seine Frau und sein inzwischen elfjähriger<br />
Sohn leben in der Grenzregion<br />
zu Pakistan. Ein „Pulverfass“ laut Bun<br />
desamt für Migration. Kämpfe zwischen<br />
Militär und Separatist:innen gehören zur<br />
Tagesordnung, bestätigt auch Chamkauer,<br />
der der religiösen Minderheit der<br />
Sikhs angehört. Die Regierung reagiere<br />
mit Ausgangssperren und Straßenblockaden.<br />
„Ein großes Problem“, so<br />
Chamkauer. Als Bauer habe er seine Erzeugnisse<br />
nicht mehr verkaufen können.<br />
Manchmal hätten sie nur von dem gelebt,<br />
was vor dem Haus wuchs. „Eating,<br />
finish“, sagt Chamkauer und verdeutlicht<br />
mit einer Armbewegung, wie er von<br />
der Hand in den Mund lebte.<br />
Seine Hoffnung hieß deswegen vor<br />
fünf Jahren Europa. Seine Mutter und<br />
sein Bruder würden sich jetzt um die Familie<br />
kümmern, sagt der Hinz&Künztler,<br />
der nur noch per Post Kontakt in die<br />
Heimat halten kann. Eine Folge des andauernden<br />
Grenzkonflikts: Die Regierung<br />
hat Internet- und Telefonleitungen<br />
gekappt, um die Kommunikationswege<br />
der Separatist:innen in der Region zu<br />
blockieren.<br />
Es hätte nicht viel gefehlt und Chamkauers<br />
Traum von einem besseren Leben<br />
wäre auf Hamburgs Straße zerplatzt.<br />
Das habe ihm sehr zu schaffen gemacht,<br />
sagt er. Dank Hinz&<strong>Kunzt</strong> schöpft<br />
er nun neue Hoffnung. Auch darauf,<br />
langfristig in Deutschland bleiben zu<br />
dürfen. Allerdings: Bislang besitzt er nur<br />
eine Duldung. Seine Chancen auf ein<br />
Bleiberecht stehen schlecht. Chamkauer<br />
ist trotzdem zuversichtlich. Sein Wunsch?<br />
„Ich würde gerne meine Frau und<br />
meinen Sohn zu mir nach Deutschland<br />
holen“, sagt er und strahlt über das<br />
ganze Gesicht.<br />
•<br />
jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />
Chamkauer und alle anderen<br />
Hinz&Künztler:innen erkennt man<br />
am Verkaufsausweis.<br />
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KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Minenstraße 9, 20099 Hamburg,<br />
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