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atw Vol. 67 (2022) | Ausgabe 2 ı März
EU-Taxonomie für ein nachhaltiges
Finanzwesen: Die Notwendigkeit, das
Europäische Elektrizitätssystem
zu reformieren?
Marc Deffrennes
Es ist nicht die Absicht dieses kurzen Artikels, die kompletten Details der EU-Taxonomie für ein nachhaltiges
Finanzwesen darzulegen, ein vor mehr als drei Jahren durch die Europäische Kommission eingeleiteter
Prozess. Stattdessen ist dies hier eine Zusammenfassung, um dann weiter zu breiter gefassten Überlegungen
über das europäische Elektrizitätssystem kommen zu können, das vor 30 Jahren in Gang gesetzt wurde
und sich in ständiger Reform befindet.... und das nicht so funktioniert wie gewünscht. Die harten Diskussionen
in Brüssel und den europäischen Hauptstädten über die Aufnahme von Kernenergie und Gas in die
Taxonomie, in Kombination mit der Energiekrise, die einen direkten Einfluss auf den Alltag der Bürger Europas
hat, bieten die Gelegenheit, einen Schritt zurück zu treten und zu verstehen, dass eine tiefgreifende
Reform des Elektrizitätssystems in Europa notwendig ist.
Zweck der EU-Taxonomie für ein nachhaltiges
Finanzwesen ist es, den Finanzinstitutionen und
anderen Investoren Leitlinien zur Orientierung zu
geben, wo sie unter Beachtung der Nachhaltigkeitsgrundsätze
investieren können. Diese Taxonomie
ist in die Politik des Green Deal der EU eingebettet,
die darauf abzielt, im Jahr 2050 CO2-Neutralität
auf EU-Ebene zu erreichen. Das Hauptkriterium
dafür, dass sich eine Aktivität im Einklang mit der
Taxonomie befindet, ist es daher, dass sie Beiträge
zur Minderung des Klimawandels oder Anpassung
an den Klimawandel leistet. Zusätzlich muss eine
Aktivität auch die DNSH (Do No Significant Harm
= Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen)
Kriterien berücksichtigen – das bedeutet, dass ein
Nachweis dafür erforderlich ist, dass sie keine
wesentliche negative Auswirkung auf die Umwelt
hat. Die Hauptgrundsätze der Taxonomie wurden
auf der EU-Ebene im Juni 2020 genehmigt und
damit erhielt die Kommission die volle Befugnis,
die detaillierten Kriterien über delegierte Rechtsakte
weiterzuentwickeln. Nach der Veröffentlichung
durch die Kommission haben die Mitgliedsstaaten
und das Europäisches Parlament einen
Prüfungszeitraum von bis zu sechs Monaten. Änderungen
sind nicht möglich: Es ist ein Alles-oder-
Nichts-Prozess. Einen delegierten Rechtsakt abzulehnen
erfordert eine große, schwierig zu erreichende
Mehrheit im Rat und eine einfache Mehrheit
im Parlament, ansonsten ist er de facto angenommen.)
Der erste delegierte Rechtsakt (DA), der mit der
Minderung des Klimawandels und Anpassungskriterien
verbunden war, wurde im Juni 2021 durch
die Kommission veröffentlicht. Er umfasst Aktivitäten,
die in Verbindung mit dem Einsatz erneuerbarer
Energiequellen (RES) stehen. Kernenergie
und Gas wurden nicht eingeschlossen 1
und die
Kommission schlug vor, diese Energiequellen in
einem eigenen komplementären delegierten
Rechtsakt (CDA) abzudecken. Im Oktober genehmigte
das Europäische Parlament den ersten DA
und der Rat ebenfalls vor der Deadline im
Dezember, wobei nichtsdestotrotz eine merkliche
Anzahl von Mitgliedsstaaten gegen das Gesetz
stimmte (einschließlich Frankreich) oder sich der
Stimme enthielt (einschließlich Deutschland).
Die Kommission veröffentlichte den CDA-Entwurf
am 31. Dezember 2021. Sie gab den Mitgliedsstaaten
und den sogenannten Sachverständigen
der ‚Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen‘
(SFP, von der Kommission als Nachfolger der
früheren Technischen Expertengruppe gegründet)
drei Wochen Zeit zur Kommentierung, danach
würde die Kommission den CDA nach der Genehmigung
durch das Kollegium der Kommissionsmitglieder
annehmen. Der Rat und das Parlament
haben dann, genauso wie für den DA, sechs Monate
1 Im Jahr 2019 entschied eine sogenannte beratende Technische
Sachverständigengruppe (TEG), die die Kommission gegründet hatte, dass
eine weitere Analyse notwendig war, um über die DNSH-Kriterien zu
entscheiden, auch wenn die TEG anerkannte, dass Kernenergie komplett CO2-
neutral ist. Im Ergebnis bat die Kommission ihre interne Gemeinsame
Forschungsstelle und zwei weitere Expertengremien, die
Umweltauswirkungen der Kernenergie zu untersuchen. Das im Sommer 2021
veröffentlichte Gesamtfazit war, dass Kernenergie kein höheres Risiko darstellt
als andere Energiequellen, wenn man den Einfluss auf die Umwelt basierend
auf einer Lebenszyklusanalyse betrachtet.
ENERGY POLICY, ECONOMY AND LAW 7
Energy Policy, Economy and Law
EU-Taxonomie für ein nachhaltiges Finanzwesen: Die Notwendigkeit, das Europäische Elektrizitätssystem zu reformieren? ı Marc Deffrennes